Cover

Vorwort



Wer ich bin? Nach einigem Hin und Her habe ich mich dazu entschlossen, meinen richtigen Namen vorübergehend zum Pseudonym zu erklären: Leo Hamacher, Krefeld, im November 1955 geboren.
Wann und warum ich damit begonnen habe, Bilder und Texte, zum Teil geträumte, einzuwecken? Natürlich in der Pubertät und wegen der Pubertät.
Was mich dazu bewogen hat, Bilder und Texte in diesem Format der Öffentlichkeit auszuliefern? Die Möglichkeiten von PC, Multimedia, Laptop, Drucker etc. würden wohl auch, zumindest abschließend, zu einer Ursachenausführung gehören.
Wohin das alles führen soll? Vielleicht zu einer universalen, globalen oder meinetwegen auch nur nationalen, na gut, regionalen, letztes Angebot: straßeneckenweisen Zusammenführung von verlorenen Fäden.


Die Amerikareise



Er hatte diese Amerikareise angetreten. Eigentlich mehr, um so was mal gemacht zu haben. In die Südstaaten ist's gegangen. Ein Tagesausflug in die Wüste war angesagt. Trotz der eindringlichen Warnung des Reiseleiters hatte er sich von der Gruppe entfernt und prompt in einem Wüstenabschnitt verlaufen. Durst begann zu plagen, heftiger und heftiger. Drei Monatsgehälter gäbe er für ein Glas Limo, staubte es ihm durch den sonnengegeißelten Kopf. Aber auch, dass er hernach die Herstellerfirma wegen seiner Karies um ein paar Milliönchen Schadenersatz erleichtern wolle. Was war das? War es noch nicht heiß genug? Wie sonst diese kühle Berechnung? Oder war es schon zu heiß, zu spät? Vorerst blieb nichts anderes übrig, als Antworten auf diese Fragen, wegen der vielen, ja, in diesem Land gar unbegrenzten Möglichkeiten, offen zu lassen.




Wussten Sie das?



Mit der Wäscheklammer kann man klamme Wäsche klammern. Die klassische Standard-Wäscheklammer ist aus Holz und lässt sich aufrecht hinstellen und wirkt dann, wenn man will, wie eine unerbittliche Wächterin über die Einhaltung der Pflege von Kleidungsstücken. Mit dem Kopf nach unten zwischen Wäschestück und Wäscheleine geklemmt hemmt die Klammer den Wind daran, das Gewäsch zu verwehen.


Im Zoo



Zoobesuche haben nun mal irgendwie was Bedrückendes. Ob sich bei der Planung der Anordnung des Krefelder Zoos gerade deshalb die Tier- und Menschenpsychologen mal zusammengesetzt haben? Gleich hinter dem Eingang läuft man auf die Kamele oder Trampeltiere zu und wird mit bewundernswerter Ignoranz empfangen. Die Physiognomie dieser Wüstenwankler exponiert eine unerschütterliche Überheblichkeit und diese zu einem geringschätzigen Schmunzeln geformten schwarzen Lippen bewirken eine Verunsicherung, die durch die selbstbewusste intensive Ausdünstung noch gefestigt wird und den weiteren Besuch über vorhält. Hat man seinen Rundgang, die Wahrnehmung des radikal rationierten Lebensraumes endlich hinter sich, führt einen der wohldurchdachte Weg wieder an den Gehöckerten vorbei. Als erfahrener Besucher dieses Zoos nimmt man dann, gewissermaßen aus therapeutischen Gründen, noch einen Blick und eine Portion Dünstung mit nach draußen, mit nach Hause und lässt den Kamelen dafür sein schlechtes Gewissen zurück, die kriegen das schon irgendwie geregelt...




Überschrift



Er wusste es als Kind schon, dass er ein äußerst einsames Wesen sei. Zumindest aus der Sicht von Menschen. Die Vertrautheit der Familie machte ihn nur noch einsamer. Zwar genoss er es, auf Mutters Schoß zu sitzen, in Mutters Arm zu liegen, Mutters sanfte Worte zu hören, wenn er kinderkrank im Fieber war, doch dieses Fieber ließ ihn seine Einsamkeit bewusster genießen als die Nähe der Mutter. Die Gesellschaft von Dingen war ihm lieber als die Gegenwart von Menschen und so widmete er sich entschlossen dem, was für die anderen nichts weiter als totes Gestell war. Für die Sorge, von den anderen als anders erkannt zu werden und deshalb zurechtgerückt zu werden, damit man sich um ihn keine Sorgen zu machen braucht, war er noch zu jung. Außerdem hatte er für solche Belanglosigkeiten gar keine Zeit. Die Dinge um ihn herum beschäftigten ihn viel zu sehr. Vielleicht war es aber auch umgekehrt so, dass er die Dinge beschäftigte. Er wusste es nicht, es war ihm gleichgültig und den Dingen wohl auch. Trotzdem war sein Verhältnis zu den Gegenständen in seiner Sonderwelt ein recht freundschaftliches, sogar herzliches, sogar erstrangiges. Keine Mutter könnte den Schutz bieten und die Geborgenheit fühlen lassen, den man in einer Zinkwanne genießt und fühlt. Kein Vater wäre in der Lage, das Vertrauen und die Offenheit und Aufrichtigkeit eines Kohleofens mit seinen vielen bereitwillig zu öffnenden Klappen zu bieten. Keine Geschwister sind so zuverlässig und tröstend zur Stelle wie der aufrechte Besen, die wehrhafte Dielenkommode, das Sofa mit seinem erfahrenen Duft oder gar das Klo, das als zuverlässiger Freund im Notfall den Weg zur Flucht weisen würde. Eigentlich sollte er wunschlos glücklich sein, denn die Dinge waren da und bestätigten durch ihre Starre ihre Verbundenheit mit ihm, ihre Treue zu ihm. Doch immer wieder musste er mitfühlen und leiden, wenn die Gegenstände von den Lebendigen gequält wurden. Wenn die arme Zinkwanne mit unvorstellbaren Mengen noch dazu heißen Wassers gefüllt wurde, obwohl sie gar keinen Durst haben konnte. Wenn der Ofen, ein genügsamer Gesell, mit Unmengen schwarzer Kohle gefüttert wurde, von der ihm so schlecht wurde, dass er regelrecht zu glühen begann. Der Besen, dessen Statur doch schon auf eine schwache Lunge hindeutete, musste sich, von unerbittlicher Hand geführt, über staubige Böden streifen lassen. Niemand kümmerte das Gemüt der Dielenkommode und man stellte gar Pflanzen auf ihr ab, lebende Gewächse, die die Kommode als Abtrünnige stumm verhöhnten. Wen das arme Sofa alles ertragen musste! Kaum dass sich eine Last entfernte, musste es schon eine andere in seinen Federn und Polstern wiegen. Dem Klo wurde wohl von allen am ärgsten mitgespielt. Alles was man in einen Zustand weicher, breiiger, flüssiger, ungenießbarer Unbrauchbarkeit versetzt hatte, wurde ihm ungebeten überantwortet, auf dass es zusehe, wie es damit zurecht komme.
Doch auch er war dauerhaft in einer sehr misslichen Lage, denn seine traute Welt der für ihn lebenden und leidenden toten Gegenstände war eine Welt der schwebenden Widersprüche, Ungereimtheiten, Treuebrüche, des Verrats gar. Denn würde er sich weigern, in die wassergequälte Wanne zu steigen, wäre das Sofa, das ihn zeitweilig aufnahm, gekränkt und würde Schmutz ansammeln, den der Besen lungenleidend fortfegen müsste. Die gleichzeitige Freundschaft zur Kommode und zum Ofen bedeutete ein bisweilen belastendes Gefühl der Unaufrichtigkeit und Zweifelhaftigkeit, denn die beiden waren sich auf eine ferne Weise feind. Zwar sah er die Unzumutbarkeit ein, das Klo auf unbestimmte Zeit zur Fluchthilfe bereit sein zu lassen, tröstete sich mit dem Gedanken, doch immerhin hin und wieder vorbeizuschauen, doch die Tatsache, dass diese Besuche den Belästigungen der anderen gleich waren, ließ ihm seinen Trost zum schlechten Gewissen werden. Ein schlechtes Gewissen wiederum lässt Fluchtgedanken entstehen, in seinem Fall Gedanken an eine Flucht mit Hilfe der Dinge und gleich mit ihnen. Die Gedanken wurden zum Plan, der Plan begann, sich zu verdeutlichen: Die Zinkwanne wäre sicher stolz, ein gutes Boot zu sein und froh, das Wasser um sich und nicht mehr in sich zu haben. Dem Besen, zum Ruder befördert, bekäme jodhaltige Seeluft sehr gut. Die Kommode, im Schlepptau als Kajüte dienend, bräuchte den Spott von Pflanzen und Bäumen nicht mehr zu ertragen. Dem Sofa, dem Ofen und dem Klo, allesamt leider nicht seetauglich, würde er einen, seiner Ansicht nach, genialen Vorschlag unterbreiten. Er würde das belastungsmüde Sofa an den kohleüberdrüssigen Ofen verfüttern, der darob rotgleißend schmelzen würde. Das schmelzende Ofensofa würde für das Klo eine wohlbekömmliche Abwechslung darstellen, von der es sich nicht mehr trennen wollte und auch könnte nach dem Erkalten. So könnten sich die drei Daheimgebliebenen vereint für alle Zeit ihres Freundes und Wohltäters erinnern und blieben von allen weiteren Belästigungen verschont. All diese anstrengenden Überlegungen hatten seinen Kopf zum Lodern gebracht. Mutter schaute vorbei und nahm die Loderröte als Fieber und den vermeintlich kranken Knaben auf den Arm, um ihn zartfühlend zu wiegen. Das tat ihm gut und mit Genugtuung stellte er
fest, bevor er wegnickte, dass dieses mütterliche Schaukeln schon mal vorab seine Seefestigkeit bewies.




Flohmarkt



Auf Flohmärkten versuchte er vergeblich, sich eines ganz bestimmten Augenmerks zu entledigen, nämlich dessen, vielleicht hier und diesmal einen jener alten, ledernen Gestapo-Mäntel, absoluter deutscher Qualitätsproduktion, aufzutreiben. Mit so einem Teil wäre Winterkälte Vergangenheit, so seine jedes Mal wieder rechtzeitige Rechtfertigung. Doch wenn er dann in den Bereich von Ständen mit Bekleidungsstücken kam, kamen, auch rechtzeitig, Bedenken. Weniger wegen der möglichen Vergangenheit der Winterkälte als wegen der wahrscheinlichen Vergangenheit des Mantels. Diesmal hatte er es wieder geschafft, keinen aufzustöbern. Statt dessen trug er einen würdig-antik wirkenden kleinen Armleuchter nach Hause. Während des Heimweges und noch Stunden danach konnte er ein seltsames Gefühl, irgendwas zwischen Erlösung und Entlarvung, nicht abschütteln.



Aussage



Man könnte ein Restaurant durchaus mit einem Gerichtssaal vergleichen, lautete ein Wort eines Speiselokalgastes an seine Begleiterin. Sie, die ihn zu kennen glaubte, rechnete mit einem nun folgen werdenden Kalauer. Es folgte tatsächlich einer, noch dazu ein sehr langer ausführlicher, der sogar mit der Zeit regelrecht analytischen Charakter annahm. Aus Sorge, dass ihm der Gedanke käme, das Lokal mit einer Psychotherapeuten-Praxis gleichzustellen, vermied sie es jedoch, ihn darauf hinzuweisen.


Vorstellungsgespräch



Beworben hatte er sich. Ein Schreiben, in dem stand, dass die Unterlagen, Zeugnisse ein persönliches Gespräch weiterführend wirken lassen könnten, ist angekommen. Übermorgen, 11 Uhr, bei Herrn Z., Personalabteilung. Zeit genug noch, sich vorzustellen, wie so ein Vorstellungsgespräch ablaufen könnte. Ob die sich wohl vorstellen, dass er sich vorstellte, wie er sich sich vorstellte, so dass er deren Vorstellungen von seinen Vorstellungen von sich entspräche? Ob er, wenn er das täte und es ihm gelänge, er den Job bekäme, hinterher noch wüsste, wer er eigentlich sei. Oder ob ihm das dann erst mal egal wäre wegen des Neubeginns. Aber wenn dann über kurz oder lang Selbstzweifel ihn plagten, das Bedürfnis, sein wahres Ich, das er hoffentlich noch ahnen würde, wiederzufinden? Vielleicht könnte er sich ja dann beim Personalleiter erkundigen, ob dieser sich vorstellen könnte, wie er vor dem Vorstellungsgespräch geartet war...
Noch zwei Stunden, also noch mal. Diesmal ganz logisch, sachlich, konzentriert.




Der Chef



Irgendwann hatte es auch meinen Chef erwischt. Dass wir doch alle im gleichen (!) Boot sitzen und die viele anstrengende Arbeit doch nur unser aller Brot sichere, waren einige der Worte, die er nun immer an jeden von uns richtete. Wenn er ganz schlecht gelaunt war, behauptete er gar, dass an jeder Straßenecke Dutzende von Willigen warten, die für den halben Lohn das Doppelte zu leisten bereit seien. Ein Kollege, der mal in einem Betriebsrat gewesen war, meinte neulich, dass die das alle sagen und damit skrupellos die Situation auf dem Arbeitsmarkt ausnutzen. Der Chef, gerade um die Ecke kommend, kriegte das mit und meinte gleichzeitig vorwurfsvoll und beschwichtigend, dass er doch nichts weiter als Genug(-)tuung verlange. Der Respekt vor dem Arbeitgebertum sank in diesem Moment im gleichen Maße wie unsere eigentlich ganz vertretbare Arbeitsleistung.


Bibelfest oder festgekocht?



Dass man freitags kein Fleisch essen dürfe, ja dass das sogar eine beichtpflichtige Sünde sei, steht, wenn ich`s recht erinnere, im katholischen Katechismus. Dass man am Karfreitag keine Kartoffeln essen solle, ist wohl eher ein Scherz. Wenn`s denn doch keiner sein sollte, würde mich das auch nicht wundern. Mit Wundern jedoch beginnt die Einleitung der Ausweitung des Themas Bibel und, Gott sei Dank, wird`s auch gleich lästig, so dass man sich wieder weltlichen Dingen widmen will.



Der Graupelschauer



Seit mehr als einer Stunde fuhr ich gegen den Wind durch den Nieselregen. Egal ob die Straße nach Süden, Norden, Westen oder Osten führte, immer Gegenwind. Jetzt gab`s auch noch so einen aprilartigen Wettersturz. Aus dem Wind wurden Sturmböen und aus dem Nieselregen wurden Graupelschauer. Eigentlich nicht weiter verwunderlich. Als ich jedoch am Wegesrand eine hockende, zu Boden blickende Gestalt wahrnahm, wurde mir etwas mulmig zumute. Wetterwechsel sind meteorologische Zufälle, mehr oder weniger. Aber in einem Graupelschauer einen Graupelschauer zu finden, hatte schon etwas schauerliches. Endlich wieder daheim, machte ich mir einen Teller Nudeln. Diese langen dünnen. Dabei kam mir der Gedanke, dass sich diese Person am Straßenrand ja womöglich nur den Schuh zugemacht hat. Einerseits erleichtert hatte ich andererseits plötzlich keinen Appetit mehr auf Nudeln.


Beschlossen



Morgenstund hat Gold im Mund! Dachte Herr Egel morgens und war dabei allerdings nicht so glücklich wie er eigentlich sein wollte. Die Goldkronen, die er sich auf seine kariösen Backenzähne hat setzen lassen, schienen ihm nicht unbedingt sicher verwahrt zu sein. Acht an der Zahl und zu achtzig Prozent von der Zusatz-Krankenversicherung bezahlt, erhöhten sie, wenn auch eher unbewusst, sein Selbstwertgefühl, beziehungsweise das, was er, auch eher unbewusst, dafür hielt. Herr Egel war ein Mann der Tat. Er kaufte sich ein kleines Bügelschlösschen und ging in eines von diesen Piercing-Studios und ließ sich in die Mitte der Ober- und Unterlippe je ein Löchlein bohren. Abends im Bett dachte er mit einem wichtigen Gefühl der Sicherheit, vor allem seines Kronengoldes, dass, wenn diese Nacht ein Einbrecher käme, so ein hektischer Anfänger, Hände hoch, Geld oder Gold raus, riefe, er blitzschnell das Schlösschen in die Lippen schöbe, den Bügel einschnappen ließe, den Schlüssel aus dem Fenster würfe, die Hände, leicht nach außen abgewinkelt, höbe und schmunzelte, soweit sein Schlösschen dies zuließe.



Dreieiig



Die Kollegin empfing ihn Montag morgens mit dem schrillen Ruf, dass sie ihn am Wochenende in einem Café in der Nachbarstadt gesehen habe. Seinem Einwand, seit Jahren nicht mehr in dieser Stadt gewesen zu sein, folgte ein Protest, schrill natürlich, dass sie sich da aber ganz sicher sei. Dann könne es sich wohl nur um einen seiner beiden Zwillingsbrüder gehandelt haben, beschied er und ließ damit die Kollegin stutzend verstummen.


