Die Bundeslade
So. Da war ich nun also abgelebt, wie man in Ordnungsbehörden sagt.
Es heißt, ich soll erst mal abwarten wollen. Erst mal schwirrt alles in mir umher:
Abnehmen, abgeben. Abbitten, abdanken. Ableben, absterben.
Wann geht es los mit dem Abwarten? Muss man was befürchten?
Abnehmen kann man dem Herrn Pastor höchstens...aber das ist seine Sache.
Abgeben sollte man seine Seel' aus taktischen Gründen wenn...ach Unfug!
Abbitte tun tut nach dem Tod immer not.
Abdanken oder abtreten ist Volksvertretersache. Erst treten, dann abtreten.
Ableben habe ich ja gerade hinter mich gebracht.
Absterben klingt eher so inkonsequent, so teilweise, so ...
Mit einem Gefühl von Vorfreude (warum eigentlich nicht?) das letzte/erste Stündlein erleben/ersterben (haha!) und ...
Etwa so benommen wie nach einer Vollnarkose, einer Attacke, einer Neujahrsansprache.
Wo bin ich? Diese Gegend. Bin ich im Himmelreich oder im Heidenreich? Völlig flach, sandig. Dieser Geruch! Kalkig. Hygienechemie.
Biblisches Summen, Sirren, Fiepen, Quietschen.
Ein Ohrwurm spielt mir ein Todeslied.
Wie sehe ich eigentlich aus? Tot. Oder wie nennt man „hier“ diesen Zustand?
Angezogen? Ich fühle mich nackt wie ein geschälter Apfel und dabei völlig schamlos.
Die Haut blässlich und pulvertrocken. Ein leichtes Jucken, außerhalb des Körpers, mit geringem Abstand. Dafür direkt auf der Haut ein furchtbar vertrautes Picken in den Poren.
Ich wechsle die Stimmung so bestimmt, als hätte ich einen Einfluss darauf.
Was erwartet mich? Hocken im Dampfwasser, Fegefeuer, Höllenqualen? Sollte ich zu frömmeln beginnen?
Wer erwartet mich? Uralte Männer, weisungsbefugt? Junge Frauen, weisungsbeflissen?
Wie alt bin ich? Abgezählt oder alterlos.
Was ist mit meiner Seele? Muss ich die irgendwo abgeben oder abholen?
Was ist mit diesem Rundlicht über dem Kopf?
Langsam klärt sich das Bewusstsein. Das eindeutig Eigene fehlt.
Was wird denn nun endlich!? Man fühlt sich hingehalten. Noch dazu als ob man es selber täte.
Dass Gott heute nunmal so strafe, will in mir gedacht werden.
Welche Schuld ich geladen habe, will ich von mir wissen. Das ruft den Spott.
Auch über das Leben hinaus stellt der Spott sich vor, dass der Kopf ein Hohlkörper sei. In meinem Falle nicht nur das: etwas zieht an diesem Kopf, das Schaben einer Schublade (womöglich die Bundeslade?), ein Pergament gleitet ein. Druck an den Kopf, die Lade ist zu.
Das Pergament liest sich vor:
„Götter gibt es gar nicht. Fladenbrote, Backoblaten, ja. Aber keine Götter. Auch keine Engel“.
Halt! Was ist das? Habe ich etwa Flügel? Also doch Engel? Ohne Götter?
Irgendetwas tschilpt aus meinem Mund. Schock. Der Mund ist ein ekler Hornschnabel, krumm noch dazu.
Hocherregtes Hüpfen von einem Rundholzbalken zum anderen Rundholzbalken zum einen Rundholzbalken.
Balancieren, nicken, innehalten, aufplustern. Das Vogelende bildet mir ein, das Wichtigste zu sein. Kein Protest. Bestätigung folgt wie bestellt.
Der erste aufgeregte Vogelverdau. Ernsthaft angenehm überrascht. Perfektes Zusammenspiel von Druck, Ausstoß, Abschwung. Eine Art Dosierspender-Stolz. Fernes Verständnis aller Vogelarten.
Was nun? Einsam bin ich nicht, obwohl völlig alleine mit Sand und Balken. Eine geradezu unerträgliche Zufriedenheit bemerkt mich, sodass ich willenlos wirr zu pfeifen beginne.
Man passiert einfach zeitlos für sich hin. Von weit entfernt die völlig andere Ahnung vom „einen zwitschern gehen“.
Doch auch ohne Zeit will Schlaf zumindest vorgetäuscht werden. Den Kopf im leibeigenen Daunenkissen versenkt, das linke Auge zu, das rechte geschlitzt, das linke geschlitzt, das rechte zu, beide zu, beide offen, beide geschlitzt und zurück.
Beide Augen offen, Helligkeit ringsherum bedeutet Wechsel von Geschehenem und Gesehenem. Unnatürlicher Appetit will berechtigt sein. Selbst wenn ich geglaubt hätte, hätte ich nie geglaubt,
dass ich kleine Körner schälkauen kann. Es klappt! Es regnet Körnerschalen in den Sand.
Voller Energie, oder einem ähnlichen Spannungsgefühl, werde ich von der Bundeslade angehalten, etwas zur Rettung des Universums zu unternehmen. Das regt natürlich auf. Der Dosierspender-Stolz beruhigt wieder.
Ob ich mich im Gefilde der Seligen oder der Unseligen befinde ist immer noch offen. Und dann sowas.
Absolute Blockade. Balkenhüpfen hilft. Hin und her, her und hin. Neue Variante: aus dem Stand auf dem selben Balken hochgefedert die Drehung um 180 Grad. Nochmal. Nochmal. Nochmal. Das macht zufrieden, geradezu euphorisch und muss ausgiebig betschilpt, betrillert und betiriliert werden.
Die Rettung des Universums soll warten. Erstmal dosieren und spenden.
Also: ein Ex-Mensch mit grünlich-gelblichen Federn, roten Krallen, schwarze Kugeln mit weißen Tupfern spendend, soll dem Universum Wohl tun.
Eine Stimme bohrt sich den Weg ins inzwischen wieder ungeklärte Bewusstsein:
dass ich mich endlich um die im Jenseits doch wohl angebrachte mystisch feierliche Grundstimmung bemühen möge, höre ich wie durch Myriaden Mikrofasern gedämpft, gefiltert.
Plötzliches Schwächeln. Schwindeln. Alles Schwindel! Ruft irgend etwas klar und mikrofaserlos. Stimme hier, Stimme da...Hier stimmt doch was nicht! Noch eine, die mich heißt, dass Zweifeln auch im Reich der Seelen noch eine erhebliche Unbotmäßigkeit bedeute.
Also doch das Jüngste Gericht? Das Licht geht aus, eine schwere Tür schlägt zu. Oder Amtsgericht? Kinderkreischen hier, Bohnerwachsgeruch da. Schrecknisse. Zuviel.
Ohnmacht. Aufwachen. Hoffentlich nicht noch mal gestorben. Zweimal hintereinander, das würde ich nicht überleben!
Umgeben von Tukan, Uhu, Eule, Rabe, Elster, Heckenbraunelle, einem ganzen Hähnchen, gemeinem Spatz, Habicht, Pelikan. Alle schauen kopfschüttelnd, schmunzelnd zu mir hinab.
Da ist er ja endlich! Dieses notlose Sträuben in der Übergangsphase! Was erwartet ihr nur immer noch und immer wieder von der Ewigkeit, von uns? Na also! Ein bisschen Spass wollen wir nur haben. Hier im Universum“.
Der Spatz blickt äugleinzwinkernd in die Runde seiner gefiederten Freunde. Weit aufgerissene Schnäbel, zuckende rötlich-graue Zungen, schallendes, krächzendes, krähendes, kreischendes Gelächter.
Ich stimme ein. Extradosis aus dem Spender. Jetzt bin ich einer von ihnen, einer von uns. Und wir warten wohlgelaunt auf was auch immer da kommen wolle.
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2010
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