Erschöpft holte ich meine Jagdtasche hervor und ließ sie laut auf den Stuhl neben meinem fallen. Ich breitete die 2 Hasen und einige Beeren auf unserem kleinen Esszimmertisch aus und stellte eine Wasserschüssel nebendran. Ich holte tief Luft um mich von der Anstrengenden Jagd etwas zu erholen und schmiss dann die Beeren in die Wasserschüssel. Meinen kleinen Dolch wischte ich sorgfältig an einem feuchten Tuch ab, um ihn von Erde und Blut zu befreien, dann setzte ich die Klinge an den Bauch des Kaninchens. Ich wollte ihm den Bauch aufschneiden und es dann zu einem leckeren Eintopf für die ganze Familie kochen. Natürlich im Rahmen meiner eher bescheidenen Kochkünste. Aber für den Tag der Ernte wollte ich noch etwas besonderes tun, was meine Mutter, Vater oder meinen kleinen Bruder Fynn erfreuen könnte. Darum hatte ich mich heute bei der Jagd besonders angestrengt und 2 Hasen innerhalb kurzer Zeit mit dem Messer erlegt, was gar nicht so einfach war, wenn man ohne Hilfe jagte.Doch bevor ich dazu kam, das Kaninchen auszuweiden, hörte ich von draußen einen erstickten Schrei und ein kratzendes Geräusch. Mein Stuhl fiel klappernd um, als ich aufsprang und meinen Dolch fester umklammerte. Mit 2 hastigen Schritten war ich an der Tür und hechtete ins Freie. Meine Müdigkeit war auf einmal wie weggeblasen, als ich mit gezückter Waffe und wehenden, schwarzen Locken über die fest getretene Erde unseres Distrikts in Richtung des Schreis rannte. Ich konnte mir schon gut vorstellen, was mich dort erwartete. Seit in Distrikt 9 vor ein paar Jahren die Hungersnot ausgebrochen war, war nichts mehr so wie vorher. Ich jagte manchmal den ganzen Tag, um Fynn, meinen kleinen Bruder, und meine Familie zu ernähren, doch manchmal reichte selbst das nicht und wir mussten hungrig zu Bett gehen. Auch die Raubtiere im Wald fanden kein Futter mehr, da das Kapitol nicht einmal daran dachte, die Steuern runterzusetzen, um zu verhindern, dass ein ganzer Distrikt aushungerte. Wir mussten mehr versteuern, als wir besaßen. Auf einmal war ich stinkewütend. Meine Wut gab mir Kraft und ich bog entschlossen um die nächste Hausecke, immer das Gesicht von Präsidentin Petrova vor Augen, die an der ganzen Katastrophe schuld war.
Doch das, was ich dort sah, hatte ich auf keinen Fall erwartet. Normalerweise kamen nur Füchse und Dachse oder Kleinwild durch die Löcher im Zaun in unseren Distrikt, doch vor mir standen 3 Wölfe. Das Fell schäbig, die Augen blitzend und die Zähne boshaft gefletscht, bedrohten sie ein kleines Mädchen. 3 Wölfe, mitten in unserem Distrikt. Ich schluckte ungläubig und hörte erneut einen spitzen Schrei. Eine Frau presste sich an eine Hauswand und deutete mit weit aufgerissenen Augen auf das höchstens 3 Jährige Mädchen.
Die Entsetzte Menschentraube teilte sich, um mich durchzulassen und die panischen Augen der Frau richteten sich auf mich. Ihre Lippen formten ein Stummes 'Bitte'. Wütend lief ich auf die Wölfe zu, die Augen verengt. Ich würde nicht zulassen, dass sie dieses Mädchen mit sich nahmen, dass noch jemand sterben musste.Die Hungerskatastrophe brachte schon so viele Menschen um.
Wenn ich bewusst reagieren würde, würde ich die Wölfe verwirren. Einen frontalen Angriffen würden sie bestimmt nicht erwarten. Der größte aller Wölfe drehte sich zu mir um und knurrte. Ich stemmte bestimmt meine Beine in den Boden und richtete meinen Blick auf den Wolf. Mit einem lauten Fauchen sprang das räudige Tier auf mich zu. Mein Herz pochte schneller, das Adrenalin schärfte meine Sinne. Geschmeidig duckte ich mich unter dem springenden Körper hindurch und riss meinen Dolch von unten über den Bauch des Wolfs. Der Köter jaulte auf, doch ich hatte mich schon umgedreht. Ein angespanntes Raunen ging durch die Menge und in diesem Moment war ich froh, dass ich schon jagte, seid ich denken konnte. Ich trat unvorsichtig den nächsten Wolf weg und packte das vor Schock gelähmte Mädchen. Tränen liefen über ihr Gesicht, sie schrie. Ich konnte ihre Angst spüren, das versetzte mir einen Stich.
"Alles wird gut, Kleine.."Versuchte ich sie außer Atem zu beruhigen. Blitzschnell sprintete ich zu der Frau und stellte das Kind neben ihr ab. In Sicherheit.
Auf einmal war alles ganz Still. Ich spürte nurnoch meine Eigene Wut und hörte nichts mehr bis auf das Knurren des Wolfes und meinen eigenen Atem. Blut lief an meiner Hand hinunter und durchnässte meinen Pullover. Mein Puls raste laut in meinen Ohren und mein Blick sauste nervös umher. Keiner der Menschen machte auch nur Anstalten, mir zu helfen.Sie hofften alle, dass ich es alleine schaffen würde. Sie würden niemals ihr Leben für ein dreijähriges Mädchen aufs Spiel setzen. Mit einer halben Drehung und dem von mir gestreckten Messer wehrte ich einen anderen Wolf ab und ließ mich zwei Schritte weiter in meine Angriffsposition fallen: Ein Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt stützte ich mich mit der linken Hand auf dem Boden ab. Shane hatte mir einmal gesagt, ich sähe aus wie eine Tänzerin wenn ich kämpfte. So unglaublich elegant bewegte ich mich im Einklang mit meinem Dolch.
Die 3 Wölfe hatten anscheinend nicht vor, ohne Beute unseren Distrikt zu verlassen. Die Stille in meinem Kopf breitete sich immer weiter aus, beruhigte mich und half mir, klar zu denken. Das kratzende Geräusch von Krallen auf Erde hörte ich Überlaut, darum war ich auf den Sprung des nächsten Wolfes vorbereitet. Jetzt bloß keine falsche Bewegung machen. Instinktiv ließ ich mich nach hinten fallen und streckte das Messer von mir weg. Der Wolf presste mir die letzte Luft aus den Lungen als er auf mir aufkam und ich keuchte. Ein schrilles Jaulen durchschnitt die Luft und das Tier erschlaffte. Es war ins offene Messer gesprungen.
Mit einem triumphierenden Lächeln im Gesicht trat ich gegen die Leiche des Köters.
"Wer sich mit mir anlegt, sollte vorher ein bisschen üben." flüsterte ich kaum merklich in Richtung Leiche.
Ich drehte mich um und wollte gerade meinen Dolch in meinen Gürtel stecken, als scharfe Krallen sich in meine Schulter bohrten und mich nach hinten rissen. Ich sah noch das entsetzte Gesicht des kleinen Mädchens, die Augen rot verquollen, bevor ich unsanft auf dem Boden aufkam. Ich versuchte mich aufzurappeln aber das Gewicht des Wolfes auf meinen Schultern war zu groß. So ein Mist. Mein Blick verschwamm und etwas nasses tropfte vom Maul des Wolfes auf mein Gesicht. Ich verzog angewidert den Mund und folgte mit ruhigem, aber bösen Blick seiner mit messerscharfen Krallen besetzten Pranke. Ich schloss meine Augen nicht, als seine Pfote tiefe Schnitte in meine Wange riss. Die Wucht des Schlags schmiss meinen Kopf zur Seite und ich unterdrückte mit Mühe einen Schrei. Sofort spürte ich das heiße Blut aus der Wunde über meine Wange perlen, bis hinunter zum Hals.
