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Gestern hab ich dich an einer Bushaltestelle gesehen. Es hat mich furchtbar erschreckt und ich wusste nicht, ob ich zu dir gehen oder weg rennen sollte. Doch natürlich warst du es nicht. Du stehst nicht einfach an einer Haltestelle und wartest auf mich. Nein, um dich zu finden, dich zu retten, muss ich an anderen Stellen suchen, in den dunklen Gassen und einsamen Hinterhöfen und zwischen den Gräbern auf Friedhöfen.
Die ersten Wochen und Monate meiner Suche waren erfolglos. Du wärst natürlich für diese Aufgabe viel besser geeignet gewesen, es war schließlich dein erklärter Lebensinhalt sie zu suchen und zur Rechenschaft zu ziehen. Du wusstest, wo sie sich verstecken, in welchen abgelegenen, heruntergekommenen Vierteln man suchen musste, unter welchen Kellerfenster sie schliefen. Ich habe dich nie gefragt woher dein Wunsch kam sie zu suchen, oder woher du all das über sie wusstest, warum du dich nie hast täuschen lassen, bis zuletzt. Vielleicht hätte ich das tun sollen, aber du musst mir verzeihen, dass ich Angst hatte, und auch jetzt noch Angst habe, die ich bezwingen muss, will ich dich finden und retten. Und das habe ich dir versprochen.
Ich hätte fast aufgegeben in dieser Nacht auf dem Nordfriedhof, als ich mich das erste mal zwischen die Gräber traute und doch nichts fand als Einsamkeit und unerträgliche Kälte. Du wärst da gewesen um mich zu wärmen, ich hatte versucht deinen Atem in meinem Nacken zu spüren, aber es hatte nicht geholfen, hatte mich nur noch mehr deine Abwesenheit fühlen lassen. Allein konnte ich die Aufgabe nicht vollbringen, die ich mir auferlegt hatte, also beschloss ich schließlich mir Hilfe zu holen. Denn in dieser Nacht zwischen kalten Steinplatten war mir klar geworden, wie du es so weit hattest bringen können. Du kanntest sie. Du wusstest wie sie denken, wie sie fühlen, was sie treibt und wohin sie ihr Verlangen führt, an welche Orte, zu welchen Gedanken und Taten. Ich musste sie kennen lernen, sie verstehen, ich musste selbst werden wie sie, damit ich dich finden konnte. Das war einfach. Du hattest mich schon oft zu ihren Treffen mitgenommen, ich meine zu denen, die versuchten wie Menschen zu leben. Dort hatte ich mich nie wohl gefühlt, hatte ihre Blicke auf mir gespürt und ja, auch meine Blicke auf ihnen.
Vorsichtig ging ich zur Anmeldung, sie kannten mich noch und hatten wohl gehört was mit dir geschehen war.
"Keine Spur von ihm?", wurde ich gefragt und mit einer Umarmung begrüßt. Ich schüttelte den Kopf. Es war viel leichter als ich es mir vorgestellt hatte, ich wurde nur kurz befragt und keine meiner Antworten wurde bezweifelt. Nein, ich wisse nicht wer es getan hatte, er hatte mich liegen lassen, nein ich habe noch keinen Menschen getötet, habe mich von Tieren ernährt. Das konnte man glauben, die letzten Wochen hatten mich so mitgenommen, dass ich tatsächlich abgemagert und bleich war.
Das erste Treffen war an einem Montag, man würde mich willkommen heißen und mir jede Hilfe anbieten, die ich benötigte. Ich heftete mir mit zittrigen Fingern das Namensschild an, auf dem in verschmierter roter Schrift die Worte "Anonyme Blutsauger - Emilia Winter" standen. Ich fragte mich, wer sich wohl diesen Namen für mich ausgedacht hatte. Es war eine Abwandlung meines richtigen Namens, den ich natürlich hätte ablegen müssen, als Vampir.

Im Kreis saßen einige alte Bekannte, aber hauptsächlich neue Leute. Manche sahen noch sehr verstört aus, als wären sie erst kürzlich verwandelt worden. Man begrüßte mich mit einer Runde Mitleidsbekundungen, dann sollte ich mich vorstellen. Eine Geschichte hatte ich mir nicht überlegt, hatte ich doch schon genug gehört um die Standard-Version herunter beten zu können. Trotzdem versuchte ich ein wenig individuelle Tragödie einfließen zu lassen und sogar ein bisschen Wahrheit.
