Das Tagebuch der Lena S.
Oder
Die Wahrheit meines Lebens
Der folgende Inhalt ist Autobiographisch in der Form eines Tagebuchs,
die Handlung und alle geschilderten Ereignisse entsprechen vollständig
der Wahrheit.
Alle Ortsnamen wurden Abgeändert und durch einen anderen Buch-
staben abgekürzt.
Alle Vor- sowie Nachnamen wurden komplett geändert, um die betreffenden
Personen zu schützen.
Ich widme dieses Buch meiner lieben Großmutter.
Verfasserin: Lena Snow
Vorwort:
Ich habe dieses Buch verfasst, um meine Vergangenheit zu verarbeiten,
um denen, die die Wahrheit wissen wollen und sich dadurch eine richtige
Meinung bilden können, die Möglichkeit zu geben, alles über mein Leben
und die Gesellschaft zu erfahren.
Es soll allen, die gleiche oder ähnliche Probleme haben und hatten helfen,
daraus zu lernen, einen anderen Blickwinkel zu bekommen, andere
Möglichkeiten zu sehen und nach vorne zu blicken.
Durch die pure Wahrheit und tatsächlichen Ereignisse in diesem Buch will
ich ebenfalls die Abgründe der Menschen aufzeigen, die oft hinter einem
Schleier verborgen liegen und für Außenstehende nicht sichtbar sind.
„So wie man die Strahlen der Sonne nicht zudecken kann,
kann man auch das Licht der Wahrheit nicht auslöschen.“
(Arabisches Sprichwort)
…. zumindest gilt dies für mein Buch!
Dieses Leben ist kein einfaches, dieses Leben steckt voller Angst, Hoffnung, Zweifel, Hass, Wut, Liebe, Freundschaft, aber viel Lebenskraft. Deshalb ist dieses Buch eines, das die Wahrheit erzählt, die Wahrheit meines Lebens. Jeder, der es liest, wird mitfühlen, mitleiden, manchmal auch lachen und vielleicht sogar weinen. Mein Wunsch ist es, daraus zu lernen, darüber nachzudenken. Ich weiß, dass es viele Menschen, besonders Jugendliche, gibt, die sich alleine fühlen, einsam und verlassen. Auch deshalb habe ich es veröffentlicht, um zu zeigen, dass ihr nicht alleine seid und es mindestens einen Menschen auf der Welt gibt, der gefühlt hat wie ihr. Lest es – ich hoffe, dass es euch bei der Bewältigung eures eigenen Lebens helfen kann, das ist meine einzige Bitte.
Abschiedsbrief:
Ich hasse euch! Ich kann nicht beschreiben, wie sehr ich euch hasse! Ihr habt mir mein Leben so schmerzhaft und grauenvoll gemacht, wie ihr nur konntet, wirklich wahr! Ja, ihr wisst ganz genau was ich meine! Nein, die Pubertät ist es gewiss nicht, sie ist nicht daran schuld, sondern ihr, die ihr mich in den Tod getrieben habt! Ich glaube nicht, dass es noch bösartigere Eltern gibt als euch. Euch geht es nur um Geld, Reichtum und Erfolg und dass jeder nach eurer bescheuerten Pfeife tanzen muss! Euch ist niemand recht, ihr habt keine Freunde und werdet auch niemals wissen, was Liebe und Freundschaft bedeuten. Ihr seid so perfekt und ja auch so etwas Tolles und Besonderes, denkt ihr. Denn in Wirklichkeit seid ihr nur böse, egoistische, verhasste Menschen, die niemals für irgendetwas oder irgendjemanden Verständnis haben werden.
Nun ganz speziell an dich, werter Vater. Du bist wohl nie geliebt worden, hast wohl nie genug Anerkennung und Aufmerksamkeit bekommen, zu dir war man bestimmt streng und böse. Denn genauso bist du zu mir. Bis auf das, dass du mich nicht schlägst und anschreist, aber das hast du bestimmt meiner werten Mutter überlassen, oder? Weißt du noch, wie ich im Sommer geschlagen wurde, in meinem Schlafzimmer? Und du Feigling hast mir nicht geholfen, obwohl ich geschrien habe und du draußen genau unter meinem offenen Fenster warst und alles gehört hast ¬– was du sogar zugegeben hast. Ständig streiten wir, weil du dich immer so grausam gegenüber mir benimmst. Du hast mir nie Aufmerksamkeit geschenkt, hast sogar gesagt, dass du mich hasst und mich langweilig, hässlich und dumm findest! Ich konnte es dir niemals recht machen, egal was ich getan habe, du hattest daran immer etwas auszusetzen. Selbst wenn ich gar nicht mit dir geredet habe, hattest du etwas auszusetzen! Ich habe so unendlich oft wegen dir geweint und wollte mich so oft wegen dir umbringen, aber das hat dich nicht interessiert, kein bisschen! Für mich bist du ein böser, alter, frustrierter, hässlicher Mann, der sich selbst bis ins Tiefste hasst! Es wäre wirklich besser gewesen, wenn du dich mal umgebracht hättest, wie du doch immer gesagt hast. Und ja, ich gebe zu, ich habe immer auf dein Ende gewartet.
Und jetzt zu meiner ach so tollen Mutter, die sich ja besonders um mich geschert hat, nicht wahr? Du hast mich geschlagen und warst unzufrieden mit mir, für dich war ich immer die Unsportliche. Und unbegabt. Die ja „zu nichts nütze“ war. Aber meine Begabungen waren anders. Ich habe außergewöhnliche Fähigkeiten, doch du hast es nie gemerkt. Jeder sagt, ich könne wunderschön malen, aber du hast es ignoriert, genauso, wie du es nicht wahrhaben wolltest, dass ich Gesangsunterricht nehmen wollte. Ich hatte eine gute Stimme, das weißt du. Du bist so widerwärtig und eingebildet, achtest nur auf dich und deine Schönheit, deinen Scheißschmuck, dein beschissenes Geld. Dir war keine Freundin recht, an allen hattest du irgendetwas auszusetzen. Du hattest niemanden, weil du es dir bei jedem kaputt gemacht hast, das weißt du ganz genau. Deine Problemchen waren immer wichtiger, meine waren immer nur Herumgejammere. Vielleicht hatte ich Herzprobleme, vielleicht einen Herzfehler, oder etwas mit der Lunge, aber es war egal. Ich musste ja nicht zum Arzt, lieber wäre ich dir doch an einem Herzinfarkt gestorben, oder? Du kannst niemanden lieben, du widerliche, boshafte, kranke Frau! Ach und danke dafür, dass ich mich jetzt umgebracht habe. Tja, deine Schläge wegen eines circa zwei Zentimeter langen Tomatenflecks haben mir den Todessprung leichter gemacht. Du scheißhysterisches Weib, für dich empfinde ich jetzt keinen Hass mehr, nur noch tiefsten Ekel und Abscheu vor dir!
Nun, liebste Eltern, das habt ihr gut hinbekommen, besser kann man zu seinem Kind wohl nicht sein, oder? Jetzt werdet ihr alles abstreiten, werdet es auf die Pubertät schieben, doch wer solch einen dermaßen üblen Familienterror durchgemacht hat, dem ist nicht mehr zu helfen, dank euch beiden. Doch tief im Innersten, da müsst ihr doch zugeben, dass mit euch etwas nicht stimmt und dieses ganze Elend, diese Wut, der Frust, der Hass, dies habt ihr auf eine kleine, hilflose Person abgeschoben, die angeblich euer Kind ist. Doch ihr wisst nichts über mich, nicht das Geringste und habt euch auch nie Mühe gegeben. Ich wünsche euch beiden noch ein hässliches und weiterhin grausames Leben. Träumt schön weiter!
Eure Lena!
Dies schrieb ich im Jahre 2002. Es passierte in den Sommerferien und ich bin mir nicht mehr sicher, ob mein Vater damals über die Woche 800 Kilometer weit weg von zu Hause in Norddeutschland war, wie es bei seiner Firma häufig vorkam. Vielleicht war er auch wegen des Streits alleine weggefahren, dies war nichts Neues mehr. Meine Mutter war oft wütend, da sie niemanden hatte, bei dem sie sich ausweinen konnte. Sie ließ sie leider an mir ab, ihre ganze Wut.
Wir saßen in unserem großen Wohnzimmer, sahen nachmittags fern und aßen etwas. Ich saß ohne Teller auf dem Boden und aß eine Tomatenscheibe, der glitschige, nasse Teil fiel auf den Boden, ich hatte nicht aufgepasst. Der Fleck war winzig klein und bis heute sieht man ihn nicht einmal auf dem alten Teppich. Damals regte sich meine Mutter fürchterlich darüber auf, sie schrie und hörte nicht mehr auf. Vor Angst konnte ich wie immer nichts sagen, musste weinen und zitterte am ganzen Leib. Ich versuchte mit Müh und Not, diesen Fleck mit einem Küchentuch wegzubekommen, es gelang mir nicht. Sie schimpfte immer weiter. Plötzlich stand sie auf, schlug mir mit ihrer Hand erst auf die rechte, dann auf die linke Backe, sodass meine Brille fast hinunterfiel. Ich weinte noch mehr, spürte, wie meine Wangen glühten. Ich hatte wahnsinnige Angst. Immer wenn sie ausrastete, war sie nicht mehr zu stoppen, es war fürchterlich. Dann stieß sie mich nach hinten, schlug mich auf meinen Oberarm. Ich flehte sie dann an, dass sie bitte aufhören solle. Es half nichts. Wahrscheinlich überhörte sie das in ihrem Zorn. Sie stieß mich weiter nach hinten, bis ich leicht an den Kachelofen knallte, und schlug mich nochmals ins Gesicht. Ich versuchte ihr auszuweichen, blieb aber wie angewurzelt stehen. Früher tat ich das immer, ich konnte weder zurückschreien, noch weglaufen oder mich wehren, meine Angst war zu groß. Endlich hörte sie auf und befahl mir, dass ich hochgehen solle, in meine Wohnung, die im ersten Stock war. Sie könne mich nicht mehr sehen, ich sei eine blöde Kuh, ein Scheißkind und so weiter. Ich ging. Nach all dem war ich derart aufgelöst, vor allem, weil es nicht das erste Mal war, dass sie auf die Art und Weise mit mir umsprang. Mit meinem Vater verstand ich mich noch nie gut, er schlug meine Mutter, und ich bekam in frühen Jahren schon schreckliche Dramen mit, die ich bis heute nicht vergessen kann. Aber dazu später mehr.
Das, so verrückt es klingen mag, war mein erster Tagebucheintrag, in Form eines Abschiedsbriefes. Ich ließ all meine Gefühle und Gedanken in diesem Moment heraus und mir war wahrhaftig zum Tode zumute. Danach ging es mir wieder besser, das weiß ich noch und umbringen wollte ich mich auch nicht mehr. Ich blieb bestimmt zwei oder drei Tage in meiner Wohnung, mit wenig zu essen. Ich traute mich nicht runter. Einmal kam meine Mutter zu mir ins Badezimmer, das war direkt am folgenden Tag. Ihr tat es furchtbar leid, auch sie hatte geweint, ich sah es ihr an. Sie wollte sich wieder mit mir vertragen, doch ich meinte eiskalt: „Nein!“ Wütend schlug sie dann meine Badezimmertür zu und ging, sagte noch: „Dann halt nicht!“ Damit hatte sie nicht gerechnet, dass ich auf einmal so reagieren würde. Aber ich konnte damals nicht anders. Ich hatte den ganzen Abend geweint, ihre Hand brannte noch auf meiner Backe und in dieser Nacht blieb ich ohne Schlaf. Ich war es leid, so behandelt zu werden.
Abschiedsbrief 2:
Nachdem ich mich erst nicht umbringen konnte, tue ich es jetzt! Wie gesagt, ich hasse euch! Und dieses Mal mache ich es kurz. Also, da ihr mein Leben zerstören musstet und trinken musstet, alles kaputt gemacht habt, bringe ich mich um. Zu dir Vater, danke, dass du meine Seele vergewaltigt hast und zu dir Mutter, danke, dass du mir so viel Hoffnung gabst und absolut kein Verständnis hattest. Du hast nie gemerkt, wie schlecht es mir ging, das gilt auch für dich, Vater. Übrigens Vater, du allein, du hast alles zerstört, super gemacht. Das war es schon, dass ich euch zutiefst hasse, wisst ihr ja bereits. Seid ihr jetzt wenigstens zufrieden? Jetzt, da ich mich umgebracht habe? Sagt bitte Jonas einen Gruß von mir, ich fand es ganz wunderbar, dass er sich bei mir gemeldet hat. Und richtet dem Hansen aus, dass ich ihn immer lieben werde.
Ciao, euer dummes Scheißkind, Lena!
Das war mein letzter Abschiedsbrief, den ich Anfang 2003 schrieb. Es ist, das muss ich zugeben, beängstigend zu lesen, wie viel Hass und Schmerz darin steckt, es tut richtig weh. Zu Jonas und Hansen später einiges. Jedenfalls fing ich dann gegen Ende dieses Jahres an, meine ersten Einträge zu schreiben. Ich merkte, dass mir das gut tat, da alles abzulassen. Außerdem empfiehlt mir das meine Lehrerin Frau Rückbert, mit der ich Kontakt hatte, wegen meiner Familiensituation.
1. Eintrag am 15. 12. 2003
Was heute wichtig für mich war:
- Klavier spielen: hat richtig Spaß gemacht
- Schule: die letzte Mathestunde, wichtig!
- Mama: am Anfang des Tages war alles gut, abends war sie dann betrunken und aggressiv, ich hatte schlimme Angst, denn es kam wieder zum Streit zwischen uns
- Telefonieren: mit Amelie, Isabel, Frau Rückbert, es war sehr aufbauend und erleichternd
Über was ich heute intensiv nachgedacht habe:
-Mutter: Was soll ich nur wegen ihrer Aggressionen tun, ich mache mir solche Sorgen.
- Jonas: liebe ihn immer noch, leider.
- Leben und Schule: wie soll es nur weitergehen. Hilfe!
Tagesbewertung: von 10 Sternen, 7 Sterne.
Träume:
- Schneesturm: der am nächsten Tag tatsächlich eingetroffen ist.
- Jonas: Er kam mich besuchen, er war so seltsam, ich glaube wir haben sogar gestritten, danach habe ich ihn vom Balkon gestürzt, das war schon das zweite Mal, dass ich das geträumt habe.
- Afrika: Ich war dort und flog über die Wüsten von Namibia, ein unbeschreibliches Gefühl.
2. Eintrag am 16. 12. 2003
Träume:
- Meine Mutter und mein Vater waren in einem Zug, mein Vater war plötzlich so seltsam zurückhaltend und auf einmal schlägt er meine Mutter, ich will ihn aufhalten, kann es aber nicht.
- Mama: Sie war betrunken und wir haben Streit bekommen.
- Afrika: Bin mit dem Microlight geflogen.
- Schule und Eltern: Wir waren erst zu Hause, auf einmal war unser Haus die Schule und meine Freundin Anja war auch da, aber meine Eltern wollten, dass ich spazieren gehe, ich wollte jedoch nicht, sie sind böse geworden, als ich mich gedrückt habe und sind auf Anja sauer gewesen.
Was heute für mich wichtig war:
- Mathe: Schulaufgabe Angst
- Rockband: vieles lief schief Angst
- Amelie: nervt mich, habe großen Hass auf sie und würde ihr am liebsten den Tod wünschen
Über was ich heute sehr nachgedacht habe:
- Schule: Ich habe Angst zu versagen.
- Amelie: Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll, weil sie mich so dermaßen aufregt, dann raste ich aus und davor habe ich Angst, weil ich sie am liebsten anschreien würde! Aber es geht nicht, weil ich sonst vor den Ferien alles kaputt machen würde Angst Hass Wut Verzweiflung Aggressionen.
- Leben: wie es weitergehen soll, was geschehen wird.
- Fähigkeiten: Ich schätze sie sehr und will sie niemals verlieren, ich mache interessante Erfahrungen, doch leider kann ich es niemandem sagen, wie ich fühle.
- Frank Sinatra: Hat tolle Musik gemacht, war aber ein Alkoholiker, was ist jetzt wohl mit ihm? Ist er vielleicht im Himmel? Ich würde ihm gerne etwas sagen wollen!
Tagesbewertung: von 10 Sternen wieder 7.
Begründung: Das Leben ist merkwürdig und ich würde gerne mehr in der Welt verändern, aber kann es momentan noch nicht, aber vielleicht bald! Ich sehne mich nach Afrika und Amelie belastet mich sehr, die Schule zwar auch, aber ich bin froh, dass ich nicht irgendwo auf einer Straße leben muss oder in Slums!
Nachtrag: Ich habe mit Amelie noch am Telefon geredet, habe ihr meinen Eintrag vorgelesen! Puh! Ich habe ihr erzählt, was mich aufgeregt hat und das tat sehr gut! Amelies Kommentar war: „Hi, hi, ähm, ja, finde ich gut, dass du mir das jetzt gesagt hast!“
3. Eintrag am 17. 12. 2003
Träume: kann mich nur noch schwach daran erinnern, leider.
- Eltern: waren betrunken, glaube ich, und haben gestritten.
- Mutter: habe wieder mit ihr gestritten.
- Eltern: Mein Vater hat mich aufgeregt, ich bin hochgegangen und habe meine ganzen Aggressionen rausgelassen und alles kaputtgeschlagen in meiner Wohnung, dann ist meine Mutter hochgekommen und wollte mich schimpfen, danach bin ich jedoch aufgewacht, da mich mein Handywecker aufgeweckt hat!
Was heute wichtig für mich war:
- Deutsch: Heute war Schulaufgabe Angst
- Isabel: Sie wollte sich umbringen und ihr ging es sehr schlecht HILFE Angst
Über was ich heute nachgedacht habe:
- Liebe: Wie wichtig ist sie für uns alle und auch für mich!
- Nostradamus: Ist ein toller Typ gewesen und ich bin fasziniert von ihm.
- Welt: wie blöd die Menschheit ist.
- Isabel: wie es mit ihr weitergehen und wie ich ihr helfen soll Hilflosigkeit
- Fähigkeiten: Begeisterung, wenigstens etwas, was ich kann!
Tagesbewertung: von 10 Sternen 9.
Der Tag war gar nicht mal so übel.
4. Eintrag am 18. 12. 2003
Träume:
- Einkaufscenter (Mama und ich waren in einem Einkaufscenter und als wir dann getrennt wohin gegangen sind, hat mich jemand verfolgt und auf einmal kam jemand und hat mich gerettet und einen Mörder getötet, der mir etwas antun wollte, danach hat er mich umarmt und ich habe mich in die Person verliebt, ich glaube es war der Hansen!
- Freund: Habe einen Freund gehabt, mit dem ich mich gestritten habe, sollte wohl Jonas sein.
Was heute wichtig für mich war:
- Mathe: Habe meine Schulaufgabe rausbekommen und habe eine Vier.
- Nena: Hat mir ein Wichtelgeschenk gegeben und ich habe mich sehr darüber gefreut, sie ist eine sehr nette Person.
- Jonas: Habe heute mit ihm gechattet und erfahren, dass er schon eine Freundin hat, seit zehn Tagen, dass er froh wäre, dass ich schlussgemacht habe, weil er es auch wollte, aber es nicht übers Herz gebracht hat, na super, so ein Arschloch und den liebe ich auch noch Verzweiflung!
Über was ich heute nachgedacht habe:
- Mein Leben: Hatte Gedanken, mich umzubringen und weiß mal wieder nicht, wie es weitergehen soll, ich will sterben.
- Liebe: Wird mich jemals überhaupt einer lieben? Ich habe mir überlegt, ob ich bi werden soll, ich versuche es vielleicht mal.
- Mich: Ich glaube, ich bin verrückt.
Tagesbewertung: von 10 Sternen 6.
Begründung: Hasse mein Leben, heute war ein schmerzhafter Tag, vor allem, weil mich keiner liebt, alles ist so dumm und ich will einen Freund, der mich wirklich liebt my heart beats every day!
Ach, und ich bin auch noch krank.
Geschrieben am 04.04.04:
Das Leid!
Gesichter und Menschen weit und breit,
Sind so ruhig, so traurig.
Sie wollen mehr vom Leben, mehr,
Glück und Geld.
Die Augen groß,
Doch traurig, ohne jedes Funkeln.
Die Mundwinkel nach unten
Und die Haltung krumm,
Mit dem Gesicht meist nach unten.
Würde ihnen am liebsten Millionen Dollar schenken,
Würde ihnen mehr Lachen schenken,
Würde ihnen eine bessere Zukunft schenken, würde …
Warum tun wir es dann nicht? Weil uns diese Menschen fremd sind? Nein, das kann nicht sein.
Weil wir zu wenig Geld haben, um es zu verschenken? Wenn wir einen zum Lachen bringen, müssen wir es dann nicht bei unzähligen anderen auch? Nein, ein Mensch reicht, nur einer, wieso tun wir es dann nicht? Vielleicht, weil in uns selbst das Leid und die Angst schon viel zu groß sind, um anderen helfen zu können. Aber wieso können wir uns nicht selbst helfen? Vielleicht, weil wir es erst gar nicht bei den anderen versuchen! Glück ist nicht nur Geld, ein schönes Haus, sondern einen anderen und sich selbst zum Lachen zu bringen und ihm zu helfen, so gut es geht! Dann findet sich das Glück ganz von selbst! Und das Leid wäre vielleicht für einen Augenblick gelindert und womöglich sogar für immer.
Poesie:
Oben in der Luft,
hoch oben über allem,
die Wolken unter sich,
frei wie ein Vogel.
Der Sonnenaufgang bunt in allen Farben,
die Wolken jetzt verschwunden,
dem Boden näher sein,
die Sonne ist nun da.
Rot, hell, wie ein großes Feuer am Horizont,
Industrie, Häuser, Straßen man jetzt sieht.
Jetzt so klein, so geordnet,
so friedlich.
Doch nicht die Wirklichkeit!
5. Eintrag am 17. 07. 2004
Ich bin krank, schon seit einer Ewigkeit. Da mache ich schon Schiller Konkurrenz! Jedenfalls geht es mir schlecht! Ich habe Husten, andauernd läuft mir die Nase und so weiter. Zudem kann ich nicht gut schlafen. Ich kann nicht mehr.
Dies waren meine ersten Tagebucheinträge, die in stichpunktartiger Form geschrieben sind. Jonas war mein erster Freund, den ich im Internet kennenlernte. Ich habe nur ein Bild von ihm gesehen, mehr nicht, dennoch habe ich mich in ihn verliebt. Für viele Menschen ist es unvorstellbar, sich in eine Person, die man nur vom Schreiben her kennt. Doch für mich war es möglich. Er wohnte in der Nähe von Bremen und war vier Jahre älter als ich. Ich war begeistert von ihm und las gerne, was er schrieb. Obwohl ich oft das Gefühl hatte, dass er mich auch sehr gerne mochte, enttäuschte er mich und meinte es wahrscheinlich damals nicht ernst mit mir.
Bald begann ich jedoch, längere Einträge zu schreiben. Es ging um meine Vergangenheit, die in mir wieder und wieder hochkam und die ich kaum zu bewältigen vermochte.
Ich muss das jetzt schreiben, was ich fühle und denke und ich will auch, dass jemand erfährt, wie es ist, wenn ich nicht mehr kann. Genau so ist es jetzt. Ich höre Musik und starre auf irgendeine Stelle und fühle mich leer. Es ist dennoch wie ein stilles Schreien, das keiner hören kann. Aber einerseits will man es und es ist irgendwie gut, doch man fühlt sich so kaputt und krank. Man kommt sich vor wie in einem dunklen, kalten Raum und man fängt zu zittern an. Dann gehen einem Gedanken durch den Kopf, richtig widerliche Gedanken, oder besser gesagt: Erinnerungen. Wieso schaffst du es nicht, denke ich, kannst du sie denn nicht löschen, dass sie einfach weg sind, einfach weg. Aber es geht nicht, denn auf der einen Seite will ich mich quälen, so sehr quälen, dass es mir schwindelig und schlecht wird, dann falle ich auf den Boden und kann nicht mehr aufstehen, dann bin ich unten – weg – nichts mehr – noch weniger, als ich vorher war. Doch die Gedanken schreien weiter, noch viel, viel lauter, wie ein Film und der Hass wächst und ich denke, es ist doch egal, was mit dir ist, es kümmert sich doch sowieso keiner um dich, du bist nur der Dreck, der Abfall, auf dem man rumtrampeln kann, es ist ja egal was mit dir ist, denn du bist es wahrscheinlich nicht wert. Für keine Liebe, für kein Verständnis – für nichts. Dass du jetzt am Boden liegst, so jämmerlich, und weinst und nicht aufstehen kannst, hast du dir zu verdanken, du wolltest es ja nicht anders! Dann schleife ich mich zum Tisch oder Kachelofen, je nachdem, wo ein Messer oder eine Schere liegt. Ich muss viel Kraft aufbringen, um wieder aufzustehen und um dranzukommen. Doch dann habe ich es geschafft und in dem Moment denke ich nur noch: tu es doch, es ist besser so, es schert sich ja sowieso keiner um dich. Oder geh runter an den Schrank, es merkt keiner – niemand – du bist alleine, niemand hört dein Schreien, und wenn du es versuchst und tot am Boden liegst, erst dann werden ALLE merken, was sie dir angetan haben und du, du bist die Schmerzen los, bist das Leid los, wirst zu nichts mehr gezwungen, musst nichts mehr machen, was du nicht willst, dann bist du frei. Aber stattdessen schaue ich mir nur das Messer oder die Schere an und denke: Was wäre wenn? Deine Freunde? Die kannst du vergessen, die können auch ohne dich leben und verstehen werden sie dich sowieso nie. Alle, die du so liebst und magst, geben dir niemals das, was du willst. Und wenn du denkst, du gibst viel, dann war es doch letztendlich umsonst. Der Tod ist wunderbar, er ist das Ziel oder das Ende eines jeden Menschen. Doch ich, ich lebe weiter und erlebe immer und immer wieder die ganze Scheiße von vorne, und wenn es dann wieder einmal so ist, denke ich, nichts hat sich geändert, denn jetzt kannst du wieder still schreien und in Gedanken sterben. Und? Wer merkt es, wer weiß es? NIEMAND! Vielleicht könntest du dir helfen, dass es viel besser wird, aber wie? Du willst nicht, dass andere darunter leiden, denn du weißt es, wie es ist, wenn andere diesen Schmerz und das stille Schreien an dir auslassen. Dadurch machen sie den anderen nur noch mehr kaputt und das will ich nicht! Das wäre das Letzte, was ich wollen würde und doch tue ich es, dafür hasse ich mich – ich bin schlecht, ich bin böse. Und doch geht am nächsten Tag wieder die Sonne auf und man kann mich wieder niedertrampeln, mich blöd anmachen, an mir nörgeln und mich nicht so akzeptieren, wie ich bin. Doch ich hoffe, dass ich irgendwann mal MEIN Ziel schaffe, um es ALLEN zu zeigen, damit es besser wird, OHNE MICH! Und am nächsten Tag wache ich völlig fertig auf und es geht weiter, das sogenannte Leben geht weiter. Doch mittags geht es wieder los, obwohl sich die Eltern vertragen haben, ich fange an zu zittern, es ist, als ob auf mich die Decke einstürzen würde, ich fühle mich wieder so leer und niedergetrampelt und ich denke, wo ist die Schere? Ich brauche sie eigentlich gar nicht, um mich zu verletzen, sondern dafür, dass ich eine „Lösung in der Hand habe“, vorerst, mehr nicht. Denn ich habe sonst keine „Lösung“, da sich das immer wiederholt. Was ist los mit dir? Was soll das? Was los mit mir ist? Was bitte, soll denn schon los sein, wenn mich das meine Mutter fragt, wenn sie zufällig hereinkommt und mich weinen sieht, dann könnte ich eine Vase nehmen und sie durch den Raum schleudern. Man denkt ich hätte Liebeskummer, wegen dem Hansen, zugegeben, er ist auch ein Teil dessen, aber nicht der Hauptgrund. Oder sogenannte „Gefühlsschwankungen in der Pubertät“, doch das ist es wohl wirklich nicht. Wer weiß denn schon wirklich, was mit mir los ist, wer kann meine Schmerzen auch nur erahnen? Man hasst dich, du bekommst nicht das, was du willst – du Loser! Ja, das ist es doch, was kannst du schon so richtig gut? Was kannst du bitte bewirken? Nichts, gar nichts! Gut, du hast deine Kräfte, aber diese Schmerzen kommen auch noch dazu und das kann man noch viel, viel, viel weniger verstehen. Man glaubt es dir nicht, oder nicht wirklich, du kannst darüber mit niemandem reden und keiner, den du kennst, kann es nachvollziehen. Du brauchst immer nur Hilfe, bekommst nichts auf die Reihe, also hast du es auch nicht verdient, zu leben. Ich will weinen, schreien, kreischen, alles kaputtschlagen, einfach zerstören und manchmal denke ich sogar daran, jemanden zu verletzen, aus Hass und Rachsucht.
Aber ich tue nichts von dem, nicht einmal weinen kann ich mehr, obwohl es so gut täte. Ich muss etwas tun, irgendwas, es muss sein, schneide dich, danach kannst du weinen, dann tut es dir leid und es geht dir dennoch besser. Oder du tust es nicht und es ist nicht gleich vorbei, sondern zieht sich hin und du wirst noch verrückter, als du es schon bist. Ich schaue, ob niemand kommt, nehme die Schere und halte sie eine Weile in der Hand, dann tue ich es und ich weiß, dass es schlecht ist, aber es muss sein. Diesmal sind es drei, eher kleine. Ich weine nicht mal, wieso nicht? Ich will weitermachen, ich denke, mach doch alles voll, ist doch egal – wie eine Sucht. Und? Ich mache noch mehr, – es geht weiter. Sechs! Jetzt reicht es! Ich zwinge mich und werfe die Schere weit weg, damit es nicht weitergeht. Dieses Mal hätte ich alles voll machen können, denn jetzt bin ich so weit, dass es nicht mehr weh tut. Trotzdem geht es mir hinterher, so nach einer viertel Stunde besser, viel, viel besser! Es ist weg, vorbei, ich habe es geschafft, hinter mir.
Ich möchte Ihnen jetzt etwas über mein Selbstbewusstsein erzählen und was ich so über andere denke in Bezug auf mich. Ich denke, ich habe schon Selbstbewusstsein, doch es ist leider oft nicht so da, wie ich es will, bzw. brauche, denn ich bin viel zu oft unzufrieden mit mir selbst und nehme das, was ich nicht hinbekomme, viel zu ernst. Ich weiß, dass ich das nicht machen sollte, aber ich kann es nicht unterdrücken, genauso wie meine Angst. Ich habe, wenn ich ehrlich bin, vor fast allem Angst, vor Noten, den Lehrern, meiner Familie und vor allem vor meinem Versagen. Ich will nicht versagen, aber natürlich tue ich es und bringe Leistungen, von denen ich sehr enttäuscht und frustriert bin. Ich denke: Wieso ich? Hab ich das verdient? Bin ich so ein böser und schlechter Mensch? Aber ich bin es, ich bin dran schuld, ich bin an vielem Schuld und will es oft nicht wahrhaben. Ich habe so Angst vor der Zukunft, dass ich nicht das erreiche, was ich will, dass ich versage, dass ich in der Ecke stehe und wieder nur jeder auf mich herabschauen kann. Das ist aber immer so, ich schaue zu meinen Freunden hinauf, doch sie auf mich herab, ich will oft von meinen Eltern etwas mehr Respekt, aber ich bekomme keinen, mir fehlt, egal wo ich bin, die Anerkennung, dass ich auch jemand bin, der was kann. Wieso können meine Freundinnen alles besser als ich? Sie sind besser in der Schule, können mit verschiedenen Dingen besser klarkommen als ich und haben vielleicht noch dazu einen Freund oder zumindest jemanden, der sich für sie interessiert. Aber ich nicht! Bin ich denn zu blöd? Bin ich zu dumm für diese Welt? Braucht mich die Welt nicht? Ich weiß es nicht. Ich hasse so viele Leute und wünsche vielen Unglück, aber ich habe erkannt, dass ich eine Person am allerallermeisten hasse, das bin ich selbst! Ich bin nicht gut, ich bin schlecht, ich kann nicht das leisten, was ich will, auf mich sehen die wirklich wichtigen Menschen nur herab und ich lasse mich herumschubsen, versuche ein guter Mensch zu sein, aber ich verbocke es mir immer selbst. Keiner ist zufrieden mit mir, jeder denkt, ich könnte noch besser sein, das bin nicht nur ich, die das denkt. Ich fühle mich als Dummchen, als jemand, der nicht so genommen wird, wie er ist, sogar meine Freundinnen vermitteln mir oft das Gefühl, dass ich einfach nur jemand bin, der vieles nicht verdient hätte. Ich will was dagegen machen, aber ich kann nicht, weil ich nicht weiß, was! Ich will sterben, einfach frei sein, weg von hier, weg von dem allen. Ich hab keine Lust mehr, für irgendetwas zu leben, mich braucht niemand. Alle könnten viel besser ohne mich leben, oder nicht? Dann würden sie mal merken, was mit mir war, dann wüssten sie es ganz genau, alle! Das wäre meine Rache, ich könnte mich für alles rächen, für alles, was alle mir angetan haben, ich hasse sie. Wieso tun sie das?? Wieso sind meine Eltern unzufrieden mit mir? Wieso bin ich unzufrieden mit mir? Wieso bekomme ich nicht den Respekt von meinen Freunden und von den Lehrern, den ich will? Wieso mache ich so viel falsch? Wieso habe ich vor allem Angst? WIESO KANN MICH JEDER SO BEHANDELN, WIE ES IHM GERADE PASST?
Ja, ich lasse alles mit mir machen, ich wehre mich nicht, aber dennoch tue ich keinem was, ich will niemanden verletzen, ich bin doch nicht böswillig, also: Hab ich dann so etwas verdient? Ich muss ehrlich sein: Ich denke nicht.
Am liebsten würde ich manchmal mit meinem Hass jemanden umbringen, wenn ich das könnte, ja ich denke, dazu wäre ich fähig, im Ernst. Ich habe mir schon oft vorgestellt, dass ich viele einfach töten könnte, aus Hass, oder zumindest schwer verletzen, damit sie mal sehen, dass ich auch Macht habe. Ich habe großen Hass und Neid entwickelt, das ist vielleicht schon zur Menschenverachtung geworden, aber ich kann nichts dagegen machen, es ist einfach so. Ich kenne viele nette Menschen und will diese nicht verlieren, aber ich glaube, sie würden es nicht so schwer nehmen, wenn ich sterbe, als wie wenn sie sterben würden, dann wäre ich wohl viel trauriger. Ich denke, keiner kann mich verstehen, keiner kennt mich wirklich, denn sonst würden viele ganz anders mit mir umgehen. Ich nehme mir oft vor, dass ich mich mal rächen werde, ich weiß nicht wie, aber dann denke ich, nein, das ist böse und wieder bin ich ein böser Mensch.
Ich fühle mich oft so erschöpft, so leer und kalt, ich weine fast jeden Tag, es tut gut, aber ich brauche jemanden, der mich so akzeptiert, wie ich bin, der mir das Gefühl gibt, etwas Gutes zu sein und der mich achtet und vor mir Respekt hat, doch leider kenne ich so jemand nicht.
Es ist oft so schwer zu leben, es tut weh, es ist oft so unnötig und ungerecht und einfach schlecht, dann ist nichts Schönes mehr da, alles ist dann so kalt und dunkel, so verlassen und leer und vor allem so vergeblich. So fühle ich mich, so denke ich sehr, sehr, sehr oft und es ist schmerzlich. Ich hätte gerne ein anderes Leben, es muss nicht perfekt sein, nur besser. Ich beneide die Isabel so sehr, sie hat Probleme, aber sie ist stärker als ich und ist so gut in der Schule, zu ihr sieht man auf, man mag sie, man akzeptiert sie so wie sie ist, ich wäre oft gerne so! Es ist häufig so schwer, mit ihr befreundet zu sein, weil ich immer wieder so neidisch bin und das nie zeige, ich bin oft so böse, wenn sie gute Noten bekommt, ich werde wütend, wenn sie sich besser mit der Frau Aschmann versteht, als ich, aber dennoch mag ich sie, weil sie ein netter Mensch ist, der mir hilft. Ich würde ihr das oft gerne sagen, zwar nicht so hart, aber ich würde ihr gerne sagen, wie sehr ich sie beneide.
Aber es würde mir nichts bringen, ich beneide nicht nur sie, natürlich auch die Conny, aber auf sie habe ich keinen Hass, ich weiß nicht wieso, aber die Conny ist für mich so ein Mensch, auf den man keinen Hass haben kann und auch nicht neidisch sein sollte, weil sie das nicht will. Ich denke es ist auch so, weil die Conny zum Beispiel keine Probleme mit der Familie hat, aber die Isabel schon und sie kann damit besser umgehen als ich. Sie ist besser in der Schule und sie hat sich beispielsweise noch nie geritzt! So ist es, so denke ich und ich mag mein Denken nicht, weil es so voller Hass, Neid und Boshaftigkeit ist, die ich niemals zeigen kann und werde, außer ich raste mal wirklich aus, aber nur für mich, an mir selbst!
Ich will in meinem Leben mal für eine längere Zeit das Licht sehen, nicht nur für eine Woche, ich will mal länger etwas mehr Glück haben und Zufriedenheit erfahren. Ich will, dass man mich mal so akzeptiert, wie ich bin und mir das Gefühl gibt, ein toller Mensch zu sein. Das fehlt mir sehr, aber wahrscheinlich werde ich dieses Gefühl nie bekommen!
Diesen Brief schrieb ich an meine Sportlehrerin, Frau Rückbert, die zu meiner Vertrauenslehrerin geworden ist, da ich sehr starke familiäre Probleme hatte und zu keiner erwachsenen Person aus meiner Familie wirklich Kontakt hatte oder mich ihr hätte anvertrauen können. Ihr gab ich auch die weiteren Texte, die ich alle im Jahre 2004 schrieb.
Ich war ungefähr fünf oder sechs Jahre alt, als es passierte und ich schwöre, ich werde es niemals vergessen, nie, nie, nie, denn es war eines der schrecklichsten Erlebnisse, die mir in meinem Leben leider widerfahren sind.
Da ich noch so klein war, schlief ich bei meinen Eltern im Schlafzimmer und ahnte natürlich nicht, was noch passieren würde. Mitten in der Nacht hörte ich lautes Geschrei aus dem Wohnzimmer kommen, das direkt neben dem Schlafzimmer lag, sodass man es sehr gut hören konnte. Ich wachte davon auf und hörte meine Eltern laut streiten und hatte große Angst, fing an zu zittern und stand auf, um nachzusehen, was da vor sich geht. Noch ziemlich müde ging ich zur Tür, machte sie auf und sah etwas sehr Grausames, meine Eltern saßen kreischend auf der Couch und mein Vater schlug meiner Mutter gerade seinen Schlappen aufs Auge, ich glaube es war das linke Auge. Ich hatte solche Angst, vor allem um meine Mutter, ich wusste nicht, was ich machen sollte und fing an zu weinen und schrie, dass sie aufhören sollten, aber natürlich hörten sie nicht auf mich. Sie waren beide betrunken. Mein Vater, weil er vom Tennis zurückgekommen war, da war er meistens betrunken und meine Mutter, weil sie allein war, denn wenn sie allein ist, fängt sie immer an zu trinken. Sie schrien sich weiter an, ich weiß nicht mehr, was sie gesagt haben, aber die Bilder sind noch so deutlich, als ob immer wieder ein Film vor mir ablaufen würde, den ich genauso wie früher fühlen würde.
Mein Vater wollte meine Mutter mit der Faust schlagen, doch sie stand auf und lief rückwärts und er stand natürlich auch auf und ging vorwärts. Dann liefen sie am Kachelofen vorbei in die Küche, dort blieben sie jedoch stehen, denn die Tür von der Küche in den Gang war verschlossen. Ich lief weinend und schreiend hinterher und versuchte immer zwischen sie zu gelangen, doch es ging nicht, dann kamen auch meine Großeltern in die Küche hinunter, machten die Tür auf und versuchten ebenfalls beide zu beruhigen und auch mich. Ich stand weinend da, und an einen Satz, den meine Mutter gesagt hat, erinnere ich mich noch ganz genau: „Lena, hau ab du blöde Kuh, du Scheißkind, hau doch endlich ab, geh!“ Ich hatte ihr nichts getan und wir hatten auch keinen Streit gehabt, aber sie war durch den Alkohol so beeinflusst, dass sie mich hasste, wie es öfters mal der Fall war. Oma und Opa redeten auf sie ein, meine Eltern fingen dann auch noch mit ihnen Streit an und mich beschimpfte man sowieso. Als sie zwar kurz zwischen meine Eltern gehen, sie jedoch nicht beruhigen konnten, ging es weiter und ich bekam noch viel mehr Angst. Mein Vater ging wieder auf meine Mutter los, wollte sie schlagen. Sie lief wieder rückwärts und er ihr vorwärts hinterher. Diesmal war die Tür offen, sie liefen über den Gang und schrien immer noch. Die Tür vom Gang zum Kinderzimmer war offen und die vom Kinderzimmer zum Badezimmer auch. Also liefen sie ins Badezimmer. Wir liefen hinterher und ich weiß noch, wie sehr ich kreischte, wie sehr ich weinte, wie groß meine Angst war, wie klein ich mich gefühlt habe und wie wütend ich war, aber ich konnte sie nicht aufhalten, ich konnte nicht, wieso nicht? Ich war wohl noch zu klein, ich konnte es nicht aufhalten. Meine Großeltern auch nicht, sie redeten auch und redeten und redeten, dass sie an mich denken sollen, dass sie aufhören sollen, dass sie sich beruhigen sollen und so weiter.
Meine Mutter holte aus dem mittleren Badezimmerschrank die Haarschneideschere heraus und sagte zu meinem Vater: „Du kannst mir nichts tun, wehe du kommst mir nur einen Schritt zu nahe, ich schwör’s, ich bring dich um!“ Aber sie zitterte vor Angst und dann fiel ihr die Schere aus der Hand, weil sie so zitterte. Sie wollte sie auffangen, doch im Fallen öffnete sich die Schere und da meine Mutter sie auffing, schnitt sie sich sogleich tief in die Hand und das Blut floss. Erst dann wachte mein Vater und wohl auch sie auf, erst dann begriffen sie es, erst dann und nicht vorher, erst musste so was passieren, damit sie es begriffen und keiner konnte sie aufhalten, niemand, nicht meine Großeltern, nicht ich und sie selbst schon gar nicht, dafür hasse ich sie und das werde ich ihnen nie vergeben.
Um die starke Blutung zu stoppen, hielt meine Mutter die Hand übers Waschbecken und ließ kaltes Wasser drüberlaufen, das Blut vermischte sich mit dem Wasser und das Becken war schnell voll, es sah aus, als ob das ganze Waschbecken voller Blut gewesen wäre, diesen Anblick werde ich niemals vergessen, es sah so schlimm aus, es schockierte mich und ich sah zu, bis das Becken fast ganz voll war. Ich weiß noch, dass ich wie angewurzelt da stand und mir wurde so unbeschreiblich kalt von innen, es ist kaum zu beschreiben, wie es war, wie heftig und schlimm es war. Dann nahm mich meine Oma schnell mit nach oben und sagte: „Ach Kind, das hast du nicht verdient, solche Eltern hast du nicht verdient, komm, beruhige dich, das wird schon wieder, jeder Streit und jedes Leid gehen irgendwann mal vorüber!“
Mein Opa war noch unten und ich glaube, er verband die Hand etwas und dann fuhren sie schnell ins Krankenhaus. Die Hand musste genäht werden.
Meine Oma gab mir Schlaftropfen und tröstete mich, auch sie weinte und als wir oben auf der Couch waren, sagte sie: „Ist gut, irgendwann kannst du das alles hinter dir lassen, so wirst du nicht werden, so was können nur die machen und achten nicht mal auf ihr eigenes Kind!“
Am nächsten Morgen ging ich runter und meine Mutter goss gerade eine Pflanze. Ich hatte Angst, mit ihr zu reden, weil sie so wütend war auf mich, ich hatte Angst, dass es nicht vorbei ist. Aber ich sprach sie trotzdem an und fragte sie auch gleich, ob sie sich jetzt wieder vertragen hätten und was jetzt noch passiert sei. Sie schaute mich noch ein wenig komisch an und sagte, dass sie sich jetzt schon wieder vertragen hätten, ihre Hand genäht werden musste und sie dafür eben ins Krankenhaus gefahren sind. Der Papa sei jetzt weg und im Krankenhaus habe sie gesagt, dass sie sich an der Brotmaschine geschnitten hätte. Sie hatte ein blaues Auge und einen Verband um die Hand und sah sehr fertig aus, sie war blass, hatte etwas Angst in den Augen, hatte die Haare hochgesteckt und wirkte sehr arm, hilflos und vor allem alt und verängstigt. Sie tat mir so sehr leid, ich mach mir bis heute noch Vorwürfe, dass ich es nicht habe aufhalten können und ich hasse meinen Vater dafür, dass er sie geschlagen hat, dass er hinter ihr her war und sie noch mehr schlagen wollte, obwohl ich und dann noch meine Großeltern da waren. Ich hasse auch meine Mutter, weil sie ebenfalls besoffen war, weil sie mich sehr beschimpft hat, obwohl ich nur helfen wollte, ich sah in dem Moment ihren Hass auf mich, diesen Blick werde ich nie vergessen und ihr wahrscheinlich auch nie vergeben. Doch meinen Vater hasse ich mehr, viel mehr, er war dran schuld, er hat sie jeden Abend allein gelassen, ist immer zu seinen Tenniskollegen gegangen und hat sich nach dem Spiel vollaufen lassen, sodass er unausstehlich wurde, ja dafür hasse ich ihn, das hätte er ihr niemals antun dürfen, dieser widerliche Drecksack. So war es und nicht anders.
Ich will so oft, dass das aus meinem Kopf verschwindet, doch es geht nicht weg, es ist immer da. Ich kann und werde es wohl nie vergessen und werde es oft spüren. Ich weiß nicht, wieso es manchmal rauskommt und manchmal nicht, ich habe mich schon so oft damit auseinandergesetzt, versuche es zu verarbeiten, schreibe es auf, lasse die Gefühle raus, doch es ist immer noch da. Es liegt wohl daran, dass ich meinen Eltern das nie verzeihen werde, dass ich dafür meinen Vater besonders hasse und dieser Hass immer da ist und dass mir so etwas später mit meiner eigenen Familie nicht passieren kann.
Das Gefühl damals, wie heute, wenn ich es wieder erlebe, ist das gleiche und immer wieder das gleiche, mir ist kalt, so unbeschreiblich kalt und es wird und wird nicht warm, es wird nicht warm, ich schlage gegen eine dicke Mauer und schlage und schlage, ich bin in einem dunklen Raum und habe Angst, ich finde keinen Ausweg, ich schreie und schreie, und weine und weine. Unter mir zerfällt der Boden und ich versuche wegzulaufen, ich laufe und laufe und komme nicht von der Stelle, ich rufe und rufe um Hilfe, es kommt immer näher. Und? Hilft mir jemand? Nein, niemand ist da! Und ich allein schaffe es nicht und weiß nicht wieso, ich bin zu schwach. So kann ich es beschreiben, das habe ich gefühlt und ja, es war kalt und leer und dunkel und ich konnte keinen Ton mehr wahrnehmen, nur die Augen waren auf, sahen alles, blinzelten nicht einmal, ja es war der stille, hoffnungslose, verlorene Schrei, den niemand gehört hat, den sich keiner vorstellen kann. So war es, leider, und ich muss immer wieder weinen, wenn ich das schreibe, erzähle oder mich damit beschäftige. Es ist nie vorbei, auch wenn es mal außen ruhig werden sollte, was ich nicht glaube, das Innere schreit immer, mal lauter, mal leiser, bis es erlöst wird.
Ungefähr zwei Jahre danach erzählte ich meiner Mutter, dass ich mich an den Vorfall erinnerte und dieses ganze Erlebnis aufschrieb. Ich beschrieb ihr, was ich noch wusste, dass ich mich erstaunlicherweise an viele Dialoge wortwörtlich erinnern konnte. Sie erzählte mir, dass er sie an diesem Abend, bzw. in dieser Nacht, bevor ich in das Wohnzimmer kam, noch viel mehr geschlagen hatte, sodass sie fast am ganzen Oberkörper, besonders in der Bauchgegend, blaugeschlagen war. Später fuhr der Opa sie gar nicht ins Krankenhaus, da mein Vater es ihm sogar verboten hatte, mit seinem Auto zu fahren. Mein Vater fuhr sie ins Krankenhaus und sie sagte mir, dass er dort sogar zu ihr gesagt hatte, dass sie es so verdient hätte und bloß ihr Maul halten solle und sich jetzt nichts darauf einzubilden hätte. Es ist nach wie vor schmerzhaft und unvergesslich für mich, und Vergangenes ruhen zu lassen, ist oft schwerer, als man meint.
Momentan bin ich sehr traurig und wütend zugleich, dieses Gefühl ist sehr schmerzhaft und ich weiß, dass ich wieder in einer Phase bin, die schlecht ist, in der ich etwas verarbeiten muss, in einer Phase, in der ich schreiben muss, um mir nicht selbst etwas anzutun. Deshalb schreibe ich nun ein sehr schmerzliches Erlebnis auf, das mich, denke ich, stark geprägt hat.
Es war an Silvester 2000, eigentlich doch eine schöne Zahl, das Millennium, ein neues Jahrtausend beginnt, schön für viele, sie feiern und haben Spaß, doch für mich wird dieser Silvester zum Horror, sehr schlimm, unvergesslich bleiben, leider.
Wir gingen abends in das K. Haus, denn dort war eine große Silvester-Gala mit Band, Disco und riesigem Buffet. Mittags musste ich schlafen, konnte aber nicht, und als wir dann abends dorthin gingen, war ich schon etwas müde, aber es ging noch. Meine ach so großartigen Eltern machten sich schön für diesen Abend und fühlten sich ganz toll, vor allem meine Mutter, sie stolzierte mit ihren hohen Schuhen und ihrem Kostüm hochnäsig daher, ich fand es grauenhaft. Mein Vater war etwas anders, nicht so selbstverliebt. Allerdings hatten sie schon, bevor wir dort hingingen, etwas Streit, der legte sich aber wieder. Meine Mutter nörgelte nur an mir herum, was alles schlecht an mir sei, aber was anderes konnte sie wohl nicht sagen, an diesem Tag hasste ich sie sehr. Ihre Art war unausstehlich, ich war an diesem Abend so wütend.
Dann setzten wir uns an einen Tisch in dem großen Saal und aßen und tranken. Meine Eltern konnten es natürlich nicht lassen, sie mussten sich wieder betrinken und tranken und tranken. Ich saß dort an meinem Platz und konnte nur mit anschauen, wie sich vor allem meine Mutter betrank, ich kam mir so allein vor, so dumm, ich hatte Angst, ich wollte hier nicht sein, nicht an Silvester. Warum konnten wir nicht einmal ein normales Silvester feiern, wieso mussten sie sich immer betrinken, wieso nur?
Sie wurde immer wütender und maulte nur mit mir herum, ich würde nicht gerade dasitzen, eine Scheißfratze ziehen, ich würde immer alles verderben, ja ich, ich war wieder einmal daran schuld. Mit meinem Vater bekam sie dann auch noch Streit, ich weiß nicht mehr worum es ging und ich habe auch nicht wirklich drauf gehört. Nach einiger Zeit ging es dann wieder. Doch dann, was ich zu dem Zeitpunkt nicht ahnen konnte, passierte etwas, das wohl den ganzen Abend entschied.
Ich war dran schuld, ich musste andauernd gähnen, weil ich so müde war, obwohl ich so viel Cola trank, wie es nur ging. Dann musste meine Mutter natürlich in ihrem Rausch wieder etwas sagen, wie auch anders, mich konnte man ja niedermachen. Sie regte sich auf und fing an laut zu werden, wieso ich denn andauernd gähnen müsste, ich würde nichts aushalten, würde allen den Abend verderben. Dann aber widersprach ihr mein Vater und meinte, sie solle nicht so rumschreien, dass es auch die anderen hören würden. Ja, es hat mit mir begonnen, mit mir, ich war dran schuld, ich wollte es nicht, warum, warum?! Nach einigen Minuten redete meine Mutter wieder mit mir und wollte, dass ich mit ihr etwas rumlaufen würde. Das tat ich dann auch, obwohl ich es nicht wollte, ich wollte nicht, ich hasste sie so sehr, ich hätte ihr am liebsten ein Messer in ihren Rücken gestoßen.
Wir gingen zur Disko, die allerdings noch nicht eröffnet war, aber man konnte schon reinschauen und Musik spielte auch schon. Es war furchtbar, es kam ein trauriges Lied, ich weiß noch, dass es von Michael Jackson war und dann konnte ich nicht mehr, ich dachte nur, wieso sie mir das antaten, ich fühlte mich so klein und konnte nichts machen, ich wurde immer zu etwas gezwungen, was ich nicht wollte, ich konnte mich nie wehren, ich konnte keinen normalen Silvester verbringen, bei mir musste immer was sein, meine Eltern konnten nicht einmal nett zu mir sein, sie konnten sich nicht einmal zurückhalten, es stürzte alles auf mich ein und dann konnte ich nicht mehr, ich musste weinen, einfach so, konnte es nicht aufhalten. Meine Mutter kümmerte sich nicht darum, sie interessierte es nicht, sie tröstete mich nicht, fragte nicht, was los ist, nein, sie schrie mich an, und zerrte mich am Arm und beschimpfte mich. Davon wurde es natürlich nicht besser, nur noch schlechter, ich musste mehr und mehr weinen. Ich konnte einfach nicht mehr und es war keiner da, der mir helfen konnte, niemand, der mich befreite, nur meine Eltern, die mich hassten. Dann, als wir wieder am Tisch waren, wurde auch mein Vater auf mich böse und meine Eltern fingen an zu streiten. Es ging alles so schnell und war alles wegen mir, ich wäre am liebsten weggelaufen, und glaubt mir, wenn dort eine Waffe gelegen wäre, ich hätte abgedrückt, auf wen weiß ich nicht, aber ich denke auf mich, damit ich dieses Chaos los bin, kein Silvester mehr mit ihnen verbringen müsste, dann hätten sie sich alleine besaufen können und hätten sich meinetwegen totschlagen können, aber ich hätte es nicht erlebt, das wäre so schön gewesen, einfach weg zu sein.
Auf einmal gingen wir einfach so und es war noch nicht zwölf Uhr. Beide waren böse auf mich und stritten auch noch. Es war so schlimm, ich habe mich so klein und hilflos gefühlt und konnte nichts machen. Es gab keine Pistole, nichts, niemand der mich hätte retten können, es wurde mir plötzlich sehr kalt und ich fühle mich so leer und alles war so nichts und schwarz. Meine Eltern ließen sich noch einen Stempel auf die Hand drücken, damit sie wiederkommen konnten, ohne zu bezahlen. Meine Mutter schimpfte mich immer noch, sie hörte nicht auf, dann stritten sie wieder, es gab keine stille Sekunde. Sie sagte, ich wäre ein blödes Miststück, ich wäre ein Scheißkind, ich sollte jetzt mal schneller gehen, ich würde ihnen mit Absicht den Abend vermiesen und so ging es immer weiter und weiter und wenn mein Vater sagte, dass es jetzt mal wieder gut sei, dann fingen sie wieder Streit an, so ging es, bis wir zu Hause waren, sogar im Auto hörten sie nicht auf. Als wir zu Hause waren, setzte sich meine Mutter vor den Fernseher und war so wütend. Mein Vater versuchte wieder mit ihr normal zu reden und bot ihr an, noch Sekt zu trinken, aber sie flippte total aus, machte den Fernseher aus, schrie rum, knallte die Türen zu und ging ins Bett, so wie sie das oft tat. Doch diesmal war sie es, die sich nicht zusammenreißen konnte, sie hatte sich betrunken, sie war es, nicht mein Vater. Dann ging ich auch ins Bett, aber davor sahen mein Vater und ich uns noch das Feuerwerk draußen an und ja, es war 2000, so war mein neues Jahr, aber es ging natürlich noch weiter. Mein Vater sagte, er ginge noch weg, denn hier hätte es keinen Sinn mehr und er will auch mal weg und feiern und nicht immer das Geschreie hören müssen. In diesem Moment hatte ich, glaube ich, am meisten Angst, denn ich wusste in diesem Moment, was passieren würde, wenn er meine Mutter und mich einfach so allein lassen würde.
Und er ging, einfach so und ich lag in meinem Bett und konnte nur warten, warten, ob es passieren würde, ob sie kommen würde. Ich lag einfach so da und ja, ich zitterte richtig und hatte Angst, mir war heiß. Dann war es wohl so weit, er war weg, sie wusste das. Sie riss heftig die Tür vom Schlafzimmer zum Wohnzimmer auf, dann zum Gang, sie stampfte richtig mit heftigen Schritten, ich wünschte ich hätte weglaufen können, dann kam sie einfach so, sie kam in mein Zimmer, schrie mich an, dass ich an allem schuld wäre und beschimpfte mich sehr, dann kam sie näher und schlug auf mich ein mit beiden Fäusten, und ich hatte so Angst, ich schrie, dass sie aufhören solle, ich sagte, bitte, bitte lass mich, hör doch auf. Aber ihr war es egal, in dem Moment fühlte ich mich nicht mehr als ihr Kind, nein, sondern als irgendjemand, der nirgendwo hingehörte, jemand den man vergessen hat, jemand, der einfach so da in seinem Bett liegt und schreit, mehr nicht. Ich hatte solche Angst, dass ich mir in die Hose machte, dann endlich war es vorbei, es war vorbei, sie ging schreiend und schimpfend, machte die Tür zu und ging.
Ich lag einfach so da, alles war durchnässt, ich lag weinend da und traute mich kaum zu atmen, ich zitterte und fühlte noch genau ihre Schläge auf die rechte Seite, ich hatte noch ihr Geschrei im Ohr, ich konnte noch ihre lauten Schritte hören, wie sie auf mein Zimmer zuging, ich hatte so Angst, so Angst, doch dann fühlte ich wieder diese Kälte, diesmal war sie sehr, sehr schlimm, sie war so eisig, als ob mich der Tod angehaucht hätte. Dann hörte ich, wie sie aus dem Haus ging, sie war weg, ich war erleichtert.
Ich fing an, mit mir selbst laut zu reden, ich redete ganz leise und versuchte mich selbst zu beruhigen, redete mir aber auch ein, dass ich jetzt keine Mutter mehr hätte, denn so was könne nicht meine Mutter sein, selbst wenn, dann wäre sie es jetzt nicht mehr, nie mehr. Ich konnte nicht aufstehen, konnte einfach nicht, obwohl ich hätte müssen, ich war wie gelähmt, ich fühlte irgendwie nicht mehr viel, nur noch Hass, Verzweiflung und tiefe Kälte, mehr nicht. Es war so, als ob man mich jetzt vergessen hätte, als ob ich unsichtbar wäre, keiner war da, keine Großeltern, vor allem keine Eltern, keine netten Eltern, keine Freunde, keine Verwandten, niemand, nur ich, ich allein, in dieser Kälte und Stille, die dennoch so laut war. Ich blieb eine ganze Zeit lang wach und redete vor mich hin, einfach so, doch es half, es war ja keiner da, also musste ich da sein, ich sozusagen für mich selbst. Dann schlief ich ein, aber es dauerte nicht lange, bis sie wiederkamen.
Ich wachte wieder auf und hatte wieder Angst, aber ich hörte beide, sie gingen nicht gleichmäßig und redeten sehr komisch, natürlich waren sie total betrunken. Ich riss die Augen weit auf und horchte, so gut es ging, sie stritten wieder, schon wieder. Meine Mutter ging duschen, so spät noch, aber sie war ja betrunken. Dann ging mein Vater runter und machte die Tür zu dem Raum auf, wo sich die Sauna, Geräte und auch die Dusche befanden. Er fragte, was sie da mache, dann schrie sie, dass er sie in Ruhe lassen solle, dass er abhauen solle, dann polterte etwas, ich glaube das Shampoo fiel herunter. Und mein Vater ging wieder. Dann kam sie hoch, aber er hatte sich schon umgezogen und kam zu mir ins Zimmer hinein, er stank nach Alkohol und lallte. Er meinte, er müsste kurz bei mir schlafen, damit sich die Mama wieder einkriegen kann und wenn sie dann schlafen würde, dann ginge er wieder.
Er kam zu mir ins Bett und ich fragte, was denn jetzt gewesen sei. Er erzählte, dass sie noch dort in der Disko waren und sie hätte sich weiter betrunken und wäre sogar halb über den Tresen geflogen und als sie getanzt hätten, wäre sie auf der Tanzfläche rumgestolpert, hätte laut geschrien und sich dann auch noch in die Hose gemacht, dann wären sie gegangen. Deshalb musste sie duschen. Tja, dann nach einiger Zeit schlief ich auch endlich ein, neben diesem Alkoholiker, den ich dann auch hasste. Ich hätte ihn neben mir erwürgen können.
Am nächsten Tag wachte ich dann alleine auf und es war ein Uhr. Ich stand auf und ging ins Wohnzimmer, dort war auch mein Vater und schaute fern, ich glaube, es war Fußball. Meine ach so tolle Mutter lag noch im Bett. Im Laufe des Tages stand sie auch auf und irgendwie vertrugen meine Eltern sich dann wieder, nur ich mich nicht mit meiner Mutter. Aber ich glaube, sie wusste, was sie getan hatte, sie wusste es ganz genau! Am nächsten Tag fuhr mein Vater wieder zur Arbeit und ich musste allein mit ihr klarkommen. Aber nach einigen Tagen redeten wir wieder ganz normal miteinander, so als ob nichts gewesen wäre.
Ich finde es sehr schlimm, es hört sich jetzt vielleicht blöd an, aber ich bemitleide mich selbst, ich denke, dass ich das auch tun muss, da es sonst niemand tut und ich brauche Mitleid, sogar sehr. Jeden Silvester denke ich daran und sonst auch oft, da ich es immer noch nicht richtig verarbeitet habe und es liegt in mir, wie ein Stein, es ist dort drin, in mir, es will raus, doch es kann nicht, das wird es nie können. Ich hoffe, dass ich einmal besser damit umgehen kann als momentan, denn wenn ich das jetzt nicht geschrieben hätte, dann hätte ich mich, denke ich, geschnitten, mir also selbst weh getan, damit es besser wird. Aber so ist es viel besser. Ich kann es damit verarbeiten, mit dem Schneiden kann ich es nicht verarbeiten, ich lasse damit nur meinen inneren Schmerz heraus, mehr nicht. Mein Schmerz ist sehr groß, er wird hiermit immer etwas kleiner und ich schaffe es auch in immer größeren Zeitabständen, alles mal zu vergessen oder hinter mir zu lassen, doch irgendwann kommt es eben wieder raus, aber es geht gar nicht wirklich, es kommt nur wieder, ich sehe die Bilder, erinnere mich genau an die Gefühle, kann das hören, was ich schon einmal gehört habe, es ist vielleicht gut so, damit es innerlich besser wird. Ich hoffe, dass ich es irgendwann mal schaffe, einfach alles hinter mir zu lassen, alles verarbeitet zu haben, das ist ein großer Wunsch. Und was noch ein großer Wunsch ist, dass ich ab irgendeinem Lebensjahr alle Silvester schön verbringen kann, ohne Streit, ohne Alkohol, ohne Tränen, ohne Angst, ohne schlechte Erinnerungen und vor allem, ohne dass ich auch nur annähernd zu etwas gezwungen werde, was ich nicht will.
23.08.2004
Hallo Papa,
ich schreibe diesen Brief an dich, da ich es für wirklich sehr dringend halte, dass sich etwas ändert, und zwar in unserer Familie, die nämlich schon lange keine mehr ist. Ich hätte sehr viel mit dir zu bereden, aber nicht nur ich, sondern auch die Mama.
Was du am Wochenende gebracht hast, war wirklich das letzte und dann beschuldigst du auch noch mich dafür und sagst sogar noch, ob ich es will, dass ihr Streit hättet, wie kannst du nur so was fragen? Wenn du schon so etwas fragst, dann wundere ich mich wirklich nicht mehr, dann hast du keine Ahnung, was in mir vorgeht, dann kennst du mich überhaupt nicht, dann weißt du nicht, wer ich bin und wenn du nicht weißt, wer ich bin, was ich fühle und denke, dich nicht einmal für mich interessierst, dann sehe ich dich nicht mehr als meinen Vater an, sondern als jemanden, der seine Familie zerstört und sie niedermacht und das auf eine ganz erbärmliche Art, die wirklich nur jämmerlich ist.
Wenn du glaubst, dass die Mama mich auf dich hetzen würde, dann hast du dich gewaltig getäuscht, denn du hast keine Ahnung, wie ich über dich denke. Ich finde es sehr bedauernswert und erbärmlich, dass ich, die deine Tochter sein soll, nicht mal normal mit dir reden kann, über meine Probleme mit dir. Generell kann ich nicht normal mit dir reden, falls es dir noch nicht aufgefallen ist. Und ich kann dir genau sagen, woran das liegt, ich habe Angst vor dir, vor deiner niedermachenden Art, davor, dass ich was Falsches sage, davor, dass du mich kritisierst und davor, dass du meine Meinung nicht respektierst. Das ist es nämlich, ich kann mit jedem reden, nur nicht mit meinem Vater, weil ich Angst vor ihm habe, ich kann mit dir nicht über meine Probleme reden, weil ich Angst habe, dass du mich nicht ernst nimmst, dass du alles ins Lächerliche ziehst, gar alles abstreitest, ja du hast immer recht, so denkst du, jedenfalls kommt es bei mir so rüber.
Findest du es denn nicht äußerst bitter, dass deine eigene Tochter so Angst vor ihrem Vater hat, dass sie nicht mal richtig mit ihm reden kann, wenn überhaupt, dann nur übers Wetter oder vielleicht noch über den Sport, über mehr nicht, ich finde es jedenfalls nicht normal und gewiss ist es das auch nicht.
Dazu kommt noch, dass du dich nicht für mich interessierst, kein bisschen. Du wusstest vor zwei Jahren nicht mal, in welche Klasse ich gehe, hast gesagt ich würde in die sechste gehen, obwohl ich in der siebten war, du kennst nicht meine Schulleistungen, fragst nicht nach den Noten und schon gar nicht nach meinem Zeugnis, was soll ich denn davon halten? Hast du dich das vielleicht mal gefragt, wie es mir wirklich geht, was ich so mache, wie es in der Schule geht, ob ich Probleme habe? Nein, ich denke nicht, denn so sieht es auf keinen Fall aus und das schon seit vielen Jahren.
Diese ewigen Streitereien gehen an mir nicht vorbei, oder interessieren mich nicht, so wie du es schon mindestens vier mal zu mir gesagt hast, wenn du wüsstest, wie ich darunter leide, wenn du wüsstest, wie ich mich fühle. Aber nicht nur ich bin es, die leidet, sonder natürlich auch meine Mama, die deine Frau ist, schon vergessen? Oft habe ich das Gefühl, dass du sie überhaupt nicht magst, geschweige denn liebst, davon sieht man nichts, rein gar nichts. Du schimpfst und beklagst dich immer bei mir und ich bin natürlich nicht fähig, etwas dagegen zu sagen, aus Angst und was soll ich auch dagegen machen? Dagegen kannst nur du was tun, da du die Person bist, vor der ich Angst habe. Aber diese Angst ist nicht nur Angst, nein, sie wird oft zu großem, schmerzlichem Hass, so großem Hass, dass ich mir oft ernsthaft überlegt habe, ob ich mir nicht selbst was antun soll, damit das alles weg ist.
Die Mama tut mir sehr leid, da sie viel Schlechtes von dir ertragen muss, was kann sie dafür, wenn du Probleme hast mit deinem Bein? – Nichts! Was kann sie dafür, wenn du Probleme hast mit deiner Firma? – Nichts! Und vor allem, was kann sie dafür, wenn du Probleme hast mit dem Altwerden? – Nichts! Ja, das Altwerden, die große Angst davor steht dir oft ins Gesicht geschrieben, sehr oft, man sieht es dir richtig an, deine Furcht, mit dem Altwerden kommt der Tod, aber jeder stirbt mal, jeder, du, ich , die Mama, einfach jeder, denn alles ist vergänglich. Du hast auch ein großes Problem damit, dass wir jünger sind als du, vor allem eben die Mama, weißt du noch, deine Frau, die du mal geliebt und die du geheiratet hast! Ich merke das, denn ich sehe oft in deinem Gesicht, wenn die Mama und ich mich unterhalten, und du kannst nicht mitreden, da du erstens nichts über uns weißt und zum Zweiten haben wir einen anderen Gesprächsstoff als du, da wir eben jünger sind. Aber heißt das, dass du etwas Abfälliges dazu sagen musst? Heißt das, dass du beleidigt wegschauen musst? Ist das denn so elendig für dich? Du könntest dich gewiss auch am Gespräch beteiligen, du könntest es, darauf wette ich. Wenn ich schon mit dir über das Wetter reden kann und über total langweilige Dinge, die mir belanglos und unwichtig erscheinen, dann müsstest du doch auch in der Lage sein, dich uns zuzuwenden!
Hast du dich schon mal gefragt, wieso ich nach dem Essen, schnell wieder hochgehe, hast du dich schon mal gefragt, wieso ich abends den gleichen Film wie ihr oben anschaue? Nun, die Antwort ist ganz einfach: Es ist wegen dir, ich kann nicht in deinem Umfeld sein, denn wenn ich schon nicht mit dir reden kann, wenn du die Mama unglücklich machst und wenn ich mit dir nur Streit bekomme und mich nur über dich ärgern kann, dann nenne mir mal einen Grund, wieso ich dann noch bei dir unten bleiben sollte? Es gibt wohl keinen Grund. Nicht für dich und schon gar nicht für mich und wenn ich ehrlich bin, für die Mama ja wohl auch nicht. Ist das nicht schlimm? Soll das etwa eine Familie sein? Nein, das ist es nicht und es muss sich was ändern, so kann es nicht weitergehen, für keinen, denn die Mama und ich haben das nicht verdient. In der heutigen Gesellschaft, in der zumindest wir hier leben können, im Wohlstand, da sollte doch so etwas nicht vorkommen! Wenn es allein schon bei uns so dermaßen übel zugeht, dann wundere ich mich nicht, dass es da draußen überall Krieg gibt!
Das letzte war dann am Geburtstag von der Mama, ich war enttäuscht von dir und die Mama noch viel mehr, weißt du überhaupt, wie sehr man da leidet? Kannst du dir das vorstellen? Nein, ich denke nicht, du hast sie nicht reden und weinen hören! Und mich dann noch dafür zu beschuldigen, bist du denn so jämmerlich geworden, dass du immer die Schuld bei anderen suchst, dass immer wir dafür verantwortlich sind, wenn du was falsch machst? Es ist wirklich erbärmlich, sehr sogar, dass du so was nötig hast. Ich habe von dir erwartet, dass du es nicht vergisst, ich habe mich gewundert, dass du diesmal nicht mit mir darüber redest, aber dann merkte ich, dass du es bestimmt vergessen würdest und ich muss sagen, das schockiert mich noch mehr. Und wenn du meinst, dass du mich auch schon an Dinge erinnert hättest, dann bitte, zähl mal welche auf, du hast mich höchstens daran erinnert, dass ich schlecht bin, dass ich einen Matschkopf habe, dass ich eine blöde Petze bin, dass ich ein Baseballgesicht habe, an sonst nichts. Du siehst in mir wohl nur Schlechtes, nicht deine Tochter, sondern ein irgendwas, mit dem man geradewegs machen kann, was man will, das man kritisieren kann ohne Ende, das man beschimpfen kann, das man runterziehen kann, bis es am Ende ist und dann kann man es zur Krönung und vor allem zum Allerletzten auch noch beschuldigen, weil ja sonst keiner da ist.
Ja, das kann ich mir alles antun lassen, doch ich will nicht mehr und wenn sich nicht bald was ändert, dann verspreche ich dir, dann werde ich Dinge tun, von denen du nicht mal träumen kannst, das schwöre ich. Es hört sich an wie eine Drohung, gut, dann sieh es meinetwegen so, denn wenn es anders nicht geht, dann eben so! Aber ich hoffe sehr, dass sich was verändert! Zum letzten Punkt, den ich loswerden wollte, an diesem Wochenende hast du nichts getrunken, wegen deinem Fuß, aber du trinkst sehr oft viel zu viel, das trägt natürlich auch zum Streit bei, nicht nur das, du wirst für mich unerträglich, ich bekomme dann einen sehr großen Hass auf dich. Hör doch auf damit, mal eine ganze Zeit, hör auf dich zu betrinken, wenn du hier bist, glaubst du etwa, dass das schön sei, nein ganz und gar nicht, außerdem sollten die Eltern doch Vorbild sein und kein Mittel zur Abschreckung. Aber du hast mich schon ausreichend abgeschreckt!
Hoffentlich denkst du über meinen Brief nach und nimmst ihn auch wirklich ernst.
Lena!
Sehr geehrte Frau Rückbert,
ich möchte mich nochmals sehr herzlich für das letzte Gespräch bedanken. Ich denke, es hat mir sehr geholfen, vor allem im Bezug auf meine Mutter. Vielleicht werde ich sie jetzt besser verstehen.
Mit Isabel verstehe ich mich jetzt wieder etwas besser, wir reden normal miteinander, zwar nicht auf „Freundschaft“, aber zum Glück bin ich jetzt nicht mehr wütend. Ich denke, dass wir irgendwann wieder befreundet sein werden, ich weiß nicht wieso, aber ich kann mir das denken.
Ich wollte Ihnen noch etwas am Telefon sagen, konnte es aber nicht, ich dachte, ich muss es loswerden, damit es mir besser geht, aber es war schwer. Ich habe wieder etwas getan, etwas, von dem ich eigentlich wusste, dass ich es wieder tun würde, wenn alles zusammenstürzt. Ich denke Sie wissen, was ich meine. Es tut mir leid, aber ich hab es gebraucht, dann ging es mir wieder besser, aber ich musste weinen, weil es wieder soweit gekommen ist. Es weiß niemand, wirklich, diesmal weiß es keiner, weil es mir dieses Mal sehr, sehr, sehr schwer gefallen ist, es jemandem zu sagen. Denn ich habe es mir selbst versprochen, dass es nie wieder vorkommt, es mir fest vorgenommen, ich habe es nicht nur den anderen versprochen. Ich glaube, deswegen war es so schwer, weil es für mich selbst ein bisschen unverständlich war. Ich hätte es sein lassen können, das weiß ich, aber ich wollte es nicht, ich wollte, dass es mit einer kurzen „Sache“ beendet war, der Schmerz. Aber ich mache es jetzt nicht mehr, es war sozusagen nur ein kurzer Aussetzer, den ich gebraucht habe. Ja, es wird wieder passieren, das weiß ich, aber bis dahin vergeht mindestens ein halbes Jahr. Ich glaube, ich werde es in immer größeren Abständen schaffen, bis ich es dann nicht mehr will. Das war mir jetzt sehr, sehr wichtig, Ihnen das gesagt bzw. geschrieben zu haben.
Momentan fühle ich mich irgendwie so schlecht, so als ob ich richtig böse wäre. Das hört sich jetzt vielleicht blöd an, aber für mich ist es schlimm und ich kann es nicht erklären. Ich bin auf eine meiner besten Freundinnen so neidisch, obwohl ich sie sehr mag. Sie kann alles besser als ich, ist überall besser als ich und hat dazu noch eine bessere Familie. Einerseits kann ich mich ein wenig verstehen, aber wieso ich dann so derart böse werde, das verstehe ich nicht. Ich fühle mich daher schlecht und denke noch mehr, dass ich eben nicht gut bin. Bei mir geht vieles schief, meiner Ansicht nach viel zu viel. Einfach überall, obwohl ich das, was ich mache, gerne mache, auch ehrgeizig bin und mich anstrenge, aber es gelingt nicht so, wie ich es will, einfach nichts. Manche sagen, ich würde mich zu sehr unter Druck setzen, ich würde mir zu hohe Ziele setzen, aber das finde ich nicht. Und deswegen verstehe ich auch nicht, dass einfach nichts klappen will. Ich fühle mich, als ob ich immer gegen eine Wand laufen würde, als ob alles so umsonst wäre. Ich hab Angst, dass ich es nie so schaffen werde, wie ich es will, ich hab Angst, dass ich niemals was hinbekomme, weder in der Familie noch im Beruf noch sonst wo. Hört sich wahrscheinlich übertrieben an, aber ich denke wirklich so. Ich weiß nicht, was ich dagegen machen soll.
Übrigens spiele ich weiter Klavier, obwohl ich ja dieses Schuljahr damit aufhören wollte, das ist, denke ich, auch gut so. Und ich gehe in Leichtathletik. Sie werden jetzt denken, komisch, das hat ihr doch nie Spaß gemacht, oder? Also, das ist richtig, aber ich gehe dort jetzt mit einer Freundin hin und nicht mehr nach Bad Wörishofen, sondern nach Kaufbeuren, da ist es viel besser und jetzt macht es mir auch mehr Spaß. Wahrscheinlich lag es an den Leuten dort. Das ist positiv, zum Glück wenigstens etwas!
Erst letztens ist mir etwas Komisches passiert, ein Vogel flog bei uns an die Scheibe, hat sich das Genick gebrochen und war leider tot. Bei so was muss ich immer weinen und denke, dass wir daran schuld sind, weil unser Haus da steht, wo der Vogel fliegen wollte und er sonst nicht tot wäre. Dann habe ich den Vogel begraben (auch wenn meine Mutter das nicht so gut fand) und es war zwar schönes Wetter und normal zwitschern die Vögel dann immer, aber es war ganz still. Als ich den Vogel vergraben habe, ging ich zurück ins Haus und dachte, ob die Vögel jetzt wohl böse sind, ob sie das merken, dass es unsere Fensterscheibe war, weil es ja so still war. Auf einmal stand ein Eichelhäher vor mir, obwohl die ja immer sehr scheu sind. Ich blieb stehen und er schaute mich an, einfach so, dann flog er nach wenigen Sekunden weg und machte einen Laut und auf einmal fingen die Vögel wieder an zu singen, genau nach diesem Laut. Und dann dachte ich, vielleicht hat er mich gesehen und dachte, dass ich doch etwas Gutes in mir habe, weil ich den Vogel begraben und um ihn geweint habe. Und als er den Laut von sich gegeben hat, hat er vielleicht den Anderen gesagt, dass alles okay sei und die Seele des Vogels jetzt frei ist und dann konnten sie wieder singen. Ich hab daraus etwas gelernt, dass ich für etwas wichtig bin und es immer weitergehen muss, auch wenn etwas Schlimmes passiert, oder wenn ich schlechte Zeiten habe.
Danke, dass Sie das gelesen haben, ich hoffe, es hat nicht zu viel Zeit in Anspruch genommen.
Mit freundlichen Grüßen, Lena!
Ich telefonierte sehr, sehr häufig mit dieser Lehrerin und sie ist und war für mich ein Schutzengel, den ich wohl nie vergessen werde. Der Brief an meinen Vater hat leider überhaupt nichts bewirkt. Er ist immer so geblieben, wie er war. Er glaubte erst nicht, dass ich ihm den Brief geschrieben habe und ließ seine Wut über diesen Brief später wieder an meiner Mutter aus. Beide fuhren ohne mich fort und er bekam im Auto anscheinend einen Aggressionsausbruch und schlug sie wieder. Daraufhin stieg sie zum Glück aus und fuhr mit dem Zug und dem Bus nach Hause. Das war die ganze Reaktion darauf, die traurigerweise nach hinten losging. Leider konnte man mit meinem Vater nie reden, ihn niemals um etwas bitten und ihm auch nicht klarmachen, dass sein ganzes Handeln falsch und dass er psychisch krank war. Im Jahr 2005 fing ich dann an, richtige Tagebucheinträge zu beginnen und setzte dies mit Leib und Seele fort.
Tagebuch vom 01.01.2005
Es war Silvester. Nun, Silvester ist in unserer Familie ein „Fest“, an dem geweint und gestritten wird. Dieses Silvester waren wir in S. im J. Hof und schauten uns eine Show während des guten 4-Gänge-Menüs an. Die Show war wirklich ausgezeichnet und der Abend bzw. die Nacht lief einigermaßen glatt. Doch leider können sich meine werten Eltern natürlich wieder einmal nicht zurückhalten und müssen das neue Jahr betrunken beginnen. Ich hasse sie dafür. Doch mein erster Gedanke im neuen Jahr, als mir genau um 00:00 Uhr mein schwarzes Armband abfiel, war die Liebe. Ich versuche mich zu ändern, will es schaffen. Meine Vorsätze sind nicht leicht, aber ich werde kämpfen und stark sein. Hier sind sie:
1. Das Ritzen völlig aufhören
2. Mich nicht von meiner Psyche krank machen lassen
3. Keiner „Liebe“ hinterherlaufen
4. Versuchen, mich von meinen Eltern zu distanzieren
5. Mehr auf mich hören
6. Mir etwas zu suchen, das wichtiger ist, als die Schule
7. Nicht zu neidisch sein
8. Alles leichter nehmen
9. Mich selbst mehr lieben
und 10., das was ich immer versuche, meine Vergangenheit zu verarbeiten.
Gerade bin ich so wütend auf meine Eltern, sie machen mich krank. Ich gehe jetzt lieber schlafen, da es schon halb drei sein muss. Hoffentlich wird der morgige Tag ein besserer, das heißt, der heutige!
Tagebuch vom 01.01.05 (ein paar Stunden später)
Der Morgen fing mit tränigem „Hochgerenne“ an. Es hört sich vielleicht lustig an, aber das war es nicht. Ich hasse meinen Vater. Ich wollte zum Frühstück zwei Spiegeleier, die meine Mutter für mich machen sollte, so weit war da kein Problem. Doch mein ach so toller Vater fing eine Diskussion mit mir an, ob ich mir denn nicht selbst welche machen könne. Mit seinem widerlichen, niedermachenden Getue kam es dazu, dass ich kurz weinend hoch lief. Nun gut, ansonsten legte ich Tarot, für’s neue Jahr. Und machte Englisch, was ich teilweise nicht verstanden habe. Die alte Schulpanik ist auch im neuen Jahr wieder da. Grauenhaft. Ansonsten telefonierte ich mit Amelie, die ich anrief und mit Bettina, die ich ebenfalls anrief. Das Tarot meinte, ich solle jedem viel Liebe entgegenbringen. Irgendwie habe ich deswegen ein gutes Gefühl, aber auch ein schlechtes Gewissen, da ich ständig meinen Freundinnen hinterher rennen kann. Meine Mutter distanziert sich mehr von mir, als ich jemals gedacht habe, dass sie es überhaupt tun würde. Jetzt, da dieses Arschloch von Vater hier ist, braucht man sich ja nicht mehr um mich zu kümmern.
Morgen fahren wir zu meiner Oma und ich freue mich auch schon und bin aufgeregt. Ich hoffe nur, dass alles gut abläuft. Meine größeren Ängste sind momentan, dass ich meine Mami verliere und dass ich in der Schule versage. Ich habe so viel Angst, Angst zu scheitern, denn das ertrage ich nicht und es zerstört mich seelisch und körperlich. Ich weiß einfach nicht, wie ich es schaffen kann, einfacher zu leben. Hoffentlich wird morgen ein guter Tag, der einfach normal abläuft.
Tagebuch vom 02.01.05
Der Morgen fing wieder einmal mit einem Streit an, der um ein Marmeladenglas ging. Traurig, aber wahr. Jedenfalls fuhren wir dann zu meiner Oma nach K. Die Hinfahrt lief ruhig ab. Als ich gegen Mittag bei ihr ankam, war ich etwas aufgeregt. Sie hatte sich nicht groß verändert, bis auf dass sie mir kleiner vorkam, da ich natürlich nach fast sechs Jahren größer geworden bin. Ich sah das Haus, das mir gut gefiel, telefonierte sogar mit einer Bekannten, der Karin. Mittags gingen wir sehr gut essen und danach wieder nach Hause. Ich erfuhr einiges über meine Mutter, zugegeben, Erschreckendes. Ich sah einige Bilder von ihr, meiner Oma und mir, als ich noch kleiner war. Ich schüttete ihr meine Seele und mein Herz aus. Es war traurig und ich wollte keineswegs, dass sie weinte oder sich Sorgen machte, doch es musste sein und es tat so gut. Es war sehr schön bei ihr, sie ist ein guter Mensch. Oma erzählte mir auch von ihr und Opa einiges. Sie hatte es wahrlich nicht leicht im Leben, auch nicht mit Opa. Er hat sie nie so richtig geliebt, wie sie es gewollt und verdient hätte. Er hat sie gebraucht wegen seiner Tochter aus seiner ersten Liebschaft. Sie heirateten und Oma kümmerte sich um Melanie und bekam später Katharina. Beide wuchsen dann allerdings nicht zusammen auf. So war das, eine Familie, zwar interessant, aber traurig. Mama’s Ex-Mann hatte sie anscheinend auch geschlagen, so wie mein Vater jetzt, das erzählte mir Oma auch noch. Oma hat mir Mut gegeben, mir zugehört, mir Zuneigung geschenkt und ich weiß, dass sie mich liebt und auf mich stolz ist. Ich weiß auch, dass sie einmal sterben wird, leider und nicht mehr für mich da sein kann. Das ist ein schreckliches Gefühl. Dann habe ich vielleicht niemanden mehr, der auf mich aufpasst und stolz auf mich ist, dann kann ich nicht mehr sagen, dass ich für meine Oma lebe. Hoffentlich darf ich morgen noch mal zu ihr. Das wäre sehr schön. Ich wünsche und hoffe, vielleicht hilft beten ja auch.
Tagebuch vom 03.01.05
Nach einer langen Nacht, in der ich nicht schlafen konnte, frühstückten wir schließlich am Morgen, was einigermaßen normal ablief. Danach gingen wir in die Stadt, nach H. Sie war groß und schön, mit ewig vielen Geschäften. Den Tag über war mein Vater sehr merkwürdig, als ob er etwas eingenommen hätte. Zwar frech und beleidigend wie immer, aber ständig beängstigend lustig und zum Scherzen aufgelegt. Beim Mittagessen nervte es einfach und dazu kam noch sein widerliches Geschmatze. So nahm ich Johanniskraut, das ich glücklicherweise in meinem Mantel mitgenommen hatte. Ja, ich weiß, mein Vater nahm, oder nimmt so etwas auch, ich sah es einmal in seinem Schrank und nahm eine Tablette davon. Doch es war nicht nur homöopathisch, so wie meines, und die Wirkung war mindestens zehnmal so stark. Zudem sahen die Tabletten auch anders aus. Vielleicht hatte er das genommen, um uns zu ertragen, oder um sich selbst zu ertragen? Jedenfalls durfte ich heute nicht zur Oma, dafür morgen, nach dem Frühstück, was für eine Freude für mich. Nach dem Mittagessen gingen wir zum großen H. Schloss, es war sehr schön und die Aussicht war bezaubernd. Zurück in der Stadt fing es an zu regnen und ich kaufte mir daher Kleidung, unter anderem ein rosefarbenes Abschlussballkleid für den Tanzkurs, welches ganz lang war. Der Regen hörte auf und alles war gekauft, so gingen wir ins Hotel zurück und mal sehen, wie das Abendessen wird …
Tagebuch vom 04.01.05
Der gestrige Abend war sehr lustig, da ich mich noch in der Wirtschaft S. betrank, indem ich einen Rumtopf aß. An diesem Tag hatte mein Vater Geburtstag und wurde 66 Jahre alt, aber die Stimmung war ungewöhnlich gut auszuhalten. Nach dem Frühstück brachten sie mich zur Oma, worüber ich sehr glücklich war. Bei ihr aßen wir dann Kartoffelküchle mit Apfelkompott, natürlich selbstgemacht. Es schmeckte sehr gut und danach gingen wir zur Bank, in die Stadt und zu dem Fluss R. Auf dem Rückweg besuchten wir noch Bettina und ihre Kinder Oliver und Johanna. Diese waren etwas zurückhaltend, Oma meinte, weil sie vielleicht überwältigt von mir waren. Ich weiß es nicht. Meine Freundin Amelie rief mich auch noch an, wegen ihrem Geburtstag. Wieder zuhause bei Oma, erzählte ich ihr von der Schule, was für Ängste ich habe und dass es so schwer für mich ist, einfach alles leichter zu nehmen. Es tat wieder sehr gut, sie hörte mir zu und verstand mich, was ich ja von meinen Eltern nicht gewohnt war. Sie weinte um mich, was mir sehr leid tat und gleichzeitig bemerkte ich wieder, wie sehr sie mich mochte und dass ihr viel an mir liegt. Ich erzählte ihr viel über diese Ängste und ihre Auswirkungen, dass ich mich ritzte, sagte ich aber nicht. Ja, es ist schwer und ich habe zu kämpfen. Meine Oma macht mir sehr viel Mut und gab mir große Hoffnung, hoffentlich kommen wir sie wieder an Pfingsten besuchen.
Um sechs Uhr wurde ich abgeholt und gleich gehen wir wieder essen, hoffentlich friedlich!
Tagebuch vom 06.01.05
Gestern schrieb ich nicht, wohl, weil ich angetrunken war. Wie es dazu kam, erzähle ich gleich. Erst einmal frühstückten wir wieder im Hotel E. H. und fuhren danach wieder zurück nach W. Kurz nachdem wir zuhause angekommen waren, machte ich die Rollos hoch und holte das „besondere“ Geschenk für meine Freundin Amelie, bei der ich zum Geburtstag eingeladen war. Etwas nach zwei Uhr kam ich bei ihr an und ich denke, dass sie sich über die selbstgemachte Karte, die beiden Insider-Witze-Plakatrollen, unser eigenkreiertes Logo und den lustigen selbstgemachten Songtext gefreut hat. Hoffentlich geht es nicht kaputt, denn so wie ich sie kenne, ist sie oft sehr schusselig und tollpatschig. Ansonsten brachte ich ihr ja noch einen schönen Bilderrahmen aus H. mit und gab ihr noch ihre Ulrich-Turner-Syndrom-Unterlagen zurück. Außerdem einen alten Brief, den ich ihr einmal geschrieben hatte, als wir längere Zeit Streit hatten und ein Poster von The Rasmus. Wir gingen gleich los zum Café J., und selbstverständlich freute ich mich, wieder einmal Lina, Bettina und Sandy zu sehen. Irgendwie vermisste ich Bettina am meisten, ich weiß nicht mal, warum. Es tat richtig gut, sie wieder zu sehen. Nach einer Ewigkeit gingen wir wieder zu Amelie zurück, zugegeben, es war langweilig und schlecht geplant. Vorher aber kaufte sie sich, da sie ja 16 Jahre wurde, in einem Supermarkt noch einen Rotkäppchen-Sekt. Bei ihr daheim wurde es dann noch langweiliger, da wir Fluch der Karibik anschauten, den ich bereits fünf Mal gesehen hatte. Also beschäftigte ich mich ständig mit den Katzen Sina und Olli. Zwischendurch tranken Anja und ich alleine in der Küche den Sekt und danach noch ein wenig 40 %igen Rum. So kam es zu meiner Trunkenheit, die aber unbemerkt blieb. Um acht Uhr holten mich meine Eltern ab und ich fing bei mir in der Wohnung noch an, alles umzustellen und umzudekorieren. Heute sieht es wirklich gut aus, aber leider ist es zum Teil auch im Chaos gelandet. Nach dem Frühstück, was unüblich normal ablief, widme ich mich jetzt also wieder meiner Wohnung …!
Nachdem meine Eltern vom Tennisspielen wieder zurückgekommen sind und Sauna machten, ging ich an den Computer und las mir ein paar meiner Erlebnisse aus der Vergangenheit durch, in denen ich zum ersten Mal über mein Denken und meine Ängste schrieb und versucht habe, die Ereignisse zu verarbeiten.
Ja, ich sollte jetzt lernen, aber ich setze mich lieber an den Computer und schreibe mir etwas von der Seele – das mit dem Computer wurde doch nichts, dafür sah ich fern und telefonierte mit Amelie.
Zu etwas anderem, ich glaube, dass ich in jemanden aus dem Tanzkurs verliebt bin. Er hat schöne Hundeaugen und es ist so merkwürdig, ich kenne ihn gar nicht, doch ich bin so bezaubert, bzw. verzaubert von ihm. Vorhin kam das Lied „Country Roads“, zu dem wir tanzten. Dabei wurde mir richtig klar, dass er mir sehr gut gefiel. Ich traue mich leider nicht, ihm zu mailen, da ich ja bisher in der Liebe nicht soviel Glück hatte, na ja, besser gesagt, in allem.
Tagebuch vom 07.01.05
Heute war ein trauriger Tag, es ist nichts vorgefallen, aber alles war irgendwie so leer. Ich ging morgens mit meiner Mutter einkaufen und danach blieb ich zuhause und machte meine Wohnung sauber. Meine Eltern waren weg, ich telefonierte wieder mit Amelie und aß alleine Piccolinies und Vanilleeis. Der Mittag war eigentlich schön, da ich meine Ruhe hatte und an den Sebastian dachte, der Gedanke machte mich fröhlich. Mich aber wieder auf richtige Liebe einzulassen, davor habe ich Angst. Jedenfalls machte ich noch Englisch, meine Eltern kamen wieder und meine Freundin Conny rief sogar an. Ich duschte und dann war es schon spät, wie schnell doch die Zeit verging.
Jetzt schaue ich fern. Jeden Tag kommt etwas über die Flutopfer von Asien. Immer wieder mache im mir deswegen Vorwürfe, denn ich glaube, ich wusste es, ich „sah“ es schon ein halbes Jahr zuvor. Menschen, die von einer Art Welle einfach ausgelöscht werden. Ich sah es so oft und spürte den Schmerz. Ich konnte es nicht deuten, ich dachte an eine Waffe, vielleicht eine Atomwaffe, aber an eine Naturkatastrophe dachte ich nicht. Jetzt weiß ich es besser, oder auch nicht? Kommt da doch noch etwas Größeres, etwas Gewaltigeres? Ich spüre das Leid, dieses Schwarze, Schlechte und Kranke. Ich hätte etwas tun können, solange habe ich es „gesehen“, immer und immer wieder. Dieses einzige Bild, das wie ein kurzer Film war, eine Welle und Menschen, die stehen bleiben, nicht wissen, was sie machen sollen. Sie starben in der Vision, wurden überrollt, einfach so. Und ich? Wem soll ich das sagen? Keiner kann mich verstehen, sie würden mir nicht glauben, schade. Es ist traurig. Ich bin traurig. Wie soll ich mit all dem fertig werden? Es ist so viel, zu viel. Doch ich gebe nicht auf, noch nicht. Da sind meine Eltern, die Vergangenheit, die einen einholt, einfach so, die Schulangst und meine Sucht, das Ritzen. Ich habe es schon seit langem nicht mehr gemacht, doch es ist schwer. Dieser Zwang, es zu tun, kommt immer, fast schon jeden Tag. Je länger ich es nicht mehr mache, desto härter ist es für mich. Ich tat es letztes Jahr vor fast jeder Schulaufgabe, da schrieb ich gute Noten. Als ich aber damit letztes Jahr aufhörte, schrieb ich schlechtere Noten. Jetzt frage ich mich, ob es zum Erfolg beigetragen hat. Ich weiß es nicht. Innen drin ist es zum Schreien, zum Heulen und keiner kann mir richtig helfen, nur ich alleine. Werde ich es schaffen? Hoffentlich wird alles gut und mit der Schule geht es wieder aufwärts!
Tagebuch vom 08.01.05
Ein weiterer Tag geht zu Ende, doch heute hatte ja Elvis Presley Geburtstag. Er wäre 70 Jahre alt geworden. Ich als große Verehrerin denke natürlich an ihn, lasse seine CD spielen und halte ihn mir in Erinnerung. Mein Tag fing wieder einmal traurig an, mit Schweigen am Frühstückstisch. Ich kann am Tisch gar nichts mehr sagen, ohne von meinem Vater niedergemacht zu werden. Danach fuhren wir nach U., mal wieder wandern. Ich dachte viel nach, über meine Eltern und die Schule. Auf dem Rückweg hatten meine Eltern etwas Streit, so konnte ich zumindest mal wieder mit meiner Mutter reden. Ich sprach sie darauf an, dass wir in letzter Zeit nicht mehr viel miteinander reden und ob sie mich denn noch möge. Und nun, das mit dem Reden liegt eben am Papa und ja, sie mag mich natürlich noch. Nur manchmal merke ich leider nichts davon. Wenn sie meint, ich würde faul sein, mich um nichts kümmern und mich für nichts interessieren, dann bin ich seht traurig. Jedenfalls rief heute die Isabel an und wir redeten sehr, sehr lange, über die Liebe, die Flutkatastrophe, über die Schule und natürlich unsere Eltern. Es tat ganz gut, besonders, dass ich ihr das mit dem „Sehen“ erzählen konnte. Sie wusste ja darüber Bescheid, wie auch die Amelie und Frau Rückbert. Allen habe ich das bewiesen, dass ich das kann und ich denke, dass sie mir dadurch glauben. Frau Rückbert bekam einmal richtig Angst vor mir, da ich soviel über sie wusste, was ich normalerweise unmöglich wissen konnte. Doch so richtig kann ich es kaum erklären, niemandem. Es ist bereits 21:14 Uhr und ich bin fit wie ein Turnschuh. Bald fängt die Schule wieder an und ich habe Angst, wie immer, doch etwas freue ich mich auch, doch meine Probleme sind nicht gelöst, leider.
Tagebuch vom 09.05.01
Der Tag heute ging einigermaßen, allerdings weinte ich heute mal wieder beim Frühstück. Drei Mal darf das liebe Tagebuch raten, richtig – wegen meinem Vater. Er hat mich zwar nicht beleidigt, aber durch sein ständiges Geschniefe und Geschmatze und seine widerwärtige Essensart bekam ich große Aggressionen. Bevor ich ihm also ein Messer in den Bauch oder in sein Herz rammte, weinte ich lieber. Es waren Wuttränen, aus zu viel Hass.
Sie gingen wieder Tennis spielen und ich telefonierte kurz mit Amelie und spielte den Rest der Stunde Klavier. Mittags gab es Essen, danach ging ich an den Computer und beantwortete E-Mails, wie immer von bzw. für Lina. Ansonsten rief Yvonne noch an und ich redete ein weiteres Mal mit Amelie.
Nachdem ich geduscht hatte, schaute ich fern und packte meinen Schulranzen. Tja, morgen geht die Schule wieder los und es ist auf der einen Seite schön, da ich meine Freunde wiedersehe und natürlich auch den Sebastian – meine Liebe!!! Aber leider gibt es mehr Schlechtes. Wir bekommen wahrscheinlich die Deutschschulaufgabe raus und wenn ich etwas Schlechteres als eine Drei habe, ist der Tag wohl wieder gelaufen. Aber nicht nur, das, Mathe bekommen wir am Mittwoch raus und am nächsten Tag schreiben wir Englisch, was ich nicht sooo gut kann. Die innere Angst zerreißt mich, es ist so ein Druck, ich weiß kaum noch weiter. Oh Gott, es ist aussichtslos, so hart und ich fühle mich schlecht. Aber ich denke, dass ich dieses Jahr endlich Klavier zu Ende bringe. Ich hasse es. Ich habe so Angst und ich will mich wieder ritzen, doch ich versuche stark zu sein, wirklich.
Tagebuch vom 10.01.05
Der Tag hatte seine Höhen und Tiefen, tja eben Schule! Irgendwie freue ich mich ja und es war wirklich okay heute, aber wir bekamen Deutsch raus, ich hatte eine Vier. Ja, wieder einmal ging es mir beschissen, die Welt ging für mich unter, doch ich weinte erst zuhause. In der Pause erfuhr ich, dass eine meiner Freundinnen sich auch ritzt, super! Ich war echt geschockt, machte mir Vorwürfe, da ich ja von meinem Ritzen erzählte. Natürlich redete ich die ganze Pause mit ihr darüber und schrieb ihr noch eine E-Mail. Ich hoffe sehr, dass sie es nicht mehr macht. Bin ich daran etwa schuld?
Zum Glück hatte ich bis fast drei Uhr Schule, da mein Vater noch da war und beim und nach dem Mittagessen nervte, wie immer. Danach verdrückte ich mich nach oben und verbesserte meine Schulaufgabe. Natürlich fing ich an zu weinen und auch mein Magen meldete sich. Aus Ärger beklagte ich mich bei meiner Mutter, doch sie machte mich noch mehr nieder. Ich würde schreiben wie in der 5. Klasse, ich wäre doch jetzt schon 15 und sollte mich demnach auch mal besser ausdrücken. Zudem stimmte sie Herrn Graus’ Kommentar zu, dass ich naiv schreiben würde. Ja, so ging das einige Zeit. Ich machte noch ewig viel Englisch, spielte Klavier, beantwortete Linas Mail und dann war Feierabend. Isabel rief heute auch noch an, ich rief meinen Nachhilfelehrer an und tja, jetzt geht der Stress wieder los. Was mir noch einfällt, ich würde ständig in meiner Wohnung rumhopsen und immer Queen hören, sagte meine Frau Mutter. Nun gut, da ich sowieso für den Arsch bin und nichts kann, zu dumm bin, alles falsch mache, werde ich am Ende meiner Schulzeit Amok laufen, in den Wald fliehen, in St. Pauli als Auftragskiller Karriere machen und natürlich Hanf legalisieren. $$$ – grins!
So, jetzt schreibe ich in meinem Bett. Um vor der 10a „verschwunden“ zu sein, bzw. vor ihr „wegzulaufen“, sah ich meinen Schatz aus der 9a nicht, der übrigens auf einem Bauernhof in I. wohnt, toll, ein Bauer. Irgendwie sah ich ihn dann nach der 6. Stunde doch kurz und es war komisch, er sah richtig scheiße aus. Verpickelt, einen Ausschlag am Hals, aber hey, da sieht man, wie tief ich gesunken bin. Arme Lena! Egal, manchmal wäre ich gerne Eminem, der hat, finde ich, das Beste aus seinem Leben gemacht. Ist cool und macht was er will. Ja, wir haben auch einiges gemeinsam. Erstens hatten wir eine beschissene Kindheit, zweitens hatten wir Eltern, mit denen wir nicht zufrieden sind, bzw., ich habe sie ja noch, drittens wir sind beide Waage, viertens wir haben beide blaue Augen! Okay, es ist nichts Besonderes, aber immerhin. Was soll ich nur machen? Ich weiß kaum mehr weiter, das Wort Zukunft ist für mich wie das Wort Elend. Alles ist so schwer und die Angst und die Hilflosigkeit sind ständig da. Werden sie mal weniger?
Hoffentlich!
Tagebuch vom 11.02.05
Traurig ist es geworden, sehr traurig, es war schon immer traurig, doch jetzt ist der Vorhang gefallen. Ich glaube, meine Eltern wollen sich scheiden lassen. Diesmal beide. Es ist unerträglich, das ständige Lästern der beiden übereinander zu hören. Das ist grausam, aber man kann kaum etwas dagegen machen. Es ist dunkel und kalt, ich fühle mich so leer, müde, ungeliebt und einsam. Keiner ist für mich da, ich meine so richtig da. Dass mich einfach mal jemand in den Arm nimmt, mich lobt und sagt, dass er ja für mich da ist, immer. Ich bin erschöpft und fühle mich schwer. Ich sehe keine Lösung, keinen Weg, da ist nichts. Es fließt an mir vorüber, alles Schöne und ich muss stehen bleiben, komme nicht voran, einfach so. Traurig und hoffnungslos ist es und war es immer. Es ist schwer, so zäh, mühevoll. Wieso ist es so? Ich will schlafen, für eine lange Zeit und schöne Dinge träumen. Ich will geliebt werden und es lernen, glücklich zu sein. Wird das irgendwann einmal so sein? Oder bleibt es so, dass jeden Tag etwas von mir stirbt?
Tagebuch vom 12.01.05
Der gestrige Tag war auch ganz okay und der Nachmittagsunterricht fiel sogar aus. Gestern lernte ich Englisch, Wirtschaft und Recht, da ich heute ausgefragt wurde. Es lief zum Glück ganz gut. Obwohl ich irgendwie morgens wieder so einen Angstanfall hatte, ging es nach einiger Zeit wieder. Wir bekamen noch Mathe raus, ich hatte eine 5, na ja, ABER ich hab nicht geweint. Nach der Schule waren wir noch essen und dann hatte ich wie immer Klavierunterricht. Kotz! Ich bin nicht gerade begabt, vor allem nicht im Notenlesen, aber immerhin kann ich komponieren. Davor machte ich noch Deutsch und lernte ewig Englisch. Ich habe heute so etwas von keine Lust mehr, daher schreib ich ein andres Mal mehr! Also, hoffentlich wird das morgen was!
Tagebuch vom 13.–14.01.05
Ja, meine Eltern streiten (endlich) wieder! Musste ja irgendwann wieder kommen. Mein Gott, mein Vater benimmt sich in letzter Zeit wie eine Zicke, der ist immer wegen Kleinigkeiten so eingeschnappt, der spinnt. Jedenfalls ist er jetzt auf die Mama sauer, wegen so was Unwichtigem. Und zwar hat er zwei Wochen nichts am Haus gemacht und meint ständig, er würde etwas tun. Dann am letzten Tag, an dem er da ist, macht er dann endlich was draußen. Und wegen unserem Weihnachtsbaum, da hat er den Ständer in den Keller gebracht – oh mein Gott, wie aufregend! Danach hat er das alles meiner Mum erzählt und die Arbeit im Garten eben noch genau geschildert, welche Handgriffe er gemacht hat und so unwichtiges Zeug. Sie war dabei leicht angesäuert, weil er vor zwei Wochen gemeint hat, dass er ja noch so viel machen will, aber zwei Wochen nichts getan hat. Nun ja! Daraufhin meinte sie eben, dass sie den ganzen Haushalt schmeißt (was ja so ist), und wenn er nicht da ist, macht sie im Garten alles (was auch stimmt), und wenn sie da jeden Handgriff erzählen würde, dann würde er das auch lächerlich finden. Und dann war er sauer. Und auch wenn’s Streit gab, so richtigen, was ja in diesem Fall nicht zutraf, hat er sogar angerufen, als er wieder wegfuhr zur Arbeit. Aber das hat er die ganze Woche nicht gemacht. Hilfe! Meine Mum wollte dann wissen, ob er heute kommt und musste ihn wohl oder übel anrufen. Er war anscheinend eingeschnappt (immer noch) und etwas zickig, hat fast nichts gesagt und recht dumme Antworten gegeben. Sie hat mir erzählt, dass sie anrief, und dann sagte er so komisch „Guten Morgen“, sie meinte dann, „Guten Morgen? Stehst du jetzt erst auf?“
Er dann: „Nein, natürlich nicht oder hab ich das schon mal gemacht?“
Und sie: „Ja, am Wochenende schläfst du ja auch so lang!“ Es kam dann dazu, dass sie meinte, sie wollte nur fragen, ob er komme und dann hat sie aufgelegt. Super, wieder eine Atmosphäre hier. Bombastisch! Aber was soll’s. Solang kein Riesengeschrei ist, sie sich nicht an die Gurgel springen oder wie wild saufen, ist das noch ganz okay. In Mathe habe ich zwar eine 5 – grins – ich war aber zu der Zeit sehr krank und hab nicht gelernt und mit der Nachhilfe, darüber will ich jetzt gar nicht reden. Aber zumindest komme ich jetzt mit, das ist grade sehr wichtig. Wir schreiben nämlich noch mindestens eine Ex vor dem Halbjahreszeugnis, weil wir noch eine offen haben, wenn nicht dann sogar zwei, da die Schulaufgabe sowieso nicht so gut ausgefallen ist. Ich bin noch in Wirtschaft und Recht ausgefragt worden, weil ich bei einer Ex nicht dabei war, und hab ne Zwei bekommen, freu! Und in Englisch genau das Gleiche, ging eigentlich auch ganz gut, ich habe nur zwei oder drei Wörter nicht gewusst. Ich weiß zwar noch nicht, was ich habe, aber ich denke, dass es eine Zwei ist. Und wegen Deutsch sind einige aus unserer Klasse zu einer anderen Lehrkraft gegangen und haben gefragt, was die dazu meint. Denn der Isabel ihre Vier ist auch verbessert worden, einfach so auf eine Drei und das war sehr ungerecht, denn alle anderen sind nicht verbessert worden, obwohl dass das Gleiche war. Tja, dann hat der Herr Grau die anderen Vierer auch eingesammelt und alle haben eine Drei bekommen, ABER ich hatte meine schon abgegeben und daher hat er meine nicht verbessert. SUPER! Danach bin ich ans Pult gegangen und habe gesagt, er soll meine auch noch mal anschauen, da ich auch eine Vier hatte und dass das dasselbe war wie bei den anderen, also denke ich, dass ich auch eine bessere Note bekomme! So gesehen war die Woche doch positiv – freu!
Meine Schmetterlinge sind sehr verwirrt. Einerseits wollen sie, denke ich, verliebt sein, aber sie sind sich nicht sicher, ob sie das nervlich verkraften. Dann sind sie sich nicht sicher, ob sie überhaupt richtig verliebt sind und was sie überhaupt denken sollen. Komisch!
Was ich gestern so gemacht habe:
- Französisch übersetzt
- Dann kam Mathe-Nachhilfe
- Danach wieder Französisch übersetzt und Vokabeln gelernt - Und noch Erdkunde gelernt
- War in Leichtathletik
- Habe geduscht
- Fern geschaut
- Schlafen gegangen
Was ich heute gemacht habe:
- Etwas früher aufgestanden, um noch Geschichte zu machen - Schule war ganz schön - Zu Mittag gegessen
Und mein Lebenstraum ist heute zerplatzt. Ich bin ja so ein großer Fan von Queen und Freddie, der Sänger, ist tot, und deswegen sind sie eben nicht mehr zusammen aufgetreten. ABER: Gestern kam im Radio, dass sie im April zusammen in der Olympia-Halle in München auftreten, aber natürlich mit einem anderen Sänger. Ich bin so ausgeflippt. Karten gab es heute Morgen ab 10:00 Uhr zu kaufen. Dann nach dem Mittagessen wollte ich ins Internet und Karten bestellen, doch es waren schon alle ausverkauft, innerhalb von vier Stunden. Ich hab echt fast geweint, ich war so traurig!
Tagebuch vom 15.–16.01.05
Mein Wochenende war sehr grausam. Gestern hatten sie Streit. Mama und ich sind dann also nach L. gefahren und wir waren dort etwas in der Stadt. Nachdem wir wieder zu Hause waren, kam auch der Papa von seinem Spaziergang wieder. Er ist angeblich vier Stunden gelaufen aber morgens, da ging’s ihm ja sooo schlecht und er hat auch angeblich die Nacht fast nicht geschlafen und so weiter. Na ja, so gingen wir dann eben wieder unsere getrennten Wege. Heute gab’s dann wieder ordentlich Streit am Morgen, aber der werte Herr Vater hat die Mama dazu überredet, mit ihm wieder einmal spazieren zu gehen. Also wurde ich natürlich auch von der Mama gezwungen, mitzukommen. Super. Ich war so wütend und hab einfach geweint. Der Papa ist dann noch kurz zur Post gelaufen und kam wieder und dann ging das Theater von vorne los. Er hat so eine Scheißmütze aufgehabt, die wirklich peinlich ist und die Mama hat eben dazu was gesagt, ob er so aus dem Haus will. Dann meinte er, alle würden ihm sagen, wie toll seine Mütze aussehen würde. Und sie sagte dann, dass das gar nicht alle sagen können, dass er mal wieder lügen würde und dann hat er mir wieder so einen widerlichen Blick zugeworfen. Daraufhin bin ich dann hoch, hab meinen Mantel hingeschmissen, die Schuhe wieder ausgezogen und wollte nicht mehr mit. Danach haben sie mich aber gerufen, ich hab aber keine Antwort gegeben, aber überwand mich dann, wegen der Mama doch mitzugehen. Ich bin dann fast den ganzen Weg weit vor denen hergelaufen und war so sauer. Ich wäre am liebsten weggerannt. Gott, hatte ich einen Hass.
Jetzt haben wir grade zu Mittag gegessen und es ging. Zumindest gab es keinen Streit. Ich hasse ihn dermaßen, ich werde immer so wütend, ich würde ihn am liebsten umbringen, einfach erstechen oder so, das könnte ich, ich hasse ihn. Gestern kam so ein Film, der war ganz gut, aber ich hab da einige Parallelen zu meinem Vater gesehen und musste fast die ganze Nacht darüber nachdenken. Ich bin fast verzweifelt und habe geweint. Ständig träume ich auch von ihm, dass er betrunken ist, mich verfolgt, die Mama schlägt oder mich fertig macht und ich kann nichts dagegen tun. Ich bin es so leid. Jetzt kann ich noch schön Chemie lernen, obwohl ich gar keine Lust habe! Und Französisch auch noch! Klavier hab ich auch noch nicht richtig gespielt und können tue ich es sowieso nicht, zum Kotzen, einfach zum Kotzen! Jetzt geht es mir wieder etwas besser.
Ich wollte mich gestern umbringen. Ja, das war wegen meines netten Vaters und irgendwie wurde mir es dann am Nachmittag zu viel, also alles kam hoch und dann konnte ich nicht schlafen, weil ich ja so müde war, habe ich geschrieben. Und dann ist es eben passiert. Erst wollte ich mir die Adern aufritzen, aber ich konnte das nicht, weil das zu schmerzhaft war. Dann bin ich runter an den Medikamenten-Schrank und wollte irgendwas davon nehmen. Aber ich hab nichts gefunden, das gab nur so scheißharmloses Zeug. Darüber hab ich mich dann so geärgert, dass ich angefangen habe zu weinen. Tja und danach bin ich dann am Boden zusammengebrochen, hab immer noch geweint, konnte mich nicht bewegen, war einfach so schwach und hatte irgendwie keine Kraft mehr. Die Mama kam noch hoch, hat mich gesehen und mich sogar angeschrien, dass ich ja so verrückt wäre und ausgeflippt und dass ich sie ja nicht mehr alle hätte. Die ist nicht mal hergekommen und hat nachgeschaut.
Stell sich das einer mal vor, ich hätte was genommen und wäre deswegen zusammengebrochen und dann? Ist ja egal, bin ja nur ich, da kann ich meinetwegen tot am Boden liegen, scheiß drauf, interessiert ja keinen – zumindest nicht aus der Familie! Und ich lag echt da, habe mich nicht gerührt und sie schreit mich noch an. Okay, also ich rede jetzt lieber mal über etwas Anderes. Über etwas Schöneres. Die Liebe! Ja, stimmt, die ist nicht wirklich schön, aber eben manchmal! Ach, ich weiß nicht, was ich denken soll. Soll ich ihn vergessen? Soll ich weiter an ihn denken, mir Hoffnungen machen?
Tagebuch vom 19.01.05
Also, ich glaube ich bin verliebt, so richtig, oder auch nicht? Ich weiß es nicht. ABER nicht so wirklich in den Sebastian, sondern in den Florian aus der 10a. Hilfe! Alles hat damit angefangen, dass ich ihm einfach mal wieder geschrieben habe, da wir ja nach der einen Woche in England eigentlich sehr viel Kontakt hatten. Na ja, dann hat er mich gleich angerufen und es war echt lustig. Am nächsten Tag haben wir ständig gesmst und er hat mir heute die CD mit den Bildern von der Abschlussfahrt der 10a mitgebracht – streng geheim und diese sollen peinlich sein. Jedenfalls hat er dann heute morgen auf mich gewartet, direkt dort, wo mich meine Mutter immer an der Schule absetzt und das war einfach irgendwie so süß! Und dann haben wir uns unterhalten und danach war ich völlig durch den Wind! Heute mailen wir irgendwie auch schon ständig. Aber eben nichts Großartiges, sondern ganz normal. Wir treffen uns sogar am Freitag in der Stadt, Amelie geht auch noch mit! Ich weiß nicht wieso, aber ich bin so aufgeregt, Hilfe! Was geht bitte gerade mit mir vor?
Tagebuch vom 21.–24.01.05
Zu meinem Wochenende, oh je, Freitag! Gott, erst lief alles so gut bei dem Treffen mit Florian aus der 10a, ehrlich, eigentlich verstanden wir uns super. Aber er hat eben mehr mit der Amelie geredet als mit mir. Dann auf einmal kam der Spruch, dass ich so aussehen würde, wie die Frau Schwarz, na logisch. Und ich hab mich daraufhin einfach weggedreht und die Amelie war über seine Bemerkung auch ziemlich geschockt.
Aber hey, der macht noch weiter und meint, dass ich ihn wirklich an die Frau Schwarz erinnere, weil ich hätte so einen strengen Blick und die gleiche Frisur. Ja, super, dachte ich, toll, so ein Arschloch! Dann hat die Amelie ewig auf ihn eingeredet bzw. ihn fertig gemacht, dass er sehr unsensibel ist und wie blöd er doch sei und so weiter, erst dann kam so eine Art von „Hey, war nicht so gemeint“. Na ja, dachte ich, aber gleich nach der sehr mageren Zurücknahme ging es wieder weiter mit einem ABER. Danach hat die Amelie eben wieder etwas dagegen gesagt, er ist dann aufs Klo geflüchtet im Café C. und dann haben wir schnell gezahlt und sind dann alle getrennte Wege gegangen. Mein Gott, ich war so fertig. Erstens hatte ich das nicht von ihm gedacht, zweitens war das echt eine harte Beleidigung für mich und drittens schon wieder so ein Depp, in den ich mich verliebt habe! Ach ja, was soll’s, die Liebe ist jetzt nicht mehr so groß, weil mir vieles klar geworden ist. Wenn man nämlich als Begrüßung sagt: „Ihr seid zu spät!“, sich im Café die Jacke nicht ausziehen will – es dann nach einer Diskussion mit Amelie doch endlich tut – einen Böhse Onkelz Pulli an hat und so eine Art Springerstiefel, dann ist das schon sehr asozial und peinlich. Außerdem war ich auch ziemlich blöd, habe wegen ihm drei Tage fast nichts gegessen und musste so oft an ihn denken, dass ich nachts grade mal so drei oder vier Stunden geschlafen habe, echt schlau von mir. Und ich denke, dass es mich fast zusammengehauen hätte im Tanzkurs, nicht nur wegen ihm, auch weil ich so wenig Schlaf hatte und eben kaum was gegessen habe. Das war dann wahrscheinlich Kreislauf und Psyche gleichzeitig. Aber echt, ich hab mich dort so zusammennehmen müssen. Jetzt esse ich ja wieder, freu, und schlafen kann ich auch etwas mehr. Zwar noch nicht so gut, weil ich über alles Mögliche nachdenken muss, aber ich hoffe, dass sich das noch ändert.
Am Samstag bin ich dann wieder zur Amelie gefahren, wir waren in der Stadt und haben uns die Abschlussfotos der 10a angeschaut, oh Mann, der Benny, so sexy, wow und die 10a ist echt schwul, man muss sich nur die Bilder anschauen ...! Dann, als wir wieder zu Hause waren, haben wir so peinliche Aufnahmen gemacht, so getan, als ob wir die Schweden-Tussi aus dem Tanzkurs sind, die immer jeden anmacht und alles geil und heiß findet und so weiter, wild getanzt, mit der Katze gespielt und es war einfach sehr lustig!
Am Abend hat man mich wieder abgeholt und am Sonntag bin ich zuhause geblieben, habe Hausaufgaben gemacht, mir ein 3-Sterne-Menü gezaubert, okay, es bestand aus Resten, die ich aufgewärmt habe, aber war echt sehr lecker und habe dazu mit Frankie-Boy – Frank Sinatra – gefeiert. Dann wollte ich unbedingt Sekt trinken, aber leider hatten wir nur noch einen und das wäre etwas auffällig gewesen, wenn ich den weggeschnappt hätte. Daraufhin habe ich nach Wein gesucht, aber nur Flaschen mit Korken gefunden, die ich nicht öffnen konnte, zum Glück war noch einer im Kühlschrank, schon angebrochen, aber egal, den hab ich mir einfach genommen und ein Glas getrunken. Irgendwie wurde ich danach sehr müde und habe mich hingelegt, aber trotzdem nicht richtig schlafen können. So um drei kamen dann meine bescheidenen Eltern wieder und danach bin ich aufgewacht, bzw. aufgestanden! Es war wieder soweit, ich fing an zu zittern, habe geweint, wollte sterben, kurz, ich war in einem Loch, ich glaube es war wegen Florian, der Schule, weil ich mal wieder die Mathe-Ex versaut habe und weil ich mich mit meinen Eltern morgens noch gestritten habe und meine Mum sogar meinte, dass ich ihr so egal sei, dass sie mir das schon noch zeigen würde, nur weil ich nicht mit wandern und essen gegangen bin. Super! Das war ja nicht alles, andauernd zank ich mich mit meiner Mum, wir reden fast nichts mehr, mir wird alles Mögliche vorgeworfen und mit meinem Dad kommuniziere ich sowieso nicht mehr und alles war Scheiße. Zum Glück habe ich mir aber nichts gemacht, sondern gemalt, hilft einfach!
Der heutige Tag ging eigentlich. In Sport habe ich eine 1 oder 2! Obwohl wir bei der Choreographie von dem Bändeldingens alles falsch gemacht haben, hat es bei der Vorführung ganz gut geklappt. Grins!
Was ich noch erzählen muss: Der Jürgen aus meiner Klasse ist in der Pause bei dem Herrn Florian S. gestanden und er hat das anscheinend erzählt, dass er mich so beleidigt hat und sich darüber auch noch lustig gemacht. Der Jürgen hat ihn dann zur Sau gemacht mit: „Du bist so ein Arsch und so ein Loser etc. und ein paar andere aus der 10a haben den sogar unterstützt und den Florian fertig gemacht. Fand ich super, echt!
Aber nicht nur das. Als der Jürgen mir davon erzählt hat, dass der Florian sich sogar noch drüber lustig gemacht hat, stand die Amelie auch dabei und fand das wieder ziemlich gemein. Dann hat sie ihn am Ende der 6. Stunde, als er in den Fahrradkeller wollte, abgefangen und ist ihm sogar die Treppen runter zum Keller gefolgt, hat ihn angemault, wie scheiße er ist und ihm sogar noch einen Schlag auf den Kopf verpasst.
Ich saß auf der Bank neben der Treppe und hab mich nicht mehr gekriegt vor lauter Lachen, das war so cool, ich glaube, er hatte echt etwas Schiss, weil er regelrecht von ihr weggelaufen ist. Grins!
Heute nach der Schule wollte mich mein Herr Vater abholen, aber das hat nicht geklappt. Wir hatten ungefähr 20 Minuten früher aus und die Yvonne P. wohnt ja bei der Schule, da es so kalt war und noch geschneit hat, bin ich also bei ihr geblieben, bis fünf vor drei. Danach bin ich rausgegangen, aber ich hab niemanden gesehen, der da stand, also bin ich vorgelaufen, wie immer, wenn noch keiner da ist. Nach einiger Zeit kam keiner und dann hab ich einfach mal daheim angerufen und die Mama ging ran und meinte, er wäre schon vor einer halben Stunde weggefahren. Sie rufe ihn an und mich gleich zurück. Nach einer Minute kam mein Vater dann von hinten angefahren und war ziemlich sauer. Dann rief meine Mum kurz an und meinte, ja, er wartet auf mich an der Schule.
Tja Scheiße, ich hab ihn nicht gesehen, daheim gab es dann wieder großen Streit, jeder hat rumgebrüllt wie doof und später, als es ums Essen ging, hab ich dann auch noch Streit mit meiner Mum bekommen, aber der hat sich wieder gelegt.
Ich bin dran schuld, aber vielleicht hat mein Dad auch gelogen und ist von hinten ganz rumgefahren, während ich vorgelaufen bin. Vielleicht habe ich ihn auch einfach nicht gesehen und er mich ebenfalls nicht. Jedenfalls denkt meine Mum, es wäre seine Schuld, der ist ganz schön abgegangen und hat rumgebrüllt. Der Arme, jetzt hat man ihm vielleicht Unrecht getan. Aber das ist mir scheißegal, mir tut man ständig unrecht, ich kann da oben zusammenbrechen, heulen, mich kann man wegen nichts niedermachen, und ich darf nie etwas dagegen sagen oder meine Meinung äußern, nie schreien, muss immer still sein und mich zurückziehen. Geschieht ihm mal recht! So ein Depp! Hoffentlich ist er morgen weg!
Tagebuch vom 25.–28.01.05
Heute Morgen war bei uns Stromausfall in der ganzen Stadt. Kein Strom, nichts ging mehr, kein Licht, kein Herd, kein Kühlschrank und natürlich die Rollos bei meinen Eltern nicht. Tja, das Garagentor konnte mein Herr Vater zum Glück von Hand irgendwie aufmachen, obwohl das auch elektrisch funktioniert. Natürlich gab es wieder Streit, wegen Kleinigkeiten, ist ja logisch und da mich mein Vater in die Schule fuhr, hab ich wieder Aggressionen bekommen.
Die Conny war heute auch krank und dann hab ich mich neben die Sandy gesetzt, weil die Amelie regt grade etwas auf mit ihrem Getue. Und die Bettina ist sowieso ein stiller Mensch, bei dem man manchmal den Anschein hat, dass sie zum Lachen in den Keller geht.
Die Yvonne war lustig, Sandy und ich haben Disco-Fox und Cha-Cha-Cha getanzt und alle haben sehr blöd geschaut, wir sind sowieso nur noch eineinhalb Jahre an dieser Schule!
Die Woche war der reinste Horror. Habe eine 5 in Mathe bekommen, obwohl ich ja sogar noch Nachhilfe nehme und das am Abend vor der Ex alles noch mal durchgerechnet habe.
Gott sei Dank, dass der Macho von Grün ein weiches Herz bekommen hat, glaube ich zumindest, als er mich hat flennen sehen. Daher, oh Freude, bekomme ich jetzt doch noch eine Vier ins Zeugnis!
Jeden Tag, an dem mich meine Mum nach Hause gefahren hat, habe ich immer einen Anschiss bekommen, dass sie nicht mehr wüsste, was sie mit mir machen soll, dass alles meine Schuld ist bezüglich Mathe, dass mir – mal wieder – alles am Allerwertesten vorbeiginge, und so weiter, und das die ganze Autofahrt.
Ich war von der Schule sowieso schon so „motiviert“ und dann ist ständig noch meine Mum mit mir unzufrieden, schreit mich an und ich selbst denke, dass sie ja auch Recht hat, dass ich zum Beispiel nichts gebacken bekomme.
Das hat dann alles dazu geführt, dass ich diese Woche, außer heute, weil mein Dad da ist, immer nach dem Mittagessen heulen musste, obwohl sich meine Mum und ich bis dahin wieder vertragen hatten.
Gestern kam es dann zu einem Mutter-Tochter-Gespräch, weil ich ja andauernd weine und mich hängen lasse – meint sie. Tja, sie versuchte irgendwie, eben auf ihre Art und Weise, mir Rat zu geben, das heißt auf Deutsch, sie meinte, ich solle bezüglich der Schule noch mehr lernen. Klaro, dann sitze ich irgendwann bis um 10 Uhr dran. Kein Problem, ich hab ja auch kein Leben! Ich sagte ihr dann, dass es daran nicht liegt und dass ich doch soviel lerne und auch richtig lerne, aber sie interessierte das anscheinend nicht. Tja, nun waren wir beim 2. Punkt.
Ich habe dann sachte geäußert, dass ich zu wenig Anerkennung und Lob bekomme, für das, was ich alles mache, dass mich das auch etwas fertig macht und dass ich dann eben nach einiger Zeit nicht mehr will. Was sagte meine Mum da: Nein, sie gäbe mir ja immer Lob – ja genau, logisch – wenn ich was gut gemacht hätte – tja, wenn das Wörtchen wenn nicht wäre …! Fragt sich, was sie unter „gut“ versteht. Jedenfalls ging das dann fast eine halbe Stunde so und herausgekommen ist dabei nur, dass sie mich, so viel ich es ihr auch erkläre, einfach nicht versteht, oder verstehen will!
Ich meine, gut, dass sie mich nicht versteht, okay, das ist bei anderen bestimmt auch so, aber dass sie mich jeden Tag so runterziehen muss, dass ich wieder an Selbstmord denke, das ist ja wohl nicht in Ordnung.
Wenn sie dann so Sachen bringt, dann macht sie eigentlich einen ganz anderen Menschen aus mir! Dann sieht sie nicht mehr mich, sondern irgendwas, ich denke, dass ich das doch so nicht sein kann. Vielleicht würde das auf die Vanessa S. zutreffen, die nur schlechte Noten schreibt und wirklich nicht gerade viel im Hirn hat, aber ich? Bin ich denn so schlecht und dumm und unnütz?
Fassen wir zusammen, was meine Mum von mir denkt:
1. Ich dröhne mich den ganzen Tag mit Musik von Queen voll
2. Ich hüpfe ständig durch meine Wohnung wie eine Blöde
3. Ich bin dumm
4. Ich bin faul
5. Ich bekomme nichts zustande
6. Ich kümmere mich um gar nichts
7. Mir geht alles, was wichtig ist, am Arsch vorbei und um Unwichtiges kümmere ich mich
8. Man weiß nicht, was man mit mir überhaupt noch machen soll
10. Ich kann rein gar nichts
11. Ich bin unsportlich
12. Ich bin auf dem Stand einer Fünftklässlerin
13. Ich kann kein Deutsch
14. Ich drücke mich wie eine 9-Jährige aus
15. Ich ziehe mich komisch an
16. Ich werde nicht erwachsen
17. Ich hasse meine Eltern (na gut, da gebe ich ihr Recht)
18. Ich bin unfähig
19. Ich bin eine Schlampe (im Sinne von „Aufräumen“)
20. Am besten man schickte mich ins Internat
Tagebuch vom 29., 30.01.05
Mir geht’s heute sogar ganz gut. Aber erst erzähle ich wie mein „schöner“ gestriger Tag war. Erst sind wir natürlich wandern gegangen, das war ja klar. Und na ja, wie wandern eben so ist, aber es ging, weil ich Schnee ja liebe. Es hat auch sogar noch geschneit und dann sind eben kleine, süße Flöckchen auf meine dunkelbraunen Handschuhe geflogen, sodass man sah, dass sie ganz fein sternförmig waren und ich fand das eben schön. Dann habe ich das meiner Mama gezeigt und die fand es auch hübsch. Ich dachte mir, zeig es doch auch dem Papa, auch wenn du ihn nicht so magst. „Klug“ wie ich bin, habe ich das gemacht und hatte schon mehrere Sternchen drauf, was macht er? Macht sie kaputt, bevor er sie sich überhaupt angeschaut hat. Daraufhin bin ich wütend geworden und hab ihn angemault, dass er so blöd ist und einfach immer alles kaputt machen muss. Dazu hat er nichts gesagt und ich war etwas beleidigt und meine Mum hat mich erstaunt angeschaut, weil ich ja sonst eigentlich nicht jemanden anfahre. Ich hatte Winterstiefel an, die nicht gerade ein gutes Profil hatten und mit denen man leicht vorgerutscht ist. Nicht ausgerutscht, oder hingefallen, aber ein wenig „Schlittschuh gefahren“. Die Mama hat mich drauf angesprochen, ob das beabsichtigt war. Und ich meinte: „Ja“. Auf einmal fängt der Papa an ein Kinderlied zu singen, mit anderem Text, auf mich bezogen. Dann sang er: „ .....geh über alle Steine, aber brich dir NUR NICHT die Beine...!“ Wie nett. Ich war wieder angesäuert und habe gesagt: „Ja das hättest du wohl gerne oder? Stimmt`s, ja, das hättest du wohl wirklich gerne, aber weißt du was? Den Gefallen tu ich dir nicht!“ Dazu meinte er nur: „Ach was.“
Mittags gingen wir essen und ich habe der Mama erzählt, dass der Sebastian gar nicht im Tanzkurs war wegen seiner Hand, die er sich verletzt hatte. Mein Dad hat mal wieder nicht richtig hingehört und dachte, Sebastian wäre eine Lehrerin. Ich habe gesagt, dass er keine sei. Er fragte dann, wer es sonst sei. Und die Mama antwortete, dass er das lieber nicht wissen sollte, scherzhaft eben. Er meinte, wenn man nicht nachfragt, bekommt man einen Brief, und meinte den Brief, den ich ihm mal geschrieben habe im Jahr 2004, und wenn man nachfragt, bekommt man wahrscheinlich auch noch irgendwann einen Brief. Ha, ha, ha, wie lustig, schon mal etwas von „Ich lese den Brief durch und verstehe ihn“ gehört? Na ja.
Ansonsten habe ich viel Französisch gemacht und noch geduscht. Danach habe ich noch mit Amelie telefoniert und versucht, die Lina anzurufen, ging aber keiner ran.
Zu heute. Genau! Wieder wandern. ABER, es war heute sogar ganz lustig, ich hab meine Eltern mit Schnee beschmissen und meine Mama hat zurückgeworfen und dann haben wir noch herumgescherzt. Der Papa hat mich heute sogar in den Arm genommen, so richtig nett. Ich hab gedacht, ich fange gleich an zu weinen. Also vor Freude natürlich! Sonst gab es keinen Streit und jetzt beim Mittagessen war auch alles perfekt, Wahnsinn, jeder hat sich normal verhalten, wieder kein Streit. Deswegen bin ich so happy, ehrlich, so was ist selten, vor allem, dass wir mal mehr als vier Sätze reden, ohne dass jemand beleidigt ist. Und dann noch das Herumalbern, das ist schon lange, lange her, dass der Papa mal mitgemacht hat, bzw., dass ich mich überhaupt getraut habe damit anzufangen und nichts schiefgegangen ist. Gott, ich bin so froh, so könnte das immer sein. Keine Ahnung, wieso das so ist, aber vielleicht gibt es mal einen Tag nach langer Zeit, an dem vielleicht alles klappt.
Montags wollten meine Eltern dann nach Ö. fahren, weil sie dort ja ihr ach so wertvolles Geld haben, zumindest zum Teil. Deswegen gab es morgens sofort wieder Streit. War ja klar. Ich hasse es so, wenn es morgens Streit gibt. Meine Mutter wollte nicht mitfahren und mein Vater versuchte sie eben auf seine „Art und Weise“ zu überreden. Wie er das eben immer macht, richtig niederträchtig und einfach niedermachend. Ja, er hat da so eine Methode, richtig ekelhaft, das hat er sich anscheinend schon früh angewöhnt. Es ging fast eine viertel Stunde hin und her, ich hätte ihn erschlagen können. An Mamas Stelle wäre ich auch nicht mehr mitgefahren, denn letztes Mal hat er wieder versucht, sie zu schlagen und ist ausgerastet, sie ist dann abgehauen und völlig aufgelöst mit Bus und Bahn nach Hause gekommen. Jedenfalls bin ich dann einfach aufgestanden und hochgegangen. Ich hörte noch, wie er ständig im Gang rumlief, dann wieder in den Keller, seine Sachen packte, ich hasse ihn und verdamme diese Geräusche. Sie sind so widerwärtig, wie er es ist. Natürlich ging er noch oft zu meiner Mutter ins Bad und versuchte sie zu überreden, und wie immer blieb sie anfangs standhaft, wie gesagt, anfangs und – sie ließ sich überreden, wie dumm kann man sein …! Sie war allerdings schlecht gelaunt und genervt, als ich dann runterkam, passte ihr meine Jacke nicht und deshalb schrie sie mich an. An mir kann man es ja auslassen, mit mir kann man es ja machen. Also zog ich eine andere an und sagte laut vor mich hin, dass es mir doch egal sei, wenn sie sich gegenseitig umbringen, ich habe einfach keine Lust mehr, ständig aufzupassen, ob er ihr etwas antut, ob er sie schlägt oder töten will. Ich glaube, sie haben das gehört. Sie brachten mich mit dem Auto zur Schule und ich verabschiedete mich nicht einmal, ich war so wütend, so traurig, ich hätte mich so gerne umgebracht. Vor der ersten Stunde bin ich dann auch weinend zusammengebrochen. Ich konnte nicht mehr, alles war so vergebens, jeder schöne Tag, jede schöne Sekunde musste immer zerstört werden, alles endet irgendwann immer bei mir im Dunkeln, das ist ständig so. Der Tag war dann auch nicht gerade schön, Schule, trist, deprimierend, langweilig, stumpf, hoffnungslos und ungerecht. Schönes Leben was ich da habe, wirklich zum Hineinsetzen.
Tagebuch vom 06.02.05
Ich erzähle es lieber von Anfang an. Also, eines Abends lag ich im Bett und hab einfach über alles nachgedacht, dass es mir eben so scheiße geht, aber ich so nicht weitermachen kann und so weiter ...! Ich habe mir gedacht, ich brauche irgend jemand Außenstehenden, einfach jemanden, der mich zwar kennt, aber nicht so richtig, Gott, das ist schwer zu erklären.
Dann habe ich einen Fehler begangen: Ich habe meinen Ex-Freund angeklingelt, weil ich mir schon gedacht habe, dass wenn ich ihn anklingle, er mir dann schreibt. Tja, das hat er dann auch. Jetzt kommt das eigentliche Problem, und das ist verdammt schwer, wirklich. Ich habe ihn gefragt, wie es ihm geht, und er meinte, bis auf dass er sich die Arme aufschneide, gut.
Ich hab Panik bekommen, war total aufgelöst, dann habe ich ihn natürlich angerufen und wollte mit ihm darüber reden, was dann 2 1/2 Stunden gedauert hat. Er fing damit an, dass er das mache, weil er da jemanden kennt, die das auch macht und sie sei 15 und hat ihn einmal nachts um 3 Uhr angerufen und er mache sich solche Sorgen, da er das ja alles von seiner Familie kenne. Aber keiner kann ihn verstehen und er fühlt sich so schlecht und hat drüber nachgedacht einfach abzuhauen oder sich sogar umzubringen. Dann hat er gemeint, dass er sich noch Weihnachten bei mir melden wollte, hat es aber nicht gemacht, und dass es ihm so leid tut. Ich habe ihn gefragt, wie lange er schon nicht mehr im Internet war, weil ich ihm eine E-Mail geschrieben habe, in der ich Schluss machte und die war eigentlich nicht gerade böse geschrieben. Er war bisher gar nicht im Internet. Ich dachte, Scheiße, ihm geht es sowieso so schlecht und jetzt kannst du doch nicht noch sagen, dass du in der E-Mail wieder Schluss gemacht hast, verdammt ...! Dann fing er damit an, was in der E-Mail steht, ich hab’s aber nicht rübergebracht, und er meinte dann, wenn was Schlimmes drin steht, dann weiß er nicht, ob er es wieder macht und so weiter. Auf einmal hab ich verstanden, dass er mit dem 15-jährigen Mädchen ja mich meinte und hab ihn dann gefragt, ob das stimme. Er meinte, JA!
Scheiße, Scheiße, Scheiße! Gott, dann haben wir darüber ewig lange geredet, dass er das sein lassen soll und angefangen zu rauchen hat er auch noch, dass er mich nie aufgehört hat zu lieben und mich so sehr liebt, dann hat er mir hundert Mal gesagt, wie sehr er mich liebt und ich war total am Boden zerstört und hab mir Vorwürfe gemacht. Tja, verdammt, ich bin so dumm, ich hätte das ja auch wissen müssen, dass so was passiert. Und keiner kann ihn anscheinend so richtig verstehen, dass er das zum größten Teil eben wegen mir macht. Es ist immer dasselbe, Jonas und ich kommen wohl ständig zusammen und die Probleme werden immer größer, wenn es wieder zu Ende sein soll. Ich kann ihn verstehen, weil es mir eigentlich auch so ging. Super! Wir haben, wie gesagt, lange geredet und wirklich sehr ernst, ich habe dann auch anfangen müssen zu weinen, weil ich das so schlimm fand und ich irgendwie dran schuld bin. Jedenfalls hat er mir das eben so erklärt und beschrieben und alles ist ganz genau so wie bei mir. Das war so hart, das einfach mal zu hören von einem anderen, wie das klingt, wenn deine Gefühle, die dann im Prinzip jemand anders hat, dir jemand genauso erklärt. Mir hat es zum Teil auch die Augen geöffnet und ich war ganz fertig. Er hat mir dann versprechen müssen, dass er es nicht mehr macht, ganz ernsthaft. Und ich hoffe, es klappt. Dann raucht er auch noch und hat gesagt, dass das so scheiße ist, davon wegzukommen, jedenfalls versucht er das jetzt zu reduzieren und dann vielleicht ganz zu lassen. Heute geht er ins Internet und liest die E-Mail, ich habe Angst. Ich habe ihm auch gesagt, dass er die E-Mail nicht so ernst nehmen soll und so weiter. Tja, dann wollte er mir heute noch schreiben, aber er hat es bisher nicht gemacht. Der Junge ist am Ende, so fertig, ich bin auch noch zum Teil daran schuld, was bin ich eigentlich für ein schlechter Mensch? Ich will keinem weh tun, ich hab jetzt so Schiss, dass ich alles falsch mache, dass ich jeden, dem ich nur was erzählen will, kaputt mache! Heul. Und jetzt wissen wir beide, Mario und ich, nicht, wie es weitergehen soll, mit ihm, und mit uns, ich meine, ich kann ohne ihn schon leben, aber er hat sich gestern echt sehr schlimm angehört. Verdammt, Hilfe, ich bin so verzweifelt! Als ich das der Amelie erzählt habe, war sie irgendwie sauer auf mich, hat äußerst gereizt reagiert, super, ich mache alles falsch. Ich glaube, dass er jetzt denkt, dass wir schon zusammen sind, aber er meinte auch, dass er Angst hat, mich wieder zu verletzen, wie immer und dass er das schon weiß, dass er Scheiße gebaut hat! Jetzt sind wir, denke ich wieder, irgendwie zusammen, oh Mann, und ich mag ihn auch so gerne, aber ich denke, dass ich ihn momentan aus Mitleid liebe und nicht wirklich, ich bin mir so unsicher, vor allem, weil wir jetzt schon das 4. Mal zusammen sind, aber es nie so geklappt hat, weil er sich nicht mehr gemeldet hat oder irgendwie zickig wurde.
Nicht einmal die Amelie kann das verstehen, sie meinte, ich würde spinnen und soll den Kontakt zu ihm abbrechen, dass sie das nicht versteht und ich doch blöd sei. Und so weiter. Hilfe, Hilfe!
Tagebuch vom 08.02.05
Über meinen Mario will ich jetzt lieber nicht reden. Mit uns ist es nicht schon wieder zu Ende.
Ich bin hier so am Durchdrehen, Gott, das glaubt man gar nicht. Ich könnte ständig schreien, mach es natürlich nicht und heulen würde ich auch gerne, kann das aber schon gar nicht mehr. Dann habe ich heute Tarot gelegt und es hat mir wirklich geholfen. Manche halten das für Unsinn, aber ich glaube daran. Ich war heute in der Stadt mit meiner Frau Mutter und es war total langweilig, so wie alles. Kotz! Dann waren wir noch essen und daheim haben wir uns ein Video mit Austin Powers angeschaut, ich finde den Film supercool! Ich sag nur, yeah Baby, yeah! Ansonsten geht es mir nicht so toll, glücklich bin ich auch nicht. Und meine Eltern streiten sowieso wieder. Das gestern mit meinem Dad, dass ich mich mit ihm beim Spazieren gehen so unterhalten habe, war eben nur kurz. Aber was will man machen. Meine Mum betrinkt sich mal wieder und ich könnt mich von der Klippe stürzen. Sie mault wieder nur herum und alles was ich mache, ist natürlich falsch. Dann hat mein „Schatz“ mir eine nette
E Mail geschrieben, in der stand, dass er mich von Herzen liebt, aber sein Herz einer anderen gegeben hat, die eine gute Freundin von ihm ist und die angeblich die gleichen Probleme hat wie ich ... Wie bitte soll ich das verstehen? Ist er fremdgegangen?! Na ja, soll er machen, was er will, macht sowieso fast jeder was er will.
Vorhin ist mir klargeworden, dass ich mich in den letzten paar Wochen ganz schön habe runterziehen lassen und dass ich eigentlich gar nicht so richtig glücklich sein kann und generell alles schwarzsehe. Das muss jetzt aufhören. Ehrlich, ich muss mal wieder etwas Lebensmut hineinbringen, auch wenn es in diesem Irrenhaus schwer fällt. Ich weiß nicht, was ich machen soll! Hilfe! Ich will nicht mehr, Scheiße! Heute Nacht habe ich geträumt, dass ich mich mit einer Pistole umgebracht habe und davor meine Mutter, damit sie nicht mehr leiden muss. Dann bin ich hochgegangen, habe mich hinter die Couch gesetzt und mich erschossen. Danach bin ich irgendwie so rückwärts ins Wasser gefallen, das war tief blau, ich bin untergetaucht und konnte dann nicht mehr atmen, da ich nicht ewig die Luft anhalten kann und alles war mir egal, dann habe ich einfach eingeatmet und konnte unter Wasser atmen, das war so schön. Ich bin einfach aufgewacht, oh Mann. Ich weiß echt nicht mehr, was ich noch machen soll. Soll ich einfach meine Gefühle rauslassen, mal schreien, soll ich lernen, wegen der Schule, weil ich ein schlechtes Gewissen habe, alles zu vermasseln, oder soll ich einfach mal nichts tun? Ich weiß es nicht, ich bin so hin- und hergerissen, das ist grauenhaft, ich kann mich auf nichts richtig konzentrieren, weiß nicht, was ich will, oder ob irgendetwas, was ich tue, Sinn hat.
Morgen kommt meine neue Nachhilfe, Gott, Himmel, hoffentlich ist die jetzt endlich mal was. Der letzte hat es ja auch nicht gebracht. Er war ein Ausländer, der nicht richtig Deutsch konnte und den ich deswegen kaum verstanden habe. Wenn die jetzt wieder nichts ist, dann bekomm ich einen Nervenzusammenbruch! Ich bin einigermaßen außer mir! Ach, es klappt einfach nichts. Alles ist so trist, langweilig, sinnlos und ich bin einfach müde, will nicht mehr, weiß nicht, wie es weitergehen soll!
Tagebuch vom 09.02.05
Gestern Abend, da hat mich die Frau Rückbert angerufen und mit ihr rede ich manchmal, wenn sie mal zu Hause ist. Und ich hab ihr eben einiges erzählt, dass meine Mum mich so fertig macht, mein Dad jetzt so oft da ist, ich kaum noch Zugang zu meiner Mama habe, wegen dem Papa und dass sie der werte Herr sehr aufregt. Tja, das war so einiges, wir reden eben selten miteinander und da kommt immer eine Menge zusammen. Ich habe ihr auch erzählt, was der Jonas angeblich wegen mir gemacht hat und was sie dazu meint, weil das sehr hart für mich war. Ich habe noch erzählt, dass ich eben nicht mehr von meinem Ritzen loskomme und mir oft überlege, ob ich vielleicht Schlaftabletten nehmen soll oder so etwas, damit ich einfach mal weg wäre, weil ich oft nicht mehr will. Sie hat dann gemeint, dass meine Mum so drauf ist, weil ja mein Dad so oft da ist und dass sie da im Prinzip gar keine „Zeit“ für mich hat und das stimmt auch irgendwie. Dann meinte sie noch, dass sie mich da schon versteht, weil ich jetzt ja sizusagen keinen mehr habe und dass ich immer versuche, alles richtig zu machen. Zum Jonas äußerte sie, dass er das nicht nur wegen mir gemacht hat, sondern dass er da bestimmt eigene Probleme gehabt hat und dadurch, dass er das von mir wusste, hat er es einfach mal „ausprobiert“ und ist dann evtl. auf den Geschmack gekommen. Ich hab dann leider noch angefangen, am Telefon zu heulen, weil ich ihr das alles erzählt habe mit meiner Familie und dass jetzt auch meine Mum eben wieder so am Ende ist wegen dem Papa und sie hat sich ja auch gestern und vorgestern Abend wieder betrunken. Ich kann so wenig machen und wenn sie mich dann wie die letzten zwei Wochen immer fertig macht, dass ich so dumm wäre und so weiter, dann kann ich kaum noch. Sie hat auch gemeint, ich sollte so früh es geht von zu Hause weg, denn so ginge das nicht weiter. Ich versuche auch meine Mum zu überreden, dass ich ein Jahr nach Südafrika auf eine Schule gehen darf, das ist ja von unserer Schule aus angeboten worden. Aber ich darf nicht, weil sie meint, ich sollte da erst hin, wenn ich 18 wäre. Ich kann auch meine Mum verstehen. Na ja, die Frau Rückbert meinte auch, dass ich wahrscheinlich irgendwann einmal austicken werde, also so richtig, weil ich es vielleicht nicht mehr so lange aushalten werde. Tja, ja, da hat sie wohl recht. Ich meine, mein Dad bleibt ja irgendwann für immer zu Hause. Ist jetzt schon nicht so schön, weil er oft da ist, wegen der Mama, weil er sie sehr nervt, genauso wie mich auch, nur dass ich eine eigene Wohnung habe. Darum ging gestern das Gespräch. Und das hat auch gut getan, weil ich dann weiß, dass noch eine erwachsene Person da ist, die Bescheid weiß und zumindest manchmal mit mir reden kann. Gleich schaue ich noch einen Film an mit der Mama, damit sie nicht so allein ist, ich will ihr so gerne helfen, aber mehr als mit ihr reden oder sagen, dass sie sich trennen soll, kann ich auch nicht machen. Verdammt, jetzt bin ich wieder traurig, Tremawechsel!
Jonas hat sich bisher noch nicht gemeldet, ach Gott, was soll ich mit dem machen ...? Ach ja, der Florian hat mir gestern geschrieben, stell es sich einer vor, ob ich noch sauer bin, oha, der kommt früh. Ich habe ihm aber nicht zurückgeschrieben, weil ich ja kein Geld habe. Ich könnte ihm zurückschreiben, aber nur um ihn auszunutzen, denn ich brauche da so einige Informationen über einen Typen aus der 10a, so ein großer.
Meine Nachhilfe, die war heute krank, oh je! Ja, die letzte Nachhilfe, die war echt zum Kotzen! Was soll man machen, letztendlich ist es eh immer meine Schuld, aber ich hoffe, dass es mit der Neuen was wird! Morgen gehe ich noch zum Friseur, freu!
Mit meiner Mum zu reden versuche ich oft, und ich habe es ihr auch schon bestimmt 20 Mal erklärt, dass ich ernsthaft zu einem Psychiater will, aber entweder sie zieht das ins Lächerliche oder meint, Psychiater taugen sowieso nichts, oder ich hätte das nicht nötig und spinne. Ich glaube, sie will das einfach nicht wahrhaben, dass ich damit nicht mehr klarkomme, so nach 15 Jahren!
Tagebuch vom 11.01.05
Mittags haben wir alle zusammen stillschweigend zu Mittag gegessen. Mein Herr Vater hat wieder dermaßen genervt, weil er so durch die Nase gepfiffen hat und sich nie die Nase putzen will, lecker! Meine Mum hat ihn oft ziemlich böse angeschaut, aber erst mal nichts gesagt. Dann hat er das Essen so geblasen, wie ein verrückter alter Mann im Altersheim, der nicht mehr richtig essen kann, richtig laut, wirklich, so etwas könnte man in einer Comedy-Serie bringen, aber er checkt das alles nicht. Ich fand es eigentlich nicht so schlimm, hab eher innerlich etwas darüber lachen müssen. Meine Mum fand das aber ganz und gar nicht lustig, kann ich auch verstehen, weil das mit seinem Benehmen schon sehr lange so geht und auf Dauer kaum erträglich ist. Sie ist nach einer Weile ziemlich böse geworden, hat ihn einige Zeit lang scharf angeschaut und er hat es gemerkt. Somit war der Ärger vorprogrammiert. Er meinte dann, was los wäre, was er denn jetzt schon wieder falsch gemacht hätte und sie hat daraufhin gesagt, dass seine Tischmanieren langsam unerträglich geworden sind und dass das kein Benehmen ist und auch keine Esserei mehr. Danach meinte er, dass sie hysterisch sei und er sich jetzt einfach woanders hinsetzen würde, damit er sie und ihre guten Tischmanieren nicht stören kann. Er ist plötzlich einfach aufgestanden, mit Essen und allem, hat sich vom Wohnzimmertisch in die Küche gesetzt und hat dort weiter gegessen.
Meine Mum war wieder kurz vorm Heulen, hat ihr ganzes Essen stehen lassen und dann ging es mal wieder gegen mich. Sie fing auf einmal damit an, dass sie mich plötzlich nicht mehr in den Tanzkurs bringe, na toll, dachte ich, super. Ich habe sie gefragt, wieso eigentlich nicht. Sie meinte, sie sieht das nicht ein und weiß nicht, was sie in der Zeit machen soll, wo ich im Tanzkurs bin. Tolle Ausrede, danke, wirklich! Ich war dann etwas angesäuert, ist doch verständlich oder? Sie meinte auch noch, ich würde ja wohl nicht sterben, wenn ich da nicht hinginge. Außerdem geht der Tanzkurs jetzt schon viel zu lange und das versteht sie nicht und ich würde ihr da etwas verschweigen, weil der so lange gehe. Wir waren zum Glück sowieso fertig mit Essen und ich bin dann aufgestanden, habe abgeräumt und einfach den Papa gefragt, ob er mich bringt, und er hat auch „Ja“ gesagt, puh, Gott sei Dank! Na ja, ich war einfach fertig, bin dann hoch und wollte mich auf die Couch legen, dann kam der Papa wieder hoch und hat mich, warum auch immer, gefragt, wie mein Handy funktioniert, dann hat der sich das einfach genommen und wollte meine SMS lesen. Ich hab gedacht, HALLO, was soll denn das jetzt? Irgendwie hat er das dann nicht so ganz hinbekommen, zum Glück und ich hab ihm dann das Handy wieder abgenommen. Nach ungefähr zehn Minuten ist er dann wieder gegangen, Mann, der kann so was von nerven, einfach mal einen in Ruhe lassen, einfach mal keine blöden Fragen stellen, einfach mal nicht in meinen Sachen rumwühlen, NEIN, das kann er natürlich nicht. Bevor wir gegessen haben, hat mich noch die Isabel angerufen und ich habe mit ihr unten im Wohnzimmer telefoniert. Was macht mein Vater? Schleicht sich hoch in meine Wohnung, toll! Ich hab einfach weiter telefoniert. Danach habe ich mich schnell hochgeschlichen, und habe durch meine Wohnzimmerglastür geschaut, was er bei mir eigentlich macht. Da rate einer mal, ... er hat meinen Schreibtisch durchsucht, alles Mögliche durchgelesen, und herumgeblättert, danke auch! So ein Arsch, aber das macht er immer, was sucht der eigentlich? Irgendeinen Schatz oder Drogen oder was will er? Jedenfalls kam er dann noch einmal hoch und hat wieder blöd herumgeschaut und zum 10.000sten Mal zu den Nachbarn geglotzt, bzw. was die Baustelle macht. Die macht zwar seit längerer Zeit nichts mehr, aber was soll es. Er ist wieder gegangen und ich habe das Schlafengehen aufgegeben. Dann war es soweit, dass wir also fahren mussten, doch er hat geschlafen, dann habe ich ihn aufgeweckt und wir sind losgefahren.
So eine grauenhafte Fahrt. Er hat natürlich über die Mama gelästert, dass sie ja so hysterisch sei und sie nicht mehr alle hätte, dass sie psychische Probleme hätte und so weiter, das macht er übrigens immer, ist echt schrecklich, das anzuhören. Das Beste ist aber, dass er mich immer aushorcht, wann die Mama Geld abgeholt hat, was sie wann gemacht hat, wo sie war, ob sie was für wie viel gekauft hat. Das kotzt mich so an und er lässt auch nie locker. Aber ich auch nicht, so! Ich sage immer, dass ich mich nicht erinnern kann oder von nichts etwas weiß. Punkt, so ein Depp! Dann ging es auf einmal um L., dass wir dort einmal waren und die Mama auch was abgehoben hätte und er hat gefragt und gefragt und gefragt, zum Glück hat dann so eine komische Frau angerufen. Dies war auch seltsam, die wolle sich mit ihm treffen, ich dachte erst, so, jetzt kommts raus, dass er eine Freundin hat, da er den Lautsprecher anmachte, also habe ich alles mitbekommen. Danach meinte er noch, dass das ja kein Zusammenleben mehr wäre bei uns – ich stimmte dem zu – und dass er woanders viel besser aufgehoben wäre, aber was die Mama und ich dann mit so einem großen Haus alleine wollen, wäre für ihn undenkbar. Aber es war dann doch nicht so, mit der Freundin, denke ich zumindest, das war etwas Geschäftliches. Danach waren wir schon fast an der Tanzschule, juhuuu! Er fing noch von der Oma an, was denn mit der wäre, wie gesagt, aushorchen, aber wie. Und das Tolle war, er wollte mich dann nicht aus dem Auto lassen, sondern erst wissen, ob ich mit der Oma wieder geredet habe und was genau und jedes Detail. Aber ich bin einfach ausgestiegen! Das ist schlimm, du kommst dir vor wie bei einem Verhör, ich meine, alles was du dem erzählst, verwendet er immer irgendwann gegen dich, das sage ich aus jahrelanger Erfahrung! Nach dem Tanzkurs hat er mich wieder abgeholt und dann ging es, wie auch zu erwarten, wieder los, aber noch viel heftiger. Er erzählte was von getrennten Häusern und dass wir unser Haus verkaufen müssten, weil die Mama das alleine nicht schaffen würde, auch mit den Kosten, tja, dann ging es eben wieder um das Geld. Ich wäre am liebsten aus dem Auto gesprungen. Die ganze Fahrt predigte er auch, dass mich das ja etwas angehen müsse und es aber alles angeblich an mir vorbei ginge, ich mich um nichts kümmern würde, also ob die Eltern streiten oder nicht. Hey, ich ritze mich wegen euch, ich wollte mich schon oft umbringen und auch weglaufen, ich bin sogar so verzweifelt, dass ich mit einer Lehrerin telefonieren muss. Aber klar, mich geht das ja nichts an. Er begann wieder mit der Mama, dass ich auf sie einreden müsse, damit sie zu Verstand komme und der ganze übliche Dreck, den er ständig erzählt. Hilfe, oh Gott, hilf mir doch, ich will das nicht mehr ertragen!
Dann waren wir zu Hause, endlich, ich war mal wieder am Ende. Ich habe mich hinter die Couch gesetzt und einfach geheult. Ich habe dann auch gehört, dass sich, als der Papa in das Wohnzimmer unten kam, die Mama mal wieder im Kinderzimmer eingesperrt hat. Toll! Später kam die Mama eben hoch. Die hat mich dann eine halbe Stunde lang fertig gemacht, wegen dem Tanzkurs, dass der immer noch ist, aber wie, hey. Sie meinte, ich würde sie verarschen und so weiter. Es kam noch besser, ich würde immer so unweiblich herumlaufen, so verlottert und hätte ja so schöne Sachen und würde immer den letzten Scheiß anziehen. Ja, habe ich gedacht, mach nur weiter Mama, irgendwann drehe ich noch durch, dann laufe ich Amok und bin euch endlich los!
Mir wurde es dann zu viel, echt, ich habe gedacht, entweder du schreist gleich los oder du gehst einfach aus dem Zimmer, richtig, ich bin aus dem Zimmer gegangen. Gut so! Und dann habe ich noch Gute Nacht gesagt und bin ins Bett gegangen. Später hat dann meine Mum noch viel Lärm in meiner Wohnung gemacht, ich habe gedacht, sie haut alles zusammen. Ich bin aufgestanden und habe natürlich nachgeschaut. Sie saß dann auf der Couch und hat mich böse angeschaut, war betrunken und meinte, sie hätte den Scheißöffner nicht gefunden und hat dann ihr Bier anders aufmachen müssen und natürlich war ich wieder daran schuld, ist ja klar. Soviel zu meinem schönen Freitag! Ich konnte dann ewig lange nicht einschlafen und habe Musik auf dem Discman gehört und mit meinem Handy gespielt.
Tagebuch vom 24.02.05
Es tut mir leid, dass ich so lange schon nicht mehr geschrieben habe. Es war einfach so – grrr! Na ja, mit Ronald und noch mal Ronald ach und mit Ronald und dann ist da ja noch so ein Problem und das heißt nein, nicht Ronald, sondern Jonas! Nun, wir kommen voneinander einfach nicht mehr los, sind aber nicht zusammen, auf keinen Fall, weil wir am Sonntag ewig lang telefoniert und ganz offen gesprochen haben, war echt mal cool!
Irgendwie liebe ich ihn, verdammt und irgendwie habe ich herausgefunden, dass wir total gut zusammen passen und viele Gemeinsamkeiten haben und so weiter, scheiße gelaufen!
Ok, kommen wir zum Ronald, Hilfe, Hilfe, Hilfe, ich hab keinen Plan, was ich machen soll. Und keiner will mich verstehen, ok, ich versteh mich zum Teil selbst nicht.
Soll ich ihm jetzt noch schreiben oder nicht?
Soll ich es vielleicht ganz lassen?
Nein, das kann ich nicht machen, oder?
Ich meine, er findet mich nett und will mich einladen, hat er mir gesmst – hallo???
Ich weiß es doch nicht, ich bin auch so doof und lauf ständig vor ihm weg in der Pause und wollte mich nicht zeigen, obwohl ich ihn so mag und ach Mann, ich bin total zwiegespalten! Das ist nicht mehr schön! Sorry, kann grade über nichts anderes schreiben, grausam.
Das ist auch so etwas. Mir ist alles egal, sogar meine Eltern interessieren mich grade sehr wenig. Und die Schule sowieso! Ich lass die nicht sausen, aber nehme sie nicht wirklich ernst, das macht mir Angst!
Und jetzt? Was soll ich jetzt machen? Ich glaube, ich habe einfach nur Panik. Aber in den Hansen war ich richtig verliebt und an den denke ich heute noch fast jeden Tag, okay, jeden Tag. Scheiße! Und dann noch der Jonas, an den denke ich auch sehr oft, auch Scheiße! Und Ronald sowieso, wobei ich da eher irgendwie über mich nachdenke, was ich eigentlich für einen Müll baue!
Tja ja, Klavier hab ich jetzt abgesagt und meine Bewerbung für das Praktikum abgeschickt, heute gehe ich nicht in Leichtathletik, weil die Yvonne nicht kann und sonst will ich eigentlich nur jemanden zum Reden, aber mit meiner Mum rede ich lieber nicht über Ronald und die Liebe und telefonieren kann ich auch nicht wirklich. Nerven will ich auch keinen, was ich bestimmt schon tue, sprich Amelie, Sandy und vielleicht noch Lina, der ich E-Mails schreibe.
Meine streiten weiterhin und gehen sich aus dem Weg, meine Mum ist des Öfteren schlecht gelaunt und er ist jetzt ständig hier, fährt aber tagsüber öfters weg. That`s life!
Tagebuch vom 25.02.05
Also, Ronalds Freunde riefen mich am Abend an, bzw. einer seiner Freunde, allerdings waren im Hintergrund noch vier andere und mit denen durfte ich ebenfalls reden. Sie nannten sich Mr. X, Trouble X, Trible X und nur X! Ganz toll! Der eine, was ich dann noch herausbekommen habe, hieß mit Spitznamen Oppie! Sie meinten, wenn ich den Ronald reite, soll ich sie anrufen, damit sie dann davon auch noch etwas mitbekommen. Und der Ronald würde mich im Bett ja so fertig machen, deswegen macht er ja auch nur Karate, also fürs Bett.
Dann haben sie andauernd von der Tessa N. gesprochen, wie geil die doch wäre, dass der Ronald auch voll auf die steht und dass ich sie mit der Tessa mal in den Sommerferien besuchen kommen soll. Sie fragten mich, ob ich noch Jungfrau bin und schon einen Freund hatte, wie der hieß und ob ich im Bett gut wäre. Mit 15 wäre man im richtigen Alter, um flachgelegt zu werden und der Ronald bräuchte ja sowieso nur eine fürs Bett, dass ich das wissen müsste. Danach haben die mich ständig angeschrien, weil ich auf diese Scheißfragen nicht geantwortet habe oder nur gemeint habe, dass sie das gar nichts angehe. War unheimlich nett. Nein, das war’s noch nicht, leider. Es geht noch weiter. Als ich denen, wieso auch immer, meinen Nachnamen gesagt habe, meinten die, ob ich eine Ausländerin wäre, aber wie die mich das gefragt haben, hey. Dann habe ich gesagt: „Nein, wieso, seit ihr gegen Ausländer?“ Ja, zwei von den Deppen im Hintergrund schon und außerdem haben die eine Hitlerflagge gebastelt mit Hakenkreuz und haben was vom Führer gelabert, ich hab echt Angst bekommen.
Als sie mich dann wieder angeschrien haben, und fragten, ob ich prüde bin, und falls ich es wäre, wäre ich nichts für den Ronald, weil der ja eine „Geile“ braucht – wie gesagt, nur fürs Bett! Als sie mich dann fragten, was für ein Höschen ich anhabe, habe ich einfach aufgelegt, dann wurde es mir doch zu doll! Danach kann man sich vielleicht vorstellen, dass ich fast zusammengebrochen wäre. Aber vorher rief ich die Amelie an, die mich tröstete und ihm geschrieben hat, dass er eine Schwuchtel ist, wieso bitte seine Freunde so einen perversen Scheiß labern und mich anrufen und dass sein ekliger Arsch überall behaart ist, da wir die Abschlussfotos gesehen haben. Und dass er, so hässlich wie er ist, bestimmt noch nie eine im Bett hatte. Und falls er nur was zum Ficken braucht, soll er sich selbst ficken. Das hat ihm zugesetzt. Am nächsten Tag hat er mir dann zwei Mal geschrieben, was los wäre, wer mich denn angerufen hat, dass er es echt nicht wüsste. Ich habe nicht geantwortet. Dann hat er sogar der Amelie geschrieben, die ihn dann anrief und anscheinend tat es ihm scheißleid und er wusste echt von nichts und übrigens, es war gar nicht sein Arsch – grins! Danach hat er mich angerufen, sich sehr oft entschuldigt und gemeint, dass er gar nicht weiß, was er jetzt sagen soll. Ansonsten haben wir noch etwas gelabert und er meinte, er macht diesen Oppie fertig, weil das Scheiße ist und der nur Müll labert und zudem ne Melone fickt, dass er eben so dämlich ist. Okay, es war ihm vergeben, weil das mit dem Telefongespräch echt sehr süß war und er meinte auch, dass ich mal „hallo“ sagen sollte, oder ich könnte ihm auch das Bein stellen oder ihn auf den Bauch oder Rücken hauen. So cool! Echt, dann meinte ich, okay, mach ich dann, grins! Am nächsten Tag bin ich mit ihm die Schultreppe hochgelaufen, aber wir haben nicht viel geredet, am Abend hab ich ihm geschrieben, wie er mich denn jetzt so findet, dass er ruhig ehrlich sein soll. Dann meinte er, ich bin ne ganz Nette und er gibt mir mal einen aus, wenn ich in K. bin, lieben Gruß Ronald, was er bisher noch nie geschrieben hat, mit LIEBEM Gruß! Grins! Heute in der 5 Minutenpause habe ich auf ihn gewartet und er ist die Treppe herunter gekommen mit dem Robert und ich sagte: „Hi“ und er: „Hallo“.
Ich: „Wie geht’s so?“, er: „Es geht so“, weil sie grade ne Englisch-Ex geschrieben haben und es so toll bei ihm lief, ich: „Ironisch, oder?“, er: „ja“, ich: „Ihr habt ja die Sturm oder?“, er: „Ja.“
Ich: „Was habt ihr dann jetzt noch?“, er: „Musik“, ich: „Ach so“, er: „Wohin musst du jetzt?“
Ich: „Was?“, er: „Wohin du jetzt musst?“, ich: „Ach so, ins Klassenzimmer.“
Danach er: „Ok!“, ich: „Also dann, Ciao“, er: „Tschüss!“, und ich glaube, er hat gelächelt! Ach! Ich wollte doch fragen, wann er Geburtstag hat! Egal, jetzt warte ich einfach, bis er sich meldet, denn gestern, als ich ihn gefragt habe, was er so macht, wie es geht und ob er nächste Woche mal Zeit hat, hat er nicht geantwortet! Komisch!
Tagebuch vom 07.–10.03.05
Also, was in der Woche passiert ist:
Montag: Wir hatten wieder die Frau Gelb und die regt mich derart auf, bisher habe ich zwar noch keine Strafaufgabe bekommen, aber alleine schon der Dialekt und diese kreischige Stimme treiben einen in den Wahnsinn. Ansonsten hatte ich noch Ethik, mit dem lieben Herrn Blau! Ich mag ja den Blau so gerne, nur als Lehrer ... grins! Nein, im Ernst, er ist echt voll cool drauf und mit dem kann man auch reden. Später hatte ich noch Nachhilfe und das war dieses Mal so schrecklich. Wir kamen nicht einmal zur Hausaufgabe, dann hat sie mir ständig unnötiges Zeug erklärt und ich habe ihr die ganze Zeit gesagt, dass ich das verstehe und wir bitte weitermachen sollen, aber nein, anscheinend ging das nicht. Wir kamen wirklich null voran, ich hatte die Hausaufgabe nicht und es war bald schon Abend, ich musste noch in Deutsch eine Erörterung schreiben, Chemie gut lernen und duschen, ganz toll! Ich habe sie gefragt, ob sie diese Woche noch mal kommen kann, dass es ganz, ganz wichtig wäre, weil ich am Dienstag Mathe schreibe, aber nein, sie hätte keine Zeit, weil sie ein Philosophie-Studium macht und da etwas abgeben muss bis zum Freitag und dann hat sie ja noch so furchtbar viele Schüler und am Wochenende ist sie dann auch weg, bei ihrem Freund. Ist ja super. Und dann habe ich eben noch mit ihr herumgeredet, dass es wirklich verdammt wichtig ist, weil wir vor allem noch keine Wurzeln gemacht haben, die ich gar nicht kann, die aber wichtig sind. War ihr anscheinend egal. Toll. Außerdem muss sie noch eine Stunde nachholen, weil sie einmal krank war und wir haben dafür schließlich bezahlt. Aber das war auch wieder nichts. Hinterher, als sie gegangen war, stand ich da und konnte einfach nicht mehr, ich hab geheult wie bescheuert, meine Eltern waren aber zum Glück weg, in der Stadt. Mir ist in dem Moment einfach alles zu viel geworden und ich hätte alles zusammenhauen können. Na ja, dann habe ich die Isabel angerufen, ob sie mir vielleicht etwas helfen könnte bei der Mathe-Hausaufgabe und das hat sie dann auch gemacht. Sie kommt jetzt auch am Samstag zu mir und macht Mathe mit mir, Gott ich bin so froh, weil sonst stehe ich wieder da und habe eine 5, das darf ich nicht mehr und will es auch auf keinen Fall. Hinterher bin ich einfach duschen gegangen und habe mir meine Beruhigungsmusik reingelegt, danach ging es wieder, dann habe ich Deutsch gemacht und Chemie gelernt, für eine Ex, oder Abfrage, weil ich bei einer Ex krank war.
Am nächsten Tag hat er keine Ex geschrieben und mich auch nicht ausgefragt, alles umsonst. Deutsch fand der Herr Grau so supergut, wenigstens etwas, auch wenn es dafür keine Note gab. Dann hatten wir noch Politik und Zeitgeschichte mittags, genau, beim lieben Herrn Blau. Irgendwie war fast keiner da, entweder hatten sie keine Lust, sprich blaugemacht, oder am nächsten Tag Schulaufgabe. Aber es war nicht sonderlich schlimm, wenn weniger da sind, ists auch besser. Mittags habe ich dann wieder schön brav gelernt und das war es im Großen und Ganzen.
Am Dienstag war dann glücklicherweise auch mein Vater weg, juhu! Obwohl er ja meinte, dass er jetzt im Ruhestand wäre, was ein tiefer Schlag für mich war. Weil das heißt ja, dass er ständig zu Hause ist. Und jetzt, nach über zwei Wochen, war er endlich wieder weg, so schön. Ich habe übrigens am Mittwoch Referat in Deutsch gehalten, über Biedermeier und ich glaube, ich bzw. wir, Bettina und ich, haben eine 1, weil er meinte, dass es ihm sehr gut gefallen hätte. Wir bekamen noch Geschichte raus und ich hatte als einzigste die 1! Gott, ich war so happy, hätte vor Freude schreien können! Wirklich, ich habe mich so darüber gefreut!
Ansonsten habe ich noch Englisch gelernt, weil wir heute die Schulaufgabe geschrieben haben und noch mit meiner Mum ferngeschaut.
Übrigens waren meine Mama und ich am Dienstag im Theater bei U. P. Es war wirklich super, zwar politisch, aber recht lustig. Er ist ein Komödiant, war auch öfter im Fernsehen. Zwar nicht so bekannt wie die von G. D., aber auch supergut. Also sind wir erst um halb zwölf ins Bett gegangen. Aber Hauptsache, mal wieder etwas Spaß gehabt!
Gestern bin ich abends zusammengebrochen. Es war so schlimm, ich weiß auch nicht was los war. Mittags war mir nicht gerade gut und ich habe mich dann einfach hingelegt, konnte aber nicht richtig schlafen, dann bin ich so nach ungefähr einer Stunde wieder aufgestanden, mir war so schwindelig, ich hatte Kopfweh und sah alles verschwommen. So hab ich dann versucht zu lernen und konnte rein gar nichts mehr, ich wusste nicht einmal mehr, was Monat auf Englisch heißt. Irgendwann hat mich die Isabel angerufen und wir haben uns über die Zukunft unterhalten, was wir evtl. einmal machen werden. Sie weiß es schon genau und ich eben nicht. War ja klar. Und nach dem Telefonat bin ich total fertig gewesen, hatte eigentlich keinen richtigen Grund dafür. Ich habe dann ca. eineinhalb Stunden geweint, habe anschließend geduscht, weil ich dachte, dass es mir danach besser ginge, bin noch in der Dusche zusammengebrochen, lag kurz auf dem Boden, konnte einfach nicht mehr aufstehen, hatte keine Kraft mehr. Kurze Zeit später ging es wieder, aber ich habe immer noch geweint. Ich konnte nicht mehr aufhören, richtig schlimm, als ich aus der Dusche herauskam und mir mein Handtuch nahm, lag ich wieder kurz am Boden, das war sehr übel. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, ich wollte einfach wieder nur sterben, mich schneiden oder sonst was, hab es aber gelassen. Mir gingen gestern nur Gedanken durch den Kopf, dass ich ja nichts mehr habe außer Geld, dass ich im Prinzip keine Familie habe, keinen Freund, der nur mich liebt, ich habe keine besondere Begabung oder sonst etwas und bin einfach schlecht, habe keine Zukunft und werde es nie im Leben zu etwas bringen und nie Anerkennung finden. Ich kann das kaum beschreiben, das war so schlimm, einfach ein richtiges Loch, so schwarz und so hoffnungslos. Nur unerfüllte Sehnsüchte und nicht mehr, keine richtigen Lebensträume, einfach nur ein stiller, kalter, einsamer Kampf!
Jetzt bin ich froh, dass ich den gestrigen Tag hinter mir habe, wirklich, vor allem, dass ich mir nichts antat, ich bin wirklich froh.
So, jetzt ist grade mein Vater gekommen, es ist 15:32! Oh mein Gott, wieso nur! Das ist wohl einer der Hauptgründe, wieso es mir auch am Montag so schlecht ging. Weil er mich aufregt und am Dienstagmorgen hat er natürlich wieder mit mir angefangen zu diskutieren, dass ich in einer Bank arbeiten soll und so einen auf, ich soll mich mal in Mathe anstrengen, weil er haben will, dass ich nun einmal in einer Bank arbeite. Ich hasse ihn so! Gott ey, mit seiner scheißherablassenden Art und immer sein Getue, dass er besser ist, ich könnte ausrasten und jetzt ist er wieder da, ahh, ich habe solch eine Wut in mir, bin so verdammt böse auf ihn, wieso muss er mir das antun? Einfach immer alles zerstören, ich hasse ihn, Gott wie ich ihn verabscheue! Wenn ich das Recht hätte ihn zu töten, er wäre schon längst unter der Erde, so richtig schön qualvoll!
Themawechsel. Mit dem Ronald, das war heute eine Situation in der Pause, oh Mann, echt nicht mehr schön. Er stand mit der 10a direkt neben uns, hat ständig hergeschaut und nichts gemacht. Dann kam so etwas wie: Jetzt geh doch mal zu ihr und von meinen Leuten: Jetzt geh doch mal zu ihm, aber keiner hat etwas unternommen. Er hat wirklich traurig geschaut und mir irgendwie leid getan. Also habe ich gewartet, bis die meisten oben waren, er ebenfalls. Dann ist er alleine hochgegangen, total traurig, wie gesagt, ich spontan hinterher, habe ihn mit der Hand so am Arm gestoßen, halt ganz leicht und er war leicht überrascht.
Ich fragte, wie es ihm geht und er meinte, es gehe so, ich dann: „Wieso, was ist los?“, er: „Tja, Schule halt.“
Ich: „Ach so, ja, wir haben grade Englisch geschrieben“, er: „Wie lief es?“
Ich: „Joa, passt schon“, er: „Was?“, ich: „Ja, passt schon!“ Wenn man so groß ist, dringen die Schallwellen nicht so weit vor – grins!
Er fragte: „Wen habt ihr in Englisch?“, ich drauf: „Die Frau Aschmann!“, er wieder: „Wen?“, ich wiederholte: „Die Frau Aschmann!“
Er: „Die kenn ich nicht“, ich sagte lachend: „Ja, sei froh!“
Dann waren wir oben und ich meinte: „Dann, also dann!“, er kurz: „Ciao!“, und hat gelächelt! So das war es! Spontane Aktion – grins!
Ich hab ihn echt gerne, wirklich, ich mag es, wenn er in meiner Nähe ist und er ist manchmal so traurig, mein lieber sanfter Riese, arme, schüchterne, traurige Gestalt! Ich habe ihn gerne, aber ich weiß nicht, wie es bei ihm ist, er traut sich ja nicht, sagt nichts, macht nichts, wie soll ich da wissen, ob er mich auch mag?
Gestern hatte ich sogar noch Fieber, entweder durch die Aufregung, was gut sein kann, oder einfach, weil so viele krank sind. Mir geht’s auch heute nicht besonders, noch von gestern her. Mein Kopf tut weh, mir ist schwindlig und ich fühle mich richtig platt. Na ja! Englisch lief aber ganz okay, war aber schwer und einige sind sogar nicht ganz fertig geworden. Ich hoffe sehr, dass ich mal wieder eine Zwei habe, das wäre schön!
Ach ja, noch was, ich habe mit meiner Mum geredet, so richtig, über den Papa, dass mich das so fertig macht und dass er mich vor allem fertig macht, dass sie so am Ende ist wegen diesem Deppen, obwohl sie sich noch vertragen. Sie meinte, er würde sie nicht runterziehen, aber das hat sie nur wegen mir gesagt, das glaube ich ihr nicht und sie weiß ganz genau, dass das nicht stimmt. Danach habe ich ihr klar gemacht, dass sie sich, wenn er sie schlagen sollte, sofort wehren soll, meinetwegen mit einer Flasche, dass sie die Polizei anrufen soll, jedenfalls soll sie etwas machen, falls nicht, würde ich etwas unternehmen und das habe ich ihr ganz ernsthaft gesagt, hoffentlich ist ihr das jetzt klar und ich meinte das auch wirklich ernst! Das war es bis jetzt, heute mache ich nicht mehr viel, verkrieche mich in meiner Wohnung und das reicht. Ich freue mich schon auf morgen: Erstens Tanzkurs, zweitens gehen wir ins Theater und drittens ich hab nur eine Stunde Unterricht, die anderen jedoch zwei. Ich hab in der ersten ja Freistunde, grins!
Mir geht’s grade nicht so gut, muss momentan weinen, ich weiß auch nicht. Ich fühle mich ziemlich verloren und einsam. Es gibt nur wenige Momente, in denen ich mich richtig wohlfühle. Immer ist ein Verlangen oder ein Gefühl da, das ich nicht mag, ständig will ich irgendwas, sehne mich nach etwas und finde es nicht. Es ist wie eine Suche nach dem Nichts und gleichzeitig der großen Erfüllung! Wieso muss es so schwer sein? Warum ist alles, was ich tue, so schwer und so trist und kalt? Sicherlich ist es nicht immer so, aber oft und ein ständiger Kampf, dessen Ziel so unerreichbar scheint. Ich habe solche Angst. Wenn ich mir morgens im Spiegel in die Augen sehe, dann sehe ich oft die Angst, so sehr, dass sie sich in meinen Augen widerspiegelt. Ich frage mich, wovor ich keine Angst habe? Und eigentlich gibt es da nichts. Sogar vor mir selbst, oder vielleicht gerade vor mir selbst, habe ich Angst. Ich will nicht so leben, aber ich kann nicht anders. Es mag sich komisch anhören, aber ich will jemanden, der nur mir gehört, damit ich etwas habe, bzw. dessen Liebe ich nur für mich habe. Ja, ich sehne mich nicht nur nach Erfolg, sondern natürlich auch nach Liebe, nicht Elternliebe, sondern richtige Liebe. Und Ansehen, das hätte ich gerne, Anerkennung, Respekt und Achtung, davon allerdings merke ich so gut wie nie etwas in meinem Leben und das sind solche Bestandteile des Lebens, die ich nicht habe und sie scheinen so leer und unerfüllt, wie Hohlräume, die gefüllt werden müssten, aber es nicht werden. Ich kämpfe so stark, manchmal komme ich mir vor wie ein gefangenes Tier, das weiß, dass es keine Freiheit mehr hat, darum will es etwas anderes, Liebe und Anerkennung und all so etwas. Ich fühle mich, als ob ich einfach nur so vor mich hinleben würde, für nichts Richtiges, für mich schon gar nicht, vielleicht für meine Mutter, aber langsam zweifle ich daran. Und alle anderen können ohne mich auskommen, nach der Schule wird sowieso keiner mehr Kontakt halten, so ist es doch. Traurig, trist, kalt, so eiskalt, dass man daran erstickt, zu Boden fällt und keine Gefühle und Sehnsüchte mehr haben will, so elendig und so einsam, so ausgetrocknet und leer. Verdurstet, erstickt, erloschen, lautlos und still, sodass es keiner hört und sieht, einfach so.
Tagebuch vom 14.–20.03.05
Rückblick auf die vergangene Woche:
Montag: Der Tag ging eigentlich. Ich habe den ganzen Sonntag davor für Montag gelernt, weil noch einige Exen anstanden. Wirtschaft und Recht war zwar schwer zu lernen, hinterher konnte ich es aber gut und die Ex in Wirtschaftsrecht war auch gar nicht so schwer, wie ich dachte. Es müsste eine 2 werden, ich hoffe es. Dann haben wir eine in Erdkunde geschrieben und es hat wirklich keiner darauf gelernt, niemand. Super, das ganze Jahr lerne ich Erdkunde und lerne und lerne, dann habe ich sogar eine 1 im Zwischenzeugnis. Aber mit einer blöden Ex, auf die man einmal nicht gelernt hat, ist alles futsch! Ich habe mich so geärgert. Und dann haben wir noch Französisch geschrieben, ich habe natürlich auch sehr viel gelernt und war eigentlich der Meinung, dass ich das alles kann. Die Arbeit lief dann auch ganz gut, aber ich habe leider bei einem Verb, das wir konjugieren mussten, den Akzent falsch herum gesetzt, das wären dann aber nur so 1 ½ Fehler gewesen, wie gesagt, wären! Mittags ist Ethik ausgefallen – heul! Meine Eltern haben mich nach der Schule aber nicht abholen können, weil sie in L. waren und deshalb ging ich mit zur Bettina, habe dort zu Mittag gegessen und noch Deutsch und ein wenig Mathe gemacht, als sie weg war. Denn die Amelie und die Bettina haben sich im Café S. getroffen, wegen Mathe, da wollt ich aber nicht mit. Danach bin ich wieder zu Schule gelaufen und man hat mich abgeholt. Daheim schmiss ich mich gleich an Mathe heran, weil wir am folgenden Dienstag Schulaufgabe hatten. Meine Nachhilfe kam auch und wir haben noch geübt. Sie meinte dann am Schluss, ich könnte eine Eins schreiben, das war ein schlechter Witz, den sie auch noch ernst meinte, na ja. Ansonsten habe ich den ganzen Tag nur Mathe geübt und abends noch geduscht, das war mein Tag.
Dienstag: Morgens gleich Schulaufgabe und ich war sehr aufgeregt. Alles lief so beschissen, ich hätte heulen können. Bei den Wurzeln saß ich davor und wusste gar nichts mehr, habe von den sechs Aufgaben vielleicht zwei richtig, mehr nicht. Dann eine Gleichung, die konnte ich, aber es kamen komische Ergebnisse heraus, von daher waren die wohl auch falsch. Dann eine Aufgabe, bei der man mit Gleichungen Winkel berechnen musste, diese habe ich dann ganz gelassen, weil ich die schon mal bei einer Hausaufgabe nicht konnte. Die letzte war so eine, bei der man berechnen musste, wann und bei wie vielen Kilometern sich zwei mit dem Fahrrad treffen. Die habe ich zumindest zur Hälfte richtig, glaube ich jedenfalls. Alles in allem müsste ich dann wohl eine Fünf oder Vier haben. Ganz klasse und ich wollte mich verbessern und auf eine Drei kommen. Das ist alles so sinnlos, die ganze Nachhilfe, das ganze Üben, der Samstag mit der Isabel, für Nichts, da hätte ich auch alleine üben können und ich hätte genau soviel gewusst. Verdammt, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Wie soll ich das bitte schaffen in Mathe, so kann das nicht weitergehen! Jedenfalls war der Rest des Tages doch ganz lustig, weil ich einfach froh war, es hinter mich gebracht zu haben. Mittags fiel wieder Politik und Zeitgeschichte aus, heul! Und dann bin ich gleich nach der Schule zur Bettina gegangen, diesmal angemeldet – grins! Der Tag war ganz schön mit ihr. Wir haben bei ihr gegessen, sind dann in die Stadt, haben eingekauft (Frustshopping) und Eis gegessen. Danach waren wir wieder zu Hause und Bettina hat noch weinen müssen, wegen ihrem Nachbarn, dem Daniel, hatte Liebeskummer. Ich habe ihr gesagt, dass ich weiß, dass sie was bedrückt und auch wenn sie es nicht zugeben will, dass es einfach raus muss. Und dann habe ich gemeint, dass es doch bestimmt wegen dem Daniel sei und sie in ihn verliebt ist, ist sie ja schon lange, aber sich mit ihnen einfach nichts ergibt und sie doch mal erzählen soll, wie das alles so angefangen hat. Dann erzählte sie mir die ganze Geschichte und wurde einfach traurig. Ich habe dann gesagt, dass sie einfach sagen soll, dass sie sich nach ihm sehnt, dass es ihr vielleicht schwerfalle, aber es einfach besser wäre. Und es ist ihr schwergefallen, aber sie hat es rausbekommen und dann war der Groschen gefallen und sie konnte weinen, es endlich rauslassen. Tja, hinterher meinte sie, dass es ihr jetzt besser ginge und dass sie das sonst eigentlich nicht macht, weil sie ja eher mit ihren Gefühlen verschlossen ist. Danach meinte sie noch, ich solle doch Psychiaterin werden – grins! Übrigens in der Stadt, als wir im Café S. waren, hat Bettina den Hansen am Fenster vorbeigehen sehen, ich leider nicht. Als sie mir das dann gesagt hat, war ich kurz davor, einfach rauszurennen, hab’s aber gelassen, war wohl auch besser so, aber hinterher ging’s mir einfach schlecht, das ist schwer zu erklären. Der Tag war aber doch ganz schön und abends hat mich dann die Mama wieder abgeholt und ich hab bei mir noch Hausaufgaben gemacht.
Mittwoch: Ich bin eigentlich nur in die Schule gekommen, weil ich meine W. R.-Ex haben wollte, mehr nicht, leider haben wir die nicht einmal herausbekommen. Der Schultag war total langweilig, mehr nicht, einfach langweilig. Es war heiß, zu heiß, vor allem in unserem Klassenzimmer und ich hatte Kopfweh und war müde. Mittags kam dann die Lara zu mir, eine alte Schulfreundin, sie ist von D. vor kurzem hierher gezogen, wohnt jetzt ganz in unserer Nähe. Erst hat sie es vergessen, dass sie kommen wollte, aber ich hab ihr eine SMS geschrieben und danach war sie doch da. War ein schöner Tag, wir haben viel geredet, vor allem über Jungs, sind Eisessen gegangen und haben eben daheim gequatscht. Sie hat einen Freund, der heißt Hannes und mit dem ist sie ganz glücklich, er sieht aber nicht gerade toll aus. Macht ja nichts, mir muss er nicht gefallen. Sie geht auf die M.W. Schule in M., auch eine Art Gänsefarm. Die haben dort anscheinend ziemlich schlechte Lehrer, aber sonst verstehen sie sich ganz gut in der Klasse. Die Lara ist, finde ich, keine große Zicke oder so etwas in der Art. Ich war sogar noch kurz bei ihr zuhause, weil sie Geld geholt hat und mir alles zeigen wollte. Ihr Bruder ist schon 18 oder 19 und ist so eine Art Gothic-Punker, steht auf Marilyn Manson und solche Sachen. Er ging duschen, wir wollten grade gehen und er lief über den Gang, zum Glück bin ich dann aber zurück in Lauras Zimmer, als ich seinen nicht wirklich bekleideten Rücken gesehen habe. Grins! Zum Glück nicht mehr, weil sonst wäre das peinlich gewesen. Ich habe ihr dann noch vom Ronald erzählt und sie hat ihn dann sogar am Abend angerufen und ihn gefragt, ob er denn eine Lena kennt. Er meinte ja. Sie hat gefragt, wie er mich denn findet und ob er eigentlich schüchtern ist. Also, nein, er wäre gar nicht schüchtern und ich bin total nett, keine Frage ABER ich wäre nicht sein Fall. Und dann hat er noch etwas erzählt von der Amelie, dass sie einmal zu ihm hingegangen ist und gesagt hat, dass ich auf ihn stehe und wollte dann seine Nummer für mich, das fand er anscheinend lächerlich. Gut, was soll’s, hinterher war ich ziemlich am Ende und sehr wütend und traurig. Der Abend war also gelaufen. Aber ansonsten war der Tag ja schön. Später, als sie dann weg war, habe ich Hausaufgaben gemacht, geduscht und bin dann recht spät ins Bett, grins!
Donnerstag: Der Tag war auch recht langweilig, zumindest in der Schule, es war wieder heiß, alle waren müde und hatten keine Lust. Wir haben uns La Boum auf Französisch angeschaut, das ging eigentlich. Leider haben wir noch die Ex rausbekommen, genau, leider, ich hatte nämlich eine 3, obwohl ich so viel gelernt habe. Ich hatte ewig viele Leichtsinnsfehler und hätte mich wieder in den Arsch beißen können. Mir ging’s sowieso schon nicht so gut, alleine schon wegen dem Ronald, dann hatten meine Eltern natürlich wieder Streit und dann die Drei, hätte wieder fast geheult. Da es so schön war, bin ich mittags mit der Mama in die Stadt und wir haben das Video Traumschiff Surprise gekauft und uns später angeschaut. Einige Zeit danach kam noch mein toller Vater nach Hause und er konnte dann auch alleine essen. Ich hatte gar keine Lust mehr, etwas zu machen und habe die Hausaufgaben einfach gelassen. Mir war’s egal, wirklich, einfach scheißegal. Ich bin dann etwas später ins Bett, hab noch mit dem Jonas telefoniert, tut immer gut, mit ihm zu telefonieren. Meine Oma hat mich auch noch angerufen, das war aber am Mittwoch, die hat mich auch aufgebaut und gefragt, ob ich in den Osterferien mal wieder kommen möchte. Ich habe dann auch mit meiner Mama gesprochen und wir fahren in der zweiten Woche wahrscheinlich hin. Ob mit Papa oder ohne, tja, ich glaube mal ohne. Die Mama will nämlich mal wieder ihre Bekannten und Freunde sehen, das geht mit dem Papa schlecht, er ist da so ein Klotz am Bein und würde das nicht wollen.
Freitag: Juhu! Letzter Tag, Gott sei Dank! Wir haben La Boum zu Ende geschaut, keine Hausaufgaben verbessert – mein Glück – und es ist auch keiner abgefragt worden. Ansonsten war es ganz okay. Als der Unterricht dann zu Ende war, hat mich keiner abgeholt, super! Ich habe erst zu Hause angerufen, ging keiner dran. Ich habe gewartet und wieder angerufen, Mama ging ran, meinte, sie dachte der Papa holt mich ab, weil er mich auch gebracht hatte, aber davon hab ich gar nichts gesagt, auch in Ordnung. Sie schiss mich im Auto noch schön zusammen, weil sie angeblich den ganzen Tag gekocht hätte und ich hätte sie doch anrufen sollen, dass der Papa den Nachmittag wegbleibt und so weiter und so weiter, war wieder richtig schön, doch ehrlich, so nett gleich und natürlich bin ich wieder an allem schuld. Sie hat zwar nur einen Salat gemacht und Schnitzel paniert, aber das dauert den ganzen Tag, klar, genau!
Jedenfalls hat sie sich wieder beruhigt und nachmittags fuhr sie mich in den Tanzkurs. Es war mein letztes Mal – heul – aber es hat Spaß gemacht, vor allem mit der Sandy. Wir haben Tango getanzt und total übertrieben, aber das hat der Tanzlehrerin am besten gefallen – grins! Der Sebastian war auch da, hat leicht gekränkelt und leider habe ich nur ein Mal mit ihm getanzt. Heul! Der ist so süß, so lieb, der hat so hübsche Augen, wenn der einen anschaut und ein wenig lächelt, dann ist es, als ob dich ein Engelchen anschaut. Oh, ich bin letztes Mal so dahingeschmolzen und wollte ihn einfach nur küssen oder umarmen, Hilfe, Hilfe, ich bin verloren. Grins! Im Ernst, ich kam mir so blöd vor, weil ich nichts gemacht habe und ihn meistens nicht einmal anschaute. Am Anfang saß er noch schräg gegenüber von uns und hat mir zugehört, was ich gesagt habe und mich angeschaut und ich blödes, kleines Mädchen hab nicht hingeschaut – grrr! In der Pause hat mich noch die Lara auf meinem Handy angerufen und meinte, sie muss mir unbedingt was erzählen. Tja, der Ronald hat ihr geschrieben. Aber sie meinte, sie löscht jetzt seine Nummer, weil sie keinen Kontakt mit ihm haben will. Er hat ihr dann gesimst, warum denn nicht, dass er sie kennen lernen und ihr einen ausgeben will in K., wenn sie denn Zeit hat. Woher kenne ich das bloß? Ich habe mich wieder so aufgeregt, war so wütend, so ein Depp, Mann, der muss einem alles vermiesen. Der hat wohl schon die Tussen aus halb K. eingeladen, oder?
So, aber jetzt kommt der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Auf dem Rückweg habe ich vom Auto aus den Hansen zusammen mit einem Freund gesehen, wie sie beide grade die Straße herunterliefen. Ich war hinterher mehr als nur am Boden zerstört. In dem Moment ist in mir alles zusammengestürzt. Meine Mum und ich sind gleich nach B. in die Stadt gefahren, haben dort noch gegessen und getrunken, weil wir hinterher im Kurhaus waren, denn dort ist der Zirkus C. S. aufgetreten. Das war absolut super, wirklich, die konnten echt viel, mein vollster Respekt! Und meine Mama hat eben gemerkt, dass ich so am Ende war und ich hatte ja außer ihr niemand sonst zum Reden, dann habe ich mich eben bei ihr ausgequatscht, dass grade alles den Bach runtergeht und wie das so ist mit der Liebe. Sie meinte, ich solle mir nicht so viel draus machen, es kommen andere Zeiten und ich werde schon noch den Richtigen finden und so weiter und so weiter. Zumindest hat sie nichts Negatives gesagt, was mich noch mehr runtergemacht hätte, Lob an meine Mutter!
Samstag: Mein Vater war ja wieder da und was will man machen, immer wenn er da ist nervt er leider auch, mal mehr, mal weniger. Er kam dann morgens zu mir hoch, als ich grade am zweiten Afrika-Album geschrieben habe und hat gefragt, ob wir denn nicht mit ihm essen gehen möchten. Ich sagte dann, dass ich es nicht weiß, fertig aus. Natürlich wusste ich es, aber was soll ich denn dazu noch sagen? Meine Mama und ich sind dann mittags nach M. gefahren und haben dort gegessen, war auch ganz schön. Dann sind wir wieder nach Hause gefahren und er war leider immer noch da. Ich habe mich dann zwei Stunden auf die Couch schlafen gelegt, ich war irgendwie ziemlich müde und danach kam meine Mama wieder hoch und hat bei mir ferngesehen. Hat schon genervt, weil wir immer langweilige Sachen anschauen, wenn sie da ist, Dokumentarfilme, Dokumentarfilme und wieder Dokumentarfilme und dann noch Nachrichten und nochmals Nachrichten. Abends kommen dann immer die „guten Filme“ um viertel nach acht. Aber meistens schauen wir dann eher an, was sie will oder schalten ständig um, wie gesagt, es ist nervig. Sonst habe ich Samstag nicht so viel gemacht, wie gesagt, Album weitergeschrieben und dann noch Forschungen angestellt, über die ganzen Gazellenarten, wie die alle heißen, das hat mich sehr interessiert. Wir haben in Afrika so viele verschiedene Gazellenarten gesehen, die einander sehr ähneln, dass man eben nicht weiß, welche jetzt wie heißt. Ich würde so gerne wieder dorthin fliegen. Ich vermisse das so sehr. Ich habe mich einfach in Afrika verliebt, anders kann ich das nicht sagen. Leider fliegen wir da nicht mehr hin. Denn erstens sind die Familienverhältnisse sehr schlecht und zweitens haben wir dank meines Vaters nicht mehr so viel Geld, da er ja die Firma in H. in den Sand gesetzt hat und drittens hat meine Mama sowieso keine Lust, mit dem Papa zu fahren, selbst wenn sie jetzt nicht streiten würden, was ich gut verstehen kann.