Der Wolf holte ein weiteres Mal aus und ich funkelte ihn böse an,ich würde dem Köter nicht den Triumph geben zu Schreien, wenn er mich verletzte. Doch plötzlich, kurz bevor ich weitere Schnitte auf meiner Wange riskierte, wurde mir das Gewicht von den Schultern gerissen. Der räudige Köter jaulte, als Shane mit einem wütenden Ruck das Messer in seinen Bauch rammte.
"Mayra! Alles ok mit dir?" Seine Augen blitzten besorgt, während er die Leiche des Wolfes angewidert von sich stieß. Ich befühlte meine Wange.
"Den Umständen entsprechend..." murmelte ich und brachte ein kleines Lächeln zustande. Shane's Blick wurde weich und er schloss mich in seine Arme.
Ich hörte das Fauchen nur gedämpft durch das Leder von Shane's Jacke. Panisch fuhr ich hoch als mir der letzte verbliebene Wolf einfiel. Während des ganzen Kampfes hatte er sich im Hintergrund gehalten nur um jetzt zuzuschlagen. Mistvieh! Ich wirbelte herum und wollte mein Messer zücken, doch ich griff ins Leere. Meine Waffe lag etwa 2 Meter entfernt, ich musste sie wohl bei meinem Sturz verloren haben. Mir stockte der Atem. Doch bevor der Wolf mich oder Shane erreichen konnte, durchbohrte ein Pfeil seinen Hals und er prallte einen Meter von mir entfernt auf dem Boden auf. Ich wirbelte herum und sah Tylor, Shane's kleinen Bruder, mit gespanntem Bogen zwischen den Menschen stehen.
"Ty!" Ich schluchzte und warf mich dem 13 Jährigen um den Hals, der unter meinem Gewicht fast umkippte. "Ich hab dir doch gesagt, du sollst daheim bleiben. Kämpfen ist zu gefährlich!"
"Sprach die, die nicht gut genug auf ihr Gesicht aufgepasst hat." konterte er und fuhr geschockt über meine Kratzer im Gesicht.
"Wir bringen dich nach Hause, May. Deine Wange muss verarztet werden." Ich schluckte, nickte aber. Mir war schwindelig und schlecht.
"Und dir geht es auch wirklich gut?"
"Ich habe von 4 Metern Entfernung mit einem Bogen geschossen! Die Wölfe haben mich noch nicht einmal gerochen! Wie soll ich da verletzt sein?" fragte er und lachte über mein besorgtes Gesicht.
"Ja..Schon gut. Ich weiß. Ich bin zu besorgt.." meinte ich. "Ich hab dich lieb, mein Kleiner." fügte ich noch hinzu und küsste ihn auf die Stirn.
"Ich dich doch auch, May." Ich lächelte, als er meinen Spitznamen verwendete. Nur er durfte mich May nennen. " Und übrigens: Ich bin nicht klein! Ich werde morgen 14!"
"Morgen bin ich trotzdem noch 2 Jahre älter als du!" Ich grinste schwach und blickte mich nach Shane um. Er stand etwas abseits und warf uns einen eifersüchtigen Blick zu. Shane passte es nicht, dass ich seinen kleinen Bruder so sehr liebte, seit Tylor und ich bei diesem Ereignis vor 7 Jahren zusammengeschweißt wurden, bei dem er seinen Fuß verlor. Doch meine Erinnerungen an dieses Ereignis waren verschwommen. Ich sah nichts mehr klar und bekam schrecklich fiese Kopfschmerzen, wenn ich versuchte, mich zu erinnern. Warscheinlich würde es mir immer ein Rätsel sein, was damals passierte. Mitlerweile hatte ich mich aber damit abgefunden, dass meine Erinnerungen sogut wie ausgelöscht waren.Wehmütig blickte ich auf dem Stummel in seiner Fußprothese aus Holz, in dem sein Bein endete und streckte meine Finger nach Shane aus. Ich zog ihn zu mir heran und bemühte mich, meine Sicht klarzustellen, die seit ich verletzt wurde immer wieder verschwamm. Der Blutverlust machte sich bemerkbar und ich stolperte. Shane fing mich gerade noch so auf, und ich nahm noch war, dass er mich mit seinen starken Armen hochhob. Dann wurde alles schwarz.
"Sie hat sehr viel Blut verloren. Das an der Wange müssen wir nähen." Dr. Sartius' Stimme klang besorgt.
"Aber sie wird es schaffen? Sie wird nicht irgendwie..." Ich fühlte Shane's Hand, die sachte über mein Haar strich. Ich öffnete meine Augen.
"Niemand stirbt hier.." flüsterte ich schwach, aber entschlossen und zuckte zusammen, als Dr. Sartius einen mit Alkohol getränkten Tupfer auf meine Wunde legte. Der Arzt lachte leise, aber ohne jegliche Freude in seiner Stimme.
"Nein, natürlich wird sie nicht sterben. Das hier könnte allerdings ein wenig wehtun, Mayra."
"Schon gut." Ich musste eine kleinen Aufschrei unterdrücken, als die Nadel zum ersten Mal in meine Haut stach. Betäubungsmittel konnten unser Distrikt sich nicht leisten. Den brennenden Schmerz an meiner Wange versuchte ich zu ignorieren und drückte Shane's Hand fester. Shane suchte meinen Blick, ich spürte dass er versuchte, mich abzulenken. In seinen Augen sah ich noch immer die selbe warme Liebe, die uns schon seit wir vor etwa 2 Jahren zusammen kamen verband. Als Dr. Sartius die Wunde vollständig genäht und ein großes, weißes Pflaster auf meine Wange geklebt hatte, setzte ich mich vorsichtig auf und hielt meinen Kopf. Alles drehte sich, doch ich ließ mir nichts anmerken.
"Die Fäden lösen sich nach einiger Zeit auf, du brauchst nicht zum ziehen kommen." erklärte mir der Arzt. Ich nickte und versuchte aufzustehen, was sich jedoch als äußerst schwierig erwies: kaum war ich auf den Beinen, verlor ich das Gleichgewicht und stolperte in Shane's Arme. Seine Besorgnis war selbst für Außenstehende spürbar. Lächelnd stellte ich mich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen zärtlichen, vorsichtigen Kuss auf den Mund.
"Wo ist Ty?" fragte ich und band meine schwarzen, langen Locken unbeholfen zu einem Zopf zusammen. Die Schnitte spannten und kribbelten unangenehm unter dem Pflaster.
"Zu Hause. Er wird für die Ernte schick gemacht. Das solltest du übrigens auch tun." sagte Shane. Ich zuckte sarkastisch mit den Mundwinkeln und kuschelte mich enger in seine blutbeschmierten Kleider.
"Wie lange war ich weg?" flüsterte ich in den Stoff und wickelte eine schwarze Locke um meinen Finger.
"Nicht lange. Eine Stunde vielleicht." flüsterte er zurück und streichelte liebevoll meinen Kopf.
"Gut." Ich richtete mich etwas auf. "Lass uns gehen." Shane nickte, wir dankten Dr. Sartius und verließen die kleine, schäbige Praxis. Bezahlen mussten wir nichts, wir in unserem Distrikt hatten gelernt, in Zeiten der Not einander zu helfen, ohne etwas dafür zu verlangen.
