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Das Licht der untergehenden Sonne tauchte die weite Ebene in glühendes rot. Aliana und ihre Schutzbefohlene Jasmina spreizten ihre feinen seidigen Flügel und sahen in die Ferne. Die Hitze des Tages ließ nach und allmählich kam ein kühlerer Wind auf und umschmeichelte die erschöpften Körper der beiden Engel.
"Weißt du was?", Jasmina streckte sich und gähnte herzhaft, "ich habe diesen Drill wirklich fürchterlich satt. Als man mir anbot, ein Engel zu werden, da glaubte ich, eine gute Wahl zu treffen, doch jetzt... Schau nicht so!"
Aliana hatte den Kopf schief gelegt und begutachtete ihre Freundin: "Was du da eben gesagt hast, das erinnert mich an Darius."
"Darius?", Jasmina holte merklich Luft, "aber das ist doch der gefallene Engel?!"
Aliana nickte und warf ihr langes rotblondes Haar nach hinten: "Einst dachte er ebenso über das Engelsein wie du."
"Nur weil er so dachte, muß ich nicht auch den falschen Weg einschlagen", Jasmina nahm ihre Lehrbücher und stand auf.
Für den Augenblick schien es, als sei der junge Engel von seinen Gedanken kuriert, doch dann hielt er noch einmal inne und sah sich um: "Wie mag es wohl sein, wieder zur Erde zurück zu kehren?"
Der ältere Engel hob seine Bücher ebenfalls auf und stellte sich neben den jüngeren: "Du wirst nie als das zurück geschickt oder verstoßen, als das was du einst warst. Wenn du Glück hast, dann wirst du ein kräftiger Tiger oder ein stolzes Pferd, hast du weniger Glück, dann kann es passieren, daß du eine Küchenschabe wirst und dein Leben äußerst kurz ist. Dann bist du bald wieder hier oben."
"Ich glaube, ich wäre trotzdem gerne wieder auf der Erde!", Jasminas Stimme erklang trotzig und Alianas Flügel wurden vor Ärger rot wie Feuer.
"Du verstehst es nicht, oder?", der ältere Engel zog die Stirn kraus.
Sie sahen sich an und der jüngere Engel seufzte kaum merklich: "Aber das Leben als Engel ist so öde! Immer gute Taten, Harfe spielen oder im Chor singen. Ich möchte wieder auf die Erde. Stell dir das doch vor, endlich wieder ein alkoholisches Getränk, eine verbotene Süßigkeit oder Liebe mit einem Mann. Oh wäre das herrlich!"
Jasminas Flügel verfärbten sich wieder in ein zartes glitzerndes Blau, Wasser gleich, indem Sonnenstrahlen gebrochen wurden. Sie hatte sich wieder beruhigt, glaubte, Nachsicht üben zu müssen, war ihr Schützling doch noch so jung und unerfahren.
"Jasmina, wünsche dir diese Dinge nicht zu sehr. Sie könnten in Erfüllung gehen und es fällt mir schwer, zu glauben, daß du irgend etwas davon wirklich willst."
"Warum sollte ich es nicht wirklich wollen? Was ist schöner als das Leben auf der Erde?" Jasmina breitete ihre Arme aus und wirbelte im Kreis herum. Die Bücher flogen durch die Luft und Aliana mußte sich bücken, um nicht getroffen zu werden.
"Jasmina, komm zur Vernunft!", schalt der ältere Engel, doch das junge ungestüme Wesen ließ sich nicht zügeln.
Laut und immer lauter tönte es aus ihrem Mund: "Ich will wieder zur Erde, ich will kein Engel sein! Ich will wieder zur Erde!"
Aliana schloß die Augen, als sie das entfernte Donnern vernahm. Die Rufe des jungen Engels waren nicht ungehört geblieben.
Sie wußte, sie konnte ihrem Schützling nicht mehr helfen. Jasmina hatte ihre Wahl getroffen, hatte ohne es zu wissen, etwas in die Wege geleitet, das sie noch nicht begreifen konnte.
Oh süße Welt, oh süße Erde. Nichts daran war schön. Nicht für gefallene Engel.
Der Boden unter Jasminas Füssen glitt wie geschmolzene Butter auseinander und für einen Augenblick verstummte der junge Engel.
