Cover

Ich blieb nicht lange in Bochum. Zwei Jahre waren eine viel zu lange Zeit. Inzwischen kannte ich die Szene genau, die Penner und Junkies, die Heimatlosen dieser Stadt. Es war eine seltsame Vertrautheit, die mir überflüssig erschien.
Auf der Straße gibt es keine wahren Freunde, hatte mein Kumpel immer zu mir gesagt. Jeder versucht seine eigene Haut zu retten. Ich habe viel von ihm gelernt, nachdem ich mit fünfzehn von zu Hause abgehauen bin. Vom Dorf in die Großstadt. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete. Er zeigte mir den besten Unterschlupf, erklärte mir die Regeln zum Überleben. Jetzt ist er tot, letzten Monat gestorben an einer Überdosis Heroin. Ich packte daraufhin meine wenigen Sachen in den Rucksack und entschloss mich, die Stadt zu verlassen.
Auf dem Weg zum Bahnhof traf ich Susanne. Sie wohnt seit einem Jahr in Bochum, ist verheiratet und hat drei Kinder. Wenn ihr Mann auf Montage war, hing sie mit uns manchmal zusammen ab. Susanne hat Steuerfachgehilfin gelernt, den Beruf aber ihrem Mann zuliebe aufgegeben. Er wollte es so, sagte sie immer und dann schwärmte sie oft von ihren alten Zei-ten in Duisburg als sie noch ihre eigene Wohnung hatte und schimpfte über das verdammte Leben im Drecksloch Bochum. Ihr Mann vergewaltigt sie regelmäßig. Sonst sei es immer ganz schön, aber er brauche das wohl, sagte sie. Verlassen will sie ihn nicht, wegen der Kinder und aus Angst, allein zu sein. Sie nimmt es halt hin. Als Susanne anfing zu erzählen, dass ihr Mann wieder gerade zu Hause sei, verabschiedete ich mich schnell von ihr und ging weiter. Es war anstrengend einer Frau zuzuhören, die schon längst in Resignation versunken ist. Außerdem, was gingen mich ihre Vergewaltigungen an.
Im Park kam mir eine alte Frau entgegen. Ich riss ihr die Handtasche weg. Sie schrie um Hilfe, deshalb stieß ich sie um. Blut färbte ihre grau-gelockten Haare rot. Ich nahm Zweihundert Euro aus ihrem Portemonnaie, warf die Handtasche vor ihre Füße und ging mir am Bahnhof ein Stück Pizza kaufen. Dort sah ich Paul. Ein alter abgewrackter Typ mit dichtem Vollbart in einer olivgrünen Bundeswehrjacke. Er saß jeden Nachmittag auf dem weiß-gefließten Bahn-hofsboden und bettelte nach Geld. Ich habe ihm einmal vorgeschlagen, als Weihnachtsmann zu arbeiten. Er fand die Idee nicht lustig und nannte mich ein arrogantes Arschloch. Eigent-lich hätte er sich dafür eine eingefangen, aber ich hielt mich zurück. Denn Paul hat mir einmal das Leben gerettet, als mich ein paar Typen in ein Schaufenster geschmissen haben, weil sie ihr Geld von mir nicht rechtzeitig bekamen, diese Idioten.
Seitdem unterhielten wir uns ab und zu. Er jammerte über den Geiz der reichen Leute, erzählte was von bodenloser Ungerechtigkeit und fragte manchmal sogar nach Gott. Ich wusste nicht, was ich ihm antworten könnte, es kam mir komisch vor, ihn zu trösten. Die Besuche waren für mich eher eine lästige Pflicht. Schließlich hat er mir einmal geholfen. Da konnte ich nicht einfach so an ihm vorbeigehen.
Ich überließ Paul meine fettige Pizza, die er sofort gierig in sich hineinstopfte und kaufte mir von den Zweihundert Euro ein Ticket nach Berlin. Ich setzte mich in den Zug und ließ Bochum zurück.(...)

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.10.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /