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Die Anreise



Heute ist mein vierter Tag in der Millionenstadt Pune, in Indien. Eigentlich bin ich noch nicht ganz richtig angekommen. Sicher brauche ich noch etwas etwas Zeit. Ich schreibe hier schnell den Verlauf und die Eindrücke auf, da diese sonst zu schnell aus dem Gedächtnis entfliehen.
Bin am Dienstag früh um 5:30 Uhr aufgestanden, 6:30 Uhr zum Flughafen nach Frankfurt abgefahren, schon um 7:20 Uhr traf ich ein. Vor dem Einfädeln in die Spur zu den Delta-Airline-Schaltern fing mich ein uniformierter, schwarzhäutiger Fluglinienangestellten ab, zu einer Sicherheitsüberprüfung , wie er sagte. Ob ich für jemand Waren transportiere, mein Gepäck mal unbeaufsichtigt gelassen habe. Mit einem überlangen Blick in meine Augen, schob er mir mein Ticket aus der Hüfte etwas verzögert zu.
Am Checkin-Schalter empfing mich eine gepflegt aussehende, Mitvierzigerin. Mein Gepäck hatte gut vier Kilo Übergewicht. Charmant bedeutete sie mir, beim Rückflug nur zwanzig Kilo Gepäck nicht zu überschreiten, da es sonst Probleme geben würde, im Extremfall sogar, dass man mir den Flug verweigern könnte. Nach dieser Schrecksekunde war ich erleichtert, als sie auf den Transportknopf drückte und mein praller Riesenkoffer als angenommen weiterbefördert wurde. Ohne Mehrkosten. Die Delta-Kraft hätte ich umarmen mögen, aber sie kam mir zuvor, indem sie mir meinen Flugschein entgegenstreckte, eingeklemmt von überlangen, lackierten Fingernägeln. Ein geschäftsmäßig ausgehauchtes „Gute Reise, Sir“ , mit einem aufmunternden Augenaufschlag. Etwas irritiert, aber erleichtert, verließ ich mit meinem Boardcase den Schalter.

Jetzt hatte ich noch Zeit, mich im Flughafengebäude vom Terminal 2 umzusehen. Die Zeit danach vertrieb ich mir mit kostenlosem Internetsurfen, an sogenannten i-Points, von Banken gesponsert, wo man sich erst durch eine Werbewolke durchlavieren muss, um schließlich den Button für vorbesetzte Interneteinstiege zu finden. Dann probierte ich es erfolgreich aus, eine URL, also Internetadresse, direkt einzugeben. Die Mails waren schnell durchgecheckt, das Bankkonto war nicht im Minus, die Kreditkartenkonten waren nicht gesperrt, der kreditrahmen ausreichend.

Danach machte ich mich danach entspannt auf den Weg zum Internationalen Teil, der aus Passkontrolle und dem Check des Handgepäcks bestehen sollte. Bei der internationalen Passkontrolle gab es einen spektakulären Aufreger: Ein arabisch aussehender Jugendlicher wurde von einem aus seiner Kabine sich herauswindenden Grenzschutzbeamten, nicht gerade in sportlich-locker Weise, verfolgt. Offenbar hatte es wohl Ärger bei seiner Passkontrolle gegeben, vielleicht er stand er auf einer Fahndungsliste. Wenigstens rannte der jüngere Mann im Zickzack durch die verdutzten Leute in der Schlange. Der schon hinter ihn verfolgende als auch zwei weitere Schalterbeamten stürzten aus ihren Häuschen raus und verfolgten den Flüchtigen. Der Flüchtige wurde von einem vierten Mann in Zivil, dem er in der Halle in die Arme lief, unsanft gestoppt und festgehalten. Nach etwas Handgemenge drehten sie ihm die Hände auf den Rücken, führten ihn zu Viert ab in einen Seitenflügel des Gebäudes ab. Die drei Grenzbeamten kamen nach etwa zehn Minuten an ihre Arbeitsplätze zurück. Zwischenzeitlich waren alle Schalter im Zugangsbereich gesperrt, indem die Ampeln für die Zugänge alle auf rot gestellt waren. Nichts ging mehr. Eine merkwürdige Stille hatte sich bei den Leuten in der Schlange eingestellt. Eine Art Betroffenheit lähmte mich. Ich dachte so bei mir, wenn es einem selbst so geschehen sollte, festgenommen zu werden, in einem Nicht-Rechtsstaat und spürte Gänsehaut. Nunja, dann ging es sehr schnell.
Als mein Reisepass von einem der grad sportlich aktiven Beamten gesichtet wurde und sagte ihm, dass ich ihn für seine Sportlichkeit bewundert habe, sagte er mit Berliner Akzent: „Dett habn wia scho oft jeübt un nu hatts mal dolle jeklapp“ , gab mir den Pass grinsend zurück, die Ampel sprang auf grün.