Die Treppe



Manchmal scheinen Erziehungsberechtigte/-verpflichtete ganz froh zu sein, wenn das zu behütende Kindsobjekt sich verdrückt hat. So hatte Fritzchen das am frühen Nachmittag seltsam ruhige Treppenhaus für sich allein. Eigentlich nichts besonderes. Der untere Bereich stand für das Böse, Frau Scheurenberg, die Leibhaftige, die immer jeden Moment aus ihrer Küchentür rausgekeift kommen konnte. In der Mitte die elterliche Wohnung, zu vertraut um bei so einer Gelegenheit interessant zu sein. Oben wohnten welche mit einem komischen Kind. Die waren fast nie da und trotzdem roch es ab einer bestimmten Treppenstufe irgendwie eklig. Ganz oben war der Speicher zum Wäscheaufhängen, den Fritzchen niemals alleine betreten hätte. Denn es war ja nicht auszuschließen, dass zwischen den Laken, die wegen der offenen Dachluke wehten, auch mal ein richtiges Gespenst sitzt. Zwischen dem oberen und dem mittleren Bereich war also der geeignete Forschungsraum. Die wurstig gedrechselten Speichen des Treppengeländers, gerade mal eine Kindskopfbreite auseinander, lockten. Wenn man den Kopf da durchsteckte, könnte man prima in den Scheurenbergschen Abgrund gucken. Gedacht, getan, geguckt. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Ohren wirkten nämlich wie Widerhaken und wären womöglich abgerissen, wenn Fritzchen sich zu zwängen versucht hätte. Kleine Kinder neigen zum Weinen in bedrohlichen Situationen, doch Fritzchen war in seiner Lage, eingeklemmt zwischen Böse, Vertraut, Fies und Unheimlich, von seiner eigenen Gefasstheit überrascht. Ja, es genoss sogar für einige Augenblicke sein Gefangensein. Vielleicht hat auch ein zuverlässiges Schutzenglein Einfluss genommen und die Einmischung anderer verhindert. Fritzchen hat sich jedenfalls ganz behutsam, mit zusammengebissenen Milchzähnen selbst befreit. Es wusste hinterher sogar zu unterscheiden, dass das Böse die Lage brutal verschlimmert hätte, das Gute in Muttis Person besorgt aber unachtsam das Köpfchen rausgerupft hätte. Und das Unheimliche? Gar nicht auszudenken! Eine gewisse Verbundenheit mit diesem Treppenabschnitt hielt noch ein paar Tage vor und sogar heute noch meldet sich bisweilen ein feines Stimmchen im Kopf, in einem Treppenhaus doch noch mal denselben durch die Speichen zu stecken. Von wegen!



Heldenhosen



Sie hatten einen Kurzurlaub in London geplant. Mit einer Bus-Reisegesellschaft. Sogar die Tickets waren schon besorgt. Es war immer noch ungewiss, ob man durch den neuen Tunnel oder mit der Fähre führe. Beide Möglichkeiten bewirkten Beunruhigung. Um dieser zu begegnen, kaufte er sich kurz vor der Abfahrt eine zweite Badehose. Besorgt, dass was passieren könnte, war er zwar immer noch, aber er hatte jetzt endlich die leopardenfellartig bedruckte, die seit Jahrzehnten auf seiner geheimen Wunschliste stand.


Blöße



Nur dieses eine Mal wollte er durch eines dieser Bohrlöcher in den Umkleidekabinen des Schwimmbades gucken. Nur um das, was die meisten anderen Badegäste sicherlich routinemäßig tun, wenigstens auch mal getan zu haben. Genau! Um des inneren Friedens willen, dieser Belästigung durch das
Abwendliche zu begegnen! Der Zufall wollte, dass just im selben Moment in der Nachbarkabine ein Mensch das gleiche Friedensbedürfnis hatte. Oh! Stille, Abwarten. Während des Schwimmens wurde er von einer neuen Belästigung heimgesucht: dem sich permanent wiederholen wollenden Gedanken Geteilter Friede ist halber Friede. Er beschloss darob, beim nächsten Mal, zum Abschluss, in eine hörbar leere Kabine zu lauern.


Der Traumjob



Da sie in dieser Woche schon drei Mal von ihrer Firma und ihrer Arbeit geträumt hatte, legte sie es sich nahe, diese Zeiten als eine höhere Form der Anwesenheit und somit völlig berechtigt als Überstunden zu berechnen. Davon, ihrem Chef, dessen offenes Geheimnis das Fälschen von Bilanzen ist, zu gestehen, dass diese Träume eher unproduktiven Inhalts waren und wohl auch weiterhin sein würden, versprach sie sich sogar eine Vertiefung des Vertrauensverhältnisses.



Zeitverschiebung



Man soll ja möglichst ausgiebig frühstücken, heißt es. Wenn das nur nicht soviel Zeit beanspruchen würde! Gleich nach dem Abendessen, das ja eher bescheiden ausfallen sollte, wie es ebenfalls heißt, ein üppiges Frühstück schon einzunehmen, würde kostbare Zeitersparnis bedeuten. Die eingesparte halbe Stunde ließe sich morgens zum Duschen und zum Deuten der Alb- und Angstträume, die das Duschen dringend notwendig gemacht haben und, nun ja, vom überladenen Magen herrühren dürften, nutzen. Und wenn die Albdrücke gar kurz und unkompliziert ausgefallen sein würden, wären sogar noch ein paar Minuten der andächtigen Vorfreude aufs Abendbrot übrig.




Rezept zur Umsatzsteigerung?



Beim Verlassen einer Imbiss-Stube konnte er sich schon einen gewissen Reim auf den Gehalt dieser Grußformel machen. Als er aber beim Verlassen seiner Apotheke diesmal sogar dieses Schönen Tag noch! vernahm, überkam ihn ein nirgends einzuordnendes Unwohlsein, verstärkt noch durch die Gewissheit, weder seinen Arzt noch seinen Apotheker darauf ansprechen zu mögen.


Ohne Gehaltsforderungen



Man hatte sie aufgetrieben, beziehungsweise, sie hatten sich auftreiben lassen und saßen nun in der Talkrunde am Mittag. Thema: Warum hast du Schluss gemacht? Mehr oder weniger live, die Anspannung der Gewissheit, von Millionen ähnlich Gesinnter gesehen und gehört zu werden, ins leicht gepuderte Gesicht geschrieben. Die Moderatorin übersetzte girlie-zickig sympathiebewusst die gegenseitigen Vorwürfe aus dem Gehaltlosen ins Sinnlose. Kurz vor Sende-Ende sein Geständnis: Er habe sie nur angemacht, ein paar Wochen rumgemacht, dann Schluss gemacht, um die vorher schon vorbereitete Bewerbung für eben diese Show abzuschicken. In die Frage, warum wohl sie ihn gleich wochenlang ertragen habe, legte sie ihren, schnell noch durch die Moderatorin sinnenthobenen, Triumph.



Zwei kleine Spieße



Unsere Tochter in Stöckelschuhen? Mom war strikt dagegen, Dad auch. Allerdings eher etwas unglaubwürdig. Als er merkte, dass Mom das merkte, ergänzte er noch rasch mit orthopädischer Bedenklichkeit. Aber sie habe so was doch auch mal, und sogar mit sichtbarer Vorliebe, getragen, könne man auf den alten Fotos sehen, so der Tochterprotest. Dass das überhaupt nicht zur Debatte stehe und irgendwie was ganz anderes gewesen sei, blockte Mom ab. Dad hielt sich jetzt raus. Dass Mom mit ihren Hochhackigen seinerzeit drei empfindlich männliches Selbstvertrauen schwächende Zentimeter größer als er erschienen war, wollte er schon für sich behalten. Die von der Tochter mit ihrem Freund schon erörterte Größe des Generationsgrabens war das Stichwort für Mom. Wie groß denn ihr Freund eigentlich sei, wollte sie wissen und dabei geriet ihr unauffälliger Blick in Dads Richtung gar zu auffällig. Nach dem einstweiligen Rückzug der Tochter aus taktischen Gründen fühlten sich Mom und Dad auf eine seltsame Weise neu verbunden.




Weinen



Endlich! Das Weinen der Männer ist enttabuisiert! Bis sich so was mal durchgesetzt hat, die letzte peinliche Hemmung gefallen ist! Es kann einem Mann in gemischter Runde sogar Punkte bei den Damen einbringen. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Einfach mal drauflos flennen, schluchzen und mit tränenverhangenen Augen nach der Wirkung lugen wird nicht anerkannt, auch nicht, ja erst recht nicht, wenn`s aufrichtig geweint war. Es sollte doch schon etwas stilvoller tröpfeln und sich vom Jedermannsgeheul unterscheiden. Ein guter Weiner gibt sich im Alltag eher etwas hart, willensstark, durchsetzungsfähig, ein bisserl draufgängerisch, ein wenig einsam. Das Ganze, sorgsam aufeinander abgestimmt, ergibt den idealen Kontrasteffekt beim Überraschungskullern der Tränen. Sensibel, spontan, herzlich, verwundbar oder gar wertvoll darf man sich hinterher, oder bei Routine sogar schon währenddessen, fühlen. Klingt das nach Marktlücke? Ob man die eine oder andere Schauspielschule in der Sommerpause zur Einführung eines entsprechenden Kurses bewegen könnte? Nicht? Warum nicht?


Kreidezeit



Immer brutaler und unberechenbarer geht es auf dem Schulhof zu. Durch Film, Fernsehen, Video, Internet werden die Kids mit negativen Anregungen überschüttet und allein gelassen. Was sie wohl heute wieder für Mordwerkzeug in den Taschen haben?, denkt in der großen Pause ein Lehrer, voll der Sorge. Was ich nicht weiß, macht mich nicht kalt! zitiert er gleich darauf gleichzeitig zur Beruhigung und Belustigung ein Sprichwort. Vorsätzlich ein wenig falsch. Wie zur Warnung schreibt sich mit kratzender Kreide die Formulierung Vorsätzlicher Affekt auf seine innere Tafel.



In der Zone



Auf dem Fahrrad, mühsam ums Gleichgewicht bemüht, durch die Fußgängerzone zu schlängeln, ist lästig und ziemlich anstrengend aber halt trendy. Eine Trinkdose oder -flasche beim City-Walking griffbereit zu halten wie wenn man jeden Augenblick jemandem zuprosten müsste, ist auch trendy und lästig. Vor allem, wenn man gar keinen Durst hat, obwohl man nach jedem Döner ohne Hunger eigentlich welchen haben müsste. Derartiges zu beobachten wird auf Dauer auch lästig. Doch wenn es dann endlich zu regnen aufgehört hat, falls es noch regnen sollte, kann man wenigstens zur Entspannung den Schirm aufspannen.


Faselfaser



Damit, dass sich die Entwicklung der Nachrichtenübermittlungstechnik ziemlich sicher über die gemeine Flaschenpost weiter zur Brieftaube, dann vom Wellensittich zum Kurzwellenfunk und weil dieser nur kurze Nachrichten zuließ, sich rück- und weiterführend über das Glas der Flaschenpost zum Glasfaserkabel vollzogen haben soll, könnte man zumindest in der mündlichen Prüfung einer entsprechenden Berufssparte für von Unwissenheit ablenkende Verwirrung sorgen.


Action



Ein Groschen Eintritt. Kasperl gut und fröhlich, Gretel lieb, Großmutter gerecht und gütig, Krokodil hinterhältig und böse, Teufel böse und hinterhältig, Seppl naiv, Hanswurst dumm.

80 Millionen Produktionskosten. Robin Williams gut und fröhlich, Meg Ryan lieb, Joan Collins gerecht und gütig, Jack Nicholson hinterhältig und böse, Anthony Hopkins böse und hinterhältig, Tom Hanks naiv, Sylvester Stallone dumm.

Der Wert des Groschen war gefallen, der des Dollar gestiegen. Sonst war alles beim alten geblieben.



Frühstück



Eine Muku und ein Hotta gingen über eine Wiese um Heu zu pflücken. Sie fanden Heu lecker und haben es aufgegessen. Unter dem großen Hotta war noch ein kleines, ganz neues. Das wollte immer dem anderen in den Bauch beißen um Milch zu trinken. Bei der Muku ging das nicht, weil der seine Milch verkauft wird und das kleine Hotta bestimmt kein Geld hatte. Vielleicht hatte es aber auch Angst, weil bei der Muku oben am Kopf zwei spitze krumme Stöcke rauskamen.



Bildungsbürger



Kuck ma! Der eine Löwe ist ganz schwarz aber der andere ganz bunt! Wie kommt das? So rief der kleine Junge im Zoo. Das ist die beim südamerikanischen Jaguar häufiger anzutreffende Abnormität der Fellzeichnung, den schwarzen Jaguar nennt man überdies Panther! So beantwortete der stolze Vater die aufmerksame und kluge, na gut, die etwas klüger gestellt gewesen sein könnende Frage seines Sprösslings.




Fußböden



Er lebte in einer recht unkomfortablen Altbauwohnung. Der Linoleumfußboden war vor allem winters widerlich eiskalt an den bloßen Füßen. Weil er geizig war, wollte er sich diese herrlichen, braunen, knöchelhohen Kordpantoffeln nicht gönnen. Sein Vermieter kündigte ihm, er zog in eine kleinere und sogar billigere Neubauwohnung mit Heizung und Teppichboden. Er freute sich. Bei einem Schaufensterbummel sah er seine Kordpantoffeln. Um 50% reduzierter Preis! Er ärgerte sich und erzählte seiner Amme davon, die darauf lediglich sagte, dass er immer schon ein schwer zufrieden zu stellendes Kind gewesen sei. Komischerweise gab er sich mit dieser Anmerkung zufrieden.


Essen in Essen und Köln



Mit nur fünf Teilnehmern war dieser Kurs Dialekte zwischen Rhein und Ruhr in der VHS wohl recht schlecht belegt. Der Kursleiter gab sich Mühe, seine Enttäuschung mit Jovialität zu übertünchen, erreichte aber eher das Gegenteil damit. Doch auch für die Teilnehmer stand Enttäuschung im Vordergrund. Man hatte sich etwas ganz anderes vorgestellt. Irgendwas mit kölschem Karneval und Büttenreden oder die legendären Tegtmeier-Reden. Statt dessen ging es gleich los mit dem Phänomen der unterschiedlichen Aussprache der unterschiedlichsten Wörter. Wahrscheinlich hatte der Kursleiter mittags so was gegessen, denn das Wort Wirsing stand auf dem Programm der ersten Stunde. Wenn der Rheinländer Wirsing sage, dozierte er, so klinge das wie wirr singen nur ohne en am Ende. Im Kohlenpott dagegen höre sich diese Kohlsorte nach wir singen an, natürlich auch ohne en am Ende. Am Ende dieser ersten Stunde konnten die Teilnehmer immerhin noch weitere Wörter wie Wurst, Erbsen, Spiegelei nach rheinischer und ruhriger Aussprache unterscheiden. Allerdings ist der Kurs nach dieser ersten Stunde mangels Anteilnahme gewissermaßen von der Speisekarte gestrichen worden



"Das Honigkuchenpferd" von Ulrike Oppel, Krefeld


Das Ross



Zweifellos genoss das kleine Ross, Spross einer Ritterrösserrasse, dass die launische Natur ihm nur vier kurze Beinchen hat wachsen lassen. Was blieb ihm nicht alles erspart! Cowboys und Jockeys, Kutschen und Karren, Hürden und Sporen. Und wenn es dann endlich aufgehört hat, zu schneien, will das kleine Ross zum großen Meer reiten und sich von Selma, dem Seepferdchen, das Schwimmen beibringen lassen.


Kuchenteig



Wenn Mutti Kuchen machte, musste man unbedingt dabei sein. Wegen der Gewissheit, dass man gleich die Teigschüssel ausfingern durfte. Beim Zusehen beim Mischen der Zutaten wäre man nie auf die Idee gekommen, sich vorzustellen, wie das wohl wäre, wenn man ein rohes Ei, einen Löffel Mehl oder ein ganzes Stück Butter essen müsste. Endlich, wenn der Teig in der Kuchenform war, durfte man mit dem Finger durch die Schüssel fahren. Herrlich süß! Es konnte vorkommen, dass noch recht viel Teig in der Schüssel war, dann wurde zum Schluss aus Genuss ein ziemlicher Ekel. Und man war nicht mal sicher, ob der von dem Finger herrührte oder von dem angerührten Vorkuchen. Aber das kannte man und nahms in Kauf, denn Teig und Kuchen gab's gar nicht mal so oft.



