Vorwort
Wer ich bin? Nach einigem Hin und Her habe ich mich dazu entschlossen, meinen richtigen Namen vorübergehend zum Pseudonym zu erklären: Leo Hamacher, Krefeld, im November 1955 geboren.
Wann und warum ich damit begonnen habe, Bilder und Texte, zum Teil geträumte, „einzuwecken“? Natürlich in der Pubertät und wegen der Pubertät.
Was mich dazu bewogen hat, Bilder und Texte in diesem Format der Öffentlichkeit auszuliefern? Die Möglichkeiten von PC, Multimedia, Laptop, Drucker etc. würden wohl auch, zumindest abschließend, zu einer Ursachenausführung gehören.
Wohin das alles führen soll? Vielleicht zu einer universalen, globalen oder meinetwegen auch nur nationalen, na gut, regionalen, letztes Angebot: straßeneckenweisen Zusammenführung von verlorenen Fäden.
Leo Hamacher
Der kleine Zeh
Ein Bilder- und Wörter-Buch
Eigenverlag
Auflage 1/Februar 2006: 1-5
Alles Sichtbare und Lesbare ist von
Leo Hamacher – Uerdinger Str. 202-204 – 47799 Krefeld – leohamacher@web.de
Natürlich soll auch auf diese ©-Bedingungen sicherheitshalber hingewiesen sein
Die Amerikareise
Er hatte diese Amerikareise angetreten. Eigentlich mehr, um so was mal gemacht zu haben. In die Südstaaten ist's gegangen. Ein Tagesausflug in die Wüste war angesagt. Trotz der eindringlichen Warnung des Reiseleiters hatte er sich von der Gruppe entfernt und prompt in einem Wüstenabschnitt verlaufen. Durst begann zu plagen, heftiger und heftiger. Drei Monatsgehälter gäbe er für ein Glas Limo, staubte es ihm durch den sonnengegeißelten Kopf. Aber auch, dass er hernach die Herstellerfirma wegen seiner Karies um ein paar Milliönchen Schadenersatz erleichtern wolle. Was war das? War es noch nicht heiß genug? Wie sonst diese kühle Berechnung? Oder war es schon zu heiß, zu spät? Vorerst blieb nichts anderes übrig, als Antworten auf diese Fragen, wegen der vielen, ja, in diesem Land gar unbegrenzten Möglichkeiten, offen zu lassen.
Wussten Sie das?
Mit der Wäscheklammer kann man klamme Wäsche klammern. Die klassische Standard-Wäscheklammer ist aus Holz und lässt sich aufrecht hinstellen und wirkt dann, wenn man will, wie eine unerbittliche Wächterin über die Einhaltung der Pflege von Kleidungsstücken. Mit dem Kopf nach unten zwischen Wäschestück und Wäscheleine geklemmt hemmt die Klammer den Wind daran, das Gewäsch zu verwehen.
Im Zoo
Zoobesuche haben nun mal irgendwie was Bedrückendes. Ob sich bei der Planung der Anordnung des Krefelder Zoos gerade deshalb die Tier- und Menschenpsychologen mal zusammengesetzt haben? Gleich hinter dem Eingang läuft man auf die Kamele oder Trampeltiere zu und wird mit bewundernswerter Ignoranz empfangen. Die Physiognomie dieser Wüstenwankler exponiert eine unerschütterliche Überheblichkeit und diese zu einem geringschätzigen Schmunzeln geformten schwarzen Lippen bewirken eine Verunsicherung, die durch die selbstbewusste intensive Ausdünstung noch gefestigt wird und den weiteren Besuch über vorhält. Hat man seinen Rundgang, die Wahrnehmung des radikal rationierten Lebensraumes endlich hinter sich, führt einen der wohldurchdachte Weg wieder an den Gehöckerten vorbei. Als erfahrener Besucher dieses Zoos nimmt man dann, gewissermaßen aus therapeutischen Gründen, noch einen Blick und eine Portion Dünstung mit nach draußen, mit nach Hause und lässt den Kamelen dafür sein schlechtes Gewissen zurück, die kriegen das schon irgendwie geregelt...