Nach dieser Verzögerung ging es weiter zum Check des Handgepäcks. Riesig lange Schlangen. An drei Durchleuchtungsgeräten fand die lästige, aber genaue Kontrolle statt. Beim Zugang zu den Durchleuchtungsstellen war eine stichprobeweise Vorkontrolle des Handgepäcks, auf Größe und Gewicht, eingerichtet. Vor mir war eine Gruppe zum erneuten Check angetreten, wie ich etwas später erfuhr. Ein anderer Beamter winkte mich rechts an dieser Gruppe vorbei und ich entging so der Vorkontrolle. Welches Glück ich hatte, erfuhr ich von dem Gespräch, dass dieser deutschen Vierergruppe: Sie regten sich immer noch darüber auf, dass man zwei Handgepäckstücke beanstandet hatte. Vom Gewicht mehr als die erlaubten acht Kilogramm , von der Größe zu dick. Sie mussten alles irgendwie umpacken und quasi das Übergepäck als normales Gepäck aufgeben, aber erneut am Checkin-Schalter. Sie lamentierten darüber, dass nun Geschenke und sehr persönliche Dinge sich nicht mehr in ihrer Kontrolle befanden. Sie befanden es mehr als ärgerlich und schimpften und klagten.
Nach endlosen Minuten dann endlich beim Durchleuchtungsgerät. Die ganze Prozedur dauerte dann für mich etwa zwanzig Minuten. Nach Entleerung aller Taschen von den darin befindlichen Gegenständen piepste der Metalldetektor weiter. Bis man den Grund kannte: Es waren meine Walkingboots, die vorne eine eingelassene Metallkappe haben. Ich musste die Schuhe ausziehen, die jemand zum Röntgen mitnahm. Ich saß dann eine Weile in Strümpfen da, die auch noch abgetastet wurden. Als dann meine "unbedenklichen" Schuhe vom Röntgen zurückkamen, ging die Prozedur mit meinem Handgepäck weiter. Der Laptop musste eingeschaltet werden, weißes Pulver wurde mit einem Pinsel auf der Tastatur aufgetragen, zu einzelnen Kabel musste ich erklären, wozu diese gebraucht werden, auch Digitalkamera und Camcorder vorführen. Alles musste wieder sorgfältig im Bordcase und Computertasche verstaut werden, Gürtel eingefädelt werden.

Dieser Check war aber nicht der letzte wie sich dann herausstellen sollte. Auf dem Weg zum Abflugsteig D08 war noch eine Kontrolle, diesmal speziell der Fluglinie Delta. Als ich zirka Minuten vor Abflug, freudestrahlend durch den aufgebauten Kontrollpunkt gehen wollte, im Bewusstsein, schon kontrolliert worden zu sein, wurde ich sanft aufgehalten. Mein Hinweis, dass ich schon kontrolliert wurde, galt nicht. Taschenkontrolle, Ausweiskontrolle. Es war also ein Double- Check; diese Amerikaner, knurrte ich innerlich. Der 9/11-Schock lebt, dachte ich mir. Es entspann sich die ähnliche Geschichte: Schuhe ausziehen, Röntgen, Computer raus, anstellen. Dann noch was Überraschendes: Für die geplante Befestigung meines Moskitonetzes hatte ich mir Holzschrauben und einen längeren Nagel lose in mein Bordcase gelegt. Vier Schrauben und den Nagel musste ich abgeben. Allerdings eine fünfte Schraube wollte sich nicht von mir trennen und diese trat den Flug mit nach Indien an.