Abgeschütteltes



Sorgen sollten einen nicht kümmern, die könne man doch einfach abschütteln. Ein zu allen Zeiten bekanntes und beliebtes Prinzip, wohl an die Bewegtheit der Bäume angelehnt. Doch die abgeschüttelten Blätter faulen um den Stamm herum, zersetzen sich, werden von düst'rem Regen den Wurzeln als Nahrung zugespült. Von den alten Wurzeln aufbereitet, wird die Nahrung zu den jungen, neuen Blättlein geschickt und schon geht der Ärger wieder von neuem los. Wäre man dem Baum verwandter, könnte man mit dem Wechsel-Rhythmus Weg mit den alten, her mit den neuen! eigentlich ganz gut zurecht kommen. Im kalten Winter, ausgerechnet, wäre man gar gänzlich sorgenfrei. Doch halt, gleich mehrere Monate lang würde eine Sorge frostig durch die kahlen Äste pfeifen, nämlich ob im Frühjahr auch wieder was käme, zum Rauschenlassen im Sommer, zum Abwerfen im Herbst. Jetzt stellt sich eine jahreszeitenunabhängige Sorge ein: das Abschütteln hat womöglich gar nichts mit den Bäumen zu tun, sondern ist von den Hunden, den zuvor ins kalte Wasser gesprungenen, abgeschaut. Wie dem auch sei, meine Sorge soll's nicht sein. Ich hab das hier nur aufgeschrieben. In einer blattlosen, sorgenfreien Stunde. Dass ich dabei letztendlich auf den Hund gekommen bin, ist jetzt auch nicht mehr so wichtig.


Gelegenheit



Er wurde immer öfter immer schneller müde. Irgendwann dann ganz schnell. Er setzte die Idee in die Tat um und band sich eine Luftmatratze auf den Rücken. Bei Regen ging er dann ein wenig vornüber gebeugt. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Eigentlich sogar drei.



Treten erbeten



Drei in Hundekot, Kaugummi, Frittenkotze getretene Personen gründeten eine Interessengemeinschaft. Eine vierte, von Taubenkacke seitlich am Kopf und an der Schulter getroffene Person wollte beitreten. Abgelehnt. Mit der Begründung, dass eine eher passive Betroffenheit nicht zu den Interessen der Gemeinschaft passen würde.


Erster Bildungsweg



Kinder sollen wollen dürfen. Wenn es pädagogisch vertretbar erscheint. Bist du noch klein und hast du den Bogen erst mal raus, wie man einen Bedürfnisantrag erfolgreich stellt, dann ist das gut. Das kannst du dann später, wenn du groß bist, nutzen. Du musst dich dann nur vor denen hüten, die dereinst nicht sollen wollen durften, sondern, umständehalber, nur müssen konnten.




Ohne Überschrift



Erst wollte er sich ganz elegant über einen ihm tagsüber in der Stadt aufgefallenen Althippie auslassen. Abgelehnt. Von der inneren Zensur. Zum Trost sollte ein komplizierter Ansatz einer Kindheitserinnerungserörterung entstehen. Klappte nicht. Zu kindisch für Kinder, zu erwachsen für Erwachsene. Dann folgte ein Fantasieversuch: Wenn ich plötzlich nur so groß wäre wie ein kleiner Zeh. Außer einem Jucken an einem dieser Fußzipfel kam nur die Überlegung, ob man denn lieber ein linker oder ein rechter Zeh... Zu wenig (zu viel). Dennoch der Durchbruch: Dichten darf man doch!

Ein langer Zopf
Floh von einem Kopf.
Flog gaukelnd durch die Gassen
Und ließ sich dort nicht fassen
Hieß Hände ringen
Die ihn nicht fingen.
Dem Fall in eine Sudelpfütze
Folgte Sehnsucht
Zurück zur Pudelmütze.

Dann wollte er weiterdichten. Über Hippies, Kinder, Zehen. Und hörte einen Selbstvorwurf, frei nach dem alten Zopf Wenn man dir den kleinen Finger reicht, willst du gleich den ganzen Fuß!




Heckenschutz



Lust verspürend, dem kindlichen Wundern nachzuspüren, möchte er in die ferne Vergangenheit schweifen, in der alles noch so herrlich gleichzeitig wichtig und unwichtig, bedeutungsvoll und bedeutungslos war.

Vielleicht damals schon gestellte aber verflogene Fragen tauchen heute wieder auf. Fragen zum Wechsel von berstend, lärmend ausgefüllten Stunden mit anderen Kindern und den scheinbar endlosen, einsamen, glücklichen, seligen. Wie kam das, wo waren dann die anderen? Welche Stunden waren die schöneren? Egal, einfach offen lassen. Es gab halt keine schöneren oder schlechteren. Das wäre eine viel zu erwachsene Form des Abwägens gewesen. Gut, dass die Fragen fortgeflogen sind, damals, und die Antworten gleich mitgenommen haben. Die einsamen wie die geselligen Stunden waren auch nur den Kinderdimensionen entsprechend endlos oder ausgefüllt, möchte man heute deuten, dem Klärungsdrang des Erwachsenen nachgebend. Das Rumtoben mit den anderen mochte ein Nachmittag gewesen sein, bis es vom Fenster her rief: Friihiitz, reinkommen! Die Einsamkeit mochte zwei Stunden, zwischen Mittag und Nachmittag, gedauert haben. Die schon in die Schule gingen, mussten Hausa machen, die noch kleineren womöglich einen Mittagsschlaf und nur die, die das Glück hatten, aus wirtschaftlichen Gründen der elterlichen oder sonstigen Obhut entronnen zu sein, durften sich sich selbst überlassen. Fritzchen durfte das und tat das auch gerne in dem Loch in der Hecke vor dem Gemüsegarten eines brummeligen Nachbarn. Wie geschaffen für ein Sechzig-Zentimeter-Männlein. Wenn Fritzchen da reingeschlüpft war und ein paar Zweige vor den Eingang gebogen hatte, wusste niemand mehr auf der Welt, die damals C.-Straße hieß, dass in dieser Hecke etwas hockte, das den Dingen, ohne es selbst zu ahnen, einen Unsinn verlieh. Doch dieser Unsinn war weit entfernt von Erfassen, Zuordnen, Fortführen und Registrieren. Personen auf der Straße mochte Fritzchen, oder das was ihn lenkte, nicht erkennen, benennen und deren Herkunft und Ziel war schon ganz unerheblich. All das wusste man doch schließlich schon. Viel schöner war es, die Leute als bewegte, bestimmte Geräusche machende Bilder zu genießen. Was da so alles vorbeikam an mehr oder weniger roten Nasen und Wangen, Augenbrauen, Lippen, Falten. Das Hochziehen der Nase, das Husten, Rumdrehen zur Seite, nach oben gucken war bei Röcken und Hosen irgendwie gleich und trotzdem verschieden sympathisch und vertraulich. Wenn schon mal eine oder einer ganz zufällig auf die Hecke schaute und der irgendwie leere Blick, ohne es zu sehen, in Fritzchens Augen traf, dann wirkte das auf es wie wenn es von einem verlaufenen Verbot gestochen würde. Der halben Sekunde folgte dann ein minutenlanges Herzklopfen, das schließlich von der Gewissheit des sicheren Geborgenseins in der Hecke wieder besänftigt wurde. Erst erleichtert, freute es sich aber auch schon auf die nächsten Augen mit roter Nase, dicken Lippen, Rock oder Hose darunter. Einmal, obwohl es sich da heute nicht mehr ganz sicher ist, hat Fritzchen gedacht, oder gefühlt, dass es ganz angenehm wäre, für den Rest des Lebens in der Hecke hocken zu bleiben. Doch, da war so was. Zum Glück gab es aber damals schon die göttlichen Ratschlüsse und die Fügungen, denen man sich fügen musste. Diesen zufolge ist es dann nämlich irgendwann vorbei mit dem herrlichen Heckenschutz. Die ersten Hummeln kommen geflogen, zu prüfen, ob es da drin noch was zu bestäuben gebe. Bei den Ameisen ist die anfängliche Zurückhaltung zunehmender Emsigkeit gewichen und nun wollen sie sich dieses womöglich für die Vorratskammer geeignete Objekt mal näher ansehen. Das Kribbeln, Krabbeln, Hummelsummen wird dann endlich zuviel und Fritzchen will zurück in die Welt. Eine innere Stimme klingt auch schon wie Raufkommen, Essen! Später dann, nach Kartoffeln, Wirsing, Bratwurst und einem Stündchen wohligen Erschöpftseins im Familienkreise geht's ins Bett. Mit letzter Sinneskraft werden die Tagesattraktionen, das Heckenloch und dann die Äuglein geschlossen.




Der Geneckte



Ziege, Ziege! Hahaha du Ziege! Damit wollte ein kleiner Junge ein kleines Mädchen necken. Ansatzweises Hüpfen, Nasezeigen, Grimassengrinsen sollten seinen Spott noch unterstreichen. Wenn ich eine Ziege bin, dann bist du ein Dachziegel, mindestens! So der zarte Ausruf des Mädchens. Es ahnte wohl kaum, dass es mit diesem kindlich unschuldigen, ja eigentlich völlig sinnlosen Kontern dem Knaben eine länger dauernde, segelohrige Verwirrtheit beschert hatte. Das war, auf lange Sicht, vielleicht auch besser so.



Interesse



In kleineren Orten ist eigentlich alles interessant. Notgedrungen. Denn was passiert da schon groß, dass es an sich interessant wäre? Sich ergänzend mit den Fernsehnachrichten zu befassen, wäre unbefriedigend. Was da passiert, ist alles irgendwie unwirklich und so weit weg. Und man kennt da auch kaum jemand persönlich, um sich ein gerechtes Urteil zu bilden. Daheim hat man's da dann doch leichter und wenn man schön Acht gibt, kann man schon alles Mögliche bemerken und beurteilen. In der Enge des heimatlichen Umfeldes kann es aber auch vorkommen, dass aus dem zweifellosen Beurteilen mangels anlässlicher Substanz ein zweifelhaftes Verurteilen wird. Deshalb vermeidet man bei der Weitergabe von Beachtetem tunlichst die Nutzung von Personalpronomen und überlässt einer neutralen Unperson die Erfassung eigentlich schon belegter Tatsachen. Im Falle eines Irrtums kann sich diese dann rechtfertigen, denn von ihr hat man ja schließlich die Information. Hier eine kleine Kostprobe dessen, was sich in einer Märzenwoche in einem kleinen Ort, dessen Namen man nicht nennen möchte, so alles herumgesprochen hat:

Man munkelt, der dünnfellige Hund Hubers sei eine Notzüchtung. Dem Gemunkel, Neumann sei gar kein Kriegsinvalide, wolle man lieber nicht nachgehen. Auf das Gemunkel, dass ausgerechnet die kleine Rosenberg, gegen ihren Willen, von den Eltern zu einem Schlagerwettbewerb befohlen worden sei, habe man herzlich lachen müssen. Der Sohn vom Wirt des Jägerstübchens, den man schon länger nicht mehr gesehen habe, munkelt man, sei mit einem Mann durchgebrannt. Schon bekannt, aber dass das der Grund dafür sei, dass das Fräulein Lehrerin noch spröder, kälter geworden sei, ist frisches Munkeln. Doch genug, denn die Behauptung Wagners, Johann-Wolfgang, das einzige Waisenkind des Ortes, sei womöglich ein Homunkulus, erreicht die Grenze des Vertretbaren.




Flug und Trug



So kalt und anonym und, mal abgesehen von den täglichen, kleinlich-lächerlichen Empörungen über unterschiedlich egoistisches Sozialverhalten, ereignislos sind Hochhäuser eigentlich gar nicht.

Wenn man ganz früh morgens, oder besser noch: ganz spät nachts einen Lauerposten am Fenster, oder besser noch: auf dem Balkon bezieht, kann man die unglaublichsten Beobachtungen machen. Erst neulich war da das Treiben eines männlichen Menschen zu beobachten, ein Treiben von solch absonderlicher Eigentümlichkeit, dass der spätnächtliche Balkonschauer, der aus Dingsda, Datenschutz oder so was Ähnlichem lieber nicht namentlich genannt werden mochte, sich geradezu genötigt sah, das Erlebte schriftlich festzuhalten.

Keine Sorge, nicht der taumelig-erschöpfte, frustrierte Kneipenbummel-Spätheimkehrer, der, vor sich hin brummelnd, singend oder grölend, vielleicht ein Breilein aus noch fast ofenfrischer Pizza mit wohligem Ächzen auf dem Asphalt verteilend, seines Weges torkelt, soll hier beschrieben werden. Vielmehr ein Männlein unschätzbaren Alters lugte aus einer sich zaghaft öffnenden Tür eines gegenüberliegenden Hauses. Es wirkte ein wenig schlaftrunken, schien nach Orientierung zu suchen und tapste, es mochte am Licht der städtischen Straßenlaternen und/oder der den Sinnen Streiche spielenden Nachtzeit liegen, gleichzeitig wie völlig nackt und vollständig bekleidet scheinend, auf die Straße. Obwohl die Straße glatt und hindernislos war, stolperte das Männlein plötzlich heftig, fiel aber nicht wie wohl erwartet, zu Boden, sondern verharrte verwundert in einer Art schräger Schwerelosigkeit. Es schien diese Haltung, diesen Zustand sichtlich zu genießen, denn ein vages Glücksgefühl veränderte die Mimik seines lichtblassen Gesichtes. Dieses Gefühl wurde jedoch noch im selben Moment von einem Zweifel an der Möglichkeit des Augenblickes verdrängt. Mit wenig Mühe richtete sich der kleine Nachtwandler auf, tat ein paar Schritte und simulierte, gewissermaßen, ein erneutes Stolpern. Neues Glücksgefühl! Es klappt tatsächlich! Keine Sinnestäuschung! Das spürte der Kleine, das sah der Beobachter vom Balkon. Und mehr noch: der Kleine schien zu überlegen und schon zu versuchen, den gerade, eher augenzwinkernd, gedachten Gedanken des Balkonsehers, ob das Männlein am Ende gar fliegen könne, beweisen und in die Tat umsetzen zu wollen. Erst ganz langsam, sicher wegen der nicht ganz unberechtigten Restzweifel, begann es, die ausgestreckten Arme vorsichtig auf und ab zu bewegen. Dieses instinktive, pragmatisch-folgerichtig wirkende Nachahmen der bei Vögeln selbstverständlichen Bewegungen sah schon recht befremdlich aus und wirkte weniger wie physikalische Notwendigkeit als wie die Erfüllung einer vertraglichen Vereinbarung. So als dürfte er nur fliegen, wenn er so täte, als ob er es könnte. Der Vertrag wurde erfüllt, das Männlein flatterte und flog. Erst nur wenige Meter hoch, dann höher und bald schon mit einer noch etwas unsicheren Kunstfertigkeit. Dabei schien der eindrucksvolle Nachbar laut mit sich selbst zu reden. Die Entfernung war zu groß, als dass der Beobachter hätte hören können, was der Kleine zu sich sagte, jedoch ließen die Umstände und die Bewegung der Lippen des Fliegenden eine naheliegende Deutung des Gesagten zu: dass es ein äußerst erhebendes Gefühl sei, so wie ein Vöglein durch die Lüfte... Zumindest etwas Ähnliches wird es wohl gewesen sein. Endlich landete das Männlein in seinem flugfähigen Übermut auf dem Flachdach eines Nebenhauses. Am Rande des Daches stehend schien ihm seine eben erbrachte Leistung, die Miene verriet es dem Betrachter, nicht mehr so ganz geheuer zu sein. Die Überlegung des Beobachters, in so einer brenzligen Situation doch lieber sicher zu gehen, sich nicht weiter auf die neue Begabung zu verlassen und kleinlaut, aber mit heilen Gliedern den Weg über die Feuerleiter zu nehmen, schien den Flieger zu erreichen und, schon ein wenig nachfühlbar, eine Trotzreaktion zu bewirken. Das Männlein wollte, musste auf dem gleichen Wege zurück auf die Straße, zurück nach Hause. Es wägte die möglichen Konsequenzen ab, und das vorsichtige Wiegen des Körpers, das Auf und Ab seiner Arme ließ darauf schließen, dass es sich im nächsten Moment für das möglicherweise Folgenschwere entscheiden würde. Die Beobachtung des Balkonmenschen wurde durch eine leicht unerträgliche Wahrnehmung ergänzt: so wie das Flugmännlein seine beiläufigen Gedanken aufgeschnappt zu haben schien, schienen sich dessen jetzt quälende Empfindungen auf ihn zu übertragen. So mochten sie beim Abflattern vom Dachrand beide das Gleiche fühlen, nämlich das langsame aber unaufhaltsame Nachlassen der Flugeignung, bewirkt durch ein Schweregefühl, das glauben macht, in der menschlichen Hülle, der Haut, sei statt der herkömmlichen Knochen, Sehnen, Muskeln, des Wassers und Blutes nur noch eine Füllung aus kaltem, nassen Sand; das Ganze von einer nicht zu beeinflussenden Energie gesteuert, deren Ziel und Laune man schlicht ausgesetzt war. Beiden, dem Flieger und dem Beobachter, bemächtigte sich nun gleichzeitig ein panischer Überlebensinstinkt und, wohl bedingt durch den nassen Sand, ein heftiger Blasendruck, der trotz der dramatischen Umstände eine recht kühle Berechnung zuließ: denn Pieseln ist gleich Rieseln, Rieseln macht leichter und leichter lässt sich's leichter fliegen, zumindest das vom Fliegenkönnen noch Verbliebene zu einem nur noch gemäßigt unerquicklichen Ende bringen.