Sonntag: Heute bin ich, wie auch am Samstag, relativ früh aufgestanden und der Papa war sogar weg – Freude! Wir haben gemütlich und in Ruhe gefrühstückt, was immer etwas wert ist und leider war wieder schlechtes Wetter, daher habe ich heute einfach alles niedergeschrieben, ein paar Sachen ausgedruckt und mit der Bettina telefoniert, zu Mittag gegessen, danach mit meiner Mama ein Video geschaut, noch mal Traumschiff Surprise, und jetzt schreibe ich wieder. Ich gehe heute Abend übrigens in den Tanzkurs, weil die Bettina und die Yvonne hätten ja heute, nur leider ist die Yvonne krank und da sie sonst immer zu viert wären, also noch zwei Jungs, springe ich ein, damit nicht immer einer aussetzen muss. Ich konnte sogar die Mama dazu überreden, mich zu fahren! Der Papa ist bis jetzt noch nicht da, es ist grade 15:39 Uhr, hoffentlich kommt der nicht so schnell wieder, es reicht ja, wenn er erst spät abends kommt, dann gibt es keinen Ärger und jeder hat seine Ruhe im Haus. Meine Ma ist grade im Nebenzimmer, im Bad, macht die Waschbecken sauber, jetzt ist sie in die Gästetoilette gegangen. Sie tut mir leid, aber andererseits habe ich ihr schon so oft gesagt, dass sie sich scheiden lassen soll und dass ich nichts dagegen hätte, im Gegenteil. Aber sie macht das nicht. Sie meinte, wenn sie ihn 17 Jahre lang ertragen musste, dann hält sie es die paar Jahre auch noch aus, sie will nicht auf das Geld verzichten, nur wegen der paar Jahre. Ich habe da eine andere Ansicht, klar, aber was soll ich machen, sie ist erwachsen und muss schauen, was sie für richtig hält, mehr als mit ihr reden, bzw. auf sie einreden kann ich auch nicht. Ich bin kein Anwalt und auch nicht ihre Mutter.
Heute meinte sie noch, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist, dann antwortete ich, aber du kannst das nicht zu einem kleinen Kind sagen, das weiß das nicht. Dann sagte sie, dass sie das nicht so meint, aber dass jeder, wenn er alt genug ist, sein Leben selbst bestimmen muss. Da hat sie recht, nur manchmal denke ich, dass sie das einfach nicht kann und ich weiß, dass sie das nicht kann, sonst wäre sie nicht so verzweifelt und würde so weiterleben wollen. Aber ich glaube, dass es irgendwann ein Ende hat, natürlich wird es ein Ende haben, aber wahrscheinlich ist es dann zu spät, nicht unbedingt für mich, aber für sie. Aber man weiß ja nicht, was die Zukunft bringt und evtl. kommt ja alles ganz anders, besser.
Die Amelie kümmert sich in letzter Zeit auch nicht mehr um mich. Sie hat es wohl mit der Julia, aber okay, wenn sie meint. Die Julia hat keine Freunde, kündigt jedem die Freundschaft. Sie hatte ja Geburtstag und hat 30 Leute eingeladen und es sind nur 5 gekommen, peinlich oder? Die Bettina und die Yvonne sind nicht gekommen, weil erstens mussten sie auf den Performance-Abend im Tanzkurs gehen, zweitens konnten sie danach nicht mehr hin, weil es dann schon 10 Uhr war und ihre Eltern haben das nicht erlaubt und drittens hatten sie keine Lust, weil die Julia ist eben unbeliebt durch ihre Art, verständlich. Dann war sie auf die Bettina und die Yvonne natürlich wieder sauer, war doch klar und redet jetzt nicht mehr mit ihnen. Die beiden sind das ja gewöhnt und nehmen es locker, was will man auch von ihr anderes erwarten.
Ständig trifft sich die Amelie mit ihr, die Julia war jetzt schon die letzten vier Male im Tanzkurs und hat zugeschaut, hinterher sind sie dann immer ins S. Als ich die Amelie gefragt habe, was denn los sei, warum sie sich gar nicht mehr bei mir meldet, meinte sie, sie hat kein Geld mehr auf dem Handy, ich fragte dann, was mit anrufen sei. Sie sagte, das ginge nicht, weil sie immer mit der Julia telefoniert hätte. Super, danke Amelie, so etwas nannte man mal eine der besten Freundinnen! Am Freitag habe ich sie gefragt, ob sie mal wieder mitgekommen sei und ob sie dann ins S. gehen, aber nicht böse, gar nicht, sondern ganz freundlich. Was macht sie? Dreht sich von mir weg, gibt mir keine Antwort und hat mir hinterher einen ziemlich bösen Blick zugeworfen. Ganz toll, jetzt kann man sich doch glatt denken, was ich ihr getan habe … genau, nichts.
Nur, dass ich ja die Freundin von der Bettina und der Yvonne bin, das ist alles. So etwas Lächerliches. Und wegen der macht die Amelie rein gar nichts mehr mit mir. Meldet sich nicht mehr, ruft mich nicht mehr an, will sich nicht mit mir treffen, redet weniger mit mir und fragt mich dann immer, ob sie denn Zeit hätte für die Julia, ist zwar weniger geworden mit dem Fragen, aber ich finde es unverschämt, ehrlich. Ich bin gewiss nicht neidisch auf die Julia, nicht auf die, aber ich bin schon verärgert, weil die Amelie das einfach so abzieht, finde ich nicht in Ordnung, aber es ist ihre Entscheidung und ich halte mich da raus.
Und jetzt kommen wir zu den News:
1. Ich gehe morgen wahrscheinlich zum Optiker und bestelle dann Kontaktlinsen, juhu! Freu mich da schon sehr drauf, keine schmutzige Brille mehr, keine Sorge mehr, dass beim Sport ein Ball draufschlagen könnte, keine dummen Kommentare von wegen du siehst aus wie eine Lehrerin mit der Brille! Ja, das ist einfach cool!
2. Ich gehe vielleicht nach der 10. Klasse auf ein Internat, da kann ich dann mein Abitur machen, muss nicht auf das J. B. Gymnasium und bin von zu Hause weg. Ich denke, das wäre ein sehr großer Vorteil für mich und ich würde dann über die Ferien und bestimmt auch an den Wochenenden zu Hause sein.
3. Ich fahre mit der Yvonne am Mittwoch – hoffentlich kommt nichts dazwischen – mit dem Zug nach Würzburg. Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ihre Eltern mitfahren, weil meine mich sonst nicht lassen. Klar, ihre fahren nicht mit, wir fahren alleine, das wird so cool, ich freue mich schon so darauf. Wir wollen uns dort Unis anschauen und einfach mal alles besichtigen – auf den Spuren der 10a – grins.
Ich bin sehr froh, dass ich jetzt Ferien habe, oh Mann. Weg von der Schule, damit auch vom Ronald und Sebastian und Co. und weg von den Noten, die mich ärgern, Lehrer mit einbegriffen, einfach mal etwas mehr Ruhe. Mir geht’s grade ganz gut, zum Glück! Bald ist Ostern und meine Eltern streiten wieder, das ist weniger schön, aber was wäre die Familie S., wenn es nicht an allen Feiertagen und in den Ferien Streit gäbe? Wahrscheinlich eine bessere Familie mit glücklicheren und zufriedeneren Menschen.
Ich habe keine Ahnung, was ich später einmal werden will. Wirklich, ich überlege und überlege und renne dabei immer gegen eine Wand, das ist wirklich frustrierend. Soll ich auf die Sprachenschule gehen? Aber Dolmetscherin oder Fremdsprachenkorres¬pon¬dentin, da weiß ich nicht, ob mir das Spaß machen würde. Soll ich Lehrerin werden? Aber ist das was für mich, halte ich das nervlich aus? Soll ich Sozialpädagogin werden? Aber was genau gibt es da alles und ist das was für mich, bekommt man da viel Geld? Mit welchen Leuten muss ich mich dabei befassen? Ich will nicht zu schlimme Fälle haben, das würde ich nicht aushalten. Ich habe keinen blassen Schimmer. Am besten ich werde Schriftstellerin, so wie ich das schon immer wollte. Ist doch keine schlechte Idee oder? An einem Buch, da sitze ich dran, dann könnte ich meine Lebensgeschichte veröffentlichen, ein Drama habe ich auch schon im Kopf und Philosophisches fällt mir sowieso ein. Grins! Dann könnte ich noch einen Film drehen, oh ja, das wäre doch was. Eine Serie über das Leben in der Schule über uns alle, aber eben etwas lockerer gemacht, witzig, der Realität entsprechend, das wäre ein Kracher, bestimmt. So, ich höre dann wieder auf, mache mich langsam fertig für den Tanzkurs, bin mal gespannt wie die beiden Kerle so sind. Bettina meinte, sie würden mir nicht gefallen, auch okay, muss ja nicht sein, machen eh nur Ärger! Oh Gott, gerade ist mein Dad gekommen …
Tagebuch vom 21.03.05
Zu meinem heutigen Tag (Montag): Heute Morgen habe ich mich nach dem Frühstück gleich fertig gemacht, dann sind wir nämlich zum Optiker gefahren. Nach der bescheidenen Messerei hat sich herausgestellt, dass ich mal wieder – ganz was Neues – schlechter sehe. Macht mich immer sehr traurig, ich würde so gerne einfach normal sehen können, ganz ohne Brille oder Linse, dann sehe ich immer schlechter, weil mein Wachstum noch nicht abgeschlossen ist und ich will einfach, dass es endlich aufhört. Außerdem habe ich noch Hornhautverkrümmung, genau, das kommt auch noch dazu und die wird auch immer etwas „schlechter“, also sie schiebt sich schräg nach oben. Das ist ziemlich kompliziert zu erklären, aber das mit der Verkrümmung ist nicht sonderlich schlimm, weil sie relativ gleich bleibt, im Gegensatz zu der Sehstärke. Jedenfalls mag ich dieses Sehstärkevermessen und Hornhautverkrümmung vermessen nicht gerade gerne. Dazu kam dann noch, dass mein Auge ausgemessen wurde, wegen den Linsen, das war echt unschön, weil ich ziemlich lange in ein Gerät reinschauen musste, das sehr geblendet hat, dort waren zwei grelle Lichter und das hat einfach im Auge weh getan, bzw. war sehr unangenehm. Aber was sein muss, muss sein.
Danach habe ich für eine halbe Stunde zwei weiche Kontaktlinsen hineinbekommen, die haben zwar nicht genau meiner Sehstärke entsprochen, ist ja logisch, aber ich konnte damit immerhin besser sehen, als ohne. Damit musste ich eine halbe Stunde mit der Mama in der Stadt rumlaufen und einfach schauen, ob alles okay ist. Anfangs hat mir die Optikerin die reingemacht und das Auge hat einen Reflex und daher war das auch nicht so schön und schwer. Beim zweiten, dem linken Auge, ging das dann schon besser. Erst musste ich die Augen kurz zulassen und dann langsam aufmachen. Aber es ging ganz gut, ich war richtig beeindruckt und hatte ein ganz anderes Dimensionsgefühl, alles war größer und das kannte ich vorher gar nicht. Die Kontaktlinsen taten gar nicht weh und nach wenigen Minuten habe ich sie nicht einmal mehr gespürt, einfach nur schön. In der Stadt sind wir in die Bücherei gegangen und haben für Mathe, Deutsch, Englisch und Französisch diese Abschlussprüfungsbücher mit Lösungen und Aufgaben bestellt. Die sind sogar morgen schon da. Noch ein Grund, um happy zu sein. Zurück beim Optiker haben wir dann die Brillengläser bestellt und das war’s dann auch schon. Meine Linsen bekomme ich erst später und die Optikerin bestellt auch noch welche, die neutral sind, damit ich sie einfach mal unter der Brille für einen Tag tragen kann, um zu schauen, wie ich das vertrage. Mittags sind wir in eine Pizzeria essen gegangen und danach kurz einkaufen beim M. Ich habe mir zwei Ketten gekauft, eine silberne mit einem blauen Stein, die lang herunterhängt, und eine, die schwarze Steine hat, wobei man das Kettenband aber nicht sieht. Das hat mich dann wieder gefreut.
Jetzt sind wir wieder zu Hause und es ist 15:06. Wir wollten heute noch irgendwo hin, aber uns ist nichts eingefallen, spazieren gehen wollte keine von uns beiden und nach A. fahren auch nicht mehr. Als wir zu Hause waren, kam kurz nach uns auch der Papa, den habe ich schon zwei Tage nicht mehr gesehen gehabt, auch gut! Ich ging dann runter in die Waschküche, habe die Wäsche in den Korb gelegt, er war nebenan im Büro und dann sagte ich einfach mal „Hallo“! Später kam er hoch und wollte wissen, wo der Briefkastenschlüssel sei, ich habe ihm dann einfach die Post geholt. Er sieht ziemlich blass aus und ist auch ganz langsam die Treppe hoch und runter gelaufen, hat dann alleine in der Küche gegessen und seine Augen sind etwas trüb. Er tut mir wieder leid, obwohl er das nicht sollte. Vielleicht stirbt er bald. Wir denken nicht mehr so oft an ihn, reden nicht mehr so oft über ihn, sehen ihn kaum noch, gehen uns aus dem Weg. Uns macht das nichts aus, uns geht es so viel besser und wir sind gelassener, vor allem die Mama. Aber er kommt damit nicht klar. Na ja, mit was sollte der auch schon klarkommen, er kommt ja nicht einmal mit sich selbst klar.
Ich freue mich, wenn er stirbt, dann hat die Mama ihre Ruhe, für immer, genauso wie ich und er, er ist dann, denke ich, auch erlöst, hat ebenfalls seine Ruhe, muss sich nicht mehr so rumschlagen mit dem Leben und mit sich selbst.
Morgen soll meine Nachhilfe kommen, um 11 Uhr, mal sehen, ob sie es nicht vergessen hat. Ich habe eigentlich gar keine Lust darauf, aber was sein muss, muss eben sein. Heute werde ich noch fernsehen und nichts Besonderes mehr machen, denke ich.
Tagebuch vom 22.–26.03.05
Zu Dienstag: Morgens habe ich geduscht und dann sind wir nach Füssen gefahren und dort in die Stadt gelaufen, dann haben wir da noch zu Mittag gegessen und meine Mum ist in bestimmt vier Boutiquen hineingelaufen, hat aber nichts gefunden. Kann ganz schön nerven so etwas. Aber okay, was will man machen, es gibt Schlimmeres. Danach sind wir zurückgefahren, bzw. ich bin dann um vier Uhr zur Yvonne. Im Auto bekam ich eine SMS von ihr, ihre Mutter wolle noch mit meiner Mutter sprechen, ob auch alles klar ginge wegen W. Oh Gott, ich habe große Panik bekommen und krampfhaft überlegt, wie ich das verhindern kann, weil ja sonst rauskommt, dass Yvonnes Eltern gar nicht mitfahren und ich meine Eltern angelogen habe, das hätte großen Ärger gegeben. Im Auto hatte ich dann Blähungen und da kam mir die Idee. Ich sagte dann einfach ein paar Häuser vor Yvonne, ich müsste schnell aussteigen, weil ich so Blähungen hätte. Das hat zum Glück auch geklappt und ich lief dann einfach vor zu Julias Haus und meine Mama fuhr weiter.
Bevor ich bei der Julia war, gab es aber noch einen ordentlichen Anpfiff auf der Fahrt, warum auch immer, aber meine Mum braucht ja immer etwas, worüber sie sich aufregt. Sie schrie mich an, wieso ich meinen Schlafsack dabeihätte und dass das Ticket zu viel kostet und so weiter und so weiter. Unnützes Zeug eben. Ich hasse so etwas, immer muss sie mich anschreien und sich aufregen, ich bekomme in diesen Momenten richtig Angst vor ihr, sie kann wegen solcher Nichtigkeiten derart ausrasten, dass es einfach nicht mehr normal sein kann, vor allem, da ja schon alles für die Fahrt besprochen war.
Jedenfalls war ich dann bei der Yvonne und wir aßen zu Abend, sind Skateboard gefahren, okay, ich konnte das nicht so wirklich und am Abend haben wir getanzt und es war ganz lustig. Dann haben wir noch bei Bayern 3 angerufen und uns ein Lied gewünscht und alle Freunde und die Familie gegrüßt, leider kam das dann an dem Abend nicht mehr, vielleicht ein anderes Mal. Es kann aber auch sein, dass es schon kam, vielleicht haben wir es nur verpasst.
Komisch war aber, dass ich keine Süßigkeiten essen durfte, obwohl ihre Mutter uns extra welche in den Keller brachte, wo wir auch zusammen übernachteten. Die Yvonne wollte das einfach nicht, was komisch war und beim Abendessen hatte sie es so eilig rauszugehen, dass ich nicht einmal mehr fertig essen konnte. Unhöflich nenne ich das, wenn ich gewusst hätte, dass diese Unhöflichkeit in Würzburg noch weitergehen würde, wäre ich nie mit ihr dort hingefahren. So kann man sich in einem Menschen täuschen, von dem man denkt, dass man ihn kennt, dazu aber gleich die ganze Geschichte.
Wir sind erst um 10 Uhr eingeschlafen und sie hat ihren Wecker auf halb vier gestellt gehabt, anstatt auf halb fünf, so sind wir eine Stunde früher aufgewacht und konnten bis halb fünf nicht mehr schlafen, na ja. Wir machten uns fertig, aßen unser Frühstück und die Mutter fuhr uns dann zum Bahnhof, bis dahin war alles noch in Ordnung.
Erst fuhren wir von K. aus nach A. und das war in Ordnung. Beim Umsteigen gab es ein paar Probleme, aber durch Fragen ging das schon, allerdings hatten wir eine halbe Stunde Zeit und Yvonne machte ganz schönen Stress und hetzte wie wild, dafür konnten wir dann hinterher zwanzig Minuten stehen und auf den Zug warten. Es war ein ICE und er fuhr direkt nach W. In dem Zug fing es dann schon an. Ich wollte auf ihrem Discman ein Lied hören, nur eines von M., das ihr nicht gefiel. Und sie hörte immer nur O-Zone, dieses Dragostea din Tei oder wie auch immer man das schreibt und das gefiel mir eben nicht. Wem bitte gefällt dieses Lied auch schon? Dann meinte sie, ja okay, ich könne es anhören, aber dazwischen nervte sie mich ständig, drückte es weg, oder auf Pause und so weiter. Aber nicht nur das, im Zug wollte ich schlafen, aber nein, auch das war mir nicht vergönnt, ständig stieß sie mich an und wollte mir irgendeinen Scheiß zeigen, der mich einen feuchten Dreck interessierte. Dann saß sie immer am Fenster – ich durfte ja nicht ans Fenster – aber ich wollte eben auch mal rausschauen. Okay, bis dahin ließ ich mir alles gefallen, spielte mit, nahm es mit Humor. Aber dann reichte es mir schon langsam. Sie stellte all ihre Sachen auf meinen Platz, bzw. auf mich, Jacke, Essen, Trinken und so weiter, sodass sie in Ruhe Musik hören konnte und ich der Packesel war. Ich habe mich aber eine Reihe hinter sie gesetzt um rauszuschauen, denn alles war noch frei. Glaubt man, sie hätte mich in Ruhe gelassen?! Nein, natürlich nicht. Es dauerte noch zehn Minuten, bis wir in W. waren, es wurde angesagt, aber sie drehte sich ständig um und sagte: „Lena, Lena, jetzt komm halt endlich, jetzt komm, wir müssen vor. Lena, jetzt komm endlich, Lena, was ist jetzt, jetzt komm!“
Ich blieb aber sitzen und sagte, dass wir noch genug Zeit hätten, aber leider ging das so die ganzen zehn Minuten durch. Als wir ankamen, war ich erstens sehr müde, zweitens ziemlich genervt und drittens hatte ich keine Lust mehr auf W., nicht mit der Yvonne! Aber der Horror nahm kein Ende. Am Bahnhof hetzten wir dann raus zur S-Bahn und sie fragte sich durch. Dann verpassten wir die S-Bahn zu ihrer Scheiß-Sportuni, wer war dran schuld? Ich natürlich, sie schrie mich an, ich würde ja nichts machen, ich dachte ich fahr gleich wieder zurück. Die nächste S-Bahn kam aber gleich und dann fuhren wir zu der Uni. Dort angekommen, folgten wir zwei süßen Jungs, die dort auch hinliefen und schauten uns das hässliche Gebäude an. Bis dahin war es alles nur schlimm. Dann gingen wir zurück zur S-Bahn-Wartestation, aber es kam keine S-Bahn. Wir fragten einen Postboten und er meinte, von hier bis zur Stadt wären es ca. 20 Minuten. Als eben keine Bahn kam, schlug ich vor, einfach zu laufen. Sie stimmte sogar zu und wir liefen ein Stück, dann fuhr aber eine S-Bahn, die wir verpassten, da wir ja liefen, an uns vorbei. Wer war wieder schuld? Ich! Genau, ich wurde wieder angemault, ganz nett. Und dann fragte ich einen Mann, wann immer S-Bahnen fahren, er sagte, alle 10 Minuten. Wir warteten wieder. Mit der nächsten fuhren wir in die Stadt und gingen dort zum Shopping, na ja, war nicht gerade sehr angenehm, weil wir etwas von der Stadt sehen wollten und nicht Müller, H und M oder S. Oliver, aber die liebe Yvonne wollte ja nicht anders. Nicht ein Mal zu Mittag haben wir gegessen. Sie wollte nicht, sie wollte sich nicht einmal wohin setzen. Ihre Mutter sagte sogar noch morgens, wir sollen wo einkehren. Aber dieses Kind von Zicke meinte, sie wolle kein Geld dafür ausgeben. Was blieb mir also anderes übrig? Genau, einfach mitzugehen. Wir kauften uns dann aber, oh Wunder, ein Brötchen und setzten uns für zwei Minuten auf eine Art Bank, die auf einem Platz vor einer schönen Kirche stand. Ich hatte nicht einmal fertig gegessen, da stand sie auf und sagte, ich solle mich jetzt beeilen und sie will jetzt weiter, danke, sehr freundlich. Danach gingen wir wieder zum Bahnhof und fragten uns durch, wie wir zu dem Universitätszentrum kommen. Wir fuhren dann mit einem Bus dorthin und besichtigten fast zwei Stunden lang diese kahlen, fast leeren, grauen Uni-Gänge und Flure. Von diesen fast zwölf Universitäten besuchten wir ungefähr acht. Mir taten die Beine weh und mein Rücken auch, da ich immer Yvonnes Rucksack tragen durfte, da sich das Fräulein zu schön dafür war.
Es war so langweilig und ich hätte weinen können. Ich sagte ihr dann auch, dass ich mir das anders vorgestellt habe, vor allem, dass die Unis langweilig sind und ich mehr von der Stadt sehen wollte. Dann war sie beleidigt, wie hätte es auch anders sein können und meinte, ich wäre schlecht gelaunt, würde ihr den Tag verderben und natürlich war ich an allem schuld. Ich habe gesagt, dass es okay ist, wenn wir die Unis anschauen, aber damit meinte ich erstens nicht fast zwei Stunden, zweitens nicht fast alle Unis und drittens einfach nur kurz von außen. Dann fuhren wir zurück und es gab eine Diskussion, denn sie wollte unbedingt in eine abgelegene Gegend fahren, weil da einer war aus dem Chat, sie hatte nur einmal mit ihm gechattet. Allerdings hätte die Hin- und Rückfahrt dorthin eine Stunde gedauert und ich war dagegen. Das konnte ich dann, dem Himmel sei Dank, durchsetzen, aber wer war mal wieder beleidigt? Genau, Yvonne, das ja ach so altruistische Fräulein. Wir hatten grade noch zwei Stunden und liefen wieder durch die Stadt. Ich meinte, ob wir vielleicht in ein Café gehen könnten, was essen und uns vor allem mal in Ruhe hinsetzen, nach fast sechs Stunden Laufen. Sie gab mir dann eine giftige Antwort und sagte: „Du kannst dich da alleine reinsetzen, ich komme nicht mit, ich warte dann davor auf dich.“ Wie nett oder? So etwas Unverschämtes habe ich noch nie erlebt, wirklich. Dann kaufte ich mir einfach im Supermarkt etwas zu trinken. An der Kasse meinte sie dann, wir könnten doch ins Café, ich hab sie dann einfach auch mal angefahren und sagte, dass es jetzt zu spät dafür sei.
Hinterher liefen wir die Straße wieder hoch und ich schlug vor, dass wir vielleicht mal ins Zentrum gehen könnten, damit wir mehr von der Stadt sehen. Natürlich ging das wieder nicht, Madame meinte, man könnte sich da gleich verlaufen und lief eingeschnappt weiter. Danach kam es aber noch besser. Sie wollte einfach in eine S Bahn einsteigen, einfach so, obwohl sie nicht einmal wusste, wohin sie fährt, aber ja, klar, kann man doch machen. Ich habe da nicht mitgemacht und sie noch zurückgezogen. Selbstverständlich maulte sie mich wieder an, ich war wieder einmal, wie könnte es auch anders sein, an allem schuld. Dann liefen wir wieder in den H und M und dort meinte sie, ich solle mich doch auf den Boden setzen, während sie sich irgendwelche Westen anzieht. Ich hab gedacht, jetzt rennst du einfach weg und nimmst dir ein Taxi. Aber ich bin einfach geblieben, konnte mal wieder ihre Sachen nehmen und bin am Boden zusammengeklappt, so war es. Dann sind wir gegangen und nach ein paar Geschäften wieder zum Bahnhof gelaufen. Auf dem Weg dorthin kaufte ich mir eine Pizza, so eine kleine vom Bäcker, daraufhin kaufte sie sich dann einen Hamburger bei Mc Donalds. Am Bahnhof angekommen meinte sie, wir sollten doch wieder in die Stadt laufen, weil wir ja noch Zeit hätten, es war eine halbe Stunde. Na ja. Einmal zehn Minuten hin und zehn zurück, macht 10 Minuten Aufenthalt in der Stadt, ganz klasse, bringt bestimmt viel. Ich war dagegen. Also liefen wir am Bahnhof herum, zu einem Kiosk und kauften noch Postkarten, da wir in der Stadt nach Yvonne ja dafür keine Zeit hatten.
Die Rückfahrt war dann ganz angenehm und auch wirklich toll. Sie machte mir wieder Vorwürfe, dass ich an allem schuld sei und dann redete sie gar nicht mehr mit mir und als wir dann von B. nach K. fuhren, stieg sie nicht mit mir aus, sondern lief nach hinten und stieg dort aus. Ihre Mutter holte uns dann wieder mit dem Auto ab und sah das natürlich und fragt mich gleich, ob alles klar ist, oder ob wir Streit haben. Ich meinte einfach, dass ich nicht wüsste, was mit ihr los ist.
Im Auto ging es dann richtig los. Sie fing an zu heulen und schrie richtig los. Ich wäre an allem schuld, hätte nicht mehr mit ihr geredet und wäre schuld daran, dass sie fast nicht aus dem Zug ausgestiegen wäre. So etwas habe ich von einer „Freundin“ noch nie erlebt und ich glaube, die Mutter fand das von ihr auch ziemlich lächerlich, aber sie versuchte dann einfach, zu schlichten und das fand ich sehr nett von ihr.
Zu Hause angekommen, bekam ich noch etwas zu trinken und die Julia setzte sich widerwillig neben mich, war eingeschnappt und ihre Mutter redete ständig auf sie ein. Für mich hatte sie weiß Gott keinen Grund, sich derart aufzuführen, wenn dann ich, aber ich kann ja immer der Arsch sein, der nachgibt und vernünftig ist.
Meine Ma holte mich dann ab und ich sagte ihr bereits am Telefon, sie solle mich weiter vorne abholen, ich lief dann vor und die Mutter lief noch mit und Yvonne gezwungenermaßen auch. Aber ich wollte nicht, dass sich meine Mutter und ihre Mutter begegnen, da sonst alles herausgekommen wäre. Daher schickte ich sie kurz davor weg, ich sagte, dass meine Mutter mich ja hier vorne abholt und dann sicher nicht möchte, dass sie extra noch mitkommt. Zugegeben, das war unlogisch, aber es funktionierte, aber Yvonne musste noch dableiben. Ich meinte, sie könne ruhig gehen, aber sie blieb, wahrscheinlich ihrer Mutter zuliebe, bzw. weil es ihre Mutter befohlen hatte.
Dann wurde ich abgeholt und bekam gleich wieder einen Anpfiff. Meine Mum schrie mich an, wieso sie mich denn hier abholen solle und ob ich mich für sie schämen würde oder ob ich mich überhaupt für meine Eltern schäme. Das ging dann die halbe Fahrt so und ich versuchte ihr zu erklären, dass es so sei, weil der Tag mit Yvonne eben schlecht lief und ich nicht wollte, dass sie mich dann direkt bei ihr abholt. Außerdem schimpfte sie noch, dass ich angeblich immer erzählen würde, wie schön es doch bei anderen ist, dass die Eltern immer so nett und lustig wären, so einen auf: dass meine Eltern der letzte Dreck wären.
Na ja, wenn sie das meint, oder so auffasst, dann ist sie selbst daran schuld. Ich bin dann einfach schlafen gegangen, ich war sehr, sehr müde und total fertig, außerdem war meine tolle Mutter ja auch böse auf mich und auch bei ihr war ich an allem schuld, so wie immer halt, daran gewöhnt man sich mit der Zeit. Doch am Abend schrieb ich Yvonne noch eine SMS, in der stand, dass wir beide wohl nicht wollten, dass der Tag so endete und dass das Reden bei ihr zu Hause wohl nichts gebracht hätte. Ich gab zu, dass ich nicht sehr viel geredet habe, wie sonst immer, dass ich auch müde war, aber dass sie bitte nicht sagen soll, dass ich gar nichts gesagt hätte und außerdem hat sie keinen Grund mehr wütend zu sein, da wir all das gemacht haben, was sie wollte.
Zum nächsten Tag, Donnerstag. Es passierte nichts Besonderes und wir unternahmen auch nichts. Meine Mum war wieder gut gelaunt und auch wieder nett. Bettina rief mich noch mittags an und wir telefonierten lange, ich erzählte ihr alles und sie sagte mir, dass sie ihr freiwilliges Praktikum im Restaurant K. geschmissen hat, weil sie dort nur Scheißarbeit machen durfte und immer heulend nach Hause fuhr. Der Tag ging eigentlich, denn nach dem schrecklichen letzten Tag war ich wirklich froh, wieder zu Hause zu sein, auch wenn dort die Stimmung nicht grade der Knaller war, da ja meine lieben Eltern immer noch nicht miteinander redeten.
Freitag war ziemlich schlimm. Mein Vater nervte mich andauernd, machte mich mal wieder runter, war schlecht gelaunt und gereizt, daher ließ er es an mir aus. Ich musste dann gleich morgens wieder weinen und wollte mich wieder einmal umbringen. Ich hasse ihn so sehr. Er macht einen fertig, nervt einen, macht alles kaputt. Du kannst versuchen, dich so sehr von ihm fernzuhalten, doch es geht nicht, dazu müsstest du schon weit weg ziehen, irgendwas ist immer. Ihm ist langweilig, er weiß nichts mit sich anzufangen, macht unnütze Dinge, wie z. B. den Kachelofen anstecken, obwohl es ja warm ist, er ist faul, hängt nicht das Tor ein und ist auch noch vergesslich, lässt ständig das Licht an, vergisst Türen zuzumachen und so weiter und dann drangsaliert er einen auch noch.
Mir platzte dann am Mittag der Kragen. Ich saß am Computer und er beleidigte mich mal wieder, meinte, ob ich nicht guten Tag sagen könne, ob wir das wohl noch nicht in der Schule gelernt haben, dass das eine Höflichkeit gegenüber dem Vater sei und so weiter. In diesen Momenten könnte ich ihn umbringen, ich könnte schreien und auf ihn einschlagen, so wie in meinen Träumen, mit allem, dass er sich alles bricht, verblutet, Höllenqualen erleidet. Es wäre bei ihm auf einmal und eben physisch, anders als er es macht, psychisch und schön langsam, all die Jahre, er tötet mich, ganz langsam, Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag an dem ich ihn sehen, an dem er mit mir reden muss und mich fertig macht, an den Tagen, wo er meine Mutter fertig macht, verdammt sei er und möge er qualvoll und so ungerecht, wie er es ist, sterben und zu Grunde gehen.
Mittags aß ich nicht mit; als er hereinkam und sich setzte, stand ich auf und kam nicht zurück, meine Mum kam dann nach einiger Zeit auch und ging zu mir ins Computerzimmer, ins Bad, putzte die Waschbecken. Nach kurzer Zeit kam er, machte die Tür auf und meinte, wir können jetzt wieder unter uns essen. Er hat immer so einen herablassenden Ton und eine hochnäsige Art, dass man sich kaum vorstellen kann, dass es überhaupt so böse Menschen geben kann.
Wir aßen dann aber oben und schauten fern. Er machte mal wieder den Kachelofen an, verschmutzte die ganze Küche und schaute unten fern. Ein Glück, dass ich meine Wohnung habe, in die ich mich verziehen kann und meine Mutter natürlich auch, dafür danke ich Gott oder eben irgendeiner Macht, wie auch immer sie heißen mag.
Heute ist Samstag, ein Tag vor Ostern. Ich machte, wie auch die letzten Tage, Englisch für die Abschlussprüfungen, zu denen es zwar noch über ein Jahr hin ist, aber ich möchte eben einen guten Abschluss haben. Mittags aß ich wieder nicht mit, was auch immer er sich einbilden mag, sich noch an den Tisch zu setzen, jedenfalls blieb meine Mutter unten und aß mit ihm.
Nach einiger Zeit hörte ich, wie er schnell rausrannte, auf die Toilette lief, sehr stark brechen musste und ich musste lachen. Ja, es ist nicht gut von mir, so zu denken, ich weiß das schon, es ist auch böse, aber ich weiß nicht, wer in diesem Fall nicht Belustigung empfinden würde. Es geschah ihm ganz recht, sollte er ruhig auch mal leiden.
Bald rief mich meine Mutter und ich konnte essen, zusammen mit ihr, das heißt, sie saß eben daneben. Aber so hatte ich beim Essen meine Ruhe. Ich finde es auch gut, dass ich das nicht mehr mache, soll er ruhig merken, dass ich mit mir nicht alles machen lasse, doch den Appetit werde ich mir zukünftig nicht mehr verderben lassen, oh nein, damit ist jetzt Schluss. Ich bin ein Mensch und habe einen freien Willen, ich bin ein Mensch, der keinem etwas Böses will, solange er nichts Böses tut und ich bin ein Mensch, der es, finde ich, nicht nötig hat, sich freiwillig mit einer derartigen Bestie an den Tisch zu setzen und sich demütigen zu lassen!
Ansonsten ging es mir grade nicht sonderlich gut. Ich bin traurig, sehr traurig, alles ist so trist und hoffnungslos. Manchmal denke ich, dass alles, was ich noch habe, meine Mutter ist und meine Freunde und Geld. Ja, manche sagen, immerhin, das ist doch was. Aber meine Mutter ist eine traurige Person geworden, durch meinen Vater, er hat sie, denke ich, noch viel, viel mehr geprägt, als mich. Geld, tja, nun ja, das ist nicht alles, du kannst dir viel leisten, aber Glück, Zufriedenheit, Liebe und Frieden kannst du dir damit nicht wirklich kaufen. Und die Freunde, ich habe viel überlegt und nachgedacht, welche Freundin denn wirklich immer für mich da war, wirklich immer, das war keine. Leider, immer war mal jemand nicht da, nicht zu erreichen, keine Zeit, schlecht gelaunt oder wusste keinen Rat, im Gegenteil. Meine gute Freundin Amelie scheint mich wohl verlassen zu haben, vielleicht bin ich ja schuld, wie immer eben, aber es kann sein, dass sie mit sich selbst zu viel zu kämpfen hat und dass sie da meine Probleme einfach nicht braucht, es sei ihr gegönnt, soll sie ruhig, ich kann ihr da nicht richtig böse sein.
Die Sandy, die kennt Probleme nicht, sie kann das nicht verstehen, ihre Eltern streiten so gut wie nie, ihre Mutter ist ganz und gar nicht streng, versteht sich perfekt mit ihrer Tochter, daher ist sie mir keine besondere Hilfe, der ich etwas anvertrauen kann, ohne dass ich auf Unverständnis stoße. Bei der Conny ist das wohl ähnlich, aber ich kann es ihnen nicht übel nehmen, ich freue mich, dass sie ein schöneres Leben genießen dürfen. Meine gute Bettina, sie lebt auch in besten Verhältnissen, kann kaum Ratschläge geben, aber bei ihr bekommt man einigermaßen das Gefühl, etwas verstanden zu werden, sie ist so ein herzensguter Mensch, ich liebe sie freundschaftlich. Manuela hat ihre eigenen Probleme, Yvonne ist wohl keine richtige Freundin, wohl eher ein egoistisches Miststück und Lina, ja ihr schreibe ich immer E-Mails, auch aus meinen Tagebucheinträgen, doch beim letzten meinte sie, das mit meinem Vater, was ich da schreibe, wäre makaber, na ja, wie gesagt, kaum jemand versteht das, was man hier erleben muss. Dann gibt es noch die Isabel, sie hat ähnliche Probleme und versteht mich ganz gut, leider gab es bei uns schon sehr viel Komplikationen, wegen ihrer Clarissa und ihrem Leben, sie neigt oft dazu, verrückt zu sein, richtig verrückt. So ist das, man ist eigentlich auf sich selbst gestellt im Leben, aber dennoch ist jeder Freund oft ein kleines oder größeres Licht, wofür ich dankbar bin.
Jetzt werde ich wieder hochgehen, zu meiner Mutter, sie ist der Mensch, den ich am meisten liebe von allen und ich denke, sie wird immer der Mensch sein, den ich am meisten lieben werde, auch sie hat mir schon viel Böses angetan, mich geschlagen, mich angeschrien, mich fertig gemacht, sogar mal gesagt, ich solle mich umbringen, doch sie ist nicht so wie er, gar nicht und ich liebe sie einfach, weil sie mir auch Liebe gibt, wenn auch nicht immer, aber das ist einer der ganz wenigen Menschen, die mir richtige Liebe geben. Von meinem Vater kenne ich so was nicht und werde es wohl auch nie kennen lernen und meine Oma, die liebt mich sehr, vielleicht im Innersten mindestens genauso wie meine Mutter.
So, nun ist es 17:31 Uhr, ich werde dann gehen und hoffen, dass mal bessere Zeiten kommen, so wie jeden Tag, vielleicht kommen mal mehrere Jahre, die die schlechten Jahre etwas überdecken.
Tagebuch vom 27.–29.03.05
Es ist so furchtbar, so schlimm, dass ich es kaum aufschreiben kann. Es ist unbeschreiblich, was alles passieren kann, wie sich plötzlich alles zum Schlimmen wendet. Aber jetzt fange ich von vorne an.
Es war Ostern und meine Eltern hatten natürlich noch Streit. Mama und ich standen morgens auf, als er noch schlief und schenkten uns etwas nach dem Frühstück. Später machten wir uns auf den Weg in die Stadt, um dort Essen zu gehen. Es war schön, wirklich ein schöner Mittag. Als wir wieder zu Hause waren, war es ca. 16:00 Uhr. Kaum waren wir beide oben in meiner Wohnung, kam er durch die Tür, sagte: „Frohe Ostern“, und ich erwiderte das Gleiche. Dann meinte er, dass er dringend mit Mama sprechen müsse, sehr dringend, aber alleine, wir würden dann später ein Gespräch zu dritt führen. Anfangs wollte sie nicht und schimpfte, dass alles, was er ihr sagt, auch ich ruhig erfahren soll und wenn er etwas zu sagen hätte, solle er es jetzt tun. Er ließ, wie es seine Art war, natürlich nicht locker und überredete sie, mitzukommen. Ich blieb oben, versuchte aber zu hören, was er im Wohnzimmer mit ihr sprach. Es schien ihm wohl schwerzufallen und meine Mutter meinte, er solle jetzt endlich zur Sache kommen. Ich konnte nicht hören, was er sprach, nur meine Mama, da sie ihre Stimme hob. Es dauerte vielleicht fünf Minuten, dann kamen beide hoch zu mir, da sie darauf bestand, dass er mir das alles sagen soll, was er ihr erzählt hatte. Damit fing alles an, dieser bittere Horror, von dem ich nicht mal zu träumen vermocht hatte.
Sie setzten sich auf die Couch, er fing an. Er wusste plötzlich alles. Das mit dem Ritzen, dass ich mich einer Lehrerin anvertraut hatte, was mir die Oma über meine Mutter erzählte, alles! Anfangs dachte ich, die Frau Rückbert hätte es ihm erzählt, aber heute, an Ostern? Nein, das konnte es nicht sein, außerdem unterlag sie der Schweigepflicht. Danach meinte er, die Mutter einer meiner Freundinnen hätte ihn angerufen und ihm alles erzählt, haarklein und dass das Mädchen wegen mir in psychiatrischer Behandlung wäre. Alle möglichen Freundinnen gingen mir durch den Kopf. Amelie? Oder Bettina? Yvonne etwa? Ich sortierte sie nach ihrem Wissen über mich aus. Manuela wusste zu wenig. Bettina erzählte es 100%ig nicht ihren Eltern, Yvonne wusste ebenfalls zu wenig, Isabel war im Urlaub. Amelie doch nicht etwa? Oder Lina, der ich E-Mails schrieb, über alles. Ich weinte währenddessen. Er erzählte und erzählte, auch dass ich Selbstmordgedanken hatte. Mir wurde es klar, er hatte also mein Tagebuch gelesen, alles, jedes einzelne Wort. Jetzt war es aus, vorbei, ich war am Ende.
Er sagte, er wolle mir helfen, ich müsse zum Psychiater und wäre krank und hätte ebenfalls kein Selbstwertgefühl und gegenüber jedem hätte ich Komplexe und wollte mir die Pulsadern aufschneiden, was nicht stimmt! Am liebsten würde er mich wohl einliefern lassen. Es sei zwar nicht leicht in unserer Familie und wenn sie beide zusammen wären, dann würden sie ja meistens betrunken sein, aber er hätte mir nie etwas getan, aber vielleicht die Mama, jedenfalls müsste man mir helfen und dass ich labil und nicht normal sei, kam auch aus seinem Munde. Er sagte es ziemlich ruhig, aber ernst, die Mama blieb gelassen, hörte sich alles an. Schließlich fragte er mich, was ich dazu sage oder ob ich dazu eigentlich etwas zu sagen hätte. Ich war geschockt. Er wusste alles, einfach alles, er machte mich runter, indem ich an allem Schuld war und zum Psychiater müsse. Ich weinte immer noch, bekam kaum Luft, mir war schwindelig und ich konnte nichts sagen, es ging nicht. Ich war überfordert, schockiert, das alles konnte doch nicht sein. Wie würde es weitergehen? Oh nein, die Mama? Sie würde mich hassen, ich wäre für sie auch verrückt, alles wäre zu Ende, aus, fertig. Dann weinte er sogar noch und ließ mich dann alleine mit meiner Ma. Ich weinte noch mindestens zehn Minuten, bekam nichts raus, obwohl sie mich immer wieder fragte, wem ich mich denn anvertraut hätte, welcher Lehrerin. Ich bekam keinen Ton raus, saß verstört auf der Couch, umklammerte meinen Teddybärli und überlegte, wie das alles sein konnte. Als ich endlich einige Wörter sprechen konnte, fragte ich, wieso er dass alles wüsste und dass sie es doch dann auch wissen müsste. Sie meinte, er hätte wohl mein Tagebuch gelesen, aber stellte mir natürlich weiterhin viele Fragen. Ich erklärte, was eigentlich Lügen waren, dass das mit dem Ritzen nur ein Brief wäre von einer meiner Freundinnen und ich ihn dort hineingeklebt hätte. Zur Frau Rückbert meinte ich, dass ich einmal zusammengebrochen wäre in Sport und bevor sie den Krankenwagen geholt hätte, habe ich ihr etwas erzählt, mehr nicht. Ich konnte ihr nicht die Wahrheit sagen, einfach so, das war zu hart für sie und für mich. Ich glaube, das ist das Beste gewesen. Zu den Freundinnen erzählte ich, dass nur manche etwas wissen, aber auch dies nicht genau. Meine Ma blieb ruhig und fasste es mit Verständnis auf. Sie war sehr wütend auf ihn, da er log, was sie natürlich annahm nach meiner Wahrheit und mich für verrückt hielt. Es stimmte nicht, dass ich verrückt war, innerlich wusste er wohl auch, dass er zum größten Teil daran schuld war. Ich prüfte gleich nach, ob Amelies Mutter angerufen hat, sie war es sicher nicht. Bettina auch nicht. Ich redete mit ihnen, mit der Bettina erst am nächsten Tag. Ich war froh und erleichtert. Amelie stand zu mir und stimmte mir bei allem zu. Später rief mich noch Frau Rückbert an, nur sehr kurz, es war ja Ostern und sie feierte auch. Sie fand alles nicht sonderlich schlimm, doch das war es wohl. Ich weinte den ganzen Abend. Er kam auch noch hoch, doch wir schlossen zur Sicherheit ab, sodass er nicht hereinkonnte. Er wollte mich sprechen, bzw. weiterhin fertigmachen, doch ich weigerte mich, er solle mich in Ruhe lassen, sagte ich. Dann drohte er noch, dass er mich keine Minute mehr alleine lasse und wenn es nötig sei, sogar mit dem Schlafsack auf dem Gang übernachte. Aber nach sehr kurzer Zeit ging er wieder runter. Ich weinte und weinte, mir war elendig, kalt und leer, so eine tiefe Hoffnungslosigkeit empfand ich noch nie.
Wir schauten noch bis ca. 11:00 Uhr fern, meine Mutter tröstete mich und sagte, dass ich mich nicht fertigmachen lassen solle. Später wollte er wieder zu uns, kam aber nicht rein, sagte aber nichts und ging sofort wieder. Ich hasse ihn, konnte die Nacht kaum schlafen und mein ganzer Magen war völlig verkrampft. Die Nacht über schlief die Mama bei mir, was mich etwas beruhigte.
Morgens ging der Terror weiter. Er ging in die Wohnung und ließ die Rollos hoch, daraufhin standen wir gleich auf. Meine Tagebücher konnte er jetzt nicht mehr finden, ich hatte sie noch am Abend zuvor im Schlafzimmer, wo wir uns ebenfalls einsperrten, versteckt. Meine Ma schrie ihn gleich an, was er wolle, ob er mich wieder fertigmachen wolle und ob er sich nicht schäme, einfach mein Tagebuch zu lesen. Ihn schien das kalt zu lassen und er bestritt es wieder, fing erneut von einer Mutter an, die ihn angeblich, auch noch an Ostern, angerufen haben soll. Dann kam ich und musste ihn einfach anschreien, dass er ja immer der Unschuldige sei, so wie immer und alle anderen die Bösen, wie auch sonst. Er fing an, mit mir ein „Gespräch“ zu führen, an der Tür zu meinem Wohnzimmer. Er stemmte die Arme auf seine Hüfte, stellte sich extra aufrecht hin und zog sein Kinn hoch, sodass er groß und breit wirkte und auf einen „herab“ sah. So machte er das immer, wenn er anfing, jemanden auf seine bösartige Art fertigzumachen. Ja, das war der reinste Nerventerror. Er wiederholte alles von gestern und meinte wieder, ich müsse zum Psychiater. Ich versuchte wirklich, mit ihm zu reden und ihm klar zu machen, dass er wohl weiß, dass er selbst daran schuld ist. Was ich in meinem Tagebuch schreibe, ist völlig okay, aber er redete immer dazwischen, ließ mich nie ausreden. Er wäre ja immer für mich da gewesen, ich hätte solche Komplexe und wäre auf jede meiner Freundinnen neidisch und auf die Lehrer auch, nach ihm habe ich ja gar keine Freundinnen mehr, weil ich ständig beleidigt wäre und Streit anfinge. Sicher doch, Herr Vater! Und dann erzählte er noch eine Geschichte, von vor fünf Jahren, als ich mit meiner damaligen Freundin Streit an meiner Geburtstagsfeier bekam. Tja, an so etwas erinnert er sich und macht einen mit den tiefsten seelischen Gedanken und Ereignissen, die nur mich etwas angehen, fertig. Dazu erzählte er noch einiges Gelogenes und fertig war sein Triumph, einen völlig zu zerstören.
Ich zählte ihm einige Ereignisse auf, wie zum Beispiel dieses Baseballkopf oder Matschkopf und Themen, bei denen er zu diskutieren anfängt, so wie bei allen anderen belanglosen Dingen auch. Einmal im Urlaub meinte er wörtlich, dass ich nur soviel wert wäre, um in die Mülltonne gesteckt zu werden und ihm nichts bedeute. Es sagte das einfach so, grundlos. Ich weiß noch, dass ich daraufhin aufstehen und auf die Straße rennen wollte, um mich einfach überfahren zu lassen, weil es so weh tat.
Ja, er drehte einem immer das Wort im Mund herum, egal was man sagte, ob es von der Schule, vom Wetter oder von irgendwelchen Unternehmungen war. Am Ende lief es immer darauf hinaus, dass es zur Diskussion kam, bis hin zum Streit, bis oft einer aufstand, was bisher immer Mama oder ich waren. Man hält es nicht mehr aus, man kann nichts sagen, muss aufpassen, doch es ist im Prinzip egal, er schaffte es immer.
Am Ende dieses „Gesprächs“ hätte ich ihn erwürgen können, oder erschlagen. Er hielt mich immer noch für psychisch krank, so wie meine Mutter es auch wäre, die ja an allem schuld sei und meine Oma auch. Er bestand darauf, dass ich zu einem Therapeuten gehe und dort mehrere Sitzungen habe. Ich meinte, es wäre okay, gut, dann kommt eben einmal alles heraus, was er mir und der Mama angetan hat und es wird etwas unternommen. Was er auch noch sagte, war, dass ich an seinem Leben, das kaputt und zu Ende wäre, schuld sei und wenn ich zu einem Psychiater gehe, dann gefälligst alleine und er will danach auch mit ihm reden. Endlich ging er, nachdem er anscheinend erreicht hatte, was er wollte. Während dieses ja so wunderbaren „Gesprächs“ fragte ich ihn, wieso er denn nicht einfach gehen könne, weg, abhauen, uns in Ruhe lassen, warum er immer und immer wieder kommt und einen fertig machen muss, grundlos. Er würde hier wohnen, ihm gehöre das Haus ja auch und außerdem sei er Erziehungsberechtigter. Gott, dass ich nicht lache!
Endlich war er weg, meine Mutter, die während all dem das Geschirr runterbrachte und unten aufräumte und ab und an bei seinen Lügen dazwischen rief, kam hoch und setzte sich mit mir auf die Couch. Ich musste wieder weinen, es war schlimm, ich empfand großen Schmerz, innerlich, als ob mich etwas erdrückte und gleichzeitig zerreißt. Ich hörte kaum, was meine Mutter sagte, sie wollte mich trösten und redete mir zu, dass ich nicht verrückt sei und er jetzt endlich das hat, was er wollte. Ich weinte und weinte, konnte nicht mehr, wollte nicht mehr, es war so hart, so schrecklich, alles zog sich in mir zusammen, es tat so weh, es war kalt, schmerzhaft und so bitter.
Wir schlossen nicht ab und wieder kam er rein, es nahm kein Ende. Er grinste uns an, richtig krankhaft und triumphierend, so sah er aus, wie ein Teufel. Er wollte noch etwas sagen, dass er 66 und nicht 67 sei und er würde dann gehen. Als er weg war, wollte meine Ma Essen kochen und ich telefonierte mit Bettina und Amelie und erzählte ihnen, was alles passiert war. Danach ging ich runter und meine Mutter schien die Sache mit dem Therapeuten nicht loszulassen. Sie war böse auf mich, da ich dort hingehen wollte, doch sie verstand nicht, obwohl ich oft versuchte, es ihr zu erklären. Sie dachte, ich wäre davon überzeugt, verrückt zu sein, aber ich wollte dem nur ein Ende machen, damit man uns vielleicht von hier wegholt und endlich einmal etwas passiert. Sie drehte sich von mir weg, meinte ich solle gehen, sie würde mich nicht brauchen. Ich erklärte weiter und fing wieder an zu weinen. Ich glaube, sie verstand es einfach nicht, aber sie hörte auf, beleidigt zu sein, denn das konnte sie mir nicht antun.
Doch er kam wieder, angetrunken, stellte sich vor die Küchentür und lauschte, so schien es. Ich machte die Tür auf und sah in seine hässliche, grinsende, besoffene Fratze, sah ihn böse an. Er sagte, dass wir nicht vor ihm weglaufen müssten. Ich meinte: „Ach ja? Aber ich glaube das schon.“ Ich sagte es wütend und machte die Tür vor seiner Nase zu. Kurz danach, als er im Keller war, gingen wir hoch und schlossen uns ein. Es war wie in einem grausamen Psychothriller. Doch es kam noch schlimmer.
Er kam wieder hoch, klopfte und klopfte, aber wir ließen ihn nicht rein. Er fragte, ob er sich von dem Braten etwas nehmen könne, seine widerliche Stimme machte mir Angst. Meine Mutter schrie ihn an, dass wohl das viele Essen nicht nur für uns sei und er wohl wüsste, dass er etwas davon essen solle, außerdem fragte er ja sonst auch nicht so blöd. Er ging anscheinend heulend wieder in die Küche und drehte völlig durch, er schrie und kreischte, es polterte und klirrte, anscheinend schlug er alles zusammen. Ich zitterte und wir beide waren still, ich hatte solche Angst, so etwas habe ich noch nie erlebt, es war so, als ob jemand aus dem Irrenhaus übelst ausrasten würde. Das Poltern und Schreien und Weinen ging ungefähr eine viertel Stunde, bis er sich ausgetobt hatte. Ein Glück, dass wir das Telefon bei uns hatten und falls er hochgekommen wäre, hätte hier getobt, hätten wir die Polizei gerufen. Es war unglaublich, wie krank er war, wie sehr das ausartete. Aber früher oder später wäre das sowieso passiert, jetzt da er immer hier ist.
Ich schrieb Amelie noch eine SMS, ansonsten passierte nicht mehr viel. Meine Ma ging kurz runter auf die Toilette und fand einen Zettel, er wolle einen Hungerstreik antreten und wäre in 14 Tagen tot, das war so lächerlich, er hielt es natürlich nicht ein. Den Zettel habe ich aufgehoben, wie wirr er das geschrieben hat.
Später rief mich Frau Rückbert an, doch ich konnte nicht reden, da ja meine Mama bei mir war. Der Abend war gedrückt und nachts konnte ich kaum schlafen, wachte auf und weinte. Es war schlimm.
Übrigens brach er noch am Nachmittag und zwischendurch hörte man immer so ein piepsendes Geächze von ihm, ich war so wütend, so niedergeschlagen, wieso war das passiert, warum konnte er mich jetzt nur mit meiner eigenen Seele zerstören, doch er war verrückt, es war Psychoterror, wie man es vielleicht aus Filmen kennt, so übel und grauenhaft.
Den nächsten Tag kam er wieder hoch, nachdem er telefoniert hatte und erzählte , sein Ostern wäre schön gewesen und es hätte Eier mit Senf und Majo und allem drum und dran gegeben und er, er hätte sie alle gegessen. Was war das für ein kranker Mensch! Wir versteckten uns vor ihm, ich hinter der Badezimmertür, sie hinter dem Kachelofen, dann ging er wieder. Ein Glück, dass er uns nicht sah. Wir frühstückten schnell. Die Küche war nicht so verwüstet, wie wir gedacht hatten, die gesamte Tischdecke war voller Soße, der Boden ebenfalls und die Ablagen auch, das was er heruntergeworfen hatte, war bereits aufgekehrt, es war nur ein Teller. Außerdem war erstaunlicherweise nichts zerstört. Aber er kam wieder, wie immer. Wir zogen uns schnell an und fuhren zur Bank nach M., wegen meinem Geld, damit er damit nichts machen konnte, wollten wir so einen ganzjährigen Vertrag einrichten. Leider war das nicht möglich, da die zuständige Person nicht anwesend war. Danach fuhren wir nach A. Wir liefen zu dem Kloster und aßen dort, liefen wieder zurück und Mama kaufte sich ein paar Schuhe, es war, sehr, sehr schön. Wir redeten über den Teufel, über eine Scheidung, was alles sehr schwer war und über meine Selbstmordgedanken. Meine Ma war besorgt, aber eigentlich ging das nur mich etwas an. Morgens fand sie im Keller noch etwas Geschriebenes von ihm, es war aber kein direkter Brief an uns. Sie kopierte es und es war sehr heftig, es handelte von ihm, dass er nicht mit sich klarkommt, an Depressionen leidet und nicht frei sein kann.
Als wir zu Hause waren, schnitt er draußen die Äste ab und machte einen ganzen Baum weg, was eigentlich absolut nicht nötig gewesen ist, der arme Baum. Gott, ich hasse ihn, soll ihm alles Elend wiederfahren, anders verdient er es nicht.
Morgens klingelte es kurz bei uns, wir machten aber nicht auf. Es waren ein Mann und eine Frau, sie sahen aus wie meine Oma und ein Bekannter von ihr. Bei allem Grauen hier war ich nicht dazu gekommen, ihr frohe Ostern zu wünschen. Ich rief sie kurz an, erzählte es ihr. Sie machte mir Mut und war traurig, dass ich nicht zu ihr kommen konnte, wegen meiner Familie. Ich hoffe, sie macht sich nicht allzu große Sorgen um mich, ich habe sie so lieb, ich wünsche, dass sie noch lange gesund lebt. Jedenfalls telefonierte ich noch mit Amelie und mit Bettina, da ich für meinen Computer nämlich dringend ein Passwort brauchte, damit sonst keiner meine Unterlagen liest.
Später kam der Teufel wieder hoch, fragte, wo seine Ebel Uhr sei, ob einer von uns sie genommen hätte. Ich war es sicher nicht, die Mama stritt das auch ab, aber sie war ihr heruntergefallen, an dem Tag, als er mich derart fertiggemacht hatte und das Glas war jetzt kaputt. Nun ja, der Abend war ruhig, die Rückbert rief mich an und ich erzählte ihr alles in meinem Schlafzimmer. Doch mein Herr Vater hörte das und machte die Küchentür unten auf, um zu hören, was ich da wohl erzählte. Aber gut, sollte er das ruhig. Sie war erschrocken, als ich ihr alles erzählte und war stolz auf mich, dass ich so stark sei und meine Mama auch. Sie wunderte sich, wie auch ich , dass sie es so lange ausgehalten hat und sich nicht scheiden ließ, doch wir verstanden das auch, es war schwer, mit dem Haus, wegen mir, dem Geld und sie war wohl nicht so stark, das zu tun. Außerdem hatte sie wohl Angst, dass er sie wieder schlägt oder würgt oder versucht mit einem Kissen zu ersticken, wie das schon einmal der Fall war. Es ist so traurig, ich liebe meine Mutter so, so sehr, ich werde niemals einen Menschen mehr lieben als sie. Ich hoffe, dass es ein gutes Ende finden wird, irgendwann ist es vorbei, dann beginnt ein neues Leben!
Tagebuch vom 30.03.–06.04.05
Am nächsten Morgen fanden wir einen Brief, bzw. Zettel von ihm, wir seien Verbrecher und er hätte die Uhr in einer Vase gefunden. Anscheinend hatte sie meine Mama doch mit Absicht zerschlagen. Nun ja. Sie gab es dann auch mir gegenüber zu, denn sie war so wütend gewesen, als er mich derart fertigmachte, dass sie es an seiner Uhr auslassen musste. Er hatte sie gefunden, wer suchet, der findet, wie auch mein Tagebuch.
Als wir Nachmittags wieder zu Hause waren, nachdem wir eingekauft hatten, da schlechtes Wetter war, ging der Terror aber weiter, nur gut, dass wir abgeschlossen hatten. Er klopfte an die Tür wie ein Irrer, als ob er die Tür einschlagen wollte. Er wollte wissen, wo der Nylonfaden von seiner Uhr ist. Er hörte nicht auf, sein Klopfen wurde zum Schlagen, er brüllte wieder. Meine Mutter schrie ihn an, er solle sich seinen Faden in den Arsch schieben und verschwinden. Es ging wieder los, er fing an, sie wieder einmal zu beschimpfen, sie wäre verrückt und nochmals verrückt und bräuchte einen Psychiater. Er hörte nicht auf, er schlug gegen die Tür, rastete aus. Sie zeigte ihm durch das Glas an der Tür, dass sie gleich die Polizei rufen werde, wenn er nicht aufhört. Sie wählte schon und meinte, sie müsse nur noch auf den grünen Knopf drücken. Es ließ ihn vielleicht nicht kalt, doch er sagte, die Polizei könne sie ja dann auch gleich mit einsperren und abführen. Das Geschrei ging weiter und weiter, dann wurde ich wütend und hatte natürlich Angst, zitterte am ganzen Körper, ich schrie ebenfalls, dass er krank sei und er es genau wüsste, dass es so ist und er endlich gehen solle. Dann beschimpfte er mich als scheißblödes Rattenkind, er sagte das mehrmals, danach ging er und redete vor sich hin.
Später musste ich noch meine Brille abholen gehen, ich hatte Angst davor runterzugehen, aber er machte nichts, saß nur in der Küche und schrieb wieder etwas. Wir redeten noch einige Zeit mit dem Optiker, fuhren dann nach Hause, ich telefonierte noch mit Amelie und duschte. So war es und ansonsten passierten noch Kleinigkeiten.
Wieder saßen wir da, hatten Angst, taten nichts, hörten, der Horror war wieder geschehen, er hatte wieder alles zerstört, alles niedergemacht, die Hoffnung beerdigt, einfach so, wie immer eben, so war es, leider. Später schrieb er noch zwei Zettel, dass wir verrückt wären, wie auch anders und Lügner seien und er angeblich die Uhr im Labor untersuchen hat lassen, dass sie mit Gewalt zerstört worden ist und so weiter. Er schrieb wörtlich: <Es wurde von einem Fachbetrieb festgestellt, daß die Uhr mit Gewalt zerstört wurde, sh. Gutachten. Das Zifferblak, die Zeiger u. die Fassung sind so beschädigt daß. die Uhr Schrot ist. Ein auf die Erde fallen hätte nie so einen Schaden angerichtet. Mit Haß. u Gewalt wurde wieder Vermögen zerstört.> Bei diesen Zetteln fehlten immer Buchstaben oder sie waren falsch geschrieben, Punkte wurden falsch gesetzt usw. Man sah richtig, dass er krank war.
Der Rest des Abends verlief ruhig, ein Glück. Wieder weinte ich nachts, es war so hart, der Schmerz ließ nicht nach, es war so schlimm, so grauenhaft, keiner konnte helfen, keiner, es war still, ich war einsam, so alleine, einfach so, keiner war da, keiner konnte mein stummes Schreien hören. In der Nacht ging ich einfach ins Wohnzimmer, dort fand ich vielleicht mehr Ruhe.
Manchmal, wenn ich leise war und dort schlief, konnte ich das Atmen hören, ich weiß nicht was es war, Einbildung? Es war beruhigend, als ob Geister oder Engel dort wären und einen bewachen würden, als ob sie alles sehen und einfach bei einem sind, egal was passiert, sie waren da, es war komisch, unheimlich, aber es gab etwas Kraft und Hoffnung.
Wir fuhren dann am 31. in den Zoo und es war sehr schön. Besonders eine Giraffe, Marvin, sie war noch drinnen in einer Art Stall. Sie sah einen an und alles Leid und die Trauer spiegelte sich aus meiner Seele auf ihren Augen, sie waren groß und dunkel, schwarz, aber auch sanft. Er beruhigte mich und irgendwie schien es, als ob er wüsste, was passiert sei, vielleicht konnte er es ja in den Augen sehen. Es war magisch und so hoffnungsvoll. Also ob mir die Giraffe sagen wollte, dass alles gut wird, dass ich es schaffe und nur Geduld haben muss. Ich musste fast weinen, es war so schön und traurig zugleich. Ich denke, ich werde sie immer in Erinnerung behalten, so ein liebenswertes und schönes Tier. Der Tag war in Ordnung, wir bekamen zwar wieder Zettel, aber ich weiß schon gar nicht mehr, welche Zettel er wann geschrieben hatte, es waren so viele.
Am Tag darauf war er wieder weg, gut so. Es war der 1. April. Wir fuhren ins V. Tal, liefen nach Ö. hoch. Es war ein wenig kühl, aber schön, ich machte Fotos, einfach wunderbar, der Nebel ging auch wieder weg und es war eine sehr lange Tour. Am Abend war ich äußerst müde, konnte gut schlafen und war unglaublich froh, dass nichts mehr passiert ist.
Dann, am nächsten Tag, ging meine Mutter einkaufen, wie langweilig, ich hasste das, ich konnte mir anhören, wie blöd ich aussah, super, ganz nett, ich hätte weinen können, spießig, konservativ, farblos und langweilig, dann war ich noch angeblich schlecht gelaunt, klar, man kann mich ruhig vor der Verkäufern schlecht machen, kein Problem. So nett konnte meine Mutter sein. Aber okay, es sei ihr verziehen, jeder Mensch hat ja Fehler.
Mittags gingen wir essen, es war schön und danach durfte ich sogar zur Amelie. Wir liefen in K. durch die Stadt, aßen Eis und hatten Spaß. Außerdem sahen wir noch zwei Jungs vom Tanzkurs, Benno und Helmut, na ja. Abends wurde ich dann wieder um sieben Uhr abgeholt. Der Tag fing zwar weniger schön an, wurde dann aber doch noch gut, zum Glück. Mit Amelie redete ich auch über die Julia und alles klärte sich, sie ersetzte mich nicht etwa und nervte Amelie verständlicherweise auch etwas. Ich war beruhigt.
Sonntags fuhren wir nochmals an die A., ich machte wieder Fotos, es war immer noch angenehm. Ich genoss es einfach, irgendwie hatte ich den Eindruck, dass es das letzte Mal war, komisch. Später kamen wir dann nach Hause, er war wieder weg und kehrte später heim. Wie sehr ich ihn hasse, kann ich kaum beschreiben. So ein Monster, ein Teufel: Etwas derart Böses gehört eingesperrt. Ich freute mich schon auf mein Praktikum, war aber auch aufgeregt, hoffentlich wird es schön werden.
Von Montag bis heute, Mittwoch war ich also im G. Haus, sozusagen als Kindergärtnerin. Es war bisher sehr, sehr schön, die Kinder sind von zwei bis fünf Jahre alt und wirklich ganz lieb und süß, vielleicht mit ein, zwei Ausnahmen. Es macht mir dort sehr, sehr viel Spaß, vielleicht muss ich ja doch nicht die große Karriere machen wegen dem Geld, vielleicht werde ich doch Erzieherin, es macht einfach so viel Spaß und erfüllt einen rundum. Die Kinder sind mir jetzt schon ans Herz gewachsen. Sie sind so liebenswürdig und ich glaube, sie mögen mich auch. Sie lachen, spielen und essen mit mir, alles läuft im Gegensatz zu unserem Leben so schön harmlos und friedlich ab. Mit allen dort komme ich sehr gut klar, das freut mich. Die Kinder kommen oft zu mir und heute haben fast alle nach mir gerufen, wollten fangen spielen, auf der Schaukel angeschubst werden, Roller fahren oder im Sandkasten Kuchen backen. Ja, es ist oft anstrengend und manchmal gehorchen sie nicht richtig, aber das macht mir gar nichts, da es für mich dort einfach eine Wohltat ist. Vielleicht ist es für einige schwer zu verstehen, aber ich genieße es dort, denn es ist einfach ganz anders und man fühlt sich in einer Gemeinschaft geborgen und für die Kinder verantwortlich. Es ist eine schöne Verantwortung und wenn ich sehe, dass die Kinder lachen und sich freuen, dann freue ich mich mindestens genauso.
Dienstag Abend suchte ich noch nach Michael Buble im Internet. Und oh Wunder, ich fand ihn, schrieb ihm sogar eine Nachricht, hoffentlich kommt sie an und wer weiß, evtl. schreibt er mir ja zurück, denn so berühmt ist er noch nicht. Aber okay, das ist alles so unsicher, daher sollte ich mir nicht allzu große Hoffnung machen, damit finde ich mich ab.
Jetzt aber zu etwas Ernsthaftem, etwas Traurigem, etwas, dass wieder sehr weh tut und schwer für mich ist, was wahrscheinlich für jeden schwer wäre. Heute holte mich meine Ma um zwei Uhr vom Glückshaus ab und ich war wirklich erschöpft, aber glücklich. Sie erzählte mir, dass mein ach so netter Vater uns das Konto gesperrt hat, einfach so, ihre Karte ist also ungültig. Das heißt, sie kann kein Geld mehr abheben und somit auch nichts mehr kaufen. Fazit: Wir stehen mehr als nur blöd da, wie gesagt einfach so hat man uns den Hahn abgedreht, der Horror ging mal wieder weiter, kein Wunder bei so einem bösen Menschen. Zum Glück hatte meine Ma ihr Konto abgesichert, aber was war mit meinem? Es würde erst im März gesichert werden, für ein Jahr, noch ein Monat. Ich machte mir sorgen, war so wütend, ich musste weinen, ich will es einfach nicht begreifen, dass man so etwas machen kann, erst einen völlig seelisch zerstören, dann einem noch all das Geld wegnehmen, von dem man leben muss, wie kann man nur so böse sein, ich verstehe das einfach nicht. Meine Ma rief dann bei der Bank an, ob man was machen könnte, dass er nicht einfach alles auch noch von meinem Konto abhebt. Tja, man konnte nichts machen und leider konnte der Zuständige auch nicht im Computer nachschauen, ob er denn schon alles abgehoben hat, der Computer war nämlich defekt, ganz toll. Erst am nächsten Tag können wir also etwas machen, sprich alles abheben. Aber es war noch etwas geschehen, etwas, dass wohl mein Leben ganz verändern wird und das meiner Mama auch, sie lässt sich jetzt scheiden. Sie hat schon bei der Rechtsanwaltskammer in A. angerufen, da dort spezialisierte Anwälte arbeiten vermitteln, leider war auch dort niemand, aber es gibt ja noch einen anderen Tag. Sie will sich jetzt scheiden lassen, ja das ist ihr Wille, ein Glück, ich bin erleichtert, sogar sehr, all diese Jahre in der Hölle, nicht nur für mich, sondern auch für sie, sogar noch länger. Sie ist jetzt auch der Überzeugung, dass es so nicht weitergehen kann, sie ist sich jetzt im Klaren, dass es ein Ende haben muss. Endlich. Es wird, denke ich, hart und auch schwer, wegen dem ganzen Geld, dem Haus, es ist eine schwierige Sache, kompliziert, doch sicher ist, dass wir nicht einfach mit leeren Händen dastehen werden, wir werden kämpfen, wir haben unser ganzes Leben lang gekämpft und werden jetzt nicht aufgeben, im Gegenteil, wir werden siegen, wenigsten ein Mal, es wird so sein, es muss so sein. Falls etwas ist, habe ich ja noch meine Freunde und Lehrer, die gegen ihn aussagen können, bzw. werden, das ist schon mal eine gute Sicherheit. Ich habe einfach die Hoffnung, dass wir es schaffen und die Oma haben wir auch noch, ein Glück, Gott hat uns also doch Engel geschickt, kleine Engel, die uns helfen, danke dafür, danke.
Heute waren wir noch beim Optiker, meine Kontaktlinsen waren endlich da, ich habe mich sehr, sehr, sehr gefreut! Das Anprobieren und wieder Herausholen waren wirklich nicht gerade schön und ich gebe zu, dass ich etwas genervt war, da es nicht geklappt hat und ich mehrere Anläufe gebraucht habe. Zu Hause probierte ich sie dann noch mal an und es ging etwas besser. Ich ließ sie über eine Stunde drin, es war etwas merkwürdig, ich hatte ein ganz anderes Gefühl, jemand der keine Brille hat, kann sich das wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie man dann die Welt sieht. Alles war nämlich mit Linse größer und weiter.
Ich freue mich schon auf morgen, meinen vorletzten Tag im G. Haus und mein Vater ist auch nicht da, ebenfalls etwas Gutes. Ich telefonierte noch mit Amelie, schaute mir Charmed an und ging dann ins Bett. Jonas schrieb mir auch noch, überraschenderweise. Ihm geht es nicht gut, er meinte, er hätte Probleme, über die er nicht reden möchte, na ja, auch gut, dann nicht. Irgendwie nervt er etwas, dennoch mag ich ihn, liebe ihn aber definitiv nicht mehr, bzw. nicht. Ich bin mir nicht sicher: Habe ich ihn jemals geliebt? War das vielleicht nur jemand, an den ich mich klammern wollte, von dem ich mir Halt und Geborgenheit wünschte, vielleicht sogar völlige Aufopferung in Sachen Liebe? Ich weiß nicht, aber ich glaube, es war wohl so.
Mal schauen, wie der nächste Tag wird, die Hoffnung darf nie verloren gehen, nein, niemals.
Tagebuch vom 07.04.05
Der Tag war ganz in Ordnung. Im Glückshaus war es heute nicht so schön, wie in den vergangenen Tagen, aber trotzdem hat es mir gut gefallen.
Es ist sonst nicht besonders viel passiert. Meine Nachhilfelehrerin war heute da und ich habe etwas mit ihr geklärt, was wichtig war. Wir redeten auch noch über die heutige Gesellschaft, ich denke, sie ist eine intelligente Person und weiß viel, hat eine gute Ansicht über Dinge und hat den Willen Gutes zu tun, das schätze ich immer an Leuten. In Mathe ging es auch gut, ein Glück, dennoch ist es mir immer noch nicht besonders wichtig. Übrigens habe ich einiges über den Beruf Erzieherin erfahren, von meiner Lehrerin, da ihre Schwester das macht. Es ist wirklich interessant. Ich denke, dass ich das sehr gut machen würde, hätte mit Sicherheit großen Spaß und könnte mit Kindern oder Jugendlichen zusammenarbeiten, ihnen helfen, das, was ich doch immer machen wollte. Der einzige Haken an der Sache ist, dass die Bezahlung leider schlecht ist. Aber was ich hier in meiner Familie gelernt habe ist, dass Geld nie und nimmer die Welt ist. Wenn man wirklich glücklich sein möchte, dann muss man das machen, was einen erfüllt und nichts anderes.
Ansonsten hatte ich die Kontaktlinsen heute für fünf Stunden drin, hab sie erstaunlich schnell rein und wieder raus bekommen, ganz allein natürlich und jetzt tut mir mein empfindliches rechtes Auge etwas weh, aber okay, daran muss es sich wohl gewöhnen.
Etwas traurig ist es schon hier. Vielleicht kommt der Teufel heute, hoffentlich nicht. Meine Mama hält schon ständig Ausschau, für sie ist es, denke ich, besonders schwer, leider, ich glaube ich kann ihr nicht viel helfen, aber die Hauptsache ist, dass wir jetzt endlich unser Leben in den Griff bekommen nach all den Jahren, dass sie etwas findet, was sie verloren zu haben scheint und das ich etwas finde, das meine Bestimmung ist und ich denke, dann wäre unser Leben erfüllt, nach all dem was passiert war, all die Jahre.
Er hat sie geschlagen, schon als ich ein Baby war, er hat sie runtergemacht, so wie mich, sie haben ihre ganze Ehe lang nur gestritten. Ich musste miterleben, wie er sie schlug, als ich noch klein war, bis jetzt, wo ich eine Jugendliche bin. Ich musste es mir bieten lassen, ständig still zu sein, in der Hoffnung, dass es keine Diskussion gab, die er wieder anfing, die zum Streit führt. Ich musste leider auch die Aggressionen meiner Mutter miterleben, da sie ja niemanden hatte, aber das verzeihe ich ihr, ich weiß wie schwer sie es hatte, ich weiß es. Es ist so traurig, bis man endlich den Mut fasst und sich von jemandem loslösen kann, der so böse ist. Ich kann es verstehen, auch wenn es schwer zu erklären ist und Außenstehende das nicht verstehen können, jedenfalls meistens. Es ist mir egal, ob wir dann weniger Geld haben, es ist mir egal, ob die Leute evtl. über einen sprechen, es ist mir so egal, Hauptsache wir sind endlich weg von hier, freier, glücklicher, ich bin fest davon überzeugt, dass wir dann ein schöneres Leben haben werden, ganz fest.
Gott oder irgendeine fremde Macht, Engel, gute Geister, liebe Menschen, wer auch immer, mögen sie uns beistehen und helfen, ich bete dafür, bitte, lass es kurz sein, schnell zu Ende gehen und vor allem gut werden, ich flehe so sehr darum und hoffe, hoffe und hoffe, es soll gut werden, bitte!
Tagebuch vom 08.–11.04.05
Freitag: Mir fiel es sehr schwer, Abschied zu nehmen vom G. Haus, ich habe die Kinder dort wirklich sehr lieb gewonnen, vor allem die Astrid. Ansonsten fiel nichts Besonderes vor.
Samstag und Sonntag: Den einen Tag blieben wir zu Hause und den anderen sind wir wandern gegangen, aber nur hier, wegen dem Benzingeld. Mein Vater war seit Freitag auch wieder da, leider, ein Glück, dass auch am Wochenende nichts vorfiel.
Zu heute, Montag: Irgendwie freute ich mich auf die Schule schon sehr, sehr arg, aber nicht auf meine Noten, zurecht. Jedenfalls konnte ich die Nacht nicht gut schlafen, mal wieder, meine Mutter störte, ich stand zweimal auf, lag wach im Bett und dachte viel nach. Die Scheidung beschäftigt mich schon sehr. Nicht der Gedanke, dass sie auseinander sind, oder dass ich ihn nicht mehr sehe, nein gewiss nicht. Es war das Geld, das Haus, in Zukunft mit wenig Geld auszukommen. Es gibt so viele Probleme.
1. Das Haus gehört zwar mir, aber ich kann es erst verkaufen, wenn ich 18 bin und das dauert, solange können wir das Haus nicht alleine unterhalten, da es so groß ist und viel zu viel kostet. Außer ich würde mir einen Vormund aussuchen, der praktisch die Verantwortung für das Haus und auch den Verkauf übernimmt, aber möglichst niemand aus der Familie, bzw. Verwandtschaft. Wichtig wäre dabei auch, dass ich vollstes Vertrauen in denjenigen habe, dass er, auf Deutsch gesagt, keinen Scheiß baut. Aber ich kenne da niemanden, außer der Frau Rückbert, aber wie sollte ich das meiner Mama erklären, fast unmöglich und würde die Rückbert das überhaupt machen wollen? Tja großes Problem, denn solange wir das Haus nicht loshaben, ist es finanziell schlecht, nach einer neuen Wohnung zu schauen.
2. Meine schlaue Mutter hat bei der Eheschließung, falls es zu einer Scheidung kommt, auf Unterhalt verzichtet und eine Unterschrift ist schlecht rückgängig zu machen. Der einzige Vorteil dabei, sie war schwanger, aber ob das was hilft?
3. Man weiß nicht, was mit meinem Geld passieren wird, wie gesagt, da ich noch nicht volljährig bin, daher kann es sein, dass er ein Teil meines Geldes von meinem Konto bekommt, somit wären wir wieder ärmer.
4. So eine Scheidung kostet meine Ma viel Geld und der Termin ist erst in 14 Tagen und sie meinte, was wohl richtig ist, dass so eine Scheidung über ein Jahr dauert.
5. Meine Ma ist schon bald 50 und es ist schwer, einen Job zu finden, der nicht gerade Putzfrau ist, sondern etwas einbringt und irgendwie muss ja Geld in den Haushalt.
So, das sind die fünf größten Probleme, einige kleinere gibt es natürlich auch noch und was machen wir jetzt? Keine Ahnung, genau, Scheiße, verdammte Scheiße. kann ich da nur sagen.
Aber jetzt zum heutigen Schultag. Ich hatte meine Kontaktlinsen drin und es lief ganz gut, ich merke, dass sie mich auch selbstbewusster machen, immerhin. Ansonsten war der Tag nicht so schön, obwohl ich gut gelaunt war. In W. und R. eine 2, okay, damit bin ich zufrieden, in Erdkunde eine 4, super meine schöne 1 ist weg, stehe jetzt auf einer 2, das war echt erniedrigend, aber okay, jetzt kommt es, in Mathe, die übrigens 4,5 im Schnitt ausgefallen ist, hatte ich, oh großes Wunder, eine 5, tja, ganz Klasse und das Beste daran war, dass ich ewig viele Leichtsinnsfehler gemacht habe, ich könnte mich dafür schlagen – grrr! In der Schule konnte ich mich zusammenreißen, aber im Auto musste ich dann weinen, alles kommt einfach zusammen, wie auch anders.
In Ethik sprachen wir heute über den Tod, es war sehr interessant, wir mussten so einige Fragen beantworten, für uns selbst und diese waren sehr persönlich, man konnte sich dazu äußern, musste aber nicht. Ich habe mir überlegt, was wäre, wenn ich gesagt hätte, ich wollte mich schon einmal umbringen und hätte auch nichts groß gegen einen zufälligen Tod, da mein Leben sowieso bescheiden ist. Okay, ich hab es gelassen, klar. Der Herr Blau meinte auch, dass die Angst vor dem Tod auch dadurch bedingt sei, ob man schön gelebt hat oder ein schweres Leben hatte, sodass dann der Tod die Erlösung ist, ich glaube bei mir ist das jetzt schon seit fast vier Jahren so und davor dachte ich einfach nicht daran, war aber trotzdem unglücklich, aber irgendwann sucht der Mensch solange nach Lösungen für seine Probleme, bis er – meistens – eine findet, bei mir eben der Tod, traurig, aber wahr.
Zu etwas anderem, Wichtigerem, ich habe gestern ein System in meinem „Sehen“ gefunden. Die Dinge die ich voraussehe, passieren ca. fünf bis sechs Jahre später, damit meine ich Katastrophen, wie Kriege oder Anschläge und auch die Flutkatastrophe. Das heißt, 2006 und/oder 2007 wird etwas Schlimmes passieren, soweit ich mich da nicht verrechnet habe. Jedenfalls geht eine Art Bombe hoch und die Menschen werden rundum einfach ausgelöscht, sie können nichts dagegen machen, stehen einfach da und es kommt, ich habe dieses Bild, diese Vision schon lange, es ist so schlimm, es hört nicht auf, es wird nicht aufhören, bis es geschehen ist. Genauso wie das mit dem 11. September, ich nahm einen Sticker in die Hand, darauf war die amerikanische Flagge und ich sah eine Art Zerfall eines großen Gebäudes, wie eine Explosion, als ob jemand etwas sprengen würde. Ich spürte den Schmerz, das Leid, einfach so, immer und immer wieder, es kam immer wieder, dieses Gefühl und als der Tag gekommen war, fühlte ich nichts mehr, gar nicht und dann, dann passierte es, einfach so und ich machte mir Vorwürfe, dass ich nicht an mich glaubte, dass ich dachte, dass es einfach Einbildung gewesen sei, aber das war es nicht. Nur, ich merkte das zu spät. Als ich die Bilder sah, war ich gar nicht so sehr geschockt, weil etwas in mir kannte es schon, war irgendwie darauf gefasst, aber dieses Schuldbewusstsein war einfach schlimm.
Dann träumte ich viele Nächte lang immer fast den gleichen Traum, das ging jahrelang, ich stand an einem Strand, es war heiß, ich sah noch die Palmen und dann plötzlich kam eine riesige Welle, sie zerstörte alles um mich herum, nur ich war dagestanden und mir passierte nichts, ich schaute praktisch zu. Oder die Welle kam im Traum einfach und ich spürte auf einmal die ganze Angst und den Hass und die Verzweiflung der Leute und die Gefühle waren so stark, als die Welle kurz davor war, mich zu erfassen, wachte ich auf und fühlte große Angst und Verzweiflung, die in dem Traum, als ob sie einfach nicht verschwinden will. Dann, nach ein paar Jahren, hörte der Traum plötzlich auf, es war im Sommer und dann im kommenden Dezember passierte es, die Flut. Ich sah den Strand, ich sah die Palmen und ich sah, dass es dort schönes Wetter war, es war wieder wie eine Schuld, die auf mir lag.
Doch das Schlimmste kommt noch, eine Vision, die groß ist, größer als das, was bisher war, sie ist schrecklich, einmal schlief ich ein und dann sah ich es, es war schwarz-weiß und das Land war flach, es war eine große Stadt, aber trocken, die Menschen standen dort und diese Art von Welle kam ihnen näher und näher und löschte alles aus, fast wie eine Atombombe. Allerdings glaube ich, dass diese Waffe die Menschen tötet und nicht die Gebäude zerstört.
Es ist unbeschreiblich, es ist, als ob man in sich selbst gefangen wäre, als ob man diese Gefühle, die Angst und das Leid so stark fühlt, dass man zerplatzt, schreien will. Nur, was soll ich damit machen? Aufhalten kann ich das wohl nicht, dazu bin ich zu jung und keiner würde mich ernst nehmen, vor allem nicht die Regierung oder sonst welche hohen Tiere. Kaum einer kann sich das vorstellen, wenn man es so jemandem erzählt, vielleicht schenkt er einem Glauben, vielleicht versteht er es sogar, aber richtig nachempfinden, richtig begreifen, nein, ich glaube, das können nur diejenigen, die auch so etwas haben, oder können. Oft könnte ich einfach mit jemandem stundenlang darüber sprechen, aber da komme ich mir etwas blöd vor, muss ständig daran denken, wie der Andere das jetzt auffasst, nur der Amelie kann ich so etwas sagen, ich denke, sie versteht es am meisten, wenigsten eine Person, auf die ich mich immer verlassen kann und hoffentlich auch immer werde.
Jetzt werde ich mir noch etwas Musik anhören, dann fernsehen und bis dahin ist sowieso mein Vater schon gekommen, das heißt, meine Ma ist dann wieder bei mir, na ja, oft wäre ich gerne allein, aber es ist schon okay, nur ich weiß nicht, wie ich das mit dem Schlafen hinbekommen soll, HILFE! Ich habe einfach keine Lust mehr, ehrlich, aber okay, ich lebe weiter!
Tagebuch vom12.–13.04.05
Zu Dienstag: Der Tag war eigentlich ganz in Ordnung, wieder unter meinen Mädels zu sein baut einfach auf und wir machen viel Scheiß, das tut immer gut. Ansonsten ging es mir gestern weniger gut. Vielleicht war es wegen der Schule und auch wegen meiner Mutter, ich sehe, dass sie leidet, dass sie es unterdrückt, ich fühle es, das ist bei mir wohl so angeboren, tja, ich kann das nicht abstellen. Gestern kam ein Krimi, in dem es um eine Drogenabhängige ging, die sich spritzte und dabei dachte ich an mich, nicht dass ich mich jemals gespritzt hätte, aber eben an meine Sucht, das Ritzen. Es kam wieder hoch, natürlich machte ich nichts. Ich dachte, ich wäre über den Berg, aber nun ja, war wohl nichts, mir wurde wieder kalt, ich begann zu zittern und wurde aggressiv. So war das ja immer. Aber ich hätte auch ins Bad gehen können, um mir dort was anzutun, aber mein Wille war größer, ich habe es wieder gelassen, ein Glück! Ich bin im Nachhinein sehr froh darüber. Die Nacht schlief ich anfangs nicht gut, wahrscheinlich wegen der Entzugserscheinungen, anders kann ich das nicht nennen und auch wegen Deutsch, verdammte Prüfungsangst. Am nächsten Morgen, also heute, Mittwoch, ging es wieder weiter, ich fing an zu zittern, kurze Schweißausbrüche, Zittern und Aggressivität. Ich überlegte, ob ich es machen sollte, vor Deutsch, so dass ich eine bessere Note bekommen, ließ es aber wieder. Der Berg war für einige Zeit überwunden, mal wieder. Deutsch lief dann ganz gut, denke ich zumindest, ich würde mir eine Zwei darauf geben, es muss doch einfach klappen!
Grade ist es eben wieder so, ich zittre, fühle mich ziemlich schlecht, ich denke, keiner kann mir helfen, ich muss es alleine durchstehen. Ich habe es jetzt schon so lange geschafft, kurz nach Weihnachten, bis jetzt, das ist eine lange Zeit und ich will das jetzt endlich beenden. Doch sobald ich in die Schule gehe, oder irgendetwas im Fernsehen über Sucht sehe, ist mir aufgefallen, kommt es wieder. Es ist ein Scheißgefühl. Ja, der Zwang ist eben da und diese ganzen „Symptome“ sind leider nicht abzustellen. Amelie meinte, dass ich es schaffen würde, sie glaubt an mich, ich glaube die Frau Rückbert auch und die Bettina, alle anderen wissen nichts mehr davon. Ist auch besser so!
Lina und ich schreiben uns keine E-Mails mehr, ich weiß auch nicht, mir fehlt das nicht einmal, ich hoffe, dass sie mir deswegen nicht böse ist. Und mit Bettina rede ich auch grade etwas weniger, ich „sehe“, dass sie das nicht so toll findet und das wiederum stört mich. Ich würde es gerne allen recht machen, aber das klappt nun einmal nicht. Na ja, wenn andere wüssten, wie unrecht sie es mir machen, aber gut, ich bin ja nicht so – glaube ich zumindest – grins!
Ich mache mir grade einfach so viele Gedanken, ich bin wütend, kann aber nicht weinen, versuche immer, mich selbst aufzuheitern, es gelingt, aber unterdrückt leider diese schlechten Gefühle. Ich kann kaum beschreiben, was ich jetzt empfinde. Es ist Zorn und Verzweiflung, so als ob man laufen würde und nicht weiterkommt. Ich mache mir Gedanken um die Schule, Erdkunde, Chemie, Deutsch, Französisch, Mathe, Englisch – apropos, wenn ich morgen keine zwei in der Schulaufgabe habe, dann wird mir das, denke ich, äußerlich nicht viel ausmachen, aber innerlich wird dann der Vulkan wieder brodeln. Verdammte Noten, Scheißlehrer, ich hasse sie, sollen sie doch alle – okay, fast alle – zur Hölle fahren! Mann, ich bin so stinksauer, vielleicht auch auf mich, weil ich versage, aber es an mir auszulassen, das lasse ich mal lieber. So, da ich grade so „gut“ drauf bin, hier mal meine Meinung. Die Frau Aschmann, die scheißblöde Vogelscheuche, kotzt mich dermaßen an, ich könnte der so eine auf ihr Scheißmaul hauen, die verfickte Schlampe, die dumme. Mathe ist so ein Fuck, wichst mich so an, wer hat bitte Rechnen erfunden?! Und hey, Einstein, Mann, krasse Leistung, aber bitte, nicht jeder ist so ein Hirn in Mathe wie du! Zur Isabel, ich hasse sie, blöde Bitch, Mann die kommt auch nur, wenn sie etwas braucht und hängt sonst auch bloß mit der verfickten Clarissa zusammen, die beiden scheißbehinderten Streberkrüppelkinder! Und jetzt zu meinem Vater, ich hasse ihn am meisten, soll er brutalst ermordet werden, erst die Haut abgezogen, dann die Organe rausgenommen, vierteln und vorher noch sein edelstes Teil abschneiden und hinterher verbrennen und dann die Asche den Bush fressen lassen. So!!! Okay, war jetzt nicht gerade schönes Deutsch, auch nicht besonders nett, aber ist auch egal, wenn ich schon nichts zusammenhauen kann, dann kann ich es wenigstens schreiben, danke lieber Computer, danke liebe Tastatur und danke an Microsoft Word und seine Erfinder.
Jetzt, da ich mich wieder beruhigt habe, kommen wir zu jemandem, der Marcel heißt. Gestern in der Freistunde ist er mit jemandem aus seiner Klasse rausgegangen und der ist dann umgekippt, einfach so, mit dem Kopf gegen die Wand gefallen und er – der Held – hat ihn sofort aufgehoben und ihn auf Händen hoch zum Sekretariat getragen, wow! Danach habe ich ihn sogar angesprochen, als er wieder zurück in seine Klasse lief, was passiert ist und zum ersten Mal sah ich jemandem gleich in die Augen und irgendwie hat er etwas gegrinst und es war einfach schön. Aber nein, ich habe mich nicht verliebt, dennoch besteht Interesse. Heute sah ich ihn morgens in der Ecke bei der Tür stehen, dort scheint er öfters zu stehen, was mir aber bisher nie aufgefallen ist, Schande über mich. Grins! Und dann sah ich ihn in der 5-Minuten-Pause, lief ihm mit Amelie hinterher und später stand er oben am Fenster, wir unten und er sah direkt her. Ach ja, wenigstens ein kleiner Glücksmoment, immerhin! Man muss so was ja genießen, grins!
Mit der Bettina gehe ich bald ins Theater, darauf freue ich mich schon sehr. Dann war ich heute noch beim Optiker, wegen meiner Linsen und die linke passt nicht so ganz, hat auch einen Punkt mitten drauf, wieso auch immer. Jetzt bekomme ich neue, kann aber, oh Freude, diese bis dahin behalten, keine Brille in der Schule und morgen ziehe ich einen schönen Rock an, genau, scheißegal ob es regnet. Ich hab noch Chemie gelernt, Erdkunde angeschaut und so einen Mist berechnet, bzw. das hat meine Ma gemacht, nach ewig langer Zeit hat sie es rausbekommen. Ich will nicht ausgefragt werden in Chemie, ah, auch nicht in Erdkunde, ah, und Englisch will ich verdammt noch mal eine Zwei, wieder ah! Ja, so ist das.
Mein Herr Vater ist noch nicht da, wird aber bestimmt bald kommen, es ist grade 18:23 Uhr und ich habe zu nichts Lust, außer schreiben, schreiben und nochmals schreiben.
Ich vermisse den Hansen, habe sogar in letzter Zeit drei Mal von ihm geträumt, das erschreckt mich. Ich weiß, dass ich noch an ihm hänge, das war schon immer so, deswegen lässt es mein Herz eigentlich gar nicht zu, sich jemanden neuen zu suchen, alleine schon wegen der Angst, dass wieder so etwas ist. Ich würde ihn gerne sehen, mit ihm reden, einfach nur so, ganz normal, ohne Kumpels, ohne Ex-Freundin und nicht im Restaurant P. Aber natürlich wäre hinterher wieder alles noch viel schlimmer, ich hätte ihn gesehen, könnte ihn dann umso länger nicht vergessen, kann mich wieder nicht konzentrieren, schlechte Noten, kein Schlaf – noch weniger als jetzt – und hätte keinen Hunger mehr, das heißt, keine Gefühle, keine Wahrnehmung, nur Hansen, Hansen und nochmals Hansen. Gott, das war eine Zeit, früher. Irgendwie sehr erleichternd, dass es vorbei ist, okay, okay, fast vorbei ist.
Gedicht:
Was soll ich nur tun, es lässt einfach nicht ruh’n,
Sehnsucht führt in eine tiefe Schlucht,
Leid und Trauer, eine dicke Mauer,
Das Verlangen ist groß, doch kein Trost,
Bin ich zu klein, oder zu fein,
Kann ich hören, werde ich stören,
Fragen über Fragen und des öfteren Klagen,
Schluss ohne Ende, die Zukunft spricht Bände!
Bis zum morgigen Tag, möge er Sonnenschein und Glück bringen, für alle!
Tagebuch vom 14.–16.04.05
Zu Mittwoch: Wir schrieben in Deutsch eine Schulaufgabe über drei Stunden und es war ganz gut. Hoffentlich wird es eine Zwei. Ansonsten war nicht mehr viel los. Ich fühle mich einfach super mit den Kontaktlinsen, stärker, nicht mehr so klein und langweilig, gut so!
Zu Donnerstag: Juhu! Ich kann meine Freude kaum beschreiben, ich habe eine Zwei in der Englischschulaufgabe, was für eine Erleichterung, der Tag war gerettet. Aber abends kam es noch besser. Ich überwand meine Ängste und schrieb dem Florian, zugegeben, ich habe noch Interesse an ihm, immer noch. Jedenfalls ging ich meinem Herzen nach oder besser gesagt, meinem Bauch. Hier ist das, was wir an diesem Tag geschrieben haben:
Ich: Hey! Im Prinzip weiß ich nicht, warum ich dir schreibe, aber irgendwie tust du mir leid, okay, musst du nicht verstehen, jedenfalls, dir geht’s nicht sonderlich, oder?
Er: Mal ne Frage, warum tust du mir leid? Mir geht’s schon besser, hatte ne Lungenentzündung. Was ist sonst noch mit der SMS gemeint? Mb
Ich: Keine Ahnung. Wieso ich dir? Du mir! Weil du immer niedergeschlagen wirkst, nicht böse gemeint. Und sonst so?
Er: Das liegt daran, weil ich krank bin und war und in letzter Zeit überhaupt keine Lust auf die Schule mehr habe. Morgen Abend bin ich 100pro gut gelaunt, bei dir?
Ich: Ach, meine Alten lassen sich scheiden, weil in den Ferien ist es ziemlich heftig abgegangen. Du betrinkst dich, okay, wenn du meinst, ich sage dazu nichts mehr.
Er: Ne, ne, ich tu mich nicht besaufen, ich treffe bloß ganz viele Leute, war in den Ferien in England und letztes Wochenende krank, deswegen freue ich mich, was machst du?
Ich: Finde ich gut. Ich gehe jetzt schlafen, bin hundemüde. Also, noch viel Glück morgen und viel Spaß! Ach und weißt du evtl. was Wasserstoff mit Kohlenstoff ergibt?
Er: Sagen wir es so, ich habe es mal gewusst. Gute Nacht. Florian
So und bis dahin war es 21:39 Uhr. Ich war überglücklich und auch etwas angeheitert vom Baileys, aber okay. Den Tag zuvor telefonierte ich noch eine Stunde mit der Amelie über ihn, nur über ihn, wirklich, das ist nicht mehr lustig, grins! Und um die Frage mit dem Wasserstoff und dem Kohlenstoff zu klären, Wasserstoff war der Decknahme für ihn und Kohlenstoff für mich, so konnten Amelie und ich darüber reden, ohne dass jemand wusste, was Sache ist. Aber natürlich stellte sich irgendwann für uns die Frage, wie H2 eigentlich mit C reagiert, wir wussten es nicht, daher fragte ich ihn eben. Tja, so war das. Irgendwie kompliziert.
Zu Freitag: Endlich Wochenende! Und ich ging um 16:00 Uhr zu Bettina und las ihr etwas aus meinem Tagebuch vor, da sie ja all meine Unterlagen, daher meine Seele aufbewahrt, deshalb sollte sie auch mal einen Einblick darin bekommen. Ich hätte fast wieder losgeweint. Um sechs Uhr gingen wir noch in die Stadt, aßen Eis und gingen danach ins Stadttheater. Es war ein sehr gutes Stück. Es handelte von zwei Jugendlichen, die sich übers Internet kennen lernten und sich zusammen umbringen wollten. Eigentlich ein ernsthaftes Thema, war aber sehr lustig gespielt, jeder musste lachen und es ging auch gut aus. Zufällig saß eine Dame neben mir, die bei der Show an Silvester mitgespielt hatte. Danach fuhren wir nach Hause und es war ein wunderschöner Tag. Die Woche war gar nicht sonderlich schlimm, ganz lustig sogar, ja man sollte was aus dem Leben machen, es genießen, aber nicht zu viele Gedanken daran verschwenden und vor allem nicht an Problemen verzweifeln. Bevor wir schliefen schrieb ich aber noch Florian:
Hey! Wie war’s denn so? Die Bettina und ich waren in einem Theaterstück, wobei es um Selbstmord ging, war aber lustig.