Zunächst kündigte der Leiter der Gruppe mich an: "Willkommen, Freunde, zur Vereinigung. Unser jüngstes Mitglied wird nun vortreten."
"Mein Name ist Emily - ", begann ich.
"Emilia!", flüsterte der Leiter mir von hinten zu. Er war ein Erfolgsmodell, eine perfekte Integration im schwarzen Anzug und wahrscheinlich stammte von ihm der dramatische Name. Auf seinem eigenen Namensschild stand nur "Ave N."
"Wie auch immer. Was ist schon ein Name?"
Zustimmendes Nicken.
"Es war vor drei Wochen. Sie griffen uns an, es waren zwei. Wir hatten keine Chance. Seit dem ist er verschwunden und... ich hoffe nur es geht ihm gut..."
Es war leicht die Tränen fließen zu lassen und meine Wimperntusche zeichnete malerische schwarze Rinnsale auf meine Wangen. Ich setzte mich und hörte mir die andere Vorstellung des Tages an.
Sie war noch jung, war ein Punk gewesen, doch davon war nicht mehr viel übrig geblieben. Ihre Zähne hatte sie noch nicht feilen lassen, die Reste ihrer Tattoos waren noch auf Rücken und Armen zu sehen und ihre Haare schienen einmal pink gewesen zu sein. Sie hatte etwas in ihrer Stimme das mir einen Schauer über den Rücken schickte und als sie in zu vielen Details von ihrer Verwandlung erzählte, schaute sie mir direkt in die Augen. In diesem Moment konnte ich ihr kaum noch zuhören, konnte nur beobachten wie sich ihre roten Lippen bewegten, wie ihre Zähne beim sprechen hervor blitzten und sie viel zu oft mit der Zunge ihre Unterlippe leckte.
Es folgte eine Information über die aktuell besten Blutlieferanten und Opfergaben, doch ich konnte nicht zuhören. Manche starrten die meiste Zeit zu Boden, doch viele warfen mir Blicke zu, die ich nicht zu erwidern wusste. Ich wollte nur noch raus, weg von diesen Monstern, die keine Menschen waren, aber auch keine Vampire, die in einer Zwischenwelt lebten, weil in beiden anderen kein Platz für sie mehr war. Sie taten mir Leid, aber ich verabscheute sie. Sie hatten mir den Menschen genommen, den ich liebte und einzig für ihn setzte ich mich dieser Gefahr aus. Mein seltsames Verhalten, meine Wortkargheit und Schüchternheit schien niemandem aufgefallen zu sein, denn ich wurde freundlich vom Leiter verabschiedet und erntete von den restlichen Gruppenmitgliedern dieselben bösen Blicke, die sie sich auch gegenseitig zuwarfen.
Nur das Punk-Mädchen grinste mich an, als wir uns verabschiedeten und eine erfolgreiche Nacht wünschten. Diesen Brauch hatte ich schon immer seltsam gefunden, denn eigentlich gaben sie ja vor wie Menschen nachts zu schlafen. Ich traute ihnen nicht und wusste, dass du das auch nie getan hast.
Ich wohnte bei einer Freundin, bis ich eine eigene Wohnung gefunden hatte. Sie war furchtbar neugierig, denn natürlich hatte ich ihr von meinem Vorhaben erzählt, das sie im übrigen nicht billigte.
"Na los, erzähl mal, wie sind sie so?", begrüßte sie mich.
"Sie sind anders.", sagte ich nur, wollte nicht darüber reden, doch so leicht ließ sie sich nicht abwimmeln.
"Sag schon, war wer interessantes dabei? Willst du mich nicht mal vorstellen? Ich meine, man muss den Armen doch helfen, gibt es nicht diese Bi-Spezi-Aktion?"
"Sie sind gefährlich, Lynn, du solltest dich von ihnen fern halten. Der einzig nette war der Kursleiter, aber der ist schon seit Jahrhunderten... anders.", sagte ich.
"Ein Vampir, meinst du? Ich finde das furchtbar aufregend. Man begegnet ihnen ja hin und wieder abends in der Kneipe, aber die bleiben ja doch lieber für sich. Glaub mir, ich hab versucht sie anzuquatschen, ist hoffnungslos.", redete Lynn weiter, ohne auf meine Warnung einzugehen.
"Was willst du nur von ihnen?", fragte ich verständnislos während ich meine übertriebene Schminke entfernte und die schwarzen Klamotten auszog.
"Sie sind viel gebildeter, und gefühlvoller als andere Männer. Und ich habe gehört, manche von ihnen glitzern sogar?"