So war's denn am Ende auch. Das Männlein landete erschöpf und sandig-verschwitzt auf der Straße, trollte sich benommen zurück ins Haus, aus dem es gekommen war und der Beobachter legte sich, zweifelnd, obwohl er die Balkontüre sorgfältig verschlossen und sogar einen Sessel vor die selbe gestellt hatte, noch eine Restnachtruhe zu finden, ins sichere Bett.



Abschied



Als es mit ihr zu Ende ging, wollte sie noch einmal, als letzten Wunsch, all ihre Angehörigen um sich versammelt sehen. Tochter und Schwiegersohn telefonierten was die Handies hergaben, denn Mutter/Großmutter war immer eine Seele von Mensch, die Güte und Milde in Person gewesen. Das war auch dem Enkel Peter, inzwischen ein termingeplagter Geschäftsmann, bewusst und so lenkte er noch während des Telefonierens seinen Wagen in die Richtung des Trauerhauses. Er geriet jedoch in einen Stau und kam etwa eine Stunde zu spät. Großmutter war schon verschieden. Einerseits war er sehr traurig, andererseits ein wenig enttäuscht, denn er hätte die alte Dame gerne einmal im Leben zornig gesehen. Wieder andererseits, wenn er rechtzeitig gekommen wäre, hätte es ja gar keinen Grund zum Zürnen gehabt und er bildete sich ein, unter dem weißen Laken so etwas wie ein Augenzwinkern wahrzunehmen.




Herr Loderer



Im Sommer sind die Tage lang und wer aus Mangel an Gelegenheit nichts zu tun hat, füllt diese langen Tage, so wie ich, halt mit Nichtstun aus. Das heißt, nicht mit Nichtstun im absoluten Wortsinn, denn das geht ja schließlich sowieso gar nicht, sondern mit Müßiggang im Zusammenhang mit der fehlenden Möglichkeit, einen passenden Beitrag zum Bruttosozialprodukt leisten zu können. Egal.

Jedenfalls führte mich diese Bewandtnis einmal mehr durch die Straßen unseres Städtchens, untergeordnet im Gemüt die Hoffnung, irgendwas Brauchbares zu erleben oder etwas Entsprechendem zu begegnen. Die Hoffnung erwies sich als fruchtbar: in vielleicht fünfzig Metern Entfernung entdeckte ich einen alten Bekannten, Herrn Loderer und kaum eine Sekunde später war es offensichtlich, dass auch er mich entdeckt hatte. Schon standen wir uns gegenüber, schüttelten einander, wie es sich unter alten Bekannten gehört, mit einem geradezu angenehmen, verhaltenen Argwohn die Hände. Schnell war's geklärt, dass wir beide nichts Bestimmtes vorhatten und so beschlossen wir, ungeachtet der Tatsache, dass äußerst zurückhaltendes Wirtschaften angesagt war, weil unsere Volksvertretung im Verein mit guten Freunden aus einflussreicher Unternehmerschaft einen Großteil unserer ohnehin recht kargen Einkünfte abgezweigt hatte, um ihn für die Kompensation von Missmanagement und den Komfort wenigstens einer kleinen, ausgewählten Minderheit bereitzuhalten, auch ungeachtet des Ärgers, den uns diese verdammten Dreckshalunken damit bescherten, uns in einem Café an einer Tasse würzigen, wenn auch teuren Kaffees gütlich zu tun. Kaum dass wir Platz genommen hatten, legte Herr Loderer auch schon mit einer Geschichte los, die ich, letztes Mittel, sie wieder loszuwerden, endlich aufschreiben möchte:

Er sei nun mal ein Mensch, der den Dingen auf den Grund zu gehen pflege, leitete er mit bemüht vielsagendem Blicke sein Erlebnis ein. Das zehnte, vielleicht zwölfte Mal in seinem doch erst achtundvierzig Jahre andauernden Leben habe es ihn neulich - na gut! - im Schlaf ereilt, jenes Unglück mit tagelang nachhallendem Schrecken. Kaum dass er - ist doch erst mal egal - eingeschlafen und in eine Art übergeordnetes, wachsames Bewusstsein übergewechselt sei, sei es wieder los gegangen. Im Mund, mit den Zähnen. Einer zwingenden Ahnung folgend habe er mit der Zunge, soweit sie es erreichen konnte, sein Gebiss prüfend betastet und auch gleich, noch vereinzelt, dessen Lockerung festgestellt. Ein erster Schrecken habe ihn dabei wie ein schwülwarmes Windchen gestreift. Weiteres Testen war nun unumgänglich. Seine gesamte Konzentration in den Muskel der Zunge gelegt, stieß er mit dieser von hinten an die oberen Schneidezähne und riss auch schon, mit einem stummen Schrei plötzlichen Entsetzens den Mund weit auf. Er hatte die Zähne aus ihrer, wenn überhaupt noch vorhandenen, dann völlig morschen Verankerung gestoßen. Ein scheuer, kurzer Test mit der unseligen Zunge brachte die trostlose Bestätigung. Und, nein, nicht nur das: alle noch vorhandenen Zähne, und das seien immerhin, bis auf einen irgendwann mal gezogenen, wirklich alle, die man von der Natur bereitgestellt bekommt, befanden sich nun losgelöst, irgendwie wie Erbsen durcheinander kullernd und nach Essig schmeckend, in seinem - warum eigentlich? - inzwischen vorsorglich-verkrampft geschlossenen Mund. Zu allem Überfluss plagte ihn die Überlegung, ob er die Zähne lieber ausspucken oder runterschlucken sollte. Es sei, wie gesagt, das zehnte oder zwölfte Mal in seinem Leben gewesen, doch immer wieder sei es ein an Qualen und Schrecken und Verzweiflung kaum zu überbietendes Unbehagen. Diesmal aber auch noch ganz besonders heftig, so dass er noch im - na und? - Traum beschloss, am nächsten Morgen etwas gegen diese Heimsuchung zu unternehmen. Gut, an diesem nächsten Morgen seien alle seine Zähne, bis auf diesen einen gezogenen, wieder festverwurzelt an ihren angestammten Plätzen im Zahnfleisch gewesen, doch was heißt das schon! Er habe sich gleich nach dem diesmal besonders zaghaft und unsicher gekauten Frühstück auf den Weg zu seinem Zahnarzt gemacht, um bei diesem einen Sondertermin zu vereinbaren. An einen Nachttermin habe er gedacht, habe er zur Rezeptionskraft des Zahnarztes gesagt, nachdem er ihr kurz das nächtliche Grauen geschildert hatte. Dass man doch auf diesen modernen Behandlungsstühlen liegen und also auch schlafen könne und dass es dann doch kein Problem sein dürfte, mal eben in den Mund eines Kassenpatienten zu schauen. Die Arzthelferin habe jedoch mit - typisch für diese Mädels! - spöttischer Überheblichkeit abgelehnt und wollte sich auf gar keine weitere Debatte einlassen. Da er, Herr Loderer, aber ein Mann sei, der sich nicht so mir nichts, dir nichts, abwimmeln, der nicht locker lasse (obwohl, wenn er in Bezug auf locker an letzte Nacht denke!), aber egal, habe er nun verlangt, dem Herrn Doktor sein Problem persönlich vorzutragen. Zufällig sei ein für jetzt gerade bestellter Terminpatient nicht erschienen, so dass der Zahnarzt, wenn auch nicht eben wohlwollend, Herrn Loderers Ausführungen lauschte. Dass er von etwas Derartigem noch nie gehört habe, nuschelte der Mundmediziner abgehoben und dass er den Leidtragenden deshalb bestenfalls mit einer unverbindlichen Kurzdiagnose, etwa Gesundheitsreform-Neurose bedienen könne. Wie angewurzelt (ausgerechnet!) habe Loderer im Flur gestanden und den fortschwebenden Doktor noch nuscheln hören, dass man dafür über kurz oder lang ein geeignetes, kostenpflichtiges, weil nicht von der Kasse zu übernehmendes Mittelchen auf den sehr aufnahmefreudigen Pharmamarkt werfen werde. Dann habe er sich, zwar nicht abgewimmelt, aber doch im Regen stehen gelassen, missgelaunt getrollt.

Was ich von der ganzen Geschichte eigentlich halte, fragte er mich, nachdem wir den Kaffee ausgetrunken und auch schon bezahlt hatten, wie befürchtet. Zum Glück hatte ich mir in dieser kurzen Zeitspanne schon eine passende, eine Ausweitung des Themas verhindern sollende Antwort zurecht gelegt: er solle es vielleicht mal mit so einer Haftcreme, Kukident oder so, versuchen. Wir gingen dann, in entgegengesetzten Richtungen unserer Wege und für den Hauch einer Sekunde befiel mich ein leiser Pflichtgewissensbiss, diesem leidenden Herrn Loderer doch ein wenig zu wenig mitfühlend begegnet zu sein. Diesen Gewissenswurm konnte ich aber mühelos mit einem alten Ohrwurm aus dem Webefernsehen, nämlich Wer es kennt nimmt Kukident! beseitigen.


Absage



Sie bewarb sich mit ihrer Fähigkeit, alle Wörter, die mit Acht anfangen, in Rekordzeit aufsagen zu können, bei einem bekannten Fernseh-Wettbewerb. Bekam einen höflichen aber abschlägigen Bescheid, sogar mit einem Hochachtungsvoll am Ende.




Nonnen und dergleichen



Die Straße zieht ihn an sich entlang -
schon viel zu weit von zu Hause weg -
von wo er verschwand ohne Sang und Klang,
sich zu verweigern war ganz ohne Zweck.

Keine Chance, dass er noch entweicht,
den drei Nonnen und dem Kindergarten.
Kaum einen Meter sein Maß noch reicht,
schon geglättet sind die Altersscharten.

Zwar hat das Alter ihn schon erreicht geschwind,
am liebsten wär' er noch älter, gar schon verblichen
und dennoch erscheint er fühlt wie ein Kind.
Gleich wird er von Nonnen mit Unflat bestrichen.

Nackend und zeitgleich in Leinenhülle,
feucht und schon trocknend die braune Gülle.
Die Mienen der Schwestern vom Alten Orden,
inzwischen süßlich und finster geworden.

Es scheint ihm, wie wenn er schon endlos lange
ausgeliefert wäre, alle Zweifel verboten,
in dieser Ohnmacht, der Enge im nönnlichen Zwange.
Ein Empfinden wie beim lebenden Toten.

Nun noch die Kindergärtnerin in weißer Schürze!
Fragwürdig vertretend Mutters Autoritäten
vollendet sie des Unwohlseins gallige Würze,
hat sich jeden wimmernden Einwand verbeten.

Nun will sie auch noch mit keifigem Grimme,
dass er ihr zulieb' ein Lied anstimme.
Kaum soll die Weise vom Blümlein erklingen,
will ihm das Atmen nicht mehr gelingen.

Denn inzwischen ist die Gülle trocken,
nur die Nase noch nimmt es wie Fluch.
Er steckt in der Kruste vom Kopf zu den Socken,
durch und durch dringender Übelgeruch.

Nicht nur der Unflat, den er da spüre,
so rauscht es ihm durch die Seele,
nein, nun riecht's auch nach Weihrauch und Myrrhe,
nach Kirchenstrenge, als ob sie ihm fehle.

Nach Messdienern, Kaplänen, Pastoren,
nach Küstern mit roten Segelohren,
nach Hornhaarklemme und Seitenscheitel,
getragen vom Herrn Pastor eitel.

Nach Himbeerklümpchen und zerkneteter Puppe,
nach Sonntag und fettiger Rindfleischsuppe.
Nun wollen auch noch die vier Jahreszeiten
seine Riechempfindungen begleiten.

Mit winterlicher Braunkohlenhitze
dringen Hustensaft und Nasentropfen
durch jede kleine Kinderritze,
lassen das zarte Herzlein klopfen.

Nach Frühling und Holunderblüte
schmeckt' s bald und unverdränglich.
Schon nähert sie sich dem Kindsgemüte,
die schwüle Zeit und macht es bänglich.

Dann nach dem Turnschuhschweißgeruch im Sommer
wird's Zeit für die Pantoffeln.
Es riecht nach herbstlicher Blätterfäule,
nach eingekellerten Kartoffeln.

Nach nassen, grauen Neubaustellen,
die angenehm das Gemüt verdunkeln.
Die Leitungswasserquellen
beginnen im Warnlampenlicht zu funkeln.

Warnlampenlicht! Das rettende Wort!
Es ist ja auch wirklich genug geschehen.
Und so gelang es, so floh er fort,
konnte endlich wieder klarer sehen.

Schnell hatt' er sein verzappeltes Bett gerichtet,
die Gegenwart begrüßt, ganz ungeniert
und auf's Nochmal-Kindsein verzichtet,
und seine fünfzig Jahre akzeptiert.


Irgendwas zum Thema Fahrrad



Was zott'lige Ahnen erdachten,
ihr Dasein zu verschönen,
einige erst noch drüber lachten,
nützt heute Vätern, Müttern, Töchtern, Söhnen.
Dem Ursprung einer rohen Tat
folgt' erst das Runde, dann das Rad.
Zuerst begnügte man sich mit dem Rollen,
erst später hat's dann fahren sollen.
Das Transportieren von zu schweren Sachen -
mit dem Radl konnt' man's leichter machen.
Bald war man auch des Gehens leid
und schon begann des Fahrrads Zeit.
Vorn ein Rädchen,
auch hinten war's erbeten.
Dazwischen das Kettchen,
das Lager zum Treten.
Schon war der Prototyp erstellt
und veränderte fortan die Welt.
Alle Menschen fuhren Rad
und jeder 's auf seine Weise tat:
Der Franzose, jährlich, scharenweise,
der Ostfriese eher still und leise.
In Bayern schreit man Hipp und Hurra
wenn man mal mit dem Radl da.
In Holland geht man statt per Sohlen
gar mit dem Fahrrad Käse holen.
Die Schotten, mit Rock und stolzer Haltung,
bevorzugen die Dreigangschaltung.
In China ist einem Mao Tse Tungen
die Umradelung der Mauer gelungen.
Laut maulend über wehe Haxen
der Dresdner strampelt durch sein Sachsen.
Des Japaners Traum, ganz ohne Witz,
ist Fahrradfahr'n im Lotossitz.
Den Eigensinn des Orients kennt jeder,
drum gibt's dort bald die Höckerräder.
Der Afghan, als traditionsbewusst bekannt,
zum Ziehn die Frau vor vors Radl spannt.
Zu Fuß, bei Nacht und Nebel, kommen Polen,
um unsere Räder sich zu holen.
Die Peruaner, müde, sich erst wanden,
bau'n Fahrradwege durch die Anden.
Ja, das liebt der Wiener und findet' s recht schee:
Mitn weißn Rodl zum Wolfgangsee.
Sogar die Eskimos, dem Trende zollend,
sieht man über die Schollen rollend.
Einzig in Krähenfeld, am Niederrhein, ein Schatten:
Isch kann hüt nit, isch han en Platten!
Doch ist der Mangel erst einmal behoben,
will auch der Rhein'sche sein Radl loben.



Erklärungsnot



Mutig war er eigentlich überhaupt nicht. Eher wankelmütig. Doch ihm vermitteln zu wollen, dass Wankelmut nicht etwa eine flexiblere Form des Mutes sei und es zwischen Mut und Wankelmut gar gravierende Unterschiede gebe, wäre vertane Mühe gewesen, eben weil er wankelmütig war.


Der Blitz



Er habe wegen des schwülwarmen Wetters alle Fenster und Türen aufgemacht. Das Gewitter sei aber dann so plötzlich gekommen, dass er keine Zeit mehr gefunden habe, dieselben wieder zu schließen. Der Kugelblitz sei dann durch das Küchenfenster rein, quer durchs Zimmer und die Balkontür wieder rausgerollt. Obwohl der schmutzigbraune Streifen, der von eben diesem Fenster über den Teppich bis zu eben dieser Tür führte, überhaupt nichts Verbranntes hatte, glaubten ihm alle diese Unwettergeschichte. Obwohl es damals noch gar keine Rhetorik-Kurse gegeben hat.



November



Vor zwei Jahren hatten sie diese schöne Alternative zum Altersheim realisiert und sind als eine Senioren-Wohngemeinschaft zusammengezogen. Es muss wohl mit dem Gefüge der Umstände zu tun haben, dass das Thema Gibt es ein Leben nach dem Tod? immer mal wieder, vor allem im November, erörtert wurde. Es war wieder November, es wurde wieder erörtert. Irgendwie ein bisserl übersättigt, denn man wusste noch vom letzten Mal dass da eh nix bei rum kommt. Gerade als es wieder an die Frage, ob man denn da sicher sein könne, ging, schellte es an der Haustüre. Doch nur F. hatte das mitbekommen und sagte, er wolle mal eben nachsehen und , na ja, schlurfte davon. Erst als er wegen des Durchzugs die Wohnstubentüre geschlossen hatte, wurden sie sich einer gewissen Unruhe, einer Beklemmtheit bewusst. Als er mit den Worten, dass das wohl wieder Kinder gewesen sein müssten, zurück kam, beschlossen sie einstimmig, erleichtert, das Thema zu wechseln.


