Cover


1.

Leben gegen Leben, so war es immer und wird es auch immer bleiben. Das ist meine Welt und ich kann nichts dagegen machen. Was soll man tun, wenn man als Monster geboren wird. Was kann man anderes tun, als zu kompensieren.
Wenn man von meinesgleichen spricht, dann meistens mit Furcht.
Was würdet ihr denken, wenn ich euch erzählen würde, dass es Leben gegen Leben für Meinesgleichen heißt?
Jedes Leben, dem wir ein Ende setzen, heißt ein weiteres Jahr überleben für uns.
Was würdet ihr denken, wenn ich euch erzählen würde, dass ich schon über 300 Jahre alt bin?
Das Spiel beginnt, sobald meinesgleichen geboren wird.
Was würdet ihr denken, wenn ich euch erzählen würde, dass geboren, bei uns verwandelt heißt?
Es benötigt nur ein gewisses Maß an Macht und eine nicht vollendete Delegation.
Was würdet ihr denken, wenn ich euch erzählen würde, dass ich nicht so verwandelt wurde, wie all die anderen?
Ich war von Anfang an anders, als die anderen. Bei mir wurde die Delegation vollständig durchgeführt, doch nicht so, wie sie eigentlich sein sollte.
Eigentlich wird das Leben des Menschen an meinesgleichen übertragen. Eigentlich. Aber bei mir war es anders.
Ich bin mächtiger und stärker, als jeder andere. Mir kann keiner das Wasser reichen, auch wenn ich im Vergleich zu vielen anderen noch Jung bin, meine Macht ist es nicht.
Dank ihm.

„Nein, Jean! Du kapierst es nicht, oder?“ schreie ich den, wenn man so sagen will, jungen Mann vor mir auf Französisch an.
„Que dois je comprendre?“ fragt er mich schon zum etwa dritten Mal in unserem Gespräch.
„Vergiss es!“ schnaube ich und stehe so ruckartig auf, dass mein Stuhl umfällt. Der Kellner des kleinen Cafés, in dem Pariser Vorort, sieht zu uns herüber. Es sind keine anderen Gäste da. Glücklicherweise, denke ich mir und will schon auf die Tür zu gehen. Ich sehe dem Mann, dem anderen Vampir, an was er vorhat, noch bevor er sich richtig entscheidet.
Mein wütendes Funkeln hält ihn nicht davon ab, auf zu springen und mich mit einem kläglichen Versuch davon ab zu halten, zu gehen. Er streckt hilflos die Arme nach mir aus, um mich an den Schultern zu packen und fest zu halten. Ein riesen Fehler! Ich schleudere ihn mit einer einzigen Handbewegung gegen die nächste Wand, wo er unsanft mit der Schulter aufschlägt und ächzend zu Boden sinkt.
Ohne dem Blick des schockierten Kellners zu begegnen, stürme ich aus dem Café, hinaus auf die spätabendliche Straße des Vororts. Mit einem Blick vergewissere ich mich, dass Jean mir nicht folgt. So klug ist er dann wohl doch!
Ohne auch nur ein Geräusch zu verursachen, renne ich die Straße entlang, in Richtung Pariser Innenstadt. Sobald ich in das Getümmel der Leute eintauche, die abends noch auf den Straßen und in den Parks herumirren, passe ich mich an das Bild an und versuche zu wirken, wie eine ganz normale Pariserin, auf dem Weg nach Hause.
Wie jeden Abend stehen ganze Schlangen vor dem Rêve de la musique, als ich dort ankomme. Als mich Pierre erblickt, winkt er mich nach vorne durch und lächelt mir höflich entgegen.
„Guten Abend, Madame Mouvrir.“ Seine Stimme ist reine Höflichkeit und Verehrung. Unwillkürlich hatten sich alle Blicke der Wartenden und Türsteher auf mich gerichtet. Wie ich es doch hasse, wenn mich alle anstarren.
„Guten Abend, Pierre. Ich hoffe hier hat alles seine Ordnung?“ sage ich im Plauderton, doch alle Eingeweihten wissen, dass es auch ganz anders sein kann, als es von außen scheint.
„Oui, Madame.“ beeilt er sich zu sagen und bekräftigt seine Worte mit einem starken Kopfnicken. „La quintessence de l’ordre.“
Der Inbegriff von Ordnung trifft es nicht so ganz, wenn man sich das Durcheinander von wartenden Gästen mal ansieht.
Na dann. Ich lächle Pierre und den anderen Türstehern zu, gehe an ihnen vorbei, in den Club hinein.
„Merci Pierre.“ Meine Stimme geht fast unter in dem Gewirr aus Stimmen draußen und den bebenden Beats, der Musik aus dem Inneren des Clubs, aber Pierre nickt, wie zur Bestätigung, dass er mich verstanden hat.
Der Boden unter meinen Füßen vibriert leicht, als ich von dem sanft beleuchteten, mit Teppichen bedeckten Treppenhaus, auf die, in allen Farben leuchtende, Tanzfläche trete. Ein kurzer Blick in die Menge, verrät mir, dass wirklich alles so läuft, wie es soll und ich mich entspannt für ein, zwei Stunden hinlegen kann.
Mit Langen Schritten gehe ich über die Tanzfläche und bleibe wie angewurzelt stehen, als etwas an der Tür zu meinem Loft, meine Aufmerksamkeit erregt. Hatte sich da gerade die Türe geschlossen?
Eine Sekunde später schieße ich auf die Tür zu, unbemerkt, von den Tanzenden. Leise drücke ich sie hinter mir ins Schloss zurück und sehe
die schmale Treppe hinauf. Was ist das für ein komischer, fremder Geruch?
Wachsam gehe ich die Treppe nach Oben und bemerke, dass die Tür einen Spalt breit offen steht, wo ich mir doch sicher bin, sie heute Morgen noch verschlossen zu haben.
Ich hole scharf Luft, als ich jemanden am Fenster stehen sehe, seelenruhig auf die Straße hinunter blickend.
Mit beißender Stimme frage ich „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“
Ich kenne seinen Geruch nicht. Kann nur seine Silhouette vor dem Fenster sehen, da meine Sinne stumpf sind, dank des anstrengenden und ermüdenden Tages.
Mit rauer männlicher Stimme sagt er „Madame, Sie können mir sehr wohl helfen.“
Sein Französisch ist von einem leichten Akzent durchsetzt, Deutsch vielleicht.
„Und wie?“ frage ich jetzt nur genervt und verdrehe die Augen. Was will dieser Typ von mir? Und was verdammt noch mal macht er in meiner Wohnung!
Kurze Zeit herrscht Stille und ich sehe ihn scharf an. Wenn er nicht bald mit der Sprache heraus rückt…
„Nun, Madame. Ich verstehe wenn Sie müde sind, aber ich muss Sie bitten, noch etwas zu erledigen, bevor sie sich hinlegen.“
Das ist jetzt nicht sein Ernst oder!
„Ich lasse mich hier von keinem herum kommandieren Monsieur. Was fällt Ihnen eigentlich ein!“ fahre ich ihn an und trete drohend einige Schritte auf ihn zu. Langsam erwachen meine Sinne wieder vollkommen. Seine Gesichtszüge werden immer deutlicher. Ich glaube die Farbe der Augen erkennen zu können. Blau. Sein Gesicht kann man nicht anders als gewöhnlich bezeichnen. Seine Haare sind Dunkelblond und kurz, mit eindeutig zu viel Gel in Form gebracht. Meine Augen sind nicht mehr als Schlitze.
Meine Hände an der Seite zu Fäusten geballt, mache ich noch einen Schritt auf ihn zu.
„Beruhigen Sie sich, S’il vous plait.“
Versucht er mich gerade zu besänftigen!
„Wieso sollte ich?“ fauche ich wieder und muss mich beherrschen, nicht sofort auf ihn los zu gehen. Immerhin muss ich bedenken, dass unten der ganze Club voller Leute ist, was ihm wahrscheinlich gerade das Leben rettet, da es zu viele Zeugen bedeutet. „Sie schleichen sich in meine Wohnung und nehmen sich auch noch das Recht heraus, mir zu sagen, was ich tun soll.“
Langsam sollte er wirklich aufpassen.
„Excusez-moi. Oui.“ Er klingt nicht gerade so, als würde es ihm leid tun.
Mit einer Handbewegung signalisiere ich ihm, dass er endlich weiter sprechen soll, sodass ich endlich meine Ruhe habe.
„Oui, Madame.“ Antwortet er auf meine stumme Aufforderung. „Nun, ich weis nicht, in wie fern Sie mit der Familie Korrete bekannt sind.“
Sobald der Name fällt, versteife ich mich und presse die Lippen aufeinander. Der Mann wartet, wohl darauf, dass ich etwas sage. Als ich ihn nur wieder stumm anweise, fort zu fahren, nickt er und spricht in gelassenem Tonfall weiter. „Monsieur Korrete schickt mich, Ihnen etwas zu übergeben und ihnen ihre nächsten Schritte zu erläutern.“
Ich presse zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor „Wer genau?“
Der Mann sieht mich prüfend an, als würde er abzuschätzen versuchen, in wie fern ich die Familie kenne.
„Monsieur Gernô.“
Langsam nicke ich. Wer auch sonst. Gernô meinte immer schon, er könne mir irgendetwas befehlen und ich würde springen und genau das machen. Pah! Da täuschte er sich wirklich gewaltig. Wenn ich wollen würde, dann könnte ich ihn auf der Stelle töten. Für mich wäre es keine große Sache.
„Sprich weiter!“ befehle ich kühl und schaue dem Mann starr in die Augen. Ich kann mir ein höhnisches Grinsen gerade noch verkneifen, als er schwer schluckt und mit unsicherer Stimme weiter spricht.
„Er will, dass Sie nach Berlin kommen. Dort gibt es wieder einige Auseinandersetzungen, die Sie lösen sollen.“
„Was geht es mich an, wenn er seine eigenen Leute nicht im Griff hat. Soll eben Leonard seine Hunde von der Leine lassen. Ich werde doch nicht die Drecksarbeit für dieses arrogante Arschloch machen. Das kannst du ihm gerne ausrichten“ sage ich und werfe wütend die Haare zurück, die mir ins Gesicht gefallen sind und sich aus dem Haarband gelöst haben.
Er zuckt zusammen und sieht mich ängstlich an. Mit mir ist nun mal nicht zu spaßen, das weis Gernô genau. Wieso hätte er sonst irgendeinen bedeutungslosen Boten schicken sollen?
„I-ich werde es ausrichten, aber ich sollte Ihnen das hier noch geben.“ Er schiebt seine Hand in die Jacke und ich mache noch einen drohenden Schritt auf ihn zu.
„T-tut mir leid. Da, sehen Sie? Es ist nur ein Brief.“ Seine Stimme ist jetzt eindeutig zittrig. Verflogen ist die gespielte Gelassenheit. Misstrauisch und darauf bedacht, ihn nicht aus den Augen zu lassen, nehme ich ihm den Brief ab und nehme ihn an mich.
Ich weis ohne hin zu sehen, dass er von Kevin ist.
„Danke.“ Zwänge ich heraus und deute auf die Tür. „Wenn Sie jetzt gehen könnten, ich würde mich jetzt gerne ausruhen.“
Der Mann sieht mich lange an und sagt schließlich „Überlegen Sie sich bitte noch einmal, ob Sie nicht doch nach Berlin kommen. Gernô…“ Mit einem Fauchen schneide ich ihm das Wort ab und zeige auf die Tür. „Raus!
Ich will nichts mehr davon hören! Verlassen sie meine Wohnung!“
Mit eingezogenen Schultern und geducktem Kopf schiebt er sich an mir vorbei und verschwindet die Treppe hinunter.
Endlich meine Ruhe!
Erschöpft schließe ich die Tür und sinke dann auf mein Bett. Meine Füße fühlen sich taub an in den Schuhen. Vorsichtig ziehe ich zuerst den einen, dann den Anderen Schuh aus und zusammen mit den Socken, fliegen sie in den begehbaren Kleiderschrank. Das Beste was es jetzt gibt, ist eine warme Dusche und dann ein kuscheliges Bett. Nachdem ich mich meiner Sachen entledigt habe und diese direkt im Wäschekorb gelandet sind, stelle ich mich unter die heiße Dusche. Das Wasser fühlt sich wundervoll an auf meiner Haut. Ich fühle, wie sich meine verkrampften Muskeln endlich entspannen und der ganze Dreck und Schmutz von mir gespült wird.
Kaum habe ich mir das seidene Nachthemd über den Kopf gezogen, klopft es an der Tür. Nicht jetzt! Kann das nicht bis morgen warten!
Ich spüre, wer vor der Tür steht und alles in mir sagt mir, ich solle ihn einfach ignorieren.
„Was ist Hermée? Ich wollte mich eigentlich gerade hinlegen.“ Seufze ich und gehe zur Tür. Als ich sie öffne, sieht mir ein absolut verlegener Hermée in die Augen.
„Excusez-moi Madame Mouvrir.“ Er kratzt sich am Kopf und wird ganz rot. Ich werfe ihm ein Lächeln zu und sage „Nicht so schlimm. Ich bin ja schon wieder wach. Was gibt es denn schon wieder?“
Sichtlich verlegen beginnt er zu erklären „Madame, eigentlich, na ja… Es kam gerade ein Mann, der meinte, ich solle Ihnen etwas ausrichten.“
Mein Lächeln verschwindet und ich verdrehe die Augen. Dieser Typ hatte es wohl doch noch nicht glauben wollen.
„Merci Hermée, ich weis, was du mir ausrichten wolltest. Kannst du bitte den anderen sagen, dass ich heute möglichst nicht mehr gestört werden will.“
Ein Nicken seinerseits, ein dankendes lächeln von mir und noch ein gemurmeltes, „Gute Nacht, Madame.“ von ihm.
Ich schließe die Tür. Heute werde ich sicher nichts mehr machen. Das könnten sie vergessen! Müde lasse ich mich auf das große Bett fallen und sehe zu dem Brief, den ich mir auf das Beistelltischchen, neben dem Bett gelegt habe.
Ich sollte ihn wahrscheinlich öffnen, habe aber keine Lust, das zu lesen, was mir Kevin geschrieben hat. Mit einem leisen Seufzer nehme ich den Brief in die Hand und reiße ihn langsam mit meinem spitzen Fingernagel auf. Der Nagel schneidet durch den Umschlag, als wäre es nur Luft, ein weiterer Vorteil von uns. Einmal atme ich noch tief durch, ziehe dann den
Brief heraus und falte das weise Papier auseinander.
In seiner schönen geschwungenen Handschrift Steht in dem Brief:

Hey kleine Tigerin,
Ich weis, ich habe versprochen, nicht zu schreiben, aber ich konnte nicht anders. Als ich gehört habe, dass mein Vater dir einen Boten schickt, habe ich meine Chance gesehen. Ich musste einfach schreiben. Du glaubst mir gar nicht, wie Vater in letzter Zeit ist. Er hat seine Leute nicht mehr unter Kontrolle und lässt seine Wut an uns aus. Seine Leute spielen verrückt und haben sich leider auch schon auffällig benommen. Aber das weist du sicher alles schon längst wie ich dich kenne Tigresse. Na ja, zumindest musste ich dir schreiben.
Manchmal nachts, wenn der Mond draußen hell scheint und die Felder und Hügel umher erleuchtet, wünsche ich mir, dass du da bist und dass ich mit dir reden kann.



Ich schlucke und lese den Satz noch einmal. Es steht wirklich so da. Und er hat mit versprochen, nicht wieder zu schreiben. Ich habe ihm gesagt, dass es gefährlich ist und wenn ihn sein Vater erwischen würde, würde er ihn umbringen. Aber anscheinend ist ihm das egal. Er vermisst mich wohl wirklich. Ich schlucke schwer und hole tief Atem, dann lese ich weiter.

Manchmal wünsche ich mir dann die alten Zeiten zurück. Weist du noch, unsere mitternächtlichen Treffen draußen am Waldrand, wo ich mich davon gestohlen habe, um dich zu treffen und dafür nicht nur einmal Schläge bezogen habe. Ich vermisse es. Auch die Schläge. Das wäre wenigstens etwas, das mir von der zeit geblieben wäre, aber die Schläge, die ich jetzt bekomme, haben rein gar nichts mit früher zu tun. Ich wünschte du wärst hier und würdest dich um all das kümmern, sodass es endlich ein Ende hätte. Mein Vater dreht schon durch und wenn nicht bald etwas passiert, dann werden sie ihn wohl stürzen. Tigresse wir brauchen dich. Ich brauche dich.
Die Nächte sind so kalt und leer ohne dein helles Lachen, deine wunderschönen Augen, dein glänzendes langes Haar.