Dann machte ich mein Handy einfach aus und am nächsten Morgen frühstückten Bettina und ich, da ich ja bei ihr übernachtete. Er hat wieder geschrieben und Jonas sogar auch, er wollte sich einfach mal wieder melden, auch schön. Was er schrieb:
Ich bin gerade heimgekommen, habe die Amelie und die Julia noch getroffen, Amelie war dicht. Selbstmord ist nie lustig.
Ich: Hey! Oh ha. Warum, wie hat sich die Amelie benommen? Klar, Selbstmord ist nicht lustig, habe ich auch nicht gesagt, aber das Stück war lustig.
Danach bin ich um 10:30 abgeholt worden und meine Ma und ich sind nach P. gefahren, waren dort spazieren, aber es war etwas langweilig. Ich war noch todmüde und habe mich wie benommen gefühlt und natürlich ständig über ihn nachgedacht, super, was tue ich mir da nur wieder an? Ich weiß es selbst nicht, ganz Klasse, so etwas kann nur wieder mit gebrochenem Herzen enden. Aber okay, anscheinend geht es nicht anders.
Mittags fuhren wir nach I. und danach ging ich zu Hause erst einmal schlafen. Doch wer schrieb? Ja, genau:
Er: Die Amelie war voll lustig drauf, die ganze Zeit und hat den Mund nicht zubekommen und immer Quatsch erzählt.
Ich: So, so. Im S., oder? Ich hasse die Julia, bin auch nicht die Einzigste. Ich glaube, die Amelie will was von dir, aber ich habe nichts gesagt, okay. Willst du was von ihr?
Dann habe ich erst mal geschlafen und hinterher wurde mir klar, als ich wieder wach war, was für eine Scheiße ich eigentlich geschrieben habe. Ich war total deprimiert und hätte fast geheult, aber wegen allem. Ich machte Deutsch, schnitt Sachen für Politik und Zeitgeschichte und Französisch aus, und währenddessen:
Er: Ja, wir waren im S., da gab es Alkohol gratis. Nein ich mag nichts von der Amelie. Was treibst du so? mb, lg, Florian
Ich: Ich habe Sachen aus der Zeitung ausgeschnitten, höre Musik und mache gleich noch Französisch. Kennst du The Knack mit „My Sharona“? Was machst du so? Warst du gestern auch dicht?
Dann habe ich noch mit der Amelie telefoniert, es hat mich interessiert, wie ihre Version war. Natürlich anders. Sie war nicht betrunken, bloß gut drauf. Sie war auch nicht mit der Julia im S. Und er hat anscheinend noch kurz eine Tusse nach Hause begleitet, bzw. bis zur Ampel. Okay, da könnte ich jetzt viel reininterpretieren, ist ja klar. Aber ich glaubte Amelie und wir machten darüber Witze. Grins!
Was er noch schrieb: Nein, ich war gestern nicht dicht. Wie stehst du nun eigentlich zum Alkohol? Mb, lg, Florian
Ich: Die Amelie will doch nichts von dir, war auch nicht dicht, habe mit ihr telefoniert. Ich finde, Alkohol ist keine Lösung und finde es auch nicht gut, wenn man sich bis zum Erbrechen betrinkt.
So, jetzt ist es 23:09 Uhr, ich gehe jetzt schlafen, bin trotzdem noch traurig, oh Mann, kompliziertes Leben.
Tagebuch vom 17.04.05
Was ist nur mit mir los? Ich fühle mich krank und träge, so klein und schwach. Es ist wohl die seelische Belastung, die das mit mir macht. Mir ist schon seit einigen Tagen wieder zeitweise schlecht, einfach so. Heute habe ich Ohrenschmerzen und Halsweh und mein Kopf fühlt sich an, wie ein Stein. Ich will einfach nicht mehr. Ich will weg von hier, nach Südafrika oder an irgendeinen, leeren, ruhigen Strand. Ich überwand wieder einen kleinen Berg, bezüglich der Sucht. Jetzt bin ich krank und versuche mich wieder an jemandem festzuklammern, dem Florian. Wieso tue ich das? Warum nur? Möchte ich mir damit selbst Leid zufügen? Kann das sein? Ich habe Angst, ja, sie sitzt tief in mir. Ich versuche nach außen hin fröhlich zu sein, doch innerlich beginnt jeden Tag ein neuer Kampf, was sein wird, was passiert, ob es schlecht ist, oder gut. Es endet nicht, geht immer weiter, einfach so. Ich möchte sterben, aber nicht, um einfach weg zu sein, sondern in der Hoffnung, dass ich etwas Neues, Besseres, Schöneres beginnen kann, etwas, das mit dem Jetzigen nichts zu tun hat. Oder ich wäre gerne ein Gegenstand, der nichts fühlt, sich keine Sorgen macht, zu nichts verpflichtet ist und keine Angst kennt. Was soll ich machen? Wie soll ich leben? Was muss ich ändern und vor allem WIE? Das Leben zerreißt mich, einfach so, es tut richtig weh, als ob man ständig versucht aufzustehen und es würde einen gleich wieder zu Boden reißen. Was ist der Sinn meines Lebens? Mein persönlicher Sinn? Karriere zu machen? Eine Familie zu gründen? Vielleicht mein Tagebuch zu veröffentlichen? Zu sterben? Anderen zu helfen? Oder einfach alles zusammen? Ich weiß es nicht und die anderen wissen es bestimmt auch nicht. Es ist für manche komisch, aber je mehr man Dingen auf den Grund geht, je öfter man „warum“ fragt, desto mehr kommt man ins Nichts. Am Ende nämlich hat man keine Lösung und man steht bei der „Entstehungsfrage“, die keiner beantworten kann. Daher ist meine Meinung, dass alles relativ ist und man jeden und alles in Frage stellen kann. So landet man im Nichts und das ist es, ganz simpel die Lösung! Nichts!
Tagebuch vom 28.04.05
Es tut mir sehr leid, dass ich schon so lange nicht geschrieben habe, aber irgendwie hatte ich keine Lust dazu, obwohl ich es wahrscheinlich nötig gehabt hätte. Hier jedenfalls, was so passiert ist die letzten Wochen und Tage:
Ich habe dem Florian wieder geschrieben, er schrieb zurück, wir verstehen uns eigentlich wunderbar und ich rief ihn sogar noch an, es war einfach lustig, wir sprachen über nichts Besonderes, aber gerade das war, denke ich, das Schöne daran, dass es einfach nur Smalltalk war. Aber zu ihm komme ich später noch.
Mir geht es zwar in letzter Zeit im Allgemeinen ganz gut, aber ich habe fast jeden Tag schwer zu kämpfen mit der Sucht, wie schon oft gesagt, Zittern, Schweißausbrüche, Angstzustände, es ist immer das Gleiche, doch ich überwinde es, wie einen Berg, versuche stark zu sein und zu bleiben, ich kann es schaffen und bisher klappte es auch, ein Glück. Ich merke sogar, dass diese Zustände weniger schlimm werden mit der Zeit, dafür sind sie dann leider häufiger, aber ich muss es einfach alleine hinbekommen.
Am letzten Freitag, das war der 22., bin ich zweimal weinend rausgelaufen, ich habe es einfach psychisch nicht mehr ausgehalten, meine Ma schimpft oft mit mir, ich würde alles falsch machen, bin an allem möglichen Schuld und dann hat sie solche Gedankenblitze, dass ich noch mehr für die Schule machen sollte, Abschlussprüfungen und mit Politik und Zeitgeschichte aufhören, das sagt sie vielleicht nur so, aber es tut weh, alles, alles Negative tut mir so weh, doch ich wehre mich nicht, kann es erstens nicht und will es auch nicht, denn wenn ich auch noch anfangen würde zu schreien, wäre alles noch schlimmer und sie würde dann vielleicht noch mehr ausrasten und mich schlagen, falls sie mich schlägt, würde ich ganz sicher wissen, dass ich weglaufen würde. Das wäre dann wohl der Höhepunkt und deshalb will ich es nicht soweit kommen lassen.
Er hat dann noch das bereits bezahlte Geld von der Schülerhilfe zurückgehen lassen, meine Mutter wusste natürlich nichts davon und hat es dann durch einen Anruf von dem Institut erfahren, das war auch am Freitag, echt ein beschissener Tag. Ich gebe mir wirklich Mühe, gut gelaunt zu sein, immer freundlich zu sein, nicht irgendeinen einfach grundlos anzumaulen und vor allem mit keinem Streit anzufangen, Gott bewahre, das ist oft echt hart. Manchmal denke ich, ich kann nicht mehr, das ist aber jeden Tag so, vor allem diese Woche, ich höre dann einfach ganz laut Musik auf meinem Discman, immer das gleiche Lied, Nickelback, „How you remind me“, es hilft, aber ob es gut ist für die Ohren, ist fraglich. Ich könnte mich wirklich umbringen, einfach so, Schlaftabletten nehmen, so wie am Freitag – ich ließ es natürlich – oder mich betrinken, was ich zusammen mit der Amelie auch am Samstag gemacht habe und es war wirklich, na ja, wie soll ich sagen, peinlich, lustig, entspannend, cool, genial. Jedenfalls waren wir beide am Samstag so zu, vor allem ich, von einer halben Flasche Prosecco, da ich ja kaum etwas vertrage, dass wir dann beide knutschend auf dem Boden lagen. Aber nein, wir sind nicht lesbisch, es war so eine Art Übung im betrunkenen Zustand oder auch eine Art Verzweiflung, die bewältigt werden musste. Wie man es nimmt, es hat zwischen uns ja nichts geändert, hinterher mussten wir drüber lachen und verarschen uns gegenseitig. Bisher weiß es auch keiner, soll es auch nicht, es wäre mir zugegeben peinlich. Wenigstens war das ein spaßiger Tag und ich konnte mal alles vergessen – und kaum noch laufen – grins!
Okay, jetzt kommen wir zu Florian, Hilfe, dieser Name, wie Rosenblätter auf den Lippen. Ich habe nie den Jan oder den Andi oder sogar den Ronald aus der 10a gemocht, war nicht einmal richtig verknallt, zugegeben, es bestand Interesse, aber nur insofern, dass ich einfach jemanden gebraucht habe, um alles andere zu unterdrücken, um mich aufzuputschen und vor allem zu vergessen, dass mich die Person, die ich wirklich liebe, so verletzt hat, dass ich zusammengebrochen bin, genau, Florian, wer sonst. Ich kann ihm das alles nicht sagen, nicht einmal annähernd. Ich denke, dass er mich nicht liebt oder in mich verknallt ist oder dergleichen, doch die Hoffnung darf man ja nicht aufgeben, nein, niemals. Er sieht wirklich nicht gut aus, aber er ist auf eine Art und Weise der Erste, der richtig nett zu mir ist, sich irgendwie um mich kümmert, aufmerksam ist, das ist so wichtig für mich, dass da einfach ein männliches Wesen ist, das mich schätzt. Es ist jetzt schon fast ein Jahr her, seit England, damals haben wir sogar mal aus einer Flasche getrunken, er hat mich bei Madame Tussauds von hinten hochgehoben und viele Fotos mit den Wachsfiguren gemacht. Ich bin einmal bei einem Lied von Beyoncé um ihn herumgetanzt und ihn hat es tierisch genervt, das war so eine schöne Zeit, so unbeschwert. Hinterher hatten wir in den Ferien Kontakt und wir chatteten viel, ich vertraute ihm etwas über meine Familie an, er mir über seine Familie, ich schrieb ihm sogar, dass er für mich wie ein Bruder sei und er schrieb, dass ich wie eine Schwester für ihn bin. Gott, wir waren uns wirklich sehr nah. Er lud mich sogar zweimal auf eine Party ein und ich ging nicht hin, ja, er war mir peinlich, das ist er heute auch noch. Dann schrieb ich ihm nicht mehr, er nervte mich, zugegeben, aber hinterher merkte ich, dass es genau das war, was ich wollte, jemand der da ist, jemand der mir schreibt, jemand, dem ich schreiben konnte, der wie eine große Schulter zum Anlehnen war. Das wurde mir erst nach einer Zeit klar, ich wollte es nicht wahrhaben, erzählte es auch anfangs keinem und schrieb ihm dann wieder, der Kontakt bestand erneut und dann trafen wir uns und alles war kaputt, zerstört, es war so traurig und ich wusste einfach nicht, was ich jetzt machen sollte.
Und ja, ich vergab ihm, schrieb ihm wieder. Und was ist jetzt? Ich rief ihn an und es war so schön, so wunderschön, diese Verbindung, egal ob freundschaftlich oder mehr, sie soll nie vergehen, das darf sie nicht. Ich habe so etwas gesucht, so sehr, vielleicht ist es nicht genau das, vielleicht ist es auch anders, aber es ist schön, nichts anderes, nur schön und ich kann es nicht oft genug schreiben, dass es schön ist. Bisher hat er sich nicht mehr gemeldet und tja, ich weiß nicht, ob ich mir nur mal wieder, so wie immer, damit schade, wenn ich ihm hinterherlaufe, wenn ich etwas erflehe, etwas erhoffe, was gar nicht kommt, was eventuell auch nie da war, seine Liebe, die genauso stark ist wie meine und die unvergänglich ist und wieder einfach nur schön ist, dass sich der eine um den anderen kümmert und umgekehrt, das wäre mein Traum. Doch selbst wenn wir zusammen wären, sie würden uns auslachen, mit Sicherheit, sie würden auf uns schauen, tuscheln, lachen, lästern, wir wären deswegen deprimiert, vor allem ich, denn ich will einfach von der Gesellschaft anerkannt und zumindest etwas geachtet sein und ihm wäre das wohl egal, vielleicht würde er damit sogar noch mehr Aufsehen bekommen, aber ich würde bestimmt zugrunde gehen? Was soll ich also tun? Nichts? Abwarten und Tee trinken? Oder vielleicht doch etwas machen? Einfach machen, egal was die anderen sagen, auf mein Herz hören? Mich dann sogar verletzen lassen? Ich weiß es nicht. Es wäre so viel einfacher wenn er mal einen Schritt machen würde, mir mal zu schreiben, mich anzurufen, mich in der Schule anzusprechen, ist denn ein einfaches „Hallo“ zu viel verlangt? Ich denke, ich habe schon genug gemacht, ja, ich habe ihm vergeben, ihm geschrieben, wieder den ersten Schritt gemacht, ihn sogar angerufen, er soll etwas tun, das erwarte ich sogar.
Es gibt so viele Möglichkeiten, was er denken könnte: Dass er kein Interesse hat, dass er doch Interesse hat, es nicht zeigen kann oder will, dass er zu schüchtern ist, dass er Angst hat, mich zu verletzen oder dass er sogar denkt, dass er nicht der Richtige für mich ist? Fragen über Fragen, das heißt einmal wieder, dass die Liebe ein einziges Rätsel ist, so wie vieles im Leben, bzw. eigentlich doch alles.
Ich könnte ewig über ihn schreiben, wie schön es ist, genau, wie schön es ist und mir wäre es völlig bewusst, dass ich mich ständig wiederholen würde, aber ja, es wäre einfach schön – grins!
Aber nun einmal zu einer weiteren erfreulichen Nachricht, die Schule läuft ganz gut, darüber bin ich sehr froh, wenigstens ein weiterer Lichtblick und ich habe mit meiner Ma geredet über ihre Ma, meine Oma, ich glaube das nächste Mal, an Pfingsten, wenn ich sie besuche, werden sie sich vertragen, Himmel, darüber bin ich so glücklich. Manchmal da bin ich wirklich so beruhigt, so zufrieden und in diesen Momenten weiß ich, dass sich etwas verändert hat, es ist irgendwie auf eine merkwürdige Art besser geworden, ich bin davon überzeugt, dass ich mich geändert habe. Stärker geworden, in vielem und gleichzeitig ist es aber leider auch unglaublich schwer, das auszuhalten.
Vorhin hat mein Vater angerufen, ich nahm nicht ab, er sprach auf meine Mailbox, er komme um 21 Uhr, oh wie toll, das hat mich jetzt aber interessiert. Ich will ihn nicht hören, nicht sehen, nicht an ihn erinnert werden und vor allem hasse ich das Wort „Eltern“. Ich will keine „Eltern“ haben, ich will ich sein, unabhängig, egal was meine Eltern machen, gemacht haben, wie es ihnen geht, ob sie bei etwas zustimmen oder nicht und so weiter. Ich möchte, dass er endlich verschwindet, ganz weggeht, wieso kommt er auch immer wieder, warum nur? Damit wir uns wieder verkriechen können, damit wir Angst haben, damit wir immer hören und sehen müssen, was er gerade macht, dass wir bloß runtergehen können, um uns etwas zu essen oder zu trinken zu holen? Ist es das? Was hält ihn noch hier? Die Mama ist es schon lange nicht mehr, ich bin es auch nicht mehr, das Haus gehört ihm nicht, er hat genug Geld, um sich eine Wohnung zu kaufen, was soll das bloß?
Meine Ma hatte am Mittwoch den Termin beim Rechtsanwalt, zum Glück, unsere Chancen stehen ganz gut. Er muss sowieso Unterhalt zahlen, hat anscheinend doch kein festgelegtes Wohnrecht und ihm gehört das Haus nicht, meine Mutter hat ihren Pflichtteil von der Hälfte des Geldes und das, was er mit der Nachhilfe gemacht hat, hätte er nicht machen dürfen, es gehört nämlich zum Unterhalt, tja. Sie war danach auch erleichtert, zumindest etwas. Dann telefonierte ich noch mit der Rückbert und es baut einen einfach immer auf, gibt einem die Sicherheit, dass da noch ein Erwachsener ist, der Bescheid weiß und etwas machen kann und das tut gut.
Grade war meine Ma kurz hier, hat mir irgendwas erzählt, was unsere Klasse machen könnte am Wandertag, sie war mal wieder angetrunken, sie hält es einfach nicht aus, es geht nicht, sie kann sich nicht zusammennehmen, es einfach lassen, das ist so traurig, es mit anzusehen, ich hasse es, wenn sie leidet. In letzter Zeit ist sie immer so verdammt böse auf mich, ich entspreche einfach nicht ihren Anforderungen, bekomme in ihren Augen nichts auf die Reihe und kümmere mich um nichts. Wenn sie wüsste, was ich mitmachen muss, wie ich mich fühle, dass auf mich keiner Rücksicht nimmt, dass man mich nicht groß lobt für meine schulischen Leistungen, dass alles. was ich gut mache, so selbstverständlich ist.
Aber gut, es reicht für heute. Ich telefoniere jetzt wahrscheinlich noch mit der Amelie, berate, ob ich den Florian gemeinsam mit ihr besuchen soll oder nicht, ob ich ihm schreiben soll oder nicht und werde noch etwas essen.
Oh Gott, grade hat mein Vater angerufen, überaus freundlich, das ist nicht mal ironisch gemeint, ich habe nur „ja“ gesagt, mehr nicht, immer nur „ja“, er meinte, er komme um 21 Uhr, was für eine Neuigkeit, und er hätte mir auf die Mailbox gesprochen, ach nein, wirklich, und ob ich es am Telefon wäre, nein, der Heilige Geist, und er wünsche mir noch einen schönen Abend, schön für ihn, ich ihm aber nicht. Das war es, ich erzähle meiner Mutter lieber nichts davon, sonst heißt er nur wieder, dass ich mich nicht getraut hätte wegen der Nachhilfe zu fragen, oh Mann, die kapiert es in 100 Jahren nicht, ich will einfach nichts mehr mit dem zu tun haben, er interessiert mich nicht, ich will nicht mit ihm reden, basta.
Auf dass das Leben seinen Lauf nimmt, auf dass das Schicksal nicht ungerecht ist zu denen, die keine Ungerechtigkeit mehr ertragen können, auf dass die Liebe und der Frieden wachsen und gedeihen und auf die Schönheit der Natur, die wir nie vergessen sollten, nie!
Tagebuch vom 29.04.–05.05.05
Wieder einmal schrieb ich schon so lange nicht mehr, nun, das hat sehr, sehr viele Gründe. Zugegeben, ich weiß kaum, wo ich anfangen soll, es ist so viel passiert, soviel Schreckliches. Es war furchtbar schlimm, dass ich nicht einmal mehr die Kraft fand, um zu schreiben und das ist schon sehr traurig, vor allem für meine Seele.
In letzter Zeit sperrten sich meine Mutter und ich bei mir oben in der Wohnung nur noch ein, außer wenn er mal ein paar Tage ganz weg war. Es war fast wie in einem Gefängnis und natürlich ist das auch immer noch so. Ständig müssen wir aufpassen, dass wir ihm nicht über den Weg laufen, vor allem meine Ma, um die ich mir besonders große Sorgen mache. Oft ist sie so ungerecht, sie gibt mir ständig für Kleinigkeiten die Schuld, sieht gar nicht, was ich alles mache, begreift nicht, dass ich immer für sie da bin, dass ich ständig versuche, freundlich und gut gelaunt zu sein, extra für sie, was mir unheimlich schwer fällt.
Ich weiß nicht mehr genau, welcher Wochentag es war, sie holte mich von der Schule ab und sagte mir, dass er alles weggenommen hat, alles, sie meinte das Geld. Er löste sogar mein Konto auf, ihr Konto aus Ö. und ihren Anteil vom gemeinsamen Konto, es war weg, alles, einfach so, die Banken ließen das zu, obwohl die Konten auf beide Namen liefen. Sie war am Ende, ständig diese Hölle, dieser Streit, dann das Einsperren, auf der Hut sein, immer nur aufpassen, angespannt sein und dann – dann einfach alles verlieren nach so vielen Jahren, mit fast nichts dazustehen. Auch ich war geschockt, doch anscheinend besser über die Rechtslage informiert als sie. Sie weinte den ganzen Tag, sie war am Ende, sie konnte nicht mehr und es ist so hart, seine Mutter so leiden zu sehen, weinen, weinen und immer weinen. Ich musste mich zusammenreißen, sogar sehr, ich tröstete sie, versuchte ihr klar zu machen, dass es nicht so schlecht um uns steht, dass wir noch das Haus haben, dass er sowieso für uns zahlen muss und dass wir unseren Pflichtteil wiederbekommen müssen, das war das Gesetz. Doch ich hätte es ihr schon tausend Mal gesagt haben können, es brachte nichts, gar, gar nichts, sie wollte nicht zuhören, realisierte es nicht, warum nicht?
Er mähte an dem Tag draußen den Rasen und sie ging dann raus, fragte, was das sollte und wer jetzt von ihnen die Scheidung einreichen soll. Er meinte großkotzig wie immer, dass er ja gar keinen Grund hätte, sich scheiden zu lassen, weshalb auch und außerdem schiebe er uns kein Geld mehr in den Arsch, da wir ja sowieso verrückt wären. Sie war am Ende, anders kann ich es nicht beschreiben. Sie kam rein und weinte weiter. Dann wollte sie verständlicherweise seine Kleider verbrennen, alle, sie wollte einfach etwas zerstören, da nach ihrer Meinung ja sowieso alles zunichte war, ein Glück, dass ich sie davon abhielt und sie leicht beruhigte, was weiß Gott nicht leicht war.
Sie rief bei allen Banken an, man konnte nichts mehr machen, rein gar nichts. Da er ihre Unterschrift für etwas Wichtiges gefälscht hatte, untersuchte ein Institut diese Fälschung und schrieb ihm einen Brief, darin stand aber nicht, ob es jetzt eine war oder nicht. Sogar dort rief sie an und die Dame meinte auch, dass es eine Fälschung ist. Was sie damit bezwecken wollte, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ging es dabei auch wieder um Geld, das ebenfalls ihr zustand. Sie rief jedenfalls überall an, doch es nützte ja nichts, sie weinte wieder. Sie war so verzweifelt, so sah ich sie noch nie, ich war innerlich derart wütend auf ihn, so traurig, so voller Hass und Unverständnis, ich musste jedoch stark bleiben irgendwie, sie aufhalten, etwas Dummes zu tun, sie beruhigen.
Sie lief wieder raus, kippte die Säcke mit Gras um, die er vom Mähen gemacht hatte, ich rannte raus, doch es war zu spät, das Gras lag vor der Garagentür und er stand daneben, der Streit ging wieder los. Sie schrie ihn an, was das soll, was für ein Schwein er ist, wie unmenschlich und dass er die Frechheit hat, auch noch auf den Konten, die er abgeräumt hat, überall einen lächerlichen Betrag von 45 Euro oder 37 Euro zu lassen. Er konterte mit dem Üblichen, wir seien verrückt, sie hätte alles zerstört, wäre eine kranke Frau und sie sei an allem Schuld, wenn sie ihm nicht den Zugang zu ihrem Konto gewähren würde, dann würden wir auch nichts mehr bekommen. Für wie blöd muss dieses Scheusal einen eigentlich halten, damit er dann Mamas Geld, das einzige, was wir noch haben, auch noch wegnimmt? Ich hätte von ihm auch nicht gedacht, dass er mein Konto einfach auflöst, nein, für so unwürdig habe ich ihn dann doch nicht gehalten, aber was will man von jemandem erwarten, der andere umbringen will? Richtig, eigentlich nichts, nur Böses. Ich konnte nicht mehr und die Wut kam hoch, ich konnte diesem Druck nicht standhalten, es ging nicht, ich musste was sagen. Ich sagte ihm, aber ganz ruhig, dass er mir leid täte, aber so richtig, er meinte, ich ihm auch und dann sagte er, dass ich eingeliefert werden müsse, wegen meinem Tagebuch, ich sagte, ja, ist okay. Und dann kam er auf uns zu und die Treppen zur Haustür hoch, beleidigte meine Mutter mit dem Üblichen und dann scheuerte sie ihm einfach eine und meinte, dass er das schon lange verdient hätte, was ich zugegeben richtig fand. Denn am liebsten hätte ich ihn einfach umgebracht, erstochen, so richtig schön mit mehreren Stichen, dass er unter Schmerzen verblutet und so leidet, wie wir all die Jahre haben leiden müssen. Ich meinte dann, dass das Jugendamt davon wüsste und er sich schon auf seine Klage freuen sollte, dann meinte er, was hätte er auch anderes sagen können, dann wäre es ja schön, dann könnten sie mich gleich einliefern, wenn sie mein Tagebuch gelesen haben. Ich zog dann die Mama ins Haus, es reichte, machte die Tür zu und er machte sich ans Werk, das Gras einzusammeln. Man sah ihm seinen Hass und die Wut richtig an. Wie konnte er nur, wie? Wie kann jemand einem alles wegnehmen, einfach so? Einen unbeschreiblich fertig machen? So höhnisch und selbstgefällig sein, so menschenverachtend? Ich wünsche niemals jemandem so einen Vater, niemals, das ist die Hölle, das kann man nicht aushalten, etwas derart Böses, wie kann das sein? Und ich gab mir früher immer Mühe, noch mit ihm zu reden, keinen Streit mit ihm zu bekommen, schrieb ihm einen Brief, es funktionierte nie, nie, nie, nicht einmal bei meiner Mutter, auch sie konnte ihn nicht umstimmen, er war krank, so krank, so erbärmlich und böse, dass sich das nur Wenige vorstellen können.
Sie durchwühlte seine Sachen, fand Viagra, also hatte er wohl eine Freundin, sie war noch mehr am Boden zerstört. Sie sicherte auch alle Akten von ihm und wollte seine sogar verbrennen, doch ich hielt sie erneut davon ab, denn das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Währenddessen ist er weggefahren und sie packte all seine Unterlagen in ihr Auto. Danach betrank sie sich und ich verständigte natürlich die Frau Rückbert und die Amelie. Es war der Horror, es war ein ständiges Hin und Her, ein einziger Kampf, teilweise kalter Krieg und dann wieder purer Terror. Die Würde eines Menschen ist wohl antastbar, sie kann über Jahre so verletzt werden, psychisch und physisch und daran kann man nichts ändern, das ist unglaublich, wenn man sieht, wie der liebste Mensch leidet, so sehr leidet, dass man daran zu Grunde geht, dass man verzweifelt und einfach nichts tun kann, dass es einfach sofort besser ist, nur der Tod wäre das einzigste Mittel, es ist so traurig, so unvorstellbar schmerzhaft und es geht immer weiter und die Hoffnung wird immer zerstört, jeden Tag ein bisschen mehr.
Am nächsten Tag ging ich zur Amelie, damit ich einfach weg war, der Tag, es war Samstag, war wirklich schön, wir hatten Spaß, ich war abgelenkt und es war lustig. Leider kam dann am Abend, als sie mich abholte, der Schlag in die Brust, meine Mutter meinte, dass alles wieder gut wäre, einfach so, sie hätte bei ihm im Auto Akten gefunden, da er es ausnahmsweise nicht abgeschlossen hätte. Er wäre dann angekommen wie ein kleiner Hund und hätte mit ihr gesprochen und jetzt würden sie wieder miteinander reden und sie hätten auch über mich gesprochen, ich solle mich doch mit ihm vertragen und wäre ja auch dran schuld, da ich immer so zickig wäre. Sie schrie mich zwar nicht an, aber sagte es in einem lauten Ton. Ich wäre fast aus dem Auto gesprungen, konnte das sein, einfach so? Hat er ihr was gegeben? Bin ich in einem Traum? Es war Realität. Unglaublicherweise hatte ich auf einmal Schuld, ich weinte, jetzt war ich einmal dran, doch sie fragte ganz überrascht, wieso ich denn SCHON WIEDER weinen würde. Ich konnte nichts mehr sagen, absolut nichts mehr, ich war fassungslos, konnte es nicht glauben, wie konnte alles wieder gut sein, nach all dem? Wir kamen nach Hause und ich brach auf dem Boden zusammen, alles drehte sich, ich rief sofort die Rückbert an und erzählte ihr alles. Sie war auch leicht geschockt und beruhigte mich. Ein Glück, dass wir uns fest vornahmen, zum Jugendamt zu gehen, das stand fest und sie informierte sich auch darüber, dass man da anscheinend etwas machen kann. Das war die einzigste Hoffnung. Meine Eltern gingen Essen und vorher kam noch meine Mutter hoch und ich saß da und heulte, sie verstand das anscheinend immer noch nicht und fragte wieder, warum ich weinen würde, was denn so schlimm sei und dass sie es nicht verstehe und ich mich wieder einkriegen sollte. Ich meinte dann, dass sie ihm doch nicht einfach so vertrauen kann, sich einfach scheiden lassen will, dann im Auto sagt, dass jetzt alles wieder gut ist und ich auch noch daran schuld sei, dass mein Vater sich nicht mit mir versteht. Sie meinte, sie sei ja nicht blöd oder naiv und irgendwann müsse man ja mal wieder reden. Dann gingen sie eben weg, zu B. und ich telefonierte die ganze Zeit mit Amelie, bestimmt zwei Stunden. Ich war so wütend auf sie. Ich tat so viel für sie, einfach alles, informierte mich über die Rechtslage, betete diese tausend Mal vor ihr runter, versuchte ihr Mut zu machen, kümmerte mich darum, dass sie einen Job findet, brachte ihr Anzeigen von der Bettina mit, schaute im Internet für sie nach, riss mich immer zusammen und stand ihr bei, tröstete sie noch am vorigen Tag und sorgte dafür, dass sie keine Dummheiten machte, die wahrscheinlich alles noch schlimmer gemacht hätten und war auch noch immer freundlich.
Den Abend stopfte ich mich mit Chips und Schokolade voll, das machte mir sowieso nichts aus, da ich ja schon lange nicht mehr wirklich viel, außer Samstags in der Stadt, gegessen hatte. Ich konnte einfach nicht essen, es ging nicht, ich hatte einfach kein Hungergefühl mehr, es war so leer und das Bedürfnis nach etwas Genuss war wie ausgelöscht. Nachts schlief ich natürlich auch schlecht, war immer in Sorge, dass noch etwas passieren könnte, schreckte bei jedem Geräusch hoch, so wie es immer war, wenn er da war.
Ich telefonierte noch mit Amelie und sie kamen nach Hause, meine Ma kam hoch zu mir und ich fragte, wie es war. Sie meinte gut und eben immer wieder das gleiche, dass man ja wieder reden müsse und ich sollte doch keinen Psychoterror machen, weil ich eben dagegen war und es für mich völlig unverständlich war, dass sie sich wieder mit ihm einließ, daran änderte sich auch nichts. Amelie hörte das mit und auch sie verstand meine Mutter nicht, ich glaube, das konnte keiner, der nicht in ihrer Haut steckte.
Ich hörte, wie sie sich wieder in die Küche setzten und dort „etwas tranken“ und „redeten“. Ich sagte Amelie schon im Voraus, dass das nicht gut enden würde und blieb deshalb sehr lange auf. Und ich hatte Recht, es gab Streit, es war zum Glück nicht sehr schlimm und sie stand auch gleich auf und schloss sich wieder in meinem alten Kinderzimmer ein, dann war Ruhe und ich schlief mit einer Kerze vor meinem Bett ein. Sie gab mir Kraft und Hoffnung und ich hatte das Gefühl, dass sie mich schützt und so lange brennt, bis ich einschlief.
Doch das wirklich Schlimme kam erst am nächsten Tag. Wieder einmal konnte es wohl keiner ahnen, vor allem nicht ich. Vielleicht war ich schon darauf gefasst und konnte es mir irgendwo denken, doch ausgerechnet heute? Nein, das konnte ich nicht ahnen.
Sonntag morgens fuhren wir nach L., gingen dort durch den Wald. Meine Mutter erzählte mir, was passiert war, nicht gerade verwunderlich für mich. Er erzählte ihr zum zehnten Mal, was ich alles in mein Tagebuch schrieb, mit der Oma, mit dem Ritzen und dass ich wieder einmal verrückt sei und extreme Aggressivität gegen ihn hätte, die sehr gefährlich wäre und so weiter und so weiter. Daraufhin fragte sie mich, ob das wahr sei mit der Oma, ich stritt ab, was wäre mir denn auch anderes übrig geblieben? Die Wahrheit zu sagen und dann nie wieder zu ihr zu können? Riesigen Ärger zu bekommen und sie zu enttäuschen? Nein, auf keinen Fall. Doch sogar dabei log er sie an. Er meinte, ich hätte geschrieben, dass wir beide, Oma und ich, ständig geweint hätten, was nun wirklich nicht stimmte und er sagte noch, dass die Oma ja extrem viel Böses über die Mama gesagt hätte, was auch überhaupt nicht stimmte.
Hinterher glaubte meine Mutter mir nicht einmal mehr, sie wollte sogar mein Tagebuch sehen und er hatte sie doch wirklich dazu gebracht, mir nicht mehr zu vertrauen, ganz klar, er wollte, dass es zwischen uns zum Streit kommt, nichts anderes, leider hatte er sich da etwas getäuscht, denn so blöd war ich nicht und ließ das auch noch ihm zuliebe zu. Ich sagte einfach, dass ich das Tagebuch weggeworfen hätte, fertig, einfach so, weil mir das zu blöd war und das passte ihr zwar nicht, aber es war das Beste in dem Moment, denn niemanden sonst ging es etwas an, was ich schrieb oder erlebt habe, was ich dachte oder fühlte, nur mich und wenn ich niemanden daran teilhaben lassen will, dann ist das meine Sache, Punkt!
Was sie mir auch erzählte war, dass er sicher eine Geliebte hatte, mit der er sogar in die Türkei fahren wollte, für zwei Wochen, den Beleg darüber hatte er im Auto und sie fand ihn dann, da es offen war. Er redete sich heraus und meinte, dass er das nur wegen dem Rabatt machen würde. Sie rief daraufhin mittags die Frau sogar an und fragte sie, die Dame stritt alles ab, wie auch anders. Nun ja, aber so richtig kauften wir ihm das nicht ab, besonders ich nicht. Deshalb kam es auch am Abend zum Streit, weil seine „Ausrede“ einfach lächerlich war und das war sie nun wirklich. Diese Frau übrigens hieß Blühm und arbeitete in dem Hotel in C., wo er immer übernachtete, das er sogar schon erwähnt hatte.
Als wir wieder zu Hause waren, ging es erst richtig los. Zugegeben, nicht einmal ich blickte noch bei ihnen durch, es war ein einziger Krieg um Geld und Vermögen. Er schrieb ihr einen Zettel, auf dem stand, dass er ihr das Armband, das unter ihrem Kissen in dem kleinen Zimmer lag, nicht weggenommen hätte und ihre Gedanken nicht hätte. Anscheinend schnüffelte er also auch dort herum und fand das Armband in einer Schatulle versteckt unter dem Kopfkissen. Sie schrieb zurück, dass er das Armband auch noch haben könne, weil er ja sonst nicht danach gesucht hätte, womit sie definitiv Recht hatte. Dann sprach sie ihn darauf an und das Geschreie ging wieder los. Er redete sich raus, er hätte ja nicht danach gesucht und hat sich nur gewundert, was das unter dem Kissen war. Sicher doch, um eine extrem bescheidene Ausrede war er ja nie verlegen. Danach kam anscheinend noch ein Schreiben für sie, das er ihr allerdings weggenommen hatte, also ging sie nach einiger Zeit wieder runter und sie schrie ihn wieder an, dass er ihr das endlich geben solle. Er meinte, er gebe es ihr nicht, wenn sie nicht endlich aufhöre zu schreien. Jedenfalls holte er es dann aus seinem Auto herein und sie ging wieder hoch. Es war ein einziges hoch- und runterlaufen, Geschrei und der pure Terror.
Ich rief die Amelie an und brauchte Abwechslung, doch dann lief sie wieder runter und ich hörte lautes Gebrülle, mit dem Telefon in der Hand lief ich schnell runter und dann standen beide da zwischen Küche und Wohnzimmer und zwischen ihnen lag ein langes, scharfes Küchenmesser. Sie schrie, dass er sie gestern mit dem Messer erstechen und ihr Cabrio aufschlitzen wollte, wegen seiner Unterlagen, die sie ihm genommen hat. In der Hand hielt er eine Tüte mit Bildern, die sofern ich das richtig sah, zerrissen waren, wahrscheinlich von ihr. Es gab ein unheimliches Geschreie und ich war geschockt, er hatte sie anscheinend so bedroht, dass sie dann mit ihm essen gehen musste, das wurde mir jetzt klar. Ich hatte solch eine Wut, ich konnte nicht mehr, ich empfand so großen Schmerz und hätte ihn am liebsten mit dem Messer erstochen. Ich schrie ihn ebenfalls an, der Hass war zu groß. Er hob das Messer auf und sie scheuerte ihm eine, daraufhin brüllte er sie an und mich auch. Dann gab er sogar zu, dass er ihr etwas antun wollte, er meinte, irgendwann muss man sich ja wehren und er redete weiter, das Übliche, wir wären verrückt und sie hätte ja keine Beweise, dass er sie geschlagen hätte oder dergleichen, sein Unterton war sehr deutlich zu hören, Amelie bekam alles mit. Dieses scheißverdammte Schwein, dieser Mistkerl, ich war so wütend, ich kann es kaum beschreiben, dann verpasste ihm meine Mutter noch mal eine und er schlug richtig hart zurück, ihren Kopf warf es zur Seite nach hinten, daraufhin wollte ich ihn treten, so richtig feste, dort wo es am meisten weh tut. Er hielt meinen Fuß fest und ich schrie, ich schrie einfach grade raus, so laut ich konnte, ich wäre fast nach hinten gekippt und dann schlug er mich direkt ins Gesicht, auf die linke Seite. Im ersten Moment spürte ich nichts, ich war zu wütend. Dann ging ich zurück und brüllte, dass das Jugendamt noch heute vor der Tür steht, dass er derart kriminell ist und uns sogar noch im Schlaf erstechen würde, so böse wie er ist. Er stritt ab und meinte, dass das Jugendamt mich ja für verrückt erklären würde, alleine schon mit meinem Tagebuch, außerdem müsse er sich ja gegen uns wehren. Meinte Mutter warf ihm zu Recht vor, wann er sie schon grün und blau geschlagen hatte und dass er doch zu seiner Schlampe gehen solle, was er überhaupt noch hier will. Er meinte wieder, dass er sich gegen sie wehren müsste, da sie ihm angeblich die Augen hätte ausstechen wollen und eine Furie wäre. Sie schrie, dass er sie mit dem Fuß getreten hätte und so ein böser Mann ist, er sagte, dass es nicht stimme, dass ich dieses Erlebnis aufgeschrieben habe, was auch stimmte und er sie nicht mit dem Fuß getreten hatte, das stimmte auch, dafür aber schlug er sie mit dem Schuh. Und dann sagte er, ich hätte geschrieben, dass ich zu viele schlechte Filme geschaut hätte und deshalb auch so etwas schreiben würde. Er wusste ganz genau, dass ich die Wahrheit schrieb und nicht irgendetwas aus schlechten Filmen. Ich war so außer mir und schrie ihn an, dass er mal still sein sollte und dass, wie gesagt, das Jugendamt alles weiß und er doch einfach verschwinden soll und so weiter. Ich weiß nicht mehr genau, was ich alles aus mir hinausbrüllte vor Hass und Schmerz, das alles kam mir wie eine Ewigkeit vor, eine Hölle, ein Albtraum, der nicht enden wollte. Dann zog ich meine Mutter mit hoch und es war Ruhe. Amelie war geschockt, sie hatte alles mitbekommen, alles gehört und konnte nur fassungslos „Oh mein Gott“ sagen, mehr nicht. Dann musste ich auflegen, wegen meiner Mutter, damit sie das nicht mitbekam. Ich zitterte am ganzen Körper, ich wollte mich sofort umbringen oder weglaufen und das hatte ich auch fest vor. Ich schrieb der Amelie, dass ich zur Rückbert gehen würde und dann schrieb ich der Rückbert, dass ich zu ihr komme, weil alles so schlimm ist und ich nicht mehr kann, dass der Horror zu weit gegangen ist.
Zwischendurch wurde ich von meiner Ma unterbrochen, sie war fertig und ich weinte, sie sah, dass ich jemandem schrieb und schimpfte mich, dass ich das gefälligst unterlassen soll. Ich ging daraufhin ins Badezimmer und telefonierte mit der Rückbert, ein Glück, dass sie für mich da war, wenigstens etwas. Auch sie war leicht sprachlos, wusste nicht, was ich jetzt machen sollte und fand, dass es keine gute Idee war, zu ihr zu kommen, dass dann alles noch schlimmer werden könnte und fragte, warum wir nicht die Polizei gerufen haben. Das wusste ich auch nicht.
Meine Mutter kam immer wieder rein, wollte mich trösten, doch ich wollte das nicht, sie erzählte mir einmal eine Geschichte von ihrem Vater, der sie geschlagen hatte, weil sie ein Fenster aufließ und daraufhin ins Krankenhaus musste, weil sie gegen die Tür geknallt war und das andere Mal kam sie mit der Idee, einen Hund zu kaufen, weil er ja die Lösung der Probleme war. Am liebsten hätte ich sie angeschrien, ich war am Ende, weinte nur noch, konnte nicht mehr, es war so grauenhaft, es nahm einfach kein Ende, warum nicht, das konnte doch nicht sein. Ich wollte nur noch sterben, einfach sterben, weg sein, tot, ohne die, diese verrückten Menschen, dieses Irrenhaus hier war so unerträglich.
Es tat innerlich so weh, es war so aussichtslos, so leer, ein Nichts, einfach alleine in der Ecke stehen gelassen, verlassen, niemand war mehr da, ich fühlte eine Art Ohnmacht, die so tief ging und endlose Leere, einfach nur kaltes, schwarzes Nichts.
Den Rest des Abends blieb ich im Bad, telefonierte mit der Rückbert, sie half mir sehr, sehr, sehr und wir machten aus, so schnell wie möglich zum Jugendamt zu gehen. Dann redete ich noch mit Amelie und zum Schluss wusste ich, dass mich jetzt nur noch einer wirklich retten konnte, der Florian, ich rief ihn an und erzählte ihm ein bisschen, er heiterte mich wirklich auf und es tat so gut, wie ein Kuss auf eine schmerzende Wunde.
Ich konnte die Nacht vielleicht grade einmal zwei bis drei Stunden schlafen, dachte darüber nach, mich umzubringen, was geschehen war und wie es weiter gehen sollte. Es war so schwer, vor allem in die Schule zu gehen, ich wollte nicht, ich wollte gar nichts, außer hier wegzukommen, weg von der Gewalt, dem Streit, dem Terror, endlich ein Ende und einen Ausweg zu finden.
Am Montag redete ich mit dem Florian, dass er einen Termin mit seinem Vater ausmachen sollte beim Jugendamt, das war nämlich der schnellste Weg und ihm konnte ich vertrauen. Mir war nichts wichtig an dem Tag, nur eine Lösung zu finden, Schule war völlig unwichtig, allein das Leben zählte, der Frieden, mehr nicht. Ich bekam in Ethik ein Zwei raus und in Mathe eine Vier, ansonsten schrieben wir noch in Physik eine Ex, aber es war mir egal, ich glaube, ich bekam es gar nicht richtig mit, konnte mich auch nicht sonderlich konzentrieren und musste mich irgendwie am Leben halten, das heißt, nicht zu weinen oder sonstiges. Als ich es Bettina erzählte, fing sie fast zu weinen an, sie fand es auch schlimm und unfassbar. Ja, das war es auch, unfassbar, einfach unglaublich, unglaublich schrecklich. Sie sah, dass ich auf der Backenseite noch etwas rot und ganz leicht geschwollen war.
Am nächsten Tag, Dienstag, hatten wir D.-Prüfung in Französisch und ich war schon etwas aufgeregt, aber es erschien mir dennoch nicht wirklich wichtig. Davor sind wir in die AOK gegangen und das war schon der ganze Tag. Es passierte nichts Besonderes mehr. Und ich hatte etwas Angst vor dem kommenden Tag, wegen dem Jugendamt und den mündlichen Prüfungen von D.
Der Tag fing ganz gut an, das Mündliche lief nicht so besonders, aber es war in Ordnung. Danach hetzten wir uns ab, um vor das Rathaus zu kommen, wo wir uns kurz vor drei treffen sollten. Amelie lief auch mit mir mit, ich brauchte sie jetzt ganz besonders und sie war für mich da, was ich sehr schätze. Dann kam Frau Rückbert auch und als letztes der Florian, der uns dann zu seinem Stiefvater führte. Es dauerte einige Zeit, bis wir endlich das Jugendamt gefunden hatten und die Enttäuschung war sehr groß.
Sein Stiefvater war ein Inder, klein und verstört. Er nahm mich anscheinend nicht ernst, erzählte mir etwas von Fällen, die nur zu ihm gekommen sind, weil sie Hausarrest hatten. Was dachte sich dieser Mensch denn? Ich erzählte ihm, wie schlimm es zu Hause schon seit Jahren war, dass er sie schon öfters geschlagen hatte, sie sogar umbringen wollte und erzählte ihm die ganze Situation von Ostern bis jetzt, was wirklich nicht mit Hausarrest zu vergleichen war. Wenn sogar eine Lehrerin dabei war, dann hätte er uns doch ernst nehmen müssen. Dachte er etwa, dass ich lüge, alles nur erfinden würde? Ich war am Ende mit den Nerven und man sah mir das sicherlich auch an. Er meinte, dass das Jugendamt nicht viel tun könne, wir müssten uns an eine Erziehungsstelle wenden und sie könnten höchstens mit meinen Eltern mal reden, um einen Eindruck zu gewinnen und zu sehen, was die dazu meinen. Hallo? Hilfe! Mit meinen Eltern, vor allem mit meinem Vater, konnte man nicht reden, er würde sowieso alles abstreiten, mich wie immer für verrückt erklären und so weiter. Das sagte ich diesem komischen Kerl auch. Auf jede Frage antwortete er sehr zögernd, es war so traurig und verrückt, dass es schon wieder lustig war. Nur, zum Lachen war mir keineswegs zumute. Es war einfach aussichtslos. Ich hätte aus dem Fenster springen oder einfach einen Stuhl auf ihn draufschlagen können. Er nahm uns anscheinend nicht wirklich ernst. Konnte trotz seiner ach so langen Zeit beim Jugendamt, 17 Jahre, die Situation nicht einschätzen. Nach ungefähr einer Stunde gingen wir dann also wieder und hatten zumindest die Telefonnummer von der Erziehungsberatungsstelle in K.
Als wir am Aufzug standen, hätte ich fast zu weinen angefangen, Amelie und Frau Rückbert waren auch meiner Meinung und konnten verstehen, dass das alles für mich jetzt unheimlich enttäuschend und entmutigend war. Ich war niedergeschlagen und am Ende. Wieso konnten die nichts machen, wieso einfach nicht? Warum brauchte man dafür die Eltern, die sowieso alles abstreiten würden? Das konnte doch einfach nicht wahr sein, sollte die Hölle denn ständig weiter gehen, einfach kein Ende nehmen? Wollte der mir nicht helfen? Ich weiß es nicht, nur eines wusste ich in dem Moment, dass ein großes Stück Hoffnung einfach so zerplatzt war und ich mich verloren fühlte.
Ein Glück, dass ich noch die Amelie und die Rückbert hatte, sie bauten mich auf und gaben mir Hoffnung, auch wenn das jetzt schiefgegangen war. Also machte ich weiter, irgendwie, denn ich dachte mir, dass die Hoffnung als letztes stirbt, vor allem, wenn man noch so viele liebe Menschen um sich rum hat, wie Amelie, Bettina, Frau Rückbert und auch den Florian, die mir helfen wollen und auch meine anderen Freundinnen, die ich nicht einfach im Stich lassen konnte. Das gab mir Kraft und wird mir auch immer Kraft geben.
Anschließend gingen die Amelie und ich noch Eisessen und danach zur Bettina. Auch die Bettina war enttäuscht, dass es nicht wirklich was gebracht hatte. Später holte mich meine Mutter wieder ab und anscheinend redeten meine tollen Eltern wieder miteinander. Super, ganz toll, geht das jetzt wieder von vorne los? Ja, wie sollte es auch anders sein, der Terror nimmt also doch kein Ende. Ich würde mich so gerne umbringen, einfach so, sterben, weg von hier sein. Ich weiß nicht, wie oft ich das schon geschrieben habe, aber es ist immer wieder so und ich kann einfach nicht anders, muss daran denken, weil es für mich oft keine andere Lösung mehr gibt und dies das beste wäre, zumindest für mich.
Anscheinend war dann noch meine Mutter sauer auf mich. Sie kam hoch, holte sich was zu Essen und ich telefonierte grade mit der Isabel. Sie meinte in einem strengen Ton, ich solle ruhig weitermachen und mich nicht stören lassen, ging dann an den Kühlschrank, holte sich was zu Essen, ging zügig wieder und machte die Tür fest zu. Was auch immer ich getan hatte, ich wusste es einmal wieder nicht, nur eines wusste ich, dass meine Familie einfach verrückt war und mich das fertig machte, einfach nur die Hölle!
Sie aßen dann in der Küche und ich blieb auf, zündete wieder eine Kerze an, nur eine Kerze, sonst war es dunkel, telefonierte mit Amelie und wartete eben wieder ab, ob etwas passierte oder nicht. Ich konnte einfach nicht fernsehen oder Musik hören, ich hatte zu viel Angst, viel zu viel Angst, dass wieder etwas passieren könnte. Ich hörte, dass sie über belanglose Dinge sprachen und anscheinend waren sie nach einiger Zeit mal wieder betrunken, wie hätte es auch anders sein können. Sie redeten und redeten. Ich litt und hatte Angst. Ich blieb bestimmt bis um halb zwölf auf und wartete, doch irgendwann konnte ich nicht mehr, also ging ich ins Bett und schlief ein. Später gab es, glaube ich, wieder Streit, aber nicht sonderlich heftig, denn am nächsten Tag war der „Frieden“ wieder dahin.
Es war Vatertag, meine Nachhilfe kam am Morgen und wir machten noch Qigong-Übungen, die wirklich gut taten und entspannten. Ich lernte noch Englisch, da wir am Freitag wohl eine Ex schreiben würden und später kam meine Mutter noch hoch und nervte mich. Ich verkroch mich ins Bad und telefonierte mal wieder, was blieb mir auch anderes übrig. Das war dann der Tag und es passierte nicht mehr viel. Er ging sogar morgens weg in den Tennisclub und betrank sich wahrscheinlich, er hatte ja sonst nichts anderes.
Es war nicht einfach, immer ruhig zu bleiben, die Vernünftige zu spielen, alles für meine Mutter zu machen, die dann auch noch auf mir herumhackte. Es fiel mir auch schwer, mich unter Kontrolle zu halten, mir nichts zu tun, mich nicht zu ritzen oder sogar Tabletten zu nehmen. Mir konnte nur das Telefonieren helfen, mit Frau Rückbert, die mich immer wieder aufbaute, und mir versuchte zu erklären, wie meine Mutter tickt und Amelie, die mir auch immer wieder Mut machte, dass ich es schaffen würde und natürlich noch der Gedanke an die anderen, die sich um mich sorgten und sich um mich kümmerten, wie die Bettina.
Mit dem Florian lief es auch sehr gut, wir schrieben uns jeden Tag und er heiterte mich oft auf, er gab mir sehr viel Kraft, wenn auch unbewusst, durch ihn konnte ich mich ablenken, an etwas anderes denken, ja, an die Liebe. Das war sehr wichtig. Wahrscheinlich hatte ich eine Vorahnung, dass es schlimm kommen wird und ich dann wohl etwas brauchen würde, an das ich mich anklammern kann, das war dann eben der Florian. Denn bei mir ist immer noch die Liebe größer als der Hass und die Verzweiflung und die Kraft der Freundschaft weilen immer um mich herum. Ich fühle das zwar in manchen Momenten leider nicht, aber ich halte daran fest und innerlich hält mich das immer davon ab, aufzugeben.
Ich lerne dadurch sogar immer stärker, dass Geld, Reichtum und Erfolg in der Schule nichts gegen den Frieden und die Liebe sind, gar nichts. Es wird unglaublich unbedeutend, du willst einfach nur leben, ganz ruhig und friedlich für dich leben und alles Positive genießen und für lange, lange Zeit deine Ruhe haben. Es ist interessant, was alles passieren kann in einem Leben, was für Leute dir helfen, alles ist so unvorhersehbar und man kann es nicht bestimmen. Doch egal was ist, die Hoffung stirbt als Letztes, hoffentlich werde ich mir das mein Leben lang vor Augen halten, egal was kommt.
Tagebuch vom 06.–11.05.05
Es ist wieder einmal so viel passiert. Sie streiten und streiten. Am Wochenende, es war Sonntag, konnte er sie wieder einmal nicht in Ruhe lassen. Leider hört sie auch nicht auf mich und ich bezweifle stark, dass sie das jemals tun wird. Sie sperrt sich nicht immer ein, so wie ich es ihr aus Sorge um sie sage, sie „versteckt“ ihren Haus- und Autoschlüssel nicht richtig, sodass er sie findet und geht ihm nicht direkt aus dem Weg.
Jedenfalls radelte sie im Geräteraum, er kam fünf Mal zu ihr rein, machte wie immer Terror, wegen nichts und wieder nichts. Sie schrie, dass er sie doch endlich in Ruhe lassen soll, dass er gehen soll, doch er hörte natürlich nicht, kam immer und immer wieder und das Gebrülle ging immer wieder von vorne los. Ich saß oben, hatte meine Tür auf, zitterte wieder vor Angst, dass etwas passieren könnte und jedes Mal, wenn es wieder losgeht, merke ich, wie Stück für Stück ein kleines bisschen von mir stirbt, so nach und nach.
Ich hasse ihn, er kann nicht aufhören, muss immer stören und lässt einfach nicht locker. Ich telefonierte mit Frau Rückbert, weil ich deshalb nicht mehr konnte. Ich wusste nicht mehr, was ich noch machen sollte. Schreien, hinuntergehen und ihn abstechen? Dann ging er auch noch in das Computerzimmer, dort, wo sie immer schlief, unter ihrem Kopfkissen lagen ihre Schlüssel und es hörte sich ganz danach an, dass er sie ihr wegnahm. Er ging raus zur Garage und kam nach einer kurzen Zeit wieder, lief in das Zimmer zurück, brachte wahrscheinlich die Schlüssel zurück, lief wieder runter in den Keller, in den Geräteraum, dort wo sie war und sagte wieder irgendwas von einem Testament, das angeblich ja beiden gehören würde. Nach dem fünften Mal machte er sich dann langsam fertig und verschwand endlich.
Ich war, zugegeben, wütend auf meine Ma, wieso hörte sie einfach nicht auf mich? Musste das sein? Konnte sie sich nicht vor ihm schützen, ich habe es ihr schon so oft gesagt, doch auf mich hört man ja wie üblich nicht.
Heute war wieder so ein Horror. Ich kam von der Schule nach Hause, mit der Mama, da sie mich abholte und er telefonierte mit seinem Bruder, sagte nicht gerade leise, dass sein Dreckstück von Frau ihn fertig machen würde, sie hätte irgendwelche Unterlagen verbrannt und so weiter und so weiter. Das machte meine Ma natürlich wieder rasend, also ging sie nach dem Telefonat in den Keller und es gab wieder Streit. Ich hatte wieder meine Tür auf, hörte fast alles, was sie sagten. Es ging um Unterlagen, die sie nicht verbrannt hat, und beide warfen sich wieder vor, dass der andere an allem Schuld sei. Das ging eine Weile. Ich hasste dieses Geschreie, dieses unaufhörliche Gebrülle, diesen Terror, jedes Mal, kein Ruhe, immer musste was sein. So langsam hörte ich kaum noch hin, um was es ging, ich kannte es schon genau, da es immer das Gleiche war, nur Schreien und seine überhebliche, niedermachende Stimme. Ich hätte mir wieder so gerne etwas getan, so gerne wäre ich weggelaufen, weil ich es derart satt habe. Danach haute er wieder ab, sie kam hoch zu mir und ich saß weinend da. Sie meinte, ob wir jetzt etwas essen. Was essen? Sie hat sie einfach nicht mehr alle. Ich war so sauer. Ich sagte, dass ich nichts essen wolle und daraufhin wurde ich wiederum niedergemacht. Ich bin an diesem und jenem Schuld, mache ihr Sorgen und würde jetzt auch noch Terror machen. Ich zickte sie an, dass ich ihr gewiss keine Sorgen mache, dass ich immer schön lerne, meine Hausaufgaben mache, brav bin und andere wären schon längst abgehauen, hätten Drogen genommen oder sonst was. Daraufhin schrie sie weiter, dass wir auf der Straße landen und bei anderen geht es auch nicht besser zu, die würden auch keine Party feiern, wenn sie sich scheiden lassen, dann ging sie beleidigt und ich weinte noch mehr.
Ganz toll, wollte sie das etwa? Machte sie das mit Absicht? Musste sie mich immer beschuldigen? Musste sie mich immer noch fertiger machen, als ich es schon war? Warum ich? Wieso nur? Kann das denn noch wahr sein? Ich will sterben, einfach sterben.
Später kam sie wieder hoch und ich glaube, ihr tat es leid, mir tat sie auch leid. Sie bestand darauf, dass ich etwas esse und bettelte mich an. Heute hatte sie zum ersten Mal seit fast einem Monat gemerkt, dass ich jeden Tag kaum was aß. Ich muss schon sagen, sehr früh. Wahrscheinlich habe ich bereits Essstörungen. Wenn ich nämlich versuche, etwas zu essen, wird mir sofort schlecht. Ich kann es einfach nicht mehr, es geht nicht. Ich habe keinen Hunger, nichts, ich will nicht mehr und Essen schon gar nicht.
Mir ging es erbärmlich den Tag über, mir war so schwindlig und schlecht, ich konnte kaum noch laufen, bekam nichts mehr mit, kein Geräusch. Nach meiner Nachhilfe brach ich zusammen, alles drehte sich, ich hatte meine Augen auf, doch es war so schwarz, mir war kalt, unendlich kalt, es war wieder soweit. Meine Hände liefen bläulich an, sie zitterten, ich fühlte mich so, als ob ich fast erfrieren würde, ich konnte nicht mehr aufstehen, meine Beine fühlten sich wie Gummi an und ich fühlt mich vor allem schwach und krank. Ich hielt das nicht mehr aus, es ging nicht, ständig stritten sie, andauernd machte sie mich fertig, es nimmt einfach kein Ende, es geht immer so weiter, weiter und weiter.
Dazu kommt noch die scheißbeschissene Liebe. Florian machte mir wirklich Hoffnungen, ich schrieb sogar eine Geschichte über ihn und mich, die „Geschichte des Wasserstoffes und des Kohlenstoffes“, welche durch einen Zufall sogar in die Schülerzeitung kommt, jedoch stark abgeändert. Ich telefonierte so oft mit ihm und wir kamen uns scheinbar immer näher und näher. Ich wollte ihm am Montag die Geschichte vorlesen, doch er gab mir kein Chance dafür, später quetschte er mich noch aus, ob ich in jemanden verliebt sei und ich zeigte es ihm wirklich sehr eindeutig. Dann schrieb ich ihm noch die Geschichte per E-Mail, leider konnte er sie erst am nächsten Tag lesen, oder zum Glück?
Jedenfalls sagte er mir noch, kurz bevor er einfach auflegte, dass er eine Freundin hat, ich glaubte das aber irgendwie nicht.
Am nächsten Tag bekam ich eine E-Mail von ihm, er würde die Geschichte nicht ganz verstehen und der Schluss, den ich natürlich erfunden hatte, welcher ein Happy End war, wäre komisch.
Hier ist die Geschichte:
Die Geschichte des Wasserstoffes und des Kohlenstoffes
Es war einmal ein kleines, armes, verlassenes Wasserstoffatom. Dieses Wasserstoffatom war etwas anders als die anderen Atome, nämlich ein emotionaler Krüppel, leicht dämlich, aber dennoch liebenswürdig. Aber es fühlte sich stets einsam. Eines schönen Tages jedoch traf es in einem fernen Land auf das Kohlenstoffatom. Das Kohlenstoffatom war das genaue Gegenteil vom Wasserstoffatom, es war liebenswürdig, offen, nett, hilfsbereit, aber ebenfalls einsam. Wie bereits erwähnt, trafen sie in diesem Land aufeinander, dort entdeckten sie, dass ihre Elektronen sehr gut zueinander passten, nur die Protonen und Neutronen streikten etwas. Zusammen verbrachten sie viele schöne Stunden im Atomland. Jedoch sahen sie sich eine Weile danach nicht mehr. Einige Zeit später merkten die beiden Atome, dass sie sich vermissten und fingen an, aus der Ferne miteinander zu kommunizieren, was sehr schön war. Und dabei lernten sie sich sehr gut kennen. Das Kohlenstoffatom erfreute es verständlicherweise nicht nur, über die Ferne zu kommunizieren, es wollte Nähe, daraufhin beschlossen die beiden Elemente, sich in einem atomaren Kaffee zu treffen. Was nicht ganz wie geplant lief, weil das Wasserstoffatom sehr unsensibel war und das arme Kohlenstoffatom sehr verletzte, aber auch das böse Neonatom, das dabei war, hatte seine Mitschuld, weil es dem Kohlenstoffatom die Möglichkeit genommen hatte, mit dem Wasserstoffatom Konversation zu betreiben. Aber das Neonatom trug im Prinzip keine Schuld. Nach diesem Desaster herrschte Funkstille, bis sich das Kohlenstoffatom nach dem Wasserstoffatom sehnte und es nahm wieder Kontakt zu ihm auf, das klappte eigentlich auch recht gut und das Kohlenstoffatom war sehr glücklich. Bedauerlicherweise meldete sich das Wasserstoffatom zeitweise nicht, obwohl es das Kohlenstoffatom so sehr braucht, da es dieses liebt. Das Kohlenstoffatom ist sehr verwirrt, da das Wasserstoffatom ihm zeitweise das Gefühl gibt, dass es das Kohlenstoffatom sehr mag und es bei seinen Problemen sehr unterstützt. Aber dann meldete es sich tagelang wieder nicht. Das Kohlenstoffatom weiß nun nicht, was es tun soll. Diese Verwirrung stürzte das Kohlenstoffatom in eine tiefe Krise, es ist stark hin- und hergerissen zwischen Wut, Traurigkeit, Unsicherheit und Enttäuschung. In größter Verzweiflung wartet es darauf, dass sich das geliebte Wasserstoffatom doch endlich zu ihr bekennt und sich öffnet. Wie soll das nur enden? Das Kohlenstoffatom weiß, dass tief im Innersten des Wasserstoffatoms auch gewisse Neigungen bestehen, die es bloß nicht zugeben kann, doch welche Gründe dies sind, das weiß nur das Wasserstoffatom. So wäre es doch für beide das Beste, wenn das Wasserstoffatom den lange erhofften Schritt tut und seine hoffentlich großen Emotionen dem Kohlenstoff gesteht, sodass das Kohlenstoff das erwidern wird. Damit wäre das Problem gelöst und beide glücklich! Und eines schönen Tages nahm das Kohlenstoffatom all seinen Mut zusammen und rief das Wasserstoffatom an, las ihm seine Geschichte vor, bekannte sich damit zu all seinen Gefühlen für dieses und fragte, wie diese Geschichte nun enden sollte. Das Kohlenstoffatom hoffte natürlich darauf, dass es ein Happy End sein würde, doch diese Unsicherheit war dennoch immer da und so bangte es gespannt am Telefon, in der Hoffnung, das alles gut gehen würde. Und so war es, unglaublich, aber wahr, das Wasserstoffatom bekannte sich zum ersten Mal zu seinen Gefühlen für das Kohlenstoffatom, dass es dieses ebenfalls liebte und nur zu feige war, alles zuzugeben, selbstverständlich aus Angst. Es war also alles gut und beiden fiel ein großer Stein vom Herzen, jetzt konnten sie sich offen und ehrlich lieben. Dank dem Kohlenstoffatom und dessen großen Mut konnte das schon längst Erträumte wahr werden. Das heißt, dass man niemals aufgeben sollte, denn irgendwann kommt der richtige Augenblick und nach einem viel zu langen, kalten Winter kommt der ersehnte, sonnige Frühling.
Ich war wirklich am Ende, verstand er es nicht? Oder doch? Wollte er mich auf die Probe stellen? Hatte er jetzt wirklich eine Freundin? Später heuerte ich Amelie noch dazu an, ihn anzurufen, damit ich danach etwas Klarheit hatte. Und so war es, Klarheit, ja, doch noch mehr Verzweiflung. Er hatte wirklich eine Freundin, verstand die E-Mail doch und ich bekam später eine SMS, dass ich ihn doch anrufen solle.
Nachdem ich also Wein getrunken hatte und betrunken war, rief ich ihn verbittert an, wir telefonierten eine Stunde lang, er wollte sich unbedingt mit mir treffen, angeblich um zu diskutieren. Ich laberte wahrhaft einen Müll daher, Sachen, die ihn gar nichts angingen und redete von Selbstmord, sodass er anscheinend ein noch schlechteres Gewissen bekam, als er es schon hatte, war mir aber auch recht, ganz ehrlich, auch wenn’s gemein ist.
Die Nacht von Dienstag auf heute schlief ich dann nur vier Stunden, telefonierte noch mit Amelie, wachte um vier wieder auf und konnte nicht mehr einschlafen, da mir richtig klar wurde, wie sehr ich eigentlich am Arsch war.
Mit meiner Familie änderte sich nichts, meine Liebe war von dem einen auf den anderen Tag einfach so zerbröselt und ich war deprimiert, am Ende. Wahrscheinlich hört sich das jetzt alles gar nicht so schlimm an, wie es ist, aber ich kann wirklich kaum noch. Mein größter Wunsch ist einfach Erlösung von der Hölle hier, von dem zerstörten Glücksgefühl der Liebe, von der Zukunft und von dieser grauenhaften Welt.
Wieso musste das nur so kommen? Warum nur? Ich weiß nicht mehr weiter, will nicht mehr, alles ist so schwarz und kein kleiner, weißer Fleck ist zu sehen. Ich leide jeden Tag, es ist ein Schmerz, der unendlich scheint, der so tief sitzt, dass er zu einem Teil von mir geworden ist, einem großen Teil. Ich muss mich überwinden nicht auszuflippen, nett zu sein, noch alles Mögliche für die Schule zu machen und mir nicht weh zu tun. Es ist nicht leicht. Ich will weg, einfach weg, auf der Stelle. Ich kann es nicht mehr ertragen hier zu sein, ständig Streit, ständig muss ich mit anhören, wie er sie fertig macht, ständig werde ich fertig gemacht, dabei kann ich ihr kaum böse sein, weil ich sie verstehe, warum auch immer, ich liebe meine Ma einfach zu sehr und kann all dies hier nicht loslassen, doch ich kann nichts machen, nichts, wieso nicht? Ich fühle mich, als ob ich in der Ecke stehen würde und die Wand kommt immer näher, sie kommt auf mich zu, wird schwärzer und dunkler und kommt immer schneller auf mich zu. Keiner holt mich aus dieser Ecke raus, niemand. Keine Mutter, schon gar kein Vater, die Freundinnen sind auch nicht da, können mich nicht hören, wie sehr ich schreie, die Liebe zu jemandem, die mich am Leben erhalten sollte, an die ich mich wie an eine Sucht klammere, selbst diese ist einfach erloschen.
Tief in mir ist etwas Böses, ich fühle das, es ist der Schmerz, den ich schon viele Jahre mit mir trage, es ist der Hass auf meinen Vater, der nie für mich da war, der versuchte, meine Mutter umzubringen, der sie geschlagen hat, wegen ihm betrank sie sich und tut es heute noch. Es ist die Aggression, die ich trage, weil ich nie an ihn rankam, weil ich immer nur gut zu ihm war, mit ihm reden wollte, doch immer wieder hinfiel und die Wunde aufplatzte und blutete. Vielleicht werde ich irgendwann innerlich verbluten, einfach so, keiner merkt es, keiner weiß es, keiner kann es sehen, wenn es dann so weit ist, geht mein Wunsch in Erfüllung, endlich frei zu sein, weit weg.
Ich komme mit all dem nicht mehr klar, das tue ich schon lange nicht mehr. Ich versuche mich wirklich krampfhaft an jemanden anzuhängen, von dem ich dann erwarte, dass er mir die Liebe gibt, die ich nicht bekomme, mir jedoch mehr als alles andere wünsche. Ich scheitere leider ständig daran, die, die ich liebe, oder als „Glücksmittel“ hernehme, lieben mich nicht, können mir nicht ständig dieses Gefühl von Befreiung geben, so gerne ich es auch hätte.
So ist es. Irgendwann werde ich vielleicht doch jemanden finden, den ich nicht als „Droge“ meiner Probleme sehe, irgendwann werde ich jemanden lieben, den ich wirklich von innen heraus liebe, nicht von außen, den ich so lieben werde, wie ich immer noch den Hansen liebe. Ich kann gewisse Dinge nicht loslassen, leider sind es die, die mir am meisten weh getan haben.
Gedicht:
Ist es das Leid, dass die Menschen verbindet?
Ist es die Sorge, die uns hindert?
Können wir die Sonne sehen?
Werden wir eines Tages Hand in Hand miteinander gehen?
Kann einer die Bösen aufhalten?
Wird das Gute über die Treuen walten?
Wir werden eines Tages sehen,
werden über Dünen gehen,
staunen und raunen,
das Glück kommt und geht,
wird vom Sande verweht,
kreist ein das Halbe,
lindert ohne Salbe,
Ist es das Leid, dass die Menschen verbindet?
Ist es die Sorge, die uns hindert?
Können wir die Sonne sehen?
Werden wir eines Tages Hand in Hand miteinander gehen?
Wird das Gute über die Treuen walten?
Eines Tages können es wir nimmermehr halten,
lassen es gehen,
lassen es stehen,
werden einfach nach vorne blicken und sehen!
Tagebuch vom 12.–17.05.05
Das, was ich jetzt schreibe, ist wohl ein Höhepunkt meines Lebens gewesen, das heißt, wird es wohl immer sein. Um auf den Punkt zu kommen, ich bin einfach abgehauen, genau, einfach so. Alles fing am Samstag an, meine Mutter schrie mich wieder einmal ständig grundlos an und warf mir Dinge vor, die völlig aus der Luft gegriffen waren. Dann gingen wir spazieren und natürlich ging das Geschrei weiter, es wurde sogar noch schlimmer. An diesem Tag war eigentlich ausgemacht, dass ich zur Amelie gehe, aber plötzlich hatte meine Ma damit ein Problem. Sie wäre der letzte Arsch und so weiter und so weiter, es ging die ganze Zeit so, ich stand kurz vor dem Weinen und wehrte mich ja nicht, da ich sonst wohl alles noch schlimmer gemacht hätte. Es war wieder einmal die Hölle. Sie hatte immer noch Streit mit ihrem tollen Mann und ich konnte dann wieder alles ausbaden und den Deppen spielen. Ich war an allem schuld, dass wir in W. wohnen und ich in K. zur Schule gehe und wir deshalb immer hin- und herfahren müssen, dass meine Freundinnen in Kaufbeuren wohnen und für wie blöd ich sie halten würde. Aber als sie nach einer viertel Stunde mit Kaufbeuren und den Freundinnen und dem Benzingeld fertig war, ging es weiter, mit dem, was wir heute denn essen und wo wir jetzt genau hinlaufen. Da ich nichts Falsches sagen wollte, meinte ich, dass sie entscheiden soll. Natürlich war das wieder falsch, ich wurde wieder zusammengeschnauzt, sie hätte die Nase voll von mir, ich könne mich nie entscheiden und das ging immer so weiter, dann konnte ich nicht mehr und musste einfach weinen, wäre zu dem Zeitpunkt am liebsten einfach weggelaufen, am besten in den Wald. Ich hatte es so satt, jeden Tag wirklich aus dem Nichts geschimpft zu werden, wegen Sachen, die keiner versteht, bestimmt nicht einmal sie selbst. Auf mich konnte man immer die Probleme abwälzen, war ja nur ich, die Tochter, um die man sich nicht groß zu kümmern hatte, mit der man aber ständig alles andere als freundlich umgehen konnte, mehr schien ich nicht zu sein, sehr traurig und es machte mich selbst von Tag zu Tag wütender, da ich mich nie wehrte.
Ich ging einfach einen halben Meter hinter ihr, hatte keine Lust mehr, neben ihr zu laufen, ich dachte, wenn ich hinter ihr bin, dann schreit sie nicht mehr weiter. Es war still. Dann aber war sie wieder beleidigt, da ich hinten gegangen bin, sie blieb stehen und lief dann einfach weit hinter mir. Ich war so böse, so wütend, ich hätte am liebsten geschrien, einfach so, ich drehte mich nicht mehr um, jetzt war sie mir mal egal, so egal wie ich ihr anscheinend war. Ich lief und lief, es war wunderschön, es war still, so unendlich still, ich hatte meine Ruhe, dachte aber, dass sie trotzdem hinter mir wäre. Ich lief gerade so, wie ich wollte, den damals von Oma und mir getauften Lena-Weg, dann den Unheimlichen-Weg und setzte mich dann auf eine Bank. Sie war weg, einfach weg, ich sah sie nirgends, wartete sogar, aber sie kam nicht. Ich war wirklich überglücklich, ich war frei, einfach frei, für mich alleine, konnte hingehen wo ich wollte, kein Geschimpfe, keine Rechenschaft, die ich abzulegen hatte, nichts, nur ich und die weite Natur, es was ein erfüllendes Gefühl, nach dem ich mich schon immer gesehnt hatte.
Kurze Zeit später ging ich weiter und setzte mich an einer meiner Lieblingsstellen auf eine Bank, neben eine ältere Frau. Mit dieser Frau redete ich bestimmt zweieinhalb Stunden lang. Wir redeten über Afrika, da sie gerade ein Buch las, über eine Schweizerin, die in einen Massai-Stamm eintrat, wegen eines Mannes, redeten über die schlechte Politik in D. und sie erzählte mir sehr viel von ihrer Familie, dass sie vier Kinder hatte und sie oft in Geldnot waren, aber es immer wieder geschafft haben und jetzt war sie Heilpraktikerin. Ich erzählte ihr etwas von meiner Familie und sie meinte, dass das wirklich sehr schade sei, aber ich immer nach vorne blicken müsste und vor allem das Ziel vor Augen halten solle, einmal von meine Eltern unabhängig zu sein. Da hatte die fast 80-Jährige vollkommen Recht. Sie gab mir wirklich Kraft und Hoffnung, es war faszinierend und interessant, ihr zuzuhören. Vielleicht war dies Schicksal, dass ich diese Dame an diesem Tag kennen lernte, dass sie mir viel Mut gab und ich aus ihren Erfahrungen lernte, nicht aufzugeben. Zum Schluss, und das werde ich nie vergessen, sagte sie, dass ich aufrecht gehen soll, da ich etwas bin. Ich lief weiter. An dem Haus beim Waldsee vorbei, auf einem kleinen, schmalen Weg in die Wohngebiete und dann unsere Straße hoch, bis zu unserem Haus.
Mir ging es richtig gut, es ging mir schon lange nicht mehr so gut, ich fühlte innere Zufriedenheit, Freiheit und richtiges Wohlbefinden, wollte daher gar nicht mehr nach Hause und hatte auch etwas Angst davor. Die Angst war sehr berechtigt.
Ich klingelte zuerst und sie ließ mich auch rein, danach lief ich hoch und wollte mit Amelie telefonieren und ihr mein Erlebnis erzählen. Kaum hatte ich mit ihr ein paar Minuten geredet, kam meine Mutter extrem aufgewühlt herein. Sie schrie, was mir eigentlich einfalle, wer ich bin, dass ich so lange wegbleiben könne, einfach so, sie schlug die Tür mehrmals richtig hart zu und war wie eine Furie. Das Glas flog aus der Tür heraus, es war ein Riesenlärm und ich stand da, wie angewurzelt und war, zugegeben, geschockt. Dann brüllte sie weiter, drohte mir mit einem größeren Splitter in der Hand, dass ich gefälligst aufpassen sollte, wo ich heute Nacht schlafe und was ich sage und tue. Sie schloss daraufhin mein Schlafzimmer und mein Badezimmer ab, meinte, ich hätte sie angeblich ausgesperrt aus meiner Wohnung, da ich ja den Schlüssel hatte und wir immer absperrten wegen dem Papa und blöderweise war ihr Autoschlüssel in meiner Wohnung. Sie schrie und schrie, es nahm kein Ende, ich hatte solche Angst und sie kam mir oft näher, sodass ich dachte, dass sie mir gleich etwas tut.
Da wurde mir klar, ich musste hier weg, sofort, einfach weg, sonst würde ich hier vielleicht nicht mehr heil rauskommen. Sie war so aufgebracht und zerriss auch noch zwei große Herr-der-Ringe-Poster von mir, meinte dann, dass sie und der Papa nach meiner Nase tanzen würden – es war einfach nur schrecklich. Ich musste die Splitter aufheben, schnitt mich dabei und blutete, der Schnitt war nicht groß, dafür tief und das Blut hörte nicht auf zu fließen, sie sah das, aber es interessierte sie nicht. Die größeren Splitter brachte sie raus in die Mülltonne. Die Nachbarn hatten das alles gesehen und vor allem gehört, sprachen sie draußen drauf an, was los sei, dass sie die Polizei holen, aber sie wimmelte sie ab und meinte, es würde sie nichts angehen, schrie weiter.
Während sie mehrmals runterging und dann in die Garage zum Müll, packte ich Handy, Geld und Bettinas Hausschlüssel ein und beim nächsten Mal lief ich dann einfach raus, sie sah es sogar, ich wollte das Tor aufmachen, aber es klemmte, es war so schrecklich, das Blut von meinem Finger tropfte am Tor hinunter, dann kletterte ich schnell über den Zaun und lief zum Bahnhof in die Stadt, zu den Taxen. Schnell stieg ich ein und fuhr zur Amelie. Endlich war ich da. Klingelte, rannte hoch und meinte, dass ich ganz schnell Geld bräuchte, eben für die Fahrt, ihr Vater wusste zwar nicht, was los war, gab uns aber Geld und Amelie bezahlte das Taxi, da ich völlig in Tränen ausbrach. Auf der Treppe brach ich fast zusammen, konnte nicht mehr. Sie musste mir die Stufen hinaufhelfen, sodass ich es in die Wohnung hinein schaffte. Oben in ihrem Zimmer erzählte ich, was vorgefallen war, rief dann von ihrem Telefon aus die Rückbert an, aber sie war nicht da.
Dann liefen wir zu Bettinas Wohnung, sie und ihre Familie waren im Urlaub und ich hatte die Wohnung für mich allein, ein Glück, ich war so froh. Sie hatte mir ihren Schlüssel für Notfälle bereits in der Schule gegeben. Aber dass ich ihn einmal brauchen würde, hätte ich niemals gedacht. Ich rief sie gleich an und konnte erst nicht reden, war noch komplett am Ende. Sie weinte dann auch, ich hatte ein schlechtes Gewissen. Alles war so hektisch und ich war unglaublich verzweifelt, total am Ende. Ich wusste einfach nicht mehr, wie das alles noch weitergehen sollte. Meine Ma rief mich dauernd an, ganz oft, aber ich ging nicht ran, sie sprach mir auf die Mailbox, ziemlich verärgert, ich solle vernünftig sein und sofort nach Hause kommen, sonst müsse sie die Polizei rufen und wenn der Papa merkt, dass ich weg bin, dann müsste sie die sowieso rufen. Es war wieder dieser Ton, so ging ich bestimmt nicht nach Hause und dann machte ich einfach das Telefon aus.
Zwischendurch telefonierte ich noch mit der Rückbert, ich hatte mich wieder etwas beruhigt, es war doch nicht so schlimm, denn ich fühlte wieder diese Freiheit und diese Ruhe. Es tat einerseits gut, war aber dennoch hoffnungslos. Doch ich genoss es irgendwie, weil ich es mir so sehr gewünscht hatte. Ich war weg, weg von dem Irrenhaus, sie konnten zu Hause machen, was sie wollten, einfach so, ich war in Sicherheit, mich ging das nichts an, ich war weg, einfach weg, endlich, es war so unglaublich, ich hatte es wirklich getan, war abgehauen. Zugegeben, ich war wirklich stolz auf mich, vielleicht hatte ich wenigstens einmal etwas richtig gemacht in meinem Leben und das war dieser Zeitpunkt.
Später ging ich noch zu Bettinas Nachbarn, der Polizist ist, und erzählte ihm ein bisschen, allerdings nur sehr grob. Er nahm mich, glaube ich, jedenfalls ernster, als der Typ vom Jugendamt und meinte, dass ich heute oder am nächsten Tag zur Polizeiwache gehen solle, da die dann vielleicht durch das Jugendamt etwas machen könnten. Jugendamt, na super, ich erzählte auch, dass ich dort schon mit meiner Lehrerin war und das ach so tolle Jugendamt nichts machen kann. Ich sagte, dass ich morgen zur Wache gehen würde, vielleicht noch, bevor meine Ma die Polizei einschalten würde.
Ich fühlte mich so schwach und leer, hatte keineswegs mehr die Kraft, zur Wache zu gehen, also aß ich etwas bei Bettina. Zum Glück war Amelie immer bei mir, wir hatten, kurz bevor wir zu dem Polizisten gingen, ihre Sachen von zu Hause geholt und ihre Mutter gab uns sogar noch Geld und beide Eltern versprachen, falls irgendjemand anriefe, nicht zu sagen, wo ich bin, bzw. dass ich überhaupt da gewesen war.
Später rief dann meine Ma zum hundertsten Mal an und ich ging ran, was mir auch Frau Rückbert geraten hatte. Sie wollte wissen, wo ich bin und dass sie die Polizei holen müsse, was mit meinen Kontaktlinsen wäre, dass ich doch die Flüssigkeit bräuchte, die ich ja nicht dabei hätte und so weiter. Ich meinte, mir ginge es gut, ich wolle aber nicht sagen, wo ich bin und mit den Kontaktlinsen, da bräuchte sie sich keine Sorgen zu machen und die Polizei sollte sie auch nicht holen, das wäre nämlich unsinnig.
Das war das ganze Gespräch, nichts Besonderes, aber immerhin rief sie schon mal nicht die Polizei. Davon, dass sie wollte, ob ich nach Hause komme, hat sie leider nichts gesagt, was ich nicht besonders nett fand, aber na ja, was sollte ich auch von ihr erwarten. Sie war einfach daneben und irgendwie gingen ihr die Werte mit der Zeit verloren.
Abends gingen Amelie und ich noch in die Stadt, einfach so, um die Freiheit etwas zu genießen. Nachdem wir im S. gewesen waren, liefen wir nach Hause, da es schon fast elf Uhr war. Die Stadt war leer und um zu Bettina zu gelangen, mussten wir durch ein ziemlich unheimliches und dunkles Waldstück, anders ging es leider nicht, bis wir zu den Wohngebieten kamen. Eine Katze lief uns genau auf diesem Stück hinterher, als ob sie uns begleiten würde, es war ganz merkwürdig und etwas magisch, als ob ein kleiner Engel in Form einer Katze uns begleitet hätte. Genau als die Häuserblocks begannen, blieb sie stehen und ich hatte durch diese Katze keine Angst mehr, das ganze, dunkle Stück. Amelie fand das auch irgendwie seltsam, hatte aber noch Angst, verständlicherweise. Das war ein schöner Moment, so friedlich und frei, zwar unheimlich, aber dennoch beschützt von einer Katze, die für mich etwas Geborgenes und Sicheres ausstrahlte.
Zu Hause angekommen, waren wir beide hundemüde, es war ein harter Tag gewesen, für beide, ein unglaublicher Stress, ständig hin und her, dort angerufen, da angerufen, also hatten wir uns unseren Schlaf wirklich verdient. Als wir dann aber im Bett lagen, in Bettinas Zimmer, konnten wir nicht mehr schlafen, stattdessen fingen wir an zu kuscheln, einfach so und wahrscheinlich wussten wir beide, worauf das wieder hinauslaufen würde, dass wir wieder knutschen übten. Es war irgendwie lustig und einfach ein Spaß, dennoch machte ich mir Gedanken, ob das wirklich in Ordnung war. Wir beide waren nicht lesbisch oder bisexuell, das heißt, ich war es mit Sicherheit nicht. Amelie sagte, sie sei es auch nicht, aber was, wenn doch? Ich will es nicht hoffen. Nicht dass dieser ganze „Spaß“ dann für sie ernst wird. Aber wir reden ja zum Glück ernsthaft darüber und deshalb bin ich mir schon sicher, dass sie nicht irgendwie in mich verliebt ist. Wahrscheinlich haben wir beide etwas Liebe gebraucht an diesem Abend, weil alles so trostlos war und gleichzeitig war es in gewisser Weise ein Kick der Freiheit, dass wir einfach machen konnten, im wahrsten Sinne des Wortes, was wir wollten.
Am nächsten Tag frühstückten wir beide im K., so ein Café in der Stadt. Es war eines der schönsten Frühstücke, die ich bis dahin erlebt hatte. Es war einfach richtig cool, gemütlich, keine Hektik, keine nervenden Eltern, man hatte seine Ruhe und das war einfach etwas Neues für mich, etwas unglaublich Schönes, für manche normal, für mich ein Erfolgserlebnis.
Ich hatte mein Handy an, aber meine Ma rief nicht an, ich fragte mich warum. Aber ich redete mit der Rückbert, unter anderem darüber, zur Wache zu gehen. Ich persönlich wollte das eigentlich nicht und sie meinte, dass ich das auch nicht tun sollte, wenn ich es nicht für richtig halte. Also wartete ich ab, bis sich meine Mutter wieder meldete und machte mir so meine Gedanken, weshalb sie nicht anrief.
Mittags aßen wir bei der Amelie zu Hause und ich aß seit langem mal wieder richtig, was dann leider auch mein Magen sehr merkte, ihm wurde nämlich sehr schlecht. Aber an diesem Morgen ging es mir sowieso nicht besonders gut, mir war schwindelig, eiskalt und ich fühlte mich ziemlich fertig. Nach dem Mittagessen ging es aber etwas besser. Amelie und ich hörten Musik und wir machten einfach nur Quatsch. Später gingen wir wieder zur Bettina und dann rief auch endlich meine Ma an, ich sagte ihr, dass es mir gut ginge und alles in Ordnung sei, so wie schon einmal, sie wollte wieder wissen, wo ich bin, ich sagte ihr aber nichts. Ihre Stimme hörte sich wieder normal an, geradezu freundlich und das Gespräch war auch ganz locker. Ich fragte sie, was sie machen würde, wenn ich wieder nach Hause käme, und versuchte ihr klarzumachen, dass ich wirklich Angst vor ihr gehabt hatte, als sie so ausgetickt ist. Sie meinte scherzhaft, ob sie, wenn ich wieder da bin, in den Teich springen sollte oder ne Party schmeißen und so weiter, darauf, dass ich vor ihr Angst hatte, gab sie nur ein wenigstens ernsthaftes „JA“ zur Antwort. Nach dem Gespräch rief ich wieder die Rückbert an und war auch sehr erleichtert, dass sie endlich angerufen hatte und wieder lockerer war, mir fiel ein kleiner Stein vom Herzen.
Den Abend lang schauten wir noch einen ziemlichen Schnulzenfilm an, der aber wirklich wunderschön war und ich musste heulen wie ein Wasserfall, danach gingen wir schlafen und den Schlaf hatten wir auch nötig.
Am nächsten Morgen erfuhr Amelie, dass ihre Tante sich umgebracht hatte und war ziemlich am Ende und weinte. Da ihre Oma davon noch nichts wusste, ließ ich sie mit ihren Eltern dorthin fahren. Hört sich etwas einnehmend an, aber das meine ich jetzt nicht so, da sie mich fragte, ob sie mich hier alleine lassen kann, daher war es klar, dass ich sie gehen ließ, bin ja kein Unmensch.
Dann verabredete ich mich einfach mit dem Florian, den wir gestern schon einmal angerufen hatten und ihn wegen seiner Freundin Angelika ein wenig beleidigten, auf die ich blöderweise neidisch war, da ich ja in ihn verknallt war. Aber ich bin ehrlich, er hatte die Verarsche verdient, da er ein absoluter Trottel war und dazu noch ziemlich uncharmant und unsensibel.
Morgens lief ich noch schnell in die Stadt und rief meine Mama an, wie versprochen. Es war von einer Telefonzelle aus, damit sie nicht erfuhr, wo genau ich war. Sie klang wieder leicht gedrückt und meinte, dass sie mich morgen abhole, da ich ja Nachhilfe um zehn Uhr hätte. Das stimmte und dann konnte ich nicht einfach „nein“ sagen. Also war alles klar und sie holte mich am P. ab. Ich war sehr traurig und hatte wieder diese scheißverdammte Angst, diese Ungewissheit, ich wollte doch noch länger „frei“ sein, aber das ging wohl nicht, vor allem nicht im richtigen Leben.
Jedenfalls trafen sich Florian und ich dann um drei an der Schule vor dem Lehrerparkplatz und natürlich wartete ich wieder ein paar Minuten, aber das war jetzt auch egal. Er kam mit seinem Fahrrad angefahren und dann liefen wir einfach so durch die Straßen, bis es dann leicht anfing zu regnen und daraufhin gingen wir in die Stadt. Ständig ärgerte er mich mit Vergleichen mit seiner Freundin und ich war dann einfach trotzig und zickig. Es war ein einziges Spiel, wer einen mehr ärgern konnte, es ging immer hin und her, klar, es war lustig und spaßig, aber komisch. Denn was sich liebt, das neckt sich und so war es eben. In der Stadt fing es dann richtig an zu gießen, wie aus Eimern, und wir stellten uns unter. Es kamen zwei Tussen und er unterhielt sich von dem Zeitpunkt an nur noch mit der einen, namens Anna. Mit ihrer Freundin, die Inga hieß, freundete ich mich sogar an, sie war auch genervt von den beiden, vor allem, da sie uns nicht in Ruhe ließen und ständig mit ihren Rädern hinter uns herfuhren. Als ich so hörte, wie Florian mit Anna sprach, was wirklich dermaßen dämlich war, da ihr Gesprächsstoff nur aus „Warum“, „Ja“, „Nein“, „Sag ich nicht“ und „Sag halt“ bestand, wurde mir klar, dass dieser zwar nette Mensch definitiv nichts für mich war, vor allem nicht für eine Beziehung.
Als wir zur P. gingen, wo die ganzen Busse standen, verabschiedete ich mich noch von Inga und ging dann einfach, Florian schaute recht blöd, doch das geschah ihm recht, erst nicht mehr mit mir reden wollen und dann erwarten, dass ich auch noch dabeistehe und zuschaue, nein danke, nicht mit mir. Bei Bettina angekommen, schaute ich mit ihr den nächsten Bollywood-Streifen an und bald kam dann auch Amelie. Wir erzählten uns, was bei jedem jeweils passiert war und bestellten uns später noch eine Pizza und Fanta, dann schauten wir Mr. Deeds an, eine Komödie, die wirklich gut tat und später noch Desperate Housewifes. Danach gingen wir ins Bett, konnten aber beide nicht schlafen. Also redeten wir über die Liebe und ich begann ziemlich großen Müll zu labern, von wegen, dass ich eine Dreierbeziehung anfangen würde, nur für den Florian und so weiter und so weiter, es war schon sehr verzweifelt auf eine lustige Art und Weise, aber gewiss auch beängstigend. Am Ende war mir alles so egal, mir wurde klar, dass ich doch niemals Florian oder sonst wen wollte, das waren nur Personen, an die ich mich klammern konnte, die einzige Person, die ich immer noch liebte, an die ich jeden Tag dachte, das war Hansen und ich konnte seine Handynummer nach fast drei Jahren immer noch auswendig. Genau, was machte ich also in meiner extrem verzweifelten Lage? Richtig, nicht nachdenken, einfach handeln – ich rief ihn an.
Es war so schön, seine Stimme wieder zu hören, es tat so gut, ich fühlte mich ihm so nahe, es war dieses Gefühl, dieses fantastische, großartige Gefühl, dass ich schon so lange nicht mehr empfunden hatte, es war mehr als Freiheit und Liebe gleichzeitig, es ist unbeschreiblich. Ich fragte ihn, wie es ihm geht, was er so macht, wo er gerade ist und fand wirklich viel heraus. Er war Altenpfleger geworden und hatte sich auch ziemlich verändert, er war nicht mehr so überheblich und arrogant, sondern freundlich und richtig lustig, er bedankte sich sogar für den Anruf und meinte, dass er sich darüber wirklich freuen würde. Die Amelie redete sogar noch mit ihm, sagte ihm das, was ich ihm hätte schon seit Jahren sagen sollen, dass ich ihn liebe. Es ist etwas peinlich, dass ich es ihm nicht sagen konnte, aber es war ok. Er hatte keine Freundin und war auch nicht verliebt, arbeitet in B. und hat jetzt Ferien, ist für diese Woche in K. und sitzt gerade in der Kneipe namens A. Seine Stimme war so ruhig und lieb, ich sagte ihm auch, dass er irgendwie ruhiger geworden sei. Er schrieb sich meine Handynummer auf und ich brachte es die ganze Zeit nicht fertig, ihm zu sagen, wer ich bin. Ich schämte mich, es war traurig, aber ich schämte mich so sehr, ich wollte nur, dass er mich liebt, schon immer, dass er mich einfach ernst nimmt und liebt, mich versteht und wir zusammen sein könnten, reden und reden, über alles, ich sehne mich so sehr danach, nur nach ihm, aber ich bekomme ihn nicht, egal ob ich die alte Lena mit der Brille und dem Pony war, egal ob ich Ellena war oder ob ich jetzt ich selbst war, die sich geändert hatte. Es ging nicht und wird auch nie gehen, doch mich damit abzufinden, das ist so ein großer Schmerz in mir, so eine Last und so viel Verzweiflung, die ich einfach nicht aufnehmen kann und will, deshalb und das ist mir stets bewusst, muss ich an ihm festhalten und die Hoffnung war, dass es irgendwann doch noch klappen könnte, zumindest für eine Zeit.
Die Nacht über schlief ich nur drei Stunden, es war so viel geschehen, was ich nicht verarbeiten konnte, zu viel, daher dachte ich, wie ich das immer machte, nachts darüber nach und konnte einfach nicht einschlafen. Am nächsten Morgen war ich ziemlich fertig und Amelie und ich räumten noch die Wohnung auf und ich schrieb Bettina einen kleinen Brief.
Bald wurde ich abgeholt und hatte Angst, richtige Angst. Dann kam sie mit ihrem Auto, ich sprang schnell hinein und es war alles in Ordnung, einfach so. Sie redete ganz lieb und nett mit mir, war froh, dass ich wieder zu Hause war, stellte keine großen Fragen und das war es. Ich war schon sehr froh, dass alles gut lief, aber als wir nach Hause kamen, merkte ich eben wieder, dass alles zunichte war. Er war wieder hier, wir konnten uns oben verkriechen, da die Tür kaputt war, mussten wir leise sprechen und alles ganz still machen, das wird auch die Zukunft sein, noch mehr Horror, Terror, Angst und immer Vorsicht, bloß vorsichtig sein, ständig, wie in Gefangenschaft.
Meine Nachhilfe kam an dem Tag und es lief ganz gut, aber ich war so müde, wäre fast eingeschlafen. Hinterher legte ich mich sofort hin und schlief bis fünf Uhr. Der Abend verlief friedlich, ein Glück.
Die Spannung war wieder da, die Angst war wieder da, diese Unfreiheit war hier so sehr zu spüren, es war wieder kalt und einsam in mir, verlassen, ich stand wieder in der Ecke und vor mir meine Mutter, die den Zeigefinger vor den Mund hielt, der mir zeigen sollte, dass ich ja ruhig sein sollte und hinter ihr stand mein Vater, als dunkler Schatten, dessen Augen rot aufleuchteten, der immer hinter ihr steht und mit einer Waffe auf sie zielt, sie warnt. Das ist das Bild, das ich vor mir trage. Nur irgendwann werde ich nicht mehr in der Ecke stehen, dann werde ich mir ein Fenster suchen, wo es hell ist, hinaussteigen und einfach flüchten, mich nicht umdrehen, nur nach vorne schauen. Ob sie dann mit mir geht oder nicht, weiß ich nicht, wahrscheinlich nicht, aber eines weiß ich, ich werde irgendwann wiederkommen und dann trage ich so viel Licht und Sonne in mir von draußen, dass der dunkle Schatten einfach untergeht und ich meine Mutter mit aus dem Fenster nehmen kann. Dann wird der Schatten alleine da stehen, dann hat er niemanden mehr, auf den er seine Waffe richten kann, dann kann er sie nur noch auf sich selbst richten oder alleine im Dunklen bleiben, aber wir werden weg sein, ganz weit weg und nie mehr wieder in das Dunkle zurückkehren.
Tagebuch vom 18.–29.05.05
Es ist wieder viel Zeit vergangen, doch zu viel Zeit könnte ich nicht sagen, zu wenig auch nicht, sie war gerade lang genug.
Mittwochs kam meine Nachhilfelehrerin nochmals und es ging wirklich sehr gut, aber leider bekam sie mit, wie meine Eltern wieder einmal stritten, es flogen die Türen, meine Mutter kreischte wieder und er redete und redete wie immer in einem unterwürfigen Ton. Sie bekam alles mit und meinte, dass sie sich niemals vorstellen könnte, dass ich jemals so eine Tür zuschlagen würde. Ich erzählte ihr dann einfach, was bei uns abging und wir redeten darüber. Anscheinend arbeitete ihr Freund bei der Erziehungshilfe und dazu sagte sie, dass sie das jetzt eigentlich nicht so erzählen solle, aber sie sei der Meinung, dass die Leute dort einem nicht wirklich helfen könnten. Nun, jetzt wusste sie also auch Bescheid, hatte Mitgefühl und erzählte mir von ihrer Familie etwas, dass sie es durch ihre Mutter auch nicht gerade einfach hatte, aber dennoch losgekommen ist, zum Schluss gab sie mir noch ihre Adresse, falls etwas wäre, könne ich immer kommen.
