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Als er das Taxi wegfahren sah, trat ein Lächeln auf sein Gesicht.
"Endlich ist es vorbei.", dachte er bei sich und wandte sich von der Straße ab.
Gedankenverloren drehte er die Magnolie in seinen Händen. Das Licht der Abendsonne schien ihm unpassend zu sein an einem so düsteren Tag. Doch es war eben so ein Licht gewesen, das durch die Fenster des Zuges gefallen war, das sein Leben verändern sollte.
So wie es begonnen hatte, so endete es nun auch.
Er schritt langsam die Straße hinunter nach Hause, betrachtete die Wolken über ihm. Wie Federn hingen sie in der Luft und kündigten einen Sturm an.
"Ist der Himmel heute nicht wunderschön?", hatte sie gefragt und sich zu ihm umgedreht. Er hatte auf dem Sitz ihr gegenüber gesessen, in seine Zeitschrift vertieft. Der Zug hatte kaum ein Geräusch gemacht, als er auf den Magnetschienen dahin flog. Die Landschaft raste so schnell vorbei, dass der Himmel wirklich das Einzige zu sein schien, das still stand.
Er hatte kurz einen Blick hinaus geworfen, dann auf sie, dann wieder auf seine Zeitung. Einen Moment hatten beide geschwiegen, er hatte eigentlich keine Lust gehabt, sich zu unterhalten.
"Er sieht doch immer so aus.", hatte er schließlich geantwortet.
Sie hatte ihr Buch beiseite gelegt und weiter auf die Wolken geschaut, die sich langsam rot gefärbt hatten um in Schlieren die Sonne zu verdecken.
"Da haben Sie Unrecht. Diese Wolkenformation dort, die Anordnung der Wassermoleküle, ist einzigartig. Für uns jedenfalls... die statistische Wahrscheinlichkeit, dass genau diese Anordnung wieder auftaucht ist so gering, dass das Universum mehrfach vergehen und wieder entstehen würde, bevor sie wieder auftritt."
Er hatte erst auf die Wolken gestarrt, dann auf die Frau, die ihm gegenüber saß und ihn mit einem unbekümmerten Gesicht ansah.
"Haben Sie sich noch nie darüber Gedanken gemacht?", hatte sie interessiert gefragt.
"Nein.", hatte er zurück gegeben. "Das habe ich nicht."
Auch in dem Moment hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht und zunächst weiter gelesen. Wie sie ihn dann doch noch in ein Gespräch verwickelte hatte, konnte er im Nachhinein gar nicht genau sagen.
"Mein Name ist Sahrina.", hatte sie endlich gesagt und sich über die endlose Distanz zwischen ihnen vorgebeugt um ihm die Hand zu reichen.
"Ich bin Andoro.", hatte er gesagt und kurz die schwielige Hand ergriffen. Ein Zittern war durch seinen Körper gegangen wie von kaltem Wind. Den Rest der Fahrt hatten sie sich über Wolken unterhalten und darüber, dass die Menschen nicht mehr hinschauten. Ihre Art war so einnehmend gewesen, dass Andoro ganz ungezwungen geredet hatte, obwohl er sonst eher verschlossen war gegenüber Fremden. Sahrina schien es ebenso gegangen zu sein, sie hatte geredet als würde sie ihn schon lange kennen und mit einem alten Freund plaudern. Fast stolz hatte sie ihn nach seiner Arbeit gefragt und auch nicht weiter gebohrt als er sie anlog, sondern nur gelächelt. Als sie ausgestiegen war hatte Andoro ihr nachgeschaut und sich in der kalten Welt in der er lebte ein wenig wärmer gefühlt.
Jetzt blieb er stehen und betrachtete die Federwolken. Es war ihm schon damals klar gewesen, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Es war die Art wie sie sprach, die ihn verwundert hatte. Wenn man so lange in dem Gewerbe war wie er, dann bekam man irgendwann ein Gespür dafür, wer anders war.
Langsam hatte er damals sein Spektrometer aus der Tasche gezogen. Es hatte geleuchtet.
Nun betrachtete Andoro die leuchtenden Blätter der Bäume über ihm, ebenso rot und ebenso todgeweiht. Es war gut, dass es vorbei war. Diese Sache hatte ihm wahrlich keinen Spaß gemacht... diese Sache. Noch immer konnte er es nicht beim Namen nennen. Seine Vorgesetzten waren da weniger zimperlich gewesen, als er ihnen vor nur wenigen Tagen das Spektrum gezeigt hatte.
Es nahm den ganzen Tag auf, egal wohin er ging. Nur selten blinkte es rot, doch wenn es so war wusste er, was ihm bevor stand.
Er war sofort zur Zentrale gegangen. An diesem Tag waren ihm so viele Menschen begegnet, dass er nicht gewusst hatte wer das rote Leuchten verursacht haben könnte. Einige Stunden später war das Ergebnis da gewesen. Er hatte einen aufgeregten Anruf von seiner Sekretärin bekommen und war zum Chef gerufen worden.