Ich lächle und muss verärgert feststellen, dass sich eine Träne aus meinem Augenwinkel gestohlen hat. Schnell wische ich sie weg und lese weiter.

Ich hoffe, dass ich dich bald wieder sehen werde mon petit tigresse. Pass bitte auf dich auf und versuch nichts Dummes zu tun. Wobei ich weis, dass dir sowieso keiner etwas anhaben kann. Aber dennoch, denk daran, dass vereint vieles möglich ist.
Bis Bald, dein Kevin.



Ich schlucke. Jeden anderen hätte ich für die letzten Sätze umgebracht oder geschlagen. Kevin nicht. Uns verband einfach eine zu eng verwobene Vergangenheit. Ob es Kleinmädchen-Schwärmereien waren, kann ich heute nicht genau sagen, aber ich habe ihm eigentlich verboten, mir zu schreiben. Nur zu seiner eigenen Sicherheit. Denn ich kenne Gernô. Sein Vater hat kein Verständnis für so etwas. Aber was Kevin in dem Brief nur so nebenbei erwähnt hat, soll eigentlich eine Botschaft an mich sein. Ich muss wohl doch nach Berlin, auch wenn ich grade vorhin noch zu dem Typen gesagt habe, dass er mich mal könne.
Ich seufze leise und stecke den Brief zurück in den Umschlag. Langsam gehe ich ins Badezimmer zurück. In dem Mülleimer ist nichts, also ziehe ich ihn hervor, nehme den Brief in meine eine Hand und schnipse mit der anderen. Im selben Moment springt eine kleine Flamme auf meinen Fingern umher und liebkost meine Haut. Bitter lächelnd halte ich die Flamme an das Papier, das sofort Feuer fängt. Gemächlich schwebt der brennende Brief in den Mülleimer und geht vollends in Flammen auf.
Keiner darf von dem Brief erfahren. Wie gerne ich ihn auch für mich behalten würde, ich durfte und konnte es nicht.
Träge sehe ich den Flamen zu, wie sie das Papier nach und nach verschlingen. Als selbst der letzte Funke erlischt, stelle ich den Eimer zurück und schleppe mich zu meinem Bett. Müde und geschafft lasse ich mich auf die weiche Matratze fallen, die meine nackten Beine umspielt, genauso wie mein seidenes Nachthemd meine Haut liebkost.
Zufrieden gähnend, rolle ich mich unter der weichen Decke zusammen und gleite auch schon wenige Minuten später in einen ruhigen Schlaf.


2.


2.

Wieso auch immer, ich wache schon um 8 Uhr morgens wieder auf. Ich stöhne, als ich nach draußen sehe und es regnet. Noch halb schlafend reibe ich mir die Augen und richte mich in meinem Bett auf. Es ist leise im Appartement, aber ich höre, wie unten im Club mit Gläsern hantiert wird. Meine Sinne sind auch wieder wach und ausgeruht, meine Müdigkeit schon längst verschwunden. Jetzt hell wach schwinge ich mich aus dem Bett und gehe zu meinem Kleiderschrank. Achtlos ziehe ich eine gemütliche Jeans und ein Trägertop heraus und tausche mein Nachthemd mit ihnen. Noch barfüßig gehe ich ins Badezimmer, mache die Vorhänge auf und seufze zufrieden, als mir das Licht entgegen kommt. Der Regen malt kleine Rinnen an meine Scheibe und draußen stampfen Leute durch die Pfützen. Taxis und Autos spritzen im Vorüberfahren das Wasser auf. Als ich mich selbst im Spiegel sehe, erschrecke ich etwas. Meine Haare sind total zerrauft und meine Augen rot umrändert. Habe ich etwa im Schlaf geweint? Nein! Das ist nicht meine Art.
Mit einem gequälten Zischen lege ich die Bürste wieder weg und verdrehe
die Augen. Wieso mache ich es eigentlich nicht gleich so?
Die volle Konzentration auf meine Energie gelegt, streiche ich mit meinen Fingerspitzen über die zotteligen Haare. Wie wenn ich das Fenster geöffnet hätte, fährt mir ein leichter Wind durch die Haare und als sie auf meinen Rücken zurück fallen, sind sie wieder seidig und glatt.
Das glänzende Dunkelbraun umfließt mein Gesicht und ich fahre mir auch noch mit den Fingern über die Augen.
Meine Lippen heben sich zu einem Lächeln und schon sind die rötlichen Ringe um meine Augen verschwunden, ebenso wie alle anderen Unreinheiten auf meiner Haut.
Fröhlich laufe ich zu der Tür, die in das Treppenhaus führt, das mein Appartement mit dem Club verbindet.
Schon als ich die Tür aufmache, kommt mir der Geruch von Ronals Parfum entgegen. Ein Grinsen huscht über mein Gesicht und ich springe die Stufen nach unten. Alles ist aufgeräumt und hinter der Bar steht Ronal und trocknet die Gläser, die frisch gewaschen sind. Als er mich erblickt, lächelt er und sagt heiter „Guten Morgen Madame. Haben Sie gut geschlafen?“
Ich grinse zurück und nicke „Ja. Danke, dass du mir die Leute noch für den Rest der Nacht vom Leib gehalten hast, Ronal.“
„Sie haben den Schlaf dringend benötigt.“, erwidert er gleichgültig und nimmt sich das nächste Glas. Es stehen schon etliche wieder in den Regalen und glänzen in der schwachen Beleuchtung.
Ich sehe ihn prüfend an. Er hat dunkle Ringe unter den Augen und seine Haltung ist etwas träge.
„Ich weis auf jeden fall, wer jetzt dringend Schlaf braucht Ronal.“, lache ich und trete zu ihm hinter die Bar. „Du solltest nach hause gehen. Wie ich das sehe, hast du schon wieder die ganze Nacht durch gemacht und jetzt auch noch aufgeräumt. Du brauchst den Schlaf sogar noch dringender als ich, also geh und leg dich hin.“
Sein Widerspruch ist hm anzusehen, doch ich komme ihm zuvor und sage „Ich will keinen Widerspruch. Du gehst nach hause und legst dich hin. Punkt. Ende. Aus.“
Sein Blick sucht meinen. Er boxt mir freundschaftlich in die Schulter und zwinkert mir zu. „Okay Boss.“ Sein Lachen ist warm und herzlich und bringt mich ebenfalls zum Lachen. Noch während wir fröhlich lachen, nimmt er seine Jacke vom Hacken und die Schlüssel von der Bar.
Langsam gehen wir zur Tür und ich sehe ihn an und sage „Pass auf dich auf und komm gut nach hause. Und ich warne dich, wenn du dich vor heute Abend wieder hier Blicken lässt, dann werde ich wohl härtere Maßnahmen ergreifen müssen.“ Wieder lachen wir beide und er erwidert noch immer grinsend „Ist gut. Bis heute Abend dann.“
„Bis heute Abend.“, sage ich noch, schließe dann die Tür hinter ihm und gehe wieder zur Bar. Ein Grinsen breitet sich in meinem Gesicht aus, als ich den dampfenden Kaffeebecher entdecke, den er mir hin gestellt hat. Er weiß gut, wie er mir am Morgen eine Freude machen kann. Vielleicht ja sogar zu gut.
Froh über den heißen Kaffee, nehme ich den Becher in die Hand und setze mich auf eins der Sofas in einer Kuschelecke. Der Club ist gut aufgeräumt und es lässt sich kein Hinweis darauf finden, dass hier noch vor wenigen Stunden alles übervoll war, zumindest für Menschen. Ich rieche noch die Menschenmasse und spüre noch immer ihre restliche Energie. Die Energie, die Leben bedeutet. Mit dem Becher in beiden Händen sitze ich da. Mein Blick ist in die Ferne gerichtet und ich starre einen nicht existierenden Punkt an.
Ich lasse meinen Erinnerungen endlich einmal freien Lauf. Bilder von Kevin, Gernô, meinem früheren Leben, Menschenmassen ohne Gesichter und Landschaften.
In einem dieser Bilder, oder dieser Filme, wenn man einer Erinnerung als einen solchen bezeichnen will, sitze ich in Mitten einer großen Blumenwiese. Um mich herum erstrecken sich sanfte Hügel und herrliche Felder, voller leuchtender Farben.
„Da bist du ja Fayola.“ Die Stimme von Gernô klingt stark und streng. Dahinter schreit eine nicht ganz so starke stimme „Vater lass Fay bitte in Ruhe. Sie ist doch noch so jung! Bitte Vater!“ Seine Stimme ist flehend und ich sehe die beiden. Sie sind nicht mehr weit weg von mir. Sein Vater dreht sich mit einem mal zu ihm um und schlägt ihm mitten ins Gesicht, brüllt ihn an. Ich quieke und mache mich klein. Kevin hält sich die rot leuchtende Wange und Tränen laufen ihm übers Gesicht. Ich will schreien und ihm helfen, doch sein Vater kommt schon weiter auf mich zu. Er zertritt die schönen Blumen und sein Blick ist Unheil verkündend. Kevin steht wie angewurzelt da und sieht mich ängstlich, traurig und beschämt an. Ich bringe keinen Ton heraus.
„Du kommst mit rein Mademoiselle!“ schnauzt er und zieht mich unsanft am Arm in die Höhe. Kevin erwacht aus seiner Starre und schießt auf seinen Vater zu. Von hinten stößt er ihn von mir weg und schiebt mich in Richtung Haus. „Lauf Fay!“ schreit er und zeigt auf das große weiße Fachwerk-Gutshaus. Ich schaue ihn einen Moment besorgt an, doch sein Vater hat sich schon wieder gefangen und kommt jetzt drohend schnell auf uns zu. Im nächsten Moment bewegen sich meine Füße schon wie von selbst. Ich bemerke fast gar nicht, dass ich schon beim Gutshaus bin und renne direkt in mein Zimmer. Dort verschließe ich die Tür und lasse mich mit dem Rücken an der Tür hinunter rutschen. Jetzt kann ich meine Tränen nicht mehr zurück halten. Ein Schluchzen schüttelt mich und ich schaffe es erst nach einer Minute, mich wieder halbwegs zu beruhigen.
Schwerfällig rapple ich mich auf und gehe zu dem Fenster. Ich lege meine Hände an die kühle Scheibe und sehe, wie sich Kevin mit einer blutenden Nase und knallroter Wange zum Haus zurück schleppt. Sein Vater hat ihn schon wieder meinetwegen geschlagen.



