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Leoenchen


Gelähmt



Für die Menschen, die anders sind und ihr Leben trotzdem leben wie es ist!


Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.
Johann Wolfgang von Goethe


Einleitung

(Marie)

Emma trabt neben mir den Schulgang hinunter. Die neuen Schüler schauen mich an. Ich lächele freundlich, versuche ja nicht eingeschüchtert auszusehen. Vorsichtig streiche ich über Emmas Rücken. Sie wedelt mit dem Schwanz und sieht mich an. Ihre Schlappohren wippen auf und ab, ich spüre wie glücklich sie ist. Ihr schwarzes Fell glänzt, erst gestern habe ich sie gebürtstet. Ich muss lächeln, als ich ihren weißen Bart unter dem Maul erkenne. Seit sie 2 ist habe ich sie stets an meiner Seite. Und mit ihr meine Kindheit und Jugend verbracht.
Sie ist meine beste Freundin und irgenwie auch meine Einzige. Dieses ist mein letztes Schuljahr, die dreizehnte Klasse. Ich bin stolz auf mich, dass ich trotz meinem Handykap so weit gekommen bin.
Ich komme in die Klasse, Emma ist immer noch neben mir. Ich rolle zu unserem Tisch. Sie legt sich auf den Boden. Ich packe meine Tasche aus und lege sie auf meine andere Seite.
Meine Klassenkameraden tauschen sich über die Sommerferien aus. Sofie kommt zu mir, ich merke sofort, dass sie etwas von mir will. „Hey, Marie. Und wie waren deine Ferien?“ sie setzt sich auf die Tischkante. „Gut.“ sage ich. Und lasse mich nicht von ihr einschüchtern. Sie wirft ihre Haare gekonnt zurück und grinst mich breit an. Sofie ist perfekt. Sie hat lange blonde Haare, ist groß, dünn und kann laufen. Ich kenne sie seit der ersten Klasse, damals waren wir beste Freundinnen. Jetzt nicht mehr. Es gibt keinen Grund. Zumindest kenne ich ihn nicht. Ich habe sie oft gefragt, jedoch nie eine Antwort bekommen. „Also ich, war auf Mallorca und habe da ein paar richtig süße Typen kennengelernt. Und du? Hast du mittlerweile einen Freund?“ „Nein. Und ich brauche auch keinen.“ sage ich. Emma hat sich hingesetzt. „Tja, schon dumm wenn man nur einen Freund hat und der auch noch fellig ist und noch nicht einmal ordentlich reden kann.“ Emma knurrt leise. Ich sehe, wie sich ihr Nackenfell sträubt. „Sie kann nicht reden, aber sie kann jeden von uns verstehen.“ ich sehe Sofie an. „Pah, dein Köter kann mir nichts anhaben. Gar nichts.“ sagt Sofie und sieht erst mir und dann, was ein vataler Fehler ist, Emma tief in die Augen. Ich kenne meinen Hund und hätte Sofie vorwarnen können. Doch dazu bin ich leider nicht schnell genug. Emma springt auf und knurrt Sofie laut an. Diese zuckt zusammen und geht schnell auf ihren Platz. Ich kraule meine Emma hinter den Ohren. „Braves Mädchen“ sage ich und gebe ihr ein Leckerli.
Eine junge Frau kommt in die Tür, scheinbar unsere neue Lehrerin. „Guten Morgen“ sagt sie und setzt sich dann an das Pult. „Ich bin Frau Herlinger.“ sie schreibt ihren Namen an die Tafel, nachdem sie ihre Hefte ausgepackt hat. Ihr Blick läuft durch die Klasse und bleibt schließlich an Emma hängen. „Was macht der Hund hier?“ fragt sie und sieht in die Klasse. Das ich in einem Rollstuhlsitze ist ihr scheinbar nicht aufgefallen. „Das ist Emma. Sie ist mein Hund. Sie hilft mir, da ich seit zehn Jahren im Rollstuhl sitze und daher nicht überall drankomme.“ sie sieht mich an. „Aha. Hast du ihren Pass dabei?“ ich nicke und gebe Emma das Zeichen mir meine Tasche zu geben. Sie steht auf, läuft um meinen Stuhl herum und gibt mir meine Tasche. Ich muss eine Zeit suchen, doch dann finde ich ihn und gebe ihn der netten Dame. Sie nickt. „Na gut. Aber sobald dieser Hund irgendetwas anstellt, fliegt er raus. Es gibt genug Klassenkameraden die dir behilflich sein können.“ ich nicke. Dann nehme ich ihr den Pass aus der Hand und rolle zurück an meinen Platz. Emma wedelt wieder mit dem Schwanz, als ich neben ihr angekommen bin und ihr ein Leckerli gebe.


Anke

Es war der 5. Novermber 1998, am späten Abend, als ein junger Polizist an der Tür klingelte. Sein Gesicht war ernst. „Frau Möller?“ er sah mich an. Und wartete auf eine Antwort. „Ja, das bin ich.“ sagte ich. „Ist etwas mit meinem Sohn?“ er schüttelte den Kopf. „Nein. Aber mit ihrer besten Freundin, ihrem Mann und ihrer Tochter.“ Marie! Ich bekam Panik. „Johanna und Peter Strohmann sind vor ungefähr 5 Stunden bei einem Autounfall ums Leben gekommen. „Was? Oh mein Gott. Und die Kleine?“ ich konnte es nicht fassen. Meine beste Freundin. Tot? Nicht mehr da?
„Ja. Marie wird momentan Notoperiert. Sie ist bewusstlos gewesen und hatte schwere Blutungen. Möglicherweise ist sie gelähmt.“ der junge Mann sah zu Boden. Ich war geschockt. „Sie sind Maries Patentante, ist das richtig?“ ich nickte. „Sie sind somit die einzigste Person in Maries Umfeld. Die einen Job und Familie hat. Und die in der selben Stadt lebt. Außerdem hat Johanna vor einem Jahr ein Testament verfassen lassen, in dem steht, dass in einem Todesfall sie diejenige sind, der sie ihre Tochter anvertraut.“ er sah mich an. „Ja, das ist richtig sie hat mir davon erzählt, besser gesagt mich darum gebeten sie zu nehmen.“ „Sind sie dazu in der Lage?“ fragte er mich. Ich überlegte einen Moment. „Ja, selbstverständlich. Wann kann ich sie sehen?“ ich hoffte ich könnte sie so schnell es geht sehen. Sie war bereits wie eine Tochter für mich. „Ich kann sie mit nehmen. Ich muss jetzt so oder so zu dem Krankenhaus.“ er lächelte vorsichtig. „Das wäre sehr sehr nett von ihnen.“ ich zog die Tür hinter mir zu und lief hinter ihm her und stieg dann in sein Auto.
Auf der Fahrt redete niemand von uns. Ich war in Gedanken bei Marie. Hoffte, dass sie die Operation ohne Probleme überstanden hatte.
Als wir am Krankenhaus eintrafen, wurde ich von einer Schwester in die Kinderstation und dann zu Maries Zimmer gebracht. Sie war noch bewusstlos. Ich setzte mich neben sie und hielt ihre Hand. „Marie? Hörst du mich? Ich bin es Anke.“ eine Frau in weißem Kittel kam hinein. „Hallo. Sie sind Frau Möller? Maries Patentante?“ sie sah mich lächelnd an. Ich nickte. Der Kloß in meinem Hals schnürte mir die Sprache weg. Die Ärztin klopfte mir auf die Schulter „Mein Beileid.“ sagte sie.
Ich saß eine halbe Stunde an Maries Bett und redete mit dem kleinen, zerbrechlichen Mädchen, dessen Hand in meiner lag. Eine kleine zerbrechliche Hand. Mit rosa Fingernägeln. Johanna hatte sie lackiert und die kleinen Sternchen draufgeklebt. Ich hatte neben ihr gesessen. Und wir hatten uns unteralten. Über dies und das. Gott und die Welt. Marie hatte uns gespannt zugehört und mir von einem großen wuscheligen Hund erzählt, den sie in der Stadt gesehen hatte.
Ich drückte ihre Hand einen Moment, und küsste sie vorsichtig. Dann sah ich in das Gesicht dieses kleinen Mädchens, das noch nichts von dem Tod ihrer Eltern wusste. Ich fragt mich wie ich es ihr erklären sollte.
Dann öffnete sie ihre Augen. „Anke?“ sie sah mich an. Dann lächelte sie. Ich küsste ihre Stirn. „Marie.“ ich nahm sie in den Armich spürte wie sie ihr Gesicht in meine Haare grub. „Leben sie?“ fragte sie. Und sah mich an. „Nein.“ ich schüttelte den Kopf. „Sie sind tot, beide.“ ich nahm sie wieder in den Arm. Ich spürte die Tränen an meinem Ohr, die über ihr Gesicht flossen und hörte das schluchtzen. Schließlich begann auch ich zu weinen. Bis nachts um 3 weinten wir. Und erzählten uns Geschichten. Sie war in dieser Zeit nicht wie eine Tochter, die gerade mal sechs Jahre war, nein, sie war wie ein erwachsener Mensch, der meine beste Freundin war. Ihre langen brauenen Haare erinnerten mich an Johanna. Auch sie hatte so lange Haare gehabt, als sie in Maries Alter war. Irgendwann weinten wir beide nicht mehr. Marie lag in meinen Armen und ich wiegte sie, wie ein Baby. „Bist du jetzt meine Mami?“ ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht, dass sie mich Mami nannte. Sie hatte eine Mami. „Du wirst bei mir und Thomas wohnen und ich werde mich um die kümmern, aber weißt du, du hast eine Mami und auch wenn sie jetzt im Himmel ist, bleibt sie immer deine Mami. Denn man hat nur einen Mami. Verstehst du?