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Umschlungen



Zwei Kästchen reichen, eigentlich sogar nur eins. Weil sich die Gewinnchancen mit weiteren Tippfeldern nur völlig unwesentlich erhöhen. Hat einer ausgerechnet. Erhöhen tut sich höchstens die Spinn-Neigung mit noch mehr vermeintlichen Möglichkeiten.
Beim Spaziergang durch die an die eigene Behausung angrenzende Villengegend schaut er sich „angemessene“ Häuser und Grundstücke an und fühlt schon so was wie Entscheidungsstress. „Das Haus ist ja schön und gut, aber die Nachbarn, womöglich eine aufgeblasene Erbengemeinschaft, womöglich mit bösester Vergangenheit, sind sicher sehr unangenehm!“
Vielleicht will er aber auch gar kein Haus. Lieber eine besonders schöne Mietwohnung in einer besonders schönen Straße. Er kann sich ja ungefähr ausrechnen, wie viele Jahre er noch hat und die Miete von dem Supergewinn im Voraus zahlen.
Dann wäre schon mal ein Teil des, er spürt’ s, irgendwie schon fast ein wenig lästigen Geldes vergeben. Was wird dann mit dem leidigen Rest? Ein weiterer Teil muss ja wohl angelegt werden, damit er eine halbwegs großzügige, monatliche Summe auf unbestimmte Zeit zur Verfügung hat. Aber bei wem sollte er sich da beraten lassen? Diese Profis wollen doch, hat er mal gehört, zehn Prozent vom Ganzen (!) als Honorar haben. Vielleicht in Goldbarren anlegen? Viel zu schwer! Schon allein weil die Form von Barrengold an diese nach dem Aufessen rückwirkend ekligen kleinen Marmorkuchen aus dem Supermarkt erinnert. Ach, und Freunde und Verwandte möchte er doch auch noch mit ein paar Talern beglücken. In Reihenfolge? Abgestufte Beträge? Das wird ja immer komplizierter! Vielleicht sollte er doch ein paar Kästchen mehr ankreuzen, für den Fall, dass es anfangs schon, aber dann beim Verteilen vorne und hinten nicht mehr reicht? Blödsinn! Je mehr desto mehr müsste er berücksichtigen. Er wäre womöglich vor niemandem, sogar vor sich selbst nicht mehr sicher.


So langsam dämmert’ s, was mit diesem seit jeher im Samstagsfernseh, nach z. B. (ausgerechnet!) „Einer wird gewinnen“ und vor dem obligatorischen, amerikanischen Spielfilm, vertrauten „Diese Angaben sind wie immer ohne Gewehr“ recht eigentlich gemeint sein soll...


Komm Ode an den Freud



Wenn man sich abends ins Bett legt und nach kurzem Abdösen auch schon auf dem Weg ins Land der Träume ist, dass sich dann bei näherem Hinschauen als Belgien, direkt am Meer gelegen, entpuppt, dann bemerkt man erst mal nicht, dass dieses Meer eine Strömung wie ein Fluss hat, weil man sehr damit beschäftigt ist, ein kommodenartiges Motorrad eine mit diversen verwinkelten Treppen verwachsene Uferpromenade an Kneipen, Bars, Betongebäuden entlang zu schieben und darauf zu achten, von argwöhnisch dreinblickenden Jugendlichen nicht nach technischen Motorradkommodendetails gefragt zu werden. Mist! Die werden immer misstrauischer! Flucht ins Wasser, Kommodenrad schwimmt, Strömung wird mit Hilfe einer plötzlich in der Hand befindlichen lebenden Räucherforelle überwunden. Weiter weg wieder an Land. In die erstbeste Kneipe rein. Den Wirt kennt man doch von früher! Bis zur Sperrstunde in dieser Kneipe rumlungern. (Motorradkommode ist längst weg, fast vergessen). Geldbörse ist jetzt auch weg. Noch mal rein in die Kneipe. An jedem Tisch, in jeder Ecke liegen vergessene Geldbörsen. Nur die meinige ist nicht dabei. Zum Aufwachen!