Wetterersatz



Im Urlaub auf Sizilien an einer Bushaltestelle stehend, lauschte ich den Gesprächen der Einheimischen. Des Italienischen unkundig, überließ ich mich einer Art freier, unverbindlicher Synchronübersetzung. Dass es im Moment ganz angenehm sei, hörte ich nun. Oder dass man die ständigen Vulkanausbrüche langsam über geworden sei. Und dass man gegen den einen oder anderen kleinen ja gar nichts hätte, nur nicht so lange und heftig. Die kurzen heftigen mit den trockenen Aschewolken seien auch angenehmer als die langen dräuenden mit den glibbernden glühenden Lavaflüssen, auch für 's Gemüt. Gemüt war das Stichwort, und obwohl ich mich in diesem Urlaub recht wohl fühlte, fühlte ich nun einen Anflug von Heimweh.



Weiche Vorstellungen



Ich wäre gern ein Sofakissen! kündete Conny in der Sich-was-wünschen-Runde. Warum? Weil ich dann selber gemütlich wäre! Klever oder konfus? Nein, dunkelgrün.


Verwünschtes



Endlich, nach vielen, vielen Jahren war die Kommission der zauberkundigen , reimenden Kobolde wieder in der Stadt, den Menschen Wünsche zu erfüllen. Die Zeiten hatten sich inzwischen arg geändert und bescherten gar den uralten, weisen Zwergen eine anfängliche ziemliche Ratlosigkeit, der sie jedoch bald mit forscher List begegneten, indem sie das Volk aufforderten, seine Wünsche zu begründen.

Eine ganze Stadt aus Sand und Pfützen?
Wem sollte so was endlich nützen?!
So beschieden sie ein vierjähriges Mädchen munter und schroff zugleich.
Ein Grammophon gleich laut und leis?
Dann bring mal erst den Nutzbeweis!
Sich schon der Unmöglichkeit bewusst werdend trollte sich ein Greis.
Vier kleine Beinchen auf dem Rücken
fändest du recht schön,
um auch im Liegen spazier'n zu gehn?
Die Frage reichte aus, einen gemütlich dreinblickenden Burschen heimzuschicken, seinen Wunsch noch mal zu überdenken.
Einen Mann im heiratsfähigen Alter,
an- und auszuknipsen mit 'nem Schalter,
wartungsfrei und unverwüstlich?
Gute Frau, was soll'n die Possen!
Im Handumdrehen ist der kurzgeschlossen!
Maulend, dass ihr das nichts ausmachte, nahm eine Grantige ihren Gemahl und ging.
Eine bunte woll'ne Pudelmütze,
die bei Bedrohung bellen kann
sollte sich jedoch erfleißen,
zur Not auch mal zu beißen!
Der kleine Junge lief davon. Wohl aus Furcht vor seiner eigenen noch gar nicht genehmigten Mütze.
Durch ein Schweinderl zum Immer-wieder-Schlachten
würd' ein Metzger zum Mann, zum gemachten.
Von dressierten Knallfröschen verspricht sich der Soldat
alle Tage eine Heldentat.
Mit einer Käseglocke, denkt der Herr Pastor,
bedient' er zugleich Bauch und Ohr.
Eine große Grube, eine Rinne
für des Händlers Erträge und Gewinne.

Dies und vieles Andere kam den zauberkundigen Zwergen noch an Ungereimtheiten zu Ohren. Sie waren es schließlich jedoch leid, berieten kurz und beschlossen, das Volk diesmal wunscherfüllungslos zu verlassen und sich wieder auf den Weg in ihre eigene Welt zu machen, in der man mit solchem Unfug nichts gemein hat.




Kurse



Dass Geld allein nicht glücklich mache, solle man sich ins Bewusstsein rufen und irgendwie dafür sorgen, möglichst viel davon zu bekommen, um wieder möglichst viel davon möglichst schnell auszugeben. Gerade jetzt? wollte ein Kursteilnehmer zu bedenken geben, die Betonung auf jetzt legend. Gerade jetzt! beschied der Kursleiter, das gerade hervorhebend, mühsam bemüht, höflich zu klingen, wegen der ihm vorschwebenden Einnahme-Einbuße wegen eines vorzeitig abgebrochenen Kurses.



Feine Leute



Dass diese militanten Tierschützer sich sogar über Schildkrötensuppe aufregten, obwohl wohl die meisten von denen noch nie eine probiert hätten, sei eine irgendwie empörende Form von Inkompetenz, fand ein begüterter Gourmet. Dass ihn das weniger jucke, bedeutete ein anderer, ein lästiges Jucken unterhalb seines Zobelkragens mit den manikürten Nägeln beseitigend.


Moderne Zeiten



Du, das ist Wahnsinn! Wenn du's clever anstellst, kannst du im Internet die große Kohle machen. Per Online-Banking an der Börse spekulieren. Mainline-Streaming! Piepeinfach! Per Mausklick hast du immer den brandneuen Diskontsatz, die weltweiten Wechselkurse, den Zinssatz im Sekundentakt! Er schien gar nicht zu raffen, dass er mir das schon elf Mal erzählt hat. Und wenn ich, zum Beispiel, wissen wollte, was ein Wurmfortsatz sei, ob die das auch wüssten, im Internet? lähmte ihn meine Frage, die ich mir, nach dem neunten Mal, psychologisch durchdacht, zurechtgelegt hatte. Auch. Er sagte das gedehnt, tonlos, mit so einer Hopfen-und-Malz-verloren-Resignation im Blick. Damit hatte ich wiederum nicht gerechnet und fühlte ein Welken meiner frischaufgeblühten Zufriedenheit.



Zufriedenheit



Als Mensch mit labilem Charakter neigte er dazu, sich extremen Fantasien hinzugeben. Wie es wohl wäre, wenn man ihn nach einem Gutachten gewichtenden Gerichtsurteil wegen Rückfallgefährdung ins Triebtätertum für unbestimmte Zeit in eine Anstalt schlösse. Wegen des tiefen Grabens zwischen gerade seiner Fantasie und der Realität konnte er sich schmunzelnd die Situation als eine Art Bereitschaftsdienst vorstellen und kam sich, trotz des tiefen Grabens, jetzt schon recht zuverlässig vor.


Lichtlein



Dass es auf einem ganz bestimmten Friedhof im Havelland zu jeder Tageszeit ganz besonders hell sein soll, vor allem im Bereich der Gräber auf deren Steinen der Name Ribbeck steht, weil es bei denen seit jeher so üblich sei, sich eine Birne mit ins Grab legen zu lassen, gehört wohl in die Abteilung Unterdurchschnittliche Kalauer. Auch dann, wenn man den Unterschied zwischen sechzig Watt und sechzig Kalorien zu bedenken gibt.




Stimmen



Wir können es den Bürgerinnen und Bürgern nicht länger zumuten, keine, letztendlich uns allen zugute kommenden, Opfer bringen zu müssen! Beide Wahlkämpfer schwangen ihren Opferstock. Mit diesem, so versprach der eine, wolle er den Uneinsichtigen die Notwendigkeit der Überstunde zur Schaffung von Arbeitsplätzen einbläuen. Mit seinem, so der andere, wolle er nach der Dreißig-Stunden-Woche den Streber heimscheuchen und dem Willigen ein Arbeitsplätzchen sichern. Wer die Wahl hat, hat die Qual! dachte dabeistehend ein Wähler. Und, an die Opfer, die Stöcke denkend: Geradezu im wahrsten Sinne des Wortes! Wenn die Worte Wahrheit und Sinn im Zusammenhang mit diesen Arbeiten überhaupt noch ein Plätzchen finden.




Birnbichler Josef



Wer schreitet so spät durch Nacht und Wind?
Was tut er, was treibt er?
Sucht er die seinen, den Ort wo sie sind?
Er geht immerfort und nirgends bleibt er.

Die Nacht ist so dunkel,
von Grusel durchdrungen.
Kaum erscheint eines Lichtleins Funkel,
wird's schon von Schwärze verschlungen.

Mehr ahnen kann man sie
und selt'ner erblicken,
sie sind mal da, sie sind mal hie,
den nächtlichen Wand'rer zu zwicken.

Warzige Mumen, Kapuzenmänner,
zu erblicken, zu ahnen,
bezwingbar, wenn, dann nur vom Kenner,
huschen dahin auf nebligen Bahnen.

Vom Berufsstand wegen sei er ein Tischler,
sein Name kombiniert die Birne, den Bichler.
Vor dem Birnbichler werd' er Josef genannt
und sei obendrein auch noch stadtbekannt.

So stellt' er sich vor,
so hat's die Nacht ihm erlaubt,
in die er sich verlor
und verloren geglaubt.

Woher er gekommen, wohin er nun wolle,
kann er doch nicht sagen.
Dass es schon seine Richtigkeit haben solle,
versucht er zu hindern das nächtliche Fragen.

Außerdem sei er, man hör' es doch deutlich,
zu sehr mit dem Rufen der Mumen beschäftigt,
so dass er nicht dienen könne, rein zeitlich.
Durch der Kapuzenmänner Ton wird das bekräftigt.

In ihrer garstigen Lust, die nächtlichen Geister
trachten danach, Schrecken zu verbreiten.
Ohne Weisung von einem Herrn oder Meister
lassen sie sich vom Unfuge leiten.

Der Birnbichler Josef ist nun ihr Ziel,
sie sehen ihn, sie wollen sein Grauen.
Der Fluchtversuch nützt ihm nicht viel,
sind doch hier die Bösen die Schlauen.

Was ihm da jetzt droht
birgt keinerlei Nutzen.
Nun etwas zu tun tut Not!
Man will alle Glieder ihm stutzen!

Sein gellender und dennoch lautloser Schrei,
ohne in Richtung von Hilfe zu zielen,
ruft deshalb schon keine solche herbei
und so ist es auch sinnlos, danach zu schielen.

Sie bedrängten ihn nun in einem fort,
nichts versteht er und fühlt sich wie tödlich,
nur Ton ist zu hören, zerflossen das Wort.
Zu begreifen erfolglos, sei die Müh' noch so redlich.

Noch ist Birnbichler in Gänze erhalten,
noch haben sie ihn nicht, noch muss er schmoren,
noch kann er zum Beten die Hände falten,
noch gibt er fähig den Beinen die Sporen.

Hinauf eine endlose Treppe läuft er,
wie aus dumpfen Rohren geboren ihr Rufen
verfolgt ihn über Dutzende Stufen,
Angst und Schweiß, kalt und heiß, häuft er.

Gelandet ist er auf einem Dache,
völlig allein und doch von vielen umgeben,
das Böse auf seinem Pfade mit lautem Krache
verdichtet seine Furcht um sein hetzendes Leben.

Geheuer ist es auch nicht am hohen Orte.
Wie in sich versunken und doch im Mittelpunkt stehend,
ausgestellt wie eine Kirsche auf einer schwersüßen Torte,
Mut plötzlich fühlend aber immer noch flehend.

Wird dieser Spuk bald ein Ende nehmen,
sich all das Erlebte als Trugbild erweisen?
Oder wird das Übel ihn schließlich lähmen
und seine letzte Wehr vereisen?

Vergebliches Hoffen, berechtigtes Bangen -
sie kommen, sie haben ihn endlich gestellt,
sie brauchen ihn nicht einmal mehr zu fangen,
ein letztes stummes Schreien gellt.

Birnbichler, umringt von Kapuzen und Warzen,
sieht unwiderruflich sein Ende kommen.
Versinkt in einem Loch, einem schwarzen
und erwacht, noch recht ziemlich benommen.

Kaum, dass er sich fühlt ein wenig bei Sinnen,
kaum hat er erfasst, was wirklich passiert',
sind alle Ängste und Nöte von hinnen,
ist Birnbichler wieder ganz ungeniert.

Recht eigentlich könne ihn so was nicht schrecken,
erklärt' er, wieder selbst und bewusst.
Gar nicht gebraucht hätt' es, ihn zu wecken,
da das alles doch gar nicht auf Tatsachen fußt.




Der Ausflug



In den Spätnachrichten hatte er es aufgeschnappt. Wer Er? Ist doch egal! Er kann jeder sein. Er kann auch Sie sein, wenn man Er auf den Menschen, also Der Mensch bezieht. Also was soll's!

Da wurde jedenfalls, in diesen Spätnachrichten, diversen Wissenschaftlern, Germanisten, Linguisten, sogar anerkannten Wirtschaftswissenschaftlern, die, zumindest vorgeblich, größten Wert nicht nur auf den Klang und die mehr oder weniger flüchtige erste Wirkung, sondern auch auf den faktischen, sachlichen, inhaltlichen und formalen Wert vor allem von Gesagtem und Geschriebenen, das die Gesamtheit einer Bevölkerung betreffe, legen, ein Auszug aus einer aktuellen Rede des Finanzministers mit der Bitte vorgelegt, diesen Auszug doch einmal zu deuten. Hintereinander weg, weit voneinander entfernt waren sich die Befragten einig, dass es sich bei dem in diesem Redenauszug Gesagten um schlichtweg rein gar nichts handele. Irgendwas mit gleichzeitiger Hervorhebung und Negierung und das auch noch mit rückbezüglicher umgekehrter Wechselwirkung, oder so ähnlich. Jedenfalls war er durch diese aufgeschnappten Bekenntnisse von seinem Zweifel befreit, ob es angebracht sei, eine eher völlig absurde Unglaubwürdigkeit für die Nachwelt zu Papier zu bringen:

Wie er in diese Gegend gekommen war, wusste er nicht. Er hatte da aber so eine leise Ahnung, wie immer, wenn er nicht genau wusste, was irgendwo los war. Eigentlich eine feine Sache, das mit den leisen Ahnungen. Man brauchte bloß mal eben in alten Erinnerungen zu kramen, schon konnte man gleich haufenweise mehr oder weniger brauchbare Zusammenhänge ineinander kneten und hatte dann ein definierbares Gebilde, das man, zur Unterhaltung, in eine schlangenartige Wurst ausrollte.

Er kannte diese hügelige Gegend irgendwie von früher. Nur dass sie früher ein absolut flaches Flachland gewesen war. Aber das machte nichts. Von einem Augenblick auf den anderen war er mitten im seltsamsten Geschehen. Sein Vater, der ja eigentlich schon längst gestorben war, lief ihm über den Weg, der allerdings kein Weg im herkömmlichen Sinne war, sondern zu einem großen, nein, riesigen, scheunenartigen Zimmer, das wiederum wie ein ganzer Stadtteil anmutete, gehörte. Die Atmosphäre in diesem hügeligen Stadtteilzimmer war geprägt von etwas, was man wohl heute als die Alternative Szene bezeichnen würde. Vom ersten Eindruck schon ein wenig erschöpft, setzte er sich auf ein schmuddeliges, großes Sofa. Er wäre dort sicher noch länger sitzen geblieben, wenn da nicht dieser zottelhaarige, schnauz- und kinnbärtige Rockmusikant gewesen wäre, der sich nicht nur zu ihm setzte, sondern hartnäckig auf den Mund geküsst zu werden verlangte. Glücklicherweise widerte ihn die stark animalische Ausdünstung des Herrn heftig an, und die Erinnerung seiner verwurzelten sexuellen Neigung gab ihm auch die körperliche Kraft, sich erfolgreich zu widersetze. Der Musikant trollte sich daher bald.

Erleichtert stand er vom Sofa auf, blickte teils neugierig, teils beklommen in die Runde und sah auch schon wieder Neues auf sich zu kommen. Ein alter Kleintransporter der Marke Volkswagen blubberte heran, zwei dazu passende Kleinspediteure stiegen aus und präsentierten ihm ein chromblitzendes Rennrad und einen Stapel meterlanger Holzbretter. Sie stellten sich nicht vor, aber ihn vor die Wahl. Nämlich entweder, so schnell wie irgend möglich, mit geschlossenen Augen das Rennrad zu fahren, oder die Bretter von hier nach niemand weiß wo zu transportieren. Das Blindradeln beendete er sehr schnell, denn ihm wurde, nachvollziehbar, recht schwindelig dabei. Mit dem Brettertransport wollte er sich aber gar nicht erst abgeben und so beschloss man gemeinsam, aus den Brettern einen Tisch zu bauen. Gesagt, getan. Er setzte sich mit den beiden, penetrant würdevoll, gütig-freundlich wirkenden Spediteuren an den Tisch und begann auf deren Geheiß ein Gebilde, das an die weiter oben besprochene Gedankenknetmasse erinnerte, auf die Tischplatte zu nageln. Die beiden Gesellen waren damit jedoch, ohne Gründe angeben zu können, äußerst unzufrieden, und waren, wohl um sich die Blöße eines Contenance-Verlustes zu ersparen, damit einverstanden, das er die Knetmasse auf das Dach des inzwischen in Sichtweite geratenen kleinen Hauses nagelte. Zu welchem Zweck auch immer. Als er das langsam schon lästig werdende Zeug endlich festgenagelt hatte, gönnte er sich, wo er doch schon mal da oben war, einen weiten Blick in die Umgebung. Weites Blicken wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn der Kriegsschauplatz, den er da sah, war in allernächster Nähe. Nur hören konnte er nicht allzu viel. Doch das, was er sah, reichte für eine nachhaltige Ergriffenheit schon aus. Unerheblich, die Guten von den Bösen zu unterscheiden. Viele, egal, wie viele, Soldaten lauerten einander auf. Eine neue Kriegstechnik, Strategie oder so was, sollte wohl getestet werden. An beiden Fronten standen hohe Kräne, deren Ausleger ins jeweils feindliche Lager geschwenkt waren. Trotz aller Dramatik drängte sich ihm das Wort Angelverein in den Sinn. Gar nicht so abwegig. Wie zur Bestätigung schwenkten die beiden Kriegsparteien ihre Kranausleger zurück ins eigene Lager und der Blick war freigegeben auf einen am Lasthaken hängenden, beinlosen Soldaten, der zwar wie ein Mann, zumindest ein Teil davon, aussah, aber wie ein höchstens fünfzehnjähriges Kind wirkte. Besonders erschütternd empfand unser Ausflügler, dass in den Mienen der an den Kränen hängenden Restkindsoldaten so etwas wie die völlige Überzeugtheit von der Erhabenheit der patriotischen Mission zu lesen war.

