Guido sah sich um, die Sonne ließ die Bäume rings um die Lichtung auf der er stand in allen herbstlichen Farben leuchten. Er war gern im Wald, besonders an Tagen wie diesem. Der einzige Wermutstropfen der ihm immer wieder das gute Gefühl das er in der freien Natur stets empfand zunichte machen konnte, war das Töten. Nein, er mochte es ganz und gar nicht. Leider war es aber unumgänglich wenn man die Natur vor Schaden bewahren wollte. Guido öffnete den obersten Knopf seines Lodenmantels, rückte seinen Hut gerade und machte sich daran den Hochstand zu erklimmen. Er hatte sich gerade niedergelassen, als ein noch relativ junges Reh witternd auf der Lichtung erschien. Guido griff nach seinem Jagdgewehr und starrte angespannt durch das Zielfernrohr. Sofort war er fasziniert von der Schönheit des Tieres und der Anmut seiner Bewegungen. Er betrachtete die großen Augen und glaubte, es würde zu ihm hoch sehen. Plötzlich drehte es den Kopf, lauschte kurz und floh mit großen Sprüngen zurück in den schützenden Wald. Guido ließ abrupt die Flinte sinken. „Alles Gute“ dachte er noch, dann erhob er sich schulterte sein Gewehr und stieg die Leiter hinunter. Er stapfte entschlossen auf eine Fichtenschonung zu. Sonst war er nie so lange allein, Jäger begegneten sich doch ständig im Forst. Heute schien er der Einzige zu sein der auf der Jagd war. Am Ende der Schonung gelangte Guido auf einen breiten Waldweg. Er war gerade dabei die Hoffnung noch Jemanden zu treffen aufzugeben, als er ein sich rasch näherndes Motorengeräusch vernahm. „Hoffentlich sind es nicht bloß ein paar Waldarbeiter“ ging es ihm durch den Kopf. Dann sah er den Land Rover um eine Wegbiegung direkt auf ihn zukommen. Keine Waldarbeiter, der Wagen hatte das typische Jagd-grün. Der Land Rover stoppte am Wegrand genau neben Guido. Ein Mann im grünen Mantel, mit Hut und Gummistiefeln rutschte schnaufend vom Fahrersitz des Geländewagens. Er war klein und dick und sah nicht so aus als könnte er sich stundenlang durchs Dickicht kämpfen. „Der hat bestimmt schon reichlich an seinem Flachmann genippt“ dachte Guido, als er die rötliche Gesichtsfarbe des Dicken bemerkte. Der Mann grinste, „Tag auch“ presste er hervor ohne die Lippen sichtbar zu bewegen. „Auch noch nichts geschossen?“ fragte er jovial, während er im Zeitlupentempo seine Waffe aus dem Auto holte. Guido grinste ebenfalls als er antwortete „Noch nicht, aber ich bin mir sicher das ich heute noch ein Stück erlege.“ Der Langsame lachte „Das ist die richtige Einstellung. Ich hab nur eine fette Sau angeschweißt, ist dann aber abgehauen.“ Guido zog die Augenbrauen hoch „So was ist mir noch nie passiert. Bei mir gibt es nur Blattschuss.“ „Klappt auch bei Dir nicht immer. Aber trotzdem Waidmanns Heil!“ grölte der Dicke und drehte Guido den Rücken zu, um in Richtung der Fichtenschonung davon zu watscheln. „Waidmanns Dank!“ rief Guido, riss blitzschnell sein Gewehr von der Schulter entsicherte es und schoss. Der Knall hallte infernalisch laut durch die Stille des Waldes. Der Mann gab ein dumpfes Röcheln von sich, ehe er wie ein gefällter Baum auf den weichen Waldboden schlug. „Ich sag es doch, immer Blattschuss“ murmelte Guido vor sich hin und machte sich daran seine Patronenhülse zu suchen. Nachdem er sie gefunden und eingesteckt hatte, sah er auf seine Uhr. Es war schon fünf und er musste sich beeilen um nicht zu spät zur Versammlung des Tierschutzvereins zu kommen. Schließlich stand heute die Wahl des neuen Vorsitzenden an......
Und es war so gut wie sicher das man ihn wählen würde.
Die Schokoladen-Weihnachtsmänner mit Edelkakao, dieses Jahr der Renner, mussten noch in das Gefäß, welches die Form eines Schlittens aufwies einsortiert werden, auf den kleinen Tisch neben der Theke sollte der Mini-Weihnachtsmarkt, dessen Buden und Figuren allesamt aus feinstem Marzipan bestanden. Clarissa mochte ihre Arbeit eigentlich, obwohl sie mit Süßigkeiten eine Art Hassliebe verband. Das meiste Naschwerk in dem Laden der ihren Arbeitsplatz darstellte, war sehr schön anzusehen, aber dennoch war es ein tonnenweise Zucker enthaltendes Teufelszeug. Ab und zu ein Bisschen davon, in Ordnung, aber wie man sich solche wahren Kalorienbomben in Massen rein stopfen konnte hatte sie noch nie verstanden. „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“Clarissa setzte ein strahlendes Lächeln auf und verkaufte dem pausbäckigen Mann Zuckerstangen, Toffees und Nougat-Würfel. Der Bursche gehörte zu den Zeitgenossen die Clarissa mit Abscheu erfüllten, Körperumfang wie ein überdimensionales Weinfass auf zwei Beinen und dann eine Tüte voll süßer Dickmacher kaufen. Es gab Leute die kamen ein mal in der Woche und kauften eine Unmenge. In der darauffolgenden Woche konnte man sehen das sie schon wieder fetter geworden waren, einfach widerlich. Es gab ja sogar einen Trend immer öfter dicke Models zur Schau zu stellen, an denen schwabbelte alles und aus ihren aufgedunsenen Gesichtern schickten sie ein feistes Grinsen in die Kamera. Clarissa schüttelte sich angeekelt bei dem Gedanken. Für sie hätten Schädlingsbekämpfer die Aufgabe der Eliminierung einer größeren Spezies dazubekommen. „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“ Die prall gefüllte Tüte landete in den mit kurzen Wurstfingern ausgestatteten Händen der Kundin und es kam ihr so vor, als hätte sie gerade die Tagesproduktion einer Zuckerfabrik veräußert. Immer wieder drängten sich die Bilder ihrer verkorksten Kindheit vor ihr geistiges Auge. Die ganze Familie bestand aus wandelnden Fressmaschinen, sie empfand alle in ihrem Umfeld als abschreckendes Beispiel und bemühte sich stets um eine gute Figur. Das widerlichste dieser Speckmonster war ihre drei Jahre ältere Schwester, deren Ausmaße ein Flusspferd vor Neid erblassen ließen. Es machte ihr einen Heidenspaß ihre dünne Schwester an einen Stuhl zu fesseln und sie mit Schlägen zu zwingen den Mund zu öffnen und sich mit Schweinshaxe und Sahnetorte vollstopfen zu lassen. Zu ihren Eltern brauchte sie nicht zu gehen, sie nannten sie Hungerhaken und fanden die Folter die ihre Schwester ihr antat auch noch witzig. Clarissa zwang sich die Vergangenheit aus ihrem Kopfkino zu verbannen. Während sie Marzipanbuden auf dem Tisch neben der Theke
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Marcus Gieske
Cover: A&K Cover-Design Alexa Kim
Tag der Veröffentlichung: 19.01.2020
ISBN: 978-3-7487-2673-9
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