"Lebwohl," flüsterte Aliana, dann war sie aus dem Blickfeld Jasminas, die der Erde entgegen zu stürzen schien.
Während sich ein lautloser Schrei aus ihrer Kehle stahl, kam der Boden immer näher. Jasmina spürte, wie eine Veränderung mit ihr vorging, sie spürte, wie ihre Flügel sich von ihr lösten und ihr Körper sich veränderte und dennoch fiel sie. Immer tiefer, immer weiter.
Angst schnürte ihre Kehle zu und dennoch war da tief in ihr drin eine schwere Süße, ein Gefühl von Vorfreude und Zufriedenheit.
Sie würde wieder auf der Erde sein dürfen, ob Mensch oder Tier, egal, nur endlich wieder auf der Erde.
Wenige Augenblicke später war alles schwarz um sie herum. Jasmina spürte Angst und Verzweiflung und einen unendlichen Schmerz.
"Steh auf, du dreckige...", plötzlich war sie wieder da, nahm ihre Umgebung wahr und hörte bittere Worte.
Jasmina schob die Pappe von sich herunter und versuchte sich aufzurichten. Ihr Blick ging an ihr hinab. Sie war ein Mensch. Sie war wirklich ein Mensch! Aliana hatte nicht die Wahrheit gesagt, vielleicht kannte sie sie auch nicht, aber Jasmina kannte die Wahrheit. Mit leuchtenden Augen richtete sie sich auf und klopfte ihre dreckigen Kleider ab.
Sie befand sich in einer Seitengasse, hatte im Müll gelegen, der vermutlich ihren Aufprall gedämpft hatte. Es war kein Grund zur Unruhe. Sie würde zurück nach Hause gehen, zurück zu ihren alten Freunden, würde sehen, was in ihrer Abwesenheit geschehen war und ihr altes Leben weiter leben. Jasmina war zu enthusiastisch, um die entsetzten Blicke ihrer Mitmenschen zu bemerken.
Sie eilte die Gasse entlang, eilte bekannte Straßen entlang und folgte ihren alten Wegen. Ihre Erinnerungen kehrten langsam wieder. Dort hatte sie gearbeitet, dort eingekauft und in diesem Coffeeshop hatte sie jeden Morgen ihren Cafe Latte geholt.
Jasmina begann sich zu erinnern, wie schön sie gewesen war, wie viele Verehrer sie gehabt hatte, wieviel Geld sie besessen hatte. Ein triumphales Gefühl breitete sich in ihr aus.
Sie war zurück. Aliana zum Trotz würde sie ein schönes Leben führen. Die Engel wußten gar nicht, welch Leben sie hier verpaßten.
Doch je näher sie ihrem zu Hause kam, desto abfälliger wurden die Blicke ihrer Mitmenschen. Sie ignorierte es, schob es auf ihre Kleidung und setzte ihren Weg fort.
Als sie die Straße überquerte, erkannte sie das alte Haus wieder. Dort vorne, dort mußte es sein. Sie konnte sich nicht täuschen.
Jasmina eilte auf das Appartementhaus zu und stoppte vorm überdachten Eingang. Ja, sie war zu Hause.
"Geh weg, du dreckiges Weibsbild!" erklang die Stimme des Concierge und ein mißbilligender Blick traf sie.
"Edward", sie lächelte ihn an, "ich bin es, Jasmina Montaine."
Edward zog eine Augenbraue hoch und lachte bitter: "Jasmina Montaine ist tot. Schäm dich, Weib, daß du dich versuchst als sie auszugeben!"
Jasmina wich erschrocken zurück. Wie konnte er sie nur nicht erkennen? Doch als ihr Blick in das Glas der Eingangstüren fiel und sie ihr eigenes Spiegelbild erkennen konnte, da wußte sie, was geschehen war.
Eine alte Streunerin sah ihr entgegen, verschlissene Kleider, runzliges Gesicht.
Jasminas Augen füllten sich mit Tränen, doch es war zu spät zu bereuen. Alles was blieb, war an Alianas Worte zu denken und daß es als Engel nicht hätte schöner sein können...

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Tag der Veröffentlichung: 07.12.2008

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