Ich dachte mir, dass das irgendwann wieder losgeht, egal ob ich jetzt für kurze Zeit weggelaufen bin, oder nicht, völlig egal, ich hatte meine schöne Zeit dort und nun war ich eben wieder zurück im Alltag, der für mich meine Hölle war.
Die nächsten beiden Tage gab es keinen Streit mehr, aber meine Mutter war wieder gereizter und wie das eben so war meckerte sie mich von Tag zu Tag mehr und mehr an.
Am Wochenende waren wir auf der Gourmet-Meile und zuvor noch gut Essen in einem Restaurant, wir vertrugen uns am Samstag beide sehr gut, aber Sonntags, bevor wir am nächsten Tag zur Oma gingen, war alles wieder dahin, ich hielt es kaum noch aus, dies mache ich falsch, das mache ich falsch und das soll ich doch anders machen, räum das jetzt weg und wieso ist dies und jenes noch nicht so ... Hektik und Stress pur, vor allem beim Packen. Mittags lagen dann wirklich meine Nerven blank, ich konnte kaum noch.
Den nächsten Morgen ging das natürlich weiter, wie hätte es auch anders sein können.
Wir standen lange im Stau, sehr lange, um sechzehn Uhr kamen wir dann endlich bei der Oma an. Meine Ma ging zum ersten Mal seit Jahren wieder zu ihrer Mutter und war gewillt, sich mit ihr zu vertragen. Im ersten Augenblick erkannte meine Oma ihre eigene Tochter erst gar nicht, na ja, das Alter eben, dann gingen wir alle drei zu ihr rein und ein Bekannter von ihr war auch noch da. Ich glaube, meine Mutter war sehr aufgeregt, doch verbarg sie es und gab es vor mir auch nicht wirklich zu. Aber es war so schön, dass jetzt alles wieder gut war. Sie redeten ganz normal miteinander, locker und freundlich, das war einfach schön und machte mich wirklich glücklich. Nach kurzer Zeit ging dann der Bekannte, mit dem ich auch schon mal telefoniert hatte, den jeder K. nannte, da er mit Nachnamen Kober hieß.
Meine Mutter ging zu ihrer Freundin Inge und ich blieb bei der Oma. Wir erzählten viel und aßen gemütlich zu Mittag. Es war so schön ruhig in diesem Haus, nicht so wie in unserem, wo man schon die Spannung fühlte, wenn man das Haus betrat. Ich erzählte ihr, dass ich beim Jugendamt gewesen war und einfach alles, was vorgefallen ist. Ich sagte ihr auch, dass ich es manchmal nicht leicht hätte mit meiner Mama, aber das Gespräch war nicht traurig oder niedergeschlagen, eher leicht und befreiend. Ich war so froh, dass ich ihr das noch erzählen konnte und unglaublich beruhigt, dass meine Ma endlich wieder mit ihr redete.
Später kam dann wieder die Mama und holte mich ab, wir machten aus, dass wir alle zusammen am nächsten Tag spazieren gehen und auch zu Mittag essen. Die Nacht im Hotel schlief ich nicht besonders gut, aber das war mir egal, ich freute mich schon auf den nächsten Tag.
Dienstag Morgen holten wir dann die Oma ab, fuhren an den Rhein und gingen dort spazieren, ich machte ein paar Fotos, unter anderem von der Oma und der Mama, was mir wichtig war. Meine Oma erzählte und erzählte, sie hatte ein sehr großes Mitteilungsbedürfnis, vor allem, denke ich, gegenüber ihrer Tochter. Sie redete hauptsächlich von Verwandten, was die jetzt machen, wer schon gestorben ist und zog ein wenig über die Leute her.
Später kamen wir zu einem kleinen Gehege von Wildschweinen, die ganz kleine, süße, Junge hatten, die Sonne schien, es war warm und wir waren alle drei zusammen und waren friedlich, das wurde mir richtig bewusst, als ich in die Augen der kleinen Frischlinge sah und hätte vor Freude weinen können, dieses Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr, schon sehr, sehr lange, oder hatte ich es jemals? Mittags aßen wir in unserem Hotel und meine Oma wurde immer begeisterter, für sie war es bestimmt noch schöner und wertvoller, diese Momente zu genießen, als für mich. Doch sie war eine anstrengende, alte Dame, sie ließ uns kaum zu Wort kommen und hörte nicht mehr auf zu quatschen, nach dem Mittagessen war ich dann sehr müde und wir fuhren die Oma noch nach Hause, dann gingen wir ins Hotel und ich legte mich etwas hin. Später aßen wir dann noch bei meiner Oma zu Abend und ja, zugegeben, es war wieder so, sie erzählte und konnte ihren Mund kaum zukriegen. Aber nichts für ungut, es war trotzdem schön.
Am nächsten Tag fuhren wir mit der Inge nach H. und sie war wirklich eine sehr nette Frau, zwar etwas älter als meine Mutter, nämlich fast schon zwanzig Jahre älter, aber ganz lieb und nett. Wir gingen dort shoppen, aßen mittags etwas und fuhren dann später noch nach S., in meine Geburtsstadt. Dort blieben wir aber nur kurz, da mir die Füße so weh taten. Es war schon vier Uhr und den ganzen Tag waren wir unterwegs gewesen, kauften Kleider, Schuhe und süße Sachen ein und mir hat es supergut gefallen. Alles war so friedlich, ruhig, ich musste mir keine Sorgen machen, meine Mutter schien auch glücklich zu sein und wir hatten alle unseren Spaß, mehr konnte ich mir nicht vorstellen, es war wie Urlaub, das war wirklich ein wenig das Paradies für mich, vielleicht können sich das andere nicht vorstellen, aber es war einfach unglaublich schön, einmal von daheim weg zu sein und dort zu sein, wo einen die Leute mögen, einen verstehen, mit einem Spaß haben. Danach gingen wir noch zu meiner Oma, aber nur kurz. Meine Ma erzählte ihr, was zu Hause ablief und das wusste ihre Mutter ja schon alles von mir. Ich war sehr froh, dass sie das tat, dass sie sich endlich mal wieder öffnete und zugab, dass ihr Leben keineswegs eine heile Welt war. Meine Oma erzählte ihr daraufhin, dass mein Vater schon fremdgegangen ist, als ich erst vier war. Die Dame hieß Frau V., sie war, glaube ich, die Leiterin unseres damaligen Hotels, in dem wir vorübergehend wohnten, bis unser Haus fertiggebaut war. Ich kann mich noch genau an diese Frau erinnern, sie schenkte mir sogar eine Barbie, allerdings war die sehr hässlich und es war die einzige, die ich weggegeben habe. Sie war eingebildet und sah aus wie eine Schnepfe und hatte eine ziemlich aufgesetzte Art. Hinterher war meine Mutter sehr niedergeschlagen, verständlicherweise. Wir fuhren wieder zum S. Hotel und sie hatte ihre eher dunkle Sonnenbrille auf, ich fragte sie, wie es ihr ginge, sie meinte gut, doch ich sagte, dass ich ihr das nicht glauben würde. Von der Seite sah ich, wie ihr Tränen in den Augen standen. Mir ging es auch nicht besonders gut, da ich genau fühlte, was in ihr vorging, es war eine große Wut und Verzweiflung, Trauer eher nicht, aber die Hoffnungslosigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Sie ging tanken und währenddessen hörte ich sehr laut Musik. Das war das Einzige, was mir immer hilft, wenn es mir so geht, dass ich fühle, was andere fühlen. Es zerreißt mich immer fast, es liegt an meiner Fähigkeit, das weiß ich genau, und das Gefühl ist dann so stark, dass ich fast schon die Person bin, der es schlecht geht. Ich kann nichts dagegen machen, manchmal kann ich es unterdrücken, manchmal passiert es von selbst, aber es ist jedes Mal eine Qual, zum Glück hilft da Musik, sie überbrückt das alles, sie übertönt es wortwörtlich und danach geht es mir wieder besser.
Abends aßen wir im Hotel, meine Mutter betrank sich wieder, was auch nicht anders zu erwarten war und der Abend war für mich nicht gerade der schönste, da es ja nicht wirklich schön ist, wenn sich die eigene Mutter wegen meinem Vater betrinkt. Dass ein Mensch so leiden muss, weil ein anderer Fehler begangen hat, böse ist und Unrechtes tut. Das ist so ungerecht und traurig, es macht mich ständig wütend, doch ich verberge diese Wut, brauche sie aber auch, sie gibt mir etwas Kraft, die Energie, um weiterzumachen.
Am nächsten Tag fuhren wir morgens noch kurz zur Oma, es war der letzte Tag, wir musste schon fahren. Sie war traurig, dass wir gingen, sie hatte die schöne Zeit mit uns so sehr genossen und gab uns noch Wurst mit. Danach fuhren wir nach Hause. Die Fahrt war eine richtige Qual für mich. Ich war erstens sehr traurig, dass wir jetzt schon fuhren und spürte natürlich auch die Trauer meiner Oma, ich konnte nicht anders und musste im Auto weinen, es dauerte aber nicht lang und meine Mutter bemerkte es nicht. Aber das Schlimmste kam erst noch. Plötzlich bekam ich wieder einen dieser Anfälle, die ich öfters hatte, aber nicht erklären konnte. Ich war angespannt, alles verkrampfte in mir, ich konnte nicht anders, konnte mich nicht entspannen, einfach locker lassen, es war, als ob ich furchtbar aufgeregt wäre und da war diese unaufhörliche Spannung, die wie eine Kraft war, die raus wollte. Ich fasste mit meiner rechten Hand an diese Stützlehne, die direkt an der Tür war, wo man seinen Arm drauflegen konnte. Ich umfasste diese Lehne und machte eine Faust, hielt mich also daran krampfhaft fest, konnte nicht mehr loslassen. Dann bekam ich kaum noch Luft, ich atmete ungleichmäßig, als ob mir jemand die Kehle zudrücken würde, es war wie ein Anfall, woher er kam und wieso, das ist mir ein Rätsel, doch ich kann es erahnen. Es ist immer dann, wenn meine Kräfte verrückt spielen, bzw. dann, wenn sie am stärksten sind, denn in den letzten Tagen fühlte ich ja genau, was mit meinen Mitmenschen war, ich sah was in dem Kellner vorging, ich wusste, was das Putzmädchen denkt. Irgendwann erreicht es dann einen Höhepunkt und dann ist da diese eigenartige Kraft, die sich staut und immer größer wird, die mich fordert, nur was fordert sie? Was will sie? Soll ich irgendetwas bewirken? Soll ich gegen sie ankämpfen? Ich weiß es einfach nicht. Als wir uns dann B. näherten, ging es langsam zu Ende. Aber später abends bekam ich dann eine Art Hitzewallung, mir war unglaublich heiß, es dauerte über eine viertel Stunde und ich holte mir einen kalten Waschlappen, aber der bewirkte nicht wirklich viel, er kühlte zwar, was gut tat, aber die Hitze hörte nicht auf. Mir wurde dann schwindelig und ich war müde, mein Kopf dröhnte und ich bekam weniger mit, was um mich geschah, als im normalen Zustand, doch ich konnte nicht schlafen. Als es dann ungefähr acht Uhr war, verschwand es wieder, ein Glück, es war vorbei. Wie eine kurze Krankheit.
Der nächste Tag, Freitag, war kein schöner Tag, ganz und gar nicht. Es war schönes Wetter, doch ich hatte keine Lust rauszugehen, also blieb ich in meiner Wohnung und lernte etwas für die Schule. Draußen putzte meine Mutter die Fenster und mein Vater mähte den Rasen und plötzlich redeten sie wieder. Das war ja alleine nichts Neues, doch sie redeten eine lange Zeit und verstanden sich gut, waren ganz freundlich zueinander, das war etwas Neues.
Abends ging sie dann mit ihm noch zu G. M., einem Orchester, das Swing spielte. Ich kam natürlich nicht mit, meine Ehre und meinen Stolz habe ich nämlich noch und werde den auch nicht so schnell verlieren. Ich sagte ihr eindringlichst, dass sie bloß nicht hinterher noch was trinken gehen soll, auf keinen Fall und sie soll sich auch nicht dazu überreden lassen, egal was er sagt.
Ich wartete und wartete, rief die Amelie an, da ich nicht so allein sein wollte und da ich mir Sorgen machte, es war bereits zwölf, eins, zwei Uhr und dann endlich kamen die werten Damen und Herren nach Hause und selbstverständlich total besoffen. Entweder würden sie jetzt streiten, was ich befürchtete, oder sie würden jetzt einen auf große Versöhnung machen, was ich eigentlich nicht dachte. Doch es war so. Ich konnte es kaum fassen, sie setzten sich noch hin und tranken schön weiter, hörten ziemlich laut Frank Sinatra, sodass man den Bass gut bei mir oben hören konnte und dann war es still, einfach still. Ich lief in meiner Wohnung auf den Gang und hörte, es war ganz deutlich, sie trieben es auf der Couch, vor allem meine Mutter konnte man besonders gut hören. Das war für mich ein schwerer Schlag. Wie konnte sie das nur machen? Sie hatte doch mit ihrer Freundin und ihrer Mutter geredet und beide sagten ihr genau das gleiche wie ich, danach war sie auch fest davon überzeugt, dass sie nicht mehr könne und jetzt endlich einen Schlussstrich ziehen müsse. Und was war? Nichts! Gar nichts! Sie trieb es mit diesem Schwein, mit diesem Scheusaal, dass sie schlug, mich nur beleidigen konnte, ihr das Geld wegnahm und auch noch ständig fremdging. Aber das war ihr wohl anscheinend egal. Auf mich musste man sowieso nicht achten, ich war der Arsch der Familie, den man anmaulen konnte, runtermachen konnte und der sich hätte oben umbringen können und keiner hätte es gemerkt. Um mich musste man sich ja nicht kümmern, wie es mir dabei ging. Ich war so wütend, ich wäre am liebsten zu ihnen gegangen und hätte sie beide erschossen, diese kranken, bescheuerten Menschen, die mir mein Leben zur Hölle machen, denen es dann auch noch völlig egal ist. Gewiss, das hätte ich an diesem Abend, oder besser gesagt in dieser Nacht nicht von meiner Mutter gedacht, niemals, wie hat sie so was nur tun können? Jetzt hat sie mich verloren, auf Nimmerwiedersehen, adios, das ach so liebe und brave Kind ist jetzt nicht mehr für sie da. Ich rede zwar noch mit ihr, aber nicht mehr viel, ich frühstückte bisher nicht mehr mit ihr und heute ist Sonntag und sie sind Radfahren, also bin ich nicht gezwungen, mit ihnen zu essen.
Mein Gott, jetzt geht die ganze Scheiße wieder von vorne los, ganz toll, danke Mama, herzlichen Dank, du blöde Schlampe, das ist das einzige, was ich gerade denken kann, Wut und Hass, sehr großer Hass. Ich glaube, jetzt habe ich nicht einmal mehr eine Mutter, jetzt werden vielleicht sogar beide Fronten gegen mich stehen, dieses Monster von Arschloch von Vater und dann diese blöde, naive Furie von Mutter, Gott, ich kann nicht sagen, was in mir vorgeht, ich könnte sie erschlagen. Ich war gerade so weit, dass ich Hoffnung hatte, Hoffnung hier wegzukommen mit meiner Mutter, das Jugendamt kann nichts machen, die Erziehungshilfe soll angeblich nichts tun können, außer mit dir zu reden und ich bin noch minderjährig, kann also nicht einfach ausziehen. Es liegt an meiner Mutter, mein Vater ist sowieso unzurechnungsfähig, auf den kann ich mich mein Leben lang nicht verlassen und jetzt hat sie alles zerstört, meine Hoffnung, aus der Hölle zu entkommen.
Das war leider auch der Grund, das heißt, es gab noch einen anderen, weshalb ich gestern Abend wieder rückfällig geworden bin. Ich musste es tun, es war so schlimm, es fühlte sich alles so leer und unnötig an, ich habe mich wieder geritzt und schäme mich dafür, doch andererseits ist es ok für mich, einfach nur ok. Es ist in Ordnung, wird schon wieder werden, vielleicht war es ein Rückfall, ein kleiner, kurzer Rückfall, ja das rede ich mir ein. Doch ich weiß leider tief in mir, dass es nicht nur ein Rückfall war, ich werde es wieder tun, immer und immer wieder, ich habe keine Kraft, meine Mutter hat sie mir genommen und die letzen Monate waren sowieso so hart für mich. Dagegen anzukämpfen macht oft keinen Sinn für mich, besonders jetzt nicht mehr.
Samstags war ich mal wieder bei der Amelie. Ich hatte ja eigentlich ein Date mit dem Hansen um drei Uhr, doch ich war mir nicht sicher, ob ich absagen sollte, ihn einfach so sitzen lassen oder vielleicht zuschauen, vom Café S., wie er wartet.
Es war unglaublich heiß, aber der Tag war sehr schön, erst waren wir in einem Biergarten, zusammen mit Amelies Mutter essen und sie lud mich ein, was mich sehr freute, ich wurde schon lange nicht mehr eingeladen. Was mich aber noch mehr freute, war, dass ich ernsthaft mit ihr darüber sprechen konnte, dass sie mich als Pflegekind aufnehmen könnte und ihr das gar keine Umstände machen würde. Ich hatte ihr einiges von zu Hause erzählt und sie verstand das, da sie selbst auch schon mal für vier Jahre eine Horrorehe durchgemacht hatte, in der sie auch geschlagen wurde. Danach liefen Amelie und ich in die Stadt, gingen shoppen und setzten uns dann ins S., wo genau schräg von uns das Rathaus war. Ich entschloss mich, einfach mal zu warten, was passiert und könnte mich dann noch spontan entscheiden. Aber er kam nicht und kam nicht und kam nicht. Ich war total deprimiert und Amelie rief ihn dann von meinem Handy aus an, tat so, als ob sie ich wäre und fragte, was los sei. Er hätte mir angeblich eine Mail geschrieben. Tja, nach dem Gespräch habe ich komischerweise eine SMS bekommen, die ich hätte schon heute morgen kriegen sollen, äußerst merkwürdig. Ich schrieb ihm dann leider auch zurück und am Schluss mailte ich, love you, never forget! Daraufhin kam dann nichts mehr zurück, angerufen hat er mich auch nicht, obwohl ich ihm das auch sagte, aber na ja. Vielleicht überfordere ich ihn, aber so bin ich eben und werde mich auch nicht ändern. Mir wurde klar, dass wir einfach nicht zusammenpassen. Wenn auch seelisch, aber rein äußerlich nicht, damit meine ich, dass er ein Punker ist und sich für mich nicht ändert und ich ein ganz normales Mädchen bin, das zu große Ansprüche hat, die sich für ihn auch nicht ändert. Ja, vielleicht kann Liebe vieles überbrücken, aber zusammenleben sollte man schon einigermaßen können und das würde bei uns komplett scheitern, da wir eben in verschiedenen Welten leben.
Tagebuch vom 30.05.–02.06.05
Heute ist Donnerstag, ein verdammter Scheißtag. Ich kann nicht mehr, bin am Ende. Ich bin aggressiv und unruhig, finde einfach keine Ruhe. Ich hasse alles so sehr und werde fast verrückt. Nur nach was? Nach dem Tod? Oder der Liebe, die ich weder von meinen Eltern, noch von einem Jungen bekomme? Ich habe solche Schmerzen, innerlich, sie sind grausam und ich würde meinen Kopf am liebsten gegen die Wand knallen.
Am Montag war ich so froh, in die Schule zu gehen, so unbeschreiblich glücklich. Ich hasse diese Familie! Am Montag war noch alles heile Welt, deshalb ging ich nach der Schule mit der Amelie in die Stadt, da wir kein Ethik hatten und ich das meiner Mutter nicht sagte. Natürlich war es eine Frage der Zeit, wann wieder der „Alltag“ eintreten würde. Und so war es, sie redeten nicht mehr miteinander, es war wieder einmal zu Ende, der kalte Krieg ging also weiter. Ich komme aus meiner Haut nicht heraus, werde von Tag zu Tag wütender und heute bin ich durchgedreht, nachdem mein Vater die Freiheit hatte, in meine Wohnung zu kommen, mich in meinem Schlaf zu stören und mich zuzulabern. Es war nichts Schlimmes, es ging nur um den Balkon und meine Rosenstöcke, aber ich ertrug es einfach nicht, dass er in meine Welt eindrang, in meine Wohnung. Er hatte mir schon alles genommen, meine Ehre, meine Würde und ist in meine Seele eingedrungen. Ich werde ihm nie verzeihen, dass er mein Tagebuch gelesen hat. Ich merke, wie ich wirklich verrückt werde, es hat angefangen, erst wieder mit meinem Rückfall, mit dem Ritzen, dann begannen am Sonntag diese Magenschmerzen und ich kann einfach nicht mehr. Ich hasse jeden, alle, ich will nur sterben und mir Leid zufügen, ich hasse mich und alles um mich herum. Ich soll nicht sterben? Nein? Wieso nicht? Für mich lebe ich schon lange nicht mehr, eher für mein Schreiben. Mein Vater hasst mich, meine Mutter distanziert sich von mir und hat mir nicht einmal erzählt, weshalb sie wieder streiten. Es ist immer nichts, nein, es war ja nichts und wenn es mir schlecht geht hat auch nichts zu sein, ich hätte ja keinen Grund. So ist das für meine Mutter, wirklich eine große Hilfe. Ihre Ansicht von Mutter sein ist Essen kochen, Wäsche waschen, mich in die Schule zu fahren und zu putzen. Sie wäre ja eine sooo tolle Mutter, behauptet sie von sich und was sie ja alles macht, oh welch Wunder. Es ist so ironisch traurig, dass es auf seine Art und Weise schon wieder lächerlich ist.
Sie kam dann die Tür rein, nachdem er da war, wollte bestimmt wissen, was er gesagt hat und dann habe ich losgebrüllt, dass ich nicht mehr will, ihn hasse und schlug wie verrückt auf die Couch, sodass eines meiner Armbänder kaputtging. Es war eines meiner fünf Edelsteinarmbänder, es stand für frische Energie und Lebenskraft. Ich glaube, es ging kaputt wegen meiner Kraft, meinem Hass, dem innerlichen, der sich in dem Moment löste, frei wurde, so wie das Armband, es zersprang.
Gerade ist meine Ma hochgekommen, hat verheulte Augen, doch will natürlich nicht zugeben, dass sie geweint hat. Jetzt meinte sie, dass sie heute Nacht bei mir schlafen müsse. Das heißt: Schlaflose Nacht für mich. Außerdem ist sie mal wieder total betrunken und eben am Ende. Ich hasse mein Leben so sehr, Gott, wie ich es hasse. Ich will sterben, kurz und schmerzlos, ich würde mich so gerne umbringen, ich werde verrückt, ich halte das alles nicht mehr aus. Wieso nimmt es kein Ende? Warum nicht? Ich kann mich einer Lehrerin anvertrauen, kann jahrelang auf meine Mutter einreden, Briefe an meinen Vater schreiben, zum Jugendamt gehen, weglaufen und für was? Für nichts, null, für das, dass niemand etwas ändern kann und die, die es könnten, vor allem mein Vater, der mein Tagebuch las und meine Mutter, die alles durchmacht und nie, nie, nie ihr Leben in die Hand nimmt. Ich leide jeden Tag, könnte mich jede Stunde ritzen und jeden Tag umbringen, bzw. andere Menschen kaltblütig abstechen.
Ich habe heute meine Note in Physik endgültig versaut, bekomme eine Vier ins Zeugnis. Schule läuft scheiße, Familie sowieso seit Jahren und meine Liebe, den Hansen, kann ich sowieso vergessen. Also, wofür Leben? Vielleicht dafür, dass meine Oma wenigstens nicht meinen Tod miterleben muss.
Oh Gott! Jetzt schaut meine Mutter einen Liebesfilm an. Ich will nicht mehr, nein, nein, nein, ich drehe durch, komplett. Es wundert mich nicht mehr, wieso so viele sich besaufen, kiffen und rauchen. Ich ritze nun mal, leider. Wenn mich jemand gelobt hat, wie die Rückbert oder die Amelie, dass ich es so lange geschafft habe, war ich froh, aber immer war es so selbstverständlich für andere Menschen und das ist es nicht, war es noch nie. Und von wegen Ritzen bringt nichts und ich soll es soll nicht an mir auslassen. Doch! Gerade an mir! An wem denn sonst? Soll ich etwa jemand anders verletzen und noch in der Klapsmühle landen?
Sicher nicht, daher habe ich nur mich, dem ich schaden kann, bzw. verletzen kann. Und helfen tut es insofern, dass es Wut abbaut und ich hinterher wieder gelassener bin. Ich könnte jetzt schon wieder, aber meine scheißbesoffene Mutter ist ja da. Ich will den Tod, ich möchte das Licht sehen, das ich schon einmal sah, ich sehne mich nach Liebe und Zuneigung, ich will raus aus dem Loch, aus dem dunklen, kalten Keller, dessen Boden droht, einzustürzen, ich wünsche mir das schon so lange und tue alles Mögliche dafür, doch vielleicht ist es mein Schicksal zu leiden, bloß, wie lange noch?
Tagebuch vom 03.06.05
Heute geht es mir nach dem schrecklichen gestrigen Tag schon viel besser, meine Ma schlief auch nicht bei mir. Heute Morgen ist mein Vater für zwei Wochen in die Türkei gefahren. I am so happy und meine Ma natürlich auch.
Leider wäre ich heute fast in Sport zusammengebrochen, erstens wegen der Hitze und zweitens, weil ich meine Tage habe. Es ist oft so, dass freitags irgendwas ist, entweder weine ich, weil ich nicht mehr kann oder es schlägt mir auf meine Gesundheit. Verdammte Psyche!
Heute Nacht hatte ich einen sehr komischen Traum vom Florian. Er hatte geweint, weil seine Freundin mit ihm Schluss gemacht hat und ich freute mich, aber tröstete ihn und wir beide wollten irgendwie knutschen, aber es kam ständig etwas dazwischen. Alles ganz wirr! Ich glaube, ich schreibe gleich am Computer weiter, oder auch nicht. Meine Hand tut mir heute sehr weh. Ich fühle mich aber gerade ausgeglichen, obwohl jeder Knochen schmerzt, bestimmt noch vom Sport.
Und hier noch ein kleines Gedicht:
Das Licht des Lebens ist kostbar,
es wird immer beben und ohne es können wir
nicht einmal unsere Hand erheben,
doch sollte es dir entflohen sein,
so fang es schnell wieder ein
und fällt es dir dennoch schwer,
denke immer daran:
die Hand wird schwer!
Tagebuch vom 06.–09.06.05
Seit mein Vater weggefahren ist, war alles in Ordnung, die Betonung liegt auf war. Heute ist wieder einmal alles eingestürzt. Ich würde so gerne von Schönem berichten und schreiben, ich würde so gerne meine Freude ausdrücken, dass es in der Schule gut lief, dass endlich einmal die Matheschulaufgabe geklappt hat, aber das kann ich einfach nicht, dazu geht es mir jetzt wieder viel zu schlecht.
Heute ist alles wieder ins Dunkle und Kalte gelaufen, meine Mutter hat nämlich mitbekommen, dass mein Vater mit seiner Geliebten im Urlaub ist und nicht mit seinem Bruder, natürlich war das Viagra auch nicht für die Prostata, sondern für diese Frau. Ich stieg ins Auto, kam von der Schule, wie immer. Sie saß mit Tränen in den Augen im Auto und meinte, dass sie mir etwas sagen müsse. Erst dachte ich, dass jemand gestorben wäre, doch dann erfuhr ich, dass sie rausgefunden hatte, durch Telefonrechnungen und mehrere Telefonate in das Hotel, in dem sie waren, dass er doch mit der Dame dort war. Für mich war das klar, ich sagte ihr schon lange zuvor, dass er wahrscheinlich nicht mit seinem Bruder dort wäre, dass er auch seine Potenzmittel nicht für die Prostata bräuchte. Doch wie immer hörte sie ja nicht auf mich und heute brach also wieder ihre Welt für sie zusammen und zwar so extrem, dass sie die Scheidung jetzt einreicht, das Haus verkaufen will, sich um einen Job kümmert und sogar eine Anzeige aufgegeben hat. Für mich ist das nicht so schlimm, ich bin so froh, endlich die Chance auf ein neues und vor allem friedliches Leben zu haben, doch was macht sie? Heult mir vor, dass wir auf der Straße landen, sie sowieso keinen Job bekommt, dass mein Vater uns kaum Geld geben wird und sie das Haus ja so sehr mag und so weiter und so weiter.
Ich konnte natürlich wieder einmal die Vernünftige spielen, wie auch anders. Ich durfte keine Gefühle zeigen, noch nie konnte ich das tun, sonst hätten wir Streit bekommen. Ich konnte schon mein ganzes Leben lang vernünftig sein und zwischen meinen Eltern Frieden stiften, in den letzten Monaten hatte ich die große Verantwortung, mich um meine Mutter zu kümmern, als ob sie mein Kind wäre und das war mir zwar zu viel, dennoch habe ich nicht aufgegeben. Und was macht sie? Hört nie auf mich, macht immer das Gegenteil von dem, was ich ihr sage, gerät dadurch immer mehr in dieses Loch und macht sich Illusionen noch und nöcher. Auch heute stand ich ihr wieder bei und sie erkannte sogar, dass sie naiv sei, dazu konnte ich nur „ja“ sagen. Ich redete bis nach drei Uhr mit ihr, immer schön ruhig, weinte nicht, bekam keine Wutausbrüche, musste mich auch nicht besaufen, so wie sie es selbstverständlich wieder tat. Ich hasse sie dafür, etwas anderes kann ich nicht sagen. Ich hasse es hier so, ich will wieder sterben, meine Wut an mir auslassen oder sonst irgendwas, ich weiß es nicht, nur aus meiner Haut raus.
Doch ich schaffe es nicht, wer schon immer ruhig und ach so vernünftig war, kann nicht plötzlich ausrasten und rumheulen, alles ins Schlechte reden, so wie sie das vor mir macht. Wieso ist sie nicht stark? Warum nicht? Sie müsste sagen, dass wir es schaffen, sie hätte sich schon längst darum kümmern müssen, wie es ihn ihrem verhunzten Leben weitergeht. Hat sie das gemacht? Nein, nein und nochmals nein! Und heute, heute ist sie so was von am Ende, heult nur noch, ich darf wie immer herhalten und Ratschläge geben, auf die sie wahrscheinlich sowieso nicht hören wird. Meine Mutter ist schon lange nicht mehr meine Mutter, oder war sie das überhaupt mal? Mir wird von Zeit zu Zeit bewusst, dass sie so schwach ist, so verbraucht, mich nicht beachtet und ihr Leben nicht in den Griff bekommt, dabei auch noch meines mit in den Dreck zieht und keine Schuldgefühle hat, weil ja immer alles sooo gut ist bei mir, ich habe ja ... oh, was ich ja alles hätte, ein schönes Haus, Geld, schöne Kleider und so weiter, mich bräuchte das ja nicht zu interessieren. Das kann sie immer sagen, dafür ist sie sich nicht zu schade. Ein schönes Haus? Was will ich bitte mit einem schönen Haus, wenn darin nur Terror herrscht, wenn meine Erinnerungen in diesem schönen Haus nur aus Hass und Angst bestehen? Geld, warum Geld? So viel Geld braucht man nicht, um glücklich zu sein, man kann sich damit viel kaufen, aber Liebe und Frieden wohl nicht. Und schöne Kleider, gut, sie sehen toll aus, aber deshalb bin ich immer noch traurig und an meinem Leben ändert sich kein Strich! Wieso kann sie nicht halb so denken, wie ich das tue? Weshalb ist eine fast 49-jährige Frau so dämlich, naiv und derart blöd und ihre 15 jährige Tochter nicht? Kann das sein?
Oh Gott, oder wer auch immer, hilf mir, ich will hier raus, weg von diesen scheißbescheuerten Menschen, die mich sowieso noch nie geschätzt haben. Ich meine, was bin ich schon, gar nichts, seelischer Beistand und ein Haufen Dreck, auf dem man all seinen Ärger und Hass abwetzen kann, war ich jemals was anderes für die? Nein, bestimmt nicht.
Ich weiß nicht, wie wütend ich bin, jedenfalls so sehr, dass ich mich nicht einmal mehr ritzen will, sondern jemand anderen jetzt in diesem Moment verletzen könnte und das ist schon sehr traurig. Ich weiß, Selbstmitleid hilft nichts, aber tröstet mich jemand? Fragt mich mal meine Mutter, wie es in mir aussieht oder will sie mit mir reden, so wie ich das mit ihr tue? Nein, will sie nicht und wollte sie auch nie, weil ja, wie gesagt, alles so toll bei mir ist, so als ob ich kein Mensch wäre, schon gar nicht ihr Kind, sondern vielleicht eine Maschine, die sich zwar nicht einmal beschwert, doch traurig ist. Langsam kann ich meine Traurigkeit nicht mehr verbergen, es geht einfach nicht und wenn ich das tue, so wie jetzt, dann wird sie zu einer endlosen Wut.
Jetzt ist sie wieder betrunken und lässt mich nicht in Ruhe, kann es einfach nicht verstehen, fragt ständig, was ich mache, wie es mir geht und so weiter. Wenn ich sage, dass es mir nicht so gut geht und mehr nicht, meint sie gleich wieder, dass sie mir doch nichts getan hätte. Natürlich nicht! Hallo? Ich habe das nie gesagt, doch natürlich ist es so, sie hat mir was angetan und wird das auch weiterhin tun und mein Vater hat mir auch viel angetan und ihr natürlich auch. Doch all die Jahre war ich immer da, auf mir konnte man herumhacken, einfach so, mich konnte man schlagen und beschimpfen, ich durfte immer miterleben, wie sie sich betranken und stritten, wie er sie schlug und den ganzen Terror all die Jahre, es hat bisher kein Ende genommen, ich weiß nicht, ob es schlimmer geworden ist, aber ich denke, das kommt darauf an, wie man das sieht.
Ich freue mich, wie gesagt, auf einen Neuanfang und habe auch Mut, wir werden nicht mit Nichts dastehen, vor allem ich nicht, da ich viele Freundinnen habe, wenn sie sich etwas bemüht, wird sie auch einen Job finden und wir sind endlich aus diesem schwarzen, kalten Loch weg. Aber ich bin noch minderjährig, kann nichts machen, rein gar nichts. Es ist so schlimm und tut sehr, sehr weh, es ist ein Reißen und Zerren in mir.
Die eine Seite möchte glücklich sein und kämpft weiter, um irgendwann dieses Glück zu erreichen, doch die andere Seite hat dieses Leben, das kein richtiges ist, schon lange aufgegeben und sehnt sich Tag für Tag nach nur einem einzigen Zustand, dem Tod.
Doch jetzt genug von dem Schlimmen. Ich denke, dass ich jetzt vielleicht etwas meine Freude niederschreiben kann, über die Tage, die wirklich schön waren. Montags schrieben wir W. und R. und Erdkunde, beides lief wirklich gut. Dienstags schrieben wir Mathe und ich glaube, dass ich sogar eine Zwei habe. Leider muss ich auch sagen, dass meine Mutter wegen einer nicht zusammengefalteten Decke wieder einmal ausgerastet ist. Ich wurde wieder angeschrien, bekam nichts zu essen und wusste erst nicht, weshalb es jetzt wieder so schlimm war, obwohl er doch weg ist. Am Abend beruhigte sich dann zum Glück wieder alles, natürlich dank mir, ich ging runter und redete einfach mit ihr, sie würde ja nicht zu mir kommen.
Tja, so ist das leider nun einmal, damit muss ich mich abfinden, von wegen sie ist der Arsch der Familie, bitte, wer ist es denn wirklich? Wohl eher ich, oder vielleicht auch einfach alle zusammen, bis auf das ich ein guter Arsch bin und die anderen beiden sind scheißverdammte Drecksärsche. Anders kann ich das jetzt nicht beschreiben. Wenn man schon so nicht seine Wut rauslassen kann, dann wenigstens beim Schreiben.
Mittwoch war ein schöner Tag, wir fuhren auf die B. in M. und auf der Rückfahrt saß ein ganz süßer Typ bei uns in der Reihe. Da manchmal meine Spontaneität mit mir durchgeht, gab die Amelie ihm meine Nummer und er schrieb mir sogar, rief mich noch über eine Stunde lang an und ist wirklich super, super nett. Dass es so was Nettes noch gibt, war mir auch neu! Jedenfalls ein kleiner Lichtblick in meinem so bescheidenen, dunklen Leben. Er ist zwar 23 Jahre alt, aber ehrlich gesagt macht mir das recht wenig aus, es sieht super aus und ist auch noch ein ganz Lieber, zumindest bis jetzt. Nein, ich bin nicht verliebt, wirklich nicht und eigentlich brauche ich auch gerade keinen, an den ich mich dranklammern kann, aber was passiert, passiert einfach, warum und weshalb, das werde ich schon noch sehen. Doch wahrscheinlich kommt jetzt eine noch schwerere Zeit auf mich zu, da ich nächstes Schuljahr in der Zehnten bin und meine Mutter sich genau dieses Jahr als Scheidungsjahr ausgesucht hat! Juhuuuuuhhhhhhhhhh! Hilfe, Hilfe, Hilfe, ich habe Angst, Angst, Angst! Ok, tja, dann mach ich mal für heute Schluss und bete jeden Morgen und Abend, dass einfach bessere Zeiten kommen!
Ach ja und noch schnell was zu dem Typ, er heißt Jens, wohnt hier ganz in der Nähe, hat zwei Autos, ist Steinbock, hat eine feste Arbeit in M., spielt Volleyball, geht gerne joggen und spazieren, schreibt Gedichte (wie niedlich), und schaut gerne Filme an. Ach und falls wir mal heiraten – das ist jetzt eher als Scherz gemeint – mag ich seine Eltern, da die Afrika sehr mögen, so wie ich und er würde sogar mit nach Kapstadt ziehen –grins! Na, das ist doch mal ein schönes Ende einer meiner Einträge!
Tagebuch vom 10.–19.06.05
Ich habe schon eine Ewigkeit nicht mehr geschrieben, ich kam nie dazu und hatte kaum Zeit, jedoch hat sich sehr viel verändert und es ist einiges passiert.
Meine Mutter las meinen Tagebucheintrag vom letzten Mal, da ich ihn versehentlich liegengelassen hatte, jedoch umgedreht. Sie holte mich von der Schule ab und es war alles völlig normal und ich dachte natürlich auch nicht mehr daran, dass ich blöderweise meine Blätter neben dem Computer habe liegen lassen. Als wir zu Hause waren, meinte sie, dass ich gestern etwas vergessen hätte und dass es wirklich interessant sei, zu wissen, was ich so über sie denke. Mir wurde alles klar und ich bekam erst einmal einen tiefen Schock, nahm den Eintrag schnell und meinte nur, dass sie selbst daran schuld ist. Als ich die Treppen hinauflief, sagte sie noch, dass sie es allein zu entscheiden hätte, ob ihr Leben verhunzt wäre oder nicht, was ich eben geschrieben hatte. Danach war ich am Boden zerstört, sogar sie hatte meine Seele jetzt betrogen, sie versprach mir immer, nie etwas zu lesen und natürlich tat sie es doch, es war zum aus dem Fenster springen. Ich konnte nicht mehr klar denken, hatte zudem ein unglaublich schlechtes Gewissen und für mich war in dem Moment alles wieder tiefschwarz. Ich schrieb einen Brief an meine Freundinnen, in dem es darum ging, dass ich Tabletten genommen hätte, jedoch nicht, um mich umzubringen. Ich schrieb:
Ich habe ein paar Schlaftabletten genommen, allerdings nicht, um mich umzubringen! Ich hoffe, dass mir nicht der Magen ausgepumpt werden muss oder so etwas, vielleicht gibt es ja die Möglichkeit abzuwarten, bis die Wirkung nachlässt. Ich habe das getan, weil ich keine andere Möglichkeit mehr sehe, in meinem Leben etwas zu ändern. Wie ihr, meine Freundinnen, wisst, und natürlich auch Frau Rückbert, hilft rein gar nichts mehr, kein Jugendamt, kein Weglaufen, keine Briefe, und Reden schon gar nicht. Es ist nicht eure Schuld, bitte glaubt mir das, ihr könnt auch nicht mehr machen, als ich gemacht habe. Vielleicht erwachen meine Eltern ja jetzt endlich, ich wage dies jedoch zu bezweifeln. Doch einen Versuch war es wert, ich versuche alles, bzw. versuchte schon viel zu viel, was mich einige Kraft gekostet hat. Seid mir nicht böse, ihr wisst ja, wie es gerade oder besser gesagt schon seit langem, in meinem Leben steht. Ich habe euch lieb,
macht euch bitte keine Sorgen!
Eure Lena!
Das hatte ich wirklich vor, nicht einmal mehr weinen konnte ich, ich wollte nicht mehr lernen, nichts, alles konzentrierte sich nur noch auf diesen einen Gedanken, morgens in der Schule ein paar Tabletten zu nehmen und dann einfach für eine kurze Zeit weg zu sein, so wie ich das immer wollte. Dann kam aber ein Bekannter zu uns, der das Haus abschätzen sollte, sie kamen auch zu mir hoch und meine Mutter war ganz freundlich. Alles war so merkwürdig. Und es kam noch „schlimmer“, meine Ma setzte sich, nachdem Herr W. weg war, mit mir an einen Tisch und beredete den Verkauf des Hauses. Danach gab sie sogar zu, dass ich vielleicht mit dem, was ich geschrieben hatte, recht habe und ich ja in der Pubertät wäre und von daher wäre das alles ja in Ordnung. Sie verharmloste es viel zu sehr, was ich da geschrieben hatte, war wirklich nicht gerade ohne, in meiner Situation zwar berechtigt, aber so etwas sollte sie nie lesen, niemals. Ich denke, dass sie das sehr tief traf und sie sich nur selbst etwas vormachte, von wegen ich wäre schon etwas zickig und dass es ja vielleicht sogar normal sei in dieser Phase. Ich hatte sie doch lieb, so, so, so sehr und jetzt hatte sie es gelesen und musste doch sicherlich denken, dass ich sie hassen würde, was ich ja unter anderem auch schrieb. Ich redete mit ihr und versuchte ihr klarzumachen, dass es eben bei mir so sei, dass mein Innenleben ganz anders ist, als das Leben, was ich nach außen führe, es sind wie zwei verschiedene Welten, nur dass diese Welten in mir sind. Die eine Rolle nach außen hin ist, dass ich lieb, nett, vernünftig bin, jedoch diese hier ist eher die Wahrheit, es ist mein Abgrund, meine Aggressionen, die ich nicht zeigen kann oder die ich an niemandem ablassen könnte. Ich denke, dass sie das nicht begreifen wird, leider. Sie verhielt sich aber völlig friedlich, beunruhigend friedlich, was mir ein noch schlechteres Gewissen machte. Abends traute ich mich kaum ins Bett zu gehen und blieb bei ihr, um das einfach klarzustellen. Ich wollte sie nicht noch mehr belasten, keineswegs, ich wollte nicht, dass sie denkt, dass ich sie hasse oder sonst was und vor allem hielt ich mein schlechtes Gewissen kaum aus. Aber es war anscheinend doch okay für sie und am nächsten Tag war das alles gegessen. Doch ich denke, dass es irgendwann ein Nachspiel haben wird, wie auch immer das aussieht.
Meine Mutter hatte neue Freunde gefunden, ein Ehepaar, der Mann war ein Kollege aus Papas Tennisclub, er rief hier an und wollte wissen, wo er denn sei. Meine Ma erzählte ihm die Wahrheit und er und seine Frau waren anscheinend sehr geschockt darüber. Sie luden meine Ma ein und kümmerten sich auch sonst gut um sie, da sie oft anriefen und mit ihr etwas unternehmen wollten. Diese Leute waren wirklich nett und verständnisvoll, aber nun ja.
Außerdem traf sie sich noch mit einem Werner, dem von der Anzeige in der Zeitung, leider wurde daraus nichts, er war zwar nett, aber nicht ihr Typ. Ich war ziemlich froh, dass sie mal unter Leute ging, einmal wieder Spaß hatte und Menschen gefunden hatte, die sie verstanden. Ich war sehr zuversichtlich und sie anscheinend auch, doch dann kam Freitag und alles war wieder dahin, wie erwartet.
Abends kam er nicht, sie rief ihn noch an, doch nur die Mailbox war angeschaltet und sie sprach drauf, dann später riefen die netten Leute sie an und wollten wissen, was jetzt sei, ob sie ihr helfen können. Also ging sie schnell zu ihnen rüber, da das Ehepaar nicht weit von uns weg wohnte. Ich war also allein und konnte auf ihn warten. Wieder setzte ich mich unten in das Esszimmer, auf den Stuhl, auf dem man einen wunderschönen Ausblick nach draußen hatte. Es war so hart für mich, die letzten beiden Tage war meine Mutter ja abends weg, also war ich alleine, was mir gut tat, und ich versuchte, mich schon mal von dem Haus zu verabschieden. Es fiel mir so schwer, ich weinte Abend für Abend und merkte, wie sich alles in mir zusammenzog, wie ich fühlte, dass ich dieses Haus so sehr liebte, obwohl hier mein Leben lang die Hölle los war. Es kam mir vor, als ob es ein Leben hatte, eines, wofür es nichts konnte, so wie meines. Ich wohnte in diesem schönen und doch armen Haus, musste es bald verlassen, für immer. Ich sah mir alles genau an, machte an den Abenden Fotos und weinte, sprach sogar mit dem Haus, als ob es leben würde, was es für mich auch tut. Ich glaube, ich liebe es wirklich, einfach so und das kommt besonders heraus, wenn ich allein bin, wenn das Haus und ich alleine sind, unsere Ruhe haben, in Frieden leben können. Denn es kann nichts dafür, genauso wenig wie ich.
Später kam meine Mutter wieder, er war immer noch nicht da. Wir gingen also ins Bett und ich hatte sogar noch was getrunken, um besser schlafen zu können, zwei Flaschen Bier und Baileys, ich glaube, ich brauchte das wirklich an diesem Abend, alles wurde mir irgendwie zu viel. Doch ich hatte die sichere Ahnung, dass dieser Bastard noch heute Nacht kommen würde. Und so war es, er kam um halb drei Uhr in der Nacht und beide setzten sich wieder in die Küche, betranken sich und vertrugen sich somit auch. Ich wachte nicht auf, weil sie laut waren, was sie auch wirklich nicht waren, sondern weil ich etwas fühlte, ein Gefühl, dass mir die Wände dieses Hauses gaben, wenn er kam, ich glaube, dass das Haus es spürte, oder besser gesagt, ich merkte es, wenn er durch die Tür kam. Alles war friedlich, sie hatten sich wieder vertragen. Ich glaube, ich muss dazu nichts mehr schreiben, obwohl ich wirklich ziemlich viel dazu sagen könnte, doch es wäre immer das gleiche. Zumindest war meine Wut mehr als nur Wut, es war bitterer Hass, selbstverständlich auch auf meine Mutter, diese naive Frau. Sie waren so besoffen und gingen dann ins Bett, im Bad polterte es, ich war verunsichert, hatten sie wieder Streit, oder waren sie so dicht, dass sie im Badezimmer herumstolperten? Ich hatte mal wieder die altbekannte Angst und sah nach. Meine Mutter war anscheinend gerade auf der Gästetoilette und er war alleine im Bad, was ich aber nicht wusste. Der Anblick war grauenhaft, so etwas derart Widerwärtiges. Er hielt seinen Schwanz ins Waschbecken und spülte ihn ab, als ich das sah, knallte ich sofort wieder die Tür zu und lief schnell hoch, mir war wirklich schlecht. Dann kam die Mama aus der Toilette und ich war so aufgebracht, konnte mich nicht mehr zusammenreißen und meinte, dass sie das wirklich toll hinbekommen hätte, dass sie sich wieder mit diesem Drecksarsch vertragen hätte. Daraufhin schrie sie mich an, dass ich bloß still sein sollte, sonst würde sie hochkommen und dann wäre die Hölle los. Ich erwiderte: „Ach ja?“
Dann kam sie ein paar Stufen hoch und zischte noch irgendwas Drohendes, ich ging dann aber in mein Schlafzimmer und sperrte mich ein und sie ging wieder weg. Es war so grauenhaft, ich konnte die Nacht kaum schlafen, ich war aufgebracht, wütend, diese Gedanken, die mir schon wieder im Kopf herumgingen, würden sie denn niemals aufhören, immer das Gleiche?
Enttäuschung, ich fühlte mich hintergangen, verarscht und einfach alleine, so furchtbar alleine und verlassen, einsam, eingesperrt in meinem dunklen Schlafzimmer, voller Hass, alles zusammenhauen zu wollen. Ab diesem Zeitpunkt sagte ich mir wahrscheinlich schon zum 100sten Mal, stehe ich nicht mehr zu meiner Mutter, da sie nie auf mich hört, ich sowieso gegen eine Wand rede und sie eigentlich ständig zwei Schritte nach vorne macht und zehn nach hinten und dabei sichtlich nicht an mich denkt.
Am nächsten Morgen wartete ich ewig lange, bis sie endlich weg waren, anscheinend einkaufen, stand dann auf und machte mich fertig, da ich ja noch ein Date mit Jens hatte, wenigstens etwas Erfreuliches, doch ehrlich gesagt, hatte ich nicht einmal darauf Lust, ich wollte nur weg hier, ganz weit weg, mehr nicht. Nach kurzer Zeit kamen sie wieder und meine Mutter kam gutgelaunt zu mir nach oben, meinte, ich solle mich mit ihm vertragen, ich müsse das tun, er hätte mir ja nichts getan – klar, das kannte ich ja schon. Trotzdem hätte ich einfach nur ausrasten können.
Ich sagte ihr wieder, dass ich sie nicht verstand, dass sie so etwas doch nicht verlangen könne und sie ganz genau wisse, was er getan hat. Aber gut, wie immer und das war ja auch nichts Neues, hörte sie nicht auf mich und meinte, ich sollte wenigstens freundlich „Hallo“ sagen. Nun ja, alles was ich dazu meinte, war, „ja ok“, aber mehr nicht, und dass ich mich jetzt fertig machen müsse.
Tja, und jetzt kommt ein Teil meines Lebens, der sehr, sehr, sehr besonders ist. Ich möchte gleich zur Sache kommen: Ich, genau, ich – Lena S., die kleine (große), aus der S. Straße 11, hatte am Samstag ein Date mit dem Jens und noch ein Treffen am Sonntag, genau, wieder mit Jens und siehe da, sie hat es endlich geschafft, wenn auch eher ungeplant, und hat einen – Freund!!!
Es ist ein Wunder, es hat funktioniert. Wir verstanden uns sehr gut und er war super begeistert von mir und wirklich sehr, sehr lieb. Wir aßen erst Eis, er lud mich ein – grins – und danach gingen wir ewig lang spazieren, bis um kurz nach zehn Uhr. In der Stadt fragte er mich dann sogar, ob er meine Hand nehmen darf, ich meinte einfach nur „Ja“. Zugegeben, mir ging das etwas zu schnell, doch ich denke in meiner bescheidenen Situation macht man einfach alles, um glücklich zu sein. Er kuschelte sich noch an mich und meinte, dass ich ja so lieb wäre und gut aussehen würde. Wirklich äußerst ungewohnt für mich, aber aufbauend. Am nächsten Tag waren wir dann praktisch zusammen, da er mir einen Kuss – ok, es waren mehrere – gab, jedoch ließ ich keinen Zungenkuss zu, das konnte ich einfach noch nicht. Er war sehr lieb und ist wirklich anhänglich, im Gegensatz zu mir, die eher abweisend zu ihm ist. Oh mein Gott! Ich kann es einfach nicht fassen. Doch eigentlich macht ein Freund einen nicht wirklich glücklich, zumindest mich nicht. Es liegt an mir, das weiß ich, ich bin noch zu verängstigt und zurückhaltend, kann schwer Vertrauen aufbauen, vor allem zu einem Mann. Es gefällt mir, wie er meine Hand hält, wie er meinen Arm sanft streichelt, wie er sich an mich drankuschelt, einfach die ganze Art, wie er mich behandelt ist äußerst außergewöhnlich. Doch lieben tue ich ihn nicht, ich kann kaum sagen wieso, doch ich glaube, dass ich einfach keine Kraft mehr dazu habe, dass ich schon so ausgelaugt und so leer bin, dass ich es gar nicht mehr verkraften, bzw. damit umgehen kann, wenn mich seine Gefühle praktisch erfüllen wollen. Es ist ein schönes Gefühl, ganz klar, doch nicht das Wahre, nicht das, was ich will, es ist anders. Ich mache mir ständig Sorgen, ob er mich verarscht, das auch ernst meint, was er sagt und so weiter und so weiter. Einerseits ist er nur wie ein Kumpel für mich, dann plötzlich wechselt es aus der Situation heraus und er umarmt mich wieder, fährt mit seiner Hand über meinen Bauch und bei mir kribbelt es. Aber dass ich sagen könnte, dass ich mich wirklich so richtig geborgen bei ihm fühle, das kann ich nicht behaupten. Es ist eher so, als ob ich eine Art Mutter für ihn wäre. Sprich, wir führen bisher eine Mutter-Sohn Beziehung, die allerdings gut läuft. Ich möchte ihn zwar nicht verlieren, aber brauchen tue ich ihn auch nicht wirklich, so gemein sich das anhören mag. Die Wahrheit kann ich ihm bis jetzt nicht sagen, da er für mich wie ein kleines Kind ist, das Schutz braucht, ich ihm das aber nicht geben kann, doch nie und nimmer zugeben würde, dass es bei mir unsicher sei. Das Gefühl des Fallenlassens ist einfach nicht vorhanden, das Gefühl der Liebe ist außen vor und der Abstand geht von mir aus, was irgendwo traurig sein muss für ihn. Doch ich denke, dass ich mich vielleicht irgendwo einfinden werde, es braucht viel Zeit bei mir. Und das Gute daran ist doch, dass ich jetzt einfach jemanden habe, der lieb zu mir ist, mir förmlich meine „Streicheleinheiten“ gibt, die ich sonst nicht bekomme und mich ablenkt. Hoffentlich verletzt er mich nicht, das ist das Problem, ich kann mich nicht auf ihn einlassen, da ein Verlust mich noch mehr zu Boden reißen würde.
Tagebuch vom 20.–26.06.05
Als ich Montags in den Zug stieg, war meine Welt einfach nur schön, als ob man eine rosa Sonnenbrille aufhätte. Heute ist Sonntag, eine verrückte Woche ist also wieder vorbei und ich fühle mich schrecklich. Wie hätte es auch anders sein können, dass meine Familie größtenteils wieder daran schuld ist.
Aber jetzt erst einmal zum Montag. Wir fuhren mit unserer Politik und Zeitgeschichte-Gruppe nach M. ins K. Ministerium, wir hatten sogar die Ehre, Herrn S., dem K. Minister, Fragen stellen zu können, die er beantwortete. Danach gingen wir noch in ein anderes Gebäude, keine Ahnung wie das hieß, jedenfalls war dort Herr S., jedoch sahen wir ihn nicht, was auch nicht anders zu erwarten war. Der Tag sollte uns einen Einblick in die Politik gewähren und uns besser zu erkennen geben, welche Aufgaben die Politiker und auch ihre „Angestellten“ wahrnehmen (müssen). Diesen Einblick, besser gesagt, Eindruck hatten wir auch. Es war der, dass grundsätzlich alle Arschkriecher waren, die in wunderschönen, hochgesicherten Gebäuden ihre Büros mit ihren persönlichen „Assistenten“ oder auch „Sekretärinnen“ hatten und im Prinzip irgendwie in die Politik reingerutscht sind und völlig überbezahlt werden. Punkt, aus, Ende. Mehr sage ich nicht dazu. Und wo das Geld, das uns momentan fehlt, gelandet ist, das sah man auch sehr deutlich, ich sage nur „Moderne Kunst“ in den S. Ministerien, die unnötiger nicht sein könnte, dafür aber bis zu einer Million gekostet hat. Soviel zur „Politik“. Es war ein interessanter Tag und ja, es gibt Menschen dort, die wirklich arbeiten, das sind die Sekretärinnen, die dann dem werten Herrn K. Minister die Tür aufhalten können, dass er sich schön auf seinen Stuhl setzt und unterm Tisch mit den Beinen herumzappelt und versucht, uns die Fragen zu beantworten, bei denen er allerdings immer schön Beistand von seinen Kollegen bekommen muss, die ihm zustimmen oder zunicken dürfen. Es kann sein, dass ich evtl. nur das Schlechte sehe, aber es ist zumindest die realistische und nicht die beschönigende Sicht.
Jens wollte sich dann noch mit uns in M. treffen, um mit mir zusammen zurückzufahren, da er ja in M. arbeitete. Allerdings kam dann eine enttäuschende Mail, dass er ja angeblich müde wäre und schon nach Hause gefahren sei. Ich denke, dass er zwar nach Hause gefahren ist, aber nur Angst vor meinen Freundinnen hatte, tja Pech für ihn, leider auch eine Enttäuschung für mich, wie hätte es auch anders sein können.
Als wir um fast halb acht wieder zu Hause ankamen, machte ich nicht mehr viel, aber telefonierte noch mit meinem „Freund“, der anscheinend ein schlechtes Gewissen hatte, da er nicht mitgefahren war. Es war ein komisches Gefühl mit ihm, irgendwas stimmte nicht und das wusste ich genau, auf meine Intuition oder mein „Sehen“ in dem Fall konnte ich mich doch verlassen, oder etwa nicht?
Am nächsten Tag ging die Schule wieder los und tja, es war nicht besonders toll. Ich muss sagen, dass ich eigentlich ab der sechsten Klasse angefangen habe, die Schule zu hassen, wahrscheinlich wegen meiner Leistungen, mit denen ich unzufrieden war. Ich hatte eine Vier in Französisch rausbekommen, aber na ja, sie änderte sowieso nichts an meiner Note, für meine Mutter war das aber ein Grund zu sagen, dass ich es in den Abschlussprüfungen nicht schaffen würde, klar was auch sonst. Die Isabel kam noch zu mir und wir machten zusammen Erdkunde und Englisch. Ich bin so unendlich froh, dass ich sie habe. Sie ruft mich fast jeden Tag an, hilft mir mit Mathe, heitert mich auf und ist immer für mich da. Das war zwar auch mal anders, aber es ändert sich wie gesagt ständig alles, innerhalb eines Tages, eines Jahres, sogar innerhalb einer Minute und Sekunden spielen genauso eine Rolle. Es geht alles so verdammt schnell. Den einen Tag war man noch in der fünften Klasse und war aufgeregt, in eine neue Schule zu kommen und dann sitzt man plötzlich in der neunten Klasse, hat sein Jahr schon fast beendet und kommt in die zehnte und kann sich noch mehr Gedanken über seine Abschlussprüfungen machen.
Am nächsten Tag, da ich gerade beim Ändern war, gab es wieder richtigen Streit hier in meiner kleinen Hölle. So nett sich das anhört, es ist grauenhaft, langsam halte ich es wirklich nicht mehr aus, vor allem, weil ich nicht weiß, was ich noch tun soll.
Der Tag lief so scheiße, ich wurde in Englisch abgefragt und hatte eine Drei, diese Frau Aschmann schafft es doch wirklich immer wieder, mir eine schlechtere Note zu geben, sodass ich dann doch keine Zwei mehr in mein Zeugnis bekomme, mit der albernen Begründung, dass der Funke nicht übergesprungen wäre. Ganz toll, ich hätte ihr an die Gurgel gehen können, der alten Vogelscheuche. Aber nicht genug, Geschichte versaute ich an dem Tag auch noch und bekam eine Drei, zum Glück ändert diese Note aber nichts an meiner Zwei in Geschichte. Gott, was war oder ist nur mit mir los? Ich habe eine Vier in Englisch, eine Vier in Französisch, die Abfrage habe ich anscheinend versaut, wieso auch immer und in Geschichte, einem meiner besten Fächer, hab ich jetzt noch eine Drei. Aber das ist alles noch gar nichts im Vergleich zu dem, was zu Hause abgeht, die Schule stützt einen nur, macht nicht glücklich, bloß, wenn man nicht einmal mehr diese Stütze hat, was hat man dann noch, seine Freunde, die einzigsten Wesen, die wirklichen Bestand haben und einfach da sind.
Als die Schule aus war, holten mich meine Eltern ab und ich musste mit ihnen, das heißt, auch mit meinem Vater, essen gehen. Er hatte sich absolut nicht geändert, er war mir gegenüber zwar zurückhaltender, aber mehr nicht. Er fiel einem wie immer ins Wort, hatte eine große Schnauze und eine ungerechte, frauenverachtende Art, also kam ich mir wieder recht verloren und hilflos vor. Er betrank sich sogar wieder. Es hielt sich in Grenzen, aber er war eben angetrunken, typisch mein Vater, das Loch in Person, das nicht über seinen Schatten springen kann und das bis zu seinem Tod auch nie tun wird.
Es ging um irgendeine Rechnung, die meine Mutter bezahlt hatte, die aber anscheinend er bezahlen sollte, es gab wieder Streit. Mittags kam meine Nachhilfelehrerin und unten war ein Geschrei und die Türen flogen, es hörte nicht auf. Meine Lehrerin bekam das alles natürlich mit, sodass wir kein Mathe machten, sondern einfach eineinhalb Stunden über meine Eltern redeten und diese ganze Zeit über war unten nur Terror. Als sie dann weg war, ging es erst richtig ab. Beide waren jetzt richtig betrunken und das Gebrülle hörte nicht auf, es schien noch schlimmer zu werden, ich hatte wieder solche Angst. Ich ging auf den Gang und blieb in der Tür stehen, ging dann wieder in mein Wohnzimmer. Ich dachte mir, dass ich sowieso nichts ändern könnte, ich kann es nicht, ich konnte es noch nie und habe es so oft meiner Mutter gesagt, dass sie es sein lassen soll mit ihm, abertausend Mal, jetzt sollte sie einfach mal allein auskommen. Plötzlich hörte ich, dass jemand unten ans Gitter vom Kachelofen gedrückt wurde, es klang zumindest so, doch sicher bin ich mir nicht. Es war in dem Moment stille, einfach so, ein Mucks, nichts, alles ging mir durch den Kopf. Was ist passiert? Erwürgt er sie gerade? Erwürgt sie ihn gerade? Habe ich mich verhört? Oh Gott, soll ich runtergehen? Was ist, wenn sie jetzt tot unten liegt? Was ist, wenn wirklich jemand tot oder verletzt ist, was ist dann? Ich kann meine Mutter nicht allein lassen, ich brauche sie, was ist, wenn ...? Oh Gott! Mein Herz schlug so verdammt laut, ich zitterte, mir war kalt, das Übliche und ich blieb wie angewurzelt stehen, einfach so, ich konnte mich nicht bewegen, als ob mich etwas zurückhalten wollte. Die Gedanken wiederholten sich, es waren Sekunden. Dann hörte ich, wie sie ganz schwer ein- und ausatmete, immer und immer wieder, als ob sie keine Luft bekommen würde, sie rannte dann ins Badezimmer und es klang, als wenn sie sich über das Waschbecken stürzen würde. Es hörte nicht auf, anscheinend bekam sie keine Luft mehr. Oh nein, er hat sie doch gewürgt und dann losgelassen und jetzt bekommt sie also keine Luft mehr, was nun, was soll ich machen? Oder ist das nicht so, täusche ich mich, atmet sie nur so, weil sie so wütend und aufgebracht ist?
Ich schrieb schnell eine SMS an Isabel, dass sie mich sofort anrufen sollte. Das tat sie auch und ich fragte sie, was ich tun sollte, denn das schwere Atmen hörte jetzt auf, es herrschte Totenstille. Nein! Nein! Oh nein, war sie jetzt etwa …? Oh Gott, bitte nicht, ich würde das nicht verkraften!
Ich beschloss runterzugehen, Isabel blieb derweil am Telefon. Sie lag im Kinderzimmer auf der Couch, atmete noch, ihre Augen waren vom Weinen ganz geschwollen und rot. Gott sei Dank, sie lebte noch und atmete normal, Himmel, danke, danke! Ich setze mich zu ihr hin, nahm ihre Hand, schaute sie gründlich an, ihren Hals, ihr Gesicht, es war nichts zu erkennen. Sie war total betrunken. Ich fragte sie, was los sei. Doch sie meinte nur, dass sie es auch nicht wüsste und so nicht mehr weiterleben will. Dann fragte sie mich nur noch mehrmals nach Jens, ob er angerufen oder mir geschrieben hätte. Es war so sinnlos. Ich fragte sie immer wieder, was denn war, ob er ihr irgendwas getan hatte. Doch sie meinte „Nein“. Dann bat ich sie, liegen zu bleiben und zu versuchen zu schlafen, sie nickte und ich ging hoch. Ich erzählte alles der Isabel. Ein Glück, dass sie noch dran war. Aber es war noch nicht zu Ende. Meine Mutter rastete völlig aus, unten bollerte und rumpelte es, sie lief, glaube ich, ins Badezimmer und Schlafzimmer und holte irgendwelche Dinge und zerschlug sie, es war ein Höllenlärm. Dabei schrie sie weiter und mein Vater machte mit seiner „Du musst in die Psychiatrie“-Masche weiter. Er beleidigte sie, dass sie an allem Schuld sei und so weiter und so weiter, er hörte wie immer nicht auf, er war dafür verantwortlich, dass sie ausrastete, weil er nicht aufhören konnte, es war immer dasselbe, irgendwann in seinem Rausch oder auch Nichtrausch fing er an, einen grundlos zu beleidigen, bis man nicht mehr kann, bis man am Boden ist und man sogar selbst noch glaubt, dass man verrückt sei. Ich kenne das, mit mir machte er schon oft das Gleiche und mit meiner Mutter noch viel öfter, daher kann ich sie gut verstehen.
Sie bekam einen kompletten Nervenzusammenbruch und weinte und weinte, brach im Bad zusammen, danach im Kinderzimmer und so ging das weiter. Ich bat dann die Isabel, mit ihrem Roller schnell zu mir zu fahren, was sie auch machte, leider dauerte das eine Weile, da sie ja in I. wohnte. Unten beruhigte es sich dann so langsam wieder, sie weinte nun etwas weniger, doch er hörte nicht mit seinen Vorwürfen auf, sondern hackte immer mehr auf ihr herum, bis sie dann wieder zusammen am Tisch saßen und sich weiter zulaufen ließen. Es war schrecklich, einfach schrecklich. Dann kam die Isabel und meine Eltern wussten das ja nicht und rissen sich dann gezwungenermaßen etwas zusammen. Aber ab und zu hörte man dann noch meine Mutter schreien, jedoch hielt sich das im Rahmen. Später ging sie dann wieder, allerdings so, dass meine Eltern das nicht mitbekommen sollten, da sie im Glauben gelassen werden sollten, dass Isabel noch da sei. Sie bekamen es auch nicht mit.
Meine Mutter ging dann doch ins Bett, da sie wieder und wieder Streit hatten, und mein Vater schaute Fußball. Ich saß oben, alleine, zitternd und verloren in meiner Wohnung und sah dem Sonnenuntergang zu, ich saß bis um halb zwölf an meinem Küchenfenster und sah in den Himmel, der so schön weit und fern war, so hoffnungsvoll und friedlich, ganz anders als hier, wo ich mich eingeschlossen und zerquetscht fühle. Später kam mein Vater noch hoch, ich versteckte mich aber in der Küche und er bemerkte das nicht und ging wieder. Ich hasse es hier so, Himmel, wie ich es hasse, ich kann mir meine Zukunft nicht vorstellen. Weiß absolut nicht, was ich machen soll, habe keinen blassen Schimmer. Es dreht sich im Kreis, ein dunkler Kreis, der hart ist mit vielen Steinen, die spitz und kalt sind. Ich bin immer so wütend, so verdammt böse und könnte mich mit meinem Hass selbst zerstören oder in tausend Stücke sprengen. Ich komme einfach nicht aus meiner Haut heraus, es geht nicht. Ich habe meine schöne Zukunft „gesehen“, die wirklich schön ist. Doch jetzt kann ich mir das nicht vorstellen, keineswegs. Ich denke, dass ich gerade verloren bin, wahrscheinlich nicht nur gerade, sondern schon immer. Ich fühle das Schwarze in mir mit roten Farbklecksen, die wie scharfe Messerklingen in mir alles aufschlitzen. Es ist krank, so krank. Alles ist irgendwie richtig krank und kann nicht mehr geheilt werden. Mein Vater ist krank, wird nie wieder gesund, meine Mutter ist auch krank, doch sie kann noch geheilt werden, doch das kann nur sie alleine wollen, aber tut es nicht. Und was ist jetzt mit mir? Tja, das weiß ich nicht. Ich denke, ich kann geheilt werden, heile mich zum Teil schon selbst, irgendwie. Doch was genau wird mich in der Zukunft heilen, ist es Liebe und Erfolg? Der Gedanke an das Glücklichsein ist so weit entfernt, nicht zu greifen, unmöglich. Ich kann mir nur immer eines sagen, dass ich die Momente genießen muss, in denen ich Glück erfahre und fröhlich bin und dass die Hoffnung als letztes stirbt, zumindest bei mir. Vielleicht braucht mich die Zukunft noch, der Welt stehen schlimme Dinge bevor, der dritte Weltkrieg kommt und das ist nicht mehr lange hin. Es gibt Zeichen, die darauf hindeuten, es gibt Menschen, die das voraussehen und dann gibt es noch mich, die eine Gabe hat und damit eine Verpflichtung, eine Pflicht, das, was ich „sehe“, weiterzugeben, egal an wen oder was, aber es verständlich zu machen, sie darauf vorzubereiten, vielleicht ist das meine Aufgabe, vorbereiten, nur das, nichts anderes.
Donnerstag Morgen war meine Mutter kaum ansprechbar. Man konnte zwar schon mit ihr reden, doch sie schien noch abwesend zu sein, auf gut Deutsch eigentlich „total daneben“. Sie war wie weggetreten und das machte mir Angst. Ihre Lider waren noch geschwollen und sie war blass, man merkte ihr den Rausch vom vorigen Tag noch an.
Deshalb fuhr mich mein Vater, der hatte jedoch auch noch etwas Restalkohol in sich. Anscheinend fand meine Ma ihren Autoschlüssel nicht mehr. Hatte er ihn ihr etwa genommen oder war sie gestern so betrunken, dass sie ihn versteckt hat und heute selbst nicht mehr findet? Jedenfalls musste ich ihr dann den Ersatzschlüssel geben. Diesen Morgen hätte ich wieder weinen können und schreien, doch ich riss mich am Riemen und fuhr mit meinem Vater in die Schule. Er raste wie wild, da er ja ständig trödeln musste im Garten, wegen irgendwelchen unwichtigen Sachen. Ich hasste es, es war immer dasselbe, ich stand da, wartete, wartete und meine Mutter schaute, wo er blieb, dann sah ich nach ihm und nach einer Weile kam er dann, erzählte noch etwas vom Garten und dann fuhr er endlich los. Mit 120 bretterte er die Straßen entlang, fuhr dabei öfters in den Straßenrand, da er die Kurven nicht richtig fuhr. Zugegeben, es machte mir schon Angst, aber meine Wut überbrückte dieses Gefühl schnell. Glücklicherweise passierte nichts und bis jetzt lebe ich ja noch!
Ich sagte, dass ich Schülerzeitung hätte, die ja bis um drei Uhr geht, wo ich dann auch wirklich hinging, zu dem einzigen wirklich netten Lehrer an unserer Schule, Herrn Blau. Er war mein Ethiklehrer und in Politik und Zeitgeschichte hatten wir ihn auch. Er meinte, ich wäre sein Trumpf, weil ich so engagiert bin, ansonsten lobte er mich auch recht häufig und ist einfach ein super Lehrer. Schade nur, dass er schon 37 Jahre ist, verheiratet und sogar bald Vater wird. Doch ich freue mich sehr für ihn. Er ist bisher der einzige Mann, der wirklich nett ist und der als Vater wirklich zu beneiden wäre. Tja, ich denke, ich würde ihn sofort heiraten – grins! Jedenfalls holten mich meine Eltern zusammen ab und es war anscheinend alles wieder in bester Ordnung. Langsam geht mir das so was von auf die Nerven, ich werde hier ständig verarscht. Ich schreibe ständig, wie wütend ich bin, doch ich denke, dass ich meine Wut gar nicht ausdrücken kann, so gut ich es auch versuche. Da ich meine „Sucht“ aufgegeben habe, beschloss ich also, an diesem Abend einfach zu trinken.
Mein Freund rief mich dann noch an und nun ja, ich war leicht angeheitert. Das Gespräch war meiner Meinung nach lustig, aber etwas gemein. Ich sagte ihm voll und ganz meine Meinung, dass es mich stört, dass ich ihn nie zum Lachen bringen könne, was komisch ist, da ich das sonst bei jedem schaffe und so weiter und so weiter. Ich habe ihn, denke ich, teilweise ziemlich beleidigt. Er fragte mich noch, was er mir bedeutet, das beantwortete ich mit: „Ich habe keine Ahnung, ich schreibe es dir auf und dann gebe ich dir das, ok?“ Super Antwort oder? Als er wieder von Heiraten und Kinder bekommen anfing, ging bei mir die Sicherung total durch. Ich maulte ihn richtig an, dass ich verdammt noch mal erst 15 Jahre bin und noch nicht an Kinder denke und vom Heiraten, was ich ihm schon tausend Mal gesagt habe, nichts halte. Fies war auch, dass ich ihn nicht habe auflegen lassen, obwohl er ziemlich müde war. Irgendwann legte er dann einfach auf und meine letzen Worte waren nur: „Heeey, ich bin betrunken, hallo?“ Tja, danach lachte ich mir erst mal einen ab. Er nervte mich einfach nur, wirklich, so jemanden hatte ich nicht verdient. Ich kann nämlich 30 Dinge aufzählen, die ich an ihm nicht mag, allerdings nur 10 Sachen, die ich an ihm schön finde. Um jetzt einen kleinen Eindruck von ihm zu vermitteln, zähle ich das alles hier einfach mal auf.
Kommen wir erst zu den 30 schlechten:
1. Er langweilt mich teilweise total, sodass ich ihm nicht mehr zuhöre.
2. Ich bringe ihn nicht zum Lachen, sprich, er hat nicht meinen Humor.
3. Er mag Austin Powers nicht, was einer meiner Lieblingsfilme ist und eben genau meinem Humor entspricht.
4. Er führt sich oft kindisch auf, wenn er z. B. einem Traktor eine viertel Stunde lang zuschaut und so tut, als ob er noch nie so etwas gesehen hätte.
5. Meistens, wenn er einen Witz erzählt, dauert die Geschichte zehn Minuten lang, die Pointe kommt dann eben plötzlich am Schluss und das ist sehr dämlich.
6. Er ist total behaart – ich meine, ich weiß, dass Männer behaart sind, aber dadurch, dass er dunkle Haare hat, sieht er an Armen und Beinen wie ein Affe aus und das turnt super ab.
7. Als wir Eisessen waren, hat er ständig unterm Tisch herumgehampelt, was wiederum einfach nicht sexy ist.
8. Er gähnt ständig und kann sich nicht mal die Hand vor den Mund halten, kein Benehmen!
9. Er wirft mir vor, dass ich mir noch keine Gedanken über meine Zukunft machen würde, obwohl er mich doch gar nicht kennt.
10. Er ist ein absolutes Muttersöhnchen.
11. Er erzählt mir ständig von seinem Freund, was der denkt, dass ich ja zu jung wäre und er davor ja ach so Angst hätte, es ihm zu erzählen, super, er steht also nicht zu mir.
12. Er läuft wie eine Schwuchtel.
13. Er ist überaus verzweifelt und denkt schon ans Heiraten und ist sauer, wenn ich sage, dass ich davon nichts halte.
14. Er ist total rechthaberisch – bin ich zwar auch, aber egal.
15. Er mag Stefan Raab und Michael Mittermeier nicht sonderlich, das sind zwei meiner Lieblingscomedystars.
16. Er findet Scary Movie absolut nicht lustig – auch eine super Komödie.
17. Er wusste nicht, dass es in Afrika keine Tiger gibt.
18. Er fragt ständig total unwichtige Dinge, z. B. wie dieser Tümpel heißt, wie sich der Bach nennt und so weiter.
19. Er will bereits Kinder haben (total bescheuert).
20. Er zieht rosa Hemden an, was ich grauenhaft finde.
21. Er lässt sich von seinen Eltern vorschreiben, wann er den Rasen zu mähen hat.
22. Er muss angeblich eine dreiviertel Stunde lang seine Tomätchen gießen, was irgendwo richtig peinlich und unmännlich ist.
23. Er findet es schlimm, wenn ich zwei Flaschen Bier trinke.
24. Er geht anscheinend nicht gerne auf Partys, nur auf solche Seefeste, die er supercool findet.
25. Er hat unheimliche Komplexe, da er ständig darüber redet, was wohl die anderen denken oder sagen würden, wenn sie wüssten, dass er 23 und ich erst 15 bin.
26. Er ist richtig unzuverlässig, da er immer zu spät kommt und erst auf den letzten Drücker Bescheid sagt.
27. Er lässt mich einfach so sitzen am Freitag, das erzähle ich noch!
28. Er plant schon unsere Zukunft, wohin wir in Urlaub fahren, wo wir wohnen könnten, was mir auch wieder Angst macht.
29. Wenn er mir mal schreibt, bzw. schrieb, dann immer mitten in der Nacht. Zum Glück hatte ich mein Handy aus, sonst wäre ich aufgewacht.
30. Und er hat Angst vor meinen Freundinnen, wieso auch immer, jedenfalls hat er sich nur davor gedrückt, mit mir auf die Abi-Party zu gehen, weil zwei Freundinnen dabei gewesen wären!
Kommen wir jetzt zu den zehn Dingen, die ich an ihm mag:
1. Seine Frisur gefällt mir.
2. Er ist schlank.
3. Er raucht nicht, was ich super finde.
4. Er ist anhänglich, was ich ebenfalls mag.
5. Er kann sehr, sehr liebevoll sein – süüüüüß.
6. Er macht mir Komplimente, z. B., dass ich schöne Augen habe oder weiche Haare, denn so etwas bin ich wirklich nicht gewöhnt und das ist aufbauend.
7. Er hat schöne Hände, das ist mir immer wichtig.
8. Er mag die Natur, was auch selten ist.
9. Er ist tierlieb.
10. Und er tut zumindest so, als ob er mich lieb hätte, ob das auch so ist, weiß ich nicht!
Nun ja, das war es. Jedenfalls mehr Nachteile als Vorteile. Und wie ich schon erwähnt habe, hat er mich am Freitag sitzen lassen. Eigentlich wollten Isabel, Bettina und ich auf die Abi-Party, aber das wurde doch nichts, also gingen wir aufs Stadtfest nach Kaufbeuren und waren Cocktails im T. und N. trinken. Der Abend war ein wenig langweilig, es fehlte einfach jemand, mit dem man so richtig abgehen konnte, tanzen und singen. Ich merkte, dass ich die Anderen etwas mit meinem Jens nervte und anscheinend ziemlich verzweifelt war. Ich schrieb ihm sogar noch eine SMS und entschuldigte mich bei ihm für das Telefonat. Es kam und kam nichts mehr zurück. Wir riefen ihn sogar an, er nahm aber nicht ab. Irgendwann gaben wir, bzw. ich es dann auf. Aber jetzt sieht es wieder ganz anders aus. Ich bin nicht mehr verzweifelt, vielleicht habe ich mir das auch nur eingeredet, weil ich einen Grund brauchte, traurig und niedergeschlagen zu sein, eher wegen meiner Eltern und der Schulwoche.
Ich übernachtete noch bei Bettina und am nächsten Tag wollte eigentlich Jens mit mir aufs Stadtfest, nebenbei wollten wir auch noch Sonntags ins Kino gehen, aber hey, egal, bin ja nur ich, die er nebenbei angeblich heiraten will. Oh je, darüber kann ich mittlerweile nur noch lachen.
Samstags machte ich dann Mathe, Deutsch und WR und sah fern. Es kam eine Sendung, die „Jacke und Jill“ hieß. Ich hatte sie zuvor noch nie gesehen, dachte, es wäre ein Film. Es war richtig gut, diese Serie zu sehen. Dort waren einige auf einer Hochzeit und es gab Singletische und Nichtsingletische. Eine Frau setzte sich jedoch demonstrativ an den Tisch für Pärchen, das tat ein anderer Mann dann auch. Doch er schien noch viel einsamer und verzweifelter zu sein, als diese Frau. Er tanzte mit ihr, sie verstanden sich gut, aber er ging ziemlich schnell ran, er redete von seinen Eltern, dass die Frau ihnen bestimmt gefallen würde und dann kam er zum Thema Heiraten und Kinder zeugen. Mich erinnerte diese Situation sehr an meine eigene. Die Frau vertraute zum Glück ihrem Verstand und ging dann vernünftigerweise, da sie das ziemlich lächerlich fand. Dann, zum Schluss sagte sie einen Satz und der war wirklich entscheidend für mich: „Jetzt weiß ich, dass es außer mir noch andere Menschen gibt, die viel verzweifelter sind als ich, wie dieser Mann, der dachte, weil er schon über dreißig ist, müsse er krampfhaft eine Frau finden, doch so etwas muss ich mir nicht antun!“
Richtig! Er ist bloß verzweifelt, weil er denkt, dass er schon ach so alt wäre und noch keine feste Beziehung hat, dann müsse er sich doch schnellstmöglich jemanden suchen und sofort planen, was das Zeug hält. Armer Junge, aber wie gesagt, so etwas muss ich mir nicht antun, nein, nicht mit mir! Und das werde ich ihm auch sagen, sofern er sich überhaupt noch mal meldet.
Sonntag war ich bei Isabel, wir waren auf dem Töpfermarkt in I. und tranken Radler, besser gesagt, ich trank fast die Hälfte ihrer Flasche noch mit, da es ihr nicht schmeckte. Nun trank ich also schon Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag, jeden Abend, ich betrank mich nicht direkt, aber empfand es als nötig, um auf „andere Gedanken“ zu kommen. Als ich um sechs wieder abgeholt wurde, vertrugen sich meine Eltern sogar immer noch. Ich lernte noch und machte wieder Mathe, dann setzte ich mich vor den Fernseher und schlief ein. Später wachte ich wieder auf, sah noch etwas fern, schrieb am Computer und ging dann ins Bett. In den letzen Tagen war es immer so, dass ich abends nicht mehr schlafen konnte, mein Herz raste wie wild, ich hatte keine Schmerzen, aber ich wurde einfach nicht ruhig, wurde wieder fast verrückt, wusste nicht, was ich tun sollte. Ich blieb dann einfach wach liegen, dachte über meine Zukunft nach. Ins Gymnasium würde ich es vielleicht schaffen, aber dann müsste ich in den Mathezweig mit rein und könnte den ganzen Stoff wiederholen, das wäre fast unmöglich. Wenn man von vornherein nicht im Gymnasium ist, dann ist es schwer, plötzlich mitzukommen. Und FOS? Die langweilige Fachoberschule, bei der ich jede zweite Woche Praktikum habe im sozialen Wesen und ins Altersheim muss? Nein, danke, wirklich nicht. Ansonsten gäbe es da noch die altbekannte Sprachenschule. Sprich: Fremdsprachenkorrespondentin und dann vielleicht noch Dolmetscherin. Oh Gott, was soll ich bloß noch machen? Wo ist der richtige Weg, werde ich ihn finden? Ich habe solche Angst. Könnte mir nicht einfach jemand sagen, was ich tun soll, sodass dies dann das Richtige wäre? Doch das ist dann wohl zu einfach.
Später gingen dann meine Eltern ins Bett, ich hörte sie poltern und Diskussionen, ich hatte Angst, stand auf, ging auf den Gang. Setzte mich auf den kalten Marmor und starrte vor mich hin, horchte. Ich hielt das nicht mehr aus, es ging einfach nicht. Ich fing, glaube ich, an zu hyperventilieren, bekam kaum Luft, bekam Herzschmerzen, ich atmete schwer und war wie weggetreten, abwesend, nicht mehr auf diesem Planeten. Ich blieb sitzen, obwohl die Stimmen aufgehört hatten, obwohl es ruhig war. Oh Gott, nein, es fing wieder an, einfach so, irgendwann ging es immer wieder los. Ich musste mich regelrecht zwingen, ins Bett zu gehen, wollte weinen, konnte es aber nicht, ich schlief bis um halb zwei nicht ein, am nächsten Morgen ging es mir dann auch nicht gerade gut, ich fühlte mich wie zertrampelt.
Ich will hier weg, weg von denen, es ist schlimm, ständig in Angst zu leben, wenn etwas laut poltert, wenn jemand die Stimme erhebt, dann höre ich sofort auf zu leben, ich lege meine Schreibsachen weg oder stelle den Fernseher aus, mache die Musik aus, horche, horche weiter, gehe vielleicht auf den Gang, um dann dort zu warten oder beruhigt in meine Wohnung zurückzugehen.
Meine Gesundheit macht das auch nicht mehr so mit, das hat sie noch nie. Tja. Ich kann nicht mehr schlafen, will mich betrinken, komme nicht zur Ruhe, fange an, einfach so schwer zu atmen und habe wirklich oft Depressionen. Ich gebe zu, dass ich so etwas habe, es ist so, als ob es einfach ein Schaden wäre, der durch meine Eltern kam. Wie eine Platte, die einen Kratzer hat, da man nicht auf sie achtete. Doch kommen noch mehr Kratzer dazu? Es kommt auf die Besitzer an, die in dem Fall meine Eltern sind. Ritzen, Erbrechen, Herzstechen, Zittern, jetzt trinken, Kreislaufstörungen, was kommt noch? Tabletten etwa? Halte ich es irgendwann wirklich nicht mehr aus, nehme dann doch Tabletten, so wie ich es einmal vorhatte? Hoffentlich nicht. Ritzen habe ich aufgehört, bin über den Berg, brauche es nicht mehr. Gebrochen habe ich einmal, doch eben nicht aus Absicht, es war einfach eine Reaktion meines Magens auf all den Stress, das habe ich auch schnell wieder hinbekommen, trinken, tja, ich kenne die Grenze, weiß, wann ich richtig besoffen werde und soweit lasse ich es nicht kommen, nur momentan brauche ich es eben. Und die Kreislaufstörungen, die werden wie die Depressionen immer wiederkommen, das sind eingefahrene Dinge, die kamen nicht einfach so, sondern waren die Frucht der jahrelangen „Arbeit“ meiner Eltern.
Aber nun gut. Ich sehe ja noch etwas Licht, ich habe noch Freunde, ich lebe im Wohlstand, solang ich das alles noch besitze, ist es ok, dann sehe ich mich eigentlich schon gezwungen, unter diesen Umständen weiterzuleben, anderen geht es schlechter. Doch das Streben nach dem Glück werde ich nie aufhören, genauso wenig wie all die anderen. Vielleicht sogar noch mehr, da ich weiß, dass es besser werden kann. Ich muss nur zusehen wie, wo, und vor allem wann ich hier „abspringen“ kann.
Tagebuch vom 27.06.–05.07.05
Wieder ist über eine Woche vergangen und es ist einiges passiert. Tja, mit Jens und mir ist jetzt endgültig Schluss, ich bin froh darüber, aber auch etwas traurig. Und ich weiß nicht einmal weshalb. Ich war weder verliebt in ihn, noch verknallt und trotzdem vermisse ich etwas von ihm, wahrscheinlich seine Zuneigung, die er mir gegeben hat. Aber so leicht konnte ich ihn nicht davonkommen lassen, er hat irgendetwas in meinem Herzen geöffnet, einfach so, doch das war nicht für ihn bestimmt und das weiß mein Herz auch, daher empfinde ich auch keine Liebe, aber es war ein Gefühl der Zufriedenheit, leider nur für wenige Tage und daher komme ich mir ziemlich benutzt vor. Vor allem wenn er meint, dass eine Beziehung mit mir sowieso nichts bringen würde, da ich wegen meines jungen Alters angeblich noch nicht an meine Zukunft denken würde. Herrgott, was soll ich denn machen, wenn ich „Sehen“ kann und weiß, dass ich meinen späteren Mann erst viel später kennenlerne und bitte, was will er immer mit Heiraten, nur weil ich davon nichts halte und körperlich und seelisch noch nicht fürs Kinderkriegen bereit bin? Er ist es nicht wert, doch wie gesagt, er kommt mir nicht so leicht davon, weil er mich einfach in meinem Stolz verletzt hat. Und nun verarschen ich und die Isabel ihn, dass die Isabel angeblich Erika hieße, an ihm interessiert wäre und sie auch seine gleichen bescheuerten Ansichten hätte. Ist alles nur ein Fake, aber er weiß das ja nicht und gestern, Montag, hat er mich angerufen und wollte alles über Erika wissen. Oh Mann, ich hätte mir so einen ablachen können, irgendwie tut er mir ja leid, macht sich große Hoffnungen und nervt die Isabel jetzt, aber was sein muss, muss sein. Aber da ich ein ziemlich schlechtes Gewissen deshalb habe, mache ich dem Ganzen bald ein hoffentlich schmerzfreies Ende. Irgendetwas wird mir schon einfallen.
Kommen wir zur Schule. Die läuft grade wirklich gut. Ich habe eine Zwei in der Deutsch-Schulaufgabe, eine Zwei in der Mathe-Ex und eine Zwei in der Chemie-Ex, daher gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass ich in Mathe doch noch eine Drei ins Zeugnis bekomme und in Chemie vielleicht eine Zwei. Das wäre so schön.
Jetzt zu etwas weniger Schönem, genau, meinen zu unrecht Erziehungsberechtigten, meinen Eltern. Von Sonntag auf Montag ging es wieder richtig ab hier. Es war schlimm, ich konnte bis um drei Uhr nachts nicht schlafen. Sie fingen abends an zu streiten, meine Mutter schrie wieder einmal gnadenlos und er stritt wie üblich ab, dass er mit seiner Freundin im Urlaub war und so weiter und so weiter. Es ist so schlimm, ich hasse es, es fängt immer wieder von vorne an, nimmt kein Ende. Wie oft ich das schon geschrieben habe, wie oft ich schon meinen Schmerz und mein Leid hier zum Ausdruck gebracht habe und immer und immer wieder ist es das Gleiche. Ich konnte einfach nicht schlafen, was ja kein Wunder war. Es ging hin und her, hörte kurz auf, dann ging es weiter, Geschrei, Gepolter und das Übliche. Jedes verdammte Mal habe ich Angst, mein Kreislauf geht in den Keller und ich würde am liebsten auf der Stelle zusammenbrechen, ich zittere vor Angst und tausende Gedanken schießen mir durch den Kopf, was alles passieren könnte. Ich erinnere mich an die Vergangenheit, was da alles war, dass es wieder passieren könnte. Ich erinnere mich an meine Träume, besonders an diesen einen.
Mein Vater flippt darin völlig aus, schließt die Mama und sich in einem Zimmer ein, sodass sie nicht raus kann und ich nicht rein kann, um ihn aufzuhalten. Dann höre ich Schreien und wie er sie schlägt, ich renne runter, will die Tür einschlagen, kann nichts machen, ich schreie und weine, schlage so fest dagegen und brülle mir die Seele aus dem Leibe, doch es geht weiter und weiter, ich will die Polizei holen, das Telefon ist aber weg und ich merke, dass es dann zu spät ist, dass ich sofort was tun muss und dann, dann wache ich immer auf. Es ist immer der gleiche Traum, einmal sind wir im Hotel, dann sind wir wieder zu Hause, die Orte wechseln, doch die Handlung bleibt dieselbe.
Am nächsten Morgen, Montags, war meine Ma wieder einmal kaum anzusprechen, ganz weit weg, in ihren Gedanken, sie fuhr mich zur Schule und später um drei Uhr holte sie mich ab und erzählte mir, dass sie sich wieder vertragen hätten.
Angeblich hat er gesagt, dass er sich hat umbringen wollen, meinte sogar, dass wir zu einer Familienberatung gehen sollten. Er gab anscheinend sich die Schuld und wollte dann noch alleine zum Psychiater, na ja, wie ich schon erwähnt habe, es wiederholt sich ständig. Wie lange ich das noch aushalte, das weiß nur der liebe Gott, bzw. mein Körper, denn der wird dadurch immer krank. In der Nacht vom Sonntag auf den Montag hatte ich auch so schlimme Kopfschmerzen, es war die Hölle, als es dann wieder da unten anfing, bekam ich auch Herzschmerzen und wie gesagt, dieses Zittern, leider kommt das immer.
Dann waren wir zu Hause und ich sagte ihm, dass ich eine Zwei in Matte habe, er freute sich, umarmte mich, gab mir einen Kuss auf die Backe, merkwürdig. Ich sah ihn mir genauer an. Und, was fiel mir auf? Er hatte irgendwas genommen, wahrscheinlich seine harten Antidepressivtabletten, denn seine Augen waren trüber als sonst, er redete langsamer, saß da wie benommen und war so ruhig, nicht direkt müde, aber so, als ob er im Delirium wäre, einfach merkwürdig. Das war ja nicht das erste Mal, ich merke das immer, wenn er was genommen hat, er ist dann so ganz eigenartig drauf, man sieht es ihm an seinen Augen an, es ist furchtbar.
Wieso ich? Muss ich denn so einen Vater haben? Kann er nicht endlich sterben oder verunglücken oder ihn jemand auf der Straße alleine umbringen? Es mag sich böse anhören, aber es ist so, ich will ihn loshaben, ich hasse ihn, habe ihn schon immer gehasst und werde ihn auch immer hassen, für das, was er uns antut.
Letzten Freitag war ich bei der Amelie und wir wollten eigentlich auf die Fachoberschulen- und Berufsoberschulen-Party, aber da es so regnete, gingen wir einfach so in die Stadt, waren wieder im T. und N. und schauten uns eine DVD an. Ich übernachtete bei ihr, aber es war nicht so schön. Ich bekam keine Luft und schlief kaum, das lag wohl an meiner Allergie und vielleicht der ganzen Aufregung, die ich die Woche hatte. Freitags kommt bei mir immer alles hoch, es ist so, als ob ich die Woche von Montag bis Donnerstag gut durchhalten könnte, was mir aber auch schwer fällt, ständig stark zu sein, nicht zu weinen, aufzupassen, zu lernen und gute Noten zu schreiben. Ich merke aber immer, wie es jeden Tag schwerer für mich wird, dass ich keine Lust mehr habe und so weiter. Dann, freitags, bin ich meistens total aufgebraucht und müde und kann nicht mehr. Ich weiß nicht genau, wieso das so ist, es liegt an meiner Psyche, an dem, dass ich wahrscheinlich nicht gut schlafe, seit mein Vater immer hier ist, an dem Druck von der Schule und bestimmt an den ständigen Streitereien meiner Eltern. Es ist hart für mich. Es fällt auf einen und zerbricht, wie Trümmer, doch man steht immer wieder auf und geht weiter, doch dann, was bei mir dem Freitag entspricht, geht es kaum noch, die Knochen tun einem weh, man steht nicht auf, bleibt irgendwann liegen.
Ich hatte den Hang, jeden Tag Bier zu trinken, freute mich wirklich jeden Abend oder Nachmittag darauf, einfach nur eine Flasche Bier, zum Entspannen, zur Beruhigung und als Belohnung. Doch ich weiß ja, dass ich leicht süchtig von etwas werde und merkte, dass ich jeden Tag eine meiner Flasche brauchte. Ich wurde davon nicht betrunken, war auch nicht angeheitert, doch es war für mich wie ein notwendiges Genussmittel. Als ich jedoch merkte, das war Freitag, dass ich plötzlich leicht genervt und aggressiv wurde, da ich kein Bier hatte, machte mir das Angst. Amelie und ich gingen zum V-Markt und ich kaufte mir eins, danach ging es mir wieder gut, als ob eine Sucht gestillt oder befriedigt wäre. Ich machte mir so meine Gedanken. Aber dann sprach mich Amelies Mutter darauf an, da sie die Flasche sah, meinte, wie lange ich schon Bier trinke, dass man da so leicht reinkommt, machte sich anscheinend Sorgen um mich und meinte dann, dass es schon ok wäre, wenn es nur das eine Mal ist, nur sie wüsste das ja nicht.
Das öffnete mir in einer gewissen Weise die Augen, verdammt, ich hatte sie ja angelogen, ich machte das nicht nur ab und zu, sondern jetzt schon fast zwei Wochen lang und wurde auch noch gereizt, wenn ich kein Bier bekam. Also hörte ich damit auf und trank auch sonst keinen Alkohol mehr, bis heute.
Mit meiner anderen Sucht geht es super, meine Entzugserscheinungen und Anfälle sind schon länger ganz verschwunden, ich habe auch nicht mehr das Bedürfnis, mich zu schneiden, denke auch nur selten daran, es wird immer besser und ich bin wirklich so froh darüber, es alleine geschafft zu haben.
Jetzt komme ich zu einem, denke ich mal, Höhepunkt, ich schrieb nämlich letzte Woche dem Hansen einen Brief, am Computer natürlich, da er so lang war und warf ihn am Sonntag ein, sprich am Montag wird der Kasten geleert und Dienstags, da B. ja nicht weit weg ist, müsste er angekommen sein, also heute sollte er ihn eigentlich erhalten haben. Was darin stand:
Hey Hansen,
vielleicht wunderst du dich jetzt, dass du einen Brief bekommst, oder vielleicht auch nicht. Jedenfalls muss ich dir jetzt einfach mal schreiben, ich hatte das schon lange vor, aber wusste nicht, ob das eine so gute Idee wäre.
Als ich dich zum ersten Mal sah, war ich in der siebten Klasse und du kamst mir mit deiner damaligen Freundin im Arm auf der Treppe entgegen. Ich weiß noch genau, dass deine Augen wunderschön strahlten und du unglaublich glücklich aussahst. Ich denke, dass es deine Ausstrahlung war, die mich in diesem Moment beeindruckte, doch erst mal dachte ich mir nichts dabei. Plötzlich sah ich dich jeden Tag, immer und immer wieder und komischerweise machte es mich fröhlich, dich zu sehen. Ein paar Wochen später ging ich in die Rockband und sah dich dort natürlich wieder. Du saßt da, direkt vor mir und ich merkte, dass ich der Frau Heiz einfach nicht mehr zuhörte, ich bekam nichts mehr mit, auf einmal stand nur noch ein einziger Gedanke im Raum, das warst du. Es war ein so starkes Gefühl, es überrannte mich fast und ich bekam sogar etwas Angst. Ich beschloss, dass ich lieber nicht mehr in die Rockband gehen sollte, weil dies das Vernünftigste war.
Ich war mir gar nicht so sicher, war total verwirrt und wusste überhaupt nicht, was ich machen sollte. Dich mir aus dem Kopf schlagen, einer Illusion nachgehen, es einfach versuchen? Und wieder sah ich dich jeden Tag und wurde glücklicher und glücklicher. Dann hielt ich es kaum noch aus, dachte mir, dass ich doch irgendetwas tun müsste, also schrieb ich dir meinen ersten Brief. Eine Freundin gab ihn dir und ich denke, dass der Brief damals bestimmt kindisch auf dich gewirkt hat und dich mein „Kram“ bestimmt nicht interessiert hat. Ich wartete und wartete auf eine Antwort von dir oder zumindest irgendeine Reaktion, aber es kam nie etwas zurück. Ich war unglaublich wütend auf dich und versuchte mir immer und immer wieder zu sagen, dass es sowieso alles für den Arsch wäre. Aber ich konnte wirklich nicht mehr aufhören, an dich zu denken, obwohl ich es ernsthaft versuchte und mir klarmachte, dass es nichts geben könnte. Ich schlief kaum noch und ein Hungergefühl hatte ich auch nicht mehr. Es konzentrierte sich alles nur auf dich.