Fünf Minuten nach der geplanten Abflugzeit, betrat ich dann die Boeing 737 der Delta Airline und durfte mich auf Platz 35A, einemFensterplatz, platzieren. Neben mir ein finster blickender indischer Jüngling, dem kein Begrüßungslächeln zu entlocken war. Dieser hatte sich wohl schon auf einen leeren Platz neben sich eingestellt und war wohl enttäuscht.

Nach abermaliger Verspätung hob dann die Maschine endlich von Startbahn West ab.
Ich dachte mir, der Flug wird wie andere, essen, Video sehen, schlafen, ankommen. Auf Video hatte ich keine Lust, aber leider wollte sich kein Schlafen einstellen, nur so eine Art dahindämmern, wo die Gedanken noch kreisen. Irgendeine dämmrige Gedankenschleife motivierte mich, mir die Beine zu vertreten. So zog ich den Kopfhörer aus der Buchse, ging ich die ganze Economy-Klasse und die Business-Klasse durch, zweimal, bis mir die erleuchtende Idee kam, meinen Platz zu wechseln, denn hatte einen tollen leeren Doppelplatz ausfindig gemacht, seitlich rechts , vor der vorderen Bedieninsel. Ich setzte mich dann einfach hin. Der Platz bot mir das Ausfahren meiner Beine, eine Decke zum Einwickeln. Ich setzte mir die Kopfhörer auf, klassische Musik auf den Ohren. Ich dämmerte zwar auch vor mich hin, aber es war ein anderes Entspannen: Die Decke über dem Kopf, der Turbinenlärm um einiges geringes, ja so fühlte ich mich wohl. Die Fenster in diesem Bereich waren alle mit den Jalousien verschlossen, sodass das gleißende Sonnenlicht über der geschlossenen Wolkendecke nicht eindringen konnte.

Als ich dann auf Toilette musste, begegnete ich im Halbdunkel einem Steward für diesen Bereich. Ich befürchtete schon, er würde mich auf die Einnahme eines falschen Platzes in der Business Class aufmerksam machen. Ihm war meine Platzeinnahme entgangen oder es war ihm egal, wenigstens fragte er mich, ob was ich trinken möchte. Ich bestellte einen trockenen Rotwein. Er sagte,mal sehn. Nach einiger Zeit kam er dann mit einem bauchigen, gut gefüllten Glas Rotwein an. Kostenlos, wie sich hinterher herausstellte (In Economy Class werden Alkoholika mit 4 Euro berechnet). Der Wein tat seine Wirkung und ich konnte mehr als eine Prise Schlaf nehmen. Eine halbe Stunde vor der Landung in Mumbai (Bombay) gab es ein lecker belegtes Baguette, eben business-like.

Kurz vor der Landung ging ich dann auf meinen angestammten Platz, allein schon, weil ich dort in den Oberschränken mein Handgepäck und restliche Kleidung hatte. Auf meinem Platz angekommen, entspann sich dann doch noch ein zehnminütiges Intensivgespräch mit dem Inder, der in Berlin ein Studium zum Master in Sachen Mechanik macht. Seinen Bachelor hatte er in Indien gemacht. Er erhofft sich einen Job als Verbindungsglied zwischen Indien und Deutschland und wies mich auf einen Artikel im Wirtschaftsteil einer indischen Zeitung hin, wo VW offenbar beabsichtigt, die Autos der Marke Skoda in Indien produzieren zu lassen.

Delta Airline, Flug DL106, setzte in Mumbai um 22:50 Uhr Ortszeit auf. Die Passage aus Flieger war relativ zügig, allerdings kam dann der Einreisecheck bei der Immigration Authority. Ich glaube vor mir waren ca. 400 Leute. Es dauerte echt bis 23:20 Uhr bis ich beim Officer nach Überprüfen von Reisepass und Visa, meinen Einreisestempel in Pass und Einreiskarte erhielt. 2 Minuten dauert so eine Prozedur. Nun noch den Koffer holen, den unbekannten Taxifahrer treffen und dann gemütlich sich nach Poona, indisch Pune, fahren lassen, dachte ich.

