„Ich weiß nicht, ob ich da Zeit habe Mama!“
„Versuch bitte trotzdem zu kommen Mark, Peter würde sich wirklich riesig freuen und ich auch!“
„Ja ich schau ob ich es hinbekomme aber ich kann noch nichts versprechen.“
„Wie gesagt, du kannst auch noch ganz kurzfristig kommen, dass ich alles kein Problem!“
„Ja, ich muss los Mama, ich melde mich vorher noch einmal!“
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Mehr als geschafft denke ich an das Telefongespräch vor zwei Tagen mit meiner Mutter zurück. Ich habe überhaupt keine Lust über Weihnachten und das Neujahr in den Schwarzwald zu fahren um Peters Familie kennen zu lernen. Klar, seit er und meine Mutter liiert sind gehört er auch zu meiner Familie, aber das heißt doch noch lange nicht, dass ich mir freinehme um seine kennenzulernen oder?
Ein Klingeln reißt mich aus meinen Gedanken und noch immer nicht ganz aus meiner wirren Gedankenwelt zurückgekommen watschle ich zur Tür und öffne. Vor mir steht meine kleine Schwester Nele.
„Hey Bruderherz!“, begrüßt sie mich freudestrahlend und fällt mir um den Hals. Ich erwidere die Umarmung und murmle in ihr langes Haar: „Hey Kleines!“ Nele und ich haben uns früher nicht sehr gut verstanden, denn ich hasste es, als großer Bruder ständig auf sie aufpassen zu müssen. Mittlerweile sind wir aber ein Herz und eine Seele, was auch am Tod unseres Vaters liegt, denn dieser Schicksalsschlag brachte uns noch näher zusammen.
Während Nele also in meine Küche geht um den Kühlschrank zu plündern, folge ich ihr mit weniger Elan. Das Telefongespräch mit meiner Mutter beschäftigt mich noch immer.
Seit dem Tod meines Vaters sind jetzt schon zwölf Jahre vergangen und ich bin froh, dass sie endlich jemand neuen gefunden hat. Aber irgendwie ist mir Peter unheimlich und ich mag es nicht, wenn er die Vaterrolle übernehmen möchte.
Ich bin mittlerweile auch erwachsen und brauche niemanden, der meinen toten Vater ersetzen will.
„Mama schickt mich. Ich soll dich überreden über Weihnachten mitzufahren!“, verkündet Nele mit vollem Mund und einer Mine die ihr schlechtes Gewissen preisgibt. So etwas in der Art habe ich fast schon erwartet und deshalb kann ich Nele gar nicht böse sein.
„Ich glaube kaum, dass du Erfolg haben wirst!“, meine ich und nehme ihr gegenüber Platz. Rein gar nichts macht mir Lust auf dieses Familientreffen, nicht einmal die Tatsache, dass ich Urlaub hätte. Außerdem liebe ich meinen Job, weshalb Urlaub kein gutes Argument für mich ist.
„Komm schon, ich fahr schließlich auch mit. Außerdem scheint Peters Familie nicht nur groß, sondern auch extrem nett zu sein. Ich habe sogar erfahren, dass wir im Anwesen der Familie untergebracht sein sollen. Es wird bestimmt ganz lustig!“
Nele war noch nie gut im Überreden, dafür beherrscht sie den Hundeblick wirklich erstklassig. Leider konnte ich meiner kleinen Schwester noch nie etwas ausschlagen weshalb ich grummle: „Aber ich schwöre dir, wenn wir nicht genügend Spaß haben, dann fahre ich sofort heim!“
Das Kreischen was von Nele kommt beraubt mich fast meines Hörsinnes aber ich lächle trotzdem leicht. Sie grinst so breit, dass es sehr ungesund aussieht und verkündet, als wäre es schon eine beschlossene Tatsache: „Dann fahre ich mir dir hin und zurück!“
Ich kann es ihr nicht verübeln, ein eigenes Auto hat sie zwar, aber sie fährt nicht gerne und mit unserer Mama und Peter will sie sicherlich nicht mitfahren.
„Wann geht es denn los?“, frage ich und nehme einen großen Schluck Kaffee. Nele schluckt endlich ihr Essen runter und informiert mich über die Abfahrtszeit: „Morgen um acht Uhr!“
Ich schließe kurz die Augen und stelle mich innerlich darauf ein, am Samstag so früh aufzustehen und dann auch noch so weit zu fahren.
Altensteig liegt genau 199 Kilometer von uns entfernt und das heißt, bei gutem Verkehr, 2h 30min mit Nele in einem Auto eingesperrt zu sein.
„Du stehst pünktlich vor der Haustür sonst fahre ich ohne dich!“, richte ich das Wort an sie und nicke zufrieden, als sie ihre Zustimmung gibt.
Dann wäre das mal geklärt.
Nele bleibt noch so lange, bis mein Kühlschrank nichts mehr hergibt und dann verschwindet sie wieder. Das macht sie in den letzten Monaten immer, mich meines Essens berauben und dann abhauen. Aber wieder einmal kann ich ihr nicht böse sein.
Sie hat es früher noch schwerer gehabt wie ich, denn sie wurde gemobbt wegen mir. Ich bin schwul. Damals war ich, im Gegensatz zu meinen Mobbern, groß und stark.
Ich ging schon früh ins Fitnessstudio um mich wehren zu können und so wurde ich nie verprügelt.
Dann wurde ich Polizist während meine Schwester studierte und als rauskam, dass sie mit mir Verwandt ist, wurde sie nur noch gemobbt und geärgert.
So hat sie auch die Uni gewechselt und jetzt geht es ihr wieder gut, aber manchmal reden wir noch darüber. Werder sie noch meine Mutter hat es je gestört, dass ich auf Männer stehe. Bisher haben sie auch erst einen Freund kennen gelernt, Olaf, ein wahres Arschloch – was ich leider zu spät bemerkte.
Wir gehen ins unserer Familie sehr offen miteinander um und deshalb kam es nie zu großen Problemen.
Mit einem unguten Magengefühl hole ich mein Handy raus und rufe meine Mutter an um ihr die frohe Botschaft zu verkünden.
„Ja?“
„Hey Mama, ich wollte nur sagen, dass ich doch mitkomme!“
„Das ist ja schön mein Schatz, da werden sich die anderen aber freuen!“
„Wir sehen uns dann Morgen in Altensteig!“
„Bis Morgen!“
Unsere Telefonate sind immer so kurz, denn wir sehen uns zu oft um am Telefon alles besprechen zu müssen. Einerseits sehr praktisch, anderseits hört es sich für außenstehende sehr kalt an, was es im Grunde nicht ist.
Das
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Melian van Delan
Bildmaterialien: Laura Skorski
Lektorat: Laura Skorski
Tag der Veröffentlichung: 24.12.2014
ISBN: 978-3-7396-1503-5
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Fröhliche Weihnachten ihr alle :)