"Code Schwarz.", war die Begrüßung gewesen. Andoro hatte geschluckt. Code Schwarz verhieß nie etwas Gutes.
"Wer ist es?"
"Eine gewisse Sahrina Moldi, Sie haben Sie im Zug getroffen. Sie wissen was zu tun ist, schaffen Sie es allein?"
Er hatte gezögert.
"Und es besteht kein Zweifel?", hatte er verwundert gefragt.
"Nein. Sie ist ein Dämon, einer der Schlimmsten. Ihr Magiespektrum war pechschwarz."
"Und einsperren..."
"Bringt nichts. Sie verfügt über Kräfte, die sich allem widersetzen würden. Andy, du wusstest der Tag würde kommen. Aber es sind keine Menschen, denk daran. Was sie auch sagen oder tun wird, glaube ihr kein Wort und bring es schnell hinter dich. Du wirst froh sein wenn es vorbei ist."
Er hatte Andoro die Hand auf die Schulter gelegt, ihn kurz geschüttelt und dann das Zimmer verlassen. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt hatte sich etwas in ihm verändert, er hatte endlich verstanden, mit wem er es hier eigentlich zu tun hatte.
Ein Dämon, einer der Schlimmsten. Ihre Augen hatten sich in sein Gedächtnis gebrannt, ihre schwarzen, pechschwarzen Augen. Wie in Zeitlupe hatte er vor seinem inneren Auge noch einmal gesehen, wie sich ihre Lippen bewegten, verführerisch und giftig, wie sie ihn eingelullt hatte mit ihren Litaneien, mit ihren Lügen und Verleumdungen. Wie hatte sie es wagen können ihn am helllichten Tag mit ihren Künsten zu verzaubern und ihn zu blenden mit ihrer schwarzen Magie? Wut war in Andoro hoch gekocht, als er in die Waffenabteilung gegangen war und sich die gerechte Strafe für das Monster heraus gesucht hatte. Er hatte die modernsten Magnetwaffen die die Sicherheit zu bieten hatte begutachtet und war schließlich bei der "Magnolie" stehen geblieben. Ein schönes Wort für eine noch schönere Waffe: Sie sah aus als hätte ein Künstler sie geschaffen, die glatten, geschmeidigen Windungen mündeten in einer kleinen Antennenschüssel. Es war kurz und schmerzlos, der Magnetpuls löschte sofort alle Hirnaktivitäten aus, was bei Menschen keine bleibenden Schäden hinterließ, sich aber auf Dämonen und leider auch elektronische Gerät fürchterlich auswirkte.
Die Jagd hatte begonnen. Er hasste und liebte es, doch er würde froh sein, wenn es vorbei war, wenn diese Gefahr aus der Welt geschafft war und es wieder ein wenig heller werden würde in seinem Herzen. Blinder Hass hatte seinen Körper erfüllt, doch als er die Finger um die Waffe gelegt hatte, hatte seine Hand aufgehört zu zittern und er war dankbar gewesen, dass er es sein durfte, der sie töten würde.
Sie zu finden war nicht schwer gewesen, dafür gab es Sensoren, die die dunkle Magie aufspürten und ein Netz aus schwarzen Spinnenfäden über die Stadtkarte malten, die Andoro auf der Innenseite seiner Sonnenbrille sah. Es gab nie eine Vorwarnung, aber es sollte auch kein Aufhebens darum gemacht werden. Er musste vorsichtig sein und möglichst wenig Zivilisten auf die Gefahr aufmerksam machen. Im Licht der Morgensonne hatte die Stadt ausgesehen wie ein einziger glitzernder Kristall. Die Wolkenkratzer warfen dann die Strahlen in alle Richtungen, selbst unten in den Straßen, über denen die Autos dahin flogen, war es stets hell erleuchtet. Menschen waren schon einige unterwegs gewesen, nichts ahnend der Gefahr ausgesetzt. Mit ihrer Macht hätte Sahrina die ganze Stadt jeden Augenblick vernichten können.
Doch sie hatte in einem kleinen Café über ihre Zeitung gebeugt gesessen, als Andoro sie aufgespürt hatte.
"Was für ein Zufall." hatte sie gesagt, als sie ihn erkannte. Überraschung jedoch war seltsamer Weise nicht in ihrer Stimme gewesen.
"Darf ich mich zu Ihnen setzen?", hatte Andoro es geschafft zu flüstern, konnte er doch kaum seine Stimme unter Kontrolle bringen. Sie hatte es nicht bemerkt und hatte gelächelt, als sie auf den freien Platz neben sich gedeutet und ihre Zeitung beiseite gelegt hatte.
"Ich hatte dich früher erwartet. Es ist bereits einige Tage her, seit ich dich endlich wieder gesehen habe. Lass mich wenigstens noch den Kaffee trinken."