Endlich war wieder etwas zu hören, nämlich die altbewährte innere Stimme. Schön unabhängig vom Eigner und doch irgendwie eins mit ihm. Die Stimme hieß ihn, vom unseligen Dach zu klettern, die, falls überhaupt noch anwesenden, Volkswagenführer zu ignorieren, sich den Annäherungsversuchen etwaiger Musikanten zu widersetzen, den toten Vater tot sein zu lassen und möglichst zügig dieses hügelige Flachland zu verlassen. Das tat er dann auch ohne zu zögern und ohne sich noch einmal umzuwenden.



Kamel-Filter



Mit der Abnahme der Ozonschicht in der Atmosphäre steigt die Gefahr, heftig hautkrank zu werden. Über kurz oder lang könnte es als empfehlenswert gelten, im Winter wie im Sommer, wo man geht und steht, einen Kamelhaarmantel zu tragen. Einen echten natürlich, keinen synthetischen.


Gewichtsprobleme leicht gemacht



Als Kranfahrer konnte er per Bedienungshebel mit dem Lastarm der Maschine Unmengen von Lasten bewegen ohne dabei körperlich belastet zu sein. Obendrein hatte er von da oben einen prima Überblick. In seiner Freizeit liebte er Kahnfahren. Sich von einem Kahn über den See tragen zu lassen, dem er seins und das Gewicht des Kahnes sorglos überlassen konnte. Obwohl es sich dabei, genauso wie beim Kran, lediglich um trockene physikalische Gesetzmäßigkeit handelte, verglich er sich ganz gerne mal mit Odysseus, dem Listenreichen. Wenn er dann zielsicher, zufrieden schmunzelnd das Ufer angesteuert hatte, und vom langen Sitzen erst mal ein wenig hinken müssend heimging, war ihm, als wollte sein Vergleich auch ein wenig hinken. Das kannte er aber schon und wusste, dass das morgen, im Kranführerhäuschen, wie weggeblasen sein würde.



Berufsberatung



Handwerk habe goldenen Boden, hieß es heuer hier. Und: Schwarzsehen könne man auch im positiven Sinne. Warum also nicht im Boden des Handwerks des Schlotfegers, gewissermaßen, das schwarze Gold suchen?


Achtung



Er war achtzig Jahre alt und kerngesund. Vierzig eiskalte Winter und vierzig glühendheiße Sommer habe er schadlos überstanden. Er genoss die respektvolle Anerkennung seiner Reflexion.


Zapfenstreich



Kranke kleine Kinder kriegten früher Zäpfchen. Das fühlte sich an, wenn die drin waren, wie wenn man einen Pflaumenkern verschluckt hätte. Nur umgekehrt.



Lebensberatung



Sich gehen oder sich treiben zu lassen, komme letztendlich auf das Gleiche hinaus. Verbindlichen Rat, welches von diesen beiden Prinzipien das bequemere sei, könne man allerdings nicht erteilen. Und überhaupt, gehöre das irgendwie nicht hierher. Eigentlich ärgerlich für alle Beteiligten. Schon, aber so sei das nun mal.


Klick



Er glaubte, ein besonderes Auge für die Dinge um sich herum zu haben. Deshalb kaufte er sich eine Anfänger-Spiegelreflexkamera. Er wollte wissen, wie das aussieht, wenn man aufnimmt und machte eine Selbstaufnahme. Vor dem großen Badezimmerspiegel. Das Bild, entwickelt, total verwackelt. Der Spiegelreflex, dachte er, sogar ein wenig heftig, achselzuckend.


Besuchszeit



Nicht so sehr die computergesteuerte OP-Technik hat uns beim Rundgang im ultramodernen St.-Marien-Hospital beeindruckt, sondern der wie selbstverständlich neben dem Cola-Automaten stehende Nierenspender.



Himmlisch



Von meinem Fenster aus kann ich bequem das Wolkentreiben beobachten. Weiße, graue, manchmal sogar fast schwarze Gebilde. Mal als große Haufen, mal als vom Wind zerrissene langgezogene Fetzen. Nicht selten, dass sich diese Wolken zusammentun und zu regnen anfangen. Während der Betrachtung dieses Wolkenwirkens kommt mir dann schon mal, wie ein Extrawölkchen, der Gedanke, dass sich dabei doch so was wie poetische Angeregtheit einstellen müsse. Noch ein Wölkchen kommt geflogen, ein ganz schwarzes, mit Anregungen, oder Anregnungen wie Kalte Nase, Schnupfen, Fahrradstrampeln bei Gegenwind, Umgeklappter Regenschirm, Tiefe Pfütze betreten, Sieben Tage feuchter Mantel, Aufgeweichte Papiertaschentücher, Zwischen den Zehen das Dunkelblau nicht farbechter Socken. Ist eigentlich doch alles recht anregend, wenn man der modernen Poesie, wie ich gehört habe, die Freiheit des Windes gestattet.



Wachstum



Von den anderen in der Klasse unterschied er sich durch eine gewisse ängstliche Behäbigkeit und dadurch, dass er auf eine völlig unauffällige Weise ein überdurchschnittlich guter Schüler war. Wie auch immer, dieses ständige, scheinbar, neidlose Anerkennen der Freizeitleistungen der anderen, wie etwa Bäume hoch zu klettern, wurmte ihn. Doch wozu ist man, wenn auch heimlich, klug! Er besorgte sich kurz vor den Sommerferien eine Kastanie, grub diese auf dem Platz hinter der Schule ins lockere Erdreich und setzte sich am ersten Ferientag mit seiner ihm eigenen Besonnenheit auf die gut gegossene Einsaat. Er malte sich aus, wie er, gleich von Beginn an im Wipfel, von ganz oben, mit lässiger Selbstverständlichkeit auf die staunenden Mitschüler herabblicken würde. Doch schon nach sieben Stunden wurde ihm klar, dass selbst sieben Wochen Sommerferien für sein Vorhaben einfach zu kurz sein dürften. Diese eigentlich recht rasche Erkenntnis bewahrte ihn vor einer Melancholie, die bei ihm, seinem Wesen entsprechend, länger gedauert hätte, und mehr oder weniger zufrieden mit sich und den Dingen wandte er sich wieder für ihn Wichtigerem zu.




Harte Arbeit



Tütütütüüüüt tütütütüüüüt! Oh nein! Der Wecker will aufstehen. Knopf gedrückt, noch 'n bisschen. Blinzeln. Noch mal Oh und Nein! Blinzeln bedeutet Helligkeit bedeutet vorgeschrittene Zeit bedeutet Verschlafen bedeutet Ärger. Weckers Rache. Raus aus dem Bett, Katzenwäsche, rein in die Klamotten. Schnell einen Becher Joghurt als Basis für die erste Kippe kippen. Der Tag kommt, der Ärger naht, die zähe Abwesenheit bleibt. Treppe runter, raus, erst mal im Laufschritt. Wenigstens den 9-Uhr-Bus kriegen, dann wird's vor der Frühstückspause, dann bleiben die blöd auf den Fluren lungernden, glotzenden lieben Kollegen erspart. Laufschritt reicht nicht, spurten tut not. Was ist das!? Die viel zu große Unterlippe schlackert mit Schmatzen an den Wangen. Warmer, galliger Speichel rinnt von den Weichmundwinkeln das Kinn runter. Endlich im Bus. Immer noch diese Abwesenheit, dazu jetzt noch die quälende Unsicherheit, Ungewissheit. Bin ich wirklich ich? Was mach ich überhaupt? Hier? Wo will ich, wenn ich wirklich will, hin? Blödes, unsinniges Fragen, über das sich höchstens Therapeuten freuten, stellte man sie ihnen. Endlich angekommen, in der Firma, oder wo immer ich auch hin wollte. Hat sie's also doch noch geschafft, diese entwürdigende Beklemmung, mich vor der Tür zum Abteilungsleiter einzuholen! Angeklopft. Auch das noch! Da ist noch jemand drin. Ob der auch zu spät gekommen ist? Zu schlaff zum Grinsen. Oder ob man über mein Zuspätkommen Krisenrat hält? Vom Magen aus dehnt sich Übel in Form von Verachtung von Allem, vor allem Selbstverachtung. Endlich bin ich dran. Dieser Idiot! Sieht es, weiß es, hat nichts anderes erwartet, gibt sich trotzdem, wie einer von diesen kirchlichen Würdenträgern, mit der tonlos gestammelten Standard-Entschuldigung zufrieden. Das, was da teilnahmslos und ohne jedes Bemühen um Glaubhaftigkeit, Reue, Zerknirschtheit darstellen sollte, würde selbst von einem unbedarften Kind als Hass und Verachtung interpretiert. Aber dieser Mann ist's zufrieden. Endlich kann ich raus. Endlich kann ich rein. Doch was ist das!? Der Maschinensaal ist menschenleer. Alles ist wie vereist erstarrt und trotzdem hört man dieses Summen, Brummen, Heulen, Rattern, Kreischen, Zirpen, Klicks und Klacks, Knirschen. Dazu ein süßlich-öliger Durchzug. Der allein hätte letzte Nacht gereicht, einen Weltrekord im Weitkotzen aufzustellen. Endlich ein erster, konkreter Zweifel. Vielleicht bin ich ja gar nicht hier und träum' das alles bloß? Keine Gnade zu erwarten. Sobald ich mich mit der Vorstellung anfreunden will, wird sie von der Gegenwart der Riesenmaschine verdrängt. Das kann doch nicht sein! Nicht ich nähere mich ihr, sie nähert sich mir. Das ist doch gefährlich! Diese unzähligen Stangen, Walzen, Bänder, Zahnräder. Niemand würde, niemand könnte mir helfen, wenn ich da rein geriete. Ich weiß doch, dass niemand wissen darf, dass ich hier bin, obwohl jeder sehen sollte, dass ich da bin. Hoffentlich findet mich keiner! Hoffentlich bald! Irgend jemandes Schatten huscht in der Nähe vorbei. Vor die schnelle Wahl gestellt, mich entdecken zu lassen oder mich in der Maschine zu verstecken, mich gar von der Maschine verstecken zu lassen, entscheide ich mich für alles gleichzeitig. Ein stummes Seht! Hier bin ich!, das nur in meinem Kopf ertönt, erweitert sich zu einem Hier wäre ich, wenn ich hier wäre! Gleichzeitig ein Hauch von Hoffnung, dass alles nur ein Traum ist und hoffnungslose Ungewissheit, wo ich bin, was ich bin und warum das alles geschieht, oder vielleicht doch nicht geschieht. Immerhin weiß ich inzwischen mit Bestimmtheit, wer ich bin. Doch kaum, dass ich diese kleine Orientierungshilfe aufgegriffen habe, kommt es knüppeldick: wieder huscht ein Schatten vorbei, bleibt stehen und erblickt mich. Die ganz kurze Freude, einem Vertrauten zu begegnen, wird wie vom Blitz erschlagen. Der, der mir da plötzlich gegenübersteht, bin ich doch selbst! Vielleicht ein wenig ausgeglichener wirkend als ich, ja, fast schon ein wenig amüsiert über mich, also sich. Die dröhnende Maschine hat jetzt jeden Schrecken verloren, wirkt wie ein riesiger, zum Sperrmüll gestellter Schrank. Wir gehen aufeinander zu, ob wir wollen oder nicht. Wir gehen durch einander durch und blicken uns um. Einer fehlt. Aber welcher? Ich begnüge mich mit der Annahme, dass ich fehle und schaue ihm, den ich ja eigentlich gar nicht sehen dürfte, oder könnte, oder wollte, oder sollte, hinterher. Rastlos, benommen, aber auch erleichtert wirkend, noch einmal glimpflich davon gekommen zu sein, torkelt er durch eine vertraute unbekannte Gegend einem Ziel entgegen. Es ist nicht auszumachen, welchem Ziel, doch das Bedürfnis, ihm zu folgen, überwältigt mich. Bleischwere Glieder hindern mich, ihn einzuholen, doch das tut nichts. Hauptsache weg von hier, Hauptsache in seine, meine Richtung gehen.

Vielleicht noch mal umdrehen? Und so dreh ich mich also noch mal um, rücke das warme Kopfkissen zurecht, ziehe die kalten Zehen zurück unter die Decke, stoße ein wohliges Seufzerchen aus und sinke in einen an Frieden und Unschuld kaum zu überbietenden Schlummer.




Schwimmbadimpressionen



Wurzel-di-purzel Glieder strecken,
mit kühnem Sprung hinein ins Becken.
Plitschi-di-platsch schon ist man drin
und schwimmt bahnenweise her und hin.
Kniffi-di-kneif das Chlorwasserauge
ätzt wie benetzt mit Seifenlauge.
Schniefi-di-schneuf die Nase läuft.
Wer nicht hochzieht und schluckt, der kläglich ersäuft.
Grimmel-di-grumm drei Fregattenweiber
brauchen viel Platz für die Schulschiffleiber.
Leisi-di-Fluch ein Hochleistungskrauler
rempelt jeden, der schwimmt etwas fauler.
Zitter-di-fröstel ruft laut eine Frau,
sie schwimmt schon vier Stunden, die Nase ist blau.
Triller-di-polter des Schwimmmeisters Schimpf
trifft einen seitlich (ins Becken) gehüpften Pimf.
Zippel-di-zappel und grad noch gerettet:
den, der Ich kann schwimmen! gewettet.
Ein Goldkettenmann mit Bärenbehaarung
hofft am Beckenrand auf baldige Paarung.
Zwei in Pose gestellte Hobbyathleten
hätten von den Damen mehr Achtung erbeten.
Reglos der Pummel, ganz Sei's oder komm' es,
ein Flehen im Blick nach Tüten mit Pommes.
Zum Schluss, in der Kabine, die Fußpilze jucken
und schnell noch mal durchs Bohrloch kucken.
Was einem da kommt, vielleicht, zu Gesichte,
das ist, liebe Kinder, 'ne and're Geschichte.


Genüssliches Genossen-Gedenken



Die Einführung von Sozial-Listen wäre nicht nur an der Zeit, sondern längst überfällig, klang es auf einer Partei-Party gleichzeitig lustig und ernst. Detaillierte Einblicke in die Lebensführung von Bewerbern und Beschäftigten könnten dazu dienen, die das Unternehmertum beutelnden Personal- und Personalnebenkosten zu reduzieren. Ein rangloses Jung-Mitglied, also eher noch schwer hörig als schwerhörig, gab zu bedenken, dass der Umgang mit den Sozialisten doch eine Belastung sei und, ebenfalls bedenklich, das Datenschutzgesetz im Wege stehe. Dass das eine Sache der Perspektive sei, lautete die Belehrung, denn die Daten schützten doch, nach der Einführung der Sozial-Listen, die Interessen derer, deren Wohlergehen man seit Gründung der Partei vertrete. Und je besser es denen gehe, um so schlechter gehe es den leidigen Sozialisten, von denen hier, nebenbei bemerkt, überhaupt nicht die Rede sei.




Defektes



Die Garantie sei gar nicht abgelaufen, sondern gar nicht erst angelaufen, weil der Stempel und die Unterschrift auf der Urkunde fehlen. Darauf hätte sie sich halt hinweisen lassen müssen. Jedenfalls sei das Recht auf Garantieleistung verwirkt, beschied man sie in der Hauptfiliale. Und wenn sie noch mal in den Laden ginge, den Verkäufer an den Kauf erinnerte, die Sache sei ja schließlich gerade mal sechs Monate her, und er ihr dann nachträglich Stempel und Unterschrift gäbe, schließlich sei das Ganze doch tatsächlich? Auch dann, sagte man ihr, eher dreist als überzeugt. Dass sie in diesem Drecksladen garantiert, auch ohne Stempel, kein Blutdruckmessgerät mehr kaufen würde, dachte sie zähneknirschend beim eingebildet taumelnden Verlassen des Verkaufsraumes.