Aus meiner damaligen Wut schrieb ich dann zusammen mit meiner Freundin einen Brief, als Verarschung an dich, ich denke, dass du dich daran sogar noch erinnern kannst. Es war der zerknüllte Brief mit diesen Rechtschreibfehlern, der um „Klausie“ ging. Es tat gut, dir diesen Brief zu geben, erstens aus meiner Verzweiflung und zweitens, um mir selbst sagen zu können, dass ich über dich hinweg wäre. Doch natürlich war ich das nicht.
Irgendwann rief ich dann bei dir an, gab mich blöderweise als meine Freundin aus und fragte nach deiner Handynummer. Wir schrieben uns und wollten uns am nächsten Tag in der Pause treffen, was wir auch taten. Ich kann mich noch erinnern, dass du krank warst, ein Halstuch anhattest und alleine dastandest und auf mich gewartet hast. Ich hatte nur Panik und dachte, dass du mich sowieso nur als blöde, kleine Streberin oder sonst was ansehen würdest und nahm eine Freundin mit. Irgendwie brachte ich es nicht fertig, dir zu sagen, dass ich das war, sondern wollte dir weismachen, dass ich gar nicht ich wäre, sondern, dass die, die dir geschrieben hätte, in T. wohnen würde. Ja, ich weiß, verwirrend. Du warst sowieso nicht sonderlich begeistert, das sah man dir an und dann war es für mich klar, dass ich nur noch lügen konnte, weil ich nicht mehr weiter wusste.
Es herrschte einige Zeit lang Funkstille, aber da ich ein etwas durchgeknallter, doch hartnäckiger Mensch bin und war, rief ich dich einfach an und wir vereinbarten wieder ein Treffen in der Schule, doch dazu kam es nicht, da du leider nicht erschienen bist.
Ich dachte mir, soll das so sein? Bzw. soll es einfach nicht sein, da du mich, egal was ich machen würde, niemals so lieben könntest wie ich dich?
Dann fiel mir eine komplett verrückte Idee ein, dass ich dir ja vom Handy meines Vaters schreiben könnte, mich als ganz jemand anders ausgeben kann, um so zu sehen, ob du mich dann doch mögen würdest. Und so war es meiner Meinung nach wirklich. Wir schrieben uns eine längere Zeit und du wolltest dich immer mit mir treffen, mich sogar besuchen kommen. Ich nannte mich damals übrigens „Ellena“, falls dir das noch was sagt. Gott, war ich happy. Ich konnte dich jeden Tag sehen, ohne dass du wusstest, dass ich es war. Ich starrte dich ständig an, ich war wirklich fanatisch, nahezu besessen. Wenn ich dich nicht sah oder nichts von dir hörte, dann war der Tag für mich gelaufen.
Du standst morgens immer an der Bushaltestelle und hast geraucht und unsere Clique stand bei den Säulen und ich sah immer zu dir rüber und muss sagen, dass ich den Anschein gewann, dass du auch zu mir hergesehen hast, dieser Meinung war nicht nur ich. Ich fragte mich, ob du es dir vielleicht denken konntest, dass ich es war oder hast du mich einfach angesehen, weil du mich lächerlich fandest, ich weiß es nicht, aber es hat mich erfüllt, so sehr erfüllt, dass ich sagen kann, dass mich noch nie zuvor etwas in meinem Leben so sehr erfüllt hat wie du, auch wenn das jetzt kitschig klingen mag.
Wir trafen uns dann endlich und dann hast du mich sogar umarmt. Ich dachte, ich spinne. Ich hätte vor Freude schreien können. Dann gingen wir ins P. Treff, wo einige deiner Freunde waren, unter anderem auch deine Exfreundin. Ich kam mir so verloren und einfach nur bescheuert vor. Ich hatte das Gefühl, dass mich alle anstarrten und für komplett blöd halten mussten. Ich glaube, ich wurde damals knallrot und hab einfach nicht mehr gewusst, was ich sagen sollte. Es war, ehrlich gesagt, der Horror für mich und als du dann noch aufgestanden bist und mich an dem Tisch für kurze Zeit alleine gelassen hast, hätte ich wirklich heulen können. Ich unterhielt mich hauptsächlich mit der Klara, mit der ich mich übrigens wirklich gut verstehe und hoffte nur, dass es vorbei war. Ich blieb nur eine halbe Stunde, ehrlich gesagt hielt ich es nicht mehr länger aus und war danach noch zittrig und furchtbar erleichtert, leider auch enttäuscht.
Ich lernte daraus einiges, denke ich, dass es egal ist, wie man sich verstellt, oder ob man sich eine andere Identität zulegt, dass man trotzdem immer die gleiche Person ist und sich vor allem nicht vor sich selbst verstecken kann. Ich versuchte alles, um dir zu gefallen, um irgendetwas zu bewirken, was ich jedoch sowieso nie bewirkt hätte.
Ich habe begriffen, dass ich wohl absolut nicht dein Fall war und als mir dann noch jemand sagte, dass du gesagt hättest, dass du wirklich nicht begeistert von mir warst, war ich am Boden zerstört. Ich war in einem Tief, es war so schrecklich. Ich sah dich noch jeden Tag in der Schule, wollte zwar dennoch „Hallo“ sagen, konnte es aber nicht. Alles war so leer und noch hoffnungsloser als zuvor, ich wollte weinen, konnte es jedoch nicht. Ich möchte dir damit auf keinen Fall Vorwürfe machen, nicht dass du das noch denkst. Ich möchte dir das sagen, damit du es meinetwegen verstehst, weil es mir sehr, sehr wichtig ist.
Dann kam ich in die 9. Klasse und du warst aus der Schule, ich war unendlich froh darüber, weil es für mich eine richtige Qual war, dich zu sehen, dass du einerseits so wunderschön für mich warst aber andererseits meine Verzweiflung, die von Tag zu Tag mehr wurde, widerspiegeltest. Irgendwo hat mich irgendwann immer etwas an dich erinnert, ständig, es hat nicht aufgehört, bis jetzt. Ich muss sagen, dass du mir zwar schon einmal mehr gefehlt hat, aber trotzdem tust du es immer noch. Wenn ich dich zufällig mal sehe, dann bekomme ich fast einen Kreislaufkoller. Ich frage mich dann, was mit mir los ist, dass das doch wohl nicht wahr sein kann, nach so langer Zeit, leider ist es wahr. Ich habe auch gemerkt, dass ich mit niemandem eine Beziehung eingehen kann, weil ich immer noch viel zu sehr an dir hänge, weil ich jeden Tag an dich denken muss, sodass ich jemandem anderen eigentlich nie die Liebe geben kann, die für eine Beziehung nötig wäre.
Vor ca. einem Monat rief ich dich sogar nachts an, gab dir meine Handynummer, aber wollte nicht sagen, wer ich bin, ich hielt das für unnütz. Wir wollten uns sogar treffen, dann bist du leider nicht gekommen, hast mir aber angeblich eine SMS geschickt, die ich nicht bekommen habe und so wurde wieder nichts draus, dieses eine Mal, an dem ich einfach ich sein wollte, dass du hättest sehen können, wer ich bin. Aber wie gesagt, es soll anscheinend nicht sein.
Du hättest mich, denke ich, nicht mehr erkannt, erstens, weil du dich nicht mehr an mich erinnert hättest und zweitens, weil ich mich ziemlich verändert habe. Doch von der Art kennst du mich schon ein bisschen, einmal von den Telefonaten und von den SMS und vor allem eben von Ellena. Immer hatte ich den Eindruck, dass ich gar nicht so schlimm wäre, da du dich immer mit mir treffen wolltest und sogar meintest, dass ich nett wäre. Nun ja, was soll’s, jetzt sitze ich eben hier und schreibe dir einen Brief, den ich dir hätte schon längst schreiben können.
Du hast dich, finde ich, etwas in deiner Art geändert, bist netter geworden und sogar Altenpfleger, was ich dir nicht zugetraut hätte, nicht von der Arbeit her, aber von der Art eben. Du bist immer noch in der Punkszene und die ist absolut nicht meine. Ich ziehe mich weder schwarz an, noch höre ich diese Musik und ich habe dieses Lebensgefühl auch nicht. Es sind zwei verschiedene Welten, die uns trennen. Ich lebe hier in meiner, die aber nicht die heile Welt ist, weiß Gott nicht, du lebst in deiner Welt, die aber bestimmt auch nicht immer so rosig ist.
Die letzte SMS, die ich dir geschrieben habe, bevor du dich dann wieder nicht mehr gemeldet hast, war die Mail, in der ich „I Love You“ schrieb, wahrscheinlich hat dich das überrumpelt, was ich auch verstehen kann. Doch es ist so, ich liebe dich, schon seit fast drei Jahren und das ist für mich eine ziemlich lange Zeit.
Ich versuche damit zu leben, dass du mich bestimmt nie lieben wirst und dass wir alleine schon wegen unserer verschiedenen Welten nicht miteinander auskommen würden, aber wie du hoffentlich gemerkt hast, fällt mir das immer noch schwer und es dauert und dauert, bis das vorbei ist, in der Hoffnung, dass es irgendwann mal zu Ende geht.
Es ist egal, was du tust, ich liebe dich und selbst wenn du dich irgendwann mal alleine fühlst und das tut jeder mal, dann denk daran, dass du es nicht bist, weil ich an dich denke, immer und hoffe, dass es dir gut geht und dass du glücklich bist, von ganzem Herzen.
Dieser Brief war mir wirklich wichtig und vielleicht hast du ihn nicht einfach nur so schnell, schnell durchgelesen und gedacht, wie kitschig und albern das ist, sondern, vielleicht verstehst du mich jetzt etwas und begreifst auch, weshalb ich dir das geschrieben habe, nämlich einfach nur aus Liebe.
Bye, deine Lena!
Ja, das war der Brief, ich fragte schon alle möglichen Freundinnen, was sie denken, wie er antworten wird. Amelie meinte, dass er sich darauf ja wohl melden würde, da der Brief ein Hammer sei. Isabel sagte, dass er sich wahrscheinlich ein paar Tage Zeit lässt und mir dann zurückschreibt, per SMS, da ich ja meine Adresse nicht draufgeschrieben habe und manche meinten einfach, dass er darauf schon antworten müsste. Tja, was ich dazu sage: Er meldet sich im schlimmsten Fall gar nicht mehr, aber auch egal, denn jetzt kennt er die ganze Wahrheit und meine Gefühle und ich habe nichts zu verlieren. Was auch sein könnte, dass er mit „Aha“ darauf reagiert, den Brief verinnerlicht, mich anruft oder mich simst. Alles ist möglich.
Ich fühle mich grade so leer, einsam, verlassen, ich vermisse irgendwie meine Mami, jetzt, da mein Vater ständig da ist, bin ich ja immer oben bei mir und rede nicht mehr so viel mit ihr, weil ich nicht die Gelegenheit dazu habe, wenn dieser Arsch da ist. Wenn ich doch nur einen richtig wahren Freund hätte, den ich wirklich liebe, der zu mir passt, dann wäre meine Situation vielleicht einfacher und er könnte mir Rückhalt geben, aber anscheinend habe ich da momentan eben Pech, was heißt momentan, immer bisher!
Jonas hat sich letzte Woche sogar gemeldet, hat mir eine E-Mail geschrieben und noch eine SMS. Es war sehr überraschend für mich. Ich liebe ihn nicht mehr, tat das, denke ich auch, noch nie so direkt, es war wieder dieses „Anklammern“. Ich rief ihn an, da es ihm nicht sonderlich gut ging. Es war schön, mal wieder mit ihm zu reden und ich sehe unsere Beziehung einfach als Freundschaft an, auf die ich stolz sein kann, da es eine Fernfreundschaft ist, aber wir uns schon fast drei Jahre kennen und nie den Kontakt abgebrochen haben, sogar den Chat, in dem wir uns kennen lernten, gibt es nicht mehr. Es ist wirklich erstaunlich, wie sich alles in kürzester Zeit ändert, was jeden Tag passiert, was für Eindrücke man sammelt, was man lernt und wen man neu kennen lernt.
So oft verabscheue ich mein Leben, könnte mich geradewegs von einem Hochhaus stürzen, weil alles so hoffnungslos scheint, doch manchmal bin ich glücklich, wenn alles gut geht, diese Momente oder Tage hebe ich mir ganz fest in meinen Erinnerungen auf und denke daran zurück, halte fest daran.
Heute ist Dienstag und ich habe absolut keine Lust, zu lernen, ich habe ein wenig gearbeitet, allerdings nicht viel. Es sollte reichen. Am liebsten würde ich jetzt in den Urlaub fahren, mit dem Hansen, einfach so, hört sich komisch an, ja, finde ich selbst auch, aber Gefühle sind Gefühle, man kann sie nicht abstellen, nur mit ihnen klarkommen und das versuche ich schon mein ganzes Leben lang, habe einiges hinbekommen und um jetzt speziell auf die Liebe zu kommen, da denke ich nur eines, nämlich dass ich nicht aufgeben kann, denn wenn ich ihn aufgebe, zerbricht ein Teil von mir und das ist ein zu großer Teil, dann würden andere Teile auch zerbrechen, völlig unbeabsichtigt. So ist das nun mal. Was ich damit bewirken will, hm, keine Ahnung, na gut, doch ich habe eine Ahnung, dass er sich in mich unsterblich verliebt. Aber leider sehe ich auch der Realität ins Auge und weiß, dass es nie so sein wird, vielleicht könnten wir ja in Kontakt bleiben oder Freunde werden. Jedoch, würde ich eine Freundschaft wollen, obwohl ich ihn so sehr liebe, nein, ich könnte das dann doch nicht verkraften. Oh Mann. Ok, jetzt mache ich Schluss für heute.
Gute Nacht, schöne und doch grausame Welt, sei froh, dass du jeden Tag von der Sonne beschienen wirst und es einige wenige Menschen gibt, die dich genießen und dir Gutes wollen. Auf dass es irgendwann ein besseres Leben auf der Erde gibt, auf dass in ferner Zukunft keine Kriege ihr Unwesen in der kostbaren Natur treiben.
Tagebuch vom 06.–12.07.05
Es sind sechs Tage vergangen und, ehrlich gesagt, hatte ich keine große Lust zu schreiben, was mir aber wiederum leid tut.
Meine Eltern streiten, streiten und ach ja, genau, sie streiten. War das etwa anders zu erwarten? Nein! Meine Ma hat Telefonrechnungen gefunden, auf denen die Nummer der Freundin meines Vaters aufgelistet war und die gehen anscheinend bis nach dem Urlaub in der Türkei. Natürlich ist das eine große Erschütterung für sie und sie nimmt es sichtlich mit. Sie ist schlecht gelaunt und leicht gereizt und natürlich traurig und wütend. Es nimmt kein Ende, dieser Krieg hier geht immer weiter und weiter und immer wieder, wenn sie anfangen, dann gehe ich auf den Gang und horche, da ich immer noch Angst habe, dass etwas passieren könnte. Was ja auch nicht so weit hergeholt ist.
Oh Gott, grade kommt mein Vater hier vorbei. Apropos, mit dem habe ich Streit, es war leider nicht zu vermeiden. Sonntags beim Mittagessen fing er an, mit mir über den Homo Sapiens und den Menschen zu diskutieren, dass der Homo Sapiens schon der richtige Mensch gewesen sei und ich war eben nicht der Meinung und so ging es hin und her und meine Meinung wurde natürlich wieder einmal nicht respektiert, da er mich ja anscheinend irgendwie übertrumpfen muss mit seinem Wissen und er ist rechthaberisch bis zum geht nicht mehr, es ist so schlimm. Wie gesagt, er hat sich ganz und gar nicht verändert. Jedenfalls artete dieses Gespräch dann so aus, dass ich von seiner furchtbaren Sturheit und Unakzeptanz so wütend wurde, dass ich ihm sagte, dass er einfach nicht diskutieren kann und er fragte mich ganz blöd: „Warum?“ Ich antwortete in einem noch normalen Ton, dass ich ihn das frage, warum, da ich ja nicht in sein Hirn schauen könne und dass irgendwann niemand mehr mit ihm sprechen wird, da er sich einfach nie unterhalten kann, dass es wirklich unmöglich ist. Er widersprach natürlich und ich war an allem schuld, ich bin die Dumme und so weiter und so weiter. In diesem Moment dachte ich mir: Gehst du jetzt nach oben und weinst vor Wut oder sagst du es ihm, lässt du deinen Dampf sofort raus und schreist ihn an. Ich entschied mich für das Schreien. Ich brüllte meinen Hass heraus und überlegte in diesem Moment recht wenig: „Halt dein Maul, halt einfach dein verficktes Maul!“, schrie ich und schlug die Tür hinter mir zu.
Danach lief ich zitternd hoch und war noch recht außer mir. Aber es legte sich dann wieder und ich fühlte, dass das das Richtige gewesen war, es tat gut und ich machte mir keine Vorwürfe, etwas falsch gemacht zu haben. Ich denke, ihn traf das ganz schön, da ich ihm erstens die Meinung gegeigt habe, richtig schön gebrüllt habe und vor allem hatte ich das letzte Wort. Das war wichtig, denn sonst wollte und hatte er meistens das „letzte Wort“, was ihn anscheinend bestärkte, aber diesmal nicht. Ich weinte oben nicht und hatte nicht das Gefühl, mich zu ritzen oder etwas zusammenschlagen zu müssen, es war bereits draußen und das tat verdammt gut.
Bis jetzt ist er immer noch beleidigt und meine Eltern streiten momentan nicht, doch das kann sich bis dahin ändern.
Es ist schon zu einer Gewohnheit geworden, dass in diesem Haus, besser gesagt in dieser Familie, nie Frieden herrscht und das ist sehr traurig, ich könnte so oft weinen, wenn sie wieder anfangen, wenn er alles abstreitet, obwohl er genau weiß, dass es wahr ist, wenn sie anfängt aus ihrer Verzweiflung zu schreien, wenn die Türen fliegen und es manchmal richtig poltert und das Schlimmste ist, wenn sich das den ganzen Tag hindurchzieht. Mittags geht es los, oder auch schon morgens, wenn ich in der Schule bin, dann hören sie kurz auf und es geht wieder weiter. Sie kommt hoch zu mir, geht nach wenigen Minuten wieder runter und so weiter und so fort.
Ich glaube es war am Samstag, da gab es eben wegen dieser Telefonrechnung Krach. Sie holte mich von der Amelie abends ab und zu Hause ging dann die Post ab, als ich wieder da war. Sie ließ anscheinend ihren Schlüssel unten liegen, er ging dann auch an ihr Auto, was ich mitbekam, holte ihre Tasche raus und durchwühlte sie. Zum Glück kam meine Ma noch rechzeitig, nahm ihm den Autoschlüssel weg und schrie ihn an, was das soll. Er war ziemlich überrascht und entgeistert, da sie ihn plötzlich erwischt hatte. Sie sperrte das Auto zu und holte ihre Tasche und ich versteckte ihre Sachen wieder oben bei mir. Gott ist das immer ein Theater. Schlimm ist es, wenn es dann abends weitergeht, oder wieder anfängt, dann kann ich nicht schlafen und darf aufpassen, dass ja keiner ausflippt und den anderen umbringt oder sonst schwer verletzt.
Hansen hat immer noch nicht zurückgeschrieben, auch nicht gemailt, ich sagte ja, dass er sich wohl realistisch gesehen nicht melden würde, dafür kenn ich ihn zu gut. Es ist sehr schade und ich machte mir bis Montag noch einige Gedanken, hoffte immer auf etwas, aber mittlerweile habe ich es aufgegeben und meine Illusionen sind nur noch sehr gering. Ich denke, dass ich mit diesem Brief einiges verarbeiten konnte, was mir sehr geholfen hat.
Jetzt zu etwas Schönem. Am Samstag haben sich die Vanessa, eine Freundin von mir aus der 10ten Klasse, ihre beste Freundin, die Amelie, einige aus Ethik und sonst ein paar Leute aus unserer Schule und ich getroffen. Es war echt schön, so in einer Gruppe durch die Stadt zu laufen, das Tolle war ja, dass sechs Jungs dabei waren und es wurde lustig. Ich lernte dabei auch Andi kennen, er geht auf unsere Schule und ich habe ihn noch nie zuvor gesehen, er mich aber anscheinend auch nicht. Er war echt super nett und sieht auch nicht schlecht aus. Er hatte etwas total Vertrautes an sich und Vanessa meinte auch, dass wir plötzlich am B. Center, sprich V-Markt, so miteinander geredet hätten, als ob wir uns schon länger kennen würden. Ja, das fiel mir auch auf und ich kann ihm in die Augen sehen und fühle mich richtig aufgehoben und verstanden. Wir redeten über mein „Single-Dasein“. Es war irgendwie lustig, aber er blieb teilweise echt ernst, was ich super fand. Später löste sich unsere Gruppe dann auch auf, Vani, also Vanessa, ging mit ihrer Freundin Jo, und all die Jungs auch. Eine aus unserer Klasse, die Angelika, kam zufällig auch noch vorbei, wir kauften uns dann noch etwas zu trinken, setzten uns wieder raus auf die Treppen und redeten weiter. Dann ging auch sie und nur noch Andi, sein Freund Thomas, der mit mir in Ethik und Politik und Zeitgeschichte geht, Amelie und ich blieben. Wir liefen so langsam zu ihr nach Hause, da ich ja abgeholt wurde. Davor gingen wir noch ans Ufer der W. und Andi schmiss die Amelie aus Versehen in den Fluss, sodass sie hinten ganz nass war. Aber sie lachte nur und fand es lustig.
Es war echt schön mit ihm, ich fühlte mich so frei und leicht, wir hatten unseren Spaß und dennoch war ich geborgen und glücklich. War es etwa wieder nur Klammern? War es mehr? Ich weiß es nicht, aber es war schön und ich versuche jetzt einfach, alles zu genießen, was schön ist, nicht nachzufragen, wieso es jetzt so ist, nicht nachzudenken, was alles schief gehen könnte, einfach fallen lassen und das tut gut.
Ich gab ihm sogar noch einen meiner Ringe, da ich ja zwei rote chinesische Glücksringe habe. Wir machten aus, dass er ihn mir am Montag in der Schule wiedergeben soll. Richtig, ich freute mich also auf Montag. Und in der Pause ging ich hin und holte ihn mir ab. Er hatte ihn nicht vergessen, wow, ich muss sagen, das überraschte mich doch positiv. Er wollte mir den Ring zuerst nicht geben und na ja, ich bekam ihn dann eben doch und ging danach wieder. Genau, ich hätte mir in den Arsch treten können, wieso habe ich nicht mehr gesagt? Wieso hab ich ihm nicht den anderen Ring gegeben, im Tausch, so wie er das wollte? Bettina meinte: „Jetzt lässt er sich eine Taktik einfallen, um dich wiederzusehen und du zerschlägst sie ihm gleich.“ Ja, da hatte sie allerdings recht, aber was soll’s, ich wusste, dass ich ihn sicher wieder sehen würde und so war es auch.
Heute ist Dienstag und ich lief an ihm vorbei, er sagte zuerst „Hallo“ und winkte mir, ich erwiderte das. Später, bevor ich Politik hatte, saßen wir an der Bank vor der Treppe, die zum Fahrradkeller führte und er lief dann dort runter, ich muss sagen, recht spät, denn alle anderen waren schon fast weg, und dann kam er wieder auf mich zu, stellte sich vor mich und erzählte kurz von einer Geschichts-Ex. Ok, es ist nicht wesentlich, aber was soll er denn sonst auch sagen, bzw. was soll ich denn sonst auch schreiben über ihn?
Moment, vielleicht, was ich schon alles über ihn weiß. Er hat eine Freundin, sie heißt Steffi, wohnt in A., sie sehen sich höchstens einmal die Woche, sie schrieb ihm einige Zeit nicht mehr, er machte sich riesige Sorgen und jetzt läuft es nicht besonders gut. Gut für mich. Er steht auf Punkmusik, ist aber absolut kein Punker, eher etwas braver, zieht gerne bunte Sachen an, trinkt ab und an Rotwein, raucht nicht, hat gerne Fun und Spaß, ok, wer hat das nicht – grins, steht Vani zufolge auf Pornos, na ja, wir sehen das mal von der guten Seite, er hat einen ausgeprägten und gesunden Sexualtrieb, er ist lustig, nett, spontan, man kann mit ihm reden, er hat früher mal gestottert, hat mir Lina erzählt und ist mittelmäßig in der Schule, gut, da ich niemanden möchte, der bessere Noten hat als ich, und er ist spontan!
Ich weiß, ich schreibe gerade nicht besonders poetisch oder philosophisch, was ich doch vorhatte, ich könnte ständig über Dinge schreiben, Ansichten, politische Lagen, die Zukunft und so weiter, aber ich komme nicht dazu und immer, wenn mir so etwas einfällt, dann ist es in den Situationen, in denen ich nichts zu schreiben habe, oder es mir die Lage nicht erlaubt, wie z. B. in der Schule. Aber ich verspreche mir jetzt praktisch selbst, dass ich das noch machen werde, wenn alles etwas ruhiger ist, als momentan.
So, das war es mal für heute, ich bin müde und nicht so in der Stimmung zu schreiben, ich hoffe, dass ich trotzdem nicht allzu schlimm geschrieben habe. Jetzt ist es gleich neunzehn Uhr und ich setze mich mal vor den Fernseher und werde wahrscheinlich noch mit Amelie telefonieren. Herrje, bin ich fertig, von was auch immer, obwohl, meine Eltern sind mir einfach zu anstrengend, hört sich lustig an, ist aber eher deprimierend.
Oh und fast hätte ich es vergessen, letztlich gab es einen schweren Terroranschlag in London, so wie in Madrid, was schon länger her ist. Alles Zeichen, die auf den dritten Weltkrieg hindeuten, ganz sicher. Allerdings wundere ich mich, dass ich diese Terroranschläge nicht voraussehe, sonst alles Mögliche, aber das nicht. Ich mache mir deswegen keine Sorgen, aber es wundert mich. Haben meine Kräfte oder Fähigkeiten nachgelassen? Sollte ich sie trainieren? Ich weiß es nicht. Momentan weiß ich gar nichts. Ich habe nur Angst vor der Zukunft, die 10te Klasse steht bevor, in den Sommerferien kann ich schön lernen, doch was, wenn ich die Zehnte verhaue? Es ist zum Heulen, ich würde am liebsten weg sein, ganz weit weg von hier in einem Land, so wie in Afrika, nach dem ich mich so sehr sehne, als ob es meine Heimat sei, es ist ein Gefühl in meinem Bauch, dass immer leerer wird, als ob ich Hunger hätte auf dieses wunderschöne, weite, befreiende Land. Ich bete dafür, dass ich jemals wieder dorthin kann, dass es dann genauso schön ist und dass ich irgendwann ein selbstständiges Leben führen kann, völlig unabhängig und vor allem in Frieden, in tiefstem Frieden und Ruhe, eine solche Ruhe, die mich immer umgibt, wenn ich alleine in meinem schönen Haus bin, das wünsche ich mir.
Tagebuch vom 13.–14.07.05
Es ist genau 22:22 Uhr. Ich fühle mich so alleine und krank, verletzt und leer. Ist das etwa in Ordnung? Für meine Eltern wohl schon. Gestern stritten sie wieder. Es ist so grauenhaft. Ich schaltete den Fernseher ab, ging auf den Gang, setzte mich auf den kalten Boden und horchte. Ich hielt es nicht mehr aus und spürte tiefen Hass und Schmerz in mir. Ich empfinde mittlerweile tiefsten Ekel vor der Stimme meines Vaters. Es geht jetzt schon so lange und ich darf es ertragen, wie sie sich stundenlang anschreien. Ich konnte an diesem Abend nicht mehr, ich hatte es so leid. Ich musste mich wieder ritzen, konnte nicht anders. Ich fiel einfach und fiel und nichts vermochte mich davon abzuhalten und es tat so gut, die ganzen Aggressionen, der Hass, die ständige Angst, es war weg, ich fühlte mich hinterher besser und konnte damit auch loslassen, weinen, richtig weinen, was ich in letzter Zeit nicht konnte und es tat so unendlich gut.
Es ist ein Strudel, ein Loch, ein Gewirr von Gedanken, sie sind so sinnlos und der einzige Weg ist, in Mitleid zu versinken, mich schlecht zu fühlen und mich noch mehr zu erniedrigen, um mich so klein zu halten, wie es mein Vater vermag. Wieso stirbt er nicht? Gerechtigkeit, wo bist du nur? Wo ist die Hoffnung? Sie ist für den Moment tot, ein Blitz geht durch einen hindurch, alles Leid scheint auf einem zu lasten, all das Denken und Handeln ist schwer und mühsam. Ich schlafe nicht, ich träume schlecht, bei allem was ich tue, habe ich Angst. Mein Leben ist kaputt, so gebrochen, krank und hilflos. Mir scheint der Tod der einzige Ausweg zu sein, nichts anderes. Freiheit oder Wiedergeburt, es ist doch egal, Hauptsache weg von hier, keine Seelenqualen, kein Psychoterror, einfach nichts.
Ich würde mich am liebsten übergeben, so wütend und verzweifelt bin ich. Mir ist schlecht von all der Angst. Innerlich bin ich am Ende, völlig zerstört, mein Geist und meine Seele sind zerkratzt, verwundet und heilen nicht besonders schnell und wenn jemand diese Wunden jeden Tag aufs Neue öffnet, dann verblute ich irgendwann. Fraglich ist wirklich, ob ich mich nicht selbst umbringen sollte. Heute, morgen, nächstes Jahr, in ein paar Jahren? Vielleicht ja sogar, wenn ich hier draußen, aber durch meine Jugend so am Ende bin, so viel Schaden davongetragen habe, dass ich seelisch nie mehr klarkommen werde, nie mehr. Je mehr ich darüber nachdenke, desto sinnloser ist mein Leben. Ich lebe ja nicht mehr für mich und werde zerstört – was bleibt dann noch von mir übrig, nach dieser Hölle, falls sie überhaupt ein Ende nimmt?
Tagebuch vom 15.–18.07.05
Ich fühle mich momentan leicht seltsam, etwas zwiegespalten, aber das ist, denke ich, einigermaßen normal. Grins!
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Im Prinzip dreht sich alles nur um Andreas, Andi genannt. Langsam löst er den Hansen ab, ich denke weniger an ihn und wenn es der Fall ist, dann tut es nicht mehr so weh wie vorher. Dafür tut Andi mir jetzt zeitweise weh und macht mich andererseits auch glücklich. Ein Gefühl, das ich sehr brauche und schon vermisst habe, etwas, das Bestand hat, mir Hoffnung gibt.
Am Freitag waren alle wieder auf dem L. Leben, sprich, die ganze Truppe vom letzten Samstag. L. Leben gibt es immer an zwei Tagen im Jahr, bevor das T. Fest startet. In dieser Zeit gestaltet sich die Stadt um, zurück ins Mittelalter, mit vielen Ständen und unzähligen Freiwilligen, die sich in eine mittelalterliche Robe werfen und beim Umzug mitmachen oder beim L. Leben etwas verkaufen. Ich finde das äußerst bewundernswert und hoffe, dass ich nächstes Jahr auch mitmachen kann, denn solange ich noch lebe, hier wohne und es mir gut geht, habe ich mir gedacht, sollte ich doch wenigstens einmal dabei sein, nicht nur zuschauen.
Auf dem L. Leben, das ist einfach so, betrinkt man sich eigentlich fast immer. Richtig, also haben wir, die Amelie und ich, uns auch betrunken, vor allem Amelie. Sie lallte, konnte nicht gerade laufen und redete ziemlichen Schwachsinn, zudem kicherte sie total verrückt. Und ich konnte mich zusammenreißen, war aber etwas angeheitert und habe dafür extrem viel Müll geredet. Andi war ja auch dabei, er trug mich dann noch durch die halbe Stadt, umarmte mich öfters, weil ich das so wollte, da ich wirklich sehr anhänglich werde, wenn ich betrunken bin und er ging ständig auf mich ein, wich nicht mehr von meiner Seite und es war wirklich lustig. Den ganzen Abend hatte ich das Gefühl, ihn küssen zu müssen, ich wollte ihn nicht nur umarmen, mir hat es nicht gereicht, von ihm getragen zu werden, ich wollte mehr. Bei ihm fühlte ich mich so frei und leicht, es war so schön, so unendlich schön. Als er mich so huckepack trug, da ging ich mit meinem Gesicht leicht vor, berührte mit meiner Wange seine und hätte heulen können, Gott, was ist nur mit mir los, bin ich verrückt oder besser gesagt, wirklich verliebt? Darf das sein? Bei jemandem, der bereits eine Freundin hat?
Außerdem machte ich dem Thomas einen Heiratsantrag, saß bei ihm auf dem Schoß, dann legte ich mich noch auf das Bein vom Andi und eine Gruppenumarmung fand extra für mich statt, echt der Wahnsinn. Es waren noch andere Jungs dabei, aber wirklich keiner von ihnen war betrunken, also hatten sie wohl ihren Spaß mit uns, bzw. mit mir. Ich fütterte sie mit Stroh, das von den Heuballen war, auf die man sich setzen konnte, ich bestreute alle damit, schwafelte von meinen Liebesproblemen mit dem Hansen und dann machte ich noch einen eindeutigen Fehler, ich sagte Andi direkt ins Gesicht, dass ich in ihn verliebt bin. Seine Reaktion darauf war, dass er meinte, dass ich keine Chance hätte, da er doch eine Freundin hat. Na super, dachte ich, mehr gibt es dazu nicht zu sagen? Nicht mehr? Kein „Ich muss mal mit dir reden“ oder „Wie wäre es, wenn wir mal miteinander darüber sprechen?“ Anstatt dessen machte er weiter wie vorher, er klebte an mir dran, machte Witze und das Interessante daran kommt noch. Hansen war auch da und ich lief natürlich zu ihm hin, er kannte mich mal wieder nicht, aber das war ja nichts sonderlich Neues für mich. Ich sprach ihn auf den Brief an und er meinte, dass er mir ja gerne zurückschreiben würde, leider hätte ich meinen Absender nicht draufgeschrieben. Ja, das stimmte, also mailte ich ihm meine Adresse und er versprach noch, dass er mir bestimmt zwei Seiten schreiben würde. Mehr war eigentlich nicht. Aber davor zeigte ich, völlig entgeistert ihn zu sehen, dem Andi noch, wer meine „große Liebe“ war. Er sah ihn aus der Ferne und meinte nur, dass er zu alt für mich sei und ein Arschloch ist, das ich besser vergessen sollte. Mehr nicht. Kein „Gib nicht auf“, auch nicht „Du schaffst das noch“ oder auch meinetwegen „Lass ihn einfach, denn er ist es nicht wert“, nein, er muss gleich ein Arschloch sein. Ich dachte mir dann auch, was das wohl zu bedeuten hatte. Er möchte, dass ich den Hansen vergesse, hängt an mir, obwohl er weiß, dass ich in ihn verliebt bin und er eine Freundin hat.
Um zwölf Uhr waren wir wieder bei Amelie und sie hatte sich langsam wieder gefangen. Das war ein Abend, wohl einer der lustigsten und längsten Abende, die ich bisher verbracht habe. Am nächsten Morgen standen wir recht früh auf, bereits um sieben Uhr. Warum auch immer, wir wussten es nicht, jedoch waren wir wach. Amelie hatte einen leichten Kater, trank zwei Tassen Kaffee und mir ging es relativ gut, bis auf dass ich mich etwas matt fühlte, was aber nach einem Kaffee mit viel Zucker wieder verging.
Vormittags gingen wir in die Stadt und merkten beide, wie die Müdigkeit wiederkam, dann schrieb mir Andi, der am Vorabend meine Handynummer hatte haben wollen. Er meinte, wir sollten zum Grillen zu seinem Freund Thomas kommen. Also gingen wir grillen und liefen einen ziemlich langen Weg von K. bis hoch nach N. Wahrscheinlich war es nicht besonders lang, aber es kam mir so vor. Beide holten uns dann beim Mc Donalds ab und wir liefen zu den Wohngebieten, zu Thomas. Es war ganz lustig und es hatte sich immer noch nichts geändert. Er ging immer noch so auf mich ein, wie vorher, verarschte mich, ärgerte mich, hob mich hoch und sah mir immer in die Augen. Nach einiger Zeit gingen wir dann wieder, da ich um sieben abgeholt worden bin. Zu Hause war alles in Ordnung, ein Glück, aber es änderte sich bald.
Sonntags schlief ich bis um elf Uhr aus, ich war allein zu Hause, in meinem geliebten, friedlichen Haus, ich frühstückte, rief Bettina und Amelie an, aß zu Mittag und legte mich danach hoch auf meinen Balkon, ließ mich etwas sonnen und hörte meine neue Billy-Idol-CD. Ich dachte ständig nur an ihn, es war, bzw. ist schlimm. Es hört nicht auf, ich mache mir Gedanken, und überlege, ich lasse einiges Revue passieren und bin glücklich und zugleich bedrückt und verwirrt. Er spielt mit mir, das muss es sein, oder hat er sich in mich verliebt, ist er sich seiner Gefühle nicht bewusst, weil er eine Freundin hat? Es ist kompliziert und welche Frau, welches Mädchen kann schon in das Hirn eines Mannes, eines Jungen sehen? Wohl keine. Das Tolle ist dabei ja immer, dass meine Fähigkeiten hier begrenzt sind, vor allem, wenn ich etwas für jemanden empfinde, leider ist das so, unerklärlich, aber wahr.
Dann gegen zwei Uhr bekam ich eine SMS, wie es Amelie vorausgesagt hatte, was ich aber nie und nimmer geahnt habe an diesem Tag. Er schrieb mir. Ob wir nicht mitkommen möchten ins Schwimmbad. Natürlich konnte ich nicht, aber meinte, dass er Amelie fragen sollte, da sie ja in K. wohnt. Aber er fragte sie nicht. Dann machte er noch den Vorschlag, dass wir beide alleine am Montag direkt nach der Schule schwimmen gehen könnten. Ich wollte aber nicht, da ich Isabel versprochen hatte, ihr bei dem Umzug zuzuschauen, weil sie eine J. Dame machte. Außerdem traute ich mich nicht. Ich bin nicht fett, im Gegenteil, bei 1.72 m. und 52 Kilo ist man nicht dick, aber ich habe ja meine Schwangerschaftsstreifen, die bis jetzt noch nicht weg sind und so im Bikini, nein, das wollte ich noch nicht. Bestimmt stelle ich mich blöd an, wenn ich darüber nachdenke, dann tue ich das wohl, oh je, was mache ich bloß, was macht er bloß? Hilfe? Wie soll das denn enden? Herrgott, seine Freundin soll doch endlich Schluss machen, ist das denn so schwer? Ich denke nicht, dass sie ihn sonderlich liebt. Ich las nämlich ihre SMS an ihn, sozusagen heimlich. Sie waren wirklich kalt und das meinten meine Freundinnen auch. Kein „Ich liebe dich“, kein „Bussi“, nur bei einer von zwölf, „miss you“, oh wie toll. Und sonst war der Text wirklich sehr sachlich und gefühllos. Er hat so etwas nicht verdient, oder hat er mich nicht verdient, wahrscheinlich bin ich nur nett, dennoch anziehend, aber nicht direkt sein Typ und er kann seine Freundin nicht verlassen, da er sie noch liebt. So wird es sein. Wenn man doch manchmal nur das Schicksal fragen könnte. Aber ja, ich weiß, es kommt ganz von alleine, es schleicht sich an, steht vor dir, sagt, dass es verrückt ist, schaut dir in die Augen und – heißt Andreas.
Montags redeten wir nicht viel miteinander, da die Pause ausfiel, weil Abschlussstreich war. Er schien etwas abweisend und eingeschnappt zu sein. Na, auch in Ordnung, das zeigt mir eigentlich nur Zuneigung, da ich nicht mitkam zum Schwimmen. Hehe! Ich ging mit Amelie zum Umzug und danach auf den Rummel. Da es dort regnete, gingen wir ins Bierzelt und tranken zusammen eine Maß, was uns aber nichts ausmachte. Eine Klassenkollegin, die Angelika, kam auch noch mit ein paar Freunden und es war für eine kurze Zeit ganz lustig. Warum für eine kurze Zeit? Tja, weil ich mit meiner Ma telefonierte und es anscheinend wieder Streit gab. Sie wollte es nicht zugeben und war etwas launisch. Ich lief im Regen mit der Amelie nach Hause, von dort aus holten mich beide ab, was merkwürdig war. Aber was ist schon bei dieser Familie nicht mehr außergewöhnlich? Richtig, gar nichts.
Aber ich quetschte es aus meiner Ma heraus. Seine „Freundin“ hatte bei uns angerufen, erst sogar auf dem Haustelefon, legte dann wieder auf und dann auf Papas Handy, was meine Ma mitbekam. Sie rief sie zurück und die Dame stritt alles ab und besaß die Frechheit, aufzulegen. Meine Mutter war natürlich aus dem Häuschen und es ging richtig zur Sache, nach dem, was sie mir sagte. Abends, wie hätte es auch anders sein können, ging es bis spät nachts, ich konnte nicht schlafen, war aber so unendlich müde und kippte wirklich fast um. Die Nacht schlief ich bestimmt nur drei Stunden, ich war immer wach, hatte Angst, lief sogar runter und sah die Mama in der Küche, sie trank eine Milch und weinte. Ich war wieder fertig und völlig übermüdet und musste auch weinen. Wir umarmten uns und ich konnte nicht aufhören, ich wäre am liebsten zusammengebrochen. Ich kann es einfach nicht mehr haben, meine Mutter wegen so jemandem Bösen leiden zu sehen. Sie hatte ihn aus dem Bett geschmissen und zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren schlief er mal im Kinderzimmer, was sonst ja immer die Mama machen musste. Er schloss sich sogar ein und ich dachte zuerst, dass sie das sei, klopfte, rief leise nach ihr, aber nichts rührte sich. Ich dachte mir natürlich wieder alles Mögliche aus, was hätte passiert sein können.
Dann ging ich wieder hoch, nachdem ich meine Ma in der Küche gefunden hatte, ich ließ die Tür aufstehen, falls noch was wäre und schlief einfach nicht ein, zuckte bei jedem Geräusch zusammen, wachte auf und so ging das die ganze Nacht hindurch. Ich fühlte mich wieder so klein, dachte viel an den Tod, dass es ja sowieso keinen Sinn hat zu leben, nicht für mich, es würde jahrelang so gehen, bis ich dann einmal Tabletten schlucken und im Krankenhaus landen würde. Der Tod ist so befreiend, etwas Gutes und Erfrischendes. Selbst wenn es nach dem Tod nicht mehr weitergehen würde, dann wäre das völlig in Ordnung für mich. Ich könnte dann schlafen, schlafen, schlafen, bis in die Ewigkeit, hätte meine Ruhe, eine tiefe Ruhe und niemand würde mich stören, ich wäre weg, weit, weit weg, endlich tot.
Tagebuch vom 19.–20.07.05
Heute meinte meine Mutter, dass ich böse wäre, da sie ja einmal drei Seiten aus meinem Tagebuch gelesen hatte, die genau über sie waren, als es ihr so schlecht ging und sie oft weinte. Bin ich böse? Kann das sein? Vielleicht ist die Welt, in der ich lebe anders, als die, in der ich schreibe, aber bin ich deshalb denn wirklich böse? Es kann sein. Vielleicht ist jeder Mensch im Grunde böse, vielleicht auch nicht. Ich denke, dass eigentlich alle Menschen auf dieser Welt ein Doppelleben führen, eines, dass sie sich denken, niederschreiben und eines, dass sie dann wahrhaftig tun und so auch leben. Ich gebe mich nach außen als ein freundlicher, hilfsbereiter, netter Mensch, etwas anderes habe ich nämlich noch nie gesagt bekommen. Es freut mich sehr, manchmal zweifle ich das selbstverständlich an, aber im Großen und Ganzen komme ich mit fast jedem klar und man kommt auch gut mit mir aus. Was ich schreibe, was ich denke und in grauenvollen, hilflosen Momenten fühle, das schreibe ich oft nieder. Doch nicht alles ist negativ, es gibt Positives, was ich ebenfalls niederschreibe. Bin ich denn dann richtig böse? Es stellt sich wiederum die Frage, was genau böse und gut ist, ab wann ist man das eine, ab wann das andere? Wenn man nach außen nett ist und innerlich zerstört und gekränkt ist, es aber niemals rauslassen würde, da man andere verletzen könnte, ist es dann anormal, wenn man seinen Gefühlen, Ängsten und Aggressionen freien Lauf lässt? Das sind Fragen über Fragen und alles verläuft ins Nichts, weil jeder wohl darauf etwas anderes antworten würde.
Ich fühle mich hin- und hergerissen, in einen Graben gefallen, aus dem ich jederzeit springe, sobald ich ihn sehe und mit ihm rede, doch danach denke ich nach und es hört nicht auf. Ist es ein einziges sich Hineinsteigern? Ich versuchte ihn am Dienstag zu ignorieren, ich redete es mir immer und immer wieder ein, doch dann, als die Schule aus war und ich noch auf meine Eltern wartete, bis die mich abholten, setzte er sich einfach neben mich. Aber nicht mit ein paar Zentimetern Abstand, nein, ganz nah an mich, sodass sich unsere Arme und Beine an der Seite berührten. Er war einfach wieder da, redete, lachte und grinste mich an, ich merkte, ich konnte ihn nicht ignorieren. Er erzählte mir, dass er zum Friseur ginge, sich die Haare kurz schneiden lässt, damit er sie sich hochgelen kann. Ich hätte schreien können. Noch am Freitag sah ich seinen Personalausweis und merkte kaum, dass er das auf dem Bild war und stellte fest, dass er mit hochgegelten Haaren noch besser aussieht. Genau zwei Nächte danach träumte ich auch noch, dass ich ihm die Haare schneiden würde, damit – genau, er sie sich hochgelt, was er auch in dem Traum tat. Er war so begeistert davon und starrte mich danach an, ich kam nicht mehr von seinen Augen los und wir näherten uns und ich konnte förmlich die Spannung spüren, es war ein Gefühl von purer Energie und Leidenschaft, dann berührten sich unsere Lippen und wir küssten uns umschlungen, es war wahnsinnig. Leider war es nur ein Traum.
Bin ich krank? Krankhaft, was die Liebe angeht? Ist vielleicht jeder Mensch auf seine Art und Weise krankhaft? Vielleicht denken einige gar nicht darüber nach, was doch dann wohl auch abnormal wäre. Die meisten jedoch denken, wenn sie diesen Zustand des sogenannten Verliebtseins erreicht haben, ständig drüber nach, was nur für Verwirrung und natürlich Angstzustände sorgt. Ein gesundes Mittelmaß wäre daher sehr gut, doch was genau ist dann dieses Mittelmaß? Der eine braucht seine Droge in der Liebe mehr, der andere weniger, denke ich und diese Droge nennt man ganz einfach Schmerz.
Ich habe aber festgestellt, dass ich wirklich eine richtige Angst und eine wahrhafte Panik vor Beziehungen habe. Erst stellte ich mir selbst die blöde Frage „warum?“ aber diese konnte ich mir sofort beantworten. Meine Eltern. Sie geben mir kein Beispiel, im Gegenteil. Früher, als ich klein war, dachte ich wirklich, dass alle Väter so sein müssten, wie mein Vater, dass im Prinzip dann also keiner nett oder freundlich war. Ich kannte und kenne es bisher nicht anders von ihnen, dass nur gestritten wird, es oft auch richtig ausartet, was schon mein Leben lang der Horror ist, den ich niemandem wünsche. Daher ging ich auch davon aus, dass es normal ist, dass die Eltern sich streiten und dass das Leben bei jedem so ist. Aber das verging schnell. Ich hatte ja Freundinnen, bei denen ich auch zu Besuch war, deren Eltern ich somit kennen lernte und schnell merkte, dass es wohl liebe Väter gibt, die normal mit ihren Kindern reden, ihnen Anerkennung und vor allem Liebe schenken. Sie stritten nicht und machten stattdessen Witze und alles war viel lockerer als bei uns. Natürlich war das nicht bei jedem so, doch dort, wo ich es mitbekam, traf es mich anfangs sehr, es wurde mir vor allem bewusst, als ich in die sechste Klasse kam. Alles wurde immer realer, schien dunkler und kälter zu werden, ich hatte Angst und vertraute mich bis dahin ja niemandem an. In der siebten Klasse war ich so unendlich froh, meine jetzigen Freundinnen kennen gelernt zu haben. All das machte mir bis jetzt immer klar, dass es nicht „normal“ ist, dass mein Verhalten, wenn ich weine, einfach so, wenn ich zusammenbreche, wenn Streit ist, okay ist. Ich musste mich nicht mehr verstecken, ich konnte etwas loslassen, etwas, dass mich über zehn Jahre so sehr belastet hat.
Ich gebe zu, dass ich Angst vor Männern habe. Ich denke immer, dass sie ja so sein oder werden könnten, wie mein Vater. Ich würde so enden wie meine Mutter, hätte ein Kind, dem es schlecht ginge und alles drehte sich im Kreis, in einem Teufelskreis, der furchtbar ist.
Ich möchte mir so etwas nicht antun und verletzt bin ich sowieso schon oft worden, obwohl ich noch keine richtige Beziehung hatte. Ich überlege mir, wenn es sowieso schon so schmerzt, dass ich weinen musste, dass ich nicht mehr schlief und nicht mehr aß, wie ist es dann erst, wenn man eine Beziehung hat und merkt, dass diese nichts ist, jedoch eine haben will und sich nicht lösen kann? Wäre ich fähig, mich zu lösen, von einer Person, die ich liebe, mit der es aber nicht funktioniert? Richtig, ich müsste es ausprobieren.
Doch durch all diese Ängste kann ich mich nicht völlig fallen lassen, obwohl eine Beziehung ja Spaß machen sollte und einen stützen müsste. Folglich würde sie mir Kopfzerbrechen bereiten und noch mehr Sorgen, die ich in meinem Leben nicht gebrauchen kann.
Es ist so schwer, vielleicht auch deshalb, weil ich eine Waage bin, ein typisches Sternzeichen, bei dem man alles abwiegt und sich nicht entscheiden kann. Soll ich ihn gleich aufgeben, doch mein Herz sehnt sich nach ihm, jedes Mal, wenn er vor mir steht vergeht die Zeit wie in Zeitlupe und ich genieße es förmlich. Nein, ich kann wohl oder übel nicht aufgeben, ich kann das nicht, ich habe mich verliebt, ein schönes Gefühl, ich sehe mich praktisch gezwungen, es zu erhalten, der Preis ist sehr hoch, doch mein ganzes Leben scheint einen hoher Preis zu haben. Ich riskiere es also!
Tagebuch vom 21.–27.07.05
Eine Woche ist vergangen und ich kam einfach nicht zum Schreiben. Es drehte sich alles um Andreas und das wird es zum Teil auch noch weiterhin, aber eines steht fest, dass wir definitiv nicht zusammenpassen.
Ich unternahm jetzt ziemlich oft was mit ihm, wir waren in der Stadt und wieder beim Grillen, sonntags noch Basketball spielen und wieder in der Stadt. Es ist einiges passiert und ich habe viele verschiedene Eindrücke von ihm bekommen. Die Tage waren immer lustig und spaßig, aber mehr nicht. Andererseits brachte er mich auch immer wieder zum Nachdenken und es schien, als ob ich einen Fall lösen müsste. Es war grauenhaft und zugegeben, ich denke jetzt natürlich auch noch darüber nach. Wenn er seine Freunde um sich hat, kümmert er sich recht wenig um mich und auf der anderen Seite schreibt er mir jeden Tag viele E-Mails, die immer netter und persönlicher werden. Wenn Amelie jedoch gesagt hat, dass er mir doch ein Bussi geben soll, mich umarmen soll, dann heißt es wieder, dass er doch eine Freundin hat. Beim Grillen letzten Samstag ignorierte er mich völlig, erst, als er die Amelie und mich nachts nach Hause brachte war er wieder ganz für mich da und kam wieder an. Ich merkte, dass ab diesem Zeitpunkt die meisten seiner Freunde weg waren, also war ich wieder recht. Er ist nett, keine Frage und auch ein lockerer Typ. Doch mich ernsthaft mit ihm unterhalten zu können, das scheint mir bisher unmöglich. Ich brauche jemanden, der mich ernst nimmt, der mir richtig zuhört, etwas dazu sagen kann und mich vor allem respektiert. Ich merkte es an vielen Dingen, dass er mir einfach nicht das Wasser reichen kann und konnte. Alles was ich mag, wovon ich träume und liebe, das zieht er ins Lächerliche und macht daraus einen einzigen Witz. Es verletzt mich, weil er mir doch so viel bedeutete, wenn auch nur zum Anklammern. Gefühle sind Gefühle, man kann sie nicht abschalten und wenn sie stark sind, ist es hart, sich nicht damit zu befassen.
Wenn ich bei ihm bin, habe ich oft das Bedürfnis, ihn zu umarmen, ihn zu küssen, aber als ich überlegte und überlegte, mir alles durch den Kopf gehen ließ, begriff ich, dass es nicht richtig war, denn in unzähligen Situationen empfand ich nur Freundschaft für ihn, wenn nicht sogar schon eine gewisse geistige Abneigung, sodass ich jetzt einsehe, dass es nie und nimmer gut wäre. Weder für ihn noch für mich, denn er hätte bei mir immer zu kämpfen, was auch schon die Isabel meinte und er müsste sich grundlegend ändern. Doch Männer ändern sich nicht einfach so. Jemand ist so, wie er ist, und anders wäre er nicht er selbst.
Nach unendlichem Hin und Her, nach versuchter Ignoranz, nach misslungenem Kampf kann ich sagen, dass es sich insofern gelohnt hat, da ich nun eine Erfahrung mehr habe. Heute schrieb ich ihm ganz nett per E-Mail, dass ich ihn zwar sehr mag, er das auch weiß, wir aber nie zusammenpassen würden. Wahrscheinlich wird er jetzt etwas verwirrt und enttäuscht sein, aber es gefasst nehmen und erst einmal nachfragen, weshalb denn nicht. Und wer weiß, vielleicht kommt auch gar nichts, was ich aber nicht erwarte. Es mag sich kalt anhören, aber somit wäre ein weiteres Kapitel auch wieder abgeschlossen, ich habe daraus gelernt und versuche wirklich, meine Gefühle für ihn jetzt etwas abflauen zu lassen. Ich habe ihn so gerne, Liebe ist es nicht, wie gesagt, ein Bedürfnis, aber diesem waghalsig nachzulaufen und gleichzeitig in ein Unglück zu laufen, das wäre meiner Meinung nach der falsche Weg. Hoffentlich mache ich alles richtig und verletze ihn nicht allzu sehr.
Diesen Montag habe ich übrigens einen Neuanfang gestartet. Bezüglich allem. Ich versuche jetzt, jeden Tag zu meditieren, was auch wirklich hilft, immer etwas für die Abschlussprüfungen zu machen und generell alles in den Griff zu bekommen, auch meine Gefühle für ihn. Es ist wirklich gut, ich bin durch das Meditieren gelassener und belastbarer. Ich weiß, dass ich durch die Prüfungsaufgaben jeden Tag etwas zu tun habe, was wichtig ist und mit meiner Familie, tja, dazu muss ich nichts sagen. Sie streiten zwar gerade nicht, das kann sich aber schnell ändern.
Heute ist Mittwoch und sie haben Hochzeitstag. Meine Mutter stellt sich gegenüber dem Papa ziemlich verschlossen an. Er hat ihr einen schönen Blumenstrauß und ein Parfüm gekauft, aber sie scheint sich bis jetzt nicht darüber zu freuen und packt das Parfüm nicht aus. Sie ist der Ansicht, dass er es besser seiner Freundin schenken sollte. Es ist jetzt so weit gekommen, dass ich in einem richtigen Konflikt stehe. Sollte ich vielleicht sogar meinem Vater glauben, dass er wirklich keine Freundin hatte und hat. Aber es gibt dann wieder etliche unbeantwortete Fragen und die Tatsache, dass er doch etwas mit dieser Frau Blüm gehabt hat, scheint irgendwie als Erklärung für das, was hier alles passiert, logischer zu sein.
Ich habe die vergangene und diese Woche die Aufgabe, das Hausaufgabenheft der Schule mitzugestalten, worauf ich sehr stolz bin. Es geht nur schwer voran, wegen technischer Probleme, aber ich werde oft von der IT-Lehrerin gelobt, der Frau Worser und auch dem Herrn Blau. Ich bin unendlich dankbar, dass ich von ihnen Lob bekomme, vor allem von dem Herrn Blau. Was wäre ich ohne Lob. Hier lobt man mich ja nicht direkt und Anerkennung von Erwachsenen zu bekommen, ist selbstverständlich anders, als die von Freundinnen. Im Großen und Ganzen ist also mein Leben momentan ganz in Ordnung und ich versuche mein Bestes.
Es ist nicht gerade viel, was ich hier geschrieben habe, ich weiß. Momentan passiert eben nichts Schlimmes, oder vielleicht gewöhne ich mich einfach an das Schlimme. Wie man es nimmt. Ich bin froh, dass es gerade so läuft und bete zu Gott, dass es für mich in den Sommerferien und im nächsten Schuljahr so weitergeht.
Aber jetzt sind hier noch ein paar E-Mails, die Markus mir geschrieben hat:
Hab mein Greenday Album wiedergefunden. Soll ich es dir mitbringen?
Bin voll frustriert ... du ignorierst mich einfach in der Schule. Schmoll –
das ist nicht mehr feierlich ...
(Nachdem ich am Schulfest nicht zu ihm gekommen bin, obwohl er gemeint hat, dass er mich aufsucht, siehe unten.)
Mir ist um halb acht schon danach, was soll ich nur machen?
(Als ich ihm gesagt habe, dass er zu mir kommen soll, wann er möchte, siehe die Frage unten.)
Gute Nacht!^^
Schlaf gut!
Wann soll ich dich aufsuchen?
Entschuldigung ... ich hab dich doch lieb ... tschuldigung ...
(Weil er mich wieder beleidigt hat, was ich nicht so komisch finde, wie er.)
hihihi ... lol. An welchem Tag soll ich dann zu dir kommen?
(er wollte mich in den Ferien mal besuchen kommen.)
Edi lädt sich Spiele auf die X-box. Der Thomas und der Toddi spielen Conquer auf
der X-box und ich pass auf die Pizzen auf ...^^ und was macht die werte Dame so?
Bist du morgen früh für mich online? Können uns ja noch schreiben ...
soll zurück grüßen von Edi, Toddi und Thomas ... der Edi hat zwar keinen Gruß
bekommen, aber egal.
Du bist doch morgen nur eine Stunde in der Schule beschäftigt? Dann hole ich
dich dann irgendwann ab. Wo ist euer Stand?
Ok. Ein wenig mehr. ich geb’s ja zu^^
(Als er sagte, ich wäre schon ok und ich ihn fragte, ob ich nur ok sei.)
Mein Tag war irgendwie langweilig ... war nur online! Ich entführ dich auch
gern! Wenn ich das darf, von deiner Klasse aus! Weiter hätte ich dann nicht
geplant! Da muss ich mir morgen noch was einfallen lassen^^.
Wie. Du kannst dich morgen nicht um mich kümmern ... das macht mich traurig ...,
aber ich kauf mir dann etwas, wenn du da bist^^
Nun, das waren so die wichtigsten E-Mails, die anderen sind unwichtig und jetzt bin ich einfach mal gespannt, wie es weitergeht. Vor allem, was er auf die E-Mail antwortet.
Hier noch ein Gedicht:
Die Liebe ist des Leidens Weg,
Sie braucht viel Heg und Pfleg,
Wenn einer sagt, sie sei rein,
So ist er zwar nicht allein,
Doch die Frage wäre:
Kann das denn sein?
Nein, es ist oft nur der Schein,
Der Schein des nicht alleine seins,
Die Antwort liegt nicht im Wein,
Auch nicht im reinen Herzen,
Sie kostet meist die vollen Schmerzen,
Wird dich oftmals ausmerzen,
So merkt man was Liebe ist,
Was man nie und nimmer vergisst!
Tagebuch vom 28.07.–03.08.05
Es ist schon ein verrücktes, anstrengendes und vor allem kompliziertes Leben. Und ich weiß einmal wieder nicht, wo ich anfangen soll. Ok, fangen wir beim Andi an. Nach langem Hin und Her und ein paar E-Mails, die ich missverstanden habe, gab das alles eine große Geschichte. Er schrieb einige verwirrende Dinge, sodass ich dachte, dass er mit seiner Freundin Schluss gemacht hätte und so weiter und so weiter. Zum Schluss kam ich dann zu dem Ergebnis, dass ich ihn viel zu sehr mochte und er mir ständig weh tat, sodass ich es für vernünftig hielt, ihm mal alles zu sagen und den Kontakt abzubrechen. Ich schrieb ihm also einen Brief per E-Mail:
Hey!
Erst meinst du, es wäre dir egal, wie es der Steffi geht, da du ja jetzt mich hast. Ich fragte dich daraufhin, was das jetzt bedeutet, du meintest, dass ich das wissen würde. Also dachte ich jetzt wirklich, du hättest schon mit ihr Schluss gemacht. Super und jetzt erfahre ich, dass das gar nicht der Fall ist.
Dann schreibst du, dass du etwas von mir willst und mich mehr als nur süß findest, was denke ich mir also? Genau, dass es eben mit deiner Freundin aus ist und du also was von mir willst, was du nebenbei ja geschrieben hast. So, nun was machen zwei Menschen meiner Meinung nach, die gegenseitiges, starkes Interesse haben, genau, sie probieren es, ob es denn auch funktionieren würde. Daher schrieb ich, dass wir es ja probieren könnten.
Und was machst du? Machst einfach alles wieder kaputt und verwirrst mich mal wieder völlig und du weißt ganz genau, dass mich das verletzt.
Ich lasse nicht gerne mit mir spielen, ich hasse es und du machst mir ständig Illusionen, die dann wieder zerplatzen. Das ist einfach nur schlecht und bitte mach niemals wieder so etwas mit jemandem.
Du weißt genau, dass du mich haben könntest, machst aber nicht mit deiner Freundin Schluss, schon mal etwas von Gewissen gehört? Was würde sie wohl denken, wenn sie erfahren würde, was du hier mit mir abziehst? Ich denke nicht, dass sie davon begeistert wäre.
Du bist jemand, der sich nicht entscheiden kann, du wiegst einfach alles ab und bist dir unsicher, obwohl du eigentlich genau weißt, was du willst und das ist tief in dir drin, nur öffnest du dich keinem, weder dir selbst noch mir und bestimmt auch keinem anderen. Ich würde nie an dich rankommen, würde immer mehr von dir erwarten, etwas, das du nicht geben kannst.
Du bist total nett und lieb, mir dir kann man Spaß haben, aber ich hatte nie das Gefühl, mit dir ernsthaft reden zu können. Alles was ich liebe, oder gerne mache, hast du immer ins Lächerliche gezogen, ständig. Wenn man das mal macht, ok, aber andauernd, da fühlt man sich einfach verarscht und nicht ernst genommen.
Ich gebe zu, dass ich mir bei dir auch unsicher war, daher schrieb ich dir auch, dass wir nie zusammenpassen würden, aber da ich sowieso fast ständig an dich denken muss, überlegte ich und dachte mir vor allem nach deinen E-Mails heute, dass ich dir doch eine Chance geben könnte, weil ich so viel für dich empfinde.
Aber es geht nicht, nicht mehr, ich sehe das jetzt ein. Du verletzt mich ständig und ich fühle mich richtig dumm dabei. Und trotzdem habe ich immer weitergemacht. Ich kann dich nicht mehr als Kumpel sehen und als Freund könnte ich dich nie haben, selbst wenn du mit deiner Freundin Schluss machen würdest. Also ist es wohl das beste, wenn wir einfach den Kontakt ganz abbrechen, weil es zu viel für mich wird.
Und noch eines, entweder man ist in jemanden verliebt oder nicht, wenn man es ist, dann merkt man das ganz stark, es ist dann nicht nur Interesse, es ist mehr, ein wärmendes Gefühl und wir beide haben wohl verschiedene Ansichten darüber.
Also ich wünsch dir noch alles Gute und hoffe, dass du irgendwann innerlich aufwachst, um dich zu öffnen, nicht für mich, sondern für dich.
Bye, Lena!
Daraufhin war ich natürlich auch etwas traurig, dennoch fühlte ich mich sehr frei und dachte, dass ich das jetzt hinter mir lassen könnte, aber wie es kommen muss, so kam es.
Ich wachte am nächsten Morgen auf, machte mein Handy an, um zu sehen, wie viel Uhr es ist und dann kam eine SMS, die mich fast von der Bettkante fallen ließ:
Könntest du morgen online sein? Muss dir alles erklären. Die letzte Mail hat mir sehr weh getan. Morgen halb elf. I love u. Sb.
Oh mein Gott, I love you, dachte ich, aber hey, es kam sogar noch besser, als ich auf diese SMS erst mal nicht antwortete:
Lena, bitte verzeih mir. Ich liebe dich doch. Habe diese Nacht kaum geschlafen. Bitte verzeihe mir. Bitte. Ich liebe dich. Schreib zurück.
Danach war ich noch verwirrter als zuvor, wusste ehrlich gesagt nicht, ob ich mich jetzt freuen sollte oder das alles nicht ernst nehmen durfte. Und ein Gefühl in mir war noch eine deutliche Wut, eine Art Angst, vermischt mit Hass. Aber ich versuchte natürlich, wie immer, alles zu unterdrücken und – freute mich.
Also schrieb ich zurück:
Ja, ich kann dir verzeihen. Bist du dir ganz sicher, dass du mich liebst? Ich geh jetzt weg, bin abends wieder da, so gegen sechs Uhr, Bye, Lena!
Nun ja und so fing das dann an und mit Kontakt abbrechen war es jetzt wohl nichts mehr. Wenn ich jetzt so überlege, bin ich mir noch genauso unsicher wie vorher, es hat sich nichts geändert, gar nichts und ich überlege und mir geht es etwas schlecht dabei, da ich Unentschlossenheit zwar von mir gewohnt bin, aber sie in der Liebe wirklich nicht ausstehen kann. Und mich wieder und wieder frage: „Warum nur, wieso kann es nicht einfacher sein?“ Wir schrieben uns also wieder E-Mails, hier einige von ihm:
Wollte dich gestern nicht verletzen. Aber ich liebe dich! Habe das heute Nacht erfahren. Konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Mir war total schlecht beim Gedanken, dich zu verlieren. Hätte beinahe geko***. Das war nicht gerade toll. Und dann hab ich heute Nacht noch von dir geträumt. Bitte lass mich nicht verkümmern. Ich brauche dich. Was soll ich nur machen??? Bitte verzeih mir.
Bitte!!!! Bitte!!!
Schreib bitte zurück,
dein Andilein
Empfinde nicht viel. Wird wahrscheinlich einfach ein Kumpel. Denke ich. Weiß
es noch nicht. Ich weiß, dass ich Schluss machen will. Da ich mehr für dich
empfinde. Sehr viel mehr.
So, das waren mal die Wichtigsten, nun ja, momentan ist eben immer noch alles wirr bei mir im Kopf, von Klarheit keine Spur und wahrscheinlich hält das auch nicht lange. Ich würde ja jetzt gerne mit jemandem wetten, aber na ja, wette ich mit dem Tagebuch, angenommen, es sagt, es hält und ich, es hält eben nicht. Top, die Wette gilt …
Die Ferien sind bisher irgendwie anstrengend, so eher gar nicht entspannend. Ich mache viel für die Schule, habe jetzt zwei Abschlussprüfungen fertig, lese ein französisches Buch, wiederhole die Grammatik und fühle mich hinterher trotzdem noch so, als ob ich zu wenig getan hätte. Bin ich verrückt oder zwanghaft? Gott, Himmel, ich glaube ja, und vor allem meine Depressionen bekomme ich gar nicht in den Griff. Es ist eine Sache, zu wissen, dass man welche hat, doch damit klarzukommen, das ist die andere. Meistens kommt dieser Zustand so nachmittags, ist wirklich super!
Am Samstag war ich mit Isabel in K. und von Dienstag auf Mittwoch war ich bei ihrer Geburtstagsparty und es war einfach genial, ich bin ihr so sehr dankbar für diese Party, es war so cool. Wir waren bis um halb fünf auf, haben nur drei Stunden geschlafen und ein paar Jungs aus der ehemaligen 10. Klasse waren auch da, genau, aus der 10a, unter anderem auch der Florian, der einfach mit einer Dreizehnjährigen rumgemacht hat, obwohl er noch seine Freundin hat, aber nun gut. Das zeigte mir, dass ich froh sein konnte, nie mit ihm zusammengekommen zu sein und ich war irgendwie erleichtert.
Es waren viele Typen dort, der H., der mit Vornamen Basti heißt und Alkoholiker ist. Mit ihm hab ich mich super verstanden und er ist wirklich unheimlich nett und lieb, im nüchternen, sowie im meist betrunkenen Zustand. Es mag sich komisch anhören, aber in ihm sah ich mein eigenes Ich, mein verborgenes Ich, er war so, wie ich hätte werden können. Alles aufgeben, trinken, für eine Sucht zu leben, nur noch sein Leben auszukosten und in ein Nichts zu laufen. Wir unterhielten uns super gut, den ganzen Abend, freundeten uns an und es war super lustig. Später waren alle aus der Garage, in der die Party stattfand, rausgegangen, nur der Basti und ich waren noch da. Er war sehr betrunken und legte dann ein Lied auf, dass er sehr schön fand. Es war ruhig und romantisch, plötzlich schaute er mich mit seinen großen Augen an, die wegen des Alkohols ein wenig blinzelten, kam mir immer näher und grinste. Ich hatte großes Mitleid mit ihm, da ihn auch noch seine Freundin an diesem Abend hatte sitzen lassen. Ich wich nicht aus und war mir auch nicht gleich bewusst, wie mir geschah. Er küsste mich kurz, richtig, mit Zunge. Es war kein langer Kuss, aber er war zärtlich und zugleich ekelhaft. Ich war etwas überwältigt. Er ging wieder zurück und tat so, als ob nichts gewesen wäre, redete weiter, ganz normal, also benahm ich mich auch so.
Aber jetzt zur ganzen Party, die sehr, sehr cool und lustig war:
Alle standen dann auf den Bierbänken und tanzten, die Feier war in der Garage, da es regnete und die Musik war super. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, so begeistert war ich von dem Abend, bzw. der Nacht und ich sammelte viele Eindrücke, lernte vor allem das Schicksal eines jungen Alkoholikers kennen und ich versuchte ihm zu helfen, doch eines weiß ich ganz genau, solange er es nicht selbst will, kann ihm keiner helfen.
Der Sebastian und der Benno haben dann auch noch ihren Arm um meine Hüfte gelegt und sind mir leicht unter mein Oberteil gegangen, Benno hat mir sogar noch ein Bussi auf den Mund gegeben, oh Mann, die waren alle so dicht. War wirklich lustig.
In solchen Stunden liebe ich mein Leben wirklich, weil ich unter Leuten bin, weil ich vor allem meinen Spaß habe und wenigstens dann mein Leben etwas auskosten kann. Ich konnte mich gestern einfach fallen lassen. Ohne Drogen oder sonst was natürlich, ich hatte Spaß, ganz einfach nur Spaß!
Am nächsten Morgen, das heißt am gleichen Morgen, kam der Basti dann mit nacktem Oberkörper zu mir und umarmte mich. Ich hatte meine Brille noch auf, meine Schminke war verschmiert und ich sah nicht besonders frisch aus. Oh Gott, dachte ich mir, denkt der jetzt etwa, dass wir zusammen sind, wegen gestern vielleicht? Nein, anscheinend dachte er es doch nicht. Allerdings bemühte ich mich noch, ihn mit einigen Gläsern Wasser auszunüchtern. Isabel war in der Nacht, während der Party, einfach verschwunden, die meisten suchten sie in dem großen Wald, der hinter dem Haus lag, alle hatten anscheinend Panik, da sie mit einem Jungen verschwunden war. Später fanden wir sie aber in einem kleinen Zimmer, zusammen mit diesem Typen in einem Bett. Beide waren zwar angezogen, aber sehr betrunken, daher ließen wir sie in Ruhe. Sie hatten anscheinend auch nichts miteinander gehabt, da Isabel noch so schlecht war und sie einige Stunden vorher gebrochen hatte. Angeblich wegen eines Joints, den ihr einer der Leute auf der Party untergejubelt hatte. Aber es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sie gekifft hätte, na ja, soll sie machen, was sie will. Jedenfalls war es spaßig.
Und durch diesen Tag verstehe ich eines Teil meines Ichs besser, es ist so verängstigt, ohne Liebe, es lässt nichts an sich ran, ist aggressiv gegen alles und jeden, wehrt sich und wehrt sich bis zum Umkippen, weil es nicht anders kann und es nie kennen gelernt hat.
Eines Abends meditierte ich wieder, ich zündete mir eine Kerze an und sonst war alles dunkel, setzte mich im Schneidersitz auf die Couch und machte meine Augen zu. Ich hatte kein besonderes Thema, ich besann mich einfach nach innen und dann sah ich mich plötzlich, alles war schwarz-weiß, ich hatte eher verzottelte Haare, meine Augen waren ganz schwarz und ich hatte einen derart bösen Blick, dass er mir so richtig Angst machte. Ich lief nicht aufrecht, mir kam es so vor, als ob ich richtig verwahrlost und mir selbst überlassen wäre, so ganz alleine, einsam und unglaublich bösartig. Dann wurde mir etwas klar. Mein Problem bestand darin, mich selbst loszulassen, mich gehen zu lassen. Ich stehe mir selbst im Weg, da ist immer etwas, das Angst hat und nie ans Licht kommt, es geht nicht, weil das „Gute“ sich viel zu sehr davor fürchtet, sich mit dem „Bösen“ einzulassen und umgekehrt wahrscheinlich auch. Wie soll ich dieses Problem lösen? Ich weiß es nicht, nur eines, dass ich viel Mitleid habe, mit mir selbst, ich möchte mir selbst helfen, doch weiß nicht wie. Wenn ich jetzt als „böses“ Ich vor mir stehen würde, dann könnte ich damit umgehen, dann wäre da eine Person, mit der ich sprechen könnte, aber so, wie soll ich in mich hineinkommen und sozusagen mit mir „sprechen“, wie könnte ich das Innere aus mir heraufholen um damit klarzukommen, ohne dabei Aggressionsanfälle oder sonst etwas zu bekommen? Eine schwierige Aufgabe, die ich da versuche, zu lösen!
Tagebuch vom 04.–11.08.05
Ich sollte mich schämen, bis auf den Grund. Ich fühle mich wie ein faules Tier, das nichts hinbekommt und es nicht einmal schafft, in sein Tagebuch zu schreiben, obwohl doch so viel passiert ist.
Donnerstag: Es war ein grauenhafter Tag, so schrecklich deprimierend und unnötig. Wir fuhren zusammen zur Oma und es gab deshalb natürlich wieder Streit. Mein Vater wollte dort überhaupt nicht hinfahren und als meine Ma vorschlug, dass wir ruhig über Nacht bleiben könnten, lehnte er ab und maulte regelrecht herum. Ein grauenhafter Mensch. Da habe ich wenigstens noch eine Verwandte, die zudem noch meine Oma und krank ist und er ist sich dafür zu fein. Typisch mein Vater. Egoistisch und unsozial eingestellt.
Als wir dann ankamen, fuhr mein Vater erst mal nach Mannheim zu einem Bekannten, von dem er immer seine Autos kaufte, dieser Mann hieß Robert M. und ich kannte ihn auch noch ganz gut von früher, als er und seine Frau Claudette uns öfters besuchten. Seine Frau war eine große, sehr, sehr liebe etwas dickere Schwarze und war einmal Kindergärtnerin. Er war zwar ganz in Ordnung, nur leider Alkoholiker, sehr starker Alkoholiker.
Meine Mama und ich waren dann bis Mittags bei der Oma und um ehrlich zu sein, ich war dabei total überflüssig und habe mich mit Likör leicht angetrunken. Oma redete und redete und hörte nicht mehr auf, meistens konnte ich nichts dazu sagen, da es um Leute ging, die ich gar nicht kannte. Also saß ich eben gelangweilt daneben, aber das war noch eher erträglich.
Später kam dann mein Arschloch von Vater und schleimte bei meiner Oma herum wie noch was, ich hätte ihm ein Messer in den Bauch stechen können. Wir gingen dann essen und ab diesem Zeitpunkt konnte ich gar nichts mehr sagen, denn jetzt redeten nur noch Oma und Papa, ganz toll. Danach waren wir wieder bei ihr zu Hause, aßen Kuchen und es gab Streit. Wir tranken alle Wein und meine Oma meinte, ich sollte doch auch ein Gläschen mittrinken. War doch auch nichts dabei. Und ich willigte ein. Aber mein unglaublich toleranter Vater, der so liebevoll ist, fiel mir ins Wort und meinte „Nein“, er möchte nicht, dass ich etwas trinken würde, außerdem hätte er gehört, dass ich selbst auch nein gesagt hätte. Ich meinte daraufhin, dass das nicht stimmt und so ging es dann wieder los, doch meine Oma beruhigte alle.
Daraufhin war ich noch mehr am Boden. Ich fragte mich, was ich denn hier sollte, um mich erst zu langweilen, dann anzutrinken, dann gar nichts mehr sagen zu können und auch noch zu streiten? Super Tag, denn eigentlich wollte ich meiner Oma einfach nur etwas über mein Leben erzählen und sie um den einen oder anderen Rat fragen, aber daraus wurde nichts. Als mein Vater kurz auf die Toilette ging, kippte ich mir mit einem Mal einen richtigen Schuss Wein hinein, ging dann auf die wunderschöne Terrasse, sonnte mich, lenkte mich mit dem bezaubernden Garten etwas ab und schlief dann richtig schön ein.
Später dachte ich, dass es doch jetzt Zeit wäre zu gehen, meiner Mutter reichte es natürlich auch, aber nein, mein Vater wollte noch einen Kaffe und dann wieder ein Wasser und so zögerte es sich hinaus bis abends und ich konnte wieder am Tisch sitzen um später wieder hinaus zu gehen. Das war der „erholsame und tolle Tag“ bei Oma, dank Vater!
Das Beste kommt jedoch noch. Am Abend waren wir wieder zu Hause und ich schrieb mit Andi wieder E-Mails. Ich erzählte ihm, dass ich recht genervt war und so weiter und so weiter. Ich sprach vom Ritzen, weil ich dachte, dass er das wissen sollte, versuchte es ihm sogar zu erklären. Dann kam der Knaller des Tages: Alles was er dazu meinte war, dass doch jeder einen Tick hätte und es sei ja nicht schlimm. Daraufhin hätte ich wirklich heulen können, war aber zu wütend um es tatsächlich zu tun.
Er verstand mich wirklich nicht, gar nicht und ich war enttäuscht, sehr sogar. Der Tag war für mich gelaufen, ich ging dann nur noch ins Bett und konnte längere Zeit nicht einschlafen, weil ich so zornig war, auf alle. Vor allem auf Andi.
Freitag: Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was wir da alles gemacht haben. Ich glaube, ich habe für die Abschlussprüfungen gelernt, vor allem geschlafen und es ist an diesem Tag nicht sonderlich viel passiert, was aber auch mal schön war, bis auf dass ich mich wieder so eigenartig fühlte.
Es geht mir schon seit vielen Tagen so, ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Es ist ein einseitiges Gefühl, etwas verschwommen, nicht wissend, was gut ist, unbeständig und irgendwo auch alleine. Ich legte am Samstag dafür schon Tarot, aber ehrlich gesagt, half mir das nicht viel. Mir geht es gerade sehr merkwürdig, ich weiß im Prinzip nichts mit mir anzufangen, fühle mich hin- und hergerissen und mir ist nicht bewusst, wie oder von was das kommt. Es soll angeblich nicht schlimm sein, selbst wenn ich mich verrückt dabei fühle, das steht wortwörtlich für ver – rücken, ich verändere mich also. Doch wie lange vermag dieser Zustand anzudauern? Es ist, als würde man auf einem durchwachsenen Steak kauen, unangenehm, doch man müsste es essen und es schmeckte einem ganz und gar nicht.
Samstag: Oh mein Gott, Andi war da! Anfangs waren wir sehr distanziert, doch später lagen wir dann knutschend auf dem Boden und es war wirklich schön. Mein Körper ist ihm irgendwie verfallen, mein Geist jedoch nicht. Das ist wohl auch der Grund, weshalb ich ihn nicht liebe. Danach dachte ich mir, oh Gott, was hast du getan, war das denn jetzt richtig? Wir sind jetzt definitiv zusammen. Ja, es war ein schönes, etwas geborgenes, freies Gefühl, geküsst zu werden, sanft am Bauch berührt zu werden, aber ist das denn moralisch in Ordnung, wenn man jemanden nur körperlich braucht, daher eigentlich benutzt?
Er fing dann an, über meine Probleme zu reden, was ich nicht wollte und er tat es doch und verletzte mich wieder, aber es war dieses Mal anders. Ich persönlich fühlte mich nicht mehr angegriffen oder gekränkt, es war eher eine menschliche, vielleicht sogar allgemeine Enttäuschung, dass ein Junge in seinem Alter diese Probleme nicht ernst nimmt, oder damit nicht umgehen kann, besser gesagt. Er sagte, dass mein Leben ja ach so schön wäre, weil ich eine Wohnung habe, in einem großen, schönen Haus mit Garten wohne, viel Geld besitze. Meine kleinen sozialen Probleme wären da ja nicht schlimm und er verstände nicht, weshalb ich oft traurig bin und dergleichen. Wie gesagt, es ist hart, so etwas zu hören, aber ich konnte es hinnehmen. Ich fühle mich, als ob ich meinen Geist betrügen würde, irgendwann müssen sich beide arrangieren und dann wird es Opfer geben, ich bin kein guter Mensch mehr, wenn sich ein Mensch so unendlich schlecht fühlt, Depressionen hat, sich unzählige Male umbringen will, dann ist er nicht mehr „gut“.
Abends, als er weg war, stritten meine Eltern wieder fürchterlich. Langsam möchte ich gar nicht mehr darüber schreiben, weil ich es so hasse, so sehr hasse, dass ich mir mit jedem Wort darüber, wie beschissen alles ist, dass sich alles immer wiederholt, so leid tue.
Ich kam in die Küche, meine Mutter saß alleine dort, aß und maulte mich einfach so an. Wieso wir keine Beeren gegessen hätten, dass ich ein Miststück sei, ein Scheißkind und so weiter und so weiter. Es war ein Ton, mit so viel Hass, dass ich nur noch ging. Es war wirklich schön, grundlos beschimpft zu werden. Aber na ja, sie hatten anscheinend wieder Streit, sie hatte sich betrunken und da ich grade mal zufällig da war, kann man ja die Luft an mir auslassen.
Unten polterte es wieder wie wild, meinte Ma knallte die Türen mehrmals zu, schrie herum und er redete dagegen und dagegen und anstatt sie zu beruhigen, wühlte er sie noch mehr auf, denn sie war ja wie immer an allem Schuld. Ist diese Geschichte etwas Neues? Nein, nicht wirklich, diese Geschichte ereignete sich schon so oft. Jedenfalls kam mein Vater zu mir hoch und war unglaublich nett und freundlich zu mir. Wir redeten über die Mama, ich versuchte ihm klarzumachen, dass nicht sie an allem Schuld sei, auch nicht in eine Psychiatrie müsste und so weiter. Das ging dann zehn Minuten lang. Er hörte mir richtig zu, sagte gar nichts dagegen, es sah so aus, als ob er mich verstehen würde. Aber ich kannte das leider schon von ihm, in all den Jahren. Hat man mit seiner Frau Streit, doch mit seiner Tochter nicht, so begebe man sich zu seinem Kind, um es auf seine Seite zu ziehen. Man rede ihm ein, dass dessen Mutter psychisch krank sei, verrückt, an allem schuld und man selbst vor allem irgendwann auch noch sein Fett abbekommen würde. Doch leider lässt sich in diesem Leben das liebe, nette Töchterlein, das ja eigentlich auch ständig für psychisch krank gehalten wird, nicht beeindrucken, weil es immer die selbe Leier ist. Punkt, aus, Ende.
Es ist zugegeben schön, wenn er den guten Vater spielt, mir einmal zuhört, mit mir sogar über meine Schlafprobleme redet und mir am Schluss Beruhigungstropfen anbietet, aber das hätte ich gerne immer und nicht nur, wenn es Streit gibt.
Diesen Abend stand ich dank Andi durch, der mich vorher so glücklich gemacht hatte, dass ich all das nicht mehr so an mich heran ließ, es etwas verdrängte, aber früher oder später kommt alles wieder hoch.
Meine Ma kam auch noch zu mir und oben gab es dann wieder Streit, genau, es ging um seine Freundin, wie neu. Er meinte zu mir, er hätte nichts mit ihr gehabt, gab aber indirekt zu, dass er mit ihr im Urlaub war. „Ich hatte nichts mit ihr, wieso auch. Ich kenne diese Frau schon acht Jahre lang und wir sind befreundet, die ist eine ganz Nette, aber viel zu alt, das wäre ja so, als wenn ich mit der Oma in Urlaub gefahren wäre.“ Also? Richtig, er war mit ihr da. Ob er was mit ihr hatte, oder nicht, das ist mir so was von egal. Er hatte ja auch schon etwas mit einer Frau V., als ich erst drei war, er erzählte uns letztes Jahr um die Weihnachtszeit auch, dass er mit Kollegen in St. Pauli gewesen ist, ein „Vergnügungsviertel“, während er mit der Mama bereits verheiratet war. Also weshalb sollte mich dann so etwas noch kümmern? Außerdem frage ich mich dann doch, wofür er Viagra genommen und mit ihr so oft telefoniert hat. Viel schlimmer finde ich das davor und auch, dass er sie schon so oft geschlagen hat und über sie herzieht, wie einer, der aus der Hölle kommt, dass er so unmenschlich ist und nichts gegen diese grauenvolle Situation tut.
Ich wünsche keinem Menschen, keinem Kind auf dieser Welt einen solchen Vater, so etwas Böses. Ich weiß, es gibt noch bösere Väter, die ihre Frauen krankenhausreif schlagen, sie und ihre Kinder sogar vergewaltigen, dennoch ist es unbegreiflich für mich, wie jemand so unmenschlich sein kann.
Egal, wie viel ich über diesen Menschen schreibe, was er getan hat, was er Tag für Tag macht, was er gesagt hat, all dies beschreibt rein gar nichts über seine Aura, die man wirklich hautnah erleben müsste. Es sitzt so tief, wie ein schwarzer Baum auf einer einsamen, weiten Wiese und rund umher nichts, gar nichts, niemand vermag dem Baum sein Grün zurückzugeben, ein fortwährender Zustand, endlos.
Sonntag: Mein Vater fuhr einfach wieder zu seinem Bruder, gut so. Meiner Mutter ging es nicht sonderlich gut, aber gegen Mittag bekam sie wenigstens wieder etwas Farbe. Ich schlief nicht besonders gut, aber das ist ebenfalls nichts Neues. Später gingen wir noch ins Kino, ich wollte, dass sie wieder auf andere Gedanken kommt, aber das funktionierte, denke ich, nicht wirklich. Ich lernte wieder etwas für die Abschlussprüfungen und schlief sehr lange, das war der ganze Sonntag.
Es mag sich jetzt etwas merkwürdig anhören, aber jeden Tag bekommt man immer wieder neue Eindrücke, entweder man sieht etwas oder sie kommen so, es sind einfache Themen oder manchmal auch philosophische. Wenn ich könnte, würde ich den halben Tag mit Schreiben verbringen. Ich würde Thesen aufstellen, politische, sowie Thesen, die für das Wohlbefinden wichtig sind. Mir fällt so viel ein, Eindrücke, Einflüsse, was ich „sehe“, es ist so viel, manchmal dreht sich alles, ich denke, dass ich zu nichts mehr komme, der Tag scheint so kurz, alles so vergänglich und unbeholfen, hilflos, einsam, krank, verrückt, unsinnig und vor allem kompliziert und doch so einfach. Und so einen Zustand nennt man dann Leben. Die Frage ist doch, was das Leben ist. Ab wann lebt man eigentlich? Ich denke, dass viele Menschen zwar geboren wurden, sozusagen existieren, aber nicht richtig leben. Leben sollte etwas Schönes sein, in einem wahrhaftigen Leben sollte man etwas erreicht haben, etwas Schönes, Bedeutendes, selbst wenn es klein ist, die Welt ändert, Menschen helfen, kleine oder große Probleme lösen und zur Heilung da sein, dass es ein Stück besser, erträglicher wird.
Montag: Amelie war bei mir und hat auch hier übernachtet. Wir nahmen uns an diesem Abend vor, uns richtig zuzusaufen. Das begann dann aber nicht erst abends, sondern schon am frühen Nachmittag. Wir tranken zusammen eine Flasche Sekt und danach fast eine ganze Flasche Wodka, gemischt mit Saft und Spezi. Wir waren so betrunken und es war herrlich. Ich fühlte eine unendliche Freiheit, alle Sorgen und Ängste waren fern und dieses Schwindelgefühl war, als ob man nicht mehr auf dieser Erde in dem selben Leben sein würde, sondern als wäre man weit weg in einer anderen Dimension. Wir fielen von der Couch herunter, so zu waren wir. Laufen konnten wir auch nicht mehr richtig und einfach alles war schön und vor allem lustig und heiter. Dann fingen wir wieder an herumzuknutschen, wie das eigentlich immer der Fall war, wenn wir total betrunken waren. Aber es ist und war ok für uns. Es musste in diesem Zustand einfach sein. Wir waren nicht lesbisch, zumindest gehe ich davon aus, dass Amelie es nicht ist und bei mir bin ich mir da auch sicher. Als wir aufhörten zu trinken und uns praktisch auf dem Boden wälzten und uns küssten, dann versuchten aufzustehen und umfielen, wurde uns nach einiger Zeit klar, dass wir uns besser wieder nüchtern bekommen sollten.
Also fingen wir an, ganz viel Leitungswasser zu trinken und dann holte ich noch etwas zu Essen hoch und danach ging es wieder. Bis zum Abend waren wir wieder ausgenüchtert, ein Glück. Dann wurde uns ein wenig bewusst, was wir eigentlich für einen Scheiß gemacht haben, aber das war auch abzusehen. Der Abend wurde dann noch ganz schön und um halb eins gingen wir schlafen.
Es ist seltsam und irgendwie auch ekelhaft, sie zu küssen, es gibt einem einerseits einen Kick, dient dazu, Erfahrung zu sammeln, denke ich, aber es ist anders als bei einem Mann. Dadurch, dass wir betrunken sind, ist es hemmungsloser, wilder und verruchter, lustiger und zugleich verrückt. Was passiert wäre, wenn mein Vater hereingekommen wäre, will ich gar nicht wissen. Er hatte uns an dem Tag ziemlich poltern und lachen hören, anscheinend waren wir noch lauter, als wir dachten. Ein Glück, dass ihn Mama davon abhielt. Auch sie weiß nichts davon, sollte sie auch besser nicht.
Dienstag: Meine Eltern waren weg und wir frühstückten nach elf Uhr gemütlich, liefen danach etwas durch die Stadt und später am Abend gingen wir alle zusammen noch ins Theater. Es war sehr schön, wirklich und wahrhaftig beeindruckend. Eine Gruppe namens „E. S.“ ahmte die Comedian Harmonists nach und die Show war wirklich grandios und auch spaßig. Meine Eltern stritten wieder einmal in der Pause, weil mein Vater eine Frau, die versehentlich in der falschen Vorstellung war, leicht anmachte, sich dann nur noch mit ihr unterhielt und meine Mutter links liegen ließ. Daraufhin war meine Ma natürlich beleidigt, was verständlich ist. Das war der Tag und es war ein schöner, gelassener, ohne Zwang, ohne Depressionen, zwar wieder mit dem üblichen Ärger mit den Eltern, aber wie ich schon so oft erwähnte, war das nichts Besonderes mehr.
Mittwoch: Wir fuhren die Amelie nach Hause und ich musste Andi dank meiner Mutter absagen, weil sie unbedingt mit mir wohin fahren wollte. Als wir dann an den A. waren, regnete es, wir fuhren also wieder nach Hause, aßen in einem Restaurant und waren bereits um halb drei wieder daheim. Ich konnte Andi noch anrufen und er wäre auch noch gekommen, so sagte er zumindest, aber ich konnte an dem Tag irgendwie nicht mehr, wollte nur meine Ruhe haben, deswegen sagte ich ihm ab. Ich hatte so ein unsicheres Gefühl, es war schrecklich. Ich fühlte an diesem Mittag nichts für ihn, machte mir Vorwürfe, was ich denn getan habe, weshalb ich überhaupt so etwas angefangen hatte. War ich denn so dumm oder bin ich blöd geworden? Sonst handle ich doch auch einigermaßen vernünftig, bin mir meiner Sachen sicher, weiß meistens, was ich will. Bevor jemand zu sehr verletzt wird, breche ich lieber gleich ab, aber nein, dieses Mal nicht, nur weshalb? Die Antwort bekam ich dann am Abend.
Ich betrank mich wieder, trank ziemlich schnell eine Flasche Sekt alleine leer und rief ihn dann einfach nachts an, komplett betrunken und eigentlich ohne Grund. Oder vielleicht doch? Sehnte sich etwas tief in mir vielleicht nach ihm? Etwas, das nur dann über mich kam, wenn ich im Rausch war? Ich kann keine andere Antwort darauf finden.
Was dann kam, überraschte mich jedenfalls sehr. Er sagte, dass er mich so sehr liebe, jede Sekunde an mich denkt, keinen Hunger mehr verspürt, kaum noch schläft, da er so fest an mich denken muss. Sein erster Gedanke, wenn er aufwacht, wäre ich, abends wäre ich sein letzter und er wünsche sich immer, dass er von mir träumen würde. Ich sei seine Droge, er könne nicht mehr ohne mich leben, so etwas Starkes habe er noch nie empfunden und ich sei so wunderschön und er vermisse mich ja so unendlich und sehne sich nach mir. Das ging dann sehr lang und ich war ein wenig überwältigt. Mit meinem Geist passierte etwas in dieser Nacht. Er verstand das Körperliche mehr oder weniger, ich meine, er tat sich mit dem Körperlichen zusammen, jetzt fing ich an, ihn richtig zu mögen, es war stark und etwas Unerwartetes wurde plötzlich wahr, es war real, er liebte mich. Er war ganz ernst und es war schön, aber ich fühlte mich immer schlechter und erbärmlicher. Was war ich nur für ein Mensch? Jemanden, der mir Liebe schenkt verletzen zu wollen, es zu beenden. Oh Gott, was soll ich nur machen? Ich brauche ihn, er lenkt mich von meiner Familie ab, das ist mir klar, aber wenn er mich verletzen sollte, dann hätte ich große Angst, dass mich damit jemand zum letzten Mal verletzt hätte, zum aller- allerletzten Mal, dann könnte ich nicht mehr, erstens wegen dem Schmerz, dann weil ich wieder gescheitert bin, drittens, weil ich nichts mehr habe wovon ich schreiben kann, was nicht so schlimm ist aber vor allem, dann hätte ich wieder niemanden zum Anklammern.
Wenn er nicht wäre, würde ich mehr über meine Familie schreiben, dass sie mich fertig machen, dass meine Mutter wieder so am Ende ist wegen meinem Vater, dass sie mich manchmal unglaublich nervt und an mir nur herumnörgelt, egal was ich mache und tue, dass alles so schlecht ist an mir. Aber jetzt ist das nicht mehr so wichtig, jetzt steht etwas anderes im Vordergrund, etwas, was meiner Meinung nach schöner, nicht so besonders schlimm ist.
Meine Depressionen habe ich von Tag zu Tag, dann weiß ich nicht, was ich machen soll, weinen kann ich nicht, schreien würde ich am liebsten und es ist ein innerliches Hin- und Hergezerre. Ich würde wirklich gerne Drogen nehmen, richtige. Etwas kiffen, oder Tabletten nehmen, Schlaftabletten. Aber all das mache ich nicht, wenn dann betrinke ich mich.
Ich weiß ganz genau, dass das keine Lösung ist, mich vielleicht noch eher abhängig macht, aber was, was, was soll ich tun? Es tut so weh, es tut so schrecklich weh, ich hasse alles so. Ich kann hier nicht weg, alles dreht sich im Kreis, alles ist so unendlich und nimmt kein Ende. Bald kann ich nicht mehr, ich sehe mich schon im Krankenhaus liegen, weil ich irgendwelche Schlaftabletten genommen habe und dieser verdammte, üble Gedanke macht mich auch noch glücklich, ist das nicht krank? So krank. Ich hasse mich selbst. Ich hasse in diesen Momenten alles, einfach jedes Gefühl bricht zusammen, fällt in sich ein, wie ein Gebäude, dass man mühsam aufgebaut hat. Wieso kann es nicht weggehen? Wieso nicht? Ich versuche doch schon so viel. Meditieren, schreiben, mit anderen darüber reden, mich abzulenken, alles, nichts hilft, nur eines, doch das will ich nicht bewusst in diesem Augenblick, aber es ist nichts anderes als Liebe!
Tagebuch vom 11.–15.08.05
Also, erst mal zu den schlechteren Nachrichten. Wir fahren ab morgen, also Dienstag, nach R., an den Gardasee, ins Hotel L., na ja. Diese zehn Tage werde ich hoffentlich gut überstehen, hoffentlich, es wird nicht leicht mit meinen Eltern, aber was soll’s. Meine Ma hält es hier einfach nicht mehr aus, sie will und kann nicht mehr, was ich wirklich verstehe. Sie meinte dann, dass wir schnellstmöglich irgendwo hinfahren sollten. Also rief sie bei dem Hotel L. an, um für uns beide ein großes Doppelzimmer zu buchen. Ich war zwar nicht gerade begeistert von Italien, aber sehr froh, dass der Teufel nicht mitkam, dass sie es geschafft hatte, dass wir beide alleine in Urlaub fahren – dachte ich. Mein werter Herr Vater bekam das mit und überprüfte anscheinend, wo sie angerufen hatte. Gleich danach ging er ins Büro in den Keller und fragte, wann wir gebucht haben und so weiter. Die von dem Hotel wussten ja nicht, dass meine Eltern Streit haben, also dachten sie wahrscheinlich, dass sie ihm logischerweise die Auskunft geben könnten, von wann bis wann wir gebucht hatten. Er nahm sich dann auch ein Zimmer und es gab wieder ein großes Theater deswegen. Meine Ma schrie ihn an, warum er das gemacht hat und uns nicht in Ruhe lassen kann. Er meinte, er sei „Erziehungsberechtigter für mich und hätte daher auch die Verantwortung – oh mein Gott, dieses verdammte Arschloch! Erst wollte er sogar noch, dass wir mit ihm mitfahren nach Italien, aber Mama war so wütend und ich ebenfalls, dass wir „nein“ sagten. Spinnt der denn? Das kann er doch nicht machen? Es geht langsam zu weit. Hinterher musste ich weinen und war wieder völlig am Ende, ich hasse ihn, ich hasse ihn so sehr, er spinnt, er ist verrückt, er treibt einen in den Wahnsinn, muss einen ständig kontrollieren, alles kaputt machen. Ich will ihn erwürgen, ihn und seine scheißverfickte Fresse gegen die Wand knallen!