Nun musste ich lachen. Wahrscheinlich hatte sie noch nie einen Vampir von nahem gesehen, sonst würde sie kaum so reden.
Bei meinem nächsten Treffen der Anonymen Blutsauger musste ich daran denken was Lynn gesagt hatte und betrachtete einige der Mitglieder ein wenig genauer. Einer glitzerte tatsächlich, es schien aber eine Art Hautcreme zu sein, die angeblich gegen Sonnenlicht schützen sollte. Der Rest seiner Kleidung glitzerte allerdings auch, was mich dann wieder anderes vermuten ließ. Überhaupt war mir beim ersten Treffen gar nicht aufgefallen, dass ich eine der wenigen war, die schwarz trug und Fingernägel und Augen schwarz gemalt hatte. Die meisten wirkten recht normal, wenn auch etwas blass, sodass ich sie wahrscheinlich auf der Straße gar nicht erkannt hätte. Das Punk-Mädchen war diese Woche verzweifelt, sagte wenig und wenn dann nur Dinge die ich nicht wiedergeben möchte. Sie hatte sich ihre Tattoos nachgezeichnet, denn auf der kalten, toten Haut hielten sie nicht mehr. Ihre Zähne hatte sie sich abbrechen lassen und trug sie nun als Erkennungszeichen in einer Kette um den Hals, wie viele andere auch. Ein besonders langes Paar Zähne trug ein älterer Herr mit langen, grauen Haaren, der laut Namensschild "Bram" genannt werden wollte. Es war sein letzter Besuch, er plante seinen baldigen Umzug in ein anderes Land, wo ihm bereits eine Begleitperson vermittelt worden war. Er war schon zu lange an einem Ort geblieben und nun bereit auf eigenen Füßen zu stehen und sich selbst zu ernähren.
Alles verlief ruhig, ich selbst war ein wenig gelassener und hatte mich schon fast an die illustre Gesellschaft gewöhnt, doch wurde ich das Gefühl das nahenden Unheils nicht los.
Das Punk-Mädchen lächelte mich noch immer an und gegen Ende der Sitzung sah ich sie dem Leiter Ave etwas zuflüstern, der mich daraufhin zu sich winkte.
"Emilia Winter.", sprach er mich mit dunkler Raspelstimme an. Lynn hätte sicher ihren Gefallen an ihm gefunden, vielleicht sollte ich die beiden ja wirklich mal miteinander bekannt machen.
"Ich weiß was du suchst, doch kann ich es dir nicht geben. Du bist in Gefahr und solltest dich fern halten von uns, wir sind nicht sicher für einen Menschen.", fuhr er fort.
"Was hat mich verraten?", fragte ich verwundert, hatte ich doch bisher nicht das Gefühl gehabt, dass meine Verkleidung aufgeflogen war.
Er lächelte und antwortete: "Wenn du wärst wie wir, dann wüsstest du es. Ihr Menschen denkt, es wären nur lange Zähne, blasse Haut und eine unstillbare Gier. Es ist viel mehr als das. Die Welt liegt vor uns wie ein Buch in dem wir lesen, wenn wir nur zuhören."
Sein Lächeln drang mir bis ins Herz und seine schwarzen Augen zogen mich zu ihm. Nur nicht die Nerven verlieren, dachte ich bei mir. Du hattest mir immer erzählen wollen, dass diese Anziehungskraft nicht zu steuern sei, dass sie es nicht mit Absicht tun, doch meine Gedanken waren verwirrt und ich konnte den Blick nicht von seinen Lippen abwenden.
"Du musst mir helfen.", bat ich ihn. "Er ist auf der schwarzen Liste, es heißt, er habe Menschen getötet und einen bereits verwandelt. Seine eigene Sondereinheit sucht nach ihm."
"Die werden ihn nicht finden. Das kannst nur du."
"Aber wie?", fragte ich verzweifelt. "Du hast selbst gesagt, ich bin nicht wie ihr, ich verstehe euch nicht."
"Das musst du auch nicht. Du verstehst doch ihn, oder nicht? Du kennst seine Lieblingsorte, seine Gewohnheiten und Vorlieben."
"Aber er ist jetzt anders..."
"Nein!", sagte er. "Er ist immer noch er selbst, auch wenn er langsam erkennt, wer er sein kann. Gib ihm ein Zeichen, verabrede ein Treffen mit ihm, er wird kommen. Du allein weißt wohin."