Dann lange Gänge entlang, Bagage-claim-Zeichen folgend. Es roch irgendwie nach DDR. Nach einigen Versuchen im falschen Stockwerk, ging es raus zum Bagage Claim, Belt 3 wie es eine Anzeige auswies, sollte es das Gepäck für den Flug DL106 geben. Dort angelangt, finde ich ein dicht von Personen umlagertes Transportband, mit vereinzeltem Gepäck, anderes das schon beiseite geräumt wurde. Herrenloses Gepäck etwa? Es stieg Angst in mir hoch, dass mein nicht abgeholter, dann als herrenloser eingestufter Koffer einen anderen Besitzer gefunden haben könnte. Ich schritt das mehrfach gewundene, mit jetzt bereits still stehende Transportband ab. Nichts. Dann nochmal und nochmal. Mein Blutdruck ließ sich sicher nicht mehr steigern . Und da, ja da, da war er, stand ganz am Ende des Bandes, inzwischen anderer Koffer, einer Insel aus Koffern. Zwischendrin wuselten Gepäckträger. Ich konnte ihn dann von weitem schon ausmachen, wegen des regenbogenfarbigen Gurtes, den ich ihm diesmal als Sicherheit mitgegeben hatte. Ich steuerte auf ihn zu, zwei Gepäckträger mir auf den Versen, „Need Help“ sagend. „No Thanks“ ließ sie nicht abhalten. Mein Rollkoffer brauchte nur meine Hilfe.
So, Koffer rauf auf den klapprigen, viel zu kleinen Transportkarren, der unterschiedliche Räder zu haben schien, weil ich einem Rechtsdrall immer entgegensteuern musste. Dann weiter zum Zoll. Nach Anstehen in falscher Reihe, weil ein Team gerade seine Arbeit beendete, dann zwar in richtiger Reihe, aber ewig lang wartend müssend. Zügige Abfertigung erfuhr das Gepäck, das von Gepäckträgern angekarrt wurde, die immer vor mir rangenommen wurden. Schließlich landete mein komplettes Gepäck auf ein das Laufband, das zu einem Durchleuchtungstunnel führt. Seitlich vom Durchleuchtungsgerät sitzt ein übergewichtiger Officer, schaut müde in seinen Monitor. Der nächste Officer stellt kurze Kontrollfragen über den Gepäckinhalt, ein anderer mit Gummihandschuhen zieht sich meine Digitalkamera heraus, wiegt sie in seinen Händen und fragt „How much“. Verunsichert, ob er die mir abkaufen will, nenne ich einen doppelt so hohen Preis in US-Dollar. „Oh“, entweicht es ihm und gibt mir sie schnell zurück. Ein weiterer Officer macht zwei Stempel in meine Einreisekarte und Laufzettel und lässt mich passieren.

Aufatmen, Zoll ohne nennenswerte Checks passiert. Dann weiter zum Geldwechseln. 70 Euro zum ansprechenden Kurs von ca. 57 Rupien (INR). Und dann weiter. Ein Officer im Ausgangsbereich checkt meine Papiere und lässt mich nicht passieren. Bis ich ihn verstehe, dass auf meiner Einreiskarte noch Einträge von mir zu machen sind, vergeht etwas. Ok, ein Kugelschreiber ist irgendwie organisiert, die Einträge gemacht. Zum gleichen Officer. Er lässt mich passieren. Dann die letzte Kontrollstelle, Zettel wird dabehalten, Rest abgestempelt. So, das war dann der letzte, amtliche Teil, überstanden. Um 23:55 Uhr.

Das ganze Gepäck auf anderen, kleinen Rollwagen gehievt, mit Tendenz links auszubrechend, geht es dann zum einzigen Exit des Flughafengebäudes. Die Klimakeule hinter der gläsernen doppelflügeligen Schiebetür schlägt voll zu. Vom temperierten Flughafengelände, vielleicht 22 Grad, raus in ca. 32 Grad, schwüle, stickige, stinkende Luft. Leider dürfen nur abfliegende und ankommende Fluggäste sich im Flughafengebäude aufhalten. Keinem Abholenden ist es gestattet, seinen Fluggast ins Gebäude zu begleiten oder ihn abzuholen. So wird der Zugang und der Abgang von bewaffneten Soldaten genauestens kontrolliert. Passieren dürfen nur Fluggäste mit gültigen Papieren und Flügen für den aktuellen Tag.