Solche albernen Träume müssen zur Strafe gedeutet werden:
Belgien ist, von Ihnen aus gesehen, ganz nah. Also: Angst vor Nestferne. Meer mit Strömung bedeutet Rhein. Also: Ängstliche Heimatverbundenheit. Kommode und Motorrad lassen sich in diesem Fall gleichzeitig nicht getrennt betrachten, noch gehören sie in irgendeinem annähernd sinnvollen Zusammenhang zusammen. Also: Ängstliche Unentschlossenheit (in der Kommode sind die warmen Wollsocken) gepaart mit der Sehnsucht nach draufgängerischer Zielsicherheit, die dann aber auch gefälligst eine Sehnsucht und sonst nichts bleiben soll. Denn dafür hat das Unterbewusstsein die Treppen, Winkel, Betongebäude bereitgestellt. Sie würden sich jetzt sicher gerne mit einem Paar warmer Wollsocken in einem kleinen Zimmerchen wiederfinden, sicherheitshalber die Kommode vor die abgeschlossene Tür schieben und entweder nach draußen oder in sich hinein horchen. Wenn da nicht diese lästigen Jugendlichen wären, die, jeder einzelne ein Teil Ihrer selbst, über Ihrem Ich versuchen, Sie zu locken, zu verderben. Zumindest Ihrer verdrängungsbereiten Vorstellung nach. Deshalb laufen Sie vor sich selber davon, innerlich zum Bersten aufgewühlt, erhitzt. Nur noch ein Sprung ins kalte Wasser kann Ihr heißbewegtes Inneres abkühlen. Sie schaffen nicht nur den Sprung in die grundsätzlich aus unbekannten Anteilen bestehende Flut, Sie sind jetzt sogar in der Lage, indem Sie Ihre in der Zukunft liegende Reife, ja Altersweisheit, in Form einer Räucherforelle mental intensivieren, gegen Ihren eigenen Strom zu schwimmen. Das bedeutet letztendlich einen immensen Aufwand mit Erfolg. Dieser Erfolg ließe sich mit keinem Geld der Welt aufwiegen, was unschwer durch die diversen herrenlosen Börsen bestätigt wird.
Freud und Leid saßen/lagen eine Dreiviertelstunde nah beieinander....


Flüchtig benommen



Wankel war mal wieder unterwegs. Wie schon so oft mit einem vertrauten völlig Unbekannten. Das Unbekannte überwog in diesem Fall dummerweise das Vertraute, das doch diesmal so sehr nützlich und notwendig gewesen wäre. Man war nämlich auf der Flucht. Wankel war, obwohl schon völlig außer Atem, geneigt, weiter über die endlose, mehr oder weniger ebene Wildwiese zu wetzen, weil er trotz seiner Angst noch Zeit und Muße für die Vorstellung hatte, dass, wenn man nur richtig aufrichtig vor etwas flieht, diese Flucht von einer verständnisvollen höheren Instanz unterstützt würde. Sein vertrauter Mitflieher, nennen wir ihn hier Herrn Trommel, bestand jedoch erfolgreich darauf, von der freien Fläche durch eine Reihe fast undurchdringlicher dunkelgrüner Büsche in ein geradezu nachtfinsteres Unterholz zu wechseln. Nachdem sich die Augen an die Dunkelheit einigermaßen gewöhnt hatten, sahen sie etwas deutlicher, wo sie nun tatsächlich gelandet waren: in einem, so wie die Wildwiese, ebenfalls endlosen Wald voller höchstens armdicker, mindestens fünf Meter hoher, nur spärlich belaubter Bäume. Immerhin hat die kurze Zeit der Orientierung zu einer kleinen Verschnaufung ausgereicht. Die allerdings sollte nur der körperlichen Erholung dienen, denn schon bot sich den Blicken der beiden Gehetzten neue Beunruhigung. Trotz der Dunkelheit und der Dichte der Bäume hatte dieser Wald so etwas wie einen Horizont. Und an diesem Horizont näherten sich von hinten links etliche sehr finstere, schwarze, zum Teil sogar berittene Gesellen. Obwohl unsere beiden sich eng beieinander hockend so klein