Cover

Eine leises, trauriges Lied schwebte durch den kleinen Raum.
Die Wände waren frisch gestrichen – gelb, wie die Sonne. Wie mein geliebtes Sommerkleid, was ich auch in diesem Moment trug.
Es war nicht viel nennenswertes in meinem Zimmer zu finden. Ein schlichter Schreibtisch, welcher übersät mit Notenblättern war; ein kleiner Kleiderschrank, der sich kaum mit den Kleiderschränken meiner Klassenkameraden messen konnte. Ein normales Bett - mit einer orange – weiß gemusterten Bettwäsche bestückt. Alles von Ikea. Zuletzt noch ein Gerät mit einem großen Monitor, auf dessen Bildfläche eine virtuelle Tastatur zu sehen war.
Auf dem Bett saß ich gerade. Zupfte die Saiten meiner geliebten Gitarre. Das erste Lied verklang, worauf eine neue, aber nicht minder traurige Melodie folgte.
Während dieser Melodie schafften es die Tränen, die sich in meinen Augen gesammelt hatten, über meine Wangen, über meine Lippen zu wandern. Dann tropften sie von meinen Kinn hinab auf das Holz meiner Gitarre. Von der Sonne zum Funkeln gebracht, weilten sie dort wie winzig kleine Diamanten, bis sie trockneten. Oder von neuen Tränen zu einem Miniatursee gemacht wurden.
Draußen trällerten die Vögel ein Lied, während der Himmel sich allmählich rötlich färbte. Bald
würde die Sonne hinter dem Horizont verschwinden und das kleine Dorf, in dem ich lebte, würde mit dem Mond statt der Sonne vorlieb nehmen müssen.

Kleine Schäfchenwolken, in das Licht des Abends getränkt, zogen vorbei. In manchen Gebilden meinte ich, Bilder erkennen zu können. Dort war ein Hase – seine Ohren aufgestellt, die kleine Stupsnase nach oben gereckt. Dort ein Löwe – majestätisch schritt er einher. Doch all dies geschah nur durch die Vorlage einer Wolke und meiner eigenen Fantasie.
Ich ließ mich von dem Zwitschern der Vögel inspirierten und ließ mein jetziges Lied in ein neues münden – melancholisch klang es, wie Fernweh. Wie der Durst nach der Welt. So wie das Lied, dass die Vögel sangen; nur das sie das Glück hatten, diesem Drang jederzeit nachgehen zu können, trugen sie ihre Flügel doch ewig weit, in fremde Länder, fremde Welten.
Ich atmete tief ein; mein Gitarrenspiel geriet dadurch kurz ins Wanken, doch mir war das Klimpern auf meiner Gitarre so in Leib und Blut übergegangen, dass ich den Faden nicht ganz verlor und schnell wieder in mein Lied fand.
Jedes Lied, dass ich an diesem Abend spielte, hatte ich selbst komponiert – es war meine einzige, meine liebste Leidenschaft.
Die beste Art für mich, meine Gefühle auszudrücken. Die Einfachste. Die Einzige.

Für mich war das Gitarre spielen wie der Gesang für andere Leute. Andere sangen sich ihren Frust von der Seele oder drückten ihre unbändige Freude durch das Nutzen ihrer Stimme aus – mein Ventil war die Gitarre. Jeder Ton, den ich erzeugte, nahm mir ein wenig mehr Frust und Kummer von der Seele. Oder bestückte sie mit den Flügeln der Freude, auf das meine Laune in luftige Höhen fliegen konnte.
Leise knarrte meine Zimmertür und ich schaute auf, ohne mein Lied zu unterbrechen. Schlurfend kam er herein. Dann schloss er die Tür hinter sich; zumindest hatte er das vor, doch sie klackte energisch wieder auf. Ebenso energisch wie die Tür startete er einen zweiten Versuch, was auch gelang. Hätte ich lachen können, so hätte ich es getan.
„Na Süße“, flüsterte er leise als Begrüßung. Er war immer so leise, wenn er in meiner Nähe kam. Als ob er Angst hätte, jedes etwas lautere Geräusch könnte mich verschrecken wie ein scheues Reh.
„Wie geht es dir?“, fragte er und blieb mitten im Raum stehen. Ich seufzte, dann schaute ich auf den Bildschirm meines Sprachcomputers. Jeden einzelnen Buchstaben wählte ich sorgsam mit meinem Blick. Eine ungemein langwierige Prozedur, doch er wartete geduldig. Endlich fixierte ich das große, Grüne Feld. Meine Bestätigung. Wie die Enter – Taste.
„Gut. Jetzt bist du ja da.“
Er lachte leise, dann kam er zu mir, setzte sich auf mein Bett. Dann umarmte er mich von hinten, um mich nicht beim Gitarre spielen zu stören; er wärmte meinen Rücken und war gemütlicher als jede Rückenlehne. Er, mein Ein und Alles. Er war der, den ich liebte.
Ich hatte schon seit geraumer Zeit aufgehört zu spielen. Solche Momente raubten anderen den Atem, bei mir ließen sie meine Gitarre verstummen. Jetzt jedoch begann ich ein Lied zu spielen, was fröhlich klang.
Dieses Lied übernahm das Tanzen für mich. Es übernahm meine Stimme. Meinen Gesang. Drückte die Schmetterlinge aus, welche gerade in meinen Bauch tobten und das Gefühl vertrieben, alleine zu sein. Denn jetzt war ich nicht mehr allein, obwohl mir die Gabe genommen war zu sprechen. Er war da.

Für ihn brauchte ich keine Stimme. Wir verstanden uns ohne Worte.

Impressum

Texte: Ich erhebe keinerlei Anspruch auf den Markennamen "Ikea". Das Copright sowohl für die Geschichte als auch für das Coverfoto liegt bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 23.07.2009

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