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Bis in alle Ewigkeit

Leben heißt bereit sein,

irgendwann zu sterben.

Lieben heißt bereit sein,

irgendwann Abschied zu nehmen.

 

 

-------***--------

 

 

Finn saß auf der großen Couch und starrte die weiße Wand ihm gegenüber an. Wie lange er schon dasaß und sich nicht regte, wusste er nicht mehr. Waren es Stunden, Tage, Monate oder Jahre? Doch eines wusste er nur zu genau. Jules war nicht mehr bei ihm. Sein geliebter, kleiner Sonnenschein war seit drei Tagen beerdigt. Tränen schossen in seine Augen und ein Schluchzer kam über seine Lippen. Sein ganzes Leben hatte sich auf einen Schlag verändert. Nur zu schmerzlich erinnerte sich Finn daran wie er den Anruf erhalten hatte.

 

 

 

"Finn Williams hier." "Melanie Müller. Ich bin die Leiterin der Krebsstation des örtlichen Krankenhauses. Sind sie der Freund von Jules Sommer?" Panik durchflutete ihn und ein ungutes Gefühl entstand in seinem Bauch. "Ja der bin ich! Ist etwas mit Jules?", seine Stimme zitterte leicht. Er hörte die Frau tief durchatmen und dann vernahm er die Worte: "Es tut mir Leid ihnen mitteilen zu müssen, dass Herr Sommer vor einer halben Stunde verstorben ist!" Ein Bombeneinschlag der seine ganze Welt zusammen brechen ließ. Wortlos ließ er das Telefon fallen, sprang in seinen Wagen und raste, ohne auf die Schilder zu achten, zum Krankenhaus. Heiße Tränen liefen über seine Wangen und er biss sich mehrmals seine Unterlippe fast blutig. Im Krankenhaus angekommen traf er auf Paul und Maria. Die beiden hatten verweinte rote Augen und ohne ein Wort umarmte ihn Maria fest. "Es tut uns so leid Finn, so leid!", stammelte sie und schluchzte hilflos. Paul legt seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes, bekräftigte die Worte seiner Frau. Finn begann zu zittern und rannte in das Zimmer in welchem Jules bereits seit drei Jahren lag und jedes Mal mit glänzenden Augen auf ihn gewartete hatte. Doch das einzige was jetzt noch da war, war der blasse und schmächtige Körper seines Freundes. Der Brustkorb hob sich nicht mehr und die Augen waren für immer geschlossen. Finn hatte das Gefühl, sein Herz zersprang wie ein Glas das zu Boden fiel. Tränen verschleierten seine Sicht und er ließ sich auf die Knie fallen, griff mit zitternden Händen nach der von Jules. Sie war eisig Kalt und mit seinem Schlag wurde Finn bewusst, er hatte verloren was er mehr als alles andere geliebt hatte. Er vergrub sein Gesicht im Stoff der Bettdecke, umklammerte die Hand von Jules und betete zu Gott, ihm zurück zu geben was er gestohlen hatte. Doch Jules kam nicht zurück, er ging an diesem Tag von den Lebenden. 

 

 

Alleine schon die Erinnerung rief Gefühle in Finn wach, die er sofort hasste. Weinend erinnerte er sich an das letzte Mal als er Jules besucht hatte. Sie hatten gelacht, sich über einen Fernsehfilm aufgeregt und er hatte wieder einmal vergessen, was irgendwann mal passieren würde. Da fiel sein Blick auf den Briefumschlag der ungeöffnet auf dem Tisch lag. In Jules Handschrift stand dort 'Finn' geschrieben. Natürlich war er für ihn gedacht, doch bisher hatte er nicht den Mut aufgebracht, den Brief zu öffnen oder zu lesen. Doch er wollte unbedingt wissen, was Jules geschrieben hatte und so griff er nach dem Umschlag und öffnete ihn mit zitternden Händen. 