Im Ausgangsbereich, getrennt durch hüfthohe Absperrgitter stehen und warten sie dann, Viererreihen von Leuten, die Winken, Lachen, nach einem greifen. Fremde, ernste Augen, die einen ansehen. Abstandhalten, außer Reichweite bleiben, sagt mir meine innere Stimme. AABBSSTTAANNDD ! Ich halte Ausschau nach einer Person, die vereinbarungsgemäß meinen Namen auf einem Zettel zu stehen haben soll . Und tatsächlich, steht dort dieser vorausgesagte Mann, meinen Namen auf einem großen, lappigen Zettel, ihn hochhaltend. Ich steuere ihn mit meiner störrischen Gepäckwagen an, und gebe mich als der gesuchte Taxigast zu erkennen.

Nach ca. 100 Metern ist dann der menschenumsäumte Ausgangsbereich zu Ende. Davorstehend ein weiterer Soldat mit geschultertem Gewehr (Marke Einschuss, Asbach-uralt). Hier empfängt mich der Taxifahrer, der 23 jährig sein soll, der aussieht wie 15. Egal, denke ich mir, das wird schon stimmig sein. Auf dem Weg zu seinem geparkten Fahrzeug , fülle ich noch meine Wasserflaschen, die ich an einer Trinkwasserstation voll mache. Zur Wasserstelle (Drinking water) sind es etwa 50 Meter, die ich mich von meinem Koffer entfernen muss. Den Taxifahrer immer im Auge behaltend, gehe ich fast rückwärts . Fülle die Trinkflasche für die nächsten 200 Kilometer und kehre zum wartenden Taxifahrer zurück, den mittlerer Weile fünf Kinder umrahmen.

Nach einigen Irritationen seitens des Taxifahrers, wo denn sein Auto steht, findet er es schließlich. Unterwegs begleiten die fünf Kinder, die unentwegt das Gepäck anfassen wollen, was ich aber nicht will. Der Taxifahrer tut so, als ob ihn das ganze nichts angeht und lässt die Kinder gewähren. Am Taxi angekommen, entpuppt sich dieses als ein privater Range Rover. Das Gepäck zu verladen gestaltet sich schwierig, weil die Kinder helfen wollen , wo keine Hilfe erforderlich wäre. Sie halten die Hand auf, offensichtlich für ein Trinkgeld für eine Leistung, die darin bestand, uns zu begleiten.
Schließlich sitze ich im Fond des Rovers. Die Türen werden beidseitig von den Kids aufgerissen und nach den Sachen gegrabscht, die ich aufs Polster gelegt hatte. Der Taxifahrer lässt sie gewähren. Nach lautem Protest ziehe ich die Türen kräftig an und schaffe es, die Innenverriegelung zu erreichen und niederzudrücken. So Ruhe. Die Kids hängen immer noch an den Scheiben und machen Gesten, dass sie etwas zu essen haben wollen, mit zusammengelegten Fingern, die in den offenen Mund zeigen.

Schließlich ist diese Etappe auch überstanden. Der Taxifahrer fährt etwa hundert Meter, stoppt dann, stellt den Motor aus. Er sagt mir in seinem Englisch, „Lay down“ – „for Police-check“, sagt er. „Lay down“. Bin völlig irritiert. Bis er mir erklärt, er ist in diesem Bereich eingefahren, um Passagiere auszuladen. Er hat keine Erlaubnis, Passagiere mitzunehmen. „No license for Taxi“ sagte er. Ok, was solls, ich bin ihm ausgeliefert, füge mich und lege mich hinten quer. Er fährt weiter, stoppt nach einer Weile, Stimmengewirr, und er fährt weiter. „Come up, Sir“ höre ich ihn dann sagen und ich setze mich auf.
Es ist mittlerer Weile 0:20 Uhr und auf geht es nach Pune, durch das mitternächtliche, südliche Mumbai, weiter zu dem Highway. Es ist innerorts noch ein Verkehr wie bei uns zur Rushhour. Auch unterwegs, Lastwagen, Lastwagen ohne Ende. Schließlich hat der Taxifahrer durch seine umsichtige Fahrweise doch bewiesen, dass er gut fahren kann. Anfangs versuchte ich mit ihm zu reden, aber sein Englisch ist für mich fast unverständlich. Nur Brocken werden dann als Schlüsselworte verstanden und ausgetauscht.