“ sie schüttelte den Kopf. „Aber du bist doch wie eine Mami. Ich kenne dich schon immer und du bist immer in den Nähe. Mami hat mal gesagt, dass du bei meiner Geburt dabei warst. Andere Kinder in meiner Klasse nennen ihre Mutter Mama. Kann ich dich Mama nennen?“ ich wusste nicht was ich sagen sollte. Also nickte ich. Und nahm sie in den Arm. „Mama.“ flüsterte sie. Und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Weißt du was, Kleines? Ich werde hier schlafen.“ ich rief eine Schwester, die mir ein Bett brachte und bereitete.
Kurz bevor ich einschlief, hörte ich Marie wieder weinen. Stand auf, setzte mich neben sie und reichte ihr meine Hand. Ich schlief irgendwann ein, das weinen von Marie hatte nicht aufgehört. Doch als ich wach wurde schlief sie. Ihre Augen waren von den Tränen überklebt. Ihre Hand war immer noch in meiner. Ich lächelte. Ich ging in das kleine Badezimmer. Erst jetzt entdeckte ich den kleinen Rollstuhl, der in einer Ecke stand. Als ich aus dem Bad kam, hatte Marie sich aufgesetzt und sah mich an. Ich lächelte. „Guten Morgen.“ „Guten Morgen.“ sie sah noch ganz verschlafen aus. „Möchtest du dich waschen?“ ich sah sie an. Sie nickte und streifte ihre Decke weg. Ihre Beine waren in einem weißen Gips. Ich holte den Rollstuhl aus der Ecke und setzte sie hinein. „Sag bescheid, wenn dir etwa weh tut.“ sagte ich und schob sie dann in das Badezimmer. Ich half ihr beim Zähneputzten und dabei die Haare zu kämmen. Kurz nachdem sie wieder im Bett war, kam die Ärztin hinein. „Guten Morgen.“ sie ging zu Marie. „Und gut geschlafen?“ Marie nickte, doch ich sah ihr an, dass sie lügte. Ich musste lächeln. Ich hatte ihr gesagt, sie müsse stark sein. Und jetzt wollte sie stark sein. Die Ärztin unterhielt sich mit ihr. Und sagte dann: „Ich denke in zwei Wochen, kannst du zu deiner Patentante ziehen. Und auch wieder ganz normal in die Schule gehen. Allerdings haben wir ein kleines Problem. Du bist gekähmt, deine Beine. Du wirst sie vermutlich nie mehr bewegen können. Daher wird das hier, etwas sehr wichtiges für dich werden.“ Sie zeigte auf den Rollstuhl. „Wir können nicht viel machen. Es tut mir Leid.“ sie sah Marie an. „Kann ich auch nicht mehr reiten?“ „Du reitest?“ Marie nickte. „Doch, du wirst reiten können. Vielleicht nicht auf Tunieren. Aber reiten wirst du können. Deine Beine sind ja schließlich noch dran.“ Marie lächelte. Ich sah ihr die Freude an. Reiten bedeutete ihr alles. Das wusste ich. Sie hatte Talent. Ich war als Teenager auch viel geritten, doch nach der Uni hatte ich es aufgegeben.
Die Ärztin untersuchte Marie. Dann ging sie wieder. „Marie, ist es in Ordnung, wenn ich kurz nach Hause fahre?“ Marie nickte und schaltete gleichzeitig den Fernseher an. „Bis gleich.“ sagte sie. Und winkte mir zu. Ich stand auf und ging aus dem Zimmer. Von einer Schwester ließ ich mir ein Taxi rufen. Kurze Zeit später war ich zu Hause. Thomas sah mich an. Er sah sauer aus. „Hallo Schatz.“ sagte ich. Und nahm mir ein Glas, wo ich Wasser reinfüllte. Und dann trank. „Hallo. Ist alles in Ordnung?“ er sah das ich müde war. Ich schüttelte den Kopf. „Johanna und Peter.“ sagte ich und spürte wie die Tränen über meinen Wangen liefen. „Sie hatten gestern Abend einen Autounfall.“ Thomas nahm mich in den Arm. „Sie sind tot.“ sagte ich. Und brach nun vollständig in Tränen aus. „Und die Kleine?“ Thomas mochte Marie eben so gern wie ich sie mochte. „Sie ist im Krankenhaus. Vermutlich ist sie gelähmt. Ihre Beine wird sie nie wieder bewegen können. Thomas wischte mir die Tränen weg. „Erinnerst du dich daran, dass Johanna letztes Jahr ein Testament hat machen lassen?“ er nickte. „In dem steht, dass wir sie nehmen würden. Sie haben mit uns darüber gesprochen, erinnertst du dich?“ er nickte. „Und wie machen wir das? Wir werden umziehen müssen.“ ich nickte. „Ich weiß, ich weiß.“ ich weinte wieder. „Hey, hey. Kümmere du dich doch erstmal um Marie. Ich suche eine Wohnung, telefoniere mit den Angehörigen und werde Johannas Schwester darum bitten eine Beerdigung zu organisieren.“ Johannas Schwester arbeitete in der selben Kanzlei wie Thomas. Und ich spürte wie auch ich für ihre Hilfe hoffte. „Und ich werde mir und dir jetzt erstmal drei Wochen Urlaub organisieren, sodass wir uns um einen Umzug und alles andere kümmern können. Und unsere Söhne von unserem Schicksal Bericht erstatten. Er lächelte. „Und du pack deine Sachen und fahr zu Marie. Ich wette sie wartet schon auf dich.“ er gab mir einen Kuss und schob mich zur Treppe.