 

 

Lieber Finn, wenn du diesen Brief erhältst, dann wird es mich nicht mehr geben. Warum ich dir einen Brief schreibe und es dir nicht persönlich sage? Ganz einfach, denn jedes Mal sehe ich diesen Schmerz in deinen Augen, wenn es darum geht, dass ich sterben werde. Und es in deinen Augen zu sehen, wie du leidest, schmerzt mich am aller meisten. Deshalb habe ich es dir auch nicht gesagt und auch alle anderen gebeten, es zu verschweigen. Der Arzt hat vor einer Woche gesagt, dass der Krebs sich zu weit ausgebreitet hat. Natürlich weiß ich, was das bedeutet. Im Umschlag findest du ein Foto. Es gab mir die ganze Zeit die nötige Kraft, durchzuhalten. Aber nachdem der Arzt weg war, ist mir eines klar geworden. Wenn ich entscheide zu gehen, wirst du es verstehen. Drei verdammte Jahre habe ich dir gestohlen indem du bei mir warst. Aber es macht mich glücklich, dass du da warst. Bevor die Diagnose gestellt wurde, hast du mir ein Versprechen gegeben. Du sagtest, dass du bei mir bleibst und du hast es gehalten. Wie oft habe ich dich verflucht und mich geschämt, wenn du meine schwächsten Momente miterleben musstest. Doch du hast kein einziges Mal gemeckert oder mir das Gefühl gegeben, es ekelt dich an. Nein, du hast meine Hand gehalten, meine Tränen getrocknet und mir Mut zugesprochen. Und was war die Standartantwort wenn ich dich gefragt habe, ob es nicht schlimm währe das mitanzusehen? "Ich liebe dich!", mehr hattest du nicht zu sagen und in diesen Momenten war ich überglücklich. Du weißt nicht wie dankbar ich dir bin, dass du es akzeptiert hast. Denn wir beide wussten es würde irgendwann zu ende gehen und doch hielt es dich nicht ab. Du sagtest immer, es währe dir egal, dass wir nicht das selbe wie andere Paare machen können. Und es war dir egal, du saßest viel lieber mit mir im Bett, hast Geschichten vor gelesen oder mich im Arm gehalten wenn ich geschlafen habe. Und als du mich vor vier Wochen plötzlich abgeholt hattest, war ich so aufgeregt wie lange nicht mehr. Nicht einmal dafür konnte ich dir 'Danke' sagen, dafür das du mir meinen größten Traum erfüllst hast. Ein Mal durfte ich nach Kalifornien um dort den Yosemite-Nationalpark zu besuchen. Ich hätte sofort sterben können, so glücklich war ich. Doch du hast es noch einmal getoppt. Das du komplett verrückt bist, wusste ich von Anfang an. Aber so verrückt, das hätte ich niemals gedacht. Es lag der erste Schnee und unser Jahrestag stand an. Der ganze Park vom Krankenhaus war mit Windlichtern geschmückt und all unsere Freunde und unsere Familien waren da. Und du standst unter der Linde in deren Rinde ein Herz mit: J+F 4-ever geritzt war. Schick in einem schwarzen Anzug nahmst du mich in die Arme und fragtest mich: "Willst du mich heiraten?" Die Welt stand still und ich habe geweint wie noch nie. Was blieb anders übrig als "Ja" zu sagen? Doch zur Hochzeit ist es nicht gekommen. Ich liebe dich von ganzem Herzen Finn! Immer beherrschst du meine Gedanken. Danke für deine unendliche Liebe, dein Vertrauen und deine Zuneigung. Doch du musst mir versprechen, auch wenn ich gehe, du wirst jemanden neuen finden, der perfekt für dich ist. Deshalb behalte mich gut in Erinnerung, als den, den du einst geliebt hast. Noch ein letztes Mal bedanke ich mich bei dir. Jetzt kann ich es dir nicht mehr sagen, aber ich verspreche dir von dort oben, wo ich sein werde, ein Auge auf dich zu haben. Einen Wunsch habe ich noch. Du weißt, ich liebe weiße Rosen und wünsche mir, du pflanzt einen Rosenstock an meinem Grab. Er soll das Licht im Dunkeln signalisieren damit ich immer zu dir zurück finden werde. 

In ewiger Liebe dein Jules

 

 