Kopfschüttelnd reiße ich mich aus dieser Erinnerung und sehe mich in dem Club um. Ich bin immer noch alleine und aus dem Becher in meinen Händen steigt noch immer Dampf auf, kringelt sich und löst sich auf.
Gedankenverloren starre ich den Dampf an und trinke einige Schlücke. Der Kaffee rinnt wohltuend meinen Hals hinunter und ich seufze zufrieden auf. Ich muss mich entscheiden, ob ich nun nach Berlin fahre oder ob nicht. Und was es für Folgen haben kann, wenn ich es nicht machen würde oder eben wenn ich es mache.
Wieso müssen solche Entscheidungen immer an mir hängen bleiben? Es klopft an der Tür des Clubs, laut und selbstsicher. Ich verdrehe die Augen und stehe auf. Es ist ja klar, dass ich nicht mal morgens meine Ruhe habe.
„Moment!“ rufe ich zur Tür, stehe auf und stelle den Becher weg, dann gehe ich, um dem Mann zu öffnen, der offensichtlich so selbstsicher ist, dass er meint, immer weiter klopfen zu müssen.
„Hören sie verdammt noch mal auf, die ganze Zeit zu klopfen!“ fahre ich ihn an, sobald ich die Tür aufgerissen habe und ihn scharf ansehe.
Ein großer Mann, vielleicht 1,90 Meter, steht direkt vor mir. Auf seiner Wange zieht sich quer über den Wangenknochen eine alte Narbe, seine Nase sieht aus, als wäre sie schon oft im Kampf gebrochen worden und seine Lippen sind zu einem spöttischen Grinsen verzogen. Seine Kleidung läst auf einen Kampf schließen und seine Schuhe sind abgetragen.
„Guten Morgen, Madame.“ meint er und sieht mir unverhohlen in die Augen und mustert mich dann. „Ich hoffe ich habe Sie nicht in einem unpassenden Moment gestört.“
Ich gebe ein abfälliges Schnauben von mir und frage einfach „Was wollen Sie?“
Den Kopf leicht schief gelegt, mustert er mich eine Zeit lang. Ungeduldig starre ich ihn an und verschränke die Arme vor der Brust. Ein, für Sommer recht kühler Wind, streift mir über die nackten Arme und ich bereue, dass ich nur ein Trägertop trage. Die Träger meines BHs stechen hinter dem Top verräterisch grell hervor und ich spüre, wie der Blick des Mannes noch einmal etwas zu weit nach unten wandert, sich dann aber wieder auf mein Gesicht richtet. Langsam kriecht die Wut in mir hoch und gerade als ich ihn anfahren will, sagt er „Wir kennen uns noch nicht. Ich denke, Sie haben noch nichts von mir gehört, aber ich habe schon sehr viel von Ihnen gehört. Nun Madame, in meinen Kreisen wird oft über Sie geflüstert.“
Meine Wut brodelt immer weiter hoch und ich balle meine Hände zu Fäusten, dann zische ich scharf „Ach und was für Kreise sind das, wenn ich bitten darf?“ Meine Augenbrauen fragend gehoben fixiere ich ihn weiter. Was ist das schon wieder für ein Mann?
Er stößt ein kehliges und raues Lachen aus und sagt „Immer so direkt, Madame.“ dann stützt er sich mit einer Hand am Türrahmen ab und starrt mich wieder an, als wäre ich eine Kuriosität und würde verschwinden, wenn er weg sah. „Sie werden noch früh genug erfahren, wer ich bin. Am wichtigsten ist im Moment aber, dass Sie mir Folgen und sich das ansehen, was ich ihnen zu zeigen habe.“
In meiner Kehle erhebt sich ein tiefes, grollendes Knurren und ich blecke meine Zähne. Noch so ein Arsch!
Ich spanne meine Kiefermuskeln an und verlagere mein Gewicht etwas, um ihn besser kontrollieren zu können.
„Und wieso sollte ich das tun?“ frage ich, die Worte durchsetzt von einem wütenden Knurren. „Und noch dazu, weil ich Sie kein bisschen kenne.“
Als ob ich nicht so schon genug zu tun habe, muss jetzt noch jemand kommen und meine Aufmerksamkeit beanspruchen.
Beschwichtigend hebt er die Hände und sagt „Madame, ich denke Sie interessieren sich für die Aktivitäten in Ihrem Territorium und sind ebenfalls daran interessiert, Verstöße zu beheben.“
Ein unwilliges Fauchen entfährt mir und ich lehne mich an die Tür, die Hand um den Türknauf verkrampft. „Reden Sie keinen Blödsinn und versuchen Sie nicht, mich in die Irre zu führen. Jeder weiß, dass ein Wächter über sein Territorium zu wachen hat und sich um Probleme und Verstöße kümmern muss.“
Ich hasse es. Natürlich wollte ich nie Wächterin werden, aber gegen das Schicksal kann man nicht ankommen. Wächterin zu sein ist ja wenigstens noch erträglich, viel schlimmer jedoch ist, dass ich Patronin von Europa bin und alle für mich etwas noch größeres vorsehen.
Jeder meiner Freunde und Mitwissenden sagt, dass ich irgendwann meine Kräfte so gut beherrschen würde, dass ich vielleicht mehr sein konnte, als nur die Patronin von Europa. Keiner hatte mich je gefragt, ob ich das selbst überhaupt will. Außer Kevin!
„Dann folgen Sie mir bitte, Madame!“ sagt der Mann höflich und wendet sich zum Gehen. Ich bleibe stehen und lege den Kopf schief. Mein fragender Blick hängt auf ihm und eine Augenbraue ist fragend nach oben gehoben. „Sagen Sie mir zuerst Ihren Namen Monsieur!“ sage ich entschieden und warte, dass er sich noch einmal zu mir umdreht.
Mit einem ungeduldigen Lächeln dreht sich der Mann wieder um und sieht mir scharf in die Augen „Fürs Erste sollte Ihnen mein Vorname reichen. Ich bin Francois.“ Seine Stimme ist hart und gepresst und ich überlege, ob es wirklich sein richtiger Name ist. Mit einem Nicken ziehe ich die Tür hinter mir zu und entferne mich von dem Club. Mit jedem Schritt mehr,
den ich dem Fremden folge, bin ich mir sicher, dass etwas passiert ist.
Als wir den Louvre erreichen, bleibe ich wie angewurzelt stehen und sehe wachsam um mich.
„Was geht hier vor?“ frage ich so leise, dass es eigentlich nur für mich bestimmt ist, doch er antwortet. „Madame, das will ich Ihnen doch zeigen. Als ich zuvor hier war, hatte ich so ein flaues, falsches Gefühl in der Magengrube, wusste aber nicht, was es war. Ich wusste nur, dass hier irgendetwas reichlich schief läuft und es etwas mit unserer Art zu tun hat. Also habe ich Sie aufgesucht.“
Also ist es doch nur der äußere Schein gewesen, der mich getrogen hat und sein Verhalten. „Merci Monsieur.“ bedanke ich mich noch nachträglich und sehe ihn an. Plötzlich wirkt er gar nicht mehr so fremd und unheilvoll. Jetzt spielt sogar ein Lächeln um seine Mundwinkel und er lässt die hochnäsige, selbstsüchtige Fassade für einen Moment fallen. Ich atme tief durch und konzentriere mich auf das, was sich hier so falsch anfühlt. In dem Moment bemerke ich erst, was er gesagt hat. Als ich zuvor hier war, hatte ich so ein flaues, falsches Gefühl. Nur Wächter können so etwas spüren. Ist er denn ebenfalls ein Wächter? Das würde vieles erklären. Die ganzen Narben und die Kampfspuren, das selbstgefällige Verhalten.
Wieder drehe ich mich zu ihm und mustere ihn fragend. „Sind Sie ebenfalls ein Wächter Monsieur?“
Aber ich war doch die Wächterin von Frankreich, war er denn kein Franzose? Er hatte doch einen französischen Namen und konnte akzentfrei, fließend Französisch. Wobei die Sprache nichts zu sagen hatte, denn ich sprach ja auch fließend viele verschiedene Sprachen.
„Madame, es freut mich, dass Sie es bemerkt haben und Sie haben recht.“ Er zwinkert mir zu und sagt „Ich bin Wächter von Italien.“ Das zumindest erklärt seine gut gebräunte, olivenfarbene Haut.
„Na dann, Herzlich Willkommen in Frankreich Signore.“ Ich wechsle fließend ins Italienische, als wäre ich in Italien geboren. „Wie ist Ihr wirklicher Name Signore?“ frage ich und lege den Kopf schief. Francois ist sicher kein italienischer Name.
„Mein Name ist Mauro, Signora.“ erwidert er und nickt mir höflich zu. Ich lächle und wende meine Aufmerksamkeit jetzt wirklich dem aktuellen Problem zu. „Ich hoffe es stört Sie nicht, wenn ich mich schnell um dieses Problem kümmere. Ich würde mich danach gerne ein wenig mit Ihnen unterhalten.“ Er nickt nur und beobachtet dann, was ich mache.
Eigentlich hasse ich es, wenn man mir bei meiner Arbeit zu sieht und noch mehr hasse ich es, dass es Leute gibt, die einen absichtlich stören. Glücklicherweise ist er nur stiller Zuschauer und hält sich im Hintergrund, aber doch bin ich mir bewusst, dass er mir folgt und mich beobachtet.
Ich drehe ihm den Rücken zu und schließe konzentriert die Augen. All meine Konzentration liegt auf den Sinnen, die nur wir Wächter besitzen und ich blende den Rest der Welt für einen Moment aus. Das Gefühl, dass irgendetwas nicht richtig läuft, nistet sich nach wie vor in meiner Magengrube ein und langsam beginne ich, sanfte Vibrationen des Bodens zu spüren und eine Flut von Informationen schlägt auf mich ein. Wallt auf und flacht wieder ab, bis ich die Informationen zugeordnet und gefiltert habe. Es befinden sich nicht sehr viele Vampire in unserer nähe, aber ich weis ganz genau, zu welchen ich gehen muss. Sie sind zu dritt und befinden sich in einer Seitenstraße, unauffällig und verlassen.
Einer von ihnen ist verletzt aber es ist auch ein Mensch bei ihnen. Ich weis nur zu gut, was dort gerade läuft und das alles erfahre ich nur schon durch einen einzigen Spezialsinn, wo ich ja als Patronin noch einige mehr habe. Bis hierhin weis Mauro vielleicht auch noch bescheid, wenn er in Übung und Mächtig ist. Eigentlich spüren es immer nur die Wächter des Landes direkt so stark, aber auch andere Wächter können einen Hauch oder zumindest eine Ahnung des Geschehens bekommen.
