Cover

Lieben bedeutet loszulassen

Müde und mit Augenringen saß er am Bett in dem kalten, weißen Raum. Das Gerät mit den Schmerzmitteln piepste nerv tötend aber an dieses Geräusch hatte er sich längst gewöhnt.

Der starre, mit Schmerz erfüllte Blick lag auf der gebrechlichen Gestalt welche in diesem Bett lag.

Die hellblaue Bettdecke mit den Sternen drauf und das dazu passende Nachthemd war sein Geburtstagsgeschenk gewesen.

Zu ihrem 17 Geburtstag der nun schon fast ein Jahr zurück lag. Damals hatten alle geglaubt, sie müsse nur für wenige Tage ins Krankenhaus.

Dass ein ganzes Jahr daraus werden würde, hätte niemand vermutet.

Wie hatte er sicher gefühlt als fest stand, dass sie Krebs im Endstadium hatte?

Acht Monate, maximal, hatten sie ihr gegeben. Ungewollt spürte er Stolz in sich aufkommen. Trotz all dem war sie noch immer am Leben.

Müde stützte er den Kopf auf der Hand ab und legte die andere auf ihre kalte. Erst vor einer Woche hatte er den Anruf bekommen, dass die Chemos nichts mehr bringen.

Seit dem war er Stunde für Stunde an ihrer Seite, bereit für sie da zu sein sollte sie ihn brauchen.

Seit einem Jahr war er Krank geschrieben, verließ seine Wohnung nur um zu ihr zu fahren. Kaum einer seiner Freunde oder seine Familie bekamen ihn zu Gesicht.

Sie alle mieden es, ihn anzurufen, spürten sie doch, wie schwer er es hatte.

Mit einem traurigen Lächeln blickte er auf das Buch welches auf dem Tisch neben ihm lag.

Acht Mal hatte er es ihr nun schon vorgelesen und noch immer wollte sie es hören. Fast auswendig kannte er einzelne Kapitel, aber für sie würde er es tausend Mal lesen.

Eine leichte Regung der Hand welche er verzweifelt zu wärmen versuchte, lenkte seinen Blick wieder auf das junge Mädchen.

Ein Klos bildete sich in seinem Hals und Tränen stiegen in seine Augen. Nur noch zwei Tage, dann war es so weit. Sie wurde 18 Jahre alt und er würde sein Versprechen einlösen.

Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie er ihr vor fast acht Jahren versprach, zu ihrem 18. Geburtstag mit ihr zu fliegen.

Bisher hatten sie es nie geschafft, gemeinsam in ein Flugzeug zu steigen und die weiten des Himmels zu erkunden. Doch er hatte es ihr hoch und heilig versprochen. Und er hielt, was er versprach.

 

 

*******2 Tage später********

 

 

Die rote Sonne schien schräg durch das Fenster des Flugzeuges und tauchte den Innenraum in goldenes Licht. Die Motorgeräusche des Privat-Jets waren kaum zu hören und leise Geigenmusik kam aus den Lautsprechern.

Auf einem der breiten Sessel saß er, in seinen Armen geborgen sein kleiner Engel.

Sie war in mehrere Decken gewickelt und hatte auch mehrere Kleidungsschichten an. Ihr war immer zu kalt und doch lag ein freudiges Lächeln auf ihren Lippen.

Auf dem kleinen Nebentisch stand ein Schoko Muffin mit Smartis - wie sie ihn liebte - und eine Kerze mit einer 18 steckte darin.

Während er sie in seinen Armen hielt und ihr sanft über den Rücken strich, schloss sie die Augen und atmete tief den Geruch von Frühling ein.

Es mochte seltsam klingen, aber er roch wie der Frühling und sie liebte es. Die Schmerzen traten in den Hintergrund, nicht nur wegen den Schmerzmitteln, und sie schien zu schweben.

Nur wie durch ein Tuch gehüllt vernahm sie seine Stimme: "Vergiss mich dort oben nicht mein kleiner Engel, vergiss mich nicht!"

Sie wollte ihm antworten, ihm sagen, dass sie ihn niemals vergessen könnte, aber sie brachte die Kraft dazu nicht auf.

Deshalb griff sie leicht nach seiner Hand, umklammerte zwei von seinen Fingern und genoss die Wärme welche seine Haut ausstrahlte.

Die Geigenmusik wurde lauter, schien zum Finale lauter zu werden und doch gleichzeitig sanfter.

Engelsgesang könnte sich nicht anders anhören und die langsame Melodie schien nur für sie geschrieben worden zu sein.

Ein letztes Mal öffnete sie ihre Augen, versank in den grauen ihres Gegenübers und ein hauchzartes lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. Sie sah so viel in seinen Augen die sonst so verschlossen waren. Für die Außenwelt war er der Kalte, reiche Geschäftsmann an welchen niemand rankam und der keine Gefühle besaß. Doch sie hatte hinter seine Fassade blicken können, lernte einst ihn zu verstehen.

Die Kraft welche fehlte, um die Worte auszusprechen, langte gerade noch, um sie mit den Lippen zu formen.

Und während die Sicht vor ihren Augen verschwand hörte sie die Antwort: "Ich liebe dich auch, so sehr!"

Lange hatte er es nicht mehr zu ihr gesagt, immer Angst gehabt ihr damit nur noch mehr weh zu tun.

Doch in diesem Moment war sie dankbarer denn je, dass er für sie da war.

Bald konnte sie nur noch oranges Licht ausmachen welches durch die Fenster hereinschien. Die Musik war verstummt, sie trieb auf einem warmen, weichen Meer des nichts.

Aller Schmerz war verschwunden und auch ihre Gedanken waren eingestellt.

Das einzige was sie noch vor sich sah, war sein Gesicht welches wahrscheinlich niemals verblassen würde.

Und doch konnte sie durch es hindurch einen Weg sehen der sie über eine weiße Brücke führte.

Und während sie auf diese zuging spürte sie, wie ihr ein Kuss auf die Stirn gehaucht wurde.

Es war ihr Zeichen, dass die Zeit nun wirklich gekommen war, loszulassen und zu gehen. Und sie wusste, er würde sie begleiten soweit es ginge.

Mit dem tiefen Gefühl von Geborgenheit und Liebe begab sie sich auf ihren letzten Weg in das Paradies.

Und er war an ihrer Seite, hielt sie lange Zeit an sich gedrückt und während ihm die Tränen über die Wangen liefen, lächelte er doch ganz leicht denn er wusste: Eines Tages würden sie sich wiedertreffen, sie würde auf ihn warten und in die Unendlichkeit begleiten, sicher führen und auf ihn achten.

Impressum

Texte: Melian van Delan
Bildmaterialien: Melian van Delan/Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 09.09.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /