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Nur eine Kleinigkeit

 „Meine Schränke stehen voll, Süßigkeiten mag ich nicht mehr und eine Wochenendreise wünsche ich mir auch nicht wieder!“

 Das waren die Worte meiner Mutter zu Beginn der Adventszeit, als ich sie fragte, was sie sich denn zu Weihnachten wünsche.

 Nur eine Kleinigkeit sollte es noch sein, das würde doch genügen. Keiner hätte mehr die Rennerei und wir könnten auch so einen schönen ersten Weihnachtstag miteinander verbringen.

Ein bisschen beleidigt war ich dann doch. Sollte ihr das letzte gemeinsame Wochenende, das sie von ihren beiden Töchtern zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, etwa gar nicht gefallen haben?

 

Ich bin ja nicht gehässig, aber insgeheim musste ich doch darüber lachen, dass meine immer recht knickrige Schwester nach dem letzten Weihnachtsfest ganz stolz verkündet hatte, dass sie schon jetzt ein Geschenk für das nächste Fest hätte – ein wunderschönes Kaffeeservice mit Elchen und um 60% herabgesetzt, weil Weihnachten ja schon vorbei war. Nun konnte sie selbst den Tisch damit decken.

 

 Eigentlich hatte meine Mutter ja Recht. Auch meine Schränke waren rappelvoll. Ab und zu kramte ich von ganz hinten die Schüssel von Tante Anneliese hervor, wenn ich wusste, dass sie zu Besuch kommen wollte, und stellte sie mit Obst gefüllt auf die Kommode. Aber genauso schnell wie Tante Anneliese verschwand, war auch die Schüssel wieder weg.

  

Die Adventszeit nahm ihren Lauf und ich hatte hundert tolle Ideen, was ich meiner Mutter hätte zu Weihnachten schenken können. Aber sie wollte ja nur eine Kleinigkeit, und gerade die fiel mir nun überhaupt nicht ein. Komisch – eigentlich mochte sie doch so gerne Ingwerstäbchen, die ich zu jedem Fest extra aus dem Schokoladenfachgeschäft besorgte und die hübsch in Cellophan verpackt das Weihnachtsgeschenk zierten. Nun gut – dann sollten es eben keine Süßigkeiten mehr sein!

 

Hin und wieder rief meine Schwester an, ob WIR uns denn wenigstens wieder etwas schenken wollten. Ich hatte den starken Verdacht, dass ICH das Elchgeschirr bekommen sollte und lehnte ab. Außerdem wäre ich mit der Kleinigkeit für Mutti ziemlich beschäftigt, ergänzte ich noch. Das hat sie natürlich ganz schön neugierig gemacht - was ich auch beabsichtigt hatte - und sie wollte mich sofort aushorchen. Und um ihre Neugierde noch ein Stück voranzutreiben sagte ich: „Es ist zwar nur eine Kleinigkeit, aber eben eine ganz besondere. Das hat Mutti auch verdient.“

 

Schon einmal hatte ich erlebt, dass sie das gleiche Geschenk wie ich gekauft hatte und dann noch behauptet hat, sie würde sich nicht erinnern, dass ich das auch schenken wollte. Das sollte mir nicht noch einmal passieren. Allerdings... ich wusste ja im Moment auch noch gar nichts.

 

 Wenn die Adventszeit insgesamt auch recht entspannt war, so wurde ich doch zunehmend nervös, wenn ich daran dachte, dass ich meiner Mutter eine Kleinigkeit schenken sollte, von der ich auch kurz vor Weihnachten noch immer keine Ahnung hatte. Warum hatte ich Kamel auch noch bei meiner Schwester angekündigt, dass es eine ganz besondere Kleinigkeit wäre, mit der ich mich beschäftigen würde. Das hatte sie bestimmt nicht ruhen lassen.

 

Das Weihnachtsfest rückte näher und näher und die gewünschte Kleinigkeit, die mich die ganze Adventszeit begleitet hatte, machte mir immer mehr Kopfzerbrechen. Aber dann fiel mir ein, dass meine Mutter rote Christsterne sehr mochte. Ich würde ihr einen Weidenkorb damit bepflanzen. Das wäre doch schon irgendwie besonders.

 

Nachdem ich zwei Tage vor Weihnachten alle Blumengeschäfte abgeklappert hatte, gab ich diesen Gedanken allerdings wieder auf. Entweder gab es keine mehr – warum auch nur war ich wieder so spät losgegangen? – oder sie waren mit Goldflitter übersprüht. Wer dachte sich nur so eine Geschmacklosigkeit aus! Damit konnte ich meine Mutter bestimmt nicht beglücken. Zum Glück fiel mir schnell eine andere Kleinigkeit ein, die mir plötzlich sogar viel besser gefiel. Fand meine Mutter nicht immer schon Fröbelsterne so schön?

 

Im Buchhandel besorgte ich mir glänzendes Faltpapier und Goldbändchen und machte mich an die Arbeit, die damit begann, den Computer anzuwerfen um eine passende Faltanleitung im Internet zu erforschen.

 Die gab es dort reichlich, und zielstrebig zerlegte ich den Bastelbogen in vier lange Streifen und faltete Schritt für Schritt, wie es sogar im Video genau gezeigt wurde... nach drei Stunden hatte ich schließlich drei Sterne fertig. Den ersten konnte man allerdings nicht verschenken, er sah eher wie ein Versuchsobjekt aus, das wenig Ähnlichkeit mit einem Stern aufwies und deswegen auch nicht sonderlich festlich wirkte. Nein, das war es auch nicht! Zu dumm, dass ich nicht das handwerkliche Geschick meiner Mutter geerbt hatte.

 

Schließlich war Weihnachten da! Warum auch sollte die Zeit stehen bleiben, nur weil mir keine Kleinigkeit einfiel. Zum Glück hatte ich in allerletzter Sekunde dann doch noch eine ganz tolle Idee, die ich sogar recht gut umsetzte, wie mir meine Mutter später auf Nachfrage immer wieder versicherte.

 

Meine Schwester schenkte übrigens selbstgebackene Plätzchen in einer Faltschachtel, die sie sogar selbst aus glänzendem Tonkarton hergestellt  und mit Goldsternchen beklebt hatte. Das musste ich ihr lassen, das war schon klasse! Wusste ich doch, dass sie nur sehr ungerne backt. Später gestand sie mir allerdings, dass der Schein trügen würde, denn sie hätte ein ganzes Blech Zimtsterne wegwerfen müssen, weil sie steinhart geworden waren. Außerdem war sie sich nicht hundertprozentig sicher, ob meine Mutter Gebäck auch als Süßigkeit betrachtete.

 

Und ich?

 

Ich hatte meiner Mutter eine Weihnachtsgeschichte geschrieben, denn sie liest schon immer für ihr Leben gerne. Schon oft hatten wir ihr ein Buch geschenkt, das sie nach Weihnachten wieder umtauschen musste, weil sie es längst kannte. Meine Geschichte kannte sie natürlich nicht. Ich hatte sie aufgerollt und liebevoll mit einem Seidenband umwickelt und zwei Fröbelsternen verziert, mehr hatte ich ja leider nicht.

 

Und wir?

 

Wir Schwestern bekamen selbstgestrickte Socken, die mitten zwischen den Süßigkeiten auf dem bunten Teller lagen. Eigentlich bekommen wir jedes Jahr Socken, auf die freuen wir uns immer schon richtig, aber die großen Geschenke fehlten dieses Mal.

 

Als wir uns am Abend des ersten Weihnachtstages wieder voneinander verabschiedeten, sagte meine Mutter:

 „Das machen wir jetzt immer so! Eine Kleinigkeit reicht völlig und man muss sich keine großen Gedanken machen!“

 

Wenn sie nur wüsste! Ganz ehrlich sind wir dann ja nicht gewesen, als wir bestätigten, dass auch uns das viel besser gefallen hätte. Ich glaube, nicht nur ich rollte mit den Augen, als ich mich zum Gehen abwandte. Auch meine Schwester machte nicht gerade einen glücklichen Eindruck über den Weihnachtswunsch unserer Mutter.

 

Aber mal ganz ehrlich... wer kann Müttern schon etwas abschlagen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine grässliche Familie

Eigentlich wohnte Herr Fröhlich gerne in diesem Block. Ein Leben lang hatte er schon diese Wohnung vom Bauverein, er kannte die Nachbarn in der Gegend, wenn er sich auch nicht weiter um sie kümmerte, und hier fühlte er sich zu Hause – im Untergeschoss - und über ihm nur Frau Wendtland, eine ruhige Person, die man kaum wahrnahm.