wie möglich machten und ganz sicher, zumindest aus der Entfernung der schwarzen Horden noch gar nicht auszumachen waren, waren sie davon überzeugt, jeden Augenblick entdeckt zu werden. Diesmal war es Herr Trommel, also der, der unbedingt in diesen verwunschenen Wald hinein wollte, der den dringenden Wunsch nach lichter Weite hatte. Wankel jedoch gab scharfsinnig zu bedenken, dass das leichteste Verschieben der den Finsterwald abdichtenden Büsche ein blitzartiges Aufleuchten bewirken würde, das von denen, die ihnen da mit absoluter Sicherheit nur das Allerböseste wollten, sofort bemerkt würde und unweigerlich ihr Ende bedeuten würde. Trotz dieses vernunftnahen Einwandes verstärkte sich bei beiden das Gefühl, über kurz oder lang - eher über kurz - entdeckt zu werden. Es konnte gar nicht mehr schlimmer kommen. Man schob ein struppig-dichtes Gebüsch beiseite, mehr als erwartet schoss ein irgendwie milchig-zähes Licht durch den Wald direkt auf die finsteren Gesellen zu, die auch sofort reagierten und auf die beiden Unglücklichen zuhielten. Wie wenn sie ihre vormalige Erschöpfung im Wald zurückgelassen hätten, schossen Wankel und Herr Trommel über die weite Wiese zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Flüchtige Gedankenfetzen, wie etwa, sich einfach hinzuwerfen, mit hastig gerupftem Gras zu bedecken und optimistisch abzuwarten, wirkten seltsamer Weise sogar treibend. Sie konnten es sich inzwischen sogar leisten, einen Moment anzuhalten, sich umzublicken. Sie stellten jetzt sogar fest, dass sie außer Gefahr waren, dass sie ein Ende der Wiese erreicht hatten und bekamen das Gefühl, sich einer, wenn auch seltsam unangenehmen, Zivilisation zu nähern. Ohne dass es ihnen jemand gesagt hätte, ohne dass ihnen ein entsprechendes Schild begegnet wäre, wussten sie, dass sie im „Buddhistischen Kapitalismus“ angekommen waren. Alles war plötzlich völlig gleichmäßig. „Gleichgültig!“ wollte Wankel sarkastisch sein eigenes Empfinden korrigieren, doch der Versuch blieb ihm gewissermaßen im Bereich der Gesichtsmuskulatur stecken, die ihn per galligem Grinsen optisch bestätigen sollte. Tatsächlich hatte sich jetzt, kurz nach der erfolgreichen Flucht vor den Schwarzen, die eben noch nur wenige Augenblicke zurücklag, das Gefühl einer schleppenden Ewigkeit wie ein schweres Medikament durch die Körper der beiden Irrenden gewunden. Nein, hier wollten sie auch nicht bleiben, auch nicht mit der gesetzlich garantierten, schwerst autoritären, harmonischsten Sicherheit für alle Lebenslagen. Das fiel äußerst unangenehm auf, noch bevor sie es zu Ende gedacht hatten. Schon wurden sie von einer keinen Widerspruch duldenden Truppe unsichtbarer Ordnungshüter fortgeführt. Man versprach ihnen einen ereignisreichen, unterhaltsamen, selbstverständlich kostenlosen Ausflug. Der Weg war weder ereignisreich noch unterhaltsam sondern einfach nur endlos lang und langweilig. Die beiden wurden sehr müde und ließen sich unvermittelt, um nur noch zu schlafen, ins Gras sinken. Im selben Moment, in dem sie den Boden berührten, der Schlaf sie übermannte, hatte es noch eine halbe Sekunde Zeit festzustellen, dass sie wieder genau dort gelandet waren, von wo sie sich angstvoll vor was auch immer fliehend entschlossen hatten, in den dunklen Wald einzudringen. Der Schlaf hatte ein Einsehen und ließ erst mal die Schlussfolgerung, dass nun der ganze Mist wieder von vorne losgehen sollte, im Gras versickern.