Der Prozess



Einmal in so eine Situation zu geraten hätte er, Herr F., sich vor einer Woche nicht mal träumen lassen. Strafsache F. gegen ... stand links neben der Tür zum Verhandlungsraum. Was da hinter gegen stand, oder stehen sollte, war merkwürdiger Weise, wie absichtlich wirkend, unleserlich, verwaschen. Beim vorschriftsmäßigen Beginn der Verhandlung wurde vom Gerichtsbeisitzer noch einmal laut und deutlich vorgelesen: Strafsache F. gegen ... Und diesmal ging das, was hinter gegen erklingen sollte, in einem undefinierbaren Rauschen unter. Ärgerlich, auch irgendwie konstruiert, aber letztendlich bedeutungslos, denn alle, fast alle, die dazugehörten, waren anwesend. Fast alle heißt, dass die unter Anklage Stehenden gerade im Gänsemarsch, leicht betreten wirkend, den Saal betraten. Der Umstand, dass es sich bei diesen Leuten um, nun ja, nicht gerade putzig anmutende Käfer handelte, verlangt eine Streichung des Assoziationen herbeilockenden Wortes betreten und einen möglichst taktvollen Ersatz. In einem Gericht wird geurteilt und so sei es dem geneigten Leser mit einer von der Geduld beschreibbaren Papiers bereitgestellten Großzügigkeit freigestellt, zu urteilen, ob der Ersatz des unangebrachten Wortes durch die Formulierung leicht benommen, wie mit einem hauchfeinen Nebel eines milden Insektizides besprüht den Richtlinien des Feingefühls näher komme.

Er hatte als Kläger auf einen Anwalt verzichtet, denn er war der Überzeugung, dass die Sachverhalte von unbeugsamer Klarheit und unverrückbar schwerwiegend seien. Als einem Menschen mit Rechts- und Gesetzesverstand und lauterem Gerechtigkeitsgefühl sind ihm die Punkte der Anklage, seiner Anklage, geradewegs zugeflogen. Von Nächtliche Ruhestörung, Versuchte/Vollbrachte leichte/schwere Körperverletzung, eine Art Seelische Grausamkeit, Vandalismus - allerdings mit einem in Klammern gesetzten Warum eigentlich nicht? - hatte er alles gewissermaßen griffbereit. Bereit waren auch der Richter und der Staatsanwalt. Nicht nur das: sie schienen sich gar nicht, ihrer Berufswürde gemäß, zu bemühen, zu verbergen, dass ihnen dieses, doch recht aus dem üblichen Rahmen fallende, Beisammensein, äußerst unbehaglich und peinlich war.

So wurde denn auch, unverzüglich, nachdem der Staatsanwalt, monoton, ein bisschen bellend und Interpunktionen missachtend, die Anklageschrift verlesen hatte, der Kläger zu Wort gebeten, sich zu den vorgebrachten Vorwürfen zu äußern und sich nach Möglichkeit um eine Darstellung der Dinge zu bemühen, die dem Gericht und auch allen sonst noch Zugegenen das Erfassen und Verarbeiten zu erleichtern geeignet sei. Bevor er jedoch beginnen könne, begann der Kläger, müsse er unbedingt darauf hinweisen, dass es ihm durch die Tatsache, dass nicht alle von ihm Angezeigten, sondern nur diese da, er deutete mit unverhohlenem Hass auf die acht schwarzbraunen Käfer, gekommen seien und setzte damit voraus, dass ihm dadurch eine allgemeinverständliche Darstellung nicht eben leicht gemacht würde. Der schon jetzt ungeduldig wirkende Richter erklärte in mäßig schneidendem Tonfall, bei einer Anzeige gegen Unbekannt können folglich keine Vorladungen versendet werden und endlich also auch keine Beschuldigten erscheinen. Den Protest des Klägers, dass ausgerechnet die an seinem Leid besonders maßgeblich beteiligten Gestalten nicht erschienen seien und dass von diesen da auch nur die Wenigsten sich eingefunden haben und er deshalb in einer zweifellos erschwerten Position sich befinde, unterbrachen Richter, Staatsanwalt und Verteidiger wie aus einem Munde mit den Worten, dass er nun ohne Umschweife loslegen solle. Für einen Moment vergeudete er seine Konzentration mit dem Vorsatz, nicht maulend klingen zu wollen.
Etwas derartig Gräuliches sei vor unbestimmter Zeit sogar schon einmal vorgekommen, begann er nun endlich, suchte aber sofort nach einer weniger abwegigen Einleitung, da die Augenbrauen des Richters sich unmissverständlich verzogen. Jedenfalls seien von diesen da, er wies wieder angewidert in die Richtung der inzwischen irgendwie vornehm wirkenden Käfer, noch mindestens drei Dutzend mehr da gewesen, in seinem Schlafzimmer und verglichen mit der Spinne und dem anderen Monster fast schon wieder, nun ja, aber trotzdem gewesen. Die lauernde Zwischenfrage des Verteidigers, wie die denn alle hereingekommen, wo die denn alle hergekommen und was die denn letztendlich bei ihm gewollt haben können, denn sie müssen doch wohl irgendwas beabsichtigt haben, hatte der Kläger so überfallartig und zu so unpassender Minute augenscheinlich nicht erwartet. Er stutzte kurz und hielt es dann für eine sein Gerüst stabilisierende Entgegnung, dass sie nun mal da gewesen seien und dass man in einer solchen, alles andere als angenehmen, noch dazu andauernden, Schreckenssituation gar nicht verstandesklar die Umstände erfassen könne. Jetzt stutzte der Verteidiger und schrieb im nächsten Moment auch schon, mit sichtlicher Zufriedenheit um die Mundwinkel, einige Notizen in ein kleines Handbuch. Das war dem Kläger nicht entgangen und so beschloss er, von nun an durchzureden und sich durch nichts und niemanden mehr beirren zu lassen. Überall diese Käfer, zum ersten Mal kam ihm jetzt das Wort Käfer über die Lippen, auf dem Laken, auf dem Kissen, unter dem Laken habe er sie über seine Füße und Beine, Zorn und Ekel verursachend, kriechen und krabbeln gespürt. Zwischen Hilflosigkeit und Entsetzen taumelnd habe er die Augen geschlossen, inständig gehofft, dass dieser Spuk von selber ein Ende nähme. Wieder merkte der Herr Verteidiger auf, wieder schrieb er einige Worte in sein kleines Buch. Doch mit geschlossenen Augen der Dinge zu harren, die da kommen sollten oder wollten, habe seine Willenskraft überfordert, erst zaghaft dann ziehend habe er die Augen geöffnet und sich einer kaum mehr zu steigernden Entsetzlichkeit ausgeliefert gesehen. Diese männerfaustgroße Vogelspinne näherte sich, an einem glasigen, von der Decke ausgehenden Zwirn, seinem Kopf, gar seinem schreckensoffenen Mund. Im Rauschen, dass ihm Herz und Hirn erfüllte, bildete sich eine groteske, absurde Vorstellung: was dieses Gezücht wohl vorhaben könnte, ob da etwa das Bedürfnis dieser hier nicht eben ansässigen Art mitspielte, sich hier und jetzt ein wohlig-heimeliges Plätzchen zu wählen, etwas, das dem tropischen Urwald möglichst nahe komme? Wäre er, der Kläger, in einer solchen heimatfernen Lage wie die Spinne, er käme womöglich auf die Idee, sich nach einem feuchtwarmen, offenen Maul mit einer pelzig-weichen Zunge als Ruhekissen umzusehen. Der Rechtsvertreter der Käfer schrieb wieder in sein Buch, die Mienen von Richter und Staatsanwalt wirkten inzwischen wie gelbgetönter Gips, die sonst noch im Saal anwesenden wirkten wie gar nicht zugegen. Der Kläger fuhr fort: das Unsägliche sei dann auch prompt geschehen, die Vogelspinne habe sich unbeirrbar in seinen Mund abgelassen, ihre borstigen Beine in eine, die Enge des neuen Heimes ausgleichende, Stellung gebracht und sich in dieser, für den Gequälten spürbar, wohl gefühlt. Er habe sich dabei, was wohl jeder hier nachvollziehen könne, alles andere als wohl gefühlt. Denn, ungeachtet dessen, das der erwartete, schmerzhafte, lähmende Spinnenbiss ausgeblieben sei, habe er sich nun auch noch nicht mehr rühren können. Als eine äußerst zweifelhafte Gnade habe er es schon gar nicht mehr aufgefasst, dass es seinen Augen immerhin noch möglich war, die Schrecknisse um ihn herum zu betrachten. Denn während er für das Käfergewimmel schon eine gewisse Vertrautheit empfand, der Spinne Sein in seinem Munde ohnmächtig ausgeliefert war, wurden seine umherirrenden Augen einen neuen Gräuel gewahr. An der Wand neben dem Nachttisch hatte sich inzwischen ein etwa hutgroßer, ausgewachsener und doch schon wie ablebend wirkender Höhlengorgonzola emporgearbeitet. Die auf der Rauhfasertapete hinterbliebene farblose und dennoch schmutzige Schleimfilmspur könne man jederzeit zur nachträglichen Beweisaufnahme besichtigen, bekundete der Kläger wichtig und überzeugt, damit seinen Ausführungen einen zusätzlichen Realitätsfestigungsgehalt gegeben zu haben; der Verteidiger reagierte mit weiteren Notizen. Schreckgelähmt, von Krabbelkäfern übersät, eine handgroße Vogelspinne in seinem Mund vor sich hindösend fühlend, habe er nun nur noch mit schwindenden Sinnen sich immer mehr Verwirrendes denken können. Davon könne er aber, auch in Anbetracht der Tatsache, dass dadurch die ohnehin schon mehr als ausreichenden Fakten nicht mehr erweiterbar wären, sondern eher, wie zu Beginn schließlich verbeten, die Allgemeinverständlichkeit beeinträchtigt würde, nichts mehr hinzufügen. Damit kam er zu Ende und der Verteidiger der Käfer zu seiner Stellungnahme, wobei er die während der Ausführungen des Klägers gemachten Notizen zu Hilfe nahm. Recht eigentlich nahm er diese Ausführungen nicht zu Hilfe, sondern las sie, zusammenhängend, wenn man überhaupt von Zusammenhängen reden dürfe, so seine Einfügung, herunter und schloss, vor allem die Tatsache in den Vordergrund stellend, dass, der Kläger habe es schließlich zu erwähnen versäumt, am nächsten Tag in dem Schlafzimmer des vorgeblichen Grauens nichts und niemand, schon gar nicht einer der Beklagten, zugegen gewesen sei. Der Klang der Rede des Verteidigers wandelte sich zum rauschenden, schwächer werdenden Ton eines schlechten, alten Kofferradios. Plärrend, abgehackt flossen die Worte. Nichts wurde von niemandem mehr richtig erfasst, geschweige denn gedeutet. Nur die vielen zu setzten sich in den Köpfen fest. Zu Beginn, zugegen, Zusammenhänge, zu Hilfe. Zufall? Niemand wird es wohl zufriedenstellend beweisen können, aber es geschah nun, dass sich alle im Gerichtssaal Anwesenden, geradeso wie das geschilderte Außerordentliche des Klägers und die entsprechende Betrachtung des Verteidigers es wohl arg gefördert hatten, in einen Zustand versetzt sahen, der sich irgendwie, irgendwo zwischen Diesseits, Jenseits und trotzdem mitten drin erklären lassen könnte. Lediglich die acht angeklagten Käfer sah man noch, so wie sie gekommen waren, im Gänsemarsch, etwas lakonisch-zuversichtlich Anmutendes im Blick, den Saal verlassen.



Guten Appetit



Wenn sie sich ein Mexiko-Steak Medium bestellte, würde das halt von einem bekannten Fernsehkoch gebraten, das könne man in so einem teuren Restaurant ja schließlich auch erwarten, bemäntelte er seine Unwissenheit. Sie war's zufrieden und sowieso nicht berufen, sich darüber Gedanken zu machen, wie sich so ein ungebildeter Pantoffel ein so vornehmes Lokal leisten könne. Nur, treten Fernsehköche nicht vornehmlich in den dritten Programmen, also bei den Arme-Leute-Sendern, auf? Egal, erst mal essen. Diese halbrohen Schnitzel werden irgendwie schneller kalt.



Eiszeit



In der Provinz gab es damals, als italienische Cafes noch höchstens in angehenden Großstädten zu finden waren, das Eisgeschäft. Aus wirtschaftlichen Gründen (was das war, war völlig unerheblich) nur mit begrenzter Öffnungszeit. Sobald das schlichte Leinenfähnchen, einzig mit dem Wort Eis geschwungen bemalt, vor dem Nebenhauseingang aushing, bildete sich eine Schlange. Wer sich einreihen wollte, musste ein wenig Geduld dabei haben und, im Idealfall, fünfzig Pfennige. Eine Kugel kostete zehn Pfennige. Fünf Sorten Eis standen zur Auswahl. Dank der revolutionären digitalen Technik ist es uns ermöglicht, einfach mal in so einen längst vergangenen Eisverkauf reinzuplatzen:

Ja? Ein Eis zu fünfzig! Gemischt? Önö...Vanille...Schokolade...Nuss...Zitrone...Erdbeer. So die sorgfältige Wahl einer Siebenjährigen. Zwischen jeder Sorte liegen endlose acht Sekunden. Aber das ist doch gemischt! merkt ein frühreifer Vierzehnjähriger fahrig. Die Geräusche in der Schlange sind auch gemischt. Genau!...Wieso?...Na und?...Jetzt ja!...Ja?...Ja! Das Mädchen ist weg, ein anderes Kind an der Reihe, auch für fünfzig Pfennige. Eben noch ganz sicher, in welcher Folge die Kugeln ins Hörnchen kugeln sollen, folgt jetzt auf die Frage Gemischt? nur ein stummes Kopfnicken. Tut mir leid, nur noch Zitrone da! muss sich der fahrige Vierzehnjährige bescheiden lassen. Richtig! Da haben wir mit der digitalen Technik einfach ein wenig mitgemischt.



Wenn Werbung in den Text schleicht



Ihr Mann war mal wieder FORD gelaufen. MITSUBISHI, seiner japanischen Sekretärin. MERCEDES, ihre beste Freundin, wollte Näheres wissen. Na gut, aber ASTON MARTIN zu Bett bringen wollte sie, weil es schon spät war und auch, damit der kleine HosenMAZDA nichts von mitbekommt. Dann aber los: Das MistFIAT alles Haushaltsgeld mitgenommen! VW! Dann reicht es ja nicht mal mehr fürs Essen! erschrak die Freundin. Für einen kleinen LANCIA doch noch! sagte sie, trotz der Umstände ein leichtes THRIUMPHieren in der Stimme. Und: Bevor ich mir was BORGWARD ich erst mal ein paar Tage ab. Dass sie, wenn es ganz schlimm käme, AUDI Möglichkeit hätte, zum Sozialamt zu gehen, mochte sie noch gar nicht denken. Außerdem hatte sie das schon mal getan und war von dem groben Beamten mit den Worten: Jensen doch erst mal suchen! hinauskomplimentiert worden. Wie ein saures CITROENchen war sie sich vorgekommen. Trotzdem, langsam müsse mal was geschehen, so die Freundin, man könne das nicht immer wieder verJEEPen. Seinen ganzen Krempel rausschmeißen, RENAULTvieren, die Schlösser auswechseln, und so. Sie solle nicht so einen MOSKWITSCH reden, fuhr sie die Freundin an. Die Atmosphäre war gespannt. Man trennte sich und wollte MORGAN mal weiterschauen.

Doch wie sich das alles auch entwickelte, es war ja, wie gesagt, nicht das erste Mal. TOYOTAletzt stand er wieder reumütig vor der Türe und versprach, wie immer hoch und heilig, von Stund an nur noch ihr ALPHA ROMEO zu sein.



Trend und Tradition



In einer Versammlung überwiegend junger, einiger krampfhaft jung Gebliebener und weniger älterer Semester. Wellenreiten sei die Erfüllung. Es gebe nichts Erquicklicheres als mit den Füßen an ein Gummiband gebunden zwischen Brücke und Fluss auf und ab zu hüpfen. Auf schmalspurigen Rollschuhen endlose Landstraßen entlang zu schaukeln, Seelenhygiene schlechthin. Besser noch als mit dem Ratterbrettchen durch die Fußgängerzone. Sich im Urlaub in den Bergen per freiem Klettern gewissermaßen frei zu klettern sei auch empfehlenswert. Auf einem hochtourigen Kraftrad einen amerikanischen Hochweg entlang zu brausen, wegen des Schlages oder Trittes, den man dabei erhalte, fast das Höchste. Zu Hause, vor allem bei schlechtem Wetter, brauche man sich auch nicht zu langweilen. Einfach den Rechenautomaten eingeschaltet, die neueste Weichware eingelegt und mit dem Spaßstock des Spieljungen hantieren. Ach, es gebe ja so viele tolle Möglichkeiten, die Freizeit zu gestalten, wenn nur die notwendigen finanziellen Mittel stets zur Verfügung stünden, so die überwiegend jungen. Man könne sich aber auch, wenn keine Kohle da ist, mit einem irre coolen park-walking, romantic-minding, connected hand in hand mit seiner langjährigen Beziehungskiste behelfen, warf ein älteres Semester ein und erntete ungläubige, unwirsche, verächtliche und teilweise auch überhaupt keine Blicke.