Ich packte also ein paar Sachen ein. Ich hatte keine Ahnung wie lang Marie noch im Krankenhaus bleiben müsste. Ich hoffte nicht mehr allzulang.
Als ich mit einem Taxi zum Krankenhaus fuhr. Hoffte ich auf gute Neuigkeiten über Marie. Doch es gab keine.
Ein Arzt, um die 30 brachte mich zu Marie. Ihre Augen waren vom weinen noch ganz rot. Ich nahm sie in den Arm. Marie spielte mit einem kleinen Mädchen. Es hatte einen gebrochenen Arm. Als Marie mich sah lächelte sie „Hallo.“ sagte sie. „Hallo Liebes.“ ich nahm sie in den Arm. „Möchtest du ein wenig essen?“. Marie nickte. Ich schob den Rollstuhl mit Marie aus dem Spielzimmer und kurze Zeit später waren wir, Marie und ich, an einem Kiosk, wo ich der Kleinen einen Schokoladenriegel und ein paar Kekse kaufte.
„Das ist viel viel besser als das Essen, dass ich hier sonst bekomme.“ sagte sie. Und grinste mich an. Ich streichelte ihr über den Kopf. „Wir kriegen das wieder hin, oder?“ fragte sie. „Natürlich.“ sagte ich. „Thomas sucht im Moment eine Wohnung oder ein Haus, das groß genug für uns ist und wo wir keine Probleme mit dem Rollstuhl bekommen könnten. Ohne Stufen, verstehst du?“ sie nickte. „Ohne Stufen?“ sie schien verwundert zu sein. „Ja, ohne Stufen.“ Marie überlegte einen Moment. „Und wo gibt es so etwas?“ „Na ich hoffe doch hier in der Nähe. Damit du die Schule nicht wechseln musst.“ „Mh.“ sie seufzte.
„Werde ich Mama und Papa irgendwann wieder sehen? In einem zweiten Leben oder so?“ ich lächelte. „Bestimmt. Und dann geht bestimmt alles gut.“ „Bist du dann auch da?“ ich nickte. Und gab ohr einen Kuss auf die Wange. Sie trank ihre Fanta aus. „Gehen wir wieder in mein Zimmer?“ fragte Marie. Ich nickte.
Als wir in ihr Zimmer kamen sah sie meine Tasche. „Ist das deine?“ „Ja.“ antwortete ich. „Bleibst du bei mir?“ ich nickte wieder. „Ja.“ sie lächelte. „Das finde ich gut.“
Am späten Abend kamen Thomas und mein Sohn Nick. Marie mochte Nick, Nick war schon 16 in Maries Augen schon ein Erwachsener. Ich hatte mir immer eine Tochter gewünscht. Doch nicht so. aber auf irgendeine Art und Weise war ich trotzdem überglücklich, dass ich Marie bei mir hatte. Thomas erzählte Marie Witze und Nick saß auf ihrem Bett und begutachtete ihre Fingernägel. Ich lächelte. Obwohl alles so plötzlich gekommen war, waren wir fast wie eine Famile. Marie lachte. Sie war glücklich ich konnte es aus ihrem Gesicht lesen. „Marie, weißt du was?“ fragte Thomas plötzlich, „Nein, was denn?“ Marie setzte sich gespannt auf. „Ich habe eine wunderschöne Wohnung für uns.“ „Eine Wohnung?“ ich war fasziniert wie schnell mein Mann eine gefunden hatte. „Ja, in der Nähe von der Kanzlei.“ ich war überrascht. „Sie ist nicht besonders teuer. Und steht zum Verkauf. Haustiere sind erlaubt und es gibt einen Aufzug. Die Wohnung ist die Größte von dem Haus. Im nächste Monat könnten wir einziehen.“ ich war froh, dass wir so schnell etwas gefunden hatten. Thomas hatte sogar Fotos gemacht.
Das Haus war weiß gestrichen. Es schien schon einige Jahre auf dem Buckel zu haben. Doch es sah freundlich aus. Die Wohnung war im Dachgeschoss. Von ihr aus hatte man Blick über die ganze Stadt, die Räume waren hell und offen. Es gab viele Fenster und eine kleine Dachterasse. Ich war begeistert. Und hoffte das sie nicht allzuteuer sein würde. Zu der Wohnung gehörten auserdem eine Garage und ein Abstellraum im Keller für Fahrräder, Waschmaschine und so weiter.
Sowohl Marie als auch Nick und ich waren begeistert und so unterschrieb Thomas schon einige Tage später den Kaufvertrag.