Vielleicht hatte er Recht. Das war das Einzige, an das ich nicht gedacht hatte, die einzige Möglichkeit, an die ich niemals hatte denken wollen; dass du vielleicht immer noch du selbst sein könntest. Verwirrt bemerkten Ave N. und ich, dass die anderen noch nicht gegangen waren und mich anstarrten. Das Punk-Mädchen lächelte.
Es geschah viel zu plötzlich, das Licht flackerte und erlosch, ich hörte Schreie und ein heiseres Lachen, eine bemalte Hand packte mich an der Schulter und warf mich in eine Ecke, wo ich das Bewusstsein verlor. Im letzten Flimmern meinte ich deine Stimme zu hören, dann umgab mich totale Finsternis.

Ich erwachte bei Lynn, eine Bandage um den Kopf und setzte mich ruckartig auf als die Erinnerung zurückkehrte. Jemand oder etwas hatte die Gruppe angegriffen, jemand hatte uns verraten. Meine Kehle schnürte sich zu vor Wut, denn nun war einer der wenigen Orte zerstört, an denen die Vampire überhaupt die Chance hatten ein normales Leben zu lernen. Hass gegen sie gab es genug, jeder hätte es tun können. Sie zu vernichten ist leicht, ein Stoß ins Herz mit einem hölzernen Gegenstand....
"Lynn?", rief ich. Doch wer durch die Tür trat, war unser Gruppenleiter, mit zerkratzter Haut und blutigen Lippen. "Lynn...", flüsterte ich wieder. Er kam auf mich zu, seine Augen auf meine fixiert und lächelte, sodass seine Zähne aufblitzten. Er hatte sie weder gefeilt noch abgebrochen.
"Lynn ist arbeiten gegangen. Du warst lange weg."
Er setzte sich zu mir aufs Bett und strich mir sanft über die Wange. Seine kalten Hände taten gut auf meiner glühenden Haut, seine Berührung war so sanft wie das Mondlicht, das durch das Fenster fiel.
"Emilia, hör mir gut zu. Es wird nicht leicht für dich sein.", begann er, noch immer meine Wange streichelnd.
"Sie sind alle vernichtet worden, nur ich bin entkommen. Du weißt wer es war, du hast ihn gesehen. Ich konnte ihn gerade noch davon abhalten dich zu töten, er hätte nicht gezögert."
"Nein.", flüsterte ich benommen. Du hättest es nie gekonnt... Aber du warst jetzt anders.
"Warum hätte er das tun sollen? Es waren doch Vampire...", murmelte ich und griff nach seiner Hand.
"Er hasst uns, weil wir von seinem Pfad abgekommen sind. Er akzeptiert nicht, dass wir uns nicht den Rest der Ewigkeit verstecken wollen.", sagte er sanft.
"Wir müssen ihn aufhalten.", flüsterte ich. Ich hatte dich verloren, du warst nun einer von denen, die du dein Leben lang zu bekämpfen versucht hattest. Jeden ausgerissenen Vampir, jedes unregistrierte Monster hattest du aufgespürt und entweder in eine Anstalt geschickt oder vernichtet. Nun warst du selbst einer von ihnen und ich musste dich finden, vor dir selbst retten.
Ich schrieb dir einen Brief auf Geheiß von Ave und versteckte ihn ein einer kleinen Blechdose. Es war die Dose, die du mir bei unserem ersten Treffen geschenkt hattest, mit selbst gebackenen Zimtsternen. Sie duftet immer noch danach und in der letzten Zeit habe ich sie oft heraus geholt und daran gerochen. Es erinnert mich immer an dich. Ich wusste, dass du darauf reagieren würdest und als einziger verstehen würdest was es bedeutet. Du würdest kommen.
Ich ging mit Ave N. in den kleinen Park, in dem wir so oft zusammen spazieren gegangen waren, in besseren Zeiten. Nun war es eiskalt, es schneite leicht und die dunkle Nacht erhellte kein Stern und kein Mond. Ich legte die Dose auf die alte Schaukel und ging wieder, um in der nächsten Nacht auf dich zu warten. Ich verschlief einen Großteil des Tages und wunderte mich, dass Lynn so lange arbeitete. Auch als ich mich auf meinen letzten Weg machte, war sie noch nicht zurück. Ich schrieb ihr eine Notiz und bedankte mich für alles. Es fühlte sich an wie ein Abschied, den sie mir vorenthielt.
Ich saß in einigem Abstand von der Schaukel auf einer stählernen Bank, inmitten von Bergen aus Schnee und wartete. Die Nacht war so unergründlich wie die vergangene und ich zitterte am ganzen Körper vor Angst und Aufregung. Nun würde sich zeigen, ob ich es fertig bringen konnte das Versprechen einzulösen, das ich dir geben musste, als du mir erzähltest wer du warst und was die Aufgabe war, der du dich verschrieben hattest.
Weißt du es noch? Du sagtest zu mir: "Es gibt keinen Sieg für mich. Irgendwann, und es ist nur eine Frage der Zeit, werde ich meinen Meister treffen, gegen den ich nicht ankomme. Wenn es soweit ist, wenn er mich verwandelt, dann versprich mir nur dieses eine: Dass du mich nicht im Stich lässt, dass du mich finden und vernichten wirst." Das hast du gesagt und hier bin ich, auf dieser Bank und warte im Schnee darauf den Menschen zu töten, den ich am meisten liebe auf der Welt.
Es ist schon weit nach Mitternacht als du zwischen den düsteren Bäumen auftauchst, die Dose in den Händen. Dein Blick sucht und findet mich. Langsam stehe ich auf und gehe zu dir, den Mantel fest um mich gewickelt und den Pflock verbergend, der deine Existenz für immer beenden soll.
"Emily.", flüsterst du und ziehst mich in eine feste Umarmung. Dein Herz schlägt nicht, dafür meines umso schneller.
"Verzeih mir bitte.", flüstere ich und du weißt was ich meine, als du mir die Dose reichst.
"Emily, hör zu. Ich lag falsch, es ist nicht schlimm. Sieh mich an, sieh mir in die Augen, ich bin noch ich."
Ich tue es nicht, ich weiß, dass eure Augen lügen und mich verführen. Schon deine Stimme ist wie Gift, sickert in meine Gedanken und verzehrt meine Entschlossenheit. Ich kann nicht, aber ich muss.
"Bitte, Emily."
"Du hast Menschen getötet. Du hast sogar Vampire getötet. Du kannst in keiner Welt leben... ich habe es dir versprochen.", sage ich zu dir.
"Das war ich nicht. Ich weiß was man dir erzählt hat, sie sind hinter mir her weil ich nicht so sein will wie sie."
"Sie wollen Menschen sein, sie wollen niemanden verletzen.", sage ich.
"Der Vampir, der bei dir war; ich hatte ihn schon seit Jahren in Verdacht. Er leitet sie an Menschen spurlos verschwinden zu lassen, er bringt ihnen bei unbemerkt zu töten. Ich wollte ihn fangen, wollte sie retten, aber er ist mir entwischt. Ich bin so froh, dass du ihm entkommen bist, dass du jetzt hier bist wo ich dich beschützen kann." Du redest schnell, bist atemlos und ich sehe nun doch in deine Augen. Mein Blick ist verschwommen und ich erkenne keine Lüge in deinem.
"Es tut mir leid.", flüstere ich entsetzt und höre wie sich hinter dir ein Bogen spannt. In einem Moment, der mir wie eine Ewigkeit erscheint, entscheide ich mich endlich das Richtige zu tun. Ich reiße dich zur Seite und lasse mein Leben für jemanden der bereits gestorben ist. Der Pfeil durchbohrt mein Herz und heißes Blut rinnt meinen Körper herunter als du mich auffängst. Ave N. tritt aus der Dunkelheit hinter der Weide hervor. Ich hatte ihn gebeten es für mich zu tun, hatte ich doch gewusst, dass ich dich nie hätte vernichten können. Nun hat er mich vernichtet.
Als er sieht wen er getroffen hat, spannt er erneut den Bogen, doch du bist schneller, lässt mich zu Boden gleiten, wo sich der Schnee rot färbt, und stürzt auf ihn zu. Ein kurzer Kampf, und Ave N. reißt sich los und flieht. Du folgst ihm nicht, sondern beugst dich über mich, küsst erst meinen Hals und beißt mich dann. Ich spüre wie meine Sinne schwinden, sich die Dunkelheit ausbreitet und sich deine eiskalten Finger tief in meinen Nacken krallen.
Die Keksdose gleitet aus meinen Händen zu Boden, hängt einen Moment in der Luft wie von Schwerelosigkeit erfasst, fällt dann in eine Schneeverwehung zu meinen Füßen, und ward nie wieder von einem lebenden Wesen gesehen.
Du hast Recht behalten. Es ist nicht schlimm. Es ist nur anders.


Impressum

Texte: Covergestaltung: Leviosa
Tag der Veröffentlichung: 16.01.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für dich...

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