Die Straßen waren wie leergefegt, es gab wahrscheinlich keine Familie, die sich im Moment nicht für die Ernte fertigmachte. Bei dem Gedanken an die Hungerspiele loderte in mir der Hass auf. Was waren das für Menschen, die 12 Jährigen Kindern beim Sterben zusahen und dessen Eltern noch zwangen, alles mitzuverfolgen? Ich schüttelte den Kopf, stütze mich auf Shanes Schulter ab und taumelte mit ihm zusammen über die Straße bis hin zum Haus meiner Familie. Auf einem großen Holzschild war der Name Stonehill eingemeißelt, den Namen, den unsere Familie schon seit Jahren trug.
"Kommst du auch ohne mich klar?" ich drehte mich zu Shane um und nahm seine Hand.
"Klar. Ich muss ja nur durch die Tür und ins Bad." Ich grinste und beugte mich vor, um ihn zu küssen. Zart knabberte ich an seiner Lippe und legte meine Finger auf seine Wange.
"Bist du dir sicher?" Ich verschränkte Liebevoll meine Finger mit seinen.
"Ja. Ich liebe dich, Shane." Ich lächelte und drehte mich um, die Hand an den Türrahmen gestemmt, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
"Ich dich auch.." flüsterte er und verschwand hinter der nächsten Ecke.
Lange stand ich noch im Türrahmen und starrte ihm nach, obwohl er schon längst außer Sichtweite war. Ich fuhr gedankenverloren über das Pflaster an meine Wange, seufzte und schloss die Tür hinter mir. Mit schmerzendem Kopf taumelte ich durch den kleinen Wohnraum und stieß unsanft die Badezimmertür auf.
"Mayra!" hörte ich einen entsetzten Schrei aus dem Badezimmer. Ich hob den Kopf und sah meine Mutter vor einem alten Spiegel stehen. Sie stürzte auf mich zu und nahm mich in den Arm. Ich wehrte mich nicht.
"Was ist passiert? Deine Wange.."
"Die Wölfe hatten Hunger." murmelte ich sarkastisch zur Erklärung und löste mich aus ihrem Griff.
"Was? Jetzt kommen schon Wölfe zu uns?" Ungläubig schüttelte sie den Kopf und drückte mir Wortlos ein Kleiderbündel in die Hand. Es war ein grünes Trägerloses Kleid, das unter dem Busen von einem Gummi zusammengerafft wurde und leicht meine Knie umspielte.
Meine Augen weiteten sich, als ich das Kleid erkannte.
"Dein Hochzeitskleid..." flüsterte ich ehrfürchtig und berührte den zarten Stoff des Kleides.
"Ich dachte, du bist alt genug um es zu tragen. Es passt so gut zu deinen grünen Augen." Ich sah sie an, sie lächelte. Sie lächelte, weil sie mir eine Freude machen konnte. Das Lache vertuschte sogar fast ihre vor Hunger eingefallenen Wangen. Aber nur fast.
"Danke." Ich legte das Kleid achtsam auf einen Stuhl neben dem Waschbecken und zog mich aus. Dabei bemerkte ich erst, wie dreckig ich war. An meinen Händen und Armen klebte Blut und Erdstaub bedeckte mein Gesicht. Meine Verschwitzten Haare fielen mir unangenehm nass ins Gesicht. Während ich das Wasser ins Waschbecken laufen ließ, verließ Mutter den Raum. Ich stütze mich auf das Waschbecken und senkte den Kopf. Die Angst überrollte mich, sobald es Still war. In wenigen Stunden würde ich auf dem Marktplatz stehen und auf die Namen warten, die diesesmal sterben mussten. Jedesmal hatte ich Angst. Angst um Shane, Angst um Tylor,um meinen kleinen, süßen Bruder Fynn und Angst um mich. Das ist absurd,
schalt ich mich selbst. Um Fynn brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Er wird nicht gezogen. Er ist nur eine von tausenden und nur 1 Mal im Lostopf!
Ich atmete tief durch und klammerte mich an diesen Gedanken, während ich damit begann, mein Gesicht und Körper von Blut und Schmutz zu befreien. Ich würde es nicht aushalten, Fynn in den Hungerspielen zu sehen. Auch wenn Tylor gezogen würde, hätte er keine Chance. Fast so wenig wie Fynn. Mit nur einem Fuß würde er nicht weit kommen. Ich ließ das inzwischen schmutzige Wasser wieder ablaufen und zog das Kleid über. Meine noch feuchten Haare ließ ich offen, nur das Pony flocht ich locker zurück, damit es mir nicht vor die Augen fiel. Vorsichtig lief ich ins Wohnzimmer, das Schwindelgefühl war noch da. Mutter war schon weg, sie hatte Fynn mitgenommen. Langsam durchquerte ich die Wohnung, öffnete die Tür und trat auf die Straße. Überall waren Menschen, die sich in Richtung Marktplatz bewegten. Sie drängten und schubsten und nahmen keine Rücksicht. Ich wollte mich gerade von dem Strom mitziehen lassen, als eine Hand meinen Arm packte und mich zurückzog.
"Du gehst nicht alleine!" schnell wirbelte ich herum und erkannte Tylor, der mich verschmitzt anlächelte. Er war so niedlich, wenn er lachte.
"Und du
willst mir das vorschreiben?" neckte ich ihn und grinste.
"Nö. Aber ich wünsche es." Er wusste genau, dass er mir nichts befehlen konnte. Weder er, noch irgendein anderer auf der Welt. Aber wenn ich mir von jemandem etwas sagen ließ, was äußerst selten vorkam, dann von ihm oder Fynn. Das waren die beiden Personen die ich am meisten liebte in meinem Leben. Selbst Tylor würde ich immer mehr lieben als Shane.
"Na dann..." Ich hackte mich bei ihm unter und wir humpelten gemeinsam zum Marktplatz. er wegen seinem fehlenden Fuß und ich wegen meinem Schwindelgefühl. Ich krallte meine Finger in meine Handfläche um mich von meiner Angst abzulenken, von der Angst, die mich jedes Jahr plagte, wenn ich mit meinen liebsten zum Marktplatz lief, nur um jedes Mal zu sehen, dass andere Kinder in die Arena geschickt wurden und starben.
Schon von weitem sah ich die mit Seilen abgegrenzten gebieten für jede Altersklasse, die Verzweiflung und Angst lag schwer in der Luft. Vor dem Teil der 13 Jährigen Jungen blieb ich stehen.
"Du wirst nicht gezogen, Ty. Und ich auch nicht. Ein einer Stunde treffen wir uns wieder hier, ja? Hab keine Angst." Ich strich ihm über den Kopf.
"Ich hab keine Angst!" sagte Tylor. Mein Tapferer, kleiner Ty...
"Ja. Ich weiß." Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn und wendete mich ab.
"Ich bin kein Kind mehr, May." Doch, das bist du..leider. Ich lächelte und lief eilig weiter zum Abteil der 12 Jährigen.
"Fynn!" rief ich laut.
"Mayra!" krähte eine bekannte Stimme zu meiner rechten. Ich wirbelte herum und schloss Fynn über die Schnur hinweg in meine Arme. Ich sah ihm die Angst deutlich an.
"Hör zu, Fynni. Du wirst nicht gezogen, keiner von uns wird gezogen. Mach dir keine Sorgen, ja?"
"Aber ich habe Angst..."
"Fynni. Es wird nichts passieren! Niemals." Ich küsste ihn auf die Stirn und wendete mich schweren Herzens ab.
"Geh nicht weg. Ich will dich nicht verlieren." Ich lächelte nur traurig und gab dann einer Frau mit einem großen Klemmbrett in der Hand meinen Namen.
Sie wieß mir mein Abteil zu und ich stellte mich zu den anderen 16 Jährigen Mädchen, allesamt verängstigt und verzweifelt. Ein leichter Anflug von Panik kam über mich und ich hielt ausschau nach Shane. Die merkwürdigen Blicke, die meinem Pflaster und der geröteten Haut darum galten, beachtete ich nicht.
"Mayra!" Ich wirbelte herum, zu der Richtung aus der die Stimme kam. Etwa 2 Meter von mir entfernt stand er, wir waren nur durch eine Schnur getrennt. Ich lief zu ihm, verschränkte meine Finger mit seinen und versuchte den schmerzlichen Blick in seinen Augen zu vergessen. Ich brauchte diese Berührung, diese Nähe.
Wir hatten keine Zeit mehr, irgendwelche Ermutigungen auszutauschen, also standen wir nur Hand in Hand da, denn in diesem Moment knackte das Mikrophon und unser frisch gebackener Moderator aus dem Kapitol, Kyle Sciro, trat auf die Bühne. Sein Knallgrüner Umhang wehte hinter ihm her und seine Schuhe klapperten auf der Bühne als er seinen Platz vorne auf dem Podest einnahm. Er hatte sich fast nicht verändert, nur waren seine Haare zur Abwechslung mal einigermaßen 'normal': schlichtes Schwarz mit einer grünen Strähne an der Seite. Er räusperte sich und plötzlich wurde es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
"Willkommen, willkommen!," sprach er ins Mikrofon und machte eine allumfassende Geste,"zu unseren 90. Hungerspielen! Es ist nun wieder an der Zeit, einen mutigen jungen Mann und eine mutige junge Frau auszuwählen, die Distrikt 9 bei den diesjährigen Hungerspielen vertreten werden. Aber zuerst ist noch zeit für ein kleines Filmchen!" Er lachte gekünstelt und trat beiseite, der Blick auf einen riesigen Bildschirm wurde Frei. Ich zuckte zusammen,wie jedes Mal, als Präsidentin Petrova sichtbar wurde und den Film einleitete, der jedes Mal bei der Ernte gezeigt wurde. Ich ließ die Worte einfach an mir vorbeiziehen und hatte nur Augen für den boshaften Blick Petrovas.
Als sie ihren Bericht über den zerbombten Distrikt 13 beendet hatte und die Warnung ausgesprochen hatte, sich nie wieder gegen das Kapitol aufzulehnen, wurde der Bildschirm schwarz und Kyle Sciro räusperte sich abermals. Eine angespannte Stille lag über dem Marktplatz als Sciro sich vor eine der beiden Lostrommeln stellte und seufzte.
"Und wie immer: Lady's first! Ach, ich liebe das!" Als er die Hand hob um in die Lostrommel zu greifen, setzte mein Herz einen Schlag aus. Ich versuchte, panisch meinen Atem unter Kontrolle zu halten und nicht zu zeigen, wie verzweifelt ich war, doch das Schwindelgefühl setzte wieder ein. Sciro hatte inzwischen einen Zettel aus dem Lostopf gefischt, faltete ihn auf uns räusperte sich ein drittes Mal.
"Und der weibliche Tribut für dieses Jahr ist..." Tief in meinem inneren kannte ich die Antwort schon. Doch die 2 Worte, die Sciro aussprach, trafen mich trotzdem, eiskalt, wie eine Schockwelle.
"Mayra Stonehill!"
Noch nicht einmal mein Showdown mit dem Wolf war mit dem Gefühl zu vergleichen, das gerade in mir Vorherrschte. Der Wolf hatte mir die Luft aus den Lungen gepresst und mich verletzt, doch diese 2 Worte, die ich schon so oft gehört hatte, nahmen mir meine Komplette Atemluft. Ich fühlte mich wie ein Fisch auf dem Land. Hilflos, todgeweiht, ausgeliefert. Die Mädchen um mich herum legten mir ihre Hände auf die Schulter, versuchten mich zu beruhigen, obwohl ich nur stocksteif dastand und nichts tat.
"Mayra? Komm hier her!" Sciro winkte mit der freien Hand in Richtung der aufgeregten Menschentraube, die sich um mich versammelt hatte. Ich zitterte. Fast jeder aus diesem Distrikt kannte meinen Namen, fast jeder wusste, dass ich diejenige war, die Distrikt 8 immer vor wilden Tieren beschützte. Ich atmete zitternd ein und aus, drückte die Schultern durch und verschloss meine Gefühle hinter einer perfekten Fassade. Einmal noch drückte ich Shane's Hand, dann setzte ich mich in Bewegung. Die Menge teilte sich, ich wusste, dass alle Blicke auf mich gerichtet waren. Mit funkelnden Augen schritt ich die Treppe hinauf und stellte mich neben Sciro. Ich ließ meinen Blick scheinbar unbeteiligt über die Menschenmenge gleiten, die auf einmal ganz ruhig war, doch tief im inneren wusste ich nicht, wie ich mich fühlen sollte. Ich wusste noch nicht einmal, warum ich meine Gefühle verbarg. Sciro trat zu mir und legte mir einen Arm um die Schulter.
"Und das ist unser weiblicher Tribut für dieses Jahr! Mayra Stonehill! Herzlichen Glückwunsch." Lachend schüttelte er mir die Hand, ich erwiderte seine Geste Tonlos und ohne die kleinste Spur eines Lächelns auf meinem Gesicht.
"Möchtest du noch etwas sagen?" Endlich erwachte ich aus meiner Starre und riss die Augen auf.
"Ja." Ich trat neben das Mikrophon und suchte Fynns Blick. Er stand mitten in einer Menge von 12 Jährigen, das Gesicht kreidebleich.
"Ich werde versuchen zu gewinnen. Ich tue es für euch. Für Distrikt 9." Ich richtete diese Worte nicht an die Menge, sondern an Fynn. Und das wusste er.
Sciro lachte noch einmal, obwohl diese Situation gar nicht komisch war.
"Da haben wir wohl eine Kämpferin erwischt! Viel Glück, Mayra. Einen Applaus bitte, für Mayra Stonehill aus Distrikt 8!" Mit kaltem Blick sah ich in die Menge, mein langes, schwarz gelocktes Haar wehte im Wind. Doch niemand Applaudierte. Alle blickten mich nur unfassbar traurig an. Ich reckte die Nase in den Wind und atmete laut aus. Dann richtete ich meinen wilden, entschlossenen Blick ins Publikum, ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Und von diesem Augenblick an war mir klar: Ich würde wirklich versuchen zu gewinnen.
"Ähh...ja. Machen wir weiter mit den Jungs!" sagte Sciro leicht verunsichert durch die Reaktion der Menge und machte ein paar Schritte zum Lostopf der Jungen. Ich jedoch blieb unbewegt auf der Tribühne stehen. Sciro lies seine Hand über dem Lostopf kreisen, dann schlug er zu. Blitzschnell, wie ein Adler, der seine Beute holt, schnappte er sich einen Zettel und faltete ihn auf. Bitte nicht Fynn. Bitte nicht Fynn.
"Und der diesjährige Männliche Tribut ist..." Bitte nicht Fynn. Bitte nicht Fynn
. Sciro lachte als er den Namen verkündete. Doch ich hätte heulen können.
"Tylor Bell!"
Zu erfahren, wer mit mir in die Spiele gehen würde, war fast noch schlimmer, als zu wissen dass ich in die Spiele gehen würde. Tylor, mein kleiner Ty würde mit mir in die Arena gehen und mit nur einem Fuß ums Überleben kämpfen.
"Nein!" schrie ich, doch keiner hörte mich. Die Aufruhr war zu groß, wie immer, wenn ein 12 oder 13 Jähriger als Tribut gewählt wurde. Ich brauchte nicht lange, um Tylor in der Menge auszumachen. Blass und zitternd stand er da, er machte sich nicht die Mühe, seine Gefühle zu verbergen. Ob ich auch so ausgesehen hatte, als mein Name aufgerufen worden war? Mit wackeligen Schritten humpelte Tylor auf die Tribühne zu. Ich konnte nicht zulassen, dass er in die Arena ging. Einer von uns würde sterben müssen. Und das würde definitiv nicht Tylor sein. Es wird sich schon jemand freiwillig melden
, sagte ich mir selbst, er ist doch erst 13. Jemand muss Mitleid haben!
Als er mit seiner Prothese die Treppe hinauf gehumpelt war, wartete ich keinen Augenblick länger. Vor den Kameras und allen Augen stürmte ich auf ihn zu und nahm ihn in den Arm.
"Alles wird gut, Ty, alles wird gut." flüsterte ich und strich über seine Haare. Ich spürte seine Tränen auf meiner Schulter, aber er nickte tapfer.
"Oh, die beiden kennen sich wohl sehr gut! Noch mehr Drama. Mein Beileid ihr beiden!" Sciro legte je eine Hand auf Tylors und meine Schulter. Ich beschloss, dass ich ihn nicht ausstehen konnte.
"Gebt euch jetzt die Hände." Eine Zeit lang blieb ich einfach auf der Bühne stehen und beachtete den Moderator nicht, dann drehte ich mich wieder zu Tylor und schüttelte ihm sachte die Hand. Die Menge applaudierte Schwach und ein Junge kam die Treppe hinauf. Noch ein Tribut? Hatte ich etwas verpasst?
"Mayra, Tylor, darf ich vorstellen? Euer Mentor: Sierro Gommery!" Das sollte unser Mentor sein? Dieser Junge war kaum älter als ich!Ich konnte mich nicht erinnern, dass er je etwas mit den Hungerspielen zu tun hatte. Misstrauisch schüttelte ich seine Hand, sagte aber nichts. Es würde sicherlich nicht gut ankommen,jetzt fragen zu stellen. Als Sciro nichts weiter sagte, wurde mir klar, was jetzt anstand. Er würde fragen, ob sich jemand freiwillig melden wollte. Kaum hatte ich daran gedacht, sprach der Moderator es auch schon aus.
"Gibt es Freiwillige dieses Jahr?" Stille. Verzweifelt suchte ich Shanes Blick. Melde dich freiwillig. Für Ty
, versuchte ich ihm zu sagen. Doch er sah mich nur mit traurigen Augen an.
"Nein..." flüsterte ich kaum merklich. Alles blieb still. Keiner würde Tylor das Leben retten. Noch nicht einmal sein großer Bruder. Auf einmal wurde meine Traurigkeit von meiner Wut verdrängt. Warum war Shane so feige? Ich ballte meine Fäuste und bändigte mit größter Mühe meine Gefühle. Kalt sah ich meinen festen Freund an und schüttelte ungläubig den Kopf. Ich tat so, als würde ich den Schmerz in seinen Augen nicht erkennen und wendete den Blick ab.
"Keine Freiwilligen? Nun, das ist tragisch. Nadenn...erkläre ich die Ernte hiermit für offiziell beendet!" er klatschte in die Hände und die Menge auf dem Marktplatz löste sich langsam auf. Alle waren froh, dass ihre Kinder nicht in die Arena mussten, sie würden jetzt feiern. Nur meine und Tylors Familie würde die Fenster verschließen und beten, dass einer von uns lebend nach Hause kommt.
Etwas packte mich von hinten an der Schulter und ich wirbelte herum. Meine Hand zum Schlag erhoben blickte ich in die verwirrten Augen eines Friedenswächters.
"Schleich dich nie mehr von hinten an mich heran!" fauchte ich und schlug seine Hand weg.
"Tut mir Leid, Miss Stonehill, aber wir müssen sie nun auf euer Zimmer bringen. Und ihren kleinen Freund dazu. Ich kann sie natürlich auch gleich zum Bahnhof bringen, wenn sie sich nicht verabschieden möchten." Er grinste spöttisch, ich wusste, dass dieser Friedenswächter mich provozieren wollte, doch darauf ging ich nicht ein. Finster drehte ich mich um, nahm Tylor bei der Hand und ging die Bühne hinunter. Eskortiert von mehreren Friedenswächtern wurden wir auf unsere Zimmer geführt. Bevor sie uns trennten, damit wir uns einzeln von unseren Familien verabschieden konnten, kniete ich mich auf den Boden und nahm Tylors Gesicht zwischen meine Hände.
"Ich bin gleich wieder bei dir." Ich sah ihm tief in die Augen, lächelte und verschwand in dem mir zugewiesenem Zimmer. Dass mein Lächeln gestellt war, hatte er bestimmt gemerkt. Ich knallte den Friedenswächtern die Tür vor der Nase zu und ließ mich auf einen Sessel sinken. Ausdruckslos starrte ich in die Leere. Ich musste mit Tylor in die Arena. Mein kleiner Tylor. Ich wusste, dass ich ihn nicht sterben lassen konnte, lieber würde ich sterben. Ty hat es verdient zu Leben
. Kurz bevor sich die Tür öffnete um meine ersten Besucher hereinzulassen, fasste ich einen Entschluss: Ich würde alles daran setzen, ihn lebend da herauszuholen.
"Mayra.." hörte ich eine vertraute Stimme neben mir. Langsam drehte ich den Kopf und sah Mom in die Augen. Meine ganze Familie stand dort. Vater, Mutter und Fynn. Allesamt mit rotgeweinten Augen.
"Kommt her..." flüsterte ich und schloss sie alle auf einmal in meine Arme. Meine Fassade brach in sich zusammen und eine einzelne Träne kullerte über meine Wange. Ich wollte sie nicht hier zurücklassen.
"Ich komme zurück zu euch." sagte ich. Lügnerin! Lügnerin!
Ich schloss die Augen.
"Mayra?" Ich hob den Kopf und sah Fynn in die Augen. "Ich möchte, dass du das hier mit in die Arena nimmst." Er öffnete seine Hand und ließ ein Lederarmband in meine Finger fallen. Ich drehte es mehrmals zwischen den Fingern und streifte es dann über. 'Wolfsmädchen'stand in das Leder eingeritzt. Ich lächelte.
"Schnell, gefährlich und wild...so wie du." flüsterte er.
"Danke.." ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann riss jemand die Tür neben uns auf. Ich zuckte zusammen.
"Die Zeit ist um." sagte der Friedenswächter von vorhin nicht ohne einen spöttischen Blick auf mich und packte Fynn am Arm.
"Lass ihn los." zischte ich hinter zusammengepressten Zähnen hindurch, doch der Friedenswächter schubste meine kleine Familie nur aus dem Raum hinaus. Langsam nervte der Friedenswächter. Ich war es gewöhnt, dass alle vor mir zurückschreckten, wenn ich wütend wurde. Alle außer Fynn, Shane und Tylor.
Dafür kam Shane herein. Mein Blick wurde kalt.
"Mayra..." er wollte mich umarmen, doch ich schubste ihn weg.
"Feigling."
"Was ist los?" Ich verkrampfte mich und schaute ihm wütend ins Gesicht.
"Das weißt du nicht? Dein eigener Bruder muss in die Arena mit nur einem Fuß und du stehst tatenlos daneben!" Ich kochte vor Wut und Verzweiflung. Shane sah mich nur traurig an.
"Was hätte ich denn machen können?" Ich schüttelte nur den Kopf und sah ihn verletzt an.
"Warum hast du dich nicht freiwillig gemeldet? Er wird sterben, Shane!" Wütend sprang ich auf, nur den Gedanken an Tylor im Hinterkopf.
"Ich weiß, aber-"
"Warum? Seid wann bist du so ein Feigling?"
"Du hättest lieber gewollt, dass ich sterbe, stimmts? So ist es doch schon immer gewesen! Du hast ihn schon immer mehr geliebt als mich!" Als ich den Schmerz in seinen Augen sah, erkannte ich, was ich angerichtet hatte. Meine Wut verpuffte und ich wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, doch er wich aus. Eine einzelne Träne rollte über seine Wange.
"Nein, Shane, so darfst du das nicht sehen.."
"Und wie dann? Wie dann, Mayra?" Er drehte sich um und ging zur Tür.
"Shane!" Verzweifelt ließ ich mich wieder auf den Sessel sinken. Ich wusste, wie sehr ich ihn verletzt hatte." Ich liebe dich..." flüsterte ich und schluchzte leise.
Er hielt kurz in der Tür inne.
"Fröhliche Hungerspiele." Mit diesen Worten verschwand er und ich bekam die Krise des Jahrhunderts.
Mit leerem Blick wartete ich auf die Friedenswächter. Schon bald wurde eine Tür aufgestoßen und ein Friedenswächter, den ich nicht kannte, kam herein.
"Mayra? Du musst zum Bahnhof." sagte er verständnisvoll doch ich funkelte ihn nur an. Der gewünschte Effekt blieb dieses Mal nicht aus: der Friedenswächter machte hastig ein paar SChritte zurück. Einmal, Zweimal, Dreimal atmete ich tief durch und verschloss dann wieder meine Gefühle hinter meiner Fassade. So perfekt verborgen, so unscheinbar nach außen sperrte meine eigene, innere Mauer meine Gefühle in mir ein. Scheinbar unberührt stand ich auf und folgte dem Friedenswächter aus dem Raum.
Das Tageslicht draußen kam mir viel zu hell vor und ich schirmte meine Augen mit einer Hand ab, ein leichter Wind kühlte meine Haut und wehte durch meine Locken. Über den ganzen nun menschenleeren Marktplatz verteilt standen hunderte Friedenswächter. Hunderte um nur 2 Personen zu bewachen? Ich schüttelte den Kopf und hielt ausschau nach vertrauten Gesichtern. Natürlich sah ich keinen einzigen aus meinem Distrikt. Nur in dem Auto, das einige Meter vor mit hielt, sah ich ein paar blaue Augen, die ich überall wiedererkennen könnte. Ich lief schnell auf die Tür zu und setzte mich in den Wagen. Kyle Sciro neben mir ignorierte ich, Sierro Gommery und den Friedenswächter am Steuer ebenfalls. Ich hatte nur Augen für Tylor. Sein Gesicht war vom Weinen gerötet und er sah erschöpft aus. Wortlos griff ich nach seiner Hand und hielt sie fest. Die ganze Fahrt über sprach ich kein einziges Wort und registrierte die Erklärungen Sciros übers Kapitol gar nicht. Warscheinlich hörte überhaupt keiner zu. Ich sah nur, dass Sierro mich die ganze Zeit beobachtete mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, den ich nicht deuten konnte. Ich wollte ihm eine giftige Bemerkung an den Kopf schmeißen, entschied mich aber dagegen. Schließlich wollte ich von unserem angeblichen Mentor noch Überlebenstipps bekommen, die mir und Tylor in der Arena helfen konnten.
"Wir sind da!" verkündete Sciro überfreundlich. "Auf, auf, aussteigen!" Händewedelnd gab er mir einen kleinen Stoß. Auf seine Berührung reagierte ich nur mit einem bösen Blick. Ich wollte nach dem Hebel zum öffnen der Tür greifen, doch Sierro war schneller. Er bot mir seine Hand an, eine Augenbraue nach oben gezogen. Ich sah ihm in die Augen, dann auf die Hand und schließlich stand ich einfach auf, ohne seine Hilfe anzunehmen.
"Unnahrbar, wild und gefährlich." flüsterte er kaum merklich. "Damit kann ich arbeiten." Verärgert ließ ich ihn vor dem Wagen stehen und lief im laufschritt zu Tylor. Ich strich ihm über den Kopf.
"May, nimm deine Hand weg, sonst sieht es noch so aus, als wäre ich schwach!" flüsterte er und lächelte leicht. Da war er wieder, mein alter Tylor. Tapfer wie immer.
Ich nickte und folgte dem Friedenswächter, der uns zum Zug geleitete. Mit einem letzten Blick zurück auf den menschenleeren Bahnhof stieg ich ein und begann meine Reise in den Tod.
Ich schluckte. Das Geräusch der sich schließenden Türen kam mir so unglaublich Laut vor. Hier stand ich nun, in einem kleinen Raum in einem Hochgeschwindigkeiteszug, zusammen mit meinem Mentor, der versuchen würde, meinen Tod in der Arena noch etwas herrauszuzögern, dem verkorksten Moderator der Ernte und Tylor. Mein kleiner Tylor, den ich mit Leib und Seele beschützen würde, von dem Augenblick an, in dem wir im Kapitol ankamen. Ich würde nicht davor scheuen, mich zwischen ihn und einen Friedenswächter zu stellen. Mit den Schwachköpfen asu unserem Distrikt kam ich jedenfalls sehr gut klar, ich hatte mir allerseits Respekt verschafft.Ein leichtes Lächeln stahl sich auf meine Lippen, verwandelte sich aber in Staunen, als sich die undurchsichtige Metalltür vor uns öffnete und den Blick auf den eigentlichen Zug freigab. Den Zug, indem wir nun 3 Tage leben würden.
Überrascht machte ich einen Schritt nach vorne, meine Finger strichen über das Metall der Schiebetür. Ich spürte den samtenen Teppich unter meinen Füßen und es tat mir schon fast Leid, ihn mit meinen Schuhen zu verschmutzen, so kostbar kam er mir vor. In unserem Distrikt wäre soetwas unbezahlbar. Gedankenverloren berührte ich die langen Gläser, die auf einer mit Schnörkeln verzeirten Komode standen. Merkwürdige Gläser: Unten waren sie Bauchig und liefen oben spitz zu. Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen. Überall fand ich dieselben Verzierungen wie auf der Komode, alles glänzte und funkelte. Selbst an den Lampen konnte ich die verschlungenen Ornamente erkennen. Einen merkwürdigen Möbelstil hatten die hier. Merwürdig, aber nicht unbedingt hässlich. Die aufwendigen Muster faszinierten mich.
"Und? Gefällt es dir?" Ich erkannte Sciros Stimme an seinem unnatürlichen Akzent, aber dennoch zuckte ich zusammen.
"Es ist...interessant." antwortete ich trocken. Ich wollte eigentlich nichts mit den Leuten aus dem Kapitol zu tun haben, aber Freundschaften zu knüpfen war sicherlich nicht verkehrt. Also zwang ich mich noch zu einem Lächeln. Erst dann merkte ich den Scherbenhaufen neben meinem Fuß. War ich das gewesen? Ich legte den Kopf schräg. Irgendwie erinnerte mich der Haufen an mein Leben. Es lag auch in Scherben zersprungen achtlos auf dem Boden, seit ich gezogen wurde. Dazu kam noch das Loch in meiner Brust. Ich hatte Shane wehgetan. Hatte ihn verletzt und ihm das Gefühl gegeben, ihn nicht zu lieben. Eigentlich war ich selbst daran schuld, dass er sich so kalt von mir abgewendet hatte. Und doch wollte ich nicht, dass es so zuendeging. Ich wusste, dass ich ihn niemehr sehen, umarmen oder küssen konnte, mein Tod war quasi beschlossene Sache.
Trübselig bückte ich mich und begann, die Scherben aufzulesen.
"Halt Mayra, lass das, du verletzt dich doch nur. Wir haben genügend Personal, das das hier wegmachen kann." Ich machte keine Anzeichen, aufzuhören und sah Sciro nur mit schräggelegtem Kopf an. Dieser streckte seine Finger und griff nach einer Art Fernbedienung, die mit nur einem Knopf ausgestattet war. Nur Sekunden später, nachdem er den Knopf gedrückt hatte, öffnete sich die Tür und ein blonder Mann kam hinein. Ich schätzte ihn auf mitte dreißig. Wortlos begann er, die Scherben aufzulesen und steckte sie in eine Tasche an seiner schmutzigen, weißen Uniform. Dann sah er mich an. Ich weitete die Augen, kniff sie wieder zusammen und blickte in seine blauen Augen, in denen ich etwas aufblitzen sah. War es Wut? Erleichterung? Verwunderung? Verwirrt streckte ich die Finger nach ihm aus, doch er zuckte zurück. Der Merkwürdige Audruck verwandelte sich wieder in gebrochene Trauer, die sein Gesicht merkwürdig farblos erscheinen ließ. Er kam mir bekannt vor. Zu bekannt. Doch je mehr ich in meinen Erinnerungen wühlte, desto schwieriger wurde es, sich zu konzentrieren: meine Kopfschmerzen kamen zurück. Das erste Mal seit ich auf dem Marktplatz angekommen war, meldete sich meine Verletzung wieder. Im Adrenalin waren die Schmerzen wohl größtenteils untergegangen.
"Wer bist du?" flüsterte ich verwirrt.
"Mayra! Hat man dir nicht beigebracht, dass man mit einem Avox nicht spricht?" zischte Sciro. Ich beachtete ihn nicht, tat aber einen Schritt rückwärts. Er würde mir nicht antworten, auch wenn er wollte. Als Avox hatte er keine Zunge mehr.
Schweigend lief ich neben Sciro her. Er hatte mein Verhalten gegenüber dem Avox schon vergessen und fing nun munter an, mir mein Zimmer zu beschreiben, er schien gar nicht zu bemerken, dass ich ihm nicht zuhörte. Meinen Blick auf den Boden gerichtet folgte ich gedankenverloren Sciros füßen, die mich zu meinem Zimmer führten.
Was hatte der Avox getan, dass das Kapitol ihm die Zunge herausgeschnitten hatte? Was bedeutete das Blitzen in seinen Augen? Und voallem: Wer war er? Schon seit zwanzig Minuten versuchte ich die scheinbar undurchdringliche Kopfwehbariere zu durchbrechen. Ich wusste, dass meine Erinnerungen an diesen Mann tief in meinem Kopf verborgen waren, versteckt hinter den Kopfschmerzen, wie all die Erinnerungen vor meinem neunten Geburtstag. Doch warum ich mich nur an die letzten sieben Jahre meines Lebens Erinnern konnte, wusste ich nicht.
"Hier ist dein Zimmer." Fast wäre ich in Sciro reingerannt, als dieser aprupt vor mir stehen blieb.
"Zieh einfach an was du willst, tu was du willst, nur sei um 6 beim Abendessen im Speisesaal."
Er öffnete die Tür und beobachtete verzückt, wie ich staunend den Kopf hob und einen vorsichtigen Schritt in mein Zimmer tat.
"Das Zimmer ist jetzt deins, solange du hier lebst. "Er lächelte und räusperte sich. "Ich lasse dich jetzt mal alleine. Bis später." Ich nickte abwesend und zog die Tür hinter mir zu. Das Kapitol überraschte mich immer wieder. Das Zimmer selbst war noch prachtvoller als das Zugabteil, indem ich den Avox getroffen hatte.
Ein riesiges Himmelbett füllte die eine Seite der Wand aus, indem meine ganze Familie mitsamt Tylor und Shane Platz gehabt hätte und auf einem Nachttisch standen die selben bauchigen Gläser von denen ich eins zu Scherben verarbeitet hatte. Die andere Seite der Wand war komplett mit Spiegeln ausgefüllt, bis auf einen kleinen Fleck, den eine große, grüne Couch und ein kleiner Wandschrank verdeckte. Ich ließ mich auf die Bettkante sinken und strich über das große, bunte Kissen.
Ich konnte nicht sagen, dass ich das Zimmer hasste. Auch wenn es mir falsch vorkam, dass das Kapitol den ganzen Luxus besaß, der den Distrikten fehlte, fühlte ich mich wohl. Ich war froh, wenigstens ein wenig Luxus genießen zu können, bevor ich sterben würde.
Ich ließ meinen Blick durch das Zimmer schweifen und registrierte jede Verschnörkelung, jedes goldene glitzern, jeden kleinen Edelstein. Dabei war mir immer bewusst, dass niemand in den Distrikten so etwas Prachtvolles je gesehen geschweigedenn besessen hatte.
Fasziniert machte ich mich auf die Suche nach einer Uhr. Ich wollte wissen, wie viel Zeit mir noch blieb, bevor ich den anderen wieder unter die Augen treten musste.
Ich dehnte jeden meiner Finger, die ich unbewusst um einen Zipfel der Bettdecke gekrampft hatte, einzeln und stand auf. Neugierig zog ich an dem vergoldeten Knauf des Nachttischschränkchens und zog den Wecker hinaus. Vier Uhr. Das hieß, ich hatte noch etwa zwei Stunden zeit. Zum ersten Mal seit der Ernte war ich wieder froh.
Froh allein zu sein. Froh, niemandem sagen zu müssen, dass es mir gut ginge, obwohl dem nicht so war. Seufzend stellte ich den Wecker ab und griff tiefer in die Schublade, bis ich in der hintersten Ecke auf etwas kaltes Stieß.
Ich umschloss den runden, kalten Gegenstand mit meinen Fingern und zog ihn heraus. Meine Augen weiteten sich, als Erinnerungen in mir aufströmten, die ich glaubte vergessen zu haben. In meinen Händen lag eine goldene Spotttölpelbrosche.
Man redete nicht mehr darüber, was damals passierte. Zumindest das Kapitol redete nicht mehr darüber.
Die Spotttölpelbrosche fiel mir aus der Hand als die Bilder auf mich einprasselten. Brennende Häuser, schreiende Kinder, Tod. Überall lag der Tod in der Luft und mitten in den Flammen stand eine Frau. Katniss Everdeen. Ihr Blick war entsetzt auf die Asche gerichtet, auf die Zerstörung, die sich überall ausbreitete, wo sie war.
An ihrer Seite stand ein Mann, dessen Gesicht ich nicht erkennen konnte. Warscheinlich Peeta Mellark, Katniss' große Liebe. Ich verkrampfte mich und ließ mich auf das Bett fallen. Den Kopf verbarg ich unter den Kissen. Bitte, lass die Bilder verschwinden, bitte! Ich schrie und presste mich entsetzt in die letzte Ecke meines Bettes.
Mein Kopf fühlte sich so an, als würde er gleich Exlodieren, doch der Bilderfluss hörte nicht auf. Auf einmal sah ich das Gesicht einer älteren Frau vor mir. Präsidentin Coin, flüsterte mir irgendetwas zu. Woher ich auf einmal diese erschreckenden Informationen hatte, wusste ich nicht. Dass ich mich an etwas erinnerte, das vor meiner Geburt passiert war, machte mir Angst. Geschockt blickte ich auf die Lippen der Frau, als sie anfing zu Sprechen.
"Damals, kurz nach den 75. Hungerspielen brach die 2. Rebellion aus, doch diesesmal mit Erfolg: Das Kapitol stürzte. Beide Seiten erlitten große Verluste, doch diesesmal reichte der Reichtum des Kapitols nicht aus, um uns zu stürzen. Wir marschierten ein und besetzten das Kapitol. Als Zeichen des Siegs veranstalteten wir die letzten Hungerspiele, in denen die Kinder des Kapitols in die Arena mussten."