Das Brot



Kahn, nein! nicht dieser Ballhüter, wollte eine lange Bootsfahrt unternehmen. Eigentlich nur um sich selber seine, seiner Meinung nach, geniale Lösung der nautischen Proviantfrage zu bestätigen.
Kahn war Bäckermeister. Korrekterweise „durchgefallener Bäckermeister“, denn er hatte die Meisterprüfung wegen irgendwelcher falsch beantworteten Fragen zum Thema Törtchen versemmelt (haha). Kahn wohnte im ehemaligen Ossiland. Das begünstigte seinen Plan ungemein, denn er brauchte Platz und diverses Zeug für Stufe Eins seines Projektes. Unter den diversen, irgendwie wie Hals über Kopf verlassenen Fabriken war eine alte Ziegelei geradezu optimal geeignet für seine Sache. Erst mal sollte aber alles unauffällig, seinetwegen heimlich (schließlich hat man da als Ex-Ossi noch Routine) ablaufen. Also schleppte er tagelang in Plastiktüten Unmengen von Zutaten für ein überdimensionales Brot in die Ziegelei. Abends, beim Schein von ein paar Baustellen-Benzinlampen, baute er aus im Überfluss vorhandenen Ziegeln den Backofen, in dem sein Brotboot gedeihen sollte. Das Rezept für das Brot soll hier nicht näher aufgeführt werden, da es, abgesehen von der Tatsache, dass man alle Zutaten durch mindestens 60 teilen müsste, mit der leicht befremdlichen Kombination aus Roggenvollkornmehl und Rosinen geschmacklich sehr gewöhnungsbedürftig ausfallen dürfte.
Egal. Mitte April war es endlich soweit: Der Einweg-Ziegelofen konnte abgetragen werden und zum Vorschein kam ein auf drei zusammengenagelten Euro-Paletten gelagertes etwa vier Meter langes Riesenbrot. Einerseits verlockend knusprig, würzig duftend, stieß andererseits der in der Mitte befindliche, aus einer helleren Sorte geformte Sattel ab. Das war auch gut so, denn darauf sollte und wollte Kahn in zwei Tagen sitzen und sich den Fluss hinunter, einem ungewissen Schicksal entgegen, treiben lassen.
Montag Morgen, 5 Uhr 30. Die mit sechs Kinderwagenrädern mobil gemachten Paletten rollerten mit ihrer knusprigen Fracht dem Flussufer entgegen. Das Wassern des Bootes hatte er in den letzten Tagen etliche Male mit einem Küchentablett und einem herkömmlichen Brot geprobt und so lief alles völlig reibungslos ab. In der leichten Uferströmung wirkte die immerhin mindestens 70 Kilogramm schwere Rosina (Kahn hatte seinem Werk bei der mit einer kleinen Flasche Himbeersekt improvisierten Schiffstaufe diesen aus „Ro“ von Roggenvollkornmehl und „sin“ von Rosine und „a“ für Anfang zusammengesetzten Namen gegeben) fast schwerelos. Schon war Kahn rittlings aufgesessen und wurde von der Strömung aufgenommen, deren Weg er hin und wieder mit einem aus einem Bäckerbesen und einem Küchenbrettchen bestehenden Ruder korrigieren musste. Flüchtig dachte Kahn an das richtige Ruder, das bei der Zubereitung des Brotteiges zerbrochen war. So sei das Ganze, einem Zufall verdankt, auch in stilistischer Ordnung, fügte er noch hinzu und trieb mit einer wohligen Genugtuung davon.
Nach etwa elf Stunden Fahrt setzte leichter Hunger ein. Auf den hatte Kahn fast schon sehnsüchtig gewartet. Er zupfte den oberen Teil seiner Jacke zurecht, so wie wenn er sich eine Serviette umbinden wollte und streckte die rechte Hand aus und pulte geschickt mit drei Bäckerfingern eine Portion Rosinenbrot aus seinem Rosinenboot.
Erst spät abends konnte sich der Knusperkapitän zum Landen entschließen. Gedacht, getan. Ein lauschiges Plätzchen am Ufer, von Wildweiden gesäumt, ein sternenklarer Himmel, ein fast schon wieder trockenes Brotboot und ein hochzufriedener Mensch.
In diesem Rhythmus ging es noch viele Tage den langen Fluss hinab. Ein konkretes Ziel hatte Kahn ja eigentlich nicht und so war der Tag, an dem das Boot soweit verzehrt war, dass es nicht mehr tragfähig war, auch das Ende der Reise.
Reedereien und Patentämter weigerten sich mit fadenscheinigen Begründungen, Kahns Modell die gerechte Anerkennung zukommen zu lassen. Irgendwas von Geschmacksache, Allergien, Mehlwürmern, Krümeln und Ähnlichem wurde dabei angedeutet.


Logik 2000 - bedingungslos



Warum wird man, wenn man sich bei Regen unter einer Autobahnbrücke unterstellt, nicht nass? Weil die Autos, die oben drüber fahren, Scheibenwischer haben!

Helden haben deshalb keine Angst, weil sie den Mut dazu in Köln-Ehrenfeld verloren haben.

Marzipankartoffeln eignen sich nicht für die Zubereitung von Kartoffelsalat, weil sie keine Schalen haben.

Flüsse schwimmen vor allem deshalb zum Meer hin, weil es da mehr Wasser gibt.

Sofakissen wären, wenn sie in die Tierwelt aufgenommen würden, wahrscheinlich Weibchen, weil das Sofa die Kissen und nicht der Kissen vermissen würde.


Scheiben



Fenster haben Scheiben
damit
Fliegen
im Sommer
und
Flocken
im Winter
draußen bleiben.
Fliegen
bleiben liegen,
Flocken
bleiben hocken.


Türen



Zimmer haben Türen
damit,
was bei Schlüsselverlust
zwar verdrießen kann,
man sie verschließen kann.

Der Wolf ging



Der Wolf Wolfgang ging
durch den Wald
und ermüdete bald.
Er legte sich unter eine Birke
auf das der Schlaf erquickend wirke.
Schon bald im Wald
der Wolfesträume
erblickte er hier Kokosbäume.
Und als ob es gleich geschehen müsse,
löste sich eine dieser Kokosnüsse.
Es geschah auch, was geschehen muss:
Sie fiel dem Wolfgang auf die Nuss.
Er blieb benommen unten hocken,
vor seinen Augen tanzten Kokosflocken.
Kaum wieder wach begann’ s zu brüten:
Kokosnussbeulen will er verhüten.
In Zukunft will er nur noch unter Pfirsichbäumen
vom süßen, weichen Pfirsich träumen.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.10.2008

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