Überschrift
Er wusste es als Kind schon, dass er ein äußerst einsames Wesen sei. Zumindest aus der Sicht von Menschen. Die Vertrautheit der Familie machte ihn nur noch einsamer. Zwar genoss er es, auf Mutters Schoß zu sitzen, in Mutters Arm zu liegen, Mutters sanfte Worte zu hören, wenn er kinderkrank im Fieber war, doch dieses Fieber ließ ihn seine Einsamkeit bewusster genießen als die Nähe der Mutter. Die Gesellschaft von Dingen war ihm lieber als die Gegenwart von Menschen und so widmete er sich entschlossen dem, was für die anderen nichts weiter als totes Gestell war. Für die Sorge, von den anderen als anders erkannt zu werden und deshalb zurechtgerückt zu werden, damit man sich um ihn keine Sorgen zu machen braucht, war er noch zu jung. Außerdem hatte er für solche Belanglosigkeiten gar keine Zeit. Die Dinge um ihn herum beschäftigten ihn viel zu sehr. Vielleicht war es aber auch umgekehrt so, dass er die Dinge beschäftigte. Er wusste es nicht, es war ihm gleichgültig und den Dingen wohl auch. Trotzdem war sein Verhältnis zu den Gegenständen in seiner Sonderwelt ein recht freundschaftliches, sogar herzliches, sogar erstrangiges. Keine Mutter könnte den Schutz bieten und die Geborgenheit fühlen lassen, den man in einer Zinkwanne genießt und fühlt. Kein Vater wäre in der Lage, das Vertrauen und die Offenheit und Aufrichtigkeit eines Kohleofens mit seinen vielen bereitwillig zu öffnenden Klappen zu bieten. Keine Geschwister sind so zuverlässig und tröstend zur Stelle wie der aufrechte Besen, die wehrhafte Dielenkommode, das Sofa mit seinem erfahrenen Duft oder gar das Klo, das als zuverlässiger Freund im Notfall den Weg zur Flucht weisen würde. Eigentlich sollte er wunschlos glücklich sein, denn die Dinge waren da und bestätigten durch ihre Starre ihre Verbundenheit mit ihm, ihre Treue zu ihm. Doch immer wieder musste er mitfühlen und leiden, wenn die Gegenstände von den Lebendigen gequält wurden. Wenn die arme Zinkwanne mit unvorstellbaren Mengen noch dazu heißen Wassers gefüllt wurde, obwohl sie gar keinen Durst haben konnte. Wenn der Ofen, ein genügsamer Gesell, mit Unmengen schwarzer Kohle gefüttert wurde, von der ihm so schlecht wurde, dass er regelrecht zu glühen begann. Der Besen, dessen Statur doch schon auf eine schwache Lunge hindeutete, musste sich, von unerbittlicher Hand geführt, über staubige Böden streifen lassen. Niemand kümmerte das Gemüt der Dielenkommode und man stellte gar Pflanzen auf ihr ab, lebende Gewächse, die die Kommode als Abtrünnige stumm verhöhnten. Wen das arme Sofa alles ertragen musste! Kaum dass sich eine Last entfernte, musste es schon eine andere in seinen Federn und Polstern wiegen. Dem Klo wurde wohl von allen am ärgsten mitgespielt. Alles was man in einen Zustand weicher, breiiger, flüssiger, ungenießbarer Unbrauchbarkeit versetzt hatte, wurde ihm ungebeten überantwortet, auf dass es zusehe, wie es damit zurecht komme.
Doch auch er war dauerhaft in einer sehr misslichen Lage, denn seine traute Welt der für ihn lebenden und leidenden toten Gegenstände war eine Welt der schwebenden Widersprüche, Ungereimtheiten, Treuebrüche, des Verrats gar. Denn würde er sich weigern, in die wassergequälte Wanne zu steigen, wäre das Sofa, das ihn zeitweilig aufnahm, gekränkt und würde Schmutz ansammeln, den der Besen lungenleidend fortfegen müsste. Die gleichzeitige Freundschaft zur Kommode und zum Ofen bedeutete ein bisweilen belastendes Gefühl der Unaufrichtigkeit und Zweifelhaftigkeit, denn die beiden waren sich auf eine ferne Weise feind. Zwar sah er die Unzumutbarkeit ein, das Klo auf unbestimmte Zeit zur Fluchthilfe bereit sein zu lassen, tröstete sich mit dem Gedanken, doch immerhin hin und wieder vorbeizuschauen, doch die Tatsache, dass diese Besuche den Belästigungen der anderen gleich waren, ließ ihm seinen Trost zum schlechten Gewissen werden. Ein schlechtes Gewissen wiederum lässt Fluchtgedanken entstehen, in seinem Fall Gedanken an eine Flucht mit Hilfe der Dinge und gleich mit ihnen. Die Gedanken wurden zum Plan, der Plan begann, sich zu verdeutlichen: Die Zinkwanne wäre sicher stolz, ein gutes Boot zu sein und froh, das Wasser um sich und nicht mehr in sich zu haben. Dem Besen, zum Ruder befördert, bekäme jodhaltige Seeluft sehr gut. Die Kommode, im Schlepptau als Kajüte dienend, bräuchte den Spott von Pflanzen und Bäumen nicht mehr zu ertragen. Dem Sofa, dem Ofen und dem Klo, allesamt leider nicht seetauglich, würde er einen, seiner Ansicht nach, genialen Vorschlag unterbreiten. Er würde das belastungsmüde Sofa an den kohleüberdrüssigen Ofen verfüttern, der darob rotgleißend schmelzen würde. Das schmelzende Ofensofa würde für das Klo eine wohlbekömmliche Abwechslung darstellen, von der es sich nicht mehr trennen wollte und auch könnte nach dem Erkalten. So könnten sich die drei Daheimgebliebenen vereint für alle Zeit ihres Freundes und Wohltäters erinnern und blieben von allen weiteren Belästigungen verschont. All diese anstrengenden Überlegungen hatten seinen Kopf zum Lodern gebracht. Mutter schaute vorbei und nahm die Loderröte als Fieber und den vermeintlich kranken Knaben auf den Arm, um ihn zartfühlend zu wiegen. Das tat ihm gut und mit Genugtuung stellte er
fest, bevor er wegnickte, dass dieses mütterliche Schaukeln schon mal vorab seine Seefestigkeit bewies.
Flohmarkt
Auf Flohmärkten versuchte er vergeblich, sich eines ganz bestimmten Augenmerks zu entledigen, nämlich dessen, vielleicht hier und diesmal einen jener alten, ledernen Gestapo-Mäntel, absoluter deutscher Qualitätsproduktion, aufzutreiben. Mit so einem Teil wäre Winterkälte Vergangenheit, so seine jedes Mal wieder rechtzeitige Rechtfertigung. Doch wenn er dann in den Bereich von Ständen mit Bekleidungsstücken kam, kamen, auch rechtzeitig, Bedenken. Weniger wegen der möglichen Vergangenheit der Winterkälte als wegen der wahrscheinlichen Vergangenheit des Mantels. Diesmal hatte er es wieder geschafft, keinen aufzustöbern. Statt dessen trug er einen würdig-antik wirkenden kleinen Armleuchter nach Hause. Während des Heimweges und noch Stunden danach konnte er ein seltsames Gefühl, irgendwas zwischen Erlösung und Entlarvung, nicht abschütteln.
Aussage
Man könnte ein Restaurant durchaus mit einem Gerichtssaal vergleichen, lautete ein Wort eines Speiselokalgastes an seine Begleiterin. Sie, die ihn zu kennen glaubte, rechnete mit einem nun folgen werdenden Kalauer. Es folgte tatsächlich einer, noch dazu ein sehr langer “ausführlicher”, der sogar mit der Zeit regelrecht analytischen Charakter annahm. Aus Sorge, dass ihm der Gedanke käme, das Lokal mit einer Psychotherapeuten-Praxis gleichzustellen, vermied sie es jedoch, ihn darauf hinzuweisen.
Vorstellungsgespräch
Beworben hatte er sich. Ein Schreiben, in dem stand, dass die Unterlagen, Zeugnisse ein persönliches Gespräch weiterführend wirken lassen könnten, ist angekommen. Übermorgen, 11 Uhr, bei Herrn Z., Personalabteilung. Zeit genug noch, sich vorzustellen, wie so ein Vorstellungsgespräch ablaufen könnte. Ob die sich wohl vorstellen, dass er sich vorstellte, wie er sich sich vorstellte, so dass er deren Vorstellungen von seinen Vorstellungen von sich entspräche? Ob er, wenn er das täte und es ihm gelänge, er den Job bekäme, hinterher noch wüsste, wer er eigentlich sei. Oder ob ihm das dann erst mal egal wäre wegen des Neubeginns. Aber wenn dann über kurz oder lang Selbstzweifel ihn plagten, das Bedürfnis, sein wahres Ich, das er hoffentlich noch ahnen würde, wiederzufinden? Vielleicht könnte er sich ja dann beim Personalleiter erkundigen, ob dieser sich vorstellen könnte, wie er vor dem Vorstellungsgespräch geartet war...
Noch zwei Stunden, also noch mal. Diesmal ganz logisch, sachlich, konzentriert.
Der Chef
Irgendwann hatte es auch meinen Chef erwischt. Dass wir doch alle im gleichen (!) Boot sitzen und die viele anstrengende Arbeit doch nur unser aller Brot sichere, waren einige der Worte, die er nun immer an jeden von uns richtete. Wenn er ganz schlecht gelaunt war, behauptete er gar, dass an jeder Straßenecke Dutzende von Willigen warten, die für den halben Lohn das Doppelte zu leisten bereit seien. Ein Kollege, der mal in einem Betriebsrat gewesen war, meinte neulich, dass die das alle sagen und damit skrupellos die Situation auf dem Arbeitsmarkt ausnutzen. Der Chef, gerade um die Ecke kommend, kriegte das mit und meinte gleichzeitig vorwurfsvoll und beschwichtigend, dass er doch nichts weiter als Genug(-)tuung verlange. Der Respekt vor dem Arbeitgebertum sank in diesem Moment im gleichen Maße wie unsere eigentlich ganz vertretbare Arbeitsleistung.
Bibelfest oder festgekocht?
Dass man freitags kein Fleisch essen dürfe, ja dass das sogar eine beichtpflichtige Sünde sei, steht, wenn ich`s recht erinnere, im katholischen Katechismus. Dass man am Karfreitag keine Kartoffeln essen solle, ist wohl eher ein Scherz. Wenn`s denn doch keiner sein sollte, würde mich das auch nicht wundern. Mit Wundern jedoch beginnt die Einleitung der Ausweitung des Themas Bibel und, Gott sei Dank, wird`s auch gleich lästig, so dass man sich wieder weltlichen Dingen widmen will.
Der Graupelschauer
Seit mehr als einer Stunde fuhr ich gegen den Wind durch den Nieselregen. Egal ob die Straße nach Süden, Norden, Westen oder Osten führte, immer Gegenwind. Jetzt gab`s auch noch so einen aprilartigen Wettersturz. Aus dem Wind wurden Sturmböen und aus dem Nieselregen wurden Graupelschauer. Eigentlich nicht weiter verwunderlich. Als ich jedoch am Wegesrand eine hockende, zu Boden blickende Gestalt wahrnahm, wurde mir etwas mulmig zumute. Wetterwechsel sind meteorologische Zufälle, mehr oder weniger. Aber in einem Graupelschauer einen Graupelschauer zu finden, hatte schon etwas schauerliches. Endlich wieder daheim, machte ich mir einen Teller Nudeln. Diese langen dünnen. Dabei kam mir der Gedanke, dass sich diese Person am Straßenrand ja womöglich nur den Schuh zugemacht hat. Einerseits erleichtert hatte ich andererseits plötzlich keinen Appetit mehr auf Nudeln.
Beschlossen
“Morgenstund hat Gold im Mund!” Dachte Herr Egel morgens und war dabei allerdings nicht so glücklich wie er eigentlich sein wollte. Die Goldkronen, die er sich auf seine kariösen Backenzähne hat setzen lassen, schienen ihm nicht unbedingt sicher verwahrt zu sein. Acht an der Zahl und zu achtzig Prozent von der Zusatz-Krankenversicherung bezahlt, erhöhten sie, wenn auch eher unbewusst, sein Selbstwertgefühl, beziehungsweise das, was er, auch eher unbewusst, dafür hielt. Herr Egel war ein Mann der Tat. Er kaufte sich ein kleines Bügelschlösschen und ging in eines von diesen Piercing-Studios und ließ sich in die Mitte der Ober- und Unterlippe je ein Löchlein bohren. Abends im Bett dachte er mit einem wichtigen Gefühl der Sicherheit, vor allem seines Kronengoldes, dass, wenn diese Nacht ein Einbrecher käme, so ein hektischer Anfänger, Hände hoch, Geld oder Gold raus, riefe, er blitzschnell das Schlösschen in die Lippen schöbe, den
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2013
ISBN: 978-3-7309-1069-6
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