Jetzt vollkommen die Wächterin, öffne ich die Augen und gehe mit langen sicheren Schritten durch die Menge an Menschen, die sich auf dem Platz vor dem Louvre drängen. Wie von einer unsichtbaren Kraft, bildet sich ein Gang, der direkt in die Richtung der Seitenstraße führt. Die Leute schließen die Lücke hinter mir, sobald ich vorbei bin. Ich spüre, wie Mauro, zu meiner Freude, leicht zurück fällt.
Jetzt liegt eine unangenehme Schwingung in der Luft und scheint leicht auf mich zu drücken. Ich weis, dass ich meinem Ziel näher komme und dass die drei Vampire, in ihrer Blutgier, mich nicht bemerken werden.
Erleichtert atme ich auf, als ich aus der stickigen Menge in eine kühle, schattige Gasse trete. Die Vampire sind ganz nahe und als ich um eine weitere Ecke biege, sehe ich, wie ein Vampir, eine hilflose Frau an eine Steinmauer presst und ein zweiter ihr Handgelenk an den Mund gepresst hält. Der dritte steht davor und scheint auf etwas zu warten.
Die Augen der Frau sind unnatürlich nach oben gedreht und ihr Kopf nach hinten gelehnt. Von einer Sekunde auf die andere beschleunige ich mein Tempo so sehr, dass ich die 500 Meter in einer Sekunde überbrückt habe, was übrigens sonst auch keiner von uns schafft. Ich meine, natürlich sind wir Vampire verdammt schnell und haben eine bessere und schnellere Reaktionsfähigkeit wie Menschen, aber normalerweise nicht so sehr wie ich. Das ist wieder eine Abartigkeit, oder wie alle sagen, Besonderheit, an mir. Ich schleudere den Vampir, der das Handgelenk der Frau an seinen Mund gepresst hat, mit einem festen Kinnhaken gegen die nächste Hauswand. Aus der Hand der Frau bahnt sich ein kleines Blutrinnsal einen weg über die blasse Haut. Der Vampir, der sie bisher an die Wand gepresst hat, dreht sich zu mir um und versucht mir einen Faustschlag zu verpassen. Trotz seiner schnellen Reaktion, fange ich seine Faust mit einer Leichtigkeit ab, dass er mich schockiert anstarrt. Seine Pupillen weiten sich angst- und schmerzerfüllt, als er erkennt wer ich bin und ich ihm die flache Hand so vor die Brust stoße, dass er einige Schritte zurück taumelt, bevor er sich wieder fängt.
Der Dritte erwacht langsam aus seiner Schockstarre und weicht bis an die nächste Wand zurück, als auch ihn die Erkenntnis trifft, wer vor ihm steht.
„P-Pa-Patronin.“ Stottert er und startet den kläglichen Versuch, normal zu klingen.
Ein rauer Wind streicht durch die Gasse und peitscht mein Haar wie bei einer Rachegöttin um mein Gesicht. Mein Blick könnte Diamant zum bersten ringen und ich sehe die drei Vampire der Reihe nach an.
Die Frau liegt bewusstlos und zusammengesunken am Boden, aber atmet noch. Aus einem dünnen riss in ihrer Schulter sickert ebenfalls Blut und hinterlässt eine leuchtende Linie auf seinem Weg.
„Darf ich fragen, was hier vor sich geht?“ sage ich mit versengender Stimme, mehr ein Befehl, als wie eine Frage. Der Vampir, dem ich den Kinnhaken verpasst habe, richtet sich an der Wand auf und zieht sich nach oben. Seine Unterlippe ist aufgeplatzt und einer seiner Fangzähne, die noch immer ausgefahren sind, steht leicht schief. Leise stöhnend lehnt er sich mit dem Rücken an die Wand und schnappt kurz nach Luft.
In der Luft liegt Angst und der verführerische Geruch von frischem Blut. Ich konzentriere mich auf die Vampire, um nicht die genaue Nuance des Blutes zu vernehmen.
Der Vampir, der die Frau an die Wand gepresst hat, ist einen Kopf größer als ich, mit meinen stolzen 1,75 Meter, hat kurze, braune Haare und graublaue, unsympathische Augen. Seine Kleidung ist schmutzig und riecht streng nach Zigarren. Der süßliche Duft schnürt mir den Hals zu und ich sehe zu dem nächsten, der sich noch immer stützend an die Wand lehnt. Er hat ebenfalls braune Haare und dreckige Kleidung, aber seine Augen haben die Farbe des nächtlichen Himmels, ein so dunkles Blau, dass es fast ohne Grenze in die Pupille übergeht. Er ist in etwa gleich groß wie ich. Ihm haftet an den Lippen das eigene und das Blut der Frau und verleiht ihm einen nahezu schönen Eindruck. Der Kontrast zwischen Nachtblau und Purpurrot ist perfekt.
Der dritte, der zuvor anscheinend nur zugesehen hat, sieht mich jetzt aus unverschämt blauen Augen an. Das Blau ist so hell, als wäre es Eis und würde bei zu großer Hitze schmelzen. Seine Haare sind ebenfalls braun, wie bei den anderen beiden auch, aber bei ihm sind sie um eine Nuance dunkler. Er ist auch der einzige von den dreien, der etwas sauberere Kleidung trägt, obwohl seine Jeans und Schuhe ebenfalls etwas Schmutz abbekommen haben. Er ist ebenfalls einen Kopf größer wie ich und ich fühle mich plötzlich so klein, aber das Gefühl verschwindet schon nach einem Bruchteil einer Sekunde wieder. Und er ist auch der, der mir antwortet.
„Ich wünsche einen guten Morgen Patronin.“ Sagt er und neigt den Kopf etwas, sieht dann scharf zu seinen Partnern und bedeutet ihnen, auch etwas zu sagen.
„Bonjour Patronin.“ Kommt von den beiden gleichzeitig ein leises und angstvolles Murmeln.
Ich sehe den Ersten mit zusammengekniffenen Augen an und zische „Den Morgen habt ihr mir verdorben. Also was soll das hier?“ Mit einem Kopfnicken deute ich zu der Frau und starre sie dann wieder an.
Der Grauäugige zuckt zusammen und sieht schuldbewusst zur Seite, während der eine mit den nachtblauen Augen höhnisch grinst und zwischen schmerzvoll zusammengepressten Zähnen hervorstößt „Nach was sieht es denn aus“ Anscheinend denkt er, er muss sich mit mir anlegen. Die Hände an meiner Seite zu Fäusten verkrampft, fauche ich ihn warnend an. Sofort zieht er den Kopf ein und legt automatisch die Hand ans Kinn.
Der Vampir mit den eisigen Augen, anscheinend der Meister der Gruppe, sieht mich einfach an und sein Blick forscht in meinen Augen.
Es liegt Spannung in der Luft und die Situation spitzt sich immer mehr einem unschönen Ende zu.
„Euch ist doch wohl klar, dass ich das hier nicht unbestraft werden lasse.“ Mit einer abfälligen Handbewegung schließe ich sie alle in meine nächsten Worte ein „Ihr werdet demnächst auf jeden Fall noch einmal von mir hören, aber fürs Erste soll euch die Warnung genügen. Ihr kennt die Regeln und wisst welche Strafen es gibt, also würde ich lieber beginnen Respekt Mächtigeren gegenüber zu hegen, ansonsten werdet ihr es nicht lange schaffen. Und glaubt mir, ich spüre, dass ihr lange nicht so alt seid, wie ihr es vorgebt zu sein.“ Jetzt zuckt der Meister fast unmerklich zurück und nickt dann zögernd. Natürlich wissen sie genau, was sie verbrochen haben und was darauf aussteht.
Verstöße gegen die Vampir-Schweige-Pflicht oder das Vampir-Schutz-Gesetz werden mit der Todesstrafe oder einer, von dem Kontinentalen Patron gewählten, Strafe vergolten.
„Patronin, es wird nicht mehr vorkommen.“, stammelt der Grauäugige und sieht mir jetzt auch reuevoll in die Augen.
Ich grinse verachtend und sage „Das wird sich ja noch zeigen.“
Mit einem Sinn nehme ich am Rande wahr, wie die Seele der Frau den Körper verlassen hat und sage zu den Vampiren „Bringt sie weg und verbrennt den Körper! Beseitigt die restlichen Spuren! Und denkt ja nicht daran, euch zu verstecken! Ich würde euch wieder finden.“ In meiner Stimme schwingt noch immer ein Furcht einflößender Unterton mit und die Drohung darin ist nicht zu überhören.
Ein steifes Nicken des Meisters und ein zustimmendes murren der beiden anderen. Natürlich bin ich mir bewusst, dass sie ihr auch noch den letzten Tropfen aussaugen werden, aber es gibt nur für einen von ihnen genug Blut für eine vollständige Delegation, ansonsten wäre ihr Tod umsonst gewesen. Natürlich würde der Grauäugige den Rest auch noch bekommen. Wieso auch einen Menschen aufteilen? Solange sie es nicht so offen, nur eine Straße vom Louvre entfernt, machen, dürfen sie sich jemanden einladen. Erst wenn dieser freiwillig mitgeht, darf die Delegation durchgeführt werden.
Bei mir ist es einfacher. Ich muss nicht darauf warten, dass mir einer freiwillig folgt, auch wenn das bei mir ebenfalls kein Problem darstellen würde. Etwas Positives hat es dann doch, wenn man Vollstrecker, Wächter und Patron zugleich ist.
Mit einer eleganten und fließenden Bewegung drehe ich mich um und schieße die Straße entlang. An der Ecke zum Louvre bleibe ich stehen und lächle Mauro höflich entgegen. Er hat das Geschehen von hier Vorne aus mitverfolgt.
Er begrüßt mich mit einem warmen und offenen Lächeln und sagt zu mir „Sie haben die Situation sehr gut gemeistert Patronin. Ich denke mit Ihnen haben wir sehr viel Glück.“
Ein ehrliches Lächeln huscht mir übers Gesicht und ich lade ihn ein „Kommen Sie Signore, ich würde mich gerne noch ein wenig mit Ihnen unterhalten.“
Er lächelt und ein Gefühl von Ferien in Italien überkommt mich für einen Augenblick. Wie ich als kleines Mädchen in Italien am Meer herumspringe und mich jemand zurück ruft. Aber das ist nur eine verschwommene Erinnerung, die nur einige Sekunden anhält. Es ist schließlich eine Menschliche.
Zusammen mit dem Wächter gehe ich zurück zum Club. Auf dem weg wirft er mir immer wieder interessierte Blicke zu, fragt mich Nichtigkeiten und erzählt mir von Italien.
Als wir im Club ankommen und ich die Tür hinter uns schließe, deute ich auf eine Sitzecke und sage „Setzen Sie sich Signore. Kann ich Ihnen vielleicht etwas anbieten? Einen Drink, Kaffee oder nur ein Wasser?“
Er lässt sich auf einem der Sofas nieder und antwortet mir freundlich „Nein, danke Signora. Ich habe nicht vor, allzu lange zu bleiben.“
Ich lächle förmlich und setze mich ihm gegenüber auf einen Sessel. „Dann wollen wir mal zu den wichtigen Dingen kommen.“, seufze ich, lehne mich zurück und überkreuze die Beine. Mit leicht schräg gelegtem Kopf,
ruht mein Blick auf ihm.
„Benehmen sich alle in Italien? Oder gibt es Probleme? Erzählen Sie mir Signore!“
Schon nach einer Stunde verabschiede ich mich von dem Wächter, mit dem Hinweis, mich immer erreichen zu können.
Erleichtert atme ich durch, gehe hinter die Bar und lasse mir noch einen Kaffee herunter. Die moderne Maschine rattert und leise plätschert der Kaffee in die Tasse. Mit dem Rücken an die Wand gelehnt, schlürfe ich das brühend heiße Getränk.
In mir herrscht ein Kleinkrieg. Soll ich nun nach Deutschland fahren oder nicht?
Natürlich, es ist meine Pflicht, sich um die Probleme zu kümmern, aber für mich könnte es, wenn ich nach Deutschland fliegen würde, auch Ausmaße annehmen, die ich mir nicht einmal vorstellen will.
Meine Pflichten gehen vor! Wenn ich diese vernachlässigen würde, dann wäre ich meinem Amt als Patronin nicht würdig. Das bedeutet, dass ich alles dafür riskieren muss, was ich mir so hart erkämpft habe. Nicht umsonst lautet mein Motto: Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Wer es wenigstens versucht, kann gewinnen.
Mit einem seufzen trinke ich die Tasse leer und stelle sie mit einem endgültigen klirren auf dem Tresen ab. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Innerhalb von fünf Minuten habe ich meinen Assistenten angerufen, er solle den Privatjet fertig machen lassen, ich wolle in einer halben Stunde fliegen. Keine zehn Minuten später ist auch mein Koffer gepackt und ich schließe die Tür des Clubs hinter mir. Ronal habe ich eine Nachricht auf dem Tresen hinterlassen, wo ich bin. Noch ein letztes Mal atme ich ganz tief durch und sammle mich und schon im nächsten Moment fährt das schwarze Ferrari Cabrio vor, das mir gehört. „Merci Monsieur.“ Sage ich zu dem Vampir, der mir das Auto aus der Tiefgarage gebracht hat.
„Für Sie immer gerne Patronin.“ Den Kopf würdevoll gesenkt, hält er mir die Tür offen und schließt sie hinter mir, als ich eingestiegen bin. Ich nicke ihm noch einmal dankend zu, gebe ihm die Aufgabe, Ronal zu helfen und fahre dann los Richtung Flugplatz. Die Straßen sind durch den Geschäftsverkehr relativ voll und ich brauche, anstatt meinen 10 Minuten bis zum Flugplatz, dieses Mal 20 Minuten. Mein Flugstart ist auf 8:50 Uhr festgesetzt, was bedeutet, dass ich nur noch wenige Minuten habe. Sobald ich auf das weitläufige Gelände des Flughafens fahre, gebe ich gas und rase mit 100kmh auf die Startbahnen zu. Neben dem großen Privatjet kommt das Cabrio quietschend zum stehen. Noch bevor der Motor ganz ausgeklungen ist, bin ich schon ausgestiegen und laufe die Treppe zum Jet hoch. Im vorbei gehen weise ich einen weiteren Vampir an, er solle meinen Wagen unbeschädigt nachhause bringen und wenn er auch nur den kleinsten Katzer hinterließ, würde ich es sofort merken.
Ohne weitere Worte betrete ich den gemütlichen Innenraum des Privatflugzeugs. Im vorderen Teil höre ich leise Gläser klimpern und spüre fünf meiner Flugbeauftragten. Sie sind Vampire. Was auch sonst, wir sind alle Vampire. Die menschliche Trägheit würde ich nicht lange ertragen, wenn es um einen angenehmen Flug geht.
Der Boden des Flugzeugs ist mit einem weichen roten Teppich überzogen und die Fenster sind mit dunkelroten Samtvorhängen bestückt, die alle geöffnet sind. An der rechten Seite befinden sich Sitze in einer Art Sofa, das für etwa acht Leute Platz bietet und links sind kleine Tischchen mit jeweils ebenfalls vier Sitzen. Im Stewardess Bereich finde ich zwei der Flugbegleiter, beides männliche Vampire, die gerade mit einigen Behältern Blut hantieren.
„Füllen Sie mir bitte gleich in ein Glas ein Bisschen davon.“, sage ich zu dem einen und gehe nach vorne ins Cockpit, wo ich bereits von drei weiteren Vampiren erwartet werde, einer davon ist ebenfalls eine Frau.
„Madame.“, sagt diese jetzt und lässt dann den größten Vampir sprechen. Er hat etwas längere rabenschwarze Haare und ein verschmitztes Grinsen auf den Lippen. Seine blattgrünen Augen mustern mich kurz argwöhnisch, dann deutet er eine Verbeugung an und stellt sich vor: „ Guten Morgen Madame. Mein Name ist Félicio. Ich bin Ihr neuer Pilot. Freue mich schon auf entspannte Flüge mit Ihnen.“ Er hält sich kurz und knapp deutet mir an, mich wieder in den Passagierbereich zu begeben und meint noch kurz: „Wir werde in Berlin landen und von dort aus wird direkt einer der Familie des Wächters Sie mit dem Wagen abholen.“
Auch ich will mich nicht länger mit alledem aufhalten und nicke kurz, dann verlasse ich das Cockpit mit großen Schritten, rausche am Stewardessbereich vorbei auf einen der Tische zu. Aus einem Fach in der Kofferablage ziehe ich einen Laptop und lege ihn auf den Tisch. Mein Koffer wurde mittlerweile von einem der beiden Stewardessen verstaut. Langsam lasse ich mich in den Sitz am Fenster sinken und sehe zum Fenster hinaus. Die Einstiegsluke wird gerade geschlossen und ich höre wie das Flugzeug sich langsam beginnt zu bewegen. Da ich mich auf das Geräusch der Reifen, die über den Asphalt rollen, konzentriere, bemerke ich den freundlichen Vampir, der mir ein Glas Blut auf den Tisch stellt, erst jetzt. Aus eisblauen Augen beobachtet er mich fasziniert.
Zum Dank für das Blut nicke ich kurz, versinke dann aber wieder in meinem tranceartigen Zustand. Als er jedoch nach einigen Minuten, als wir endlich vom Boden abgehoben sind, immer noch da steht und mich beobachtet, wende ich mich ihm wieder zu und ziehe fragend eine Augenbraue hoch.
„Kann ich etwas für dich tun?“, frage ich unbewegt und erwarte eigentlich keine Antwort.
Mit einer eisigen Klarheit sickert meine kommende Aufgabe wieder in meine Gedanken. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich bisher versucht habe, zu verdrängen, was mir bevorsteht. Gernô, seine Meute, seine Probleme und die für mich größte Hürde, Kevin. Was soll ich denn machen?! Ich will ihn nicht schon wieder verletzten, wie als ich letztes Mal Deutschland verlassen habe, um nach Frankreich zu ziehen.
Er war dummerweise in mich verliebt. Für ihn muss das alles schrecklich gewesen sein, als ich weggezogen bin.
Schon als kleiner Junge, als ich noch etwas kleiner war als er, hatte er sich in mich verknallt, nur war ich da noch zu jung gewesen, um das alles zu verstehen. Und als ich endlich alt genug dafür war, habe ich ihn eiskalt verlassen. Noch heute könnte ich mich dafür Ohrfeigen, aber das würde auch nichts bringen. Ich habe es ihm erklärt, wieso wir nicht zusammen sein können, öfter als er es vertragen hätte.
Was wird passieren, wenn ich jetzt diese alte Wunde wieder aufreiße? Was ich weiß ist, dass er mich noch immer so sehr liebt, wie früher, wenn nicht schon viel mehr. Und ich weiß, dass ich ihm immer und immer wieder Schmerzen zufügen werde.
Jäh reißen mich die Worte des Vampirs aus meinen Gedanken und ich sehe ihn verärgert an.
„Ich heiße Leandro und ich freue mich sehr, dass mein Onkel mir endlich erlaubt hat, Ihre Gegenwart zu genießen. Sie müssen wissen, dass ich immer schon für Sie arbeiten wollte und dank meiner Tante, konnte ich jetzt hier als Bedienung, oder wie Sie es nennen wollen, anfangen. Zur Begrüßung und als kleinen Reisestart dachte ich mir, würde ein Glas frisches Blut nicht schaden, deshalb.“ Er deutet auf das eisgekühlte Getränk vor mir und lächelt vorsichtig. „Ich hoffe es ist alles nach Ihrer Zufriedenheit.“ Nicht wissend, was er als nächstes sagen soll, schnalzt er mit der Zunge und dreht sich dann auf dem Absatz um und lässt mich endlich im Passagierbereich alleine.
Wie ich es hasse, wenn sich einer so aufbegehrt, nur um in meiner Nähe oder für mich arbeiten zu können.
Um mir den Flug so angenehm wie möglich zu gestallten, lehne ich mich zurück, trinke einen Schluck aus dem Glas, verziehe bei dem eisernen Geschmack aber mein Gesicht. Der Junge muss noch lernen, dass das Blut nicht direkt mit dem Eis verbunden werden soll, sondern erst ziehen muss, wie ein guter Rotwein. Das Glas schiebe ich weit von mir weg und klappe dann den Laptop auf, um meine Arbeiten zu erledigen.
Nach gut einer Stunde habe ich keine Lust mehr auf die bürokratischen Dinge und klappe den Laptop zu. Mit einem wohligen Seufzer lehne ich mich ans Fenster und blicke hinaus, während ich wieder in Gedanken versinke, wie es kommen musste, in einer Erinnerung an Kevin.

„Feyola, Fey, du weißt, ich will dir nichts Böses. Komm bitte unter dem Bett raus! Bitte“, Kevins verzweifelte Stimme dringt abgestumpft an meine Ohren. Ich habe mich unter mein Bett verkrochen, nachdem Gernô mir eine Ohrfeige gegeben hatte, weil ich in sein Büro gekommen war, als er seinen „geheimen“ Dingen nachging, was so viel hieß, wie Vampirische.



Ich war gerade mal zarte 16 und noch menschlich, denn was ich
nicht weiß, Vampire existieren und es kam noch besser, ich sollte schließlich selbst zu einem werden, nicht lange nach diesem Ereignis.

„Na los Fey. Ich bin nicht mein Vater und habe ich dir jemals etwas angetan?“, Kevins wohlklingende Stimme eines 18 Jährigen starken Mannes klingt flehend und sucht um mein Vertrauen. Langsam krieche ich unter dem Bett hervor. Mein ganzer Körper schmerzt, gequält von dem festen Schlag. Gernô trifft sicher und hart, könnte mich sogar umbringen, da bin ich mir sicher. Ich habe Angst vor seiner anscheinend übermenschlichen Kraft. Sobald ich weit genug unter dem Bett hervor gekrochen bin, zieht mich Kevin heraus und direkt in seine Arme. So hält er mich lange fest und flüstert mir beruhigende Worte zu, während ich meinen Schmerz an seiner Schulter ausweine.