Ununterbrochen liefen Tränen über seine Wangen, benetzten das Papier und verwischten die Tinte. Kraftlos lies er den Brief fallen und griff noch einmal nach dem Umschlag. Das Foto welches er hinaus zog, ließ ihn noch lauter schluchzen. Es zeigte einen gesunden Jules, der huckepack von ihm getragen wurde und in die Kamera strahlte. Das leuchtend rote Haar stach sofort ins Auge und die Handvoll Sommersprossen um die kleine Stupsnase sahen aus wie Sprenkler die entstanden, wenn dem Maler der Pinsel entkam. Die blauen Augen strahlten magisch und zogen ihn fast an. Auf sich selbst blickte Finn nicht, er schaute nur zu Jules. Fast konnte er die Liebe sehen die er für diesen kleinen Chaoten empfunden hatte. Sah sie auch in den blauen Augen obwohl es nur ein Bild war. "Ich liebe dich so sehr mein Engel!", flüsterte Finn erstickt und legte das Foto hastig nieder. Er vergrub das Gesicht in den Händen und weinte hemmungslos für sich alleine. Hätte er gewusst, dass ein ebenso trauriger Jules von oben auf ihn hinab sah, hätte er sich sicherlich zusammengerissen. Doch der jüngere konnte nichts unternehmen um Finn zu trösten, nur hoffen er würde eines Tages darüber hinweg sein. Finn weinte lange und irgendwann riss er sich zusammen und steckte den Brief und das Foto zurück um beides dann in der Schublade zu verstecken, wo die restlichen Fotos lagen. Er hatte sich vorgenommen, genau das zu machen was Jules gesagt hatte. Und so fuhr er zum Friedhof und pflanzte den Rosenstock. Natürlich kam dadurch Jules nicht zurück, doch jeden Freitag - den Todestag seines Engels - stand Finn am Grab und blickte auf die Rosen welche prächtig gedeihten. Und da wusste er, was Jules gemeint hatte und er lächelte traurig. 

 

 

 

~~~~~5 Jahre später~~~~~

 

 

 

Es war ein windiger Freitag als zwei Männer, gut eingewickelt in Jacken, zwischen den Gräbern hindurch liefen. Der kleiner von den beiden fragte leise: "Und du bist dir sicher er hätte es gewollt?" Finn lachte leise und zog den blondhaarigen an sich um ihm einen Kuss aufzudrücken. "Wie oft willst du mich das noch fragen David? Jules hätte dich geliebt und ich wünsche mir so sehr, dass du ihn kennenlernen könntest!", hauchte Finn und lächelte traurig. Die beiden gingen Arm in Arm weiter und blieben erst vor dem schönsten Grab auf dem ganzen Friedhof stehen. Trotz des Wetters wuchsen die Rosen, wie jedes Jahr, prächtig. Finn schloss kurz die Augen um dann zu lächeln. Es war ein schönes Lächeln, nicht mehr so traurig wie früher. "Hey Jul! Ich weiß ich war schon lange nicht mehr hier und es tut mir Leid. Aber ich habe jemanden mitgebracht. Das ist David!", Finn zog seinen Freund an sich und lächelte dem Grabengel entgegen. Dieser saß, umgeben von den Rosen auf dem Grab und wachte über Jules. David schwieg, wusste er doch wie sehr es Finn noch immer schmerzte, und er verstand ihn seltsamer weise auch. Wusste weshalb er nicht eifersüchtig war und sogar verstand, weshalb Finn mit dem Grab redete. Und plötzlich kam ein warmer Wind auf, umschmeichelte sie und gab ihnen das Gefühl von Wärme. Finn umarmte David fest und küsste ihn zärtlich. Er wusste, Jules gab ihm seinen Segen und er war glücklich, endlich in ein neues Leben starten zu können. Noch immer liebte er Jules und doch liebte er auch David. Beide auf unterschiedliche Art und Weise. Während der eine seit fünf Jahre tot war, lebte der andere an seiner Seite. Und sie beide hatten ihren Platz in seinem Herzen eingenommen und würden ihn niemals verlassen. David ging schon einmal vor, wusste das Finn einen Moment brauchte. Dieser ging in die Knie und strich zärtlich über die schönste aller Rosen. "Du weißt, ich werde dich immer lieben Jul. Du fehlst noch immer und ich vermisse dich. Aber ich werde dich wiedersehen, irgendwann treffen wir uns und dann stelle ich dir David vor. Bis nächsten Freitag!", hauchte er und ging dann mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen zu seinem Freund und sie kamen - wie versprochen - jeden Freitag an das Grab. Und das taten David und Finn jede Woche, in jeder Jahreszeit. Die Rosen wuchsen weiterhin so prächtig, verwelkten nie und beide wussten sie, dort oben gab es ein Engel der auf sie aufpasste und über sie wachte um sie eines Tages zu sich zu holen. Doch noch war die Zeit nicht gekommen, doch irgendwann währe es auch für sie Zeit. Und dann würden sie guten Gewissens gehen können und mussten nicht zurückblicken da ein neues Abenteuer auf sie wartete.

Impressum

Texte: Melian van Delan
Bildmaterialien: Melian van Delan
Tag der Veröffentlichung: 07.09.2014

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