Eine Woche war vergangen. Die Beerdigung von Johanna und Peter war sehr traurig gewesen. Marie hatte viel geweint, sie hatte im Schlaf wieder von ihren Eltern geredet. Ich hatte geweint. War immer wieder aufgestanden und auf den Krankenhausfluren umhergeirrt. Eine Krankenschwester hatte mich schließlich gebeten auf mein Zimmer zu gehen. Als ich in das Zimmer zurück kam, war Marie immer noch am schlafen, doch sie hatte aufgehört zu schreien und zu erzählen von Johanna und Peter. Ihre Augen waren ganz verklebt von den Tränen. Ich setzte mich neben sie und nahm ihre Hand. Ich weinte. Streichelte ihr Haar und ihre Wangen. Das kleine Mädchen hatte mit seinen sechs Jahren schreckliches durchgemacht und sie war stark. Sie verdrängte ihre Ängste und Gefühle nicht, ein Arzt hatte mir empfohlen mit ihr zu einem Psychater zu gehen. Doch Marie hatte es dort nicht gemocht und die Dame hatte mir versichert, dass Marie dadurch wie sie mit allem umgeht keine Unterstützung braucht, nur die ihrer neuen Familie. Und die bekam sie.


Immer wieder musste Marie mit einer sehr netten Krankenschwester und einem ebenso netten Arzt in eine Art Sporthalle, wo sie ihre Beine und Füße bewegen sollte. Sie hatte danach oft starke Schmerzen. Und so musste sie solche Übungen nicht mehr machen. Nach zwei Wochen durfte Marie nach Hause. Sie hatte keinen Gips mehr, einen eigenen Rollstuhl und bald ein eigenes Zimmer.
Das Jugendamt hatte mittlerweile Marie als unsere Adoptivtochter anerkannt und alle paar Wochen kam eine junge Frau vorbei um nach Marie zu sehen. Sie war sehr nett, unterhielt sich viel mit Marie und hörte Marie zu, wenn sie von ihren Eltern sprach. Ich sah mich immer noch nicht wie Maries Mutter. Ich wollte es auch gar nicht sein. Sie hatte ihre Mutter. Und ich hatte Angst, dass Marie Johanna vergessen könnte. Daher nannte sie mich Mama oder Anke, aber nie Mami! Mami war Johanna. Das hatte ich ihr gesagt. Sie hatte es akzeptiert und nicht weiter nach gefragt. Thomas war Thomas. Manchmal auch Papa, aber nur wenn Marie etwas haben wollte. An einem Samstag fuhren wir zu Ikea. Marie war nie dort gewesen. Sie kannte es nicht. Und Nick hatte ihr erzählt, dass es dort ein Kinderland geben würde und ganz viele Sachen die man sich ansehen könnte und man so tun könnte als ob man in den „coolsten Häusern“ wohnen würde. Das Wort „Cool.“ war innerhalb von wenigen Tagen zu Maries lieblingswort geworden. Ohne zu wissen was es bedeutete. Sie sagte es immer. Wenn ich sie zum essen rief, war alles was sie sagte: „Cool. Ich komme.“ oder wenn sie etwas haben wollte: „Mama? Kann ich bitte bitte die Schokolade haben. Das wäre total cool.“

Marie war erwachsener geworden. Vor einigen Wochen war sie noch ein kleines Mädchen gewesen. Ohne Probleme, sie lachte viel, sie spielte mit ihren Puppen. Jetzt sah sie sich die Fotoalben an, die Johanna gemacht hatte, sie erzählte Nick stundenlang wie sie und Peter Autoscooter gefahren waren, sie sie zu der Musik getanzt hatte, die Peter auf dem Klavier gespielt hatte.
Thomas kaufte Marie irgendwann mal ein Klavier. Er hatte es einem Arbeitskollegen billig abkaufen können. Marie nahm von da an Klavierunterricht. Sie spielte oft stundenlang. Das was sie konnte und wenn sie was neues lernte spielte sie dieses. Sie liebte es.

Wir fuhren also zu Ikea. Wir parkten in dem großen Parkhaus und fuhren mit dem Aufzug zum Eingang. Marie war gespannt. Thomas hatte ihr versprochen, dass sie etwas für ihr neues Zimmer bekommen würde, genauso wie Nick.
Nick fuhr Marie zu dem Kinderland. „Möchtest du hier hin? Oder lieber mit uns mit?“ sie sah die Kinder die herum sprangen und rannten. Ich spürte, dass sie das traurig machte. Und hoffte, dass sie mit uns mit wollte. „Ich gehe mit euch mit. Ich muss ja ein paar coole Sachen für mein neues cooles Zimmer aussuchen.“ Nick nickte und schob sie in den Aufzug, Thomas und ich gingen hinterher.
Die Leute sahen uns an. Wir waren schon ein komisches Bild, Nick hatte genauso wie Thomas und ich blonde Haare, und blaue Augen. Marie, hatte dunkles Haar und dunkle Augen. „Ist das ihre Tochter?“ Fragte mich eine Frau, die uns beobachtet hatte. Marie sah mich an. Ich spürte welche Antwort sie wollte. „Ja.“ sagte ich schließlich. Die Frau sah uns vier nocheinmal an. Dann gingen wir aus dem Aufzug.
Marie schaffte es uns von einem rosanen Himmelbett zu überzeugen und die dazugehörige Bettwäsche. Außerdem wollte sie unbedingt diesen weißen Schrank und einen Schreibtisch. Einen Teppich und eine Lampe, Gardinen eine Leuchtkette. Das alles und das neue Bett für Nick sollte in einigen Tagen geliefert werden. Der Umzug sollte folgendes Wochenende stattfinden. Und so war es dann auch.


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Tag der Veröffentlichung: 12.12.2010

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