Darauf hatte Andoro nichts zu antworten gewusste. Er hatte versucht in ihren schwarzen, dämonischen Augen zu lesen, jedoch nur Trauer dort gefunden. Sie war ihm gar nicht mehr so furchteinflößend vorgekommen und er hatte sich gefragt, ob sie es wohl gelernt hatte sich so zu verstellen.
Er hatte sie nach draußen begleitet, in einen abgelegenen Hinterhof, wo sie zwischen zwei Hauswänden stehen geblieben war, die Arme ausgestreckt und ihm zugewandt.
"Hier wird uns niemand sehen."
Er hatte abermals gezögert. Sie hatte keine Anstalten gemacht sich zu wehren, obwohl offensichtlich gewesen war, dass sie ihre Lage erkannt hatte. Wusste sie vielleicht gar nicht von ihren Fähigkeiten? Immer wieder behaupteten das die Dämonen, weil sie nicht verstanden, dass das nicht wichtig war.
"Sie haben dich manipuliert, Andoro. Lass es mich korrigieren, bitte ich will dir nur helfen." hatte sie ihn angefleht, doch er hatte sie damals nicht verstanden.
"Schweig still, Dämon. Alles was du sagst ist Lüge. Wir werden beide froh sein, wenn es vorbei ist."
"Haben sie dir wenigstens gesagt, was mein Verbrechen ist?", hatte sie ihn gefragt und die Hände sinken gelassen. In Andoros Kopf hatten sich die Gedanken im Kreis gedreht, er war sich nicht mehr sicher gewesen was er antworten sollte, er hatte nur gewusst, dass er sie längst hätte erschießen müssen. Er hatte nun seinerseits die Hände gehoben, den Finger auf der Taste und schließlich geantwortet: "Das ist nicht wichtig."
Das war vor ein paar Tagen gewesen, doch als er nun vor seiner Wohnungstür ankam, schien er das Bild, was sich ihm darbot, schon einmal gesehen zu haben, nur leider aus einer anderen Perspektive. Vor ihm standen einige bewaffnete Männer und er schaute in eine Magnolie, die auf ihn gerichtet war. Alles an diesem Anblick war verwunderlich.
"Andoro?", fragte sein Chef, der ebenfalls eine Waffe auf ihn richtete.
"Was ist hier los?", fragte Andoro vorsichtig.
"Du hast sie gehen lassen.", war die Antwort. Wie hatten sie es heraus gefunden? Aber das war irrelevant, wichtig war nur, dass sie sicher war.
"Was hat sie dir erzählt? Was hat sie mit dir gemacht?", wurde er wieder gefragt, diesmal drückte die kalte Antennenschüssel gegen seine Schläfe.
"Wenn ihr mir erzählen wollt, dass es nicht stimmt was sie über mich gesagt hat, warum habt ihr dann Magnolien bei?", fragte er müde. Sie hatte ihn gewarnt, hatte ihm gesagt was passieren würde wenn heraus käme, dass er sie hatte gehen lassen. Vernichtung. Sie würden erst seinen Speicher löschen und ihn dann verschrotten. Es war ihm recht, wenn er etwas von Sahrina gelernt hatte, dann dass er nicht weiter für eine Organisation arbeiten wollte, die Menschen nur aufgrund eines Scans verurteilte. Selbst ihre beste Ingenieurin, die genialste Robotikerin dieser Zeit, hatten sie opfern wollen. Seine Erschafferin. Ihr Dienst war getan, wozu brauchten sie sie noch? Sie hatte ihre eigene Mordwaffe gebaut und es erst gemerkt, als es fast zu spät gewesen war. Sie hatten versucht ihn umzuprogrammieren, ihn auf Kommando, auf einen einzigen Satz hin töten zu lassen. Endlich war es vorbei. Es war ein Schock für ihn gewesen heraus zu finden was er war, dass er Sahrinas Schöpfung gewesen war. Sie jedoch hatte den Keim des Zweifels in ihn gepflanzt in diesem abgelegenen Hinterhof. Plötzlich wurde Andoro klar, dass sie ihn nicht vernichten würden und Panik ergriff ihn. Er war zu wertvoll.
"Nein, bitte. Sie hat mich überwältigt..."
Aber es war zu spät. Das letzte was er wahrnahm, war ein helles Licht als seine Schaltkreise durch den Magnetpuls überlasteten.
Als er den schwarzen Dienstwagen wegfahren sah, trat ein Lächeln auf sein Gesicht.
"Endlich ist es vorbei.", dachte er bei sich und wandte sich von der Straße ab. Gedankenverloren drehte er die Magnolie in seinen Händen. Doch was genau vorbei war, das wusste er nicht.



Impressum

Texte: Alle Rechte am Text und Cover liegen bei der Autorin.
Tag der Veröffentlichung: 20.11.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner guten Freundin, die sich sehr amüsierte.

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