 

Aber mit dem Tod Frau Wendtlands und mit Beginn des Monats November war alles anders geworden. Wenn er es recht überlegte, war alles anders, seitdem diese grässliche Familie im Obergeschoss eingezogen war. Ihn überlief eine Gänsehaut, wenn er nur daran dachte, wie diese Familie seit einem Monat sein Leben zur Hölle machte.

Es handelte sich um eine alleinerziehende Mutter eines kleinen Sohnes – ach man konnte schon eher sagen ´eines kleinen Monsters´, die laut und rücksichtslos war und ihm fürchterlich auf die Nerven ging.

Herr Fröhlich traute sich kaum noch vor die Haustür, denn gerade dann lief sie ihm unweigerlich über den Weg - immer in Eile - und rief ihm viel zu laut und mit übertriebener Höflichkeit zu: „Guten Tag, Herr Fröhlich!“, und dabei lachte sie ihn auch noch an.

Er hasste es. Ein schreckliches Weib!

Wahrscheinlich hatte sie selbst Schuld, dass ihr der Mann weggelaufen war, und nun musste ER sie ertragen.

 

Um den Flur kümmerte sie sich auch nicht. Aber ständig trampelten sie und ihr Bengel mit schneenassen Stiefeln hindurch und hinterließen nasse Salzspuren, die nicht nur hässlich aussahen, sondern auch noch äußerst rutschig waren  – es war einfach grässlich.

 

Es fiel Herrn Fröhlich auf, dass diese Frau es doch tatsächlich schaffte, dass seine Gedanken kaum noch einen anderen Platz fanden als für den fast täglichen Ärger.

Das musste ein Ende haben!

 

Herr Fröhlich machte es sich in seinem Ledersessel gemütlich, legte eine Platte von Bach auf, die er besonders liebte und begann in der Zeitung zu blättern.

Aber auch da fand er wenig Erfreuliches. Nur gut, dass von ihm keiner etwas wollte.

Langsam sackte ihm die Zeitung auf den Schoß und er nickte ein.

 

Lange hatte er nicht geschlafen, da setzte ein so fürchterliches Indianergeheul an, dass er entsetzt hochschreckte. Was war da los?

Er schleppte sich schlaftrunken ans Fenster, um den Lärm besser orten zu können.

„Typisch – wieder dieser Bengel und seine Kumpane!“, grummelte er vor sich hin.

Mit großem Gejohle hatten er und  Kinder aus der Nachbarschaft dicke Schneekugeln zu einem Schneemann zusammengesetzt und rannten nun lachend und kreischend um ihn herum.

Im Arm trug der Schneemann nichts anderes als den Reisigbesen, den Herr Fröhlich  nach dem Fegen heute Morgen neben der Kellertür hatte stehen gelassen.

Er schaute auf seine Armbanduhr – halb 3 – war ja klar, Mittagszeit kannten diese Leute nicht.

Nun war das Maß voll!

Gleich nach Weihnachten würde er sich beim Bauverein über sie beschweren.

Während er sich gerade wieder so richtig in seinen Ärger hineingesteigert hatte, klingelte es an seiner Tür. Wer konnte das schon sein? Eigentlich bekam er seit Jahren keinen Besuch mehr und das war auch gut so.

 

„Sicher wieder diese grässliche Frau“,  murmelte er, als er sich langsam auf den Weg an die Haustür machte. Gerade gestern besaß sie die Unverschämtheit  ihn zu bitten, ob er ab und zu mal aus dem Fenster nach ihrem Sohn schauen könnte, weil sie zur Arbeit musste. Sollte sie sich doch selbst um ihr Kind kümmern!

 

Herr Fröhlich entriegelte  das Türschloss und  entfernte die Sicherheitskette.

Als er endlich die Tür geöffnet hatte, befand sich aber niemand davor. Nur eine winterlich bedruckte Blechdose stand mitten auf der Fußmatte mit einem kleinen angehängten Kärtchen . „Herzlichen Dank und guten Appetit“ stand sorgfältig

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 31.10.2014
ISBN: 978-3-7368-5238-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Familie

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