Ich bemerkte den roten Fleck auf ihrem Hemd erst, als sich ihre Augen weiteten. Ein Pfeil hatte sich durch ihre Brust gebohrt. Langsam, wie in Zeitlupe fiel sie vorne über.
Ich unterdrückte einen Schrei und hielt mir den Kopf.
Egal wo ich auch hinsah: anstatt des Zimmers im Zug sah ich den Krieg, der vor etwa 20 Jahren wütete. Als ich den Kopf wieder hob, blickte ich direkt in die grauen, traurigen Augen von Katniss Everdeen. Sie hielt den Bogen gespannt in der Hand, dessen Pfeil die Präsidentin ermordet hatte.
Dann begann sie zu Sprechen. "Doch leider reichte das nicht. Präsident Snows Tochter überlebte." Dann streckte sie einen Finger nach mir aus. "Vergiss nicht, wer dein Feind ist, Mayra."
So schnell die Erinnerungen gekommen waren, so schnell verschwanden sie auch wieder. Schwer atmend öffnete ich die Augen. Ich lag auf dem Boden vor meinem Bett, die Hände an die Stirn gepresst.
Ängstlich sah ich mich um. Kein Krieg, kein Tod, nur mein Zimmer im Zug . Zitternd stand ich auf und setzte mich aufs Bett. Mir war schwindelig. Was auch immer da gerade passiert war, war nicht normal. Ich erinnerte mich so klar an dieses Ereignis vor meiner Geburt, als wäre ich dabei gewesen.
Warum wusste Katniss Everdeen meinen Namen? Das war nur ein Alptraum, nur ein Alptraum., beruhigte ich mich. Ein Alptraum bei Tage? Ich schüttelte den Kopf. Nur eine verrückte Fantasie. Langsam versuchte ich, meinen Atem zu kontrollieren. Ich fixierte einen Punkt an der Wand, stellte meine vor Schwindel getrübte Sicht wieder klar und stand auf. Ein stechender Schmerz fuhr durch meine Wange und meine Hand schnellte automatisch zu dem Pflaster, das die Schnitte verdeckte, die ich kurz vor der Ernte von einem Wolf bekommen hatte. Hoffentlich war die Wunde nicht schon wieder aufgerissen.
Zügig knüllte ich die Ecke meines Kleides zusammen, biss darauf und zog in einem Rutsch das Pflaster ab. Der Stoff in meinem Mund dämpfte den Schrei, den ich nicht unterdrücken konnte. Die Ränder der Wunde waren an der Watte desPflasters festgeklebt gewesen. Nunja. Jetzt nicht mehr. Mir wurde schlecht bei der Vorstellung, wie meine Wange wohl aussehen mochte. Schwach stolperte ich zu einer der beiden Türen, die sich in der Spiegelwand befanden und riss sie auf.
Die Hand auf dem Lichtschalter hielt ich kurz inne. Ich konnte die Mühe des Künstlers in diesem Raum gar nicht bewundern, da meine Sicht schon wieder verschwamm. Stöhnend kniff ich die Augen zusammen und stützte mich auf dem Waschbecken ab. Lange brauchte ich, bis ich wieder zu atem kam und einen Blick in den Spiegel riskierte.
Mir drehte sich der Magen um als ich meine Wange sah. Die 3 Schnitte waren dick geschwollen und hoben sich von der Haut, ab, die sich rot entzündet über meine Wangenknochen spannte. Das chronische Brennen der Schnitte war wohl mein kleinstes Problem. Die ausgefransten Ränder der Wunde waren braun und sahen nicht lecker aus, der Wundsaft rann vermischt mit dickflüssigem Eiter, nur so über mein Gesicht. Und das Merkwürdigste: die Fäden, die die Wunde zusammengehalten hatten, waren weg. Hatten sich aufgelöst.
Ich sog laut Luft ein und riss ein Papierhandtuch aus einem Spender neben dem Waschbecken ab. Dann drehte ich mich um und ließ meinen Blick im Raum herumschweifen. Nach kurzer Zeit fand ich das, was ich suchte: einen erste Hilfe Kasten. Ich stolperte darauf zu, stützte mich an an der Wand daneben ab und begann, darin herumzuwühlen.
Mit einem Wattebausch und Desinfizierungsmittel wuchtete ich mich zum Spiegel. Mit dem Papiertuch tupfte ich zuerst den Wundsaft ab, tränkte dann den Wattebausch in der alkoholischen Flüssigkeit und presste ihn mir ohne Nachzudenken auf die Wange.
Ich konnte von Glück reden, dass die Zugwände einigermaßen Schallgedämpft waren, sodass man meinen Schrei nicht hören konnte. Wie von einer Tarantel gestochen riss ich den Wattebausch wieder von der Wunde und atmete tief durch. Meine Wange tat furchtbar weh, doch der Schmerz sagte mir, dass nichts anfing, zu faulen. Also war es nur entzündet und konnte geheilt werden.
Für einen kurzen Moment blieb ich ruhig auf dem Badezimmerboden sitzen, aufdem ich zusammengesunken war und lauschte auf Schritte. Als ich sicher war, dass niemand meinen Schrei gehört hatte, kramte ich ein großes Pflaster aus dem erste Hilfe Kasten und klebte es unbeholfen auf meine Wange. Ich stöhnte. Wenn das Schwindelgefühl nicht bald nachließ, sah es für mich- und vorallem für Tylor- nicht gut aus in der Arena.
In einem kurzen Moment der Entschlossenheit rappelte ich mich auf. Stumm formte ich die Hände zu einer Kuhle und ließ etwas eiskaltes Wasser hineinlaufen, welches ich außer Atem austrank. Das half ein wenig, den Schmerz und das Schwindelgefühl zu vergessen und ich konnte wieder einigermaßen aufrecht gehen.
Nach einem Blick auf den Wecker richtete ich mich auf. Ich hatte noch eine viertel Stunde Zeit, um mich umzuziehen, das Duschen würde ich wohl verlegen müssen.Noch etwas wirr im Kopf ging ich aus dem Bad und schloss die Tür hinter mir.
Meine Füße waren im Badezimmer wohl irgendwie nass geworden, denn sie hinterließen dunkle Spuren auf dem Teppich, als ich zu dem kleinen Wandschrank neben der Couch ging und die Türen aufriss. Wahllos griff ich nach einer schwarzen, kurzen Hose und einem hellblauen Top aus Seide, das in vielen Lagen über meinen Bauch fiel. Ich schlüpfte in die Kleidungsstücke, fuhr noch einmal mit einem goldenen Kamm durch meine schwarzen Locken, dann wendete ich mich in richtung Tür.
Neben meinem Bett sah ich etwas goldenes im Sonnenlicht blitzen: die Spotttölpelbrosche. Ich wusste nicht warum, aber ich hob sie auf und steckte sie in die Hosentasche, dann machte ich mich auf den Weg zum Speisesaal, obwohl ich keine Ahnung hatte, wo sich dieser befand.
Texte: Textgestaltung von Leonie Frey, Idee von Suzanne Collins, Figuren und (teilweise) Handlung von Leonie Frey.Teil 1:Don't forget who's your enemie. Weitere Teile in Planung.
Bildmaterialien: http://larafairie-stock.deviantart.com/ DeviantART, larafairie stock pfoto, half face
Lektorat: Noch kein Lektor vorhanden, gesucht!
Übersetzung: Nicht Benötigt.
Tag der Veröffentlichung: 29.03.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meinen kleinen Bruder David