In die Enge getrieben



Keiner in der Gruppe hätte sich träumen lassen, jemals in so eine Situation zu kommen: Steckengeblieben im Fahrstuhl, zwischen dem 8. und 9. Stock. Notrufknopf klemmte kaputt. Hausmeister ist schon nach Hause, Gebäudeschutz den Geschäftsleitern zu teuer gewesen. Man kannte sich, nur vom Sehen, hatte jetzt Zeit und, eher weniger, Muße, sich einander zu nähern. Genau wie im Film, hörte man eine Sie sagen. Erst besonnen und dann besinnungslos, ergänzte eine andere. Ein Er erntete erst mal Empörung. Er wollte sich, Besonnenheit zu betonen, eine Zigarette anzünden. Seine leitende Funktion, seine Termine ließen derartige Dinge gar nicht zu, funktionierte ein weiterer Er filmgerecht. Wie von selbst teilte sich die Gruppe auf diesen zwei Quadratmetern nach Geschlechtern getrennt. Eine schier endlose Stunde lang herrschte eisiges Schweigen, die Luft wqr lähmend stickig und schwül, beide Geschlechter schon am Rande eines Schwächetaumels. Dann überschlugen sich jäh die Ereignisse: Ein feines, elektronisches Summen ertönte im Lift. Schrift leuchtete grünlich 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, Erdgeschoss. Die Tür glitt auf, man wünschte sich, leicht reserviert, ein schönes Wochenende und ging seiner Wege. Nicht auszuschließen, dass bei der einen Sie und dem anderen Er an diesem Abend dieser Film in den Videokasten geschoben wurde.



Im Gedränge



Bockwürstchen mit Senf für umsonst unten in der Halle! tönte es aus allen Lautsprechern der Deutschen Bahn AG. Verbindungsängste, Pünktlichkeitssorgen, Sitzplatzsicherungswille, alles wie abgefahren. Etwa 67 Prozent der Bahnreisenden stürzten, normalerweise ja über so was stehend, nach unten. Damit hatte der Scherzkeks, der sich an der Information des Durchsagen-Mikrofons bemächtigt hatte, nicht gerechnet. Er malte sich noch aus, wie es wohl bei einer richtigen Panik zugehen würde, bevor er, eine Anklage wegen groben Unfugs erwartend, höflich aber bestimmt hinausgeführt wurde.



Kurzbeiniges



Die achtjährige Brigitte H. neigte dazu, wenn wir Kinder, vom Rumtummeln auf der Straße erschöpft, zusammenhockten, gewissermaßen Geschichten aus dem Jenseits zu erzählen. Der neunjährige Hans-Georg N. konnte damals, als Schnecken, Salamander, Schleichen noch zum Ferienalltag gehörten, dozieren wie ein Zoologe, frei erfindend aber voll beeindruckend. Ein anderer, Oskar B., acht- oder neunjährig, konnte so daherscchwatzen als ob er schon mal erwachsen gewesen wäre. Von den Großen hörte man damals, dass man sich vor diesen Kindern in Acht nehmen sollte. Warum denn? fragt vierzig Jahre später das Kind in einem mehr oder minder reifen Manne. In einer imaginären Runde Erwachsener jener Zeit, am Straßenrand, von Schnecken und Schleichen umgeben, könnten Antworten lauten: Weil solche Kinder zum Lügen neigen! Oder: Das wird einmal ein Außenseiter! Oder: Du willst doch nicht ins Alexianer kommen! Schnell zurück in die Gegenwart, denn wo Phantasie als eine Form der Lüge galt, die nicht geradlinig genug für eine geradlinige Ohrfeige war und deshalb, ärgerlicherweise, nur mit einer Aufforderung zur Ausgrenzung geahndet werden konnte, möchte man dann doch nicht mehr sein.


Nagendes



Sie war eine leidenschaftliche Leserin, sammelte Bücher noch und noch. Ihre Altbau-Parterrewohnung bestand überwiegend aus Regalen, die bis zur Decke reichten und randvoll mit Lesbarem gestopft waren. Das sprach sich irgendwann bei den Mäusen rum und bald waren diese leisen Plagegeister Stammgäste in der Wohnung, um auf ihre Weise klassische und moderne Literatur zu konsumieren. Das mochte sie, Pazifismus, Tierliebe, Humanismus schön und edel, so nicht mehr hinnehmen und besorgte Mausefallen. Gleich ein Dutzend. Strategisch durchdacht an den gefährdetsten Stellen aufgestellt. Immer wieder schnappten die Drahtbügel zu, doch nicht um Mäuse zu fällen, sondern, äußerst schmerzhaft, Zeige- und Mittelfinger zu klemmen. Sie beschloss, beim Stöbern Handschuhe zu tragen, bemerkte aber bald, dass das beim Blättern hinderlich war. Doch der angenagten Bände wurden immer mehr und sie beschloss, Gift auszustreuen. Gedacht, getan. Als sie jedoch danach, gewohnheitsmäßig, den Finger mit der Zunge anfeuchten wollte, um ihn papiergriffiger zu machen, kamen ihr Bedenken, über kurz oder lang gleichzeitig Täterin und Opfer zu sein. Belesen wie sie war, wusste sie bald, dass es sinnvoll wäre, sich eine Katze zu kaufen.




Das Großraumbüro



Über zwei Etagen erstreckte sich das Großraumbüro. Der bange Unbekannte hielt sich mal hier, mal da auf. Aus scheinbar taktischen Gründen. Auf jeder Etage gab's hinten rechts noch eine Art Chef- oder Vorgesetztenzimmerchen. Die Türen dazu waren stets offen, aber immer tunlichst tabu. Die beiden Etagen waren durch eine rostige (?) hölzerne, wacklige Wendeltreppe und eine dumpfe, vielstimmige Raungeräuschkulisse miteinander verbunden. Zwanzig Leute, Frauen und Männer, machten sich, mehr oder weniger emsig, an ihren einfachen Schreibtischen, die wie in einer konservativen Schule platziert waren, zu schaffen. Sie blätterten in Akten und Mappen mit Schriftstücken, standen hin und wieder auf, um als vorläufig erledigt erklärte Mappen in ein unfüllbares Regal zu stopfen und aus einem unerschöpflich wirkenden Regal Nachschub zu besorgen. Ein Herr Schraubhuber tat von seinem Arbeitsplatz aus das Gleiche. Obwohl die Schreibtische wie ausgemessen gleichmäßig den oberen Raum füllten, wirkte sein Platz auf gespenstische Weise abseitig. Irgendwie passte das zu dem von Weitem fahrig, abwesend, lustlos-verkatert erscheinenden Herrn Schraubhuber. Die mechanische Regsamkeit aller Anwesenden wiederum passte überhaupt nicht zum klang- und hoffnungslosen Wortwechsel der sich unvermeidlich Nähernden und Begegnenden, schon gar nicht diese Art von krampfhaftem, herzlich-ängstlichem Pflichtmobbing. Sicher spielte das ständige unverhoffte Auftreten der drei Chefs dabei eine beklemmende Rolle. Der alte Chef, etwa sechzigjährig, wirkte ermüdet von seiner Rolle der macht- und würdevollen Autoritätsperson. Ranzig-verbittert verriet seine Miene, dass er sich lieber etwas unstandesgemäßem Niederem, ja Unzüchtigem widmen wollte, wenn er dürfte oder könnte. Doch da war nichts mehr zu machen. Seine Rolle hatte schon zu sehr von seinem Leben Besitz ergriffen. Die beiden Jungchefs schienen sehr viel unbekümmerter. Weit davon entfernt, dass es ihnen einmal genauso gehen könnte, gefielen sie sich als Vertreter der neuen smart-brutalen Unternehmer-Generation. Sie wirkten dabei auf eine fast schon sympathische Weise lächerlich. Immer wieder, trotz aller taktischen Vorsicht, lief der bange Unbekannte einem von den dreien, oder gar allen dreien gleichzeitig über den Weg. Er hatte sich, obwohl völlig ungewiss war, was er eigentlich hier sollte, was man womöglich von ihm erwartete und ob er hier überhaupt erwünscht wäre, mit einem kleinen Aktenpacken bewehrt, um irgendwie vorsorglich so etwas wie geschäftige, sachlich-interessierte Bereitschaft anzudeuten beziehungsweise vorzutäuschen. Es schien, als ob er sich nicht ganz sicher sei, ob seiner Anwesenheit vielleicht eine entsprechende Vereinbarung, eine Absprache über eine Einstellung oder etwas Ähnliches vorangegangen und seinem Kopf auf peinliche Weise entflossen war. Immer wieder versuchte er, sich dem abseitigen Herrn Schraubhuber zu nähern, zu dem er ein situationsbedingt solidarisches Vertrauen verspürte, um diesen nach dem Sinn und Zweck seiner Anwesenheit zu befragen. Wenn es dann mal gelang, Herrn Schraubhuber zu befragen, fiel die Antwort recht unbefriedigend aus: er wisse selber nichts Genaues und ihn öde das alles ganz furchtbar an. Das ließ sich nicht ganz mit den Satzfetzen, die der bange Unbekannte hier und da bei den Pflichtmobbern aufschnappte, in Einklang bringen, nämlich dass Herr Schraubhuber der, leider, unverzichtbare, weil einzig kompetente Mitarbeiter sei, der einzige eigentlich, der wenigstens das Wesentliche und womöglich sogar das schwerwiegende Geheimnis dieses Großraumbürobetriebes kenne. Die drei Chefs, die dann jedes Mal wie aus dem Nichts, penetrant ungebeten, daneben standen, der Alte grämlich, die Jungen intelligenzlerisch grinsend, schien das gar nicht zu bekümmern. Auch dem rasch in seiner Tarnakte, die undeutbare Zahlen, Daten und mathematische Riesenformeln enthielt, blätternden bangen Unbekannten schenkten sie kaum Beachtung. Für sie schien alles seinen ordnungsgemäßen Lauf zu nehmen. Dieser Lauf führte, um diese befremdliche Beobachtung abzuschließen, Herrn Schraubhuber und die drei Chefs die Wendeltreppe, danach einen grasbewachsenen Steilpfad hinunter. Der bange Unbekannte, ungeachtet seiner ungeklärten Rolle und Berechtigung in diesem Umfeld, verspürte einen zwingenden Eifer, die seltsame Truppe mit einer Blechdose mit lebenswichtigen Messingklammern zu folgen. Möglich, dass er einen entscheidenden Moment zu spät gekommen war. Möglich, dass heroben, als sei nichts geschehen, der unheimliche Alltag in einer ersetzten Besetzung seinen Fortbestand hatte.



DIE RÜCKSEITE EINES BUCHES WIRD VIELLEICHT DOCH IMMER WIEDER EIN WENIG STIEFMÜTTERLICH BEHANDELT. EINE ART FEIERABENDVORRANGIGKEIT KÖNNTE MAN UNTERSTELLEN UND UNTERSCHEIDEN ZWISCHEN DEM WOHLVERDIENTEN DIENSTSCHLUSS DES DRUCKERS UND BUCHBINDERS UND DER SICHER EBENFALLS ZU VERGÖNNENDEN NACHTRUHE DER LESER, DIE DAS BUCH LETZTENDLICH ZUGEKLAPPT HABEN, UM ES BEISEITE ZU LEGEN NEBEN DIE NACHTTISCHLAMPE, DIE DANACH AUSGEKNIPST WERDEN SOLLTE WEIL ES SICH IM FINSTERN NUN MAL BESSER SCHLUMMERN LÄSST. WENN MAN DANN JEDOCH SIEHT, DASS DAHINTEN DRAUF NOCH VIEL MEHR STEHT ALS DIE ÜBLICHEN EIN ODER ZWEI ZEILEN, DIE AUF IRGENDWAS HINWEISEN SOLLEN, ZUM BEISPIEL EIN BILD VON EINEM BALKON, AUF DEM EIN MANN STEHT UND DEN AUSBLICK AUF DIVERSE KIRCHTÜRME, STRASSENVERLÄUFE, BAUMGRUPPEN, PARKENDE AUTOS, PASSIERENDE PASSANTEN, TEILS MIT TEILS OHNE HUNDE, TEILS MIT TEILS OHNE LEINE, GENIESST, ODER AUCH NUR EINFACH MIT BLICKEN DEN HORIZONT ERWEITERT, DANN IST MAN SCHON AUS DEM ÜBLICHEN BÜCHERLESERHYTHMUS GERISSEN UND MUSS SICH MIT DEM LAUF DER DINGE NOCH EINMAL GANZ VON NEUEM AUSEINANDERSETZEN, DENN EINFACH ZU IGNORIEREN, DASS DA NICHT DAS ENDE IST, SONDERN DER EINLEITENDE ANFANG VON DEM BEGINN EINES ZU ENDE GEHENDEN ANFANGS EINER RÜCKSEITE, DIE EIGENTLICH GENAUSO GUT EINE VORDERSEITE HÄTTE SEIN KÖNNEN, WENN ES DER ZUFALL IM VEREIN MIT DEM VERBORGENEN VORSATZ NICHT GEFÜGT HÄTTE, DASS ES SO UND NICHT ANDERS GEKOMMEN IST. WIE DEM AUCH SEI, DIE RÜCKSEITE DIESES BUCHES SOLL NICHT LEER AUSGEHEN ODER LEER AUSSEHEN, SONDERN SO, WIE AUF DEM EINEN ODER ANDEREN BILD IM INNEREN BEREICH MIT MEHR ODER WENIGER SINNVOLLEN SÄTZEN AUSGESCHMÜCKT WERDEN, DIE AUS DEM MEHR ODER WENIGER SINNVOLLEN ALLTAGSRAHMEN TEILS GANZ, TEILS TEILS HERAUSGERISSEN SIND. OBWOHL, WENN MAN MAL DAVON ABSIEHT, DAS WOHL DER EINZELNEN IM VERHÄLTNIS ZUM WOHL EINES GANZEN LANDES, EINES GANZEN VOLKES, EINER GANZEN WELT GESONDERT ZU BERÜCKSICHTIGEN, DANN STELLT SICH DIE FRAGE, OB ES NICHT VIELLEICHT SOGAR SINNVOLLER UND ANGEBRACHTER WÄRE, DIE PLANUNG SOLCHER DINGE UNGEACHTET DER TATSACHE, DEN PLAN ALS SOLCHEN DINGLICH NICHT FEST UMRISSEN ERFASSEN ZU KÖNNEN, BEZIEHUNGSWEISE ZU DÜRFEN, DEM ZUFALL ZU ÜBERLASSEN. ZUVIELE ZUFÄLLE VERDÜRBEN DEN BREI, HIESS ES EINMAL IN EINEM ETWAS ANDEREN UNZUSAMMENHANG UND SO WOLLEN WIR UNS ENDLICH DAMIT BEGNÜGEN, ZUM VERGNÜGEN DERER, DENEN DIE VERWIRRUNG JENER AM HERZEN LIEGT, DIE SICH NICHT MIT DER TATSACHE ANFREUNDEN KÖNNEN, DASS TATSACHEN MITUNTER SO SEHR VON DEN SACHEN ABHÄNGEN, DIE FORMAL UND INHALTLICH DER EINHEIT DES VERBORGENEN ERÖFFNET WERDEN KÖNNTEN. ZU GUTER LETZT EINE KLEINE AUFZÄHLUNG VON BEGRIFFEN UND WÖRTERN, DIE IRGENDWIE ZUM WERDEN DES WEITER VORNE ENTSTANDENEN BEIGETRAGEN HABEN: WINSEN AN DER LUHE - ORDEN HAFERSCHLEIM - PROTESTLIED - FORDERUNGSEINZUG BEDARFSGEMEINSCHAFT-RUNDBRIEF - SERVICELEISTUNGEN - EIGENVERANTWORTUNG - ABSICHT - EINSICHT - WASSERSCHADEN - KLOSSKERL - NEUTRONENBOMBENALARM - FASCHING KARNEVAL - HEILIGENSCHEIN - GELDSCHEIN HUNDESPORTVEREIN - SCHIESSÜBUNG GRUNDVERGÜTUNG - PINAKOLADA - EURO - TRIMMDICHPFAD - APFELSINENSAFT LUFTGEWEHR - EIMERWEISE - DICHTUNGSRINGE - LÖSCHWASSEREINSPEISUNGS-ANLAGE - ROTBARSCHFILET - HAUDEGENWITZ - HUT - HAIFISCHFLOSSENSUPPE - TURNVATER - TURNHOSE - TORNISTER - RANZEN - LORBEERKRANZ - ERDUMLAUFBAHN KLINGELBEUTEL - LOTTOANNAHMESTELLE - ABLASSZETTEL - SCHILDERWALD GARANTIEURKUNDE - LOHNERSATZLEISTUNGEN - ALTLASTEN - BETROFFENHEIT - FÜMF.

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Texte: Auflage 1 Februar 2006: 1 - 5 Alles Sichtbare und Lesbare ist von Leo Hamacher - Uerdinger Str. 204 - 47799 Krefeld Ausnahme: "Das Honigkuchenpferd" Auf diese copyright-Bedingungen soll einfach mal hingewiesen sein.
Tag der Veröffentlichung: 03.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Rike von Leo 18. Februar 2006

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