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In einem fernen Reich herrschte einst der weise Sultan Akram Ibn Faisal. Er wurde stets dem Namen Akram gerecht, denn er regierte gewissenhaft und äußerst großzügig. Das Volk war zufrieden und es gab kaum Armut in seinem Land. Der prächtige Palast des Sultans hatte seinen Sitz in der Hauptstadt Al-Bachta. Akram Ibn Faisal war bereits etwas in die Jahre gekommen. Deshalb war es in seinem Sinne einen passenden Bräutigam für seine Tochter zu finden. Liah, die einzige Tochter des Sultans, wollte bisher allerdings keinen der unzähligen Bewerber akzeptieren. So empfing der Sultan tagtäglich geduldig Prinzen und Edelmänner.

„Seine Größe passt nicht und überhaupt…“, nörgelte Liah nach einem flüchtigen Blick gelangweilt, wie es sich für eine Prinzessin absolut nicht ziemte. Mit knapper Verbeugung machte der abgelehnte Brautwerber kehrt und verließ mit hochrotem Gesicht schleunigst den Palast.

Der Sultan war wieder einmal entsetzt über das Verhalten seiner Tochter. Doch anstatt sie zurechtzuweisen, seufzte er tief und sprach väterlich: „Wann kommt bloß endlich der Richtige für dich? Das Volk denkt schon, du wärst eine furchtbar arrogante und eingebildete Prinzessin.“

Gedankenverloren trat er in seinen prachtvollen Garten hinaus, stumm gefolgt von seinem anmutigen Kind. Als sie so den steinernen Weg über den Rasen schlenderten, säuselte Liah entschuldigend: „Aber Vater, Ihr wisst, dass ich mir einen besonderen Ehemann wünsche. Er soll klug und lieb sein. Jemand, der die Natur liebt wie ich. Und er soll eine Gabe besitzen, mit der er mich jederzeit fröhlich machen kann.“ Nachdenklich fuhr der alte Mann über seinen gepflegten Bart. Die Vögel zwitscherten ihr Lied, während die untergehende Sonne den Horizont traumhaft färbte.

Ein Palastdiener unterbrach plötzlich die Idylle: „Der Magier Mabrouk erbittet Euer Gehör. Mit Verlaub, mein Herr, er hat sich äußerst ungestüm Zutritt verschafft.“ „So so“, meinte der Sultan, „dann wollen wir den geschätzten Mabrouk nicht warten lassen.“ Während er mit der Hand über sein Bäuchlein strich, fuhr er fort: „Er soll die Schönheit des Gartens mit uns teilen.“ Der Wachmann neigte sein Haupt und bedeutete dem unerwarteten Gast, sich im Freien einzufinden.

Mit übertriebener Geste begrüßte der hagere Mann den Herrscher und dessen Tochter. Allerdings verschwendete er keine unnötigen Worte und kam unverzüglich zum Anlass seines Besuchs. „Prinzessin, mein werter Sohn erlaubte sich Euch mit seinem Besuch seine Hochachtung zu erweisen. Doch, wie soll ich es ausdrücken, …“ Die Tochter des Sultans ahnte bereits worauf dieses Gespräch hinausführen sollte und unterbrach den gefürchteten Zauberer jäh: „Meine Augen sehen in Eurem Sohn leider nicht den zukünftigen Machthaber.“ Um ihren Entschluss zu verstärken, verschränkte sie die Arme und nickte kurz mit dem Kopf. Ungehalten begann Mabrouk zu toben. „Diese Schmach sollt Ihr bereuen!“, keifte er lautstark, sichtlich im Stolz gekränkt.

Dem Sultan wurde angst und bange. Trotzdem stellte er sich schützend vor seine zierliche Tochter und versuchte den aufgebrachten Magier zu beruhigen. Doch dieser war in fürchterlicher Rage und zeterte: „Eure Augen taugen scheinbar Nichts!“ Seine Augen funkelten vor Zorn und erbost sprach er einen Zauber aus: „Solltet Ihr lernen mit dem Herzen zu sehen, was Eure Augen nicht sehen, dann möget Ihr erlöst werden!“

„Ich hoffe so sehr, dass wir uns täuschen. Womöglich war es nur eine leere Drohung?“, vernahm die schöne Prinzessin gedämpft die besorgte Stimme ihres Vaters. Zögernd öffnete sie die Lider ihrer Augen, doch die Welt um sie herum blieb dunkel. Erschrocken richtete sie sich auf. „Wo bin ich? Was ist passiert? Ich kann nichts sehen!“, rief sie entsetzt aus.