Egal, er windet sich, die Straßenseiten geschickt wechselnd, die Lücken Zentimeter genau nutzend, den Highway. Dann unterwegs nochmal Schreck bei mir: Der Taxifahrer hält das Auto seitlich auf dem Highway an, steigt aus, verschwindet hinter dem Auto, sodass ich ihn nicht mehr sehen kann. Es dauert fast 5 Minuten bis er, Gottseidank alleine, wiederkommt. Endlos lange Minuten. Und weiter geht es auf den Highway. Ich ziehe mir meine wattierte Jacke über, schließe sie bis zum Hals, weil die Airconditioning gute 20 Grad rein bläst. Meine Baseball-Kappe (aus Sevilla) ziehe mir tief in die Stirn und bin so von dem Scheinwerfergeblende der Autos geschützt. Auch hier nur kann ich vor mich hindämmern, ein Ohr ist immer aktiviert, und wenn es dann manchmal zu wackelig wird oder der Fahrer sehr lange hupt, schaue ich unter das Kappe hervor. Besser, dass ich nicht alles sehe. Das was ich sah ist schrecklich genug und mündet in die Empfehlung, sich möglichst in Indien nur von Indern fahren zu lassen. Es warten zu viele Überraschungen: Baustellen, mit tiefen Löchern, nicht angekündigt, Autos ohne Rücklichter oder Rückstrahler, Fußgänger auf der Autobahn, Autos, die eine ganze Fahrspur in Anspruch nehmen, weil sie grad eine Panne haben und repariert werden müssen; die Personen dabei springen dann noch auf anderen Fahrspuren herum. Kein Warnlicht, nichts. Nun ja, Indien ist nicht Europa und schon gar nicht Deutschland.

Zwischendrin machen wir Rast auf einer reichlich einfachen, schmutzigen Raststelle.
Das ausgestellte Essen bereitet mir einen Würgreiz, weil es nur Innereien mit Reis gibt. Ich kaufe mir, etwas verzweifelt, alles in Tüten: Chips, Nüsse, habe ja noch mein gezapftes Wasser. Mein Fahrer isst mit aus den kleinen Tüten. Nach Gang zur überquellenden, bestialisch stinkenden Toilette geht es weiter. Schließlich erreichen wir die Endstation meiner Reise um 3:20 Uhr: Pune, Apartmentgruppe Paradise, Flat A201, Room 3, so steht es auf dem Zettel meiner E-Mail.

Am Ziel öffnet der Nachtwächter, mit Schlagstock in der Hand, das verschlossene eiserne Tor. Der Taximensch und der Nachtwächter hieven mein Gepäck zwei Stockwerke hoch, weil der Fahrstuhl offensichtlich defekt ist. Im offenbar richtigen Stockwerk angekommen, suchen wir das Flat Nummer drei. Die Begleiter sind sich nicht im klaren, wo Raum 3, weil es auf allen Etagen einen Raum mit der Nummer drei gibt. Sie rütteln an allen Türen, bis sie eine offene finden und erklären etwas unsicher den offenen Raum zu meinem Raum. Nach Betreten stellen wir fest, dass auf einem kleinen aufgeklebten Bild, fast unsichtbar die Nummer 3 steht, also richtiger Raum – aber in richtigem Stockwerk? Wird sich sicher klären. Der Schlaf zieht mich in seinen Bann. Nach Zahlen eines Trinkgelds an Fahrer (120 Rupien) und Nightwatch (10 Rupien) beziehe ich dann das Quartier.

Mein Apartment entpuppt sich am anderen Morgen als ein einfacher, aber sauberer Raum (24 qm, Toilette 6 qm, Balkon 8 qm zum Fluss hin), alles mechanisch moskitogeschützt. Die große Lobby mi Sitzgruppe, Essecke, Bücher, Musikanlage und Küche sind Gemeinschaftsräume für die etwa zehn Mitbewohner. Die andere einfache Einrichtung ist einfach, der große Kühlschrank).
Nach dem Auspacken der wichtigsten Sachen geht es dann um 4:45 Uhr ins Bett (das wäre nach deutscher Zeit ca. 24 Uhr) geht eine etwa 18 stündige Reise zu Ende, an einem ca. 7000 km entfernten Ziel, in einer völlig anderen Welt.

Impressum

Texte: Leon Leopold
Tag der Veröffentlichung: 03.12.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen jenen gewidmet, die mir rieten, mich auf etwas ganz anderes einzustellen, was mir gut tun würde ...

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