Wenn ich jetzt daran zurück denke, dann würde ich Kevin am liebsten küssen, dafür, dass er immer für mich da war. Ich war im Alter von 8 Jahren zu ihm und seinem Vater gekommen, weil meine Eltern bei einem Unfall gestorben waren. Da ich mich an die Zeit vor den Korretes kaum noch an etwas erinnern kann, kenne ich auch nur besagte Familie, als eine solche. Als mich mit 18 dieses perverse Arschloch von Vampir vergewaltigen und mich anschließend aussaugen wollte, brach für mich meine Welt erst recht zusammen. Dieser Eklige Vampir, dessen Namen ich kaum denken kann, ohne Brechreiz zu empfinden, starb und verwandelte mich in einen Vampir. Durch irgendetwas in meinem Blut kehrte sich die Delegation so um, dass ich verwandelt wurde und er starb, sowie, dass ich unglaubliche Macht und Stärke erhielt. Ich werde wieder in eine Erinnerung gerissen und gebe mich dieser geschlagen, denn ich wusste, dass alles wieder hoch kommt, wenn ich nach Deutschland zurück fliege.

„Na du hübsches Ding? Heute ganz alleine unterwegs?“, erklingt eine bittersüße Stimme aus der düsteren Gasse, an der ich gerade vorbei laufe, um nachhause zu kommen, da ich noch etwas einkaufen musste. Aus den Schatten löst sich ein hagerer Mann, der aussieht, als würde ihm die Haut im Gesicht jeden Moment von den Knochen abfallen und in Asche zerfallen. Seine Augen sind trüb und seine Haare schwarz-grau meliert. Auf seinen Lippen spielt ein hässliches grinsen und er kommt immer näher auf mich zu. Schritt für Schritt. Ich will zurückweichen, bin aber wie versteinert. Als ich aufschreien will, stelle ich verzweifelt fest, dass meiner Kehle nur ein leises Fiepen entfährt. Panisch versuche ich von ihm weg zu kommen, doch schon steht er vor mir, packt mich mit seinen dreckigen Händen an und zieht mich in die Dunkelheit.



Schon wider werde ich aus der grauenvollen Erinnerung gerissen, als mich der Vampir von vorhin wieder anspricht. „Hat Ihnen das Blut nicht geschmeckt? Soll ich ihnen lieber etwas anderes bringen?“
Tief durchatmend setze ich mich im Sitz gerade auf und nicke. „Bitte, gerne einen Latte Macchiato, wenn es geht Karamell.“ Er nickt und verschwindet für einen Moment, kommt aber sofort wieder zurück, mit, dem Himmel sei Dank, einem lecker duftenden Karamell-Macchiato. Dankend lächle ich und warte bis er wieder verschwindet, dass ich wieder Ruhe habe. Meine hüftlangen dunkelbraunen Haare fallen mir in luftigen Wellen über die Schultern und glänzen selbst mit einem hauch Karamell in der Sonne auf. Den Macchiato an den Lippen, immer wieder einen Schluck nehmend, sehe ich aus dem Fenster auf die flaumige weiße Wolkendecke.

„Fey! Fey, verdammt! Komm bitte zu dir! Fey, Süße! Du kannst mich doch nicht einfach alleine lassen!“, schreit mir Kevin verzweifelt ins Gesicht und schluchzt leise auf. Er drückt mich fest an sich und ich beginne langsam wieder etwas zu fühlen, tauche aus der leeren, tiefen Finsternis auf. Etwas feuchtes, warmes lässt sich auf meiner rechten Schulter erahnen und ich spüre, wie mir kräftige Arme die Luft nahezu aus dem Körper pressen. Erstickt presse ich hervor: „Kevin, du zerquetschst mich noch, wenn du mich noch fester hältst.“ Ungläubig fährt Kevin hoch, sieht mir in die Augen und in seinen sehe ich pure Liebe. Seine Augen sind von den Tränen rot umrandet und seine Haare zerzaust, vom verzweifelten Haareraufen. „Du lebst!“, schreit er ungläubig und umarmt mich übermütig.
Ich bin zu schwach um zu laufen, also trägt er mich, den ganzen Weg bis nach hause. Er ist stärker geworden, denke ich mir und schmiege mich an seinen muskulösen Oberkörper. Während dem langen Weg erzähle ich ihm, was geschehen ist und er hört mir, mit steigender Wut, zu.



Bis heute ist er der einzige, der von der fast Vergewaltigung weiß. Ich habe es nie jemand anderem erzählt, geschweige denn, dass ich jemand anderem als im so abgrundtief vertrauen würde. Zum Zeitpunkt, als dieses Ereignis in meinem Leben geschah, war ich 18 und Kevin 20 Jahre alt. Wie ich bald erfuhr, wurde bei ihm einen Monat zuvor bereits die Delegation durchgeführt, was auch seine neue Kraft erklärte. So viele Erlebnisse und Emotionalitäten sind für mich mit Kevin verbunden, dass es mich von meiner Aufgabe abhält. In Gernôs Augen könnte ich die Weltpatronin sein, weshalb er auch die Beziehung zwischen mir und Kevin noch nie toleriert hat. Selbst er sieht, dass Kevin mich ablenkt. Doch was er nicht sieht, ist, dass Kevin mir gut tut, dass er wie Balsam für meine gequälte Seele ist und mich besser kennt als jeder andere. Nur zu Kevins Wohl, habe ich mich dazu durchringen können, nach Frankreich zu gehen. Sein Vater ist immer unberechenbarer geworden, was uns beide betraf. Der Tropfen, der das Fass schlussendlich zum überlaufen und mich dazu brachte, nach Frankreich zu ziehen, war, dass Gernô Kevin fast tot prügelte, weil dieser mit mir einen Ausritt zum See gewagt hatte. Nie wieder würde ich die blauen Flecken auf Kevins ganzem Körper und das Feilchen am linken Auge vergessen, seine aufgeplatzte Lippe und die blutende Nase. Um mich abzulenken trinke ich schnell den Latte Macchiato aus und stehe auf, um zum Cockpit zu gehen. Im selben Moment tritt die Vampirin in den Passagierbereich und teilt mir mit, dass wir in kürze in Berlin landen würden. Lächelnd bedanke ich mich und setze mich wieder, nachdem ich den Laptop verstaut habe. Für einen kurzen Moment ziehe ich in Erwägung, Kevin eine SMS zu schicken, verdränge den Gedanken aber schnell wieder. Eine kurze durchsage des Piloten teilt mir mit, dass wir zum Landen ansetzen, womit ich mich endgültig von der Vorstellung verabschiede, dass es für Kevin besser war, dass ich weg war.

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Tag der Veröffentlichung: 01.06.2012

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