Beschwichtigend unterrichtete sie der Sultan über die Geschehnisse: „Mein liebes Kind, du sollst dich nicht aufregen.“ Er schluckte schwer: „ Nun ist es wohl bestätigt, dass der alte Mabrouk sich eines bösen Zaubers bedient hat.“ Zärtlich umfasste er die Hände der lieblichen Prinzessin, um seinen Beistand zu bekunden. „Warum tut er mir das an? Darf ich meinen Ehemann nicht selbst auswählen?“, brachte sie unter Tränen hervor. „Wie soll ich denn mit dem Herzen sehen?“

Die Wochen zogen durchs Land. Berühmte Magier, Ärzte und andere Heiler kamen von Nah und Fern, um die Prinzessin von ihrem Leid zu befreien. Kräuter, Cremes und Zaubersprüche konnten jedoch gegen den gewaltigen Zauber Mabrouks nichts ausrichten. Deshalb überfiel Liah großer Kummer und Selbstvorwürfe quälten sie. Viele Stunden verweilte sie nun im Garten. Nur dort, vom Gesang der Vögel und dem herrlichen Duft der Blumen umgeben, fand sie Ruhe und ein wenig Zufriedenheit.

Eines schönen Tages drangen außergewöhnliche Melodien an ihr Ohr. Es war der fröhliche Klang einer Flöte, der Liah zum ersten Mal seit dem Unglück in Verzücken versetzte. Ganz still saß sie da und lauschte der bezaubernden Musik. Ihr war, als ob die Töne sie weit weg brachten, von all ihren Sorgen. Ein unbeschreibliches Gefühl machte sich in ihr breit und sie wollte dieses Empfinden nie wieder missen.

Umso größer war die Enttäuschung, als das Spiel verstummte. „Wer ist da? Bitte, nenne mir deinen Namen!“, forderte die Prinzessin.

Der Jüngling, der eben noch auf der Mauer des Palastgartens gesessen hatte, näherte sich zögernd. „Mein Name ist Salim, Eure Hoheit.“, antwortete er schüchtern. „Ich hoffe, die Klänge konnten Euer Gefallen erwerben.“ Salims Stimme klang weich und aufrichtig. Liah hatte in seiner Gegenwart das Gefühl absoluter Geborgenheit.

Als die Palastwache den Eindringling bemerkte, stürzte sie sofort herbei. Salim verabschiedete sich flugs von der Prinzessin und verschwand hastig hinter dem Gemäuer. Ungeachtet der Gefahr, der er sich aussetzte, kehrte der junge Mann am nächsten Tag zurück und spielte erneut seine Musik. Ebenso an den darauffolgenden Tagen, was die Prinzessin sehr erfreute.

Bis eines Nachmittags der Sultan selbst den frechen Störenfried ergriff. „Unverfroren schleichst du dich an meine hilflose Tochter heran! Im Verlies sollst du schmoren!“, rief er entsetzt und winkte die Wachen herbei. Liah war ganz außer sich. „Nein! Bitte“, flüsterte sie fast unhörbar. „Bitte, mein geschätzter Vater, lasst ihn frei! Seine Melodien haben meine Trübsal vertrieben.“ Sie hielt einen Moment inne. „Ihr strebt immer nach Gerechtigkeit; dann dürft Ihr Salim nicht bestrafen.“, flehte das Mädchen aufgebracht.

Die Worte seiner Tochter hatten den würdevollen Sultan besänftigt. Eingehend musterte er Salim und endschied schließlich: „Dann will ich dich verschonen. Doch sollst du heute noch Al-Bachta verlassen!“ Die angerückten Wachmänner packten Salim und schoben ihn zum Ausgang.

Unversehens sprang Liah von ihrem Stuhl und rief atemlos: „Dann will ich mit ihm gehen!“ Der Herrscher starrte seine Tochter fassungslos an und versuchte sie zur Vernunft zu bringen. „Liah! Du weißt weder wer

er ist, noch wie

er ist. Wie könntest du mit solch einem ziehen?“

Geschickt befreite sich Salim aus den Griffen der verdutzten Wachen und stürzte zurück zu seiner Angebeteten. „Wenn Ihr es möchtet, meine Prinzessin, werde ich Euch immer und jederzeit mit meinen Liedern huldigen.“ Die junge Frau zitterte vor Aufregung, denn nun wurde ihr bewusst, dass Salim der besondere Mann war, auf den sie solange gewartet hatte.

In diesem Augenblick lösten sich die schwarzen Schatten von ihren Augen. Nur langsam gewann ihr Blick an Schärfe, doch sah sie zum ersten Mal dem attraktiven Musiker ins Gesicht. Der Sultan, der eigentlich gerade ein Machtwort sprechen wollte, verharrte einen Moment bewegungslos. Doch sogleich umarmte er seine Tochter gerührt. „Der Magier Mabrouk hat sein Wort gehalten!“, stieß der alte Mann hervor.

Tränen flossen bei Vater und Tochter, die sich freudestrahlend umarmten. Der großzügige Sultan war so glücklich, dass er sich zu allen Wünschen seiner geliebten Liah einverstanden erklärte.

Nach einiger Zeit fand im Palast von Al-Bachta eine traumhafte Hochzeit statt, zu der sogar der Zauberer Mabrouk mit versöhnlicher Miene erschien.

Impressum

Texte: Text & Illustration Doris Salam © 2011
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2011

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