Nun komme ich gleich zu dem Wichtigen, bzw. eher dem Aufregenden.
Oh Gott, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Es hat mich ziemlich durcheinandergebracht, es geht um Andi. Ich habe wirklich und wahrhaftig keine Ahnung, was ich dazu sagen soll, bzw. wie ich es schreiben sollte. Es ist so viel. Wir habe natürlich nicht miteinander geschlafen, aber ich denke, wenn er über Nacht geblieben wäre, dann hätte das leicht passieren können ...! Das ist irgendwie sehr erschreckend für mich.
Anfangs, wenn er bei mir ist, dann haben wir immer eine Art Radius, der sich nach und nach verkleinert, sprich, wir kommen uns dann immer näher. Ok, liebes Tagebuch, du als Einzigstes hast das volle Recht, es zu erfahren, jedes Detail. Dann fang ich mal an.
Wir redeten am Anfang und aßen noch was. Es war ganz lustig, aber eher so freundschaftlich. Später fingen wir eben wieder an, uns zu küssen und dann lagen wir auf dem Boden, küssten weiter und weiter. Irgendwann lag ich dann auf ihm drauf und er begann meinen Po anzufassen, damit meine ich unter der Hose. Tja, was will man da machen …? Dann begann er mich leicht hoch und wieder runter zu schieben. Aber wir beide waren noch angezogen, zum Glück – grins! Plötzlich, da ich ja direkt auf ihm lag, merkte ich, dass er auf ein Mal einen Steifen bekam. Das machte mir Angst, ziemlich Angst und ich dachte eigentlich nur: „Scheiße!“ Ich ging dann einfach von ihm runter und er war ziemlich durch den Wind, sah verwuschelt aus und meinte: „Ok, wir bräuchten mal ne Pause und ich muss dann auch mal aufs Klo!“ Ich hätte so lachen können, aufs Klo, ja, ja! Dazu gibt es ebenfalls nichts zu sagen. Es war wie Sex, bloß angezogen, dieses ständige hoch und runter und er stöhnte teilweise auch, eher etwas leiser, aber immerhin. Es war richtig prickelnd und aufwühlend. Er wollte gleich weitergehen und mir mit der Hand richtig reinfassen. Wohin, das muss ich jetzt nicht schreiben. Das ging mir jedoch zu weit, und ich sagte nur: „Vergiss es!“ Es schien ok für ihn zu sein. Oh Gott, was mache ich nur? Geht das nicht gleich zu weit? Ist das nicht zu schnell? Aber wenn wir so am Herummachen sind und es dann richtig heftig am Boden zugeht und er mich streichelt und berührt, dann würde ich mich am liebsten richtig hingeben und dann würde auch mehr passieren! Wow, es war richtig hot!
Tagebuch vom 16.08.05
Tag 1:
Nun sind wir also in Italien, am Gardasee. Mein Scheißvater ist uns doch glatt direkt nachgefahren, was bildet er sich nur ein. Aber wir hatten ja unser eigenes Zimmer. Ich muss gestehen, obwohl ich dieses Land nicht sonderlich mag, ist die Landschaft extrem schön. Die Berge sind wunderbar und wenigstens ist es hier warm. Jetzt kommt das Aber:
1. Hier gibt es keine hübschen Jungs
2. Mein Vater nervt schon wieder (wie hätte es auch anders sein können)
3. Ich vermisse wirklich mein Zuhause!
Mein Zimmer ist zwar groß, schön aber nicht direkt, aber es lässt sich darin leben.
Ständig muss ich über Andi nachdenken, dass ich nicht weiß, was ich tun oder fühlen soll, bringt mich völlig durcheinander. Die Erinnerungen an das Wochenende, bzw. den Sonntag kommen immer wieder hoch. Soll ich mich darüber freuen, sollte ich es irgendwie bereuen? Ich weiß es nicht. Meine Ängste sind mir bewusst und ich wusste auch, wie ich damit umzugehen habe, aber eine Frage stellt sich mir immer und immer wieder. Ist meine Angst berechtigt? In manchen Momenten möchte ich alleine sein, ganz weit weg und dann fühle ich mich wiederum alleine und einsam und dann, genau zu dieser Zeit sehne ich mich so sehr nach ihm. Ich erinnere mich gerne an die schönen Stunden. Sie waren leidenschaftlich und wir beide waren einfach glücklich, zusammen zu sein. Es ist in gewisser Weise schon Liebe, wenn er bei mir ist. Doch dazwischen denke ich und denke. Es ist komisch, dass ich über ihn so oft nachdenke, jedoch zweifelnd. Ist es dann vielleicht Liebe, die ich gerade durch Angst nicht zu verstehen vermag? Wenn mir doch nur ein Teil von mir klar und deutlich sagen würde, was ich machen soll, was richtig wäre. Es zerreißt mich nicht und es ist nicht wirklich belastend, aber verwirrend, wie ein Knoten, besser noch, ein Gewirr aus vielen Fäden.
Gerade piepst bei mir ständig der Fernseher und geht an, Gott, Hilfe, ich schalte aus, er geht wieder an. Wie war das? Urlaub = Erholung? Nein, nicht mit meinen beiden Eltern und vor allem nicht hier. Ich kann mich einfach mit dem Flair hier nicht anfreunden, so schön oder warm es auch sein mag. Es ist todlangweilig und ich mache es ungern, bin praktisch gezwungen, hier zu sein. Na hoffentlich läuft der Abend noch ohne Streit und er wagt es nicht, sich an unseren Tisch zu setzen.
Nun habe ich noch etwas Zeit, aber bin zu müde, um zu lesen oder Abschlussprüfungen zu machen, also schreibe ich. Was mir gerade einfällt, ist einfach nur Andi, Andi, Andi und Andi, falls ich es noch nicht erwähnt habe: ANDI!!! Ja, ich bin verrückt, vielleicht besessen, aber ich klammere mich jetzt einfach daran. Ich habe mir schon überlegt, dass es Schicksal oder Vorbestimmung ist mit ihm. Weil ich Depressionen habe und das mit meinen Eltern auch nicht besser wird, daher gibt es in meinem Kopf ein sogenanntes „glückliches Problem“. Damit meine ich, dass mich der Gedanke daran froh stimmt und mir Sicherheit gibt und ich überlege gleichzeitig, wie ich mich auf ihn einstellen soll und – oh, ich muss jetzt Essen gehen.
Tagebuch vom 17.08.05
Tag 2:
Es ist jetzt kurz nach fünf Uhr und ich bin völlig fertig. Die Nacht schlief ich nicht gut, ständig war irgend ein fremdes Geräusch, aber daran muss ich mich wohl oder übel gewöhnen. Der Tag war bisher so unglaublich anstrengend – morgens habe ich mit dem Papa Tennis gespielt, er hatte mich angerufen und mich dazu sozusagen gezwungen, weil er ja – wie üblich – Erziehungsberechtigter ist. Zum ersten Mal seit, glaube ich, fünf Jahren und es hat Spaß gemacht. Allerdings war meine Ma ziemlich beleidigt, weil der Papa mit mir gespielt hat und wieder einen Aufstand machte. Na ja, was soll ich machen, meine Mama hat Recht, aber wir können uns dagegen kaum wehren, das heißt, ich kann es nicht. Mir tut jetzt so sehr die Hand weh, Gott, aber ich habe wirklich gut gespielt und war richtig begeistert. Danach, wie gesagt, heiße Luft, die sich aber in der Stadt, wo wir zu Mittag aßen, wieder legte. Ich kaufte noch ein paar Postkarten, die ich wahrscheinlich gleich schreiben werde. Bisher hörte ich noch nichts von Amelie oder Andi, obwohl ich beiden gestern schrieb. Was soll’s!
Später schwammen wir noch, ich schaffte 60 Bahnen und es war schön und angenehm. Bevor ich hochging, in mein Zimmer, aß ich eine Kleinigkeit in einem Bistro, das bei dem Pool war, selbstverständlich kam mein Vater auch mit. Als Mama mir einen Schluck Bier anbot, war der werte Herr Vater damit nicht einverstanden und so ging es kurz hin und her und Mama ist jetzt eben wieder sauer, was ich aber verstehen kann, da er bei allem reinredet und mir keinen freien Willen mehr lässt. Gott, sie nerven so. Immer ist irgendetwas. Es wäre fast schon perfekt hier, das sage ich, die Italien nicht sonderlich mag, wenn mein Vater sich einmal zusammennehmen könnte, bzw., besser verhalten würde. Aber das ändert sich nie und nimmer. Irgendwann wurde es mir dann zu dumm. Mein Vater redete und redete einfach drauf los, unnötig wie ein Kropf, meine Mutter saß gelangweilt und genervt daneben, weil sie mich nicht alleine lassen wollte und schaute zur Seite und ich durfte dann das Gelaber anhören und darauf eingehen, wunderbar! Daher ging ich einfach und beschloss zu schreiben. Was wohl Millionen Mal angenehmer ist!
Das Wetter ist schön, die Sonne strahlt, ab und an ein kleiner Wind und die Italiener, nun gut, eher unfreundlich, hektisch, aber sonst ganz ok. Trotzdem: ICH WILL NACH HAUSE!
Das ist gerade mal der zweite Tag und ich bin schon total hibbelig und so was von genervt von den „Erziehungsberechtigten“! Schön, dass der mir alles verdirbt und der Papa nervt derart, unfassbar, das ist schon teilweise zum Davonlaufen. Aber ich muss sagen, dass ich positiv überrascht bin, dass er bisher keinen Streit mit mir angefangen hat und sich zum größten Teil normal mit mir unterhält. Ich bin einmal gespannt, das schreibe ich mit zitterndem Herzen, was die Herrschaften heute Abend noch machen. Das bedeutet, wie sie sich verhalten. Dann sage ich jetzt schon mal bis später!
Tagebuch vom 18.08.05
Tag 3:
Nun, was soll ich sagen, es war bisher ein Supertag. Mein Vater verhält sich mir gegenüber immer noch sehr nett, im Vergleich zu sonst, und ich muss sagen, das macht mich schon sehr glücklich. Wenn er das die restlichen Tage weiterhin schafft, bekommt er eine Urkunde von mir! Grins!
Der erste Gedanke heute Morgen, als ich aufwachte, war nur: Autsch! Meine Knochen taten sehr, sehr weh. Darum mache ich heute auch keinen Sport.
Während meine Ma schwamm, las ich mein französisches Buch weiter. Mein Vater war ausnahmsweise nicht da. Mittags machte ich einige Fotos von der schönen und atemberaubenden Landschaft. Die Berge sind hier so unglaublich schön, Berge sind generell etwas fantastisches in meinen Augen, für mich sind sie perfekt. Als ich sie so betrachtete, kam mir das Wort „perfekt“ eben in den Sinn. Was ist perfekt? Viele sagen, dass niemand und nichts perfekt sei, dass es daher lediglich ein Zustand von Vollendung ist, den viele wohl erstreben, keine Frage. Wenn jedoch eine Situation oder eine Gelegenheit, natürlich auch Dinge, so schön sind für jemanden, dann sagt man oft: Das ist perfekt oder es läuft perfekt! Für jedes Individuum ist daher diese Perfektion anders, niemand nimmt dies gleich wahr. Es ist einigermaßen kompliziert, „perfekt“ gibt es zwar nicht, da nichts vollkommen zu sein scheint, folglich dürfte es dieses Wort meiner Meinung nach nicht geben, aber auf der anderen Seite gibt es das dann doch, es steckt in Vielem, wie gerade erwähnt, wenn etwas für einen vollkommen ist. Für mich ist alles und nichts perfekt. Jeder, alles hat seine Fehler, wenn man sie denn sieht oder zu erkennen meint. Gleichzeitig ist jedes in sich perfekt und vollendet. Sprich, diese Perfektion ist wiederum relativ. Da sind wir also wieder bei Einstein: „Alles ist relativ.“ Und für mich sind die Berge perfekt, weil sie in meinen Augen eine unfassbare Schönheit darstellen, so kräftig und stark an ihrem Platz sind, Wunder der Zeit mit sich tragen, eckig und kantig sind und das ist eine Art von Naturgewalt, die ich als derart unfassbar und bezaubernd ansehe!
Heute schrieb ich noch die letzten Postkarten und daher schlief ich, da ich wirklich sehr, sehr, sehr müde und richtig alle war. Isabel schrieb mir eine SMS und ansonsten hörte ich bis jetzt von niemandem etwas. Je länger ich von zuhause weg bin, desto klarer wird es mir in Sachen Andi. Dass ich mich auf keinen Fall von meinen Freundinnen beeinflussen lassen sollte, sondern einzig und alleine auf mein Herz hören müsste und das kann ich hier sehr gut. Ich weiß jetzt, was ich will. Ich möchte mit ihm zusammen sein, weil er gerade der Beste für mich ist. Wir sind zusammen, haben Spaß und fühlen uns wohl. Ich denke an ihn, erinnere mich, es ist eine Art Erfüllung für mich und ja, ich vermisse ihn, ganz klar! Die Unsicherheit, was ich will, ist jetzt besser geworden, leider noch nicht ganz weg und die Angst, mein guter Freund, die ist immer da, aber ich versuche ihr zu begegnen, mit ihr klarzukommen. Ich kann diese Beziehung so führen, wie ich sie möchte, nach Wünschen, Bedürfnissen, nur muss ich mir klar und sicher sein, sie unter Kontrolle zu haben, um nicht überschwänglich in der Liebe zu sein. Ich sollte mich, wenn es um wichtige Angelegenheiten, wie Schule oder Freundinnen geht, niemals davon ablenken lassen und das muss ich, so hart es auch für mich ist, in den Griff bekommen!
Tagebuch vom 19.08.05
Tag 4:
Ein weiterer schöner Tag ist fast vorbei. Morgens spielte ich (ich musste) mit Papa Tennis, danach liefen Mama und ich einen etwas längeren Weg am See entlang, nach T., einer weiteren Stadt am Gardasee und wieder zurück. Nachmittags schwammen Mama und ich noch im Pool und nachdem ich duschte, sitze ich jetzt hier und schreibe. Beide vertragen sich überhaupt nicht bisher und mit meinem Vater komme ich immer einigermaßen gut aus. Mama wundert es ebenfalls, dass wir uns noch nicht sonderlich gestritten haben. Er ist verständnisvoller geworden und etwas toleranter, gestern machte er sogar einige Zeit lang Späße am Tisch, wahrscheinlich, weil er sich jetzt etwas zusammenreißen muss, da wir ihn gar nicht dabei haben wollen. Jedenfalls, es ist so locker und richtig angenehm. Ich frage mich nur, wieso oder weshalb er so ist. Einfach so? Aus eigener Erkenntnis? Es ist zwar schön und das macht mich richtig froh, aber sehr ungewohnt und äußerst fragwürdig. Es kann nicht sein, es ist seltsam, er hat wahrscheinlich wieder Tabletten genommen oder Angst, dass wir vielleicht wieder abreisen, was wir bereits wollten, nur leider geht das nicht einfach so. Aber ich weiß schon, dass ich mir nicht zu viel erhoffen darf. Mir ist auch klar, dass alles innerhalb einer Sekunde wieder dahin sein kann. Die Hoffnung gibt nie auf, denke ich, bei mir zumindest nicht, dennoch bin ich bereits abgehärtet und vorbereitet, falls der Terror wieder losgehen sollte, was ich keineswegs will!
Die Nacht schlief ich ausgesprochen beschissen. Die Geräusche sind so fremd, aber das ist nicht das Schlimmste. Ich glaube, in meinem Bett sind Milben, oder ich vertrage das Waschpulver hier nicht, das sie benutzen. Es juckt und piekst, das war heute Nacht richtig ekelhaft. Das Kissen ist ganz flach und ich bin es gewohnt, auf einem etwas höheren zu schlafen. Ständig lege ich mir ein Handtuch oder einen Bademantel darunter, aber es ist einfach so unbequem und ich fühle mich in diesem Bett richtig unwohl. Kann sein, wenn es um das Schlafen geht, dass ich sehr, sehr empfindlich bin, aber was soll ich machen. Ich finde mich damit ab und war heute auch richtig fit. Abends werde ich einen Cocktail mit Alkohol trinken, vielleicht klappt das Einschlafen dann etwas besser.
Mittlerweile vermisse ich Andi nicht mehr so sehr, es wird immer etwas schwächer, von Tag zu Tag, irgendwie beruhigend, warum auch immer, ich kann es kaum erklären. Wahrscheinlich hat mich diese Sache doch sehr aufgewühlt und je mehr ich alleine für mich hier nachgedacht habe, desto besser geht es mir und ich weiß damit umzugehen. Hoffentlich schlafe ich heute Nacht wieder besser ein und ich bete dafür, dass es friedlich und angenehm bleibt. Ich fühle mich ganz glücklich, habe zwar etwas Heimweh, aber es ist schön hier mit meinen Eltern, bisher, wie gesagt!
Danke Gott, oder wem oder was auch immer, jedenfalls bin ich so unendlich dankbar!
Tagebuch vom 20.08.05
Tag 5:
Kaum ist man dankbar, schon wird einem wieder alles zerstört. Gestern Abend fing mein Vater wieder an, an mir herumzunörgeln, meine Fingernägel wären zu lang, damit könnte ich nicht im Garten arbeiten. Daraufhin war ich wieder sehr traurig und vor allem wütend. Kurz davor waren wir beim Essen und da meinte er doch glatt, dass er sich ja schon zurückhalten würde, um nichts Falsches zu sagen. Ist ja super, was für ein Vater! Meine Ma drehte sich immer zur Seite und wir liefen jeden Tag vor ihm weg, aber abends konnten wir ihm kaum ausweichen. An der Bar, als das mit den Fingernägeln kam, sagte ich nur, dass ich einfach für ein paar Tage weggehe, wenn ich zu Hause bin, eben zur Amelie, was auch vereinbart war. Daraufhin maulte mich meine Mutter an, dass ich sie nicht mehr alle hätte und zu dieser blöden Schlampe gehe ich sicher nicht, ich gehe nirgendwo hin, damit das klar wäre und so ging das dann weiter. Ich fühlte mich so richtig schlecht und hätte weinen können. Ich trank schnell zu Ende und ging dann hoch auf mein Zimmer. Mit meinem Vater redete ich jedoch wieder, weil er an dem Abend das kleinere Übel war. Meine Mutter was so übel gelaunt, wahrscheinlich wegen ihm. Ich verstehe bis jetzt noch nicht, wieso sie so kalt und menschenunwürdig gegenüber mir sein kann. Sie hat dann immer einen Ton drauf und beschimpft jeden und alles. Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie! Gestern Abend kam dann wieder alles hoch. Diese paar Tage waren schön, sie sind geschehen, waren eine Illusion, ein Zustand, der nur kurz sein kann, sonst wäre er unrealistisch, ein Traum. Beide sind verrückt. Meine Mutter ist so hysterisch, daran ist nur der Papa schuld, super, alles ist wieder dahin, da muss ich dem Papa Recht geben, dass es hier „beschissen“ ist, wie er noch am Tisch meinte. Ich habe sie immer so geliebt, gleich ob sie mich geschlagen oder Dinge in meiner Wohnung kaputt gemacht hat, ob sie mich wochenlang angemault und beschimpft hat. Jetzt frage ich mich mit der Zeit mehr und mehr, warum? Es hat keinen Sinn, sie zu lieben und ihn schon gar nicht, ich falle sowieso nur immer hin und bin am Boden. Die Wand ist immer da, ich kann sie nicht umgehen, nicht über sie steigen, sie ist dunkel und kalt und vor allem endlos und undurchdringlich. Manchmal kann es so schön sein, so selten, aber ich will mehr und mehr von diesem Glück, und je länger es geht und man am Ende doch wieder am Anfang steht, desto dümmer kommt man sich vor. Wenigstens konnte ich die Nacht schlafen.
Heute regnet es und ich redete wieder mit meiner (verfickten) Mutter, man muss schließlich das beste daraus machen. Mit Papa konnte ich wieder einigermaßen reden und bisher geht die Stimmung hoch. Wir liefen in die Stadt und es hörte derweil auf zu regnen. Ich kaufte mir ein Harley-Davidson-Oberteil. So eines wollte ich schon immer und war auch richtig stolz darauf. Es war so unendlich langweilig in dieser schon zum zehntausendsten Mal gesehenen Stadt. Ich habe solches Heimweh und muss ständig an mein schönes Haus denken, an meine Freunde, an Andi, an die aufregenden Partys, tja das ist so wunderbar, im Gegensatz zu hier. Ich will hier weg! Einfach weg! Ich fühle mich wie gefangen und abgeschottet. Bisher habe ich immer noch keine Telefonzelle im Ort gesehen, oh Mann, wenn mich doch nur jemand anrufen würde, wenn ich nur mehr Geld auf meinem Handy hätte, dann würde ich die Amelie anrufen. Ich brauche so sehr jemanden, der nett und normal ist, um mich herum, Hilfe! Zum Glück ist heute schon Tag 5, die Hälfte der Tage wäre geschafft. Heute Abend gehe ich jedenfalls nicht mehr an die Bar mit und ich fahre nie mehr wieder mit denen mit!
Es ist jetzt fast 18:00 Uhr, und ehrlich gesagt, ist mir irgendwie langweilig. Ich fühle mich immer noch gefangen, aber zumindest habe ich jetzt mein Fenster ganz aufgemacht und sehe hinaus auf einen Berg, den ich vorher gar nicht bemerkt habe. Die frische Luft tut so gut und ein Radio habe ich ebenfalls am Bett. Die Musik ist sehr schön, aber ich denke, das ist eine Platte, die hier läuft, merkwürdig, aber egal. Ich fühle mich wieder so komisch, weiß nicht, was ich machen soll. Fernsehen ist langweilig und ich komme mir ständig überlastet und genervt vor. Es muss sich etwas ändern. Definitiv! Meditieren hilft immer sehr gut, jedoch kann ich mich hier nicht entspannen, es geht nicht, also schreibe ich. Wahnsinn, die Musik ist wahrhaftig wunderbar!
Ich habe in Bezug auf die Schule, glaube ich, mein Problem erkannt. Ich muss entspannter werden, es liegt an mir, natürlich an der Einstellung, sie zu ändern ist hart und ein langer Weg, aber ich weiß ja wie! Nun gut, ich gebe mir Mühe, ich stelle mir am besten eine Art Plan auf, wenn ich wieder zu Hause bin, weil hier geht das gewiss nicht, hier ist eine grauenhafte Aura im Zimmer, grauslig, einfach richtig schlecht!
Tagebuch vom 21.08.05
Tag 6:
Gestern Abend war es noch ganz ok, es gab keinen Streit, aber ich wurde noch von meinem Vater beleidigt. Diese Beleidigung war aber nichts Neues, daher ersparte ich es mir, mich groß zu ärgern. Er war der Meinung, ich würde nichts im Allgemeinen wissen, nur das, was wir in der Schule gelernt hätten. Sehr nett von ihm. Das sagte im Prinzip aus, dass ich grundsätzlich blöd wäre und mir kein Allgemeinwissen aneignen könne, bis auf das Schulwissen. Wie viel doch mein Vater von mir hält.
Gerade regnet es, man kann nichts machen, super! Ich schaue entweder fern oder schreibe und höre Musik. Ich will endlich wieder nach Hause. Meine Mutter nervt ziemlich, sie kann mal wieder nicht aufhören, an mir herumzunörgeln. Wieso hast du dies an und nicht jenes? Mache dies und das! Ich bin ja so ähh und hmm und Gott im Himmel. Warum kann sie mich nicht einmal lassen, wenigstens etwas weniger herummaulen, ich verstehe sie nicht. Aber wahrscheinlich kann sie es selbst nicht nachvollziehen, was in ihr vorgeht.
Heute machte ich mir über ein Thema Gedanken, es war beim Frühstück: Sein und Schein, wieviel wir davon im Leben „gebrauchen“ oder „zeigen“. Was sind wir und äußern wir auch? Was scheinen wir zu sein? Vor was oder wem schützt man sich? Ich würde sagen, dass mindestens 80 Prozent der Menschheit mehr Schein als Sein in ihrem Leben trägt. Was der Einzelne genau ist, das wissen die meisten selbst nicht, sprich, sie kennen sich selbst kaum mehr. Man muss nach außen irgendeinen Eindruck vermitteln, der einem gefällt oder auch nicht. Genau das, was man sein will, ist man ja meist nie. Zu sich selbst zu finden, ist etwas, das Zeit und Geduld braucht. Ich „sehe“ Tag für Tag die Abgründe und Ängste verschiedener Menschen, Emotionen, die sie nicht freilassen, weil sie sich selbst nicht loslassen können. Es ist schwer, einfach schwer, dazu ist nicht mehr zu sagen. Man kennt sich selbst wohl am besten und auf der anderen Seite dann doch wiederum nicht, verrückt irgendwie. Deshalb ist für mich das Leben eher Schein. Denn das Sein ist für mich die Definition, dass man sich nicht nur auf eine Art und Weise ausdrückt oder äußert, sondern sich ganz und gar sich selbst öffnet und einen Strom für sich ganz persönlich findet, ohne natürlich andere zu verletzen. Das Leben ist nicht einfach, nie, es wird auch nicht plötzlich gut, alles dauert. Und mein Problem ist, dass alles unglaublich endlos scheint. Ich frage immer: Wann? Himmel und Herrgott, wann denn endlich? Der Weg ist angeblich das Ziel. Aber was ist dann das Ziel? Der Weg kann es nicht mehr sein. Ein Anfang? Ein Ende? Was ist es? Vollendung? Jeder für sich müsste das wissen, aber welcher „Normale“ tut das denn? Wohl niemand. Fragen? Millionen und Abermillionen! Antworten? Die gibt es, doch jeder beantwortet die Fragen anders, vielleicht ist das die Lösung.
Tagebuch vom 22.08.05
Tag 7:
Gestern ging es wieder richtig zur Sache bei uns. Gegen Abend hin wurde der Papa immer schlechter gelaunt. Dieses „Tu das nicht und dies nicht“ häufte sich einmal wieder. Nachmittags schickte er mich völlig genervt los, um eine Karte in der Stadt zu kaufen. Außerdem gab es Mittags noch Streit, weil er sich immer bei uns reindrängt und uns nicht in Ruhe lässt. Das stimmte wirklich. Nie konnte er mich in Frieden lassen, immer will er einen kontrollieren und mit mir Tennis spielen, kommt einfach abends an den Tisch und die Mama ist völlig fertig, am Ende, sie wollte vor ihm fliehen, einmal abspannen, weg von ihm sein, darum ging es, er lässt nichts zu, gar nichts, es ist einfach nicht in Ordnung. Er tat es wie so oft ab und fand es selbstverständlich lächerlich. Mit der Zeit legte sich das wieder und ich machte mich bei Regen auf in die Stadt. Es tat richtig gut, alleine zu sein. Ich suchte eine Telefonzelle auf, rief Amelie kurz an, ging shoppen und traf, leider, in der Stadt, als es aufhörte zu schütten, auf meine äußerst genervten – vor allem Mama – Eltern. Mama war ebenfalls alleine in die Stadt gegangen und wollte mich aufsuchen. Papa allerdings auch und so trafen sie zusammen und er verfolgte sie förmlich, lief hinter ihr her und ließ sie nicht mehr alleine. Habe ich schon erwähnt, dass er krank ist? Wir, Mama und ich, gingen noch eine Kette für mich kaufen und schauten einige Läden an. Papa blieb immer draußen. Abends am Tisch wurden mir wieder einmal kritische und böse Blicke von ihm zugeworfen, wegen dem Dessert und einem kleinen Schluck Wein. Langsam ging mir das derart auf die Nerven. Später an der Bar war seine Stimmung ganz dahin, weshalb auch immer. Er machte dann „ähh“ und sah mich mit einem scharfen Blick an, als ich von der Mama etwas probierte, wirklich nur ganz wenig. Jetzt reichte es mir, vor allem, weil er auch noch einige Zeit davor mein neues Oberteil bemängelte, wobei viele sagten, dass es so schön sei. Das Fass war voll und das fand Mama wohl auch. Wir beide sagten ihm, dass er mich doch einmal lassen soll, dass er uns in Ruhe lassen soll, er mich nicht wie eine Blöde zu behandeln hat. Mama sagte noch: „Mr. Disziplini, ach Gott! Hau doch ab, wenn es dir nicht passt, wir wollen dich nicht!“, daraufhin nahm er aus meiner Tasche schnell den Zimmerschlüssel heraus, den ich für ihn mitnehmen musste, stand auf und ging wütend und mit einem knallroten Kopf: „Ach komm, es hat keinen Sinn!“ Weg war er. Und etwas erschrocken saß ich schon da. Meine Ma war ziemlich nah am Wasser gebaut, weil ja am nächsten Tag, also heute, ihr Geburtstag war und er uns verdammt noch mal nicht in Ruhe lassen konnte. Wir beide machten uns aber einen schönen Abend, sprachen uns über diesen Teufel aus, tranken gemütlich Cocktails und waren bis zwölf Uhr an der Bar und feierten noch ein bisschen. Der Klavierspieler sang noch Happy Birthday, auf meinen Wunsch, der Kellner spendierte uns noch netterweise einen kleinen Kuchen, ein Glas Prosecco und Erdbeeren, eingelegt in Champagner. So war der Abend zwar eingetrübt, aber etwas feierlicher. Wir gingen dann auf unser Zimmer und ich machte mir Sorgen, dass doch noch etwas passieren könnte oder er bei uns klopfen würde. Doch es ging „gut“.
Heute Morgen beim Frühstück war es nicht anders. Später fuhren die Mama und ich alleine mit einem Boot von R. nach irgend so einem Ort mit M. und wieder zurück. Wir hatten es geschafft, ihn abzuhängen. Der Tag dort war ganz schön, so entspannend und locker, ohne „Vater“! Leider regnete es ständig, so wie die letzen beiden Tage. Hab ich schon erwähnt, dass ich nach Hause will? Ich bin so wütend. Ich habe keine Lust mehr. Das ist hier einfach zum Kotzen. Gestern war so beschissen, was anderes kann man dazu nicht sagen. Wieso kann mein Vater nicht einfach seine Fresse halten. Das geht einem so auf die Nerven, mit der Zeit, wenn man bei allem Blicke zugewandt bekommt, die einem sagen, was man zu tun und zu lassen hat. Die ersten beiden Tage verstand ich mich mit ihm. Nicht perfekt, oder sehr gut, aber für mich war es im Gegensatz zu sonst richtig angenehm. Aber so etwas hält nicht an. Irgendwann kommen die Beleidigungen oder seine dauernden Befehle. „Dein Oberteil ist was für junge Leute, na ja, aber mich nicht, na ja!“, „Halte dich zurück, sei vernünftig!“. Es sind solche oder ähnliche Äußerungen und ein andauerndes Kopfschütteln, Augen verdrehen und Laute wie „Äh“, „Mhmh“ (im Sinne von einem „Nein“), die einen kontrollieren, verfolgen, richtig beobachten und vor allem schön manipulieren. Ich hasse es so! Ich will ihn mit einem Messer richtig zerstückeln, ihm alles aufschneiden, langsam, dass es richtig weh tut, grauenhaft, dass es blutet und er am liebsten schreien würde und sich nicht wehren kann. Es ist brutal und ich wäre zu so etwas nie im Stande. Aber bei ihm, da könnte ich manchmal so entsetzlich grausam sein, so grausam, wie er einen unterdrückt, Tag für Tag, Jahr für Jahr, einen nicht in Ruhe lässt, nicht geht, nicht still ist, einen förmlich verfolgt, wie ein dunkler und böser Schatten.
Mit der Mama verstand ich mich heute besser, bzw. wieder sehr gut. Und gestern auch. Auch gegenüber ihr empfinde ich oft einen Hass, weil sie mich oft ungerecht behandelt, aber der Hass ist nicht so groß, wie bei meinem Vater. Ich liebe sie, meine Ma. Selbst wenn sie öfters zornig ist und auch ungerecht. Sie hat nie und nimmer diese unmenschliche Art, wie sie mein Vater hat, so verlogen, nach außen kalt und beherrscht, wie ein Irrer, ein ganz, armer, erbärmlicher, einsamer Mensch, der nie seine Fehler einsehen wird und nie gewillt ist, sich zu ändern. Gleich, ob man jahrelang mit ihm versucht zu reden, ihm einen Brief schreibt oder es in sein Tagebuch schreibt und er es Wort für Wort liest. Es ist immer alles die Schuld meiner Mutter oder von mir. Ich hasse ihn. Wieso stirbt er nicht einen unvorstellbar grausamen Tod? Jetzt auf der Stelle?
Tagebuch vom 23.08.2005
Tag 8:
Gerade geht es mir gut, was man von gestern Abend und heute nicht sagen kann. Wir gingen gestern getrennt zum Essen, schafften es erst wieder, dass er uns nicht sah in dem großen Saal, doch anscheinend fragte er einen Kellner, wo wir sind und setzte sich mit einem hämischen Grinsen zu uns an den Tisch. Mama sagte kein Wort, ließ ihren Wein stehen und schaute leicht genervt zur Seite. Mein ach so toller Herr Vater laberte und laberte und was für einen Stuss! Er hörte nicht mehr auf, es war derart unangebracht und vor allem langweilig. Was für ein Gewürz an seinem Fleisch ist, dass der Kellner, oh Gott wie furchtbar, einen Tropfen Wein verschüttet hat und so weiter. Nebenbei bekam ich wieder ein paar seiner „Mach das nicht!“-Blicke, während ich aß oder trank. An dem Abend passte ihm nicht, dass ich keinen Nachtisch wollte, wobei er sich doch sonst wirklich jeden Abend beschwerte, dass ich ja davon kaum etwas essen dürfte. Ich könnte geradewegs auf ihn spucken und gestern hätte ich am liebsten den ganzen Tisch auf ihn draufgeschmissen und zwar mit solch einer Wucht, dass sie ihn ein für alle Mal begraben hätte. An die Bar gingen wir selbstverständlich auch nicht und meine Ma schaute noch etwas fern.
Heute am Frühstückstisch war es dann zwar nicht ganz so schlimm mit ihm, aber es reichte. Es war besseres Wetter und regnete nicht mehr. Die Mama und ich fuhren mit einem Boot nach L. Es war so unglaublich anstrengend mit ihr. Sie blieb an jedem verdammten Geschäft stehen, sah sich eine viertel Stunde jedes Teil genau an, probierte Sachen an und kaufte sie nach ewig langem Überlegen doch nicht. Es hört sich im Nachhinein lustig an, aber ich war gelangweilt und todmüde davon. Nicht zu vergessen, GENERVT! So ging das stundenlang. Ich war dann komplett fertig, am Ende und wir fuhren zurück nach R. Im Hotel schlief ich erst einmal. Mein werter Dad wollte ursprünglich mit mir Tennis spielen und nach T. laufen, wo wir sowieso nicht waren! ER versteht es einfach nicht, dass ihn keiner haben will!
Jetzt ist es gerade 18:35 Uhr. Den heutigen Tag über hatte ich genügend Zeit, um über Andi nachzudenken. Ich weiß, ich dachte, dass ich das Kapitel: „Oh Gott, was mache ich nur mit Andreas?“ abgeschlossen habe. War wohl doch nicht so. Ich sah in das Wasser des Sees und konnte die endlosen, herrlichen Berge sehen und bestaunen, alles war wunderschön und gab mir Freiheit, auch Gedankenfreiheit, eine Art sich lösen von Tiefen und nach unbewussten Tatsachen schauen. Ich habe Angst, dass er grob werden könnte, damit meine ich, wirklich im Bett, was sich eventuell verrückt anhören mag. Ich fürchte mich davor, obwohl ich weiß, dass ich mit ihm darüber reden kann, doch ich denke, er würde ja und Amen sagen und es hinterher doch nicht machen, weil er zu wild und unsensibel ist. Außerdem ist mir heute, wie noch nie zuvor, so klar geworden, dass ich einfach nicht so leicht mit ihm reden kann, wie ich es gerne hätte. Meine Probleme belächelt er und Ernsthaftigkeit ist ganz und gar nicht sein Ding. Das heißt, ich benutze ihn nur körperlich und etwas in mir fühlt sich dabei schlecht. Es ist krass, aber ich benutze ein „Kind“ für meine körperlichen Bedürfnisse und habe hinterher Gewissensbisse, da ich mir darüber im Klaren bin, dass es nicht das Wahre ist. Irgendwo schein es unrichtig zu sein. Ich fühle mich älter als er, um mehrere Jahre, dem ist zwar nicht so, da er sogar ein Jahr älter ist als ich, aber im Geiste ist er ganz anders. Ich befürchte, dass er mich richtig liebt, ganz tief und mich praktisch nicht loslässt und genau das ist ein großes Problem. Aber ich höre nur auf meine Oma. Ich lasse es auf mich zukommen, einfach so.
Gestern und heute schrieb mir die Amelie und das tat so gut! Jemand, der bei einem ist, obwohl man physisch nicht bei dieser Person sein kann. Ich habe sie so lieb und will nach Hause! Ich vermisse alles so und brauche meine Leute mal wieder um mich herum, die mich auf andere Gedanken bringen und mich aufheitern. Ach ja. Ist schon lustig, wie sich alles so ändert, besonders meine Einstellung zu meinem Freund. Je mehr man Zeit für sich findet, desto mehr werden einem die Dinge klar und langsam kommt das Innere heraus oder löst sich, besser gesagt.
Gerade ist meine Ma vom Pool gekommen und mein Vater hat wieder ziemlich schlecht gelaunt bei uns angerufen, was wir machen, wohin wir gehen und alles Mögliche. Gott, ich will hier raus!
Tagebuch vom 24.08.05
Tag 9:
Ich muss mal wieder mit gestern anfangen. Beim Essen war es das gleiche, dumme Gelaber wie gestern. Einfach furchtbar, die Blicke nicht zu vergessen. Er regte sich über ein Kind auf, zehn Minuten lang, weil es geschrien hat. Es wäre so verzogen, hysterisch, steigere sich rein und dergleichen. Man merkte, dass er nicht mehr von dem kleinen Kind sprach, sondern von der Mama. Es schreie ja so und höre nicht mehr auf, wie aggressiv und die Angst läge im Ton, oh mein Gott noch Mal! Als er merkte, dass keiner mit ihm sprechen wollte, fing er an, leicht auf den Tisch zu hauen, bekam einen roten Kopf und faselte etwas vor sich hin. Danach kam dann seine nächste Phase. Er grinste schäbig und lächelte alle vorbeigehenden Frauen an und sah ihnen auffällig auf den Hintern. Richtig unheimlich und krank, einfach völlig krank. Wir standen schnell wieder auf, doch es kam mir wie eine Ewigkeit vor, eine Ewigkeit, in der ich ihn hätte umbringen können!
Mama und ich gingen nach R. in die Stadt. Die Stadt gefiel mir in der Nacht richtig gut. Alles war so warm und sanft beleuchtet, Kerzen auf den Tischen und Musik überall. Es war richtig viel los am Hafen, unter anderem auch Artisten und oben an einem der Berge war eine Kapelle strahlend weiß beleuchtet. Sie war weit weg und sehr hoch gelegen, aber ihr Anblick war so unendlich beruhigend und richtig göttlich. So etwas sah ich noch nie zuvor. Kurz nach zwölf Uhr waren wir zurück im Hotel und der Abend mit meiner Ma war richtig lustig und schön.
Die Nacht schlief ich leider schlecht, aber das ist nichts Neues. Am nächsten Morgen war Telefonterror angesagt. Wir gingen ja getrennt. Der Herr Vater musste natürlich wieder anrufen und meinte, was jetzt mit Tennis wäre. Ich kam nicht zu Wort, anstatt dessen machte er mich mindestens fünf Minuten lang runter, in einem sehr barschen Ton: „Du wolltest doch Tennis spielen! Du bist doch hier angetreten und hast dich gefreut! Wenn du zwei Tage lang was mit der Mama machst, dann musst du zwei Tage lang auch was mit mir machen! Ich bin auch Erziehungsberechtigter und wenn die Mama so stur ist und dich laufend beansprucht, dann geht das so nicht!“ Dazu, dass ich etwas mit ihm machen müsste, sagte ich knapp: „Nein, tue ich nicht.“ Es ging weiter: „Wenn wir uns scheiden lassen, musst du eine Woche bei mir wohnen und dann eine Woche bei der Mama. Da musst du auch bei mir bleiben. So geht das nicht! Ich bezahle hier alles und das geht alles auf meine Kosten, dann habe ich das Recht, dass du etwas mit mir machst, oder mit mir gehst, oder sonst was! Die Mama macht ja hier aufs übelste Mobbing mit mir, das ist ja schon strafbar und ich komme mit nichts ins Reine, wenn ich was sage, dann dreht sie sich um und geht und schlägt so fest die Tür zu, dass das Hotel bald zusammenfällt!“
Dazu sagte ich einfach gar nichts mehr, ich war so wütend, dass ich wirklich nichts mehr herausbrachte, ich dachte nur: „Bring ihn doch um!“
Er fragte tausend Mal, ob wir jetzt frühstücken würden und wie und jetzt oder wann und ich machte nur: „Hmm!“ Dann war das Gespräch zu Ende, nur war mir der Appetit vergangen und einfach alles zu viel. Ich weinte und wir blieben kurz im Zimmer. Später überredete die Mama mich noch, wenigstens einen Kaffee zu trinken. Wir liefen ihm noch auf der Treppe über den Weg. Er sagte drei Mal energisch und hochnäsig „Guten Morgen“, ich antwortete nicht, sah gerade aus und lief vorbei. Später waren Mama und ich am Pool, zwischendurch in der Stadt, um etwas zu essen und ließen uns weiter auf der Liege sonnen und schwammen. Das tat sehr gut und nach und nach wurde ich besser gelaunt. Was ebenfalls gut tat, war das Gespräch mit Amelie gestern und vor allem heute. Ich erzählte ihr alles in Kurzform und sie fand das alles auf gut Deutsch „Scheiße“!
Ach Gott, ich will nach Hause, weg, oder für einige Jahre bewusstlos sein. Ich „sehe“ es so stark vor mir, eine meiner Zukunftsmöglichkeiten, sie war am Anfang schwach, eher ein Einfluss, doch es wird stärker und stärker, von Woche zu Woche sehe ich praktisch voraus, dass ich es gar nicht umgehen kann, Tabletten zu nehmen. Jedenfalls „sehe“ ich mich daliegen, hilflos, bin weg, einfach weg, endlich und weiß, dass ich ins Krankenhaus komme. Ich „sehe“ oft die Zukunft voraus. Ganz am Anfang wollte ich sie nicht wahrhaben, habe mir gedacht, es wären Illusionen, aber je mehr meine Kräfte oder Fähigkeiten wachsen, bzw. wuchsen, desto klarer „sehe“ ich es und weiß was kommt, doch kann ich es nicht vermeiden. Es passiert, einfach so, vorher versteht man nicht, was jetzt vor sich geht, zu was es führt, wenn dann aber die Situation da ist, die ich sah, dann wird es mir plötzlich so richtig bewusst und es war irgendwie vorherbestimmt. Obwohl ich Vieles vorhersehe, kann ich es nicht ändern. Sollte ich das sowieso nicht, oder doch? Mir die Frage zu stellen „Wieso ich, weshalb kann gerade ich das?“ damit habe ich aufgehört, diese versuchen, zu beantworten ist sinnlos. Nun ja, mal sehen, was heute noch passiert.
Morgen ist dann ja der letzte Tag, hoffentlich kommen wir heil nach Hause, erstens wegen dem Teufel, zweitens weil manche Straßen überflutet und gesperrt sind.
Tagebuch vom 25.08.05
Tag 10:
Ich habe gerade so schlimme Kopfschmerzen, dass ich brechen könnte. Es sticht richtig, mir ist schwindelig und ich fühle mich richtig benommen und erschöpft.
Der Abend verlief gut, wir gingen sofort nach dem Essen hoch, da wir absolut keine Lust auf dieses Arschloch hatten. Am Tisch hielt er sich einigermaßen zurück. Als wir über Afrika redeten, seufzten meine Ma und ich. Er fragte uns, warum. Wir sagten, dass wir „weinen“ würden, weil es so unvergesslich schön dort war. Alles, was er dazu meinte war: „Aha, schön, dann wein ruhig mal!“, ausgesprochen freundlich von ihm, nun ja.
Heute waren wir erst in der Stadt – und? Richtig, es gab Streit! Meine Mama bewunderte zwei paar Schuhe, sie waren vom Stil her sehr verschieden. Kein Grund, etwas dazu zu sagen, nicht wahr?! Doch mein Herr Vater findet ja leider immer etwas. Ich zitiere: „Ähh, die kaufst du dir ja nicht, das würdest du nicht machen! Die unterscheiden sich völlig von den anderen. Die sehen so verlottert aus. Das würdest du nie anziehen! Das ist ein Jugendschuh. Das verlotterte Teil würde vielleicht die Lena anziehen, das ist doch nichts!“ Den herablassenden Ton in seinem Wortschwall nicht zu vergessen.
Daraufhin regte sich natürlich die Mama auf und meinte, dass sie ja nur gesagt habe, dass er auch schön sei, mehr nicht und er sich wieder einkriegen sollte und zum Motzen hätten wir ihn nicht mitgenommen. So ging er mit seinem Schlüssel alleine zum Hotel und war beleidigt und wir bummelten noch durch die Stadt.
Später war die Sache anscheinend wieder gegessen, beide taten, als ob nichts gewesen wäre und wir spielten alle Tennis. Auf dem Rückweg, vom Platz zum Hotel, ging es dann wieder von vorne los mit den Schuhen. Oh mein Gott. Aber das ging noch. Danach aßen wir etwas und Himmel noch mal, dieser Drecksarsch, diese verwichste Plage von Vater regte mich derart auf. Er war beleidigend, wie immer, aber heute hatte er seine „Alles ist ja so lustig“-Phase. Mama machte es nichts mehr aus, dass er an ihr herumnörgelte und nicht aufhören wollte, aber MIR! Ab und an findet sie sich damit ab, doch ich bin nicht in der Lage dazu. Also sage ich: „Ja, ja, immer schön gegen deine Familie.“ Und schaute ihn wirklich böse an. Er grinste daraufhin höhnisch und meinte: „Wieso denn? Warum gegen die Familie? Ich habe nur gesagt, dass … (bla, bla) und was soll da gegen die Familie sein?“
Ich dachte mir nur: „Alles, alles und nochmals alles, du Volldepp von Arschgesicht. Und übrigens hasse ich dich, du Loser!“ Aber ich mache so etwas nicht, da wäre etwas los, also ließ ich es ganz und ging raus aus dem Bistro, um dort zu warten, bis sie kamen.
Er wollte uns noch vorschreiben, wann wir zu fahren hatten. Er würde schon um sechs Uhr aufstehen, weil er vor der Hauptverkehrszeit auf der Straße sein will. Ja, lieber Himmel, macht der sich ins Hemd, der alte Sack und heute Morgen sprach er von seinem Tod, mittags auch, wir könnten so alt werden wie er, aber er nicht mehr so alt wie wir. Das wäre schon was! Ja, ach wirklich? Zufälligerweise ist das bei jedem so, dass man ÄLTER und NICHT JÜNGER wird. Soll er doch endlich abkratzen, wenn er davon reden muss! Ich hasse diese Bestie!
Ich freue mich schon sooo auf mein Zuhause! Mein „normales“ Reich, ok, ok, meine „normalen“ Leute! Zuhause wird es ja sowieso wieder Terror geben, doch da kann ich wenigstens telefonieren und mich verabreden. Wow! Mein Kopfweh ist weg, juhu! Nun ja, dann hoffe ich, keinen Grund mehr zu finden, heute noch mehr zu schreiben!
Tagebuch vom 26.–31.08.05
So, nun sind wir wieder zu Hause und ich bin heilfroh. Bisher haben sie nicht einmal mehr gestritten und es ist richtig angenehm, er schien sogar schon einen Tag vorher abgereist zu sein, sprich, sofort am Abend des 25., aber warum er das gemacht hat, verstehe ich nicht, da er uns doch so gerne quält.
Von Samstag auf Sonntag war die Bettina bei mir. Ich war mit ihr zum ersten Mal im C., einer Bar, die richtig nett ist. Aber wir tranken nichts Alkoholisches.
Am späteren Abend wollte sie, dass ich ihr Tarot lege, was ich auch tat. Ihre Karten waren speziell auf ihren jetzigen Zustand gerichtet und der war anscheinend nicht so gut. Ich erklärte ihr ein wenig, aber das meiste verstand sie selbst. Danach weinte sie dann. Anscheinend ist ihr Leben zwar in meinen Augen wunderschön und fest steht, dass sie gut in der Schule ist, eine super Familie hat und liebe Freunde und sogar einen Ausbildungsplatz gefunden hat. Doch all das nimmt sie nicht sonderlich als Glück wahr, was auch die Karten deutlich sagten, stattdessen ist sie unglaublich unzufrieden mit sich selbst, unsicher und weiß nicht, was sie in der Zukunft machen möchte. Es war erstaunlich und interessant. Ich wusste, dass sie so über ihr Leben dachte, schon lange, aber was ich nicht gedacht hätte war, dass sie so richtig in der Pubertät steckt und Ängste hat, mit denen sie gar nicht klarkommt.
Ich hoffe, dass es etwas für sie gebracht hat. Bettina hat so ein schönes Leben und ist dennoch unglücklich und hat Angst. Ich mache für sie noch eine Zusammenstellung und Zusammenfassung von den Karten und schaue im Internet, was ich für ihr Sternzeichen und so weiter finden kann.
Am Montag war ich dann bei der Amelie und musste vorher gezwungenermaßen mit meinen Eltern Tennis spielen, was aber in Ordnung war.
Mein Vater fuhr mich zur Amelie und da die Mama nicht dabei war, nutzte er das völlig aus. Erst schrie er mich richtig an, weil irgend so eine Rückenlehne in seinem Auto nicht verriegelt war. Ich sollte das wieder richten und er sprach, bzw. schrie ständig von einer Fond-Lehne, was mir nichts sagte. „Du kannst doch französisch, du musst doch wissen, was das ist, jetzt stell dich doch nicht so an. Ich sage dir Fond-Lehne, ist das denn so schwer, oder was? Links, links, links, jetzt schau da, schlag da drauf, schlag doch da drauf!“ Sonst hat er mich selten richtig heftig angeschrien und am liebsten wäre ich ausgestiegen. Mir reichte es. Am Morgen lässt er mich nicht zur Amelie fahren, wie es geplant war, dann zwingt er mich zum Tennisspielen und dann spielt er eine halbe Stunde länger, sodass ich wieder später zur Amelie komme und danach hetzt er mich noch, dass ich mich doch beeilen sollte. Die Krönung war dann noch das Anschreien. Ich maulte laut zurück: „Es passt schon wieder, woher soll ich bitte wissen, was Fond ist? Ich weiß es nicht, Herrgott noch mal!“ Bevor ich mehr sagen konnte, meinte er nur: „Ja“, und ging dann mit der Stimme runter. Aber nein, das war noch nicht alles, im Gegenteil. Er hielt mir eine lange Rede über die Amelie und mich, was sich so anhörte: „Dass ihr mir da aber nicht Cocktails trinkt und so was. Ich kenne euch doch, mir könnt ihr nichts vormachen! Ihr beide habt es faustdick hinter den Ohren. Die Amelie ist kein so guter Umgang für dich. Ihr Vater ist doch asozial und sitzt den ganzen Tag mit der Bierflasche vor dem Fernseher. Außerdem verstehe ich nicht, warum du immer bei der zwischen all der Katzenpisse schlafen willst. Du solltest dich lieber mit Menschen abgeben, von denen du noch was lernen kannst.“
„Wer sagt denn bitte, dass wir trinken? Und außerdem kennst du die Amelie überhaupt nicht und weißt daher nicht, ob ich noch was von ihr lernen kann. Ihr Vater ist nicht arbeitslos und das habe ich dir auch schon erzählt, dass er Filialleiter ist. Katzenpisse? Nur weil sie Katzen hat, muss das nicht heißen, dass ich dort zwischen irgendeiner Pisse schlafen muss. Was denkst du bitte? Und du hast mal selbst gesagt, dass sie intelligent sei, also!“
„Ich muss das doch mal mit dir besprechen, aber wenn die Mama nicht dabei ist. Die hält dich nämlich auch immer zum Trinken an, ich kenne das ja.“
„Wenn ich einmal einen Schluck Bier oder Wein von der Mama bekomme, heißt das noch lange nicht, dass ich ja ach soooo trinke!“
„Ja, ja, ich weiß das schon. Du weißt ja, was der Alkohol mit einem macht, dann wird man hysterisch und unberechenbar und aggressiv!“
„Ja, vor allem bei euch!“
„Aber dass du mir da nichts trinkst, da gerät man leicht rein, das muss nicht sein mit 15 Jahren schon. Und schau dir doch mal an, wie die Amelie rumläuft, da weiß doch jeder, dass die nicht mehr normal ist. Ein normaler Mensch würde nicht so durch die Gegend laufen.“
„Im Übrigen heißt es ja noch lange nicht, dass ich mich zusaufe oder sonst was und selbst wenn ich angeheitert wäre, kannst du nicht sagen, dass ich aggressiv werden würde!“
„Das sag ich auch gar nicht! Was hast du denn heute an?“
„Meinen braunen Rock, hast du nicht gesehen, oder? Wieso?“
„Ich meine ja nur. Hast du nicht das andere aus Italien an? Gib nicht so viel unnützes Geld für irgendwas aus!“
„Nur weil ich mir Oberteile gekauft habe, heißt es doch nicht, dass ich Geld für Unnützes ausgebe und die waren ja extra ganz billig, das weißt du doch.“
„Ja, aber man zieht nicht alles an. Und was machst du denn mit deinen anderen Kleidern, die du nicht mehr anziehst? Wieso gibst du die nicht mal zum Flohmarkt oder sonst wohin zum Verkauf? Du musst das jetzt auch mal lernen, mit Geld umzugehen!“
„Ja, komm, ist gut.“
Das war ein richtig schönes Gespräch und sein Ton war dabei immer richtig freundlich – ich hätte ihn umbringen können, einfach erwürgen oder sonst was!
Der Tag mit Amelie war aber dafür schön und natürlich tranken wir einen Cocktail, oh Gott, wir schlimmen Finger! Von so etwas werden wir nicht betrunken oder sonst was, aber dieser alte Sack versteht eh nichts mehr vom Leben, von seinem nicht und von meinem noch weniger!
Als ich wieder zu Hause war, konnte ich die Nacht nicht schlafen, weil ich so wütend war auf meinen Herrn Vater, ich hatte so einen Zorn. Es war grauenhaft.
Am nächsten Tag wollte Andi kommen, der mich dann aber sitzen ließ und auch keine E-Mails mehr zurückschrieb. Super. Ganz, ganz klasse. Also spielte ich wieder Tennis und traf mich später mit der Lara, die ja auch in B. wohnt.
Abends kam dann eine SMS, von meinem „Freund“. Er wäre ja schon gerne gekommen, es tut ihm ja leid und er hätte plötzlich sein Handy wiedergefunden. Langsam hatte ich keine Lust mehr und all mein Nachdenken führte letztendlich zu Ungewissheit und so schrieb ich ihm eine E-Mail:
Hey!
Ich bin jetzt richtig wütend auf dich, Mann, du verstehst es einfach nicht, oder? Du nimmst mich auch nicht wirklich ernst und die „Beziehung“, die wir führen, auch nicht. Ich meine, so kann das doch nicht weitergehen. Wenn du dich wirklich so nach mir sehnen würdest, dann wärst du gekommen. Ich hab dir schon drei Mal meine Festnetznummer angeboten und jedes Mal wolltest du sie irgendwie nicht, super! Außerdem kann ich dir ewig hinterherrennen, selbst wenn du das nicht merkst, es ist so.
Alle haben gesagt, dass du nichts für mich bist, weil du mich wahrscheinlich sowieso nicht liebst. Vielleicht verstehst du deinen jetzigen Zustand als „Liebe“, aber für mich muss das etwas anderes sein. Es war so ganz schön mit dir und natürlich hab ich dich mehr als nur gemocht, aber es fehlt ständig etwas. Wir können nicht so miteinander reden, wie ich es gerne hätte.
Du führst so ein „perfektes“ Leben und bist anscheinend glücklich. Das bin ich nicht und war es auch noch nie und deshalb denke ich, dass du auch nicht so richtig mein Leben verstehen kannst. Es ist nicht schön, nur weil ich ein großes Haus habe oder Geld. Es ist hart. Klar geht es anderen schlechter, wie du meintest, in der dritten Welt. Aber kannst du das wirklich vergleichen?!
Ich bin vorsichtig und ich habe Angst, verletzt zu werden und das ist nun mal oft geschehen, auch wenn du es vielleicht nicht gemerkt hast. Um mich zu erreichen, um mein ganzes Vertrauen zu bekommen, musst du kämpfen, aber es sollte dir Freude machen und kein Zwang sein. Jemand wie ich will erobert werden, auch wenn sich das altmodisch anhört und nicht alleine gelassen werden und einem hinterherlaufen. Du müsstest dich völlig ändern und das kann ich nicht von dir verlangen.
Ich weiß, dass du nicht blöd oder dumm bist, aber wie gesagt, irgendwas fehlt einfach für mich. Es ist die Zuverlässigkeit, die mir fehlt, ich fühle mich nicht ernst genommen von dir und wahrscheinlich verstehst du all das einfach nicht.
Ich denke ständig darüber nach, was ich denn mit dir machen soll, wie es weitergehen kann. Es kann so nicht weitergehen, wir sind stehen geblieben, einfach so und ich fühle mich mit meinen Gefühlen festgefahren.
Ja, ich bin anspruchsvoll und ich habe dir gesagt, dass du auf mich aufpassen sollst und nicht nur das, sondern, dass du dich besonders um mich kümmern musst, wenn wir zusammen sind und davon merke ich nichts.
Der Kontakt ist doch wirklich total erbärmlich zwischen uns und das liegt nicht daran, dass ich zehn Tage weg war.
Wahrscheinlich wird es dich jetzt verletzen. Aber mich hat das alles vorher schon viel zu sehr verletzt, einen Freund zu haben, der nicht da ist für einen, wenn man ihn so sehr braucht.
Mein Leben tut schon genug weh und ist kompliziert und hart und deshalb kann ich keine Beziehung verkraften, die nicht funktioniert und über die ich mir Gedanken machen muss.
Bye.
Am Abend ging es mir dann irgendwie richtig schlecht. Ich hatte zwar kein schlechtes Gewissen, aber anscheinend mal wieder Depressionen. Wie die aussehen, muss ich ja nicht mehr erwähnen. Ich telefonierte daher mit Amelie und schrieb noch dem Hansen, dass er mir jetzt endlich einen Brief, nach nun zwei Monaten, zurückschreiben soll, dass ich jeden Tag darauf warte und er jetzt genug Zeit gehabt hat. Von ihm kam bisher nichts mehr zurück.
Nachts, wie außergewöhnlich, konnte ich nicht richtig schlafen. Ich bekam ständig Hitzeausbrüche, alles juckte, wieso auch immer, ich hörte fortwährend Geräusche und wurde total zornig. Dann fing ich an, mir einzelne Haare auszureißen, schlug auf mein Bett und kratzte wie wild auf meiner Haut. Danach bekam ich keine Luft mehr und mein Herz überschlug sich fast, die Hitzewallungen hörten auch nicht auf und ich hatte irgendetwas in meinem rechten Auge. Ich stand auf und brach fast zusammen, lief über den Gang, zum Bad, holte mir einen Waschlappen und blieb dann wach, mit Licht im Bett. Als ich fast eingeschlafen war, bekam ich eine SMS von Andi. Er hätte gerade meine E-Mail bekommen, ihm würde es so leid tun, wann ich denn weg wäre und dass wir reden müssten. Ich schrieb zurück, dass ich Donnerstag schon weg bin und alles in meinem Leben einfach so kompliziert ist und ich ihn so oft einfach als Stütze gebraucht hätte. Als Antwort kam dann, dass er mich am nächsten Abend anrufen wolle und er wissen würde, dass er bei weitem nicht der beste Freund sei, aber sich anstrengen und mich lieben würde.
Toll, gaaanz super, klasse, Mega-Hammer-Spitze! Jetzt kann das wieder von vorne losgehen. Er ruft mich an, will sich ändern, ihm tut es ja so leid, bla, bla, bla und ich werde ihm verzeihen und wir sind wieder zusammen …, so wird es doch wohl wieder laufen. Herr Gott, ich weiß die Zukunft und kann es nicht ändern, es geht nicht. Keine Ahnung wieso.
Morgen fahr ich mit der Isabel in die Schweiz, nach D., wir beide ganz alleine in einem Ferienhaus. Bin mal gespannt wie es so wird, aber freue mich schon total drauf!
Himmel, wenn ich so nachdenke, dann bin ich beim Andi schon selbst schuld. Es tut mir jetzt so leid. Ich habe mit meiner Angst und meinem Misstrauen vielleicht schon im Vorhinein alles ins Schlechte gedreht und gewendet. Wenn er heute Abend anruft, bin ich aufgeregt. Falls er es nicht tun würde, dann …, aber ich denke schon wieder so, aufhören, aufhören, aufhören, ahhhh! Ich will mich fallen lassen, wie bei einer Achterbahn, die hinunterstürzt, im freien Fall, ein Gefühl, das alles löst und so spannend und aufregend ist, dass man schreien muss, vor Freude und Spaß, nicht aus Angst! Bin ich daran schuld? War ich zu abweisend? Ich fühle mich wie ein schlechter Mensch, so klein und verängstigt, in einer Ecke sitzend und auf irgendjemanden oder auf irgendetwas wartend, aber was das wohl sein mag? Ich warte auf einen Knall, einen plötzlichen Augenöffner, so etwas wie den Hansen. Ich vermisse ihn so sehr, mein Herz wird jeden Tag schwerer und Abends, wenn ich den Sonnenuntergang sehe, dann fühle ich mich unendlich frei und geborgen, dann denke ich auch an ihn und fühle mich auf eine Art und Weise mit ihm verbunden und das ist wie fliegen, leicht und schön, unbeschwert, meine kranke, dunkle Welt wird in diesen Momenten von etwas Warmem, Gutem, Schützendem umhüllt, auf eine vorsichtige und behutsame Art. Wie kann ich mich je von ihm lösen, wenn all das noch in mir ist, so stark, Tag für Tag?
Tagebuch vom 01.09.05
Tag 1:
Am besten, ich fange mit gestern Abend an. Er rief mich noch an und unser Gespräch ging über zwei Stunden. Anfangs verdrängte er alles, die ganze Situation, meine E-Mail und er redete völlig unnötiges Zeug. Ich war davon natürlich nicht begeistert und meine Stimmung war sehr gedrückt, was er merkte. Irgendwann versuchte ich ihm klarzumachen, wieso wir überhaupt telefonieren und einmal richtig miteinander reden wollten. Das Gespräch verlief dann auf einmal richtig grob und ich redete auf ihn ein, weshalb und warum jetzt Schluss sei. Er wollt es nicht wahrhaben, verstand nicht, wovon ich redete. Ich merkte, wenn ihm nichts mehr einfiel, dann begann er mit Vorwürfen, dass ich auch daran Schuld wäre und mich nicht öffnen könne. Es war so furchtbar, alles drehte sich im Kreis, und egal was ich sagte, er wollte es einfach nicht begreifen. Ich hätte weinen können und ehrlich gesagt, standen mir die Tränen in den Augen. Es war aussichtslos. Er konnte einfach mit meiner Art nicht umgehen und das sagte ich ihm auch. Andi wollte dann eine zweite Chance, weil er uns nicht aufgeben wollte. Ich sagte „nein“ und fragte, weshalb er so verschlossen wäre und was mit ihm passiert sei, dass er nichts an sich heran lässt. Daraufhin kam so gut wie nichts, nur ein Vorwurf, dass ich ihm doch nicht vertrauen würde. Wieder und immer wieder versuchte ich, in seinen Schädel zu bekommen, wie meine Situation hier aussieht, was ich will und was ich auf keinen Fall verkraften würde. Ich meinte, dass er mit seinem scheinbar schönen Leben und seiner andauernden Fröhlichkeit niemals meine Welt verstehen könnte. Was jetzt kommt, werde ich nie und nimmer vergessen. Erst war es für Sekunden still, dann sagte er mit zitternder Stimme, dass ich keine Ahnung von seinem Leben hätte, dass er es mir sagen hätte wollen, weil er mir vertraue. Plötzlich weinte er, so richtig heftig und ich hatte erst keine Ahnung, was passierte. Ich wollte regelrecht sein Geheimnis herausfinden, nur um sicher zu gehen, dass es sowieso nicht schlimm war. Aber es änderte sich alles, einfach alles. Es war so schlimm, ich weiß nicht einmal, wie ich es schreiben soll. Mir wurde in diesem Moment so schlecht, dass ich dachte, fast in die Spüle brechen zu müssen. Er wurde, als er vier Jahre alt war, von seinem Onkel vergewaltigt. Die Art, wie er es aussprach, so voller Schmerz, Zerbrechlichkeit und unter Tränen. Ich merkte, dass er nicht mehr konnte, es war ein großer Schritt für ihn und er sagte, dass es nur seine Familie wissen würde, es war so unfassbar – ein Augenöffner. Er musste längere Zeit zu einem Psychiater gehen, um all das zu verarbeiten und sie waren früher anscheinend sehr, sehr arm. Er sagte, dass er am Tag bloß zwei Brote bekam und alles so erbärmlich war. Als er diese Zeit überwunden hatte, schwor er sich, von diesem Zeitpunkt an irgendwie sein Leben zu genießen, glücklich zu sein und fröhlich, weil seine Vergangenheit traurig genug war. Ich war wie erschlagen, es war sehr traurig und ich gewann Vertrauen. Ein Vertrauen, das alles umstürzte, veränderte. Es war befreiend, wie ein lauter Schrei, der qualvoll gelöst wurde. Ich erzählte ihm daraufhin, was in den Osterferien war und ein paar allgemeine Sachen über mein Leben, hauptsächlich über meine Eltern. Wir redeten wie noch nie zuvor, so angenehm und frei. Er war ganz verständnisvoll und gab zum ersten Mal richtige Antworten, die schützend und hoffnungsvoll waren, anders kann ich es nicht ausdrücken. Was in dieser Nacht passierte, war sehr ergreifend und tief, Worte dafür finde ich kaum und ich vermag mich nicht so auszudrücken, wie ich es gerne hätte, es bedeutete sehr, sehr viel für mich.
Jetzt sind wir in D. in der Schweiz, Isabel und ich ganz alleine. Es ist wunderschön hier, Ruhe und Idylle pur. Berge, herrliche, grüne, weite Berge rund um uns herum, schönes Wetter und das Ferienhaus ist riesig, hier können zwölf Personen schlafen. Wir haben auch schon eingekauft, viele köstliche Sachen. Der Tag war super schön. Wir aßen richtig gut – und viel! Grins! Trotzdem beschäftigt mich natürlich ständig der Gedanke an Andi. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, mit dem, was ihm passiert ist. Und wenn ich ihn dann wiedersehe … oh Gott! Ich habe solche Angst.
Zu Hause ist wohl wieder heiße Luft. Ich rief an und nur Papa ging ran. Erst war Mama nicht aufzufinden, dann, als ich später anrief, war sie im Bett, weil sie ja angeblich die Fahrradtour so fertiggemacht hätte. Und ich solle mir ausdrücklich keine Sorgen machen. Klar doch, wer es glaubt, wird selig. Isabel hat mir heute noch Tarot gelegt, wegen dem Andreas und meiner Zukunft. Es wird noch etwas passieren, irgendjemand muss sich entscheiden, aber wie und warum, das wollte es nicht sagen. Egal, was ich frage, es gibt mir keine klare Antwort. Er hat jetzt Angst, aber es hat sich wirklich und wahrhaftig etwas für uns beide geändert. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es etwas Wundervolles und Ehrliches wird, habe aber etwas für mich geöffnet, was schon zu viel auf einmal war, etwas, das so tief ist und dunkel, zugleich verletzlich und klein. Was genau das ist, kann ich nicht sagen, doch es ist neu und doch so alt und war schon lange verborgen, wie gesagt, ganz tief und eben verborgen. Jetzt habe ich genug Zeit, um darüber nachzudenken und mit mir ins Reine zu kommen. Hoffentlich wird es hier schön, ich bin zuversichtlich und mit der Isabel war es heute sehr angenehm und entspannend. Wir haben viel geredet, über alles Mögliche. Das sind richtige Ferien, Ruhe, Entspannung und etwas Freiheit.
Tagebuch vom 02.09.05
Tag 2:
Der Tag heute war in Ordnung. Es herrschte aber eine gedrückte Stimmung. Isabel ist richtig deprimiert und irgendwie traurig. Man merkt, dass sie mit den Nerven am Ende ist. Ich versuchte ihr zu helfen, indem wir lange über ihre Probleme sprachen, wie ihren Vater. Ich legte für sie Tarot und ich versuche, ständig gut gelaunt zu sein. Es ist anstrengend, aber was soll’s. Ich rief morgens bei meinen Eltern an, es war merkwürdig. Anscheinend haben sie Streit. Ich bin es so satt, alles, ich hasse mein Leben so sehr. All meine Gefühle, Gedanken und vor allem Ängste, sie sind so grausam. Wenn ich nicht einmal mit der Vergangenheit klarkomme, nicht einmal mit der jetzigen Situation, was soll ich dann mit meiner Zukunft anfangen? Vielleicht sollte sie mir gleichgültiger werden, bloß wie? Heute ist mir einiges richtig klar geworden. Egal wie viel Vertrauen, Liebe, Hingabe und Fürsorge ich einem Menschen gebe, es kommt einfach nie das zurück, was ich gegeben habe. Es ist schlecht, das zu verlangen, egoistisch und nicht gerade selbstlos, aber dennoch tue ich es. Ich will jemanden, der mir so viel Rat und Verständnis gibt, wie ich es meiner Familie und meinen Freunden gegeben habe. Ich möchte viel Liebe, die von ganzem Herzen kommt, die mir gut tut. Ich sehne mich nach Lob und Anerkennung, was ich vermisse. Ich wünsche und hoffe, flehe und sehne, doch es passiert nichts. Innerlich geht es mir oft sehr schlecht, ich bin alleine, so unendlich alleine, keiner scheint es zu merken. So sieht mein Innerstes aus. Veränderungen ins Positive sind dabei fern ab. Aber nun zu etwas anderem.
Wir waren heute in der Stadt, kauften noch ein paar Dinge ein, auch Postkarten, morgens spielten wir Minigolf. Ich weiß auch nicht, aber es geht hier so viel schief. Es sind Kleinigkeiten, aber es macht mir etwas aus. Gestern, als ich Geld wechseln wollte, maulte mich die Servicedame an, weil ich angeblich zu nah am vor mir stehenden Kunden stand, dann fiel mir ein großer Joghurt aus der Einkaufstasche und war dahin. Meine Eltern haben natürlich wieder Streit, die Stimmung war heute sehr gedrückt und ich kann mir Mühe geben, fröhlich und verständnisvoll zu sein. Minigolf lief so grausam, ich spiele zwar das erste Mal, aber ich hatte kaum Erfolg und durfte mir von der Isabel anhören, was ich alles falsch mache. Zum Frühstück wollte ich weichgekochte Eier machen, aber das gelang mir zum ersten Mal in meinem Leben auch nicht. Oh Mann, lauter solche Dinge und am liebsten würde ich mal richtig herumnörgeln und weinen, weil es so belastend ist. Vor allem versuche ich Isabel zu helfen, sie aufzuheitern, mit ihr zu reden, alles mögliche, aber es scheint eher wenig zu wirken. Super, schönes, tolles Leben, es geht immer weiter – wird aufs neue bedrückender und ich kann es unterdrücken, für die anderen. Hoffentlich, nein, Moment, kein hoffentlich, wenn ich das denke, wird es erst recht schlimm. Auf eine gute Nacht und einen schönen, erholsamen, nächsten Tag – wehe der Welt, wenn nicht …!
Tagebuch vom 03.08.05
Tag 3:
Der heutige Tag war richtig schön. Ich redete wieder lange mit Isabel und merke, dass es ihr etwas besser geht. Sie war heute schon etwas fröhlicher. Ansonsten waren wir bis Mittags zu Hause und liefen danach auf eine Sommerrodelbahn. Der Weg ging sehr steil und weit nach oben, doch die Sonne schien und die Aussicht war herrlich. Grüne Berge, unten D., der Wald und ein kleiner Wasserfall, frische, klare Luft, es tat gut. Oben angekommen – ziemlich erschöpft tranken wir etwas und fuhren danach fünf Runden mit dieser Rodelbahn. Es war super, machte Spaß und es gab einem etwas Freiheit, die Strecke entlangzusausen. Auf dem Rückweg fütterten wir Eichhörnchen, die uns die Nüsse aus der Hand fraßen. Dieser Panoramaweg war auch als Eichhörnchenweg bekannt und man konnte extra Nüsschen an einem Kiosk für sie kaufen. Nachmittags waren wir wieder zu Hause und redeten über den Ernst des Lebens. Abends schauten wir uns zwei Liebesfilme an, die kitschig, aber richtig zum Schmachten waren. Mehr gibt es zu diesem Tag nicht zu sagen. Über mich und meine Gefühle möchte ich lieber nicht schreiben, sonst werde ich wieder sehr traurig. Ich will weinen, einen ganzen Tag lang und schreien, sodass es alle hören, aber das geht natürlich nicht. Ich mache mir ständig über alles Gedanken, kann kaum noch abschalten, es ist so unglaublich anstrengend. Ich bräuchte ein ganzes Jahr Pause. In dieser Zeit wäre ich dann in Südafrika, mal alleine und mal in Gesellschaft. Ich halte das nicht mehr lange aus. Ich glaube, dass ich eigentlich niemanden habe, dem ich längere Zeit all meine Trauer und den tiefen Schmerz, meine Sorgen und Ängste ausschütten könnte. Jeden nervt es doch einmal mit der Zeit und es wäre sehr belastend. Weinen täte gut, wie schon gesagt, aber ich kann es nicht, so miserabel ich mich auch fühle. Alles ist unterdrückt, es tut weh, jeden verdammten Tag! Ich fühle mich manchmal so alt, als ob ich mein Lebens längst gelebt hätte. Ich sehe weder Anfang noch Ende, die Hoffnung, die ich in mir trage, sie ist in manchen Momenten wie erloschen und ich fühle nichts, einfach nur Leere. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wie ich mein Leben in den Griff bekommen könnte, wie ich Dinge verarbeiten soll. Oft frage ich mich, was bist du? Wer bist du? Warum geht das ständig so weiter? Wenn doch ein großer, schöner, langfristiger Lichtblick käme, wenn ich doch bloß für irgendetwas Sicherheit hätte in meinem Leben. All das habe ich nicht und ich frage mich, ob ich nicht zu einem kalten, stillen Menschen werden sollte. Jemand, der andauernd seine Ruhe haben möchte, sich keinem mehr anvertraut und sich mit der Einsamkeit abfindet. Vielleicht würde ich nämlich genau dann nichts mehr von meinen Mitmenschen erwarten, vom Leben schon gar nicht. Wenn dann etwas passiert, könnte ich wenigstens einmal etwas Freude und Glück verspüren. Diesen Schritt werde ich nie wagen. Es ist mir zu trist, doch der Gedanke daran ist reizvoll und anders, ganz anders. Das Gegenteil von mir. Es ist dann wohl ein großer Teil meines Innersten, der bösen Seite von mir. Ich stehe an keinem Anfang, an keinem Ende, kann beides auch nicht sehen, daher gehe ich einfach weiter!
Tagebuch vom 04.09.05
Tag 4:
Der Tag war bisher ganz schön. Isabels Mutter und ihr kleiner Bruder kamen noch vorbei, was ganz gut für mich war. Heute sprach ich wieder intensiv mit Isabel, es freut mich sehr, wenn sie sich ausspricht und ich ihr damit etwas helfen kann. Doch bei ihr kann ich das momentan gar nicht, wahrscheinlich deshalb, weil sie selbst so viele Sorgen hat. Es ist okay für mich, aber innerlich tut es mir nicht gerade gut. Heute ging ich mit Olli, ihrem Bruder, meine Postkarten einwerfen. Mit ihm verstehe ich mich sehr gut und er erzählte mir, wie es ihm so mit seinem Vater geht. Im Prinzip genauso wie bei der Isabel. Als wir wieder im Ferienhaus zurück waren, war Isabel wieder einmal weg, jedoch ohne einen Zettel zu hinterlassen. Nun ja. Ich unterhielt mich lange mit ihrer Mutter, erzählte ihr sehr viel über meine Familie und das brauchte ich. Einen erwachsenen Menschen, der vernünftig war und die nötige Erfahrung hatte. Ihr Leben war auch nicht gerade einfach, sie schaffte den Absprung in ein neues Leben. Wie meine Mutter war sie zwei Mal verheiratet und wie diese Ehen verliefen, das wusste ich schon ausführlich von der Isabel. Der erste Mann war reich, sie zwar auch, doch sie bekam ein Kind von ihm, musste ihn daher heiraten. Später gebar sie eine weitere Tochter. Die Ehe verlief chaotisch, er war hysterisch, ungeduldig, kümmerte sich nicht um die Kinder. Der zweite Mann, Isabels und Ollis Vater, war ihr damaliger Steuerberater und dieser Mann ist fast genauso wie mein Vater. Sie ließ sich scheiden, als die älteste Tochter, Veronika, auszog, da sich die Situation für sie zu sehr zuspitzte. Veronika ging in die Schweiz zu ihrer Tante, sie hielt es nicht mehr aus mit dem zweiten Mann ihrer Mutter. Er schlug sie anscheinend und war eifersüchtig auf das damals zwölf- bis sechzehnjährige Mädchen. Solange musste sie das aushalten, bis sie eben wegzog. Auch kein besonders schönes Leben. Aber das gibt mir etwas Mut. Außerdem sprachen wir über einen jungen Mann, der auch eine Art „Seher“ ist, aber viel ausgeprägter als ich. Ich denke, dass ich einmal bei ihm anrufen werde, das muss ich machen, damit ich weiß, ob es sich denn lohnen würde, überhaupt zu leben. Wenn dabei nichts Gescheites herauskommt, heißt es wohl oder übel: Adieu schöne, grausame Welt, auf ein anderes Mal. Jedenfalls spielten wir drei noch Minigolf und es war richtig lustig, nicht so ernst wie mit Isabel und ich war richtig gut. Ich mag diese Familie sehr gerne. Sie sind nett und hilfsbereit. Die Mutter strahlt eine so liebevolle Ruhe aus und ihr Sohn ist ganz lustig und offen. Ab und an tut etwas Nettes, Männliches ganz gut, es lockert einen ein wenig auf. Hört sich vielleicht komisch an, aber es ist so. Isabel sitzt gerade deprimiert in ihrem Zimmer und schreibt ein Gedicht für ihre „große Liebe“, den Ron, den sie aber nie bekommen kann und wird. Scheint irgendwie immer so zu sein mit den ersten großen Lieben. Echt krass, was für ein Leben! Ich werde nun etwas essen, bis heute Abend dann wahrscheinlich, kommt darauf an, was noch passiert.
Tagebuch vom 05.09.05
Tag 5:
Heute war eigentlich der letzte Tag. Wir waren in einem Schwimmbad, Isabel im Wellnessbereich und ich bin ca. 120 Bahnen geschwommen. Bis dahin lief ja fast alles noch in Ordnung ab. Später, als sie mit Frau Rückbert telefonierte, ging ich schon mal packen und sah ein beschriebenes Blockblatt in ihrem Zimmer auf ihrem Bett liegen. Die ganze Seite las ich, ich musste es tun, da ich irgendwie wusste, dass es um mich ging. So war es auch und es war sehr, sehr hart für mich. Es ging ausschließlich um mich. Ich würde sie stressen, wie ein kleiner Hund hinterherlaufen, nicht begreifen, dass sie bloß in Ruhe gelassen werden will und dann ging es noch um meine Familie. Sie würde das Verhalten meiner Mutter verstehen, da ich ja so meine Phasen hätte am Tag, mit denen man nicht umgehen kann und der Knaller war, als sie meinte, dass ich schon selbst an meinem Leben schuld sei und nicht verstehen könnte, dass ich es doch ändern müsse. Die ganze Seite handelte nur von mir. Meine „Minderwertigkeitskomplexe“ merke man mir übrigens auch an. Und dann kam ein Satz, den ich am wenigsten von allen verstehe. Ich würde meinen Eltern immer Kontra geben und wenn sie das machen würde, wäre sie schon längst tot. Der Tag war bis dahin auszuhalten – doch jetzt war ich am Ende. Alles um mich herum wurde schwarz und der Boden zerfiel, ich wollte weinen, so sehr, weinen und schreien. Daraufhin nahm ich ihren MP3-Player, hörte sehr oft immer und immer wieder „Everybody hurts sometimes“ und ging einfach raus. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich lief um den See und setzte mich anfangs bei jeder Bank hin. Ich hatte keine Kraft mehr zu stehen, es traf mich so sehr und dann, endlich, kamen Tränen, solche, die voller Angst, Zorn und Aussichtslosigkeit waren. Ich sah in den See, er war so dunkelblau, dass er fast schwarz aussah. Das Wasser war ganz still und der Himmel, der bedeckt war, spiegelte sich. Es war so einsam, alleine. So unendlich viele Fragen gingen mir durch den Kopf. Ich weinte und weinte und hörte diese Musik. Ich wollte sterben, frei sein, nichts mehr spüren. Alles ging mir durch den Kopf, was sie über mich schrieb, auch dass sie sich so wundere, weshalb ihr Bruder so nett zu mir war, obwohl er sonst so wenig von mir halten würde. War ich daran schuld? Bin ich denn wirklich so erbärmlich? Mache ich mir selbst etwas vor? Bin ich unfähig, mein Leben zu leben? Kann sie denn ernsthaft so etwas über mich niederschreiben, als meine Freundin? Ich lief weiter und langsam ging es wieder, ich machte keine Pause mehr. Man merkte ja oft, dass sie genervt und wütend war, aber wirklich ausschließlich auf mich? Hasst mich alle Welt? Rege ich vielleicht jeden auf, mit meinen Problemen, meinen Gefühlen, meiner Person? Kann es sein, dass ich ein so schlechter und böser Mensch bin? Ich sah eine Brücke, die rechts vor mir über einer Autobahn verlief. Ich überlegte mir, ob ich einfach die Wiese hoch laufen sollte und all dem ein Ende setzen könnte. Dann retteten mich drei Gedanken, Andi, Amelie und meine Oma. Nur drei Menschen, aber immerhin. Ich ließ es sein. Ich hörte endlich auf zu weinen und machte ein neues, kraftvolles Lied rein, kein fröhliches, aber stark war es. Ich überlegte und sah mir die Berge, den See, die Natur genau an und fühlte mich plötzlich nicht mehr alleine, sondern geschützt und umschlungen. Und dann kamen mir viele Antworten, meine Antworten, die für mich richtig waren. Ich blickte etwas zurück, auf die vergangenen Tage und sah meine Situation in diesem Moment dennoch ganz klar. Isabel war gestresst, aggressiv und gefrustet von ihrem Leben, das, keine Frage, anstrengend ist. Ich half ihr bisher jeden Tag, setzte mich mit ihr hin, redete über ihre Probleme. Wenn sie auf einmal nicht mehr redete, im Bus oder auf der Straße oder mich anzickte, ließ ich sie einfach, sagte nichts und schwieg, so wie sie. Natürlich musste ich hier jemandem hinterherlaufen, denn wir hätten doch nicht geradewegs getrennte Wege gehen können. Ich kenne mich nicht aus hier und wenn sie dann ihre Launen hat, schweigt und irgendwo hinläuft, ohne etwas zu sagen, was würde da wohl oder übel das Vernünftigste sein? Richtig, mitzulaufen. Sie hat mir in den Tagen nicht ein Mal geholfen, wollte es erst gar nicht hören, was sie wortwörtlich gesagt hat, also nahm ich es hin. Sie hält sich für intelligent, perfekt, selbstbewusst, mich im Gegenzug dann eher nicht. Gibt ihr das das Recht zu sagen, dass ich Minderwertigkeitskomplexe habe, nur weil ich mehr Rücksicht auf sie nehme, als sie auf mich? Nein, das tut es nicht. Ich hielt sie auch für perfekt. Sie ist wunderschön, fast alle Jungs laufen ihr hinterher, sie schreibt fast nur Einser und ist reich. Aber eines fehlt ihr und das ist mir erst heute klar geworden – Menschlichkeit. Ganz einfach eine gewisse Freundlichkeit, die zusammenhängt mit Verständnis, Akzeptanz und Hilfsbereitschaft. Das besitzt sie nicht. Ich kenne niemanden, von dem sie sagte, dass er nicht ihr „Untergebener“ ist. Wirklich keinen, sie sitzt auf ihrem Thron und sieht nicht, was für einen kalten Schatten sie wirft. In diesem Augenblick, als mir das klar wurde, dass es wichtiger ist, selbstlos und menschlich mit jemandem umzugehen, war sie nicht mehr perfekt, sondern eingebildet und selbstverliebt. Ich sehe zu den Menschen auf, ich sage ihnen offen und ehrlich, dass und wie ich sie bewundere, ich helfe so gerne, doch wenn nichts mehr zurückkommt, nicht einmal ein wenig Achtung und Respekt, dann tut es so bitter weh und ist nicht leicht wegzustecken. Ich kann verstehen, dass man sich auf die Nerven geht, es ist okay, wenn sie darüber etwas schreiben würde, was sie auch etwas getan hat, aber eben nur ein bisschen. Dass man über eine Person schreibt, sie sei schlecht, das ist verachtend und niederträchtig, sofern derjenige einem nichts Böses getan hat. Und ich habe nichts gemacht, im Gegenteil. Ich könnte auf sie böse sein, was ich bin, aber ich zeige es ihr nicht, dafür habe ich heute zu viel gelernt. Sie ist es mir nicht wert, nicht mehr und es ist traurig, doch es musste sein. Was ich jetzt vorhabe? Ich werde mich ihr gegenüber verschließen, versuche aber, weiterhin zu helfen, so gut ich kann. Dafür hilft sie mir nächstes Schuljahr in Mathe, hoffentlich, und verkauft ein paar Dinge für mich bei Ebay. So nutze ich sie aus, das geht nicht anders, ich spiele ihr einfach etwas vor, bleibe aber ihre Freundin, nicht mehr mit der Seele und auch nicht mit dem Herzen, aber mit dem Verstand und dem Geist. Ich bin froh, morgen wieder nach Hause zu fahren, ich bin auch glücklich, Andi zu sehen und mit Amelie zu reden. Ich erwarte zu Hause Streit, evtl. noch mehr, wenn ich wieder da bin, aber nun gut. Ich liebe meine Mutter und freue mich ganz besonders auf sie. Ich bin auf die morgige Zugfahrt gespannt. Sie weiß nicht, dass ich das gelesen habe, kann es sich vielleicht denken, aber es ist nicht sicher, sagen werde ich es ihr nicht und anmerken lasse ich es mir ebenfalls nicht. Es wird sich ändern, einiges, ich höre jetzt mehr auf mich, sehe mich als etwas „gutes“ und nicht als jemanden, der unterdrückt werden muss von seiner perfekt zu sein scheinenden Freundin, die nun wirklich nicht so toll ist. Ich bin etwas selbstständiger geworden, koche, was ich auch zu Hause machen werde und lasse mir von nichts und niemandem meine Beziehung mit meinem Freund versauen, jetzt ist Schluss. Ich bin so, wie ich bin und werde es immer sein und meine Art ist gut so, auch wenn sie nicht perfekt ist, wenigstens menschlich und das ist wichtig.
Bis morgen wahrscheinlich. Träum süß, schöne, traurige Welt, träume von besseren Tagen, damit du wenigstens davon geträumt hast!
Tagebuch vom 06.–09.09.05
Die Rückreise am Dienstag war eigentlich ganz lustig und es war sehr schön, die Landschaft vom Zug aus zu betrachten. Rundherum Berge, alles bunt und weit, man konnte förmlich die Freiheit spüren. Über Isabel dachte ich dennoch sehr viel nach, was sie schrieb, wie sie sich mir gegenüber manchmal verhielt. Es sitzt schon tief und ich weiß nicht, wie sehr ihr überhaupt etwas an unserer Freundschaft liegt. Letztendlich war ich froh, wieder zu Hause zu sein. Am Bahnhof in K. holte mich meine Ma ab, alleine. Jetzt war es sicher, sie hatten Streit. Ich stieg ins Auto ein und sah, wie ihre Augen strahlten, es freute mich so sehr, dass sie so glücklich war, mich wieder zu sehen. Aber das Schlimme kommt noch.
Mittags, bzw. nachmittags gingen wir beide essen. Sie hatte einen schlimmen Ausschlag an beiden Handflächen, wie Blasen. So etwas hatte ich ebenfalls einmal, aber nicht in diesem Ausmaße. Dann erzählte sie mir, dass es sie überall so pieksen und jucken würde, besonders abends, wenn sie ins Bett ginge, es fühle sich wie Läuse an, aber das war es nicht. Allergisch war sie auch nicht auf irgendetwas, da sie deshalb extra beim Arzt gewesen war. Das kam mir sehr bekannt vor. Schlafen wollen, aber es nicht zu können, weil es juckt, überall, nicht mehr aufhört und man verrückt wird, sich sogar die Haare ausreißen könnte. Der einzige Grund dafür ist eine Überlastung des Nervensystems und jetzt hat sie es auch noch. Wenn man nicht zur Ruhe kommt, angespannt ist und sich, egal was man macht, nicht herunter bekommt, das Herz rast und rast und man auch, wie meine Ma, Schweißausbrüche bekommt, liegt es nur an der Psyche und es ist wahrhaftig grauenhaft. Jetzt, da ich wieder zu Hause bin, scheint es langsam wieder abzuklingen, Gott sei Dank. Doch was war der Grund für all das? Etwa, dass ich nicht bei ihr sein konnte? Hätte ich nicht wegfahren dürfen? Daheim entdeckte ich viele blaue Flecken an ihren Armen. Ich hätte in diesem Moment schreien können, weinen und zugleich zusammenbrechen. Ein großer blauer Fleck unten an ihrem linken Arm, ein weiterer oben am rechten und viele weitere. Natürlich sprach ich sie darauf an. Doch das Einzige, was sie dazu meinte war, dass es Nichts sei, sie sich nicht mehr erinnern könne und später, als ich wieder nachhakte, wollte sie darüber einfach nicht reden und schaute leicht verschämt zur Seite. Dieses Schwein, diese feige, miese Sau, was hat er ihr nur wieder angetan? Ich will ihn umbringen, scheiß Drecksarsch! Meine Ma erzählte mir aber, was in der Zeit abging, in der ich weg war. Günter und seine Frau Katja, das nette Ehepaar, schenkten der Mama nachträglich einen Blumenstrauß, den ihr Günter überreichte und sang kniend vor ihr ein Geburtstagslied, bei einem Fest in I. Papa passte das gar nicht, wahrscheinlich wegen seiner Komplexe und vor allem, weil er nicht imstande war, meiner Ma etwas zu schenken. Es kam noch schlimmer, als Günter am nächsten Tag Mama und mir noch ein paar Blümchen vorbeibrachte. Günter wusste nicht, dass ich noch in D. war. Mein Dad rastete völlig aus, sagte, meine Mutter hätte was mit ihm und unterstellte, dass er angeblich nur zum „Ficken“ – wörtlich –gekommen sei. Er schrie herum und war richtig böse und vor allem eifersüchtig. Daraufhin rief Mama gleich Christiane an, erzählte ihr, was ablief und traf sich mit ihnen am nächsten Tag, ohne Papa natürlich. Das war kein schönes Thema, alle regten sich darüber auf, wie lächerlich mein Vater doch sei und seinem Tenniskollegen so etwas unterstelle, bloß weil er, mein Vater, eine Geliebte hat. Meine Mutter würde das nie machen, dafür kenne ich sie zu gut. Ich hasse es so, vor allem ihn, mein Hass ist tiefgründig, mehr als alles andere. Wie kann er so etwas nur tun? Wie? Eine so schöne Frau zu schlagen? Einem solch liebenswürdigen Geschöpf wehzutun? Ich empfinde Ekel, einfach nur Ekel und Hass, Zorn, wenn ich doch nur all das mit ihm machen könnte, was er uns angetan hat!
Abends war er Tennis spielen, kam spät nach Hause. Sie vertrugen sich wieder. Ich wachte nachts auf, hörte ein Klirren, lief schnell auf den Gang. Ich hörte sie: „Au!“
„Lass doch kaltes Wasser drüber laufen.“
„Nein, nein, au, es geht schon.“
Gedanken, schlechte Gedanken, grausame Gedanken, was wohl passiert ist. Ich hatte Angst, zitterte, wusste nicht, was ich machen sollte, ich konnte wieder nicht laufen, es ging nicht. Wieso? Ich muss doch etwas tun! Hilfe! Es ist so schrecklich, welches Bild würde ich sehen, was war jetzt schon wieder geschehen? Blut, überall? Hat er sie geschnitten – im Rausch? Nein, nein, Mama, meine Mama, dazu hat er kein Recht! Gott, hilf mir! Ich rannte runter, mit meinem Handy in der Hand, falls ich die Polizei anrufen müsste. Ich lief durch die Küche, ins Wohnzimmer. Beide saßen friedlich nebeneinander, es war nichts – rein gar nichts. Sie war nicht einmal betrunken, er dafür umso mehr, sie schauten mich verwirrt an. Ich stand wahrscheinlich mit weit aufgerissenen Augen, blass vor Angst, da und fragte nur: „Was ist hier los?“
Nichts, es war ok. Mein Herz beruhigte sich aber nicht und ich erinnerte mich an die Vergangenheit, als ich ungefähr fünf Jahre alt war, Bilder, Gefühle, es kam hoch, nach langer Zeit wusste ich wieder, wie es damals war, die bittere, kalte, verlorene Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht! Ich blieb stehen, Sekunden. Mein Vater streckte die Hand aus, völlig betrunken: „Willkommen zu Hause, schön, dass du wieder da bist!“ Ich gab ihm meine aber nicht, ich ging, meine Ma lief hinterher und fragte, was denn nur mit mir sei. Ich meinte: „Was mit mir ist? Ich bekomme hier fast einen Herzinfarkt und das ständig, das ist!“ Ich wollte nicht maulen, vor allem nicht in dem Ton, aber ich war in dem Moment so außer mir, aufgebracht und aufgewühlt. Oben brach ich weinend zusammen, es wurde zu viel, Isabel, Depressionen, Eltern und Vorwürfe, die wie automatisch bei meiner Ma kamen, da ich weg war und nicht helfen konnte. Ich konnte es nicht, es war zu spät, einfach so. Das darf doch nicht wahr sein. Ich weinte bestimmt eine halbe Stunde lang, lag auf dem Teppich im Dunkeln und weinte, ließ es raus, konnte nicht mehr aufstehen. Meine Beine waren so schwer, alles tat weh, es stach in meinem Kopf, mein Herz raste und blieb gleichzeitig stehen, ich wollte nicht mehr, redete laut vor mich hin, wie schlimm es war, dass mir jemand helfen sollte, ob es denn niemand sehe, wie schlecht es mir zumute ist. Dann wurde es wie hell in meinem Kopf, ich sah eine Pforte, weiß angestrahlt, wunderschön und sie ging auf, helles Licht kam heraus, weiß, aber warm und schön. Dann machte ich die Augen auf, hatte wieder Kraft aufzustehen, schleppte mich ins Bett und versuchte etwas einzuschlafen. Es funktionierte nicht, wie immer. Meine Eltern waren noch über eine Stunde auf, als sie endlich ins Bett gingen, konnte ich schlafen. Mir ging es besser. Es hat anscheinend sein müssen, es wollte raus, Zorn, Hass, Angst, das bedeutete Zusammenbruch, aber gleichzeitig Neuanfang oder besser gesagt, ein wenig mehr innerer Frieden. Die Kraft kehrte zurück und es tat gut. Am nächsten Tag kam dann Andi. Davor sprach ich noch mit Mama. Sie meinte grinsend, dass ich gestern runtergekommen wäre, mit meinem Handy in der Hand, was aussah, wie eine Pistole. „Du hattest vielleicht einen bösen Blick drauf und der Papa wollte dir ja die Hand geben. Aber du bist dann ganz schnell wieder abgedampft und danach hat er geheult, wie ein Schlosshund. Die mag mich nicht und so weiter.“ Tja, das geschah ihm recht, sollte er ruhig auch einmal wegen mir weinen, geschah ihm ganz recht.
Andi war gegen zwölf Uhr da und kam extra mit dem Rad. Wir gingen dann spazieren. Es war wunderschönes Wetter und wir liefen insgesamt sieben Stunden. Anfangs tat er mir nur leid und das ging einige Zeit. Ich wusste ehrlich nichts mit ihm anzufangen, merkte, dass er mich küssen wollte, aber ich wich aus. Es war ein eigenartiges Gefühl, als sei er nur ein Kumpel, aber nicht mein Freund. Ich fragte mich ständig, was mit mir los war, weshalb ich nichts empfinden konnte. Wir liefen händchenhaltend, selbst das war mir unangenehm. Wir alberten herum und plötzlich kam er mir vor, wie mein Kind, auf das ich aufpassen müsste. Ein Gefühl von Traurigkeit und Machtlosigkeit stand zwischen uns. Es war anders, aber so anders, dass er mir wie ein Freund vorkam. Ich kann es nicht erklären, aber mit der Zeit legte es sich, unerklärlich, aber wahr. Ich lernte ihn nach und nach besser kennen. Es war nun ok und ich fühlte mich sicherer. Auch er war etwas aufgeregt und unsicher. Anfangs viel mehr als ich und auch er wurde mit der Zeit offener und lockerer. Es war wie ein „Sesam öffne dich“, aber bitte langsam. Wirklich merkwürdig. Wir kamen uns näher und näher, dennoch war eine angenehme Spannung da und ich konnte von genau diesem Zeitpunkt sagen, ja, wir sind zusammen und es ist so wie es ist, es ist gut so, sollte so sein und niemals anders. Es war ein so wundervoller, spaßiger Tag, langsam konnte ich mich fallen lassen und das schreibe ich, die andauernd Zweifel hat. Donnerstags kam er wieder und ich fasste es kaum, diese sanfte Vertrautheit wurde stärker und ich sehe ihn als für mich perfekt an. Er ist so lieb zu mir, brachte mir eine Schokolade, die man kaufen konnte, um einen Tag lernen in Afrika zu unterstützen. Er überraschte mich positiv damit, weil er sich gemerkt hatte, dass ich Afrika so sehr liebe. Und eine Sonnenblume bekam ich ebenfalls, sie steht nun auf meinem Holztisch, inmitten von roten Lilien und strahlt mich direkt an. Ich hielt es fast nicht für möglich, aber ich war glücklich, hoffnungsvoll und erfüllt von Mut und Liebe. Er ist sehr zuvorkommend und höflich, räumt immer die Sachen für mich vom Tisch, möchte gar nicht, dass ich ihm einschenke und will mir immer etwas von seinem Essen oder Trinken abgeben. Wenn ich ihm den letzten Schluck in der Flasche überlassen will, meint er: „Nein, der gehört dir, ich habe schon.“ Und das ist einfach mit allem so. Selbst wenn ich die Pizzen in den Ofen schiebe, hilft er mir, ganz lieb. Er kümmert sich rundum so nett um mich, wie ich es schon immer gebraucht habe. Es sind ganz viele Kleinigkeiten und Gesten, die mich erfreuen und mir zeigen, dass er mich wohl lieben muss, was er mir auch sagt. Ich konnte ihm das vor Freitag nicht sagen. Wir waren zu dritt bei Amelie. Es war wieder so unfassbar schön. Nur frage ich mich, ob ich nicht nur träume. Ist es wahr, kann es Wirklichkeit sein? Alle drei fütterten wir im Park die Enten und Schwäne, gingen Eis essen und waren später bei Amelie zu Hause. Sie machte es richtig romantisch für uns. Und dann, als wir beide so in ihrem Bett lagen, konnte ich es sagen, ich brachte es über die Lippen. Er sagte daraufhin: „Also vertraust du mir endlich? Ich mache mir ständig einen Kopf darüber, wie du mir denn endlich vertrauen kannst.“ Vollstes Vertrauen hatte ich noch nicht, aber dieses Achterbahngefühl war jetzt ganz deutlich in mir. Freier Fall, trotzdem Sicherheit und Kontrolle. Ich bin froh, richtig glücklich zu sein.
Ehrlich gesagt, habe ich so etwas bisher nur in den Augenblicken erlebt, als ich den Hansen gesehen habe. Jetzt ist es wieder so, ich hätte es nie für möglich gehalten, es ist so unglaublich. Ich, Lena S., bin glücklich?
Nicht einmal die Schule sehe ich jetzt mehr als schlimm und unüberwindbar. Ich habe etwas in meinem Leben, jemanden, der da ist, dem ich viel bedeute, der mir viel bedeutet. Aber was ist mit der Angst? Sie ist da, immer, sie ist und wird immer ein Teil von mir sein. Ich sollte sie nicht mehr bekämpfen oder verdrängen, sie einfach hinnehmen, weil das immer noch ich bin.
Tagebuch vom 10.–12.09.05
Tja nun, liebes Tagebuch, morgen beginnt wieder die Schule. Ich komme in die 10. Klasse und wenn ich auf die vergangenen Jahre zurückblicke, hat sich so viel verändert, meine Umwelt, mein Leben und besonders ich. Ehrlich gesagt, habe ich keine Lust darauf, nicht auf die Lehrer und irgendwie nicht einmal auf den Großteil meiner Freunde. Bettina wird wieder deprimiert sein, wie vergangenes Jahr, super, Conny labert dann bestimmt ihr kindisches Zeug und zu Isabel muss ich wohl nichts sagen. Falls dann wieder alle in der Pause gelangweilt und genervt dastehen sollten, habe ich mir vorgenommen, einfach zu den Jungs zu gehen, das ist wohl das beste. Kann sein, dass ich mich etwas zickig anhören mag, doch letztes Jahr war die Stimmung generell oft für den Arsch und darauf habe ich dieses Schuljahr keine Lust mehr. Wenn die meinen, sich gegenseitig runterziehen zu müssen, dann bitte ohne mich.
Zu Samstag: Andi war ja wieder bei mir zu Besuch, hat mir ein in Leder gebundenes Büchlein mitgebracht, in das ich meine Tagebucheinträge hineinschreiben soll. Irgendwie super süß. Der Einband ist braun, wenn man den Klappdeckel umschlägt steht da: „Für Lena von Andi“ und die erste Seite hat er mit einem lustigen Gedicht beschriftet. Wir beide gehen ziemlich ran, ich merke immer, dass er ständig mit mir schlafen will, aber wir sahen uns bisher nur zwölf Mal. Das ist definitiv zu früh. In den Momenten und Stunden, in denen wir zusammen sind, ist es schön, romantisch und auch ziemlich wild. Es ist irgendwie eine Art Spiel für mich, am nächsten Morgen, wenn ich aufwache, wird es mir erst bewusst, dass es ernsthaft ist und was ich eigentlich am Vortag „gemacht“ habe. Unsere „Trockenübungen“ scheinen ihn ziemlich heiß zu machen, sonst würde er nicht so oft einen streifen Penis haben. Es ist lustig für mich und ich bin, ehrlich gesagt, nicht so „befriedigt“ von ihm, was er ja mit Sicherheit schon ist. Ich würde ihm keinen runterholen, denke ich, und habe auch sonst nie direkt an sein bestes Stück gefasst. Den Samstag trank ich zusammen mit ihm abends Bier, er trank bloß eine halbe Flasche, vermischt mit Spezi und war schon angeheitert. Etwas peinlich, wenn die Frau mehr verträgt als der Mann. Ich spürte natürlich nichts von meiner Flasche Bier, wollte mich auch keineswegs betrinken. Zuerst wurde er traurig und ernst, erzählte mir etwas von seinem Leben, aber nichts Dramatisches oder Nervenaufreibendes. Dann meinte er, dass sein Leben so langweilig gewesen wäre, doch seit er mich kennt, nicht mehr. Als die traurige Phase überwunden war, kam die „Ich bin potent“-Phase. Dann ging er mir unter mein Höschen, ich ließ es zu, aber es war nicht so toll, zugegeben – langweilig – und ich merkte, dass er keine Erfahrung hatte, aber zumindest machte es ihm großen Spaß. Eine viertel Stunde, bevor seine Mutter kam, die ich übrigens wirklich nett finde, fragte er, ob ich ein Kondom hätte, oh je, ich hatte natürlich keines! Nie wieder Alkohol für ihn! Es geht mir ein wenig schnell, so allgemein. Aber ich bekomme das schon irgendwie hin, auch wenn es etwas kompliziert ist. Einerseits würde ich es auch wollen, aber es ängstigt mich auch. Ich müsste dann vernünftigerweise die Pille nehmen und dafür zum Frauenarzt gehen. ANGST! Ok, mehr muss ich dazu nicht sagen.
Sonntag war ich nur zu Hause und habe etwas für die Schule gemacht, was mir richtig gut tat. Streit gab es keinen, allerdings geht es der Mama nicht sonderlich gut. Heute war sie beim Arzt und es steht fest, dass sie Neurodermitis hat. Und woher kommt das bloß? Genau, nervliche Überlastung. Seit ich wieder zu Hause bin, geht es ihr ja besser, doch ich kann mich nicht die ganze Zeit um sie kümmern. Es tut mir so leid. Ich will nicht, dass sie das hat. Heute waren wir beide in Kempten shoppen, Wahnsinn, einkaufen tut richtig gut. Gerade habe ich gar keinen Streit mit Papa, er lässt mich etwas in Ruhe. Ruhe werde ich im kommenden Schuljahr auch brauchen. Ein hoch auf die 10. Klasse!
Es ist jetzt bald 10:00 Uhr und mir geht es gar nicht gut. Ich sprach mit Bettina und sie machte sich am Telefon unglaublich lustig über Andi. Er ist ja so schwul, sehe nicht gut aus und so weiter und so fort. Meiner Mama geht es ja auch nicht gut und ich mache mir ziemliche Sorgen um sie. Gestern aßen wir beide Spaghetti zu Mittag und später meinte sie, dass es ihr so gut getan hätte, wieder einmal mit mir zu Mittag zu essen, ihr wäre es richtig besser gegangen und der Juckreiz wäre verschwunden gewesen. Tränen standen ihr in den Augen und ich umarmte sie. Ich weiß nicht, wieso heute Abend alles hochkommt. Ich telefonierte gerade mit Amelie und erzählte ihr, wie sehr mich das bedrückt mit der Isabel, Bettina und natürlich meinen Eltern. Ich fing an zu weinen. Erst werde ich so sehr von der Isabel enttäuscht, dann fängt Bettina auch noch an, mich ziemlich böse aufzuziehen wegen meinem Freund, den sie eigentlich gar nicht kennt. Hier wird es auch nicht besser und jetzt wird von dem Scheiß-Psychoterror hier meine Mama auch noch krank und ich habe sie im Stich gelassen. Ich würde am liebsten alles wegspülen, mit einer Flasche Wein oder ohnmächtig werden. Ich könnte schreien vor Angst und Sorge. Wie wird das nur in der 10. Klasse sein? Ich will weg, fliehen, schnell in einen Flieger springen mit meiner Ma, Andi und Amelie und nach Südafrika fliegen. Dort ist alles so endlos, ohne Zwang, du fühlst dich frei, Küsten mit felsigen Klippen, weite Sandstrände, eine Stadt voller Leben und Gefühle – Kapstadt und Dörfchen rund um das Kap. Weite, wo man richtig durchatmen kann, dort bist du du selbst, glücklich, so froh, dass du dieses Mal nicht vor Trauer und Schmerz weinen musst, sondern vor Freude. Dort habe ich gelebt, richtig gelebt, hier sitze ich nun, komme aus dem Zustand nicht heraus. Es wird kaum besser. Vor einiger Zeit dachte ich, all meine Freundinnen seien wie Engel, doch was ist geschehen? Sie fallen mir in den Rücken, beleidigen meine liebsten Menschen und schreiben, dass sie mich nicht leiden können, ich sie nerve, Komplexe hätte, die sie nicht hätten, weil sie ja so selbstbewusst wären, was ich als „Untertan“ nicht aushalten könne. So ist das mit der Freundschaft. Die Menschen, denen man viel Liebe entgegenbrachte, seine Geheimnisse anvertraute, ihnen half, obwohl man selbst nicht klarkommt, gerade diese enttäuschen einen derart. Langsam habe ich kaum noch Vertrauen, ich fühle mich wie niedergeboxt. Schönes Leben. Ganz prächtig. Ein Glück, dass ich noch Amelie und Andi habe, denen ich vertrauen kann. Traurige, verbitterte, einsame und böse Menschheit, sollen die Schlechten zur Hölle fahren!
Ich habe, ehrlich gesagt, keinen Schimmer, wie ich mein Schuljahr so meistern kann, dass ich zufrieden bin. Vor Französisch und Englisch habe ich keine allzu große Angst mehr, aber was, wenn ich in Physik wieder eine Vier bekomme? Und was, wenn die Isabel doch keine Zeit für mich hat, um mir Nachhilfe in Mathe zu geben? Außerdem fällt mir Chemie etwas schwer, ich begreife diese Formeln nicht und die Zusammenhänge. Wie soll ich das alles bewältigen? Wie nur? Ich fühle mich so unfähig, irgendwie blöd und dumm. Ich hasse alles so und ich weiß, wie oft ich das schon schrieb. Wird dieses Tagebuch doch mit Selbstmord enden? Ist es vielleicht die Lösung, soll es mein Schicksal sein, mein Leben mit einem Selbstmord zu vollenden? Ich war hier nie zufrieden, nur ein paar Wochen in Afrika oder für ein paar Tage im Jahr auf Feiern oder Partys, auch bei meinem Freund, natürlich habe ich eine Zukunft, aber was für eine? Ich muss den Terror weiter erleben, sehe, wie meine Oma irgendwann stirbt, erlebe den Tod meiner Mutter, werde mich wahrscheinlich von meinem Freund eines Tages trennen, kann mich mit so vielen gehässigen Menschen herumschlagen und es geht immer weiter. Soll das alles sein? War bzw. ist das mein Leben? Kann es denn nicht mal klappen, wie am Schnürchen laufen, ein Stück Weg, ohne Steine? Wenigstens in der Schule! Bitte, bitte, bitte, sonst gehe ich unter, irgendwann und versinke! Helft mir, wer auch immer! Bitte helft mir!
Tagebuch vom 27.09.–4.10.05
Jetzt fange ich an, in das Büchlein von Andi zu schreiben. Hier noch sein Gedicht, was er mir auf die erste Seite schrieb:
Die Ode an die Lena:
Du weißt, ich lieb dich sehr,
Drum ist das zu schreiben gar nicht schwer,
Ich liebe dich, ist dir das eigentlich klar?
Versteh das endlich und sei kein Narr.
Ich sitze hier auf meinem Stuhl,
Und ich weiß, es ist alles cool!
Ich weiß, du liebst dein Afrika,
Du weißt, ich find dich wunderbar.
Du hattest gerade ein wenig Kopfweh,
Und hiermit versprech ich dir,
Dass ich nicht mehr geh.
Wenn ich dann nicht seh,
Tut mir auch der Schädel weh.
Du siehst mich an, wie wundervoll.
Ich finde dich einfach toll.
Du weißt, ich liebe dich,
Vergiss das bitte nicht!
Gez. Dein Andilein
Mein Leben hat mich mal wieder eingeholt. Damit meine ich, dass alles wieder zugrunde geht, ich am Anfang stehe und mich klein und einsam fühle.
An dem Donnerstag, als ich Geburtstag hatte, war alles irgendwie kaputt. Das fing abends, vor dem „großen Tag“, schon an. Mein Vater kam hoch, hat mich ausgequetscht, wer denn alles kommt und was wir genau machen. Es kamen Vorwürfe, weil es plötzlich zu viele sind, wer das alles bezahlen solle. Dass Jungs dabei sind, war ebenfalls ein Problem. Dann meinte er, dass er mit zum Pizzaessen kommen möchte und sich unbedingt mit allen unterhalten will. Endlich kam die Mama dazu und es gab wieder Zoff wegen meinem Geburtstag. Er weigerte sich zu gehen, obwohl ihn die Mama mehrmals dazu aufforderte. Es ging weiter und meine Freundinnen kamen ins Spiel. Sie würden ihn ja so sehr mögen, wären freundlich, denn er habe ihnen ja nichts getan. Ich sagte daraufhin, dass sie ihn doch sowieso alle hassen. Daran war mal wieder ich schuld, ich würde Märchengeschichten über ihn erzählen, üble Gerüchte in die Welt setzen. Außerdem findet er es überaus großzügig von sich selbst, mir das Telefon zu übergeben, wenn jemand für mich anruft. Wie er darauf kam, weiß ich nicht, wahrscheinlich weil er mal wieder betrunken war. Jedenfalls ging es so weiter, meine Ma betonte immer wieder, dass er sich gefälligst nicht in meine Feier einzumischen hätte und es nicht sein, sondern mein Haus ist. Übrigens hat er hier oben kein Wohnrecht und müsste eigentlich gehen, wenn ich das verlange. Das ist alles vertraglich geregelt und dass er ständig hochkommt und herumwühlt, ist im Grunde genommen Hausfriedensbruch. Aber es hörte nicht auf. „Doch, ich werde mich aber einmischen“, sagte er dazu. Als ich ihn dann mit barschem Ton wieder bat zu gehen, verschwand er wutschnaubend und reagierte sich unten ab. Er lief schnell durch die Wohnung, hat auf die Lichtschalter geschlagen, sie an und aus geknipst und wie immer Schubladen laut durchkramt. Es ist so ein Nerventerror. Er geht sehr oft am Abend weg, bzw. nachmittags und kommt betrunken nach Hause. An einem der Dienstage, an denen er wieder Tennis spielen ging, so wie früher, trank er, so wie immer. Er kam dann eines Nachts nach Hause, das heißt, einer seiner Kollegen hat ihn bis vor die Tür gebracht, da er kaum noch laufen konnte und sich vollgepinkelt hatte. Meine Ma wurde um drei Uhr in der Nacht aus dem Bett geklingelt und konnte meinen Dad dann abputzen und umziehen, da er sich angezogen und benässt ins Bett gelegt hätte. Es ist traurig, so unendlich traurig. Mama hat immer noch Neurodermitis, es geht nicht weg, wenn sie aufgeregt oder traurig ist, fängt sie an zu zittern und muss sich kratzen und ich kann nichts dagegen machen.
Meine Party war von Samstag auf Sonntag und alles lief super gut. Ich lud über zwanzig Leute ein und es kamen siebzehn davon, dreizehn haben übernachtet. Andis Kumpels sind super nett und ich freundete mich ganz gut mit ihnen an. Allen gefiel die Party und für mich war es die schönste Feier, die ich je hatte. Alle waren sehr freundlich und gut gelaunt. Nachdem wir in der Pizzeria waren, gingen wir in einen Irish-Pub, dort gabs Livemusik und wir klopften und klatschten auf die Tische und schunkelten. Sogar die Nachbartische mit älteren Leuten wurden davon angesteckt und machten mit. Die Nacht schlief Andi bei mir im Bett, aber es passierte nichts, ich hätte das erstens nicht gewollt, vor allem weil Gäste da waren und dazu kamen noch meine Tage. Aber trotzdem war die Nacht ganz schön. Andi fand meine Party anscheinend nicht so gut, weil ich mich angeblich nicht so sehr um ihn gekümmert habe, sonder mehr mit seinen Freunden sprach, die angeblich alle mit mir geflirtet hätten, da sie mich besonders toll fänden. Das stimmte auch. Es lag daran, dass ich sie einfach besser kennen lernen wollte und mir Andi etwas auf die Nerven ging mit seiner anhänglichen Art. Besonders mit Thomas, seinem besten Freund, verstand ich mich gut, aber das war davor auch schon so. Ich weiß nicht wieso, doch Thomas gibt mir etwas, was Andi mir nicht geben kann. Er ist reifer und ruhiger. Isabel und Amelie meinen, dass er an mir interessiert wäre, da er bei mir immer grinst, wenn ich mit ihm rede, bei den anderen aber nicht. Als er Samstags etwas angetrunken war, wir die meisten, klopfte er mir auf den Po, dabei dachte ich mir noch nichts. Am nächsten Morgen tanzten Sandy und ich, sie mit dem Gesicht zu meiner grünen Couch, auf der die meisten saßen und ich mit dem Rücken zur Couch. Als ich mich kurz umdrehte, starrte Thomas als einziger zu uns beiden her. Als alle außer Andi gegangen waren, half mir Thomas auch noch, meine Wohnung aufzuräumen, sah sich danach ganz interessiert meine Wohnung an, jedes Bild, jede Postkarte, die ich auf meinem Kachelofen aufgestellt habe. Er ist ruhig, sagt eher weniger, lässt alles auf sich wirken und strahlt etwas Interessantes und Vertrautes aus, selbst wenn er nicht schön ist. Ist es nicht eigenartig, so oft an ihn zu denken?
Meine Party war unglaublich schön. Es war so vertraut und lustig. Ich kann davon nur schwärmen. Am Schluss umarmten mich alle und sagten mir, wie sehr ihnen das alles gefallen hätte, ich war überglücklich. Mein Vater platzte am nächsten Morgen auch wieder rein, aber das nur kurz. Es war lustig, da alle Mädchen bereits gegangen waren und nur noch Jungs da waren. Ich glaube, dass ihn das sehr geärgert hat und er deshalb einige herumkommandierte, sie sollen doch dies und das zusammenräumen. Aber ich schickte ihn sofort wieder weg und damit war die Sache gegessen. Am Abend saßen wir alle auf meiner Couch, aufeinander, übereinander, manche lagen am Boden, es war wirklich cool. Ich dachte dabei immer an die Flower-Power-Zeit, wo es sehr gemeinschaftlich zuging. Es war unbeschreiblich, mehr kann ich dazu nicht mehr sagen.
Ich weiß nicht, was ich für Thomas empfinde, ich mag ihn sehr, doch Andi ist mein Freund und ich war mir bis gestern sicher, dass es zwischen uns so schön läuft und ich mich verliebt habe. Es war sehr seltsam, als Thomas als vorletzter ging und er mich nicht umarmte, so wie es doch eigentlich alle taten. Deshalb ging ich auf ihn zu, doch er schüttelte den Kopf, schaute mich etwas melodramatisch an, meinte: „Lieber nicht!“, und verabschiedete sich sehr kurz. Seltsam, hatte das etwas zu bedeuten? War er an mir interessiert? Doch das ging natürlich nicht wegen seinem besten Freund – meinem Freund.
Montags war Andi wieder für ein paar Stunden da und ihm ging es am Abend nicht so gut, anscheinend auch wegen unserer Beziehung. Deshalb telefonierten wir noch mal. Das war ein Riesenfehler. Ich erzählte ihm von meinen Fähigkeiten, wie das alles anfing und auch, dass es manchmal schmerzt, wenn ich in ihn hineinsehe. Dann kam ich auf einen Traum, den ich vor kurzem hatte, zu sprechen. Es ging darin um ihn und mich. Wir waren in einem Ferienhaus, ganz alleine. Plötzlich fing er an, mich zu beschimpfen, ich wäre ihm nicht mehr gut genug, er hätte eine andere, die größere Brüste hätte und außerdem würde sie endlich mal mit ihm schlafen, im Gegensatz zu mir und ich bin so langweilig und es wurde ziemlich persönlich, es ging gegen mein Aussehen. Danach sperrte er mich in eine Dusche, aus der ich mich aber befreien konnte. Ich weinte und weinte, fühlte mich alleine, rief meine Mutter, die Amelie und die Isabel an, doch alle hatten keine Zeit, niemand konnte mich abholen. Ich war dermaßen am Ende, dass ich auf das Dach ging und herunterspringen wollte. Andi stand direkt daneben und ich fragte ihn: „Dir liegt nichts mehr an mir, gar nichts, du versuchst mich nicht einmal davon abzuhalten, wenn ich springe, oder?“ Daraufhin sagte er: „Nein, spring, du bist mir egal, ich interessiere mich nicht für dich.“ Dann hörte ich noch die Stimme von Amelie, dass ich mein Leben nicht wegwerfen solle wegen ihm, er sei es nicht wert. Aber ich sprang und wachte in diesem Moment auf. Ich interpretierte den Traum so, dass ich wahrscheinlich eine große Angst davor habe, ihn nicht zufrieden zu stellen, weil er doch immer will, aber ich nicht. Dann kam etwas ziemlich Heftiges am Telefon zurück:
„Deine Angst ist berechtigt, meine Liebe“, sagte er wörtlich. Daraufhin konnte ich erst einmal nichts sagen und war sehr überrascht.
„Du weißt schon, dass sich das jetzt so anhört: Ich will immer vögeln, aber die blöde Kuh eben nicht.“
„Die blöde Kuh will ja auch nicht!“
Eine Welt brach für mich zusammen, ich sackte erst einmal auf den Boden und war platt, baff. Aber ich hatte mich nicht verhört. Er verstand erst gar nicht, was er gesagt hatte, erst, als ich nichts mehr sprach, daraufhin entschuldigte er sich zwar und meinte, dass er ein Idiot sei, aber was gesagt war, war gesagt worden und nicht mehr rückgängig zu machen. Das Gespräch war somit beendet und ich betrank mich einmal wieder.
Verdammt, ich glaube, dass ich in letzter Zeit sehr viel trinke. Ich glaube zu viel. Es ist nicht mehr nur ein Bier am Abend, es ist mehr geworden. Von der einen Sucht in die andere. Scheiße, verdammte Scheiße. Nachts schlief ich nicht sonderlich gut und heute war ein grauenhafter Tag. Wir schrieben Mathe und Französisch, beides verhauen. In der Pause kam mein Scheiß-„Freund“ dann zu mir, so, als ob nichts gewesen sei. Ich ging einfach weg, konnte es nicht ertragen. Ich ging zu Thomas, Tim, Toddi und Edi. Andi suchte mich nicht einmal, aber wahrscheinlich, weil Isabel und Amelie mit ihm redeten, in der Aula. Einer seiner Freunde, den alle Ässel nennen, kommt jede Pause mit, benimmt sich wie ein Kind und möchte nicht, dass Andi mit mir redet, dann zieht mich Andi zu sich und es ist ein ständiges Hin- und Hergeschubse. So geht das nicht weiter, auf gar keinen Fall. Ich hasse alles so, alles, ich nehme seit einer Woche Tabletten, gegen Depressionen, weil ich es nicht aushalte, ich trinke und trinke, jeden verdammten Tag und wenn es nicht anders geht, trinke ich eben noch mehr. Ich weiß, dass es falsch ist, aber sollte ich etwa etwas anderes machen, mich umbringen, härteres Zeug nehmen? Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Zu Hause wird es niemals besser, Montags stritten sie wieder ganz heftig, ein Glück, dass wenigstens Andi da war. Es hörte sich so an, als ob Stühle umfallen, Türen knallten, das Ofengitter klirrte und Mama schrie herum. Mein Vater, das Schwein, ändert sich nicht und sie zieht nicht die nötigen Konsequenzen, mich sollte es nichts angehen, aber ich kann nicht anders, es sind meine Eltern, meine Mama, die ich liebe, Schule läuft nicht prickelnd, ich lerne viel, aber heute wusste niemand, dass wir etwas schreiben. Meine Mutter meinte wieder, ich würde nicht lernen, seit ich meinen Freund hätte, da er viel zu oft bei mir sei. Zwar nur Freitags, weil wir Tanzkurs haben und evtl. noch Sonntags und an meiner Party eben. Aber ist schon okay. Auf dem Weg, auf dem ich mich befinde, gibt es zwei Seiten, die eine ist ein harter, schmerzlicher Kampf, die andere ist dunkel, aber frei, diese Seite steht dafür, dass ich auch die Option hatte, mich gehen zu lassen, nicht zu lernen, saufen, Drogen nehmen und irgendwann daran zugrunde zu gehen. Wie gesagt, ich weiß nicht, wie es weitergehen soll, das weiß ich schon lange nicht mehr. Aber eines weiß ich, dass ich leben und nicht leiden möchte, aber egal, was ich mache, es ist ständig ein Leid und die Angst ist da, ich will nicht mehr, ich bin müde und oft bezweifle ich, ob ich überhaupt noch glücklich werden kann in diesem Leben.
Tagebuch vom 05.10.–09.10.05
Heute ist Sonntag und ich bin krank. Mir geht es richtig schlecht, aber wahrscheinlich kommt das größtenteils vom Psychischen. Die Woche verlief nicht besonders gut, sie war schrecklich. Mars und ich vertrugen uns wieder, er rief mich Dienstag Abend an und entschuldigte sich mehrmals bei mir. Ich war auch noch so blöd und nahm dies an, muss ich jetzt im Nachhinein gestehen. In der Schule bekam ich dann am Freitag in Physik und in Französisch meine ersten zwei Vierer heraus und war, ehrlich gesagt, ganz schön fertig. Mittwoch morgens begann ich die Pille zu schlucken, jetzt da wir uns doch wieder vertragen hatten, übernachtete ich von Freitag auf Samstag bei ihm, da wir Abends noch auf der Geburtstagsparty vom Benni waren. Und ab jetzt beginnt die eigentliche „Geschichte“. Wie auch letzen Freitag war wieder Tanzkurs und es war richtig spaßig. Mit Andis Schwester Hanna und seinem Bruder Matthias verstehe ich mich richtig gut – ein Grund für Andreas, wieder auf mich sauer zu sein und mir Vorwürfe zu machen. Später auf der Party war es auch wunderschön. Benni hatte die Wohnung für sich und Tim, Thomas, Toddi, Jo, Angi waren unter anderem auch wieder da. Es gab eine Art Eintopf mit Brot, was wirklich gut war. Ich trank nach dem Essen ziemlich schnell einige Flaschen Bier, wahrscheinlich, weil mein Tag in der Schule schlecht gelaufen und ich nicht richtig glücklich mit Andi war. Ich gab mich des Öfteren mit Thomas ab und merkte, dass es mir bei ihm besser gefiel, als bei meinem Freund. Ich tanzte kurz mit Thomas eng umschlungen zu einem sehr gefühlvollen Lied, setzte mich noch auf seinen Schoß und umarmte ihn ab und an. All das bekam Andi mit und war richtig wütend auf mich, was ich zugegeben etwas verstehen kann. Benni fragte mich, was Andi denn hätte und ich erklärte es ihm. Er meinte dazu, dass ich ihn doch auch umarmen würde und er könne das nicht so ganz nachvollziehen, weil ich nicht ständig nur bei den anderen bin. Genau das meinten Amelie und Isabel auch – es ist nicht so tragisch und die Hälfte der Zeit bin ich bei Andi, aber kann mir andauernd sein Gejammer anhören, dass ich ihn nur alleine lasse und überhaupt nicht mit ihm reden würde und wie sehr ich ihn doch damit verletze und so weiter – kurz – ich bin „ständig böse“ zu ihm. Ich wollte nicht, dass er wütend oder verletzt war an diesem Abend, daher sprach ich mit ihm draußen auf dem Balkon. Doch es ging weiter mit Vorwürfen und ich hätte den vierten Stock hinunterspringen können, weil ich keine Lust mehr hatte – auf gar nichts, nicht auf mein Leben, nicht auf meinen Freund. In meinem Zustand machte ich mich auch noch selbst fertig vor ihm, sodass er etwas mitleidig wurde und wir uns wieder verstanden. Der Abend war dann noch sehr lustig und ich verstand mich so gut mit allen, aber wer machte es kaputt, mein toller Freund. Trotzdem feierte und tanzte ich weiter mit Benni und Thomas. Es war sehr amüsant für beide, denke ich. Da ich angetrunken war, begann ich anscheinend sehr sexy zu tanzen. Ich hatte über meinem T-Shirt noch eine Weste an und zog diese dann irgendwann zu einem passenden Lied wie eine Stripperin aus. Im Nachhinein peinlich, aber lustig. Andi hatte dann Angst, dass ich noch mehr ausziehen würde, schaute mich etwas entsetzt an, nahm mich und versuchte mir meine Weste wieder anzuziehen, das klappte aber nicht. Um halb eins liefen wir zu ihm nach Hause, er hatte mal wieder „Bauchschmerzen“. Ich denke, bzw., es ist mir aufgefallen, dass er diese „Bauchschmerzen“ immer bekommt, wenn er Aufmerksamkeit von mir haben möchte. Mittlerweile war ich wieder etwas ausgenüchtert, was auch an der frischen Luft lag. Viertel nach eins waren wir zu Hause und als wir im Bett lagen, machten wir miteinander rum und zogen uns gegenseitig aus und dann tja, dann passierte es einfach. Es war schrecklich, wirklich furchtbar, es hatte nichts von Romantik und war nicht gerade leidenschaftlich oder zärtlich. Die ersten drei Sekunden tat es unglaublich weh, aber danach gar nicht mehr. Man merkte seine Unerfahrenheit. Sein Schwanz rutschte ständig ganz raus und drei Mal bekam er ihn ohne Hilfe seiner Hand nicht rein, wie peinlich. Es flutschte richtig und ich musste einfach lachen. Nach über zehn Minuten fühlte ich mich total blöd. Es war so, als ob ich neben mir, das heißt uns stünde, mir zuschauen würde und einfach nur kopfschüttelnd und mich wundernd sagen müsste, dass es nur falsch ist. Ich lag so da, er über mir, wie ein Karnickel und vögelte mich völlig mechanisch und von Liebe oder Vertrauen war keine Spur mehr. Zwischendurch wechselten wir die Position. Dabei ging es natürlich raus und wieder rein und wieder ganz raus und so weiter. Er war so ungelenkig und steif, bewegte sich, als ob ich eine Gummipuppe wäre. Es war grauenhaft. Und ich kam und kam nicht zum Höhepunkt. Dauert das bitte so lange und ist das so unendlich langweilig und lieblos? Ich hatte auf gut Deutsch keine Lust mehr und zum Schluss, bevor ich abbrach, kann ich nicht sagen, dass er auch nur in irgendeiner Weise vorsichtig war, obwohl ich ihm das vorher klarmachte. Er schob sein Ding irgendwie rein, schob die Sache praktisch schnell hin und her und ich lag relativ geschockt und teilnahmslos unter bzw. über ihm. Nicht nur dass es lieblos war, es kam mir brutal vor, aggressiv, fordernd, aber nicht leidenschaftlich fordernd, sonder brutal und rücksichtslos. Ich drehte mich also weg und seine letzten Worte waren: „Wenn wir bei dir sind, machen wir das mal richtig.“ Er sagte das in einem herablassenden Ton. Gott, es war richtig grauenhaft und plötzlich wurde er einfach so aggressiv im Bett, ausgerechnet bei mir, bei meinem ersten Mal. Wenn wir bei mir sind? Super, das ging jetzt nicht, oder wie? Er drehte sich dann einfach auch weg, kümmerte sich nicht mehr um mich, holte sich zu guter Letzt auch noch einen runter und schlief einfach ein. Ich schlief die ganze Nacht nicht, bekam dann noch Kopfweh, vielleicht weil ich bei der „Sache“ einmal mit dem Kopf aus Versehen gegen die Wand geknallt bin. Super! Und mir war so übel, dass ich dachte, ich müsste gleich brechen. Ich hätte heulen können, das war mein erstes Mal. Hallo? Hilfe? Wieso ich? Andi war einfach nicht der Richtige, absolut nicht und sein Verhalten in jeder Hinsicht war katastrophal. Die Nacht ging es mir richtig schlecht, zudem fror ich noch und fühlte mich so gebraucht, benutzt und alleine. Was sollte ich denn nun tun? Weglaufen? Zu Amelie gehen? Am nächsten Morgen ging es mir auch nicht besser und neben mir lag ein Vollidiot, der wieder vögeln wollte und nicht verstand, dass es mir schlecht ging und ich Bauchschmerzen hatte. Er wurde plötzlich total anhänglich und wollte kuscheln. Oh Gott, dachte ich, nein, warum, wieso, ich hier? Kann das sein? Verdammt, und jetzt? Mitspielen, um hier nicht noch mehr kaputt zu machen? Ich benahm mich dann unmöglich. Ich kuschelte mit, ließ sogar noch zu, dass er mir mit der Hand unter mein Höschen ging und wollte ihm einen runterholen. Himmel! Bin oder war ich verrückt?! Ihm schien das zu gefallen, sehr, aber er wollte dann gleich wieder mehr, also wurde es nichts mit dem Runterholen. Gott sei Dank. Ich hatte ein ziemliches Blutbad veranstaltet, was man erst bei Tageslicht sah. Bettlaken, Matratzen und Überzüge waren mit Blut beschmiert. Ich bekam einen kleinen Schock und fragte mich, ob es normal ist, so stark zu bluten, selbst meine Unterhose, die ich mir später wieder anzog war noch voll. Richtig widerlich war auch das Kondom, dass direkt neben der Matratze lag, auf der ich schlief, als ich aufwachte, das heißt, als es begann hell zu werden. Mir kam es fast wieder hoch, es war schwarz und lag auf Augenhöhe. Ich ließ mir nicht viel anmerken, dass es für mich nicht gerade schön war, er fragte auch nicht, behauptete bloß, dass ich es genossen hätte. Natürlich, vielleicht in seinen Träumen. Dank ihm ist jetzt all meine Sexualität oder auch nur die annähernde Vorstellung an Sex ein Graus. Später beschwerte er sich auch noch, weshalb ich denn abgebrochen habe und er habe sozusagen nicht abgespritzt, weil dort ein leeres Kondom läge. Er hob es auch noch auf und bewarf mich zwei Mal damit, wie witzig. Ich schrie ihn darauf richtig an, dass er mit der Scheiße aufhören solle, mir reichte es wirklich. Ich hätte ihn aus dem Fenster schmeißen können. Gut, dass noch sein Bruder und die Hanna da waren, so konnte ich mich zumindest mit ihnen unterhalten. Wenn man denkt, es geht schon gar nicht mehr unmöglicher, dann kommt dennoch wieder etwas. Als ich unbedingt zur Amelie wollte und eigentlich gar nicht vorhatte, bei ihm zu frühstücken, war er damit natürlich nicht einverstanden und wollte, dass ich noch bleibe. Was tat er? – Er sperrte mich für ca. zwei Minuten in seinem Zimmer ein, fand das anscheinend okay und zeigte mir somit, dass ich anscheinend nicht gehen durfte. Ich war platt. Völlig platt, ich hatte keine Angst, ich hätte ja schreien können, aber ich tat es nicht und fragte mich nur, ob ich hier im Irrenhaus war. Ich versuchte so schnell wie möglich von da weg zu kommen, frühstückte schnell und Andi begleitete mich dann zur Amelie, bei der ich mich dann ausquatschen konnte. Plötzlich bekam ich auch noch Schnupfen und fühlte mich wie überfahren. Amelie kümmerte sich aber super um mich. Ich wurde ins Bett gesteckt, mit Wärmflaschen und bekam Essen. Um drei Uhr traf sich unsere Clique allerdings wieder in der Stadt. Ich redete kaum mit Andi und er ließ mich auch in Ruhe. Ich erzählte Katha und Vanessa ein wenig von dem, was geschehen war. Es ist kompliziert, entweder ich distanziere mich so, dass er die Möglichkeit hat, Schluss zu machen, oder ich sage erst einmal, dass ich eine Pause brauche. Beides ist aber schwer. Ich habe Angst, hinterher als Böse dazustehen und alle Kumpels zu verlieren, die mir so viel wert sind. Später telefonierten Amelie und Andi noch, natürlich hörte ich mit, was auch Sinn der Sache war. Selbstverständlich wusste er das nicht. Er mache sich ja solche Sorgen um mich, weil es mir nicht so gut ginge, aber ihm gehe es auch nicht sonderlich. Dann meinte er noch, dass ich eher die Passive im Bett bin und dass er mich gefragt hätte, wie es war. Was für ein Lügner! In der Stadt laberte er Amelie auch voll, dass ich ihn ja ständig alleine lassen würde. Ich saß genau daneben, also auffälliger ging es nicht. Amelie unterstützte mich natürlich. Ich bin so wütend auf ihn. Wir lösten uns aber bald wieder auf, da es mir nicht so gut ging und alle anderen waren ziemlich müde. Auf dem Weg zur Anja konnte ich dann kaum noch laufen und musste beinahe brechen. Zu Hause bekam ich wieder ein Rundumversorgungsprogramm von Amelie. Bevor sie mit Andi sprach, rief sie einfach so den Thomas an, dass er mich anrufen solle, was er auch machte. Ich sprach kurz mit ihm, dann nahm mir Amelie einfach das Handy weg und lief in die Küche, ich hinterher. Sie fragte ihn, ob er was von mir wolle und meinte, dass wir viel besser zusammenpassen würden und so weiter. Die Amelie eben. Er stritt ab, dass er an mir interessiert wäre, aber sagte zusätzlich, dass er grundsätzlich niemals einem Freund die Freundin ausspannen würde. Na ja. Was auch immer man darunter verstehen mag. Jetzt bin ich wieder zu Hause, was auch gut so ist. Mir geht es wieder etwas besser. Meiner Mutter allerdings nicht. Sie weinte heute, es war nichts Schlimmes passiert, aber es ändert sich eben kaum etwas in ihrem Leben und da kann ich sie auch verstehen, mir geht es ja auch nicht anders. Es geht den Bach runter und kurz wieder rauf, doch meistens eben hinunter. Ich schlief nach dem Spaziergang und Mittagessen fast vier Stunden, meine Ma betrank sich dann, schlief und jetzt ist sie hier oben bei mir, weil der Papa gekommen ist. Habe ich schon erwähnt, dass ich mein Leben hasse? So richtig tief und schlimm. Alles ist für den Arsch und ich werde immer wütender und wütender und irgendwann würde ich am liebsten jemanden umbringen, einfach so!
Tagebuch vom 10.10.–12.10.05
Ich hasse ihn, ich hasse ich, ich hasse ihn. Es hat so sehr geschmerzt, so unendlich oft, aber ich wollte es nicht wahrhaben, weil es perfekt sein musste. Das war es von Anfang an nicht. Ich bin ebenfalls wütend auf mich, da ich es habe weiterlaufen lassen, immer nach dem Motto: Lass es einfach auf dich zukommen! Es war falsch, ich könnte weinen, aus Zorn und ihn zusammenschlagen und anschreien. Diese Woche habe ich mich nur schwarz angezogen und schwarz geschminkt. Ich höre jeden Morgen ein melancholisches Hardrock-Lied und kehrte mein Inneres nach außen. Es geht mir gut dabei. Ich bin die gleiche Lena wie vorher und mache gerne viel für die Schule. Da unsere Klasse diese Woche auf Abschlussfahrt ist und ein paar, unter anderem auch ich, nicht mitgefahren sind, bin ich in der 10c untergebracht, wo ich auch einige Freundinnen habe. Ich kann also selbstständig für mich arbeiten und arbeite wie eine Blöde – aber es ist gut. Andi verstauchte sich leicht den Fuß und so sah ich ihn für zwei Tage nicht. Doch heute in der Pause schleifte mich einer seiner Freunde zu ihm hin, obwohl ich das nicht wollte. Mittlerweile möchte ich ihn nicht mehr sehen. Es tut weh und der nervt mich mit seinem kindischen Gehabe. Da er wegen seines Fußes Krücken hat, meinte er gleich, mich mit diesen stupsen zu müssen. Ich möchte das nicht, fühle mich richtig bescheuert dabei. Es reichte mir irgendwie und bevor ich ihn richtig anschreien würde, ging ich besser und das tat wiederum gut. Ja, ich laufe vor meinem Freund weg, der mich angeblich liebt, doch ich ihn nicht. Ich möchte so für mich sein, mein ruhiges Umfeld haben und nicht mit ihm konfrontiert werden. Heute Nacht träumte ich, dass er eine andere hätte, die von mir gar nichts wusste. Als wir aufeinander trafen, war es so schrecklich für uns, dass er uns beide so verletzen konnte. Ich rannte dann aufs Schulklo, wollte alleine sein und weinte und weinte. Als es besser wurde, tröstete ich seine Freundin, die es anscheinend noch mehr traf. Er stand nur auf dem Gang und verstand nicht, was er getan hatte, wie ein geistig Verwirrter. Es war so aussichtslos und die Tatsache, dass er es nicht einsah und sich kein bisschen schuldig fühlte, war für uns unverständlich. Dieser Traum erinnerte mich an jene, die von meinem Vater handelten, der auch niemals seine Schuld bekennen wird und einem bloß Vorwürfe macht. Bin ich etwa wieder an so jemanden geraten, unbewusst?
Tagebuch vom 13.10.–15.10.05
Ich habe mit Andi am Freitag Schluss gemacht. Ich habe ihn einfach angerufen und ihm gesagt, weshalb ich das mit dem Abstand gemacht habe und als ich ihn wiedersah, freute ich mich eben nicht, ihn zu sehen. Weitere Gründe wollte er gar nicht wissen. Er nahm es relativ gelassen, konnte es sich aber schon denken. Unser Gespräch war richtig gut und wir haben beschlossen, Freunde zu bleiben. Heute ist Samstag und unsere Clique traf sich bei Andi auf einen Videoabend. Alles war in Ordnung, keiner seiner Freunde hasste mich für das, was geschehen war, und es ist gut so. Ich bin erleichtert, so unglaublich erleichtert. Amelie ist auch wieder aus Nürnberg zurück, bei ihr war ich selbstverständlich als erstes. Gestern war Isabel bei mir, was auch sehr lustig war. Es läuft also super. Ich kann in die Stadt, in den Park, essen gehen mit Freunden und dabei bin ich glücklich. Ich habe gemerkt, wie die Momente, in denen ich glücklich und zufrieden bin, immer intensiver werden. Vielleicht auch mehr, ich weiß es nicht. Diese Woche habe ich keine Antidepressivtabletten genommen und abends brauchte ich auch keinen Alkohol. Vorhin hatte ich zwar wieder ein Tief, dachte an das Ritzen, aber das geht vorbei. Ich fühle mich etwas einsam und leer, ich spüre, wie ich ständig nach etwas suche, es aber nicht finde. Momentan ist es sehr stark. Ich weiß nicht einmal, was es ist. Liebe? Schmerz? Erfolg? Etwas Spirituelles? Ich bin mir nicht sicher. Es liegt wahrscheinlich an mir selbst. Doch was soll ich tun, damit ich es finde, oder nicht mehr am Suchen bin? Ich habe viele liebe Menschen um mich herum und doch fühle ich mich einsam und alleine gelassen. Ich habe diese Woche seitenweise meine Fächer geübt, eigentlich richtig hart für mich gearbeitet, aber ich komme mir so vor, als ob ich nichts geleistet hätte. Es geht etwas voran in meinem Leben, es ändert sich, nimmt seinen Lauf, jedoch fühle ich öfters, stehen zu bleiben.
Mein Vater setzte sich Donnerstag Nacht in die Küche und betrank sich, einfach so, um drei Uhr. Er hinterließ einen Zettel, er sei am Ende seiner Straße angelangt und wolle nicht mehr leben und dergleichen. Meine Ma weint fast jeden Tag, sie hätte so gerne eine Arbeit und nichts ändere sich in ihrem Leben, vor allem nicht ihr Mann und sie wäre doch so gerne glücklich verliebt. Ich würde ihr gerne helfen, nur wie? Eine Arbeit kann ich ihr nicht herzaubern, genauso wenig einen tollen Mann. Jetzt soll ich ihr aber bei der Arbeitssuche im Internet helfen. Mal sehen. Ich habe Angst, dass das Suchen hinterher bloß wieder umsonst war, so wie bisher. Ich will nicht mehr, ich habe keine Lust, nun gut, das schreibe ich oft, aber es ist so. Ich bräuchte etwas, das mein Leben auffrischt, auf keinen Fall ein Problem darstellen sollte, etwas, das mir Halt und Hoffnung gibt, was in meinen Augen perfekt ist. Ich bin wieder Single, es ist besser so, habe ich festgestellt, etwas traurig allerdings. Liebe sollte einen erfüllen, einem ein leichtes Lebensgefühl schenken. Bei mir war es noch nie so, ständig Sorgen dazwischen, nie perfekt. Ich habe in die Liebe so viele Hoffnungen gesetzt. Wie eine sanfte und doch starke Welle, die einen festhält und nicht loslässt, egal was kommt. Ich habe Angst, dass ich diese Ansichten verliere und aufgebe, somit alleine dastehe.
Tagebuch vom 16.–17.10.05
Heute ist Montag. Gott, mir geht es so scheiße, so verdammt erbärmlich und am liebsten würde ich tot umfallen. Alles ist mal wieder falsch, was ich heute mache. Alles ist einfach nur falsch, falsch, falsch. Wie soll ich denn mein Leben hinbekommen, wenn einem die eigenen Eltern im Weg stehen? Mein Vater interessiert sich sowieso nicht für mich, damit habe ich mich langsam abgefunden. Aber meine Mutter, dass sie mich so ablehnt und alles kritisiert, was ich tue, das ist hart für mich. Ich will alle umbringen, verzweifelt auf sie zielen, weinen mit einem jämmerlichen Blick. Ich könnte ihnen sagen: „Da steht sie, die Verliererin und hat plötzlich euer Leben in der Hand, so wie ihr meines all die Jahre in der Hand zerquetscht hielt.“ Ich würde sie aber nicht umbringen, sondern mich, um es zu beenden. „Wieso hast du dies nicht aufgeräumt, du hast doch sonst nichts zu tun!“, „Nein, du darfst an Halloween niemanden einladen, das sehe ich gar nicht ein, auch nicht nur ein paar!“, „Was hast du denn da für einen kindischen Scheiß mit der Amelie gemacht, das finde ich nicht lustig, du hättest in der Zeit lieber etwas anderes machen sollen!“ So geht das den lieben, langen Tag und nimmt kein Ende, jedenfalls ist nichts in Ordnung und dass ich den ganzen Tag lerne, bezweifelt sie auch. Und, oh mein Gott, sie nervt ja alles so und sie hat ja so unendlich viel Arbeit hier im Haus. Das respektiere ich ja eigentlich auch, aber nicht, wenn sie so tut, als ob ich nur herumsitzen würde und mich „gehen ließe“. Herrgott, sieht es denn niemand? Keiner? Was ich tue, dass ich einiges mache und fleißig bin? Ich kann mir hier nicht einmal erlauben, die Schlafzimmertür einen Spalt offenstehen zu lassen, ohne angemault und verwarnt zu werden. Ich muss ja perfekt sein, was ich aber nicht bin, da ich nicht „Roboter“ heiße. Kein Lob, kein Trost – nichts. Ich will trinken, so viel, dass ich an einer Alkoholvergiftung sterbe, oder Tabletten nehmen. Ich bin so unendlich einsam, alleine und verlassen. Ich kann nicht mehr, es geht nicht, ich hasse alles so. Nichts funktioniert, keine Beziehung, die Schule klappt nicht so, wie ich es gerne hätte. Langsam bin ich es sogar Leid, dies alles aufzuschreiben, da es immer und immer wieder das Gleiche ist. Keine Erfüllung, kein bisschen, es ist wieder kalt und dunkel, die Schere schreit regelrecht nach mir: „Komm, tu es, scheiß doch drauf!“ Ich weiß nicht, was heute Abend noch passiert, aber ich denke, es ist wieder soweit.
Tagebuch vom 18.–21.10.05
Ich habe mein Tief vom Montag gut überstanden und mir nichts getan. Die Woche war sehr anstrengend in der Schule, aber ich bin zum Glück damit fertig geworden. Mit einer Sache bin ich allerdings überhaupt nicht zurechtgekommen und diese Sache heißt Andi.
Ich hasse ihn einfach nur, ich empfinde weder Freundschaft noch sonst was, ich habe nur einen puren Hass auf ihn. Ich könnte Seiten damit beschreiben, wie wütend ich bin. All das hat natürlich einen Grund. Am Dienstag hatte er Geburtstag und in der Schule verlief alles noch in Ordnung. Am Abend jedoch rief ich ihn an, wollte wissen, wie es ihm geht, dann erzählte er mir, wie nett doch meine Freundinnen alle wären, von der Isabel hätte er die E-Mail-Adresse und er würde ihr schreiben, was er bisher am Tag mindestens drei Mal macht. Die Yvonne ist ja auch so unglaublich freundlich und mit ihr könne man sich doch ach so gut unterhalten und so weiter und so weiter. Wahrscheinlich will er mich nur eifersüchtig machen und erzählt mir dann solche Dinge. Dann kam seine zweite Phase „Ich ignoriere Lena“ und umarme vor ihren Augen ganz lieb und nett ihre Freundinnen und schmeiß mich auch noch gleich ordentlich an sie ran. Leider reagierte ich in seiner Gegenwart nicht darauf, aber tief in mir fühlte ich mich, vor allem am Donnerstag, wie ein explodierender Vulkan. Am Mittwoch kam nämlich Yvonne zu mir und meinte, wie schlimm es doch wäre, dass wir auseinander sind und ihn hätte es ja so getroffen, wir wären doch soooo süß gewesen und so weiter und so fort. Er hatte ihr anscheinend eine kleine Tragödie vorgejammert und nicht nur das, nein er erzählte all seinen Kumpels, ich hätte bloß die Beziehung beendet, weil ich ihn nicht mehr vermisst hätte. Ich hasse dieses scheißblöde, kindische Gehabe von ihm. Ich hätte ihn umbringen können, erwürgen, erschlagen, was auch immer. Aber es ging noch weiter. Es gehen einige seiner Freunde mit mir in Ethik, auch der Ässel, mit dem ich mich gut verstehe. Er fragte mich dann, weshalb ich wirklich Schluss gemacht habe und erzählte mir, dass der Andi meinte, dass er mich ja schon so oft gefragt hätte, was meine Eltern gearbeitet haben, weil wir ein großes Haus haben, doch ich hätte es ihm nie gesagt. Er hat mich danach niemals gefragt. Ich erzählte Ässel dann, dass mein Vater einfach einige Fleischfabriken besaß und dort eben der Chef war. Außerdem meinte mein netter Ex, dass wir heißen Sex gehabt hätten, was auch interessant zu wissen war, da es überhaupt nicht stimmte. Ich war auch wütend weil er so tat, als ob nie etwas zwischen uns gewesen wäre. In der Beziehung jammert er mir etwas vor, von wegen, er liebe mich ja so abgrundtief und er würde nicht über mich hinwegkommen. Und? Was ist nun? Kein bisschen, nichts. Er will mich nicht mehr, macht sich an meine Freundinnen sichtlich ran und lässt mich einfach links liegen, gerade so, als ob ich ihm völlig gleichgültig gewesen wäre und bin. Ich habe mich deshalb gefragt, ob er mich überhaupt je geliebt hat oder ob unsere Beziehung ein einziges Spiel war, eine einzige gelebte Lüge, die ich versucht habe, am Leben zu erhalten, obwohl es am Ende sowieso nicht mehr ging. Es ist furchtbar für mich, es tut weh. Meine Hoffnung und mein Glaube an die Liebe sind irgendwie ausradiert worden, etwas ist noch da, aber es ist winzig klein. Ich liebe ihn nicht mehr, für einige Zeit habe ich dies wohl getan, aber ich merkte immer und immer wieder, wie falsch es war, wie ich mich immer schlechter fühlte. Er war nichts für mich, das ist er nie gewesen und ich habe das zu spät bemerkt und mache mir Vorwürfe. Seine Freunde, die ja auch zu meinen geworden sind, lassen sich durch ihn anscheinend nicht beirren und gehen noch genauso mit mir um wie vorher, worüber ich sehr erleichtert bin. Meine Enttäuschung ist groß und Andi hat etwas von mir verlangt, wofür ich Feuer und Flamme war, als es dann missglückte wollte ich es zurechtbiegen mit reden und reden und reden. Es half nichts. Jetzt sehe ich in ihm meinen Vater etwas wieder. Sie sind sich doch gleich, obwohl ich das anfangs nicht bemerkt habe, oder bemerken wollte. Sie sind oberflächlich, grob, ignorieren Gefühle und wenn man ruhig und verständnisvoll versucht, mit ihnen über Probleme zu reden, streiten sie es ab, drehen es um und am Ende bekommt man nur noch übelste Vorwürfe zu hören, was man doch für ein schlechter Mensch ist. So war es. Mein Unterbewusstsein hat sich einen Jungen ausgesucht, der viele Eigenschaften meines Vaters hat und ich wollte versuchen, damit klarzukommen, um es auf irgendeine Art und Weise „gut“ zu machen. Mir sagen zu können, dass ich es wohl schaffe, mit solch einem Menschen auszukommen, der ihm stark ähnelt, es somit auch geschafft zu haben über dieses „Problem“ hinwegzusehen. Ich hoffe, dass ich nie, nie, nie wieder diesen Fehler mache, der so sehr schmerzt. Jetzt trage ich leider wieder viel Hass und Wut in mir und versuche sie herauszulassen oder sie zu unterdrücken. Was sich dann wiederum in meinen Träumen äußert. Jetzt weiß ich, was meine Träume bedeuteten, als wir noch ein Paar waren. Ich träumte doch fast jede Nacht, dass er mich entweder verlässt oder sich von mir abwendet. Das sind nun Tatsachen geworden. Er lässt mich alleine, mit meinem Schmerz, dass die Beziehung gescheitert ist, wir haben nicht ein einziges Mal darüber geredet und ehrlich gesagt, habe ich immer darauf gewartet, dass er mich vielleicht wiederhaben will oder zumindest etwas Traurigkeit zeigt. All das ist nicht so gekommen, vielleicht ist es aber auch gut so.
Jetzt zu etwas anderem. Thomas. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was zwischen uns ist, ob da überhaupt etwas ist. Wenn Andi nicht dabei ist, geht er viel offener mit mir um und ich fühle mich unglaublich wohl bei ihm, irgendwie ausgeglichen und ruhiger. Es ist schön, einfach nur neben ihm zu stehen, es ist angenehm mit ihm zu reden, wenn er mich anstarrt, bin ich verwirrt, aber es ist nicht so, als ob Andi mich angestarrt hätte, es ist friedlicher und gelassener. Er sieht überhaupt nicht gut aus, im Gegenteil, absolut nicht mein Typ. Er hat unreine Haut und immer einen roten Punkt auf der Nase, was aussieht wie Rudolph. Er ist groß, schlank und hat genau so lange Haare wie ich, schulterlang, was auch etwas beängstigend ist. Seine Augen sind grünlich, sie haben eine ganz eigenartige Farbe, er läuft ganz gelassen, so als ob er alle Zeit der Welt hätte. Ihn zu umarmen ist, als ob man die ganze Welt knuddeln würde, ihm tief in die Augen zu schauen ist, als ob man in ein weiches Bett fällt und zugleich den Sternenhimmel betrachtet. Es sind oft keine Worte nötig, nur die Anwesenheit, nur Blicke und dann spürst du eine Vertrautheit, die dich sanft umschließt und dich schweben lässt.
Ich bin seht gespannt, wie morgen die Party wird. Ich habe etwas Angst vor mir selbst, da ich mich rächen will, auf irgendeine Art. Auch wenn es jetzt überheblich klingen mag, aber wer so einen totalen Scheiß mit mir abzieht, der hat es eigentlich nicht anders verdient, als Abführmittel in sein Getränk zu bekommen … grins!
Etwas Schreckliches ist passiert. Meine Eltern waren heute essen, ich war nicht dabei. Als sie heimkamen, gab es wieder Streit. Ich saß gerade auf der Couch, in meiner Wohnung und schrieb den letzten Eintrag zu Ende, als meine Ma hereinkam und ziemlich wütend war. Bei dem Streit ging es darum, dass sie abends nach Hause kam und nach Rauch roch. Meine Ma geht immer Dienstags mit ihren beiden Freundinnen weg. Zu der Zeit spielt Papa normalerweise Tennis, aber manchmal kommt er eben früher nach Hause als sie. Jedenfalls wollte er ihr vorschreiben, dass sie abends einfach nicht auszugehen hat. Dann ging es noch um eine Jalousie, die zu weit oben war und wegen der er sie deshalb anmaulte. Sie stand dann einfach auf und kam zu mir. Meine Ma ging kurz in die Küche, sah, dass mein Mülleimer voll war und wollte ihn schnell runter in die Mülltonne in der Garage bringen. Sie lief also hinaus. Sie kam nicht gleich zurück, erst verstand ich das nicht, doch dann hörte ich Schreie, vor allem, wie sie meinen Namen verzweifelt rief, zwei Mal: „Lena! Lenaaaa!“ So schnell wie möglich rannte ich raus, lief in die Garage und sah gerade noch, wie er sie ins Gesicht schlug und sie festhielt. Ich schrie so laut es ging: „Sag mal, hast du sie noch alle! Lass sie los, du verdammtes Arschloch!“ Er ließ sie erst nicht los, bekam aber durch mein Geschrei einen Schrecken. Ich ging, so weit es möglich war, dazwischen, dann packte er mich fest am Arm, ließ mich aber los, nachdem ich wieder geschrien hatte und ihn voller Hass und Wut ansah. Er ging zur Seite, wollte zur Mama. Sie war stehengeblieben, wahrscheinlich vor Angst. Er drückte sie erst an sein Auto, das rechts stand und dann an ihr Auto, das links stand, da sie vor ihm fliehen wollte. Ich schrie ihn erneut an und er richtete seine Aufmerksamkeit auf mich. Schnell nahm meine Ma ein kurzes Holzstück, das am Boden lag. Sie schrien sich an: „Du Sau hast mich geschlagen!“
„Nein, habe ich nicht, du bist doch psychisch krank und deine Tochter auch!“
„Nein, du hast mich nicht geschlagen, genauso wenig, wie du mich in der Badewanne ertränken wolltest, als die Lena in D. war!“
Ich schrie dazwischen und war eigentlich völlig verängstigt. Ich zog die Mama aus der Garage, doch er wollte von vorne die Tür zumachen, hatte auch schon die Hand auf dem Griff, doch ich war bereits mit einem Bein draußen, sodass ich die Tür mit aller Wucht aufschlug und er uns nicht einfach einsperren konnte. Er hatte Mamas Aktenkoffer aus dem Auto gestohlen, sie wollte natürlich ihren Schlüssel wiederhaben, doch er bestritt wieder einmal alles. Im Haus liefen wir schnell in die Wohnung, suchten bei mir oben Mamas Autoschlüssel, fanden ihn aber nicht. Es war sicher, er hatte ihn. Er kam jetzt auch hinterher und sie brüllten sich wieder kurz an, es ging um den Schlüssel. Er meinte, sie wäre verrückt, eine Alkoholikerin, wüsste selbst nicht mehr, wo sie den Schlüssel verlegt hätte. Ich wollte meine Mutter in Sicherheit bringen, da er in voller Rage war und schob sie in meine Wohnung rein, es war allerdings zu spät, um mich auch noch schnell in Sicherheit zu begeben und die Wohnungstür abzusperren. Er war auf dem Gang, ich zwischen Gang und Tür und meine Ma direkt hinter mir, in der Wohnung. Er kam mit schnellen Schritten hinterher, ein Glück, das sie in der Wohnung war, dachte ich nur. Er wollte natürlich zu ihr, sie schlagen, aber ich stellte mich fest vor die Tür, ließ ihn nicht rein und schrie wieder: „Geh, hau ab, verschwinde, geht jetzt, du hast kein Recht, hier zu sein!“ Er daraufhin: „Ich habe das Recht, hier zu sein, es ist mein Haus!“
„Nein, ist es nicht, es ist meines und das weißt du auch, geh jetzt, verschwinde sofort!“
Er ging nicht, bat uns noch „dringlichst“ auszuziehen, drohte uns, er würde uns umbringen. Dann packte er mich wieder am Arm, ganz fest, es tat weh, ich wollte mich losreißen. Er schlug einfach so um sich, traf mich am Oberarm und dann wollte er mich ins Gesicht schlagen, ich wich aber noch so mit meinem Kopf aus, dass er mich nur an der Lippe traf, die jetzt rechts etwas geschwollen ist und ganz leicht blutete. Er ließ mich nicht los, meine Mama schrie auf ihn ein, wurde in ihrem Ton immer wütender, da er mich auch noch schlug. Meine Ma, als ob sie das schon erahnt hätte, nahm dann diese kleine Latte, drängte sich von hinten an mir vorbei und schlug ihm auf den Ellbogen, schrie, dass er mich in Ruhe lassen solle. Alles ging wahnsinnig schnell. Er ließ trotzdem nicht ab, ich hatte Angst, sein Druck war sehr grob und fest. Er zerrte mich wieder hin und her, dann trat ich ihn mit dem Fuß in seine Weichteile, endlich ließ er los, zuckte zusammen. Ich merkte, wie meine Hand und mein Arm schmerzten, an dem er mich besonders fest gepackt hatte. Meine Ma forderte ihn ebenfalls mehrmals auf zu gehen, sie schubste ihn leicht zur Seite, damit er nicht mehr auf mich losgehen konnte. Er ging nicht, redete und redete immer weiter, doch ich ließ ihn nicht mehr ausreden, machte es genauso, wie er es immer mit uns tat. Ich schrie mit voller Lautstärke und in allem Ernst: „Geh!!! Jetzt!! Ich sagte jetzt!!“, das rief ich mindestens sieben Mal und er rührte sich nicht, es kamen immer nur Vorwürfe, Mama stieß ihn dann in Richtung Treppe, damit er verschwinden sollte. Endlich ging er, endlich und meinte: „Ich gehe ja schon freiwillig.“ Ich wollte sogar schon die Polizei anrufen, von meinem Handy aus, weil er nicht aufhörte, ich hatte wieder solche Angst. Es ging selbstverständlich weiter. Wir schlossen uns ein, doch er versuchte ständig reinzukommen, meinte, ich solle ihm aufsperren. Nachdem er einige Zeit unten gewesen war, wollte Mama nachschauen, ob der Schlüssel vielleicht unten in der Garderobe in einer ihrer Jackentaschen ist. Allerdings ging ich dann, um das nachzuprüfen, ich wollte nicht, dass sie wieder runtergeht. Er kam erneut dazu und ich fragte ihn ganz ruhig, wo der Autoschlüssel ist, dass er ihn mir bitte geben solle. „Nein, ich habe ihn nicht, das schwöre ich bei meinem Leben und deinem auch, sonst würde ich auf der Stelle hier tot umfallen.“ Sie kam die Treppe ein kleines Stück runter und schrie ihn an, es brachte nichts. Er hatte ihn zwar ganz sicher, aber es war ja immer dasselbe. Ich nahm Mama mit hoch, wir sperrten uns wieder ein. Er ging unten ins Wohnzimmer zurück. Als es still war, wollte ich den Schlüssel für die Mama suchen, doch gerade, als ich hinunterlaufen wollte, ging er die Tür zur Küche hinaus, lief zielstrebig zur Garderobe und ich sah, von meinem Geländer oben, an dem ich stand, wie er den Autoschlüssel aus Mamas brauner Jackentasche nahm. Er wusste also natürlich doch, wo er war. Ich lief wieder die Treppe zu ihm hinab, meine Ma auch, da sie das mitbekam. Er stand da, mit dem Schlüssel in der Hand, und tat so, als ob er ihn gerade hätte hochlegen wollen, als er mich sah. Mama war natürlich extrem wütend. Außerdem hatte er ihr das Testament genommen. Ich nahm ihm ganz einfach den Schlüssel aus der Hand, so schnell ich es nur konnte, nahm Mama und ging hoch. Er, wie auch anders, folgte uns. Wir waren aber rechtzeitig oben, sodass ich absperren konnte. Er stand wieder an der Glastür. Ich sollte doch aufmachen und vernünftig sein. Er habe den Schlüssel nicht gehabt. Ich forderte ihn wieder auf zu gehen, ganz ruhig. Er ging nach einigen Mahnungen.
Meine Ma erzählte mir dann noch, dass er versucht hat, sie zu ertränken, als ich in der Schweiz war. Ich wusste es doch, so unzählige blaue Flecken und plötzlich Neurodermitis. In dem Moment fühlte ich mich so schlecht, so hilflos, dass ich hätte zusammenbrechen wollen. Er ließ Wasser in die Wanne laufen, zerrte sie in die Badewanne, drückte sie unter Wasser. Sie konnte sich natürlich kaum wehren, da er viel stärker war und ihr die Beine wegstieß, damit sie nicht mehr stehen konnte. Sie zog aber den Stöpsel heraus, damit das Wasser abfließen konnte. Ein Glück!!! Sie versuchte sich zu wehren, und er schlug auf sie ein. Dann meinte sie, dass er sie lassen soll, da ich doch noch eine Mutter brauche. Anschließend ließ er sie dann in Frieden. Bei ihrer Freundin Katja ließ sie noch Fotos machen, von all den Prellungen und Wunden. Ich wollte in diesem Moment sterben, einfach sterben, als sie mir das stotternd und zitternd unter Tränen sagte.
Wir beschlossen heute, dass wir zur Polizei gehen, gleich morgen früh und Anzeige erstatten, wir halten das nicht mehr aus, es geht nicht mehr. Selbst wenn er uns androht, uns umzubringen, es ist vorbei, Schluss, hatte nie einen Sinn und wird niemals einen haben. Es ist nicht leicht, gar nicht, ich hasse ihn so sehr, elendiger Schinder. Ich kann kaum noch atmen und mein Kopf schmerzt so unglaublich. Ich will ihn töten, alle Finger einzeln abhacken, ihm seinen Schwanz zerstückeln und ihn verbluten lassen. Tja, lauter schöne Vorstellungen, aber nicht machbar, nicht für mich. Meiner Mutter geht es schlecht, schlechter noch als mir. Sie weint und weint, kratzt sich bald die Finger wund und liegt auf meiner Couch, so elendig und verzweifelt, dass alles so endlos sinnlos erscheint. Ich habe Angst, große Angst. Er darf sie nicht umbringen, wieso tut er das bloß? Warum? Weshalb verletzt er sie körperlich und seelisch so sehr? Das kann doch nicht sein. Ich fürchte mich so sehr, dass die Polizei nichts machen kann, oder uns nicht glaubt. Falls das Gericht eine einstweilige Verfügung für uns erlässt, dass er sofort raus muss, was ist, wenn er uns dann aber irgendwo auflauert, das Haus ansteckt? Ich habe Angst, aber ich gebe nicht auf, selbst wenn ich am Ende zu Grunde gehe, sterben würde. Ich werde kämpfen, wenn nicht für mich, dann für meine Mutter und für ein freies Leben. Im Prinzip tue ich es dann auch für mich. Amelie hab ich schon Bescheid gesagt, die dann der Rückbert gemailt hat, aber leider konnten wir nicht telefonieren, weil ja meine Ma da ist. Isabel rief mich auch an und fand durch Ja- und Nein-Fragen heraus, was los war. Ich habe Angst, so schreckliche Angst. Mir ist schlecht, richtig übel. Ich muss es durchstehen, ich muss, aber fühle mich, als ob ich kurz vor dem Umkippen wäre. Bitte, bitte, bitte, lieber Gott, höhere Macht, was immer, sei es das Glück oder ein guter Geist, beschütze uns und unser Haus und vor allem, tue etwas, dass die Polizei eingreift, dass wir dann nicht mit Nichts dastehen. Ich kann kaum noch mehr, weiß nicht, ob das mein letzter, schlimmer Kampf ist, wenn nicht, falls es noch schlimmer wird, weiß ich nicht mehr weiter. Ich kann das Leid hier nicht mehr ertragen. Es ist so unvorstellbar grausam und ungerecht.
Später klopfte er wieder an die Tür, er meinte, dass ich aufmachen sollte, wie immer und sagte: „Lena, mach auf, sei vernünftig, bitte, mach jetzt auf. Ich blute, ich brauche einen Notarzt, ich muss in die Klinik.“ Als sich nichts rührte, ging er wieder. Er blutete kaum und wollte nur, dass wir ihn reinließen. Er nahm sogar noch den Schlüssel von dem Kinderzimmer, sodass die Mama nicht einmal mehr dort schlafen konnte. Sie war so aufgebracht und ging runter ins Wohnzimmer, wo er auf der cremefarbenen Couch saß und ich kam natürlich hinterher und zitterte vor Angst. Er gab den Schlüssel nach mehreren Aufforderungen nicht her und meinte: „Nein, nein, nein, das mache ich nicht, nein, ich gebe ihn erst später her, nein!“, und meine Ma brüllte ihn weiter an, er wäre krank und verrückt und sollte gefälligst den Schlüssel hergeben. Er tat es nicht. Meine Ma schlief die Nacht bei mir, was sowieso besser war.
Tagebuch vom 22.–23.10.05
Sie haben ihn abgeholt! Endlich! Er darf jetzt für eine Woche nicht ins Haus oder in unsere Nähe, auch keinen Kontakt zu uns aufnehmen oder zum Beispiel mir an der Schule auflauern. Meine Ma ging gestern alleine zur Polizei und erzählte denen, was Sache ist. Ich war zu dieser Zeit bei Amelie und später auf der Geburtstagsparty von Andi, die ganz ok war. Meine Ma rief mich zwei Mal an und erzählte mir kurz, was passiert war. Ich weinte vor Erleichterung. Jetzt beginnt ein harter und langer Kampf. Ich bin so unglaublich zornig und wütend auf ihn. Mein ganzer Hass kommt jetzt richtig hoch, ich kann es mir nicht einmal erklären. Es ist so hart, ständig muss ich weinen. Unsere Schlösser sind jetzt erst einmal ausgewechselt und unser großes Tor ebenfalls umgestellt. Ich übernachtete nicht bei Amelie, wie geplant, ich wollte bei meiner Ma sein. Wir redeten in der Küche noch bis fast ein Uhr, über das, was passiert war. Die Polizei nahm ihr Protokoll auf und reagierte sofort, sie waren anscheinend sehr freundlich. Wenigstens etwas, das in unserem Rechtssystem funktioniert. Da mein Vater einen Elektroschocker, eine Schreckschusspistole und eine Schrotflinte besitzt, kam ein Mann mit einer kugelsicheren Weste ins Haus, ein Polizeihund war auch dabei. Mein Herr Vater war natürlich nicht da – wieder Tennis spielen, obwohl er doch am vorigen Tag noch „in die Klinik“ musste. Mama packte seine Sachen, sodass er erst gar nicht mehr ins Haus musste. Die Polizei nahm ihn dann anscheinend direkt vom Tennisplatz mit. Hoffentlich war das eine Demütigung für ihn und ein schöner Schock. Er kam aber anscheinend freiwillig mit, denn seiner Ansicht nach hatte er sich ja sowieso nichts zu Schulden kommen lassen und bestimmt erzählte er der Polizei auch, dass wir psychisch krank seien und sonst noch was. Ich will mir das gar nicht vorstellen, sonst könnte ich ausrasten vor Wut. Wie bösartig dieser verdammte, scheißdumme Kerl sein kann, und wie er keine Reue zeigt, nichts, keine Moral, so etwas ist unbegreiflich für mich, da bin ich sicherlich nicht die Einzige. Sogar vom Präsidium aus musste er meine Mama noch schikanieren. Er ließ extra anrufen und eine Liste mit Dingen durchgeben, die der ach so wichtige Herr ja für seine tollen Geschäftsreisen braucht. Obwohl er gar kein „Geschäftsmann“ mehr ist. Und wie lächerlich – meine Mutter solle bitte keine Unterlagen verbrennen – ich könnte diese Kreatur zusammenschlagen! Jetzt wird er sich sicherlich einen Anwalt nehmen, für schön viel Geld, dem er das arme, unschuldige Lämmlein vorspielt. Aber nicht mit uns, ich habe es so satt, diese elendige Ungerechtigkeit ertragen zu müssen. Es ist Schluss, Aus, Ende! Ich weiß, dass ich ohne meine Wut im Bauch und meinen Frust und Hass, die sich durch alles ziehen, nicht die nötige Kraft hätte, um weiterzumachen. Mir fällt es schwer genug. Meiner Ma geht es nicht sonderlich gut. Sie ist mit den Nerven am Boden und erschöpft, hat Zweifel und Angst. Gleich morgen ruft sie die Staatsanwältin an und geht zum Arzt oder zur Polizei, um Bilder machen zu lassen, da sie wieder viele blaue Flecken von gestern hat. Ich muss auch noch bei der Polizei aussagen, das werde ich gerne tun. Denen erzähle ich mal, was er uns all die Jahre angetan hat und was für einen Dreck der am Stecken hat, dieser Widerling. Bestie, elendige, ekelhafte Bestie. Um die Schule muss ich mich natürlich auch noch kümmern, obwohl ich gar keine Lust darauf habe. Ich könnte den ganzen Tag nur schreiben. Es ist so viel. Mein Kopf ist irgendwie überfüllt, kommt nicht mehr klar, wie bereits erwähnt, ich muss andauernd weinen. Schon Kleinigkeiten sind Auslöser, so wie Mathe, aber wahrscheinlich nicht der Hauptgrund. Wenn doch nur alles andere glatt laufen würde, von selbst, aber um alles muss man sich Sorgen machen und oft denke ich wirklich, dass ich jeden Moment zusammenbrechen müsste! Ich muss es durchstehen, mit meiner Mama, ich muss!
Tagebuch vom 24.10.–01.11.05
Erst einmal weiß ich kaum, wo ich anfangen soll. Es ist so schwer. Ich hasse mein Leben immer noch, obwohl es jetzt wohl gerade erst anfängt. Er darf immer noch nicht ins Haus, zum Glück. Am Donnerstag, den 27., mussten wir ins Amtsgericht nach M., wegen der einstweiligen Verfügung. Günter und Katja haben uns begleitet, zum Glück. Diese Verhandlung fand nicht in einem richtigen Gericht statt, sondern in einem Büro, bei einem Familienrichter, der aber ganz in Ordnung war. Ich war unglaublich aufgeregt und die Mama auch, ich hatte irgendwie Angst, Angst vor ihm, davor, dass wir es nicht schaffen würden, weshalb auch immer. Ich wollte nicht mehr, hatte keine Lust mehr. Wir fuhren einen Aufzug hoch und als die Tür aufging, wurde mir schwindlig und schlecht. Vor den vielen Zimmern stand im Gang ein Tisch mit ein paar Stühlen, dort saßen dann Günter, Katja und ich. Als Papa mit seinem Rechtsanwalt die Treppen hoch kam, saß ich mit dem Rücken zu ihnen, aber ich konnte ihn sehen, da an der Wand ein Bild hing, das durch das Glas spiegelte, aber ich drehte mich nicht um, sagte kein Wort, blieb so ruhig wie möglich sitzen. Mama ging dann auch mit ihrer Rechtsanwältin, die sehr nett war, in dieses Büro, der Richter lief uns davor auch schon über den Weg. Als dann alle drin waren, fing ich an zu weinen, ich fühlte mich so alleine mit meiner Angst und konnte meiner Ma gar nicht beistehen. Allein schon seine Anwesenheit machte mich bereits fertig. Sein Anwalt war eher jung, so um die dreißig, machte einen „Makler“-Eindruck. Wir drei saßen dann draußen und die beiden versuchten mich immer abzulenken und redeten viel mit mir, wofür ich sehr dankbar war. Es dauerte eine Ewigkeit und schien kein Ende zu nehmen, immer hörte man, wie meine Ma schimpfte und mein Dad wie immer zwischen rein redete, dann griff der Richter ein und es war kurz wieder Ruhe. Was genau sie sagten, hörte man leider nicht. Normalerweise möchte man Jugendliche bei so etwas immer raushalten und im Prinzip hätte ich nicht unbedingt mitgemusst, aber ich wollte ja, was auch gut so war. Nach über einer Stunde holte mich der Richter noch in sein Büro. Ich ging in das Zimmer, links saß mein Vater mit seinem Anwalt, rechts meine Ma mit ihrer Anwältin, an jeweils einem kleineren Tisch, davor war der große Schreibtisch des Richters. Er drehte mich zu sich hin, sodass ich nur ihn anschauen konnte. Ich merkte, wie mein Herz klopfte und wie meine Backen ganz heiß und bestimmt auch rot wurden. Beim Hineinkommen sah ich niemanden, außer den Richter, genau an, was, denke ich, das Beste war. Ich wusste aber genau, dass sie mich alle anschauen würden, besonders mein Vater und sein Anwalt, der etwas schräg, genau in meinem Rücken saß. Ich hätte nicht aussagen müssen, tat das aber natürlich. Ich erzählte wie es war und der Richter diktierte das auf sein Tonband. Zwischendurch redete mir mein Vater immer wieder rein, was aber klar war. „Lena, du stehst hier vor Gericht, du weißt schon, dass du hier die Wahrheit sagen musst!“, oder: „Lena, das stimmt doch überhaupt nicht, wieso lügst du denn!?“, „Deine Mutter hat doch mich geschlagen mit dem Holzbalken und du standest noch daneben und hast einfach so zugeschaut, da habe ich dich doch noch gefragt, wie du das nur mit ansehen kannst!“
So etwas durfte ich mir dann anhören und sein Anwalt stellte mir wirklich die blödesten Fragen, so als ob er mir nicht zugehört hätte. Er wollte mich damit verwirren und verunsichern, ganz klar, aber nicht mit mir. Jedenfalls hörte mein Vater nicht auf, dazwischenzuquatschen und die üblichen abfälligen Geräusche von sich zu geben. Ich konnte nicht mehr, ich war so wütend, am liebsten hätte ich den Stuhl genommen und ihn auf diesen Drecksack draufgeschmissen. Hat er sie denn noch alle? Ich bekam Tränen in die Augen, weil ich es einfach nicht verstehen konnte, wie jemand, der auch noch mein Vater ist, so lügen kann und einen so runtermacht. Der Richter sah das, stellte dann nur noch ein paar Fragen und meinte dann, dass wir das mit mir jetzt beenden. Dann ging ich wieder mit meinem Stuhl alleine raus an den Wartetisch. Ich musste ziemlich weinen, es war einfach hart gewesen da drin, anders kann ich es nicht ausdrücken. Ich wusste ja genau, was mein Vater und der Anwalt dachten, ich konnte diese Anspannung fühlen und mein Vater, der wie immer keine Reue zeigte und einen wieder als blöd darstellte, habe ich so satt. Günter nahm mich dann in den Arm und gab mir ein Taschentuch. Es dauerte noch einige Zeit, bis sie rauskamen. Meine Ma schien im ersten Augenblick erleichtert gewesen zu sein, er und sein komischer Rechtsverdreher gingen sofort und das war es. Danach gingen wir vier noch nach M. in die Stadt und tranken erst mal etwas.
Mama erzählte, was er alles vor Gericht brachte und als wir noch im Amtsgericht waren, meinte die Anwältin sogar, dass sie so einen Rechtsanwalt noch nie erlebt hätte, er sei richtig giftig gewesen und hätte sich anscheinend recht daneben aufgeführt. Mein Vater stritt alles ab, auch den Vorfall mit der Badewanne, meinte, die Mama sei eine starke Alkoholikerin und würde ständig durch die Gegend fallen, außerdem wollte er selbstverständlich im Haus bleiben und trug schon seine Pläne vor, dass er das Haus verkaufen und uns dann die Hälfte von dem Geld überlassen würde. Von meiner Oma, also Mamas Mutter, fing er ebenfalls an, dass sie mal Streit hatten und dass meine Ma schon einmal verheiratet war und so weiter. Sein Anwalt beschwerte sich dann über ihre Tasche, wie lächerlich: „Sie haben ja schön auf Kosten ihres Mannes gelebt, mit ihrer Valentino-Handtasche.“ Meine Ma meinte dazu nur, dass sie auch nichts über seinen Anzug von Armani sagen würde. Und so ging das anscheinend weiter. Er habe uns auch noch nie geschlagen, vor allem ja sie nicht und er wäre der Liebste, würde uns nie im Leben etwas zu Leide tun, aber seine Frau wollte ihn nur loshaben, warum wüsste er jetzt auch nicht. Ich war danach wieder auf 180, aber Mama hat sich super geschlagen und sich nichts gefallen lassen, worauf ich auch sehr stolz bin. Nachmittags waren wir dann wieder zu Hause und dachten, dass der Beschluss erst am nächsten Tag käme, aber die Anwältin rief schon am selben Tag an. Gott sei Dank, er muss jetzt draußen bleiben, darf sich dem Haus auch nicht nähern, keinen Kontakt zur Mama aufnehmen und ihr auch nicht zu nahe kommen. Leider gilt dies nicht für mich und so bekam ich bis jetzt jeden zweiten Tag Anrufe von meinem Vater, da ich aber nicht dranging, sprach er auf die Mailbox. Er wäre sehr „dürftig“ ausgestattet und bräuchte „dringend“ Kleidung und seine Geschäftsunterlagen und ich solle ihn zurückrufen und ihm sagen, wann und wo er das denn abholen kann. Hallo? Hat er sie noch alle? Macht mich jahrelang fertig und stellt mich vor Gericht dar, wie eine kleine, blöde, pubertierende Lügnerin und für seine Sachen bin ich dann doch gut genug, oder wie? Nein, nicht mit mir!
Die letzten zwei Tage waren wir in K., bei meiner Oma, Himmel, das war wieder so etwas von anstrengend. Sie redet und redet und hört nicht auf zu reden. Dann quatscht sie auch noch solchen Müll, von wegen die Mama hätte doch mehr Kinder bekommen sollen und ich müsste früh Kinder bekommen, sie will das noch miterleben und im Fernsehen, da kommt eine Telenovela, die sie jeden Morgen schaut und da ist auch so ein hübsches Mädchen, das jetzt schwanger ist und dann denkt sie immer, dass ich das sei und so weiter und so weiter. Ok, sie ist alt und ich sehe drüber hinweg, im Nachhinein ist es ja auch wirklich lustig. Aber was ich weniger schön fand, dass sie nicht aufhörte, vom Papa zu reden. Wir hatten ihr erzählt, was passiert war und natürlich machte sie sich Sorgen, aber dann davon zu reden, was genau ich von ihm hätte, das war mir wirklich zu viel. Gestern waren noch Mamas Freundin, Oma und ich in Heidelberg, es war ganz lustig zu viert. Abends gingen wir noch essen, ohne die Freundin von meiner Ma, und Oma konnte den Mund nicht halten. Ich hätte mich wieder so aufregen können, auch weil an dem Tag der Papa wieder auf Band gesprochen hat und dann wurde mir ziemlich schlecht. Ich hatte grade fertiggegessen, dann lief ich schnell auf die Toilette und dachte, dass ich brechen müsste, aber es ging wieder. Jedenfalls sagte ich einfach, dass ich mich übergeben hätte und dann brachten wir Oma nach Hause, weil es mir ja „schlecht“ ging. Na ja. Ein Glück, dass das ein Ende nahm, Mama war mir auch unendlich dankbar, wusste aber nicht, dass ich nur gefaked hatte. Ich sagte ihr dann, dass es mir wieder besser ginge und wir fuhren noch zum Haus ihrer ersten großen Liebe, Thorsten. Tja. Wir hatten ein gutes Timing. Sein Sohn mit seiner Freundin kamen gerade nach Hause, mehr sahen wir leider nicht, aber es war wirklich lustig. Danach ging es noch nach S., wo ich geboren war. Wir tranken dort noch etwas und ich brauchte ein Dessert für die Nerven. Auf der Rückfahrt gingen wir noch kurz ins Krankenhaus, in dem ich zur Welt gekommen war. Jetzt sind wir wieder zu Hause und ich bin sehr froh. Mir ging es in Ketsch nämlich gar nicht gut. Die erste Nacht im Hotel konnte ich nicht schlafen, hatte Hitzewallungen und danach war mir eiskalt und wieder juckte es mich überall. Es war wahrscheinlich wieder nervlich, na super.
Günter und Katja helfen uns wirklich ganz prima. Wir sind bis jetzt jeden Tag, meistens abends, mit ihnen und dem Hund ihrer Nachbarin, der Gertrud, spazieren gegangen. Er heißt Cocko, ist ein Boxer, aber ganz lieb. Günter ist so alt wie mein Dad und mit ihm verstehe ich mich sehr gut, er hat sehr viel mit mir geredet und mir damit auch geholfen. Ich erzähle ihm immer, wie ich mich fühle, dass ich es auch manchmal abnormal finde, wenn ich völlig meine Ruhe haben möchte und ziemlich deprimiert bin, obwohl es doch jetzt sozusagen zu Ende ist. Er erklärt mir das dann immer, schon fast wie ein Psychiater. Letztes Mal, bevor wir zur Oma fuhren, erzählte ich ihm noch einiges über die Familie, was er vielleicht noch nicht wusste und vertraute ihm auch Dinge an, wie meine Selbstmordgedanken und das Ritzen. Er versprach mir, nichts davon der Mama zu sagen. Daraufhin bekam ich dann einen Einblick in sein Leben. Sein Vater kam früher vom Krieg zurück und wurde Alkoholiker, schlug auch seine Frau und er als Sohn versuchte immer dazwischenzugehen. Er war auch Steinbock und ein richtig gehässiger Mensch, machte aber später eine Entziehungskur. Günter verkraftete das nicht sonderlich gut, aber kam eben irgendwie damit klar, danach hatte er dann noch eine schlimme Ehe hinter sich, mit seiner ersten Frau, die ihm alles nahm, nicht nur Materielles, auch seinen Sohn. Es war traurig, zu hören, wie schlimm es doch so netten Menschen gehen kann. Aber vielleicht wäre er dann wohl heute nicht so, wie er ist und hätte nie Katja kennen gelernt, mit der er, denke ich, sehr glücklich ist. Ich bin froh, dass ich einen erwachsenen Mann zum Reden habe. Ein Vaterersatz ist er keineswegs, aber ich denke, die Gespräche, die ich allzu gerne mit meinem Vater geführt hätte, kann ich jetzt einfach mit Günter führen. Seine Frau ist auch eine ganz Nette und berät die Mama unter anderem auch in finanziellen Dingen, da sie eine sehr gute Steuerberaterin ist. Ich bin wirklich dankbar für diese beiden lieben Menschen und meine Mama bestimmt noch viel mehr.
Auf der einen Seite ist alles so hell und schön, man kann den Horizont sehen, wieder ein klarer Lichtblick. Damit meine ich, dass er jetzt aus dem Haus ist, Mama Freunde gefunden hat, die auch irgendwie meine Freunde sind, dass man so viele gute Menschen um sich herum hat und es weitergeht. Amelie half mir auch wieder unglaublich. Ich habe jetzt meine Tagebucheinträge von der Bettina weggeholt, ich kann nicht sagen weshalb, aber ich hatte ein ungutes Gefühl dabei. Jetzt hat sie Amelie alle und das ist, denke ich, besser so. Sie kann sie durchaus lesen, aber das tut sie gar nicht, irgendwie überraschend, aber positiv. Sie vertraut mir einfach, dass ich ihr keinen Scheiß erzähle, darum muss sie das auch nicht mehr lesen, was auch absolut so ist, trotzdem sehr erstaunlich und das freut mich sehr. Doch es gibt auch eine andere Seite, die bei der ich kämpfen muss, ganz hart sein und nicht umfallen darf, mir keinen Fehler erlauben, mich jetzt bloß nicht hängen lassen. Ich muss grade alles verarbeiten, ich fühle mich so aufgebraucht. Meine ganze Traurigkeit und meine Ängste, mein komplettes Ich habe ich im Schreiben verarbeitet. In den letzten Tagen aber konnte ich nicht schreiben, es ging nicht, ich hätte genügend Zeit dazu gehabt, aber es ging nicht. Wenn ich nicht vermag zu schreiben, dann bedeutet das, denke ich, sehr viel, im schlechten Sinne. Ich war am Boden, das bin ich jetzt auch noch, aber es geht langsam, ganz langsam, besser. Es ist und bleibt ein kompliziertes Leben. Daran kann man wohl nichts ändern. Ich musste mich in den Tagen vor dem Gerichtstermin um meine Ma kümmern, fast immer, wenn ich hinunterkam, weinte sie, verständlicherweise. Ich versuchte sie zu trösten, sie hörte auf, aber als ich wieder zu ihr kam, rollten erneut Tränen und sie tat mir einfach leid. Ich hätte ihr so gerne geholfen, richtig geholfen, damit es ihr gut geht, aber ich war nicht in der Lage dazu. Ich riss mich am Riemen, um nicht auch zu weinen, doch dann kamen solche Vorwürfe wie: „Dir geht es ja gut.“ Es klang auch richtig vorwurfsvoll. Ich konnte mir auch alberne Vergleiche anhören mit meinem Vater, was er macht und ich auch, das tat mir nicht gerade gut, auch wenn es bestimmt nicht direkt böse gemeint war. Schule, Mami, Vater, Freundinnen und da hätten wir auch noch die Liebe, mit allem klarzukommen, ist nicht einfach, aber meine Ma hat es in den Tagen vor dem Gerichtstermin nicht sehen wollen, dass es für mich schwer war. Erst jetzt begreift sie es, glaube ich, richtig und versteht es auch einigermaßen, wenn ich mal weniger rede und etwas meine Ruhe haben möchte. Ja, das brauch ich jetzt besonders, Ruhe, einfach Stille, aus der ich wieder neue Kraft sammeln muss. Ich bin oft sehr traurig, mein Hass ist jetzt schon etwas vergangen, aber jetzt kommt dafür die Trauer umso stärker. Es gibt noch eine Hauptverhandlung, die dann endgültig entscheidet. Meine Ma macht sich einen großen Kopf über ihre Finanzen, wie lange unser Geld noch reicht, und wie wir sparen können und all so etwas. Es ist gut, dass sie das macht, aber sie sieht das sehr eng, es ist wieder ihre übliche „Wir landen auf der Straße“-Sicht, die aber sicherlich nicht zutreffen wird. Wir haben noch 160 000 Euro, ist das etwa nichts? Außerdem gibt uns die Oma auch oft Geld und mein Vater muss trotzdem Unterhalt zahlen, damit meine ich die Kosten, die für das Haus anfallen, wie Strom und Wasser. Es wird schon gehen, da bin ich mir sicher, aber meine Mutter davon zu überzeugen, ist eher schwer, aber sie hat dafür noch ihre Freunde, die ihr das sicher auch sagen werden. Wir fangen nicht bei Null an, im Gegenteil, wir haben uns und viele Freunde, wir haben unser geliebtes Haus, genug zu Essen und zu Trinken, Kleidung und vor allem, er ist aus dem Haus. Auch das ist jetzt, so merkwürdig sich das anhören mag, eigenartig für mich, es fehlt etwas, das gebe ich zu, etwas, das wir nie gebraucht hätten, etwas das störte und schlecht war, dennoch hatte es hier seinen Platz, wie gesagt, hatte!
Jetzt werde ich erst mal versuchen, mich in der Woche, in der wir Ferien haben, etwas zu beruhigen und nicht allzu oft deprimiert zu sein. Ich habe große Angst, dass er uns etwas tun könnte, er darf sich zwar dem Haus nicht nähern, aber wenn er jetzt sowieso alles verloren hat, vielleicht ist es ihm dann egal und er kommt nachts, bricht irgendwie ein und ermordet uns. Er hat nicht umsonst eine Schrotflinte, einen Elektroschocker und eine Schreckschusspistole, doch Gott bewahre, dass er so etwas tut und es ihm auch nicht in den Sinn kommt. Die Mailbox von meinem Handy habe ich jetzt ausgeschaltet, eigentlich wollte ich schon eine neue Nummer haben, aber das scheint leider nicht zu gehen. Er wird bestimmt noch öfters anrufen und ich merke an seiner Stimme, dass er immer wütender wird, je länger er es vergebens versucht. Ich frage mich nur, weshalb er nicht seinen Anwalt kontaktiert, dass er mit der Polizei oder Mamas Anwältin redet und so an seine „ach so wichtigen“ Unterlagen rankommt. Hoffentlich lässt er uns irgendwann ganz in Ruhe, ich meine jetzt, bevor er stirbt. Ich habe Bedenken, dass er es nie lassen wird, weil er es nicht kann, da er einfach ein verrückter, kranker Mensch ist.
Heute Abend geht Mama wieder zu Katja, Dienstag ist immer Frauenabend, es ist ok für mich, alleine zu Hause zu sein, aber die Angst ist immer da, ob ich jetzt den Müll hinausbringe, von der Schule zum Auto laufe, morgens zur Garage gehe, diese Angst gilt auch meiner Mama, was würde ich denn bloß ohne sie machen? Ich liebe sie doch über alles, auch wenn sie ab und an herumspinnt. Aber jetzt, da er weg ist, ist es schon viel besser, sie ist lockerer und viel netter. Ich bete zu Gott und zu allem was heilig ist und über gute Macht verfügt, dass uns nichts Schlimmes zustößt und wir nun endlich ein „neues“ Leben anfangen können, das friedlich ist!
Tagebuch vom 02.11.–25.12.05
Wow! Jetzt habe ich fast einen Monat nicht mehr geschrieben. Und es tut mir in der Seele weh. Mir ging es ziemlich schlecht in den letzten Wochen. Doch jetzt fange ich erst mal mit Ässels Party an.
Ich ging an dem Tag bzw. Abend eigentlich unter einem Vorwand dort hin: Sauf dich einfach zu. Das ist dann ziemlich ausgeartet, so heftig, dass ich jetzt kaum mehr etwas trinken kann und mich regelrecht vor Alkohol ekle. An dem Abend war ich zwar äußerlich nicht schlecht gelaunt oder traurig, doch innerlich sah es ganz anders aus. Es nahm mich alles mit und tief in mir war über die Tage ein Gefühl von Sinnlosigkeit und Vergänglichkeit aufgekommen, dass ich kaum rauslassen konnte, doch an diesem Abend sollte das anders sein. Amelie und Yvonne waren zum Glück auch da, wir feierten im Keller und anfangs war alles noch lustig. Ich trank erst ein Radler, dann ein weiteres, danach zwei Bier, das ging ziemlich schnell und ich war leicht angeheitert. Dann setzte ich mich auf die Eckbank neben Thomas und wir unterhielten uns, dann holte Yvonne Jägermeister und Feiglinge aus dem Kühlschrank und wir begannen das Zeug auf ex zu trinken. Amelie fand das ziemlich bitter und schaffte es nicht und Yvonne ebenfalls. Thomas natürlich schon und ich eben auch. Ich glaube, dass ich das wohl gemacht habe, um irgendwie anzugeben und ihm zu imponieren. Wie dumm von mir. Es war ziemlich lustig, wir sangen im Keller, oder besser gesagt, wir grölten herum. Es stand eine große Schüssel mit Erdnüssen auf dem Tisch und ich warf die Nüsse in Thomas’ Mund, anscheinend fand er es ebenfalls lustig und war auch schon angetrunken. Es ging immer weiter und weiter, noch ein kleiner Feigling auf ex, dann etwas Wodka vermischt mit einem Saft. Ich kann mich noch erinnern, dass ich zu Thomas sagte, dass ich sehr anhänglich werde, da ich jetzt wohl betrunken bin. Er meinte daraufhin, dass es ok ist, und dass wir hinterher immer noch Freunde blieben. Was auch immer er damit meinte. Ich trank weiter und spaßte mit Thomas herum, es war bis zu dem Zeitpunkt einfach nur lustig und mit ihm, so wie immer, unheimlich vertraut und ich fühlte mich sehr wohl und geborgen. Nachdem ich dann Amelies Wodka weggetrunken und von Thomas Tequila genommen hatte dann noch einen Jägermeister und etwas Bier, war mit total schwindelig, alles drehte sich, aber bis dahin war es noch eher angenehm. Plötzlich begann der Benni mit Amelie etwas zu kuscheln, genau neben mir, sie war verwirrt und lachte nur. Sie war selbstverständlich auch angetrunken, hatte aber nicht so viel intus wie ich. Benni legte sich dann etwas zu mir rüber und meinte, dass das hier ja so schön sei, wie im Paradies, eben mit zwei Mädels, eine rechts, eine links. Dann sagte ich , dass er ja ein ganz Süßer wäre und er meinte, ich bin auch eine ganz Süße. So lagen wir zu dritt auf der Bank und umarmten und streichelten uns, total verrückt. Benni begrabschte dann noch Amelie und sie kicherte wieder ziemlich abgedreht herum, fand es wohl nicht schlimm. Benni meinte dann, dass er meine Stiefel so schön fände und legte seine Hand auf mein Bein und zog meinen schwarzen, eher kurzen Rock ein paar Zentimeter hoch. Thomas stand währenddessen daneben und unterhielt sich mit Andi. Benni näherte sich mir immer mehr und schloss die Augen, er wollte mich küssen, aber daraus wurde zum Glück nichts. Plötzlich wurde mit total schlecht, ich wusste, dass ich wohl gleich brechen werde. Ich stand also auf und merkte dann, dass ich kaum noch laufen konnte, alles drehte sich jetzt noch schneller, das angenehme Gefühl war weg, die Umgebung war verschwommen und ich dachte nur: Hilf mir Thomas! Gesagt hatte ich nichts. Ich lief an Thomas vorbei und lallte: „Thomeas, scheiße, mir ist total schlecht.“ Er packte daraufhin meinen Arm und trug mich halb die Treppe zu der Toilette hoch und ging mit mir dort rein. Ich konnte dann nicht einmal mehr stehen und brach immer halb zusammen, doch Thomas hielt mich aufrecht. Ich wollte in dem Moment weinen, konnte es nicht und versuchte das Erbrechen zurückzuhalten. Für eine Weile gelang mir das. Ich fühlte mich so klein und hilflos und schwach. Thomas hielt mich in seinen Armen und ich begann zu erzählen, dass alles gerade so schwer ist zu Hause, ich einen geisteskranken Vater habe und sie sich jetzt scheiden lassen, dass wir vor Gericht mussten, dass er sie umbringen wollte. Sozusagen alles in Kurzform. Er streichelte mich am Rücken und Kopf, gab mir kurz einen Kuss auf die Wange und wir versuchten, dass ich etwas Wasser vom Waschbecken trank. Das gelang grade noch so. Dann klopfte Ässels Mutter an die Tür, fand es natürlich seltsam, dass ein Junge und ein Mädchen sich im Klo einsperrten, was nur zu verständlich war. Thomas meinte immer wieder, dass alles okay sei, aber sie gab keine Ruhe, dann machten wir auf. Sie sah dann natürlich, dass es mir ziemlich schlecht ging und fragte: „Was ist denn mit dir los, hast du zu viel getrunken? Hast du brechen müssen?“ Ihr Tonfall war nicht gerade sehr fürsorglich. Ich erwiderte: „Mir geht es nicht so gut, mir ist nur etwas schlecht.“ Daraufhin, ehe ich etwas anderes sagen konnte, brachten sie mich in einen anderen Keller, dort wo alle übernachten sollten, ich setzte mich auf eine Matte und mir wurde von Zeit zu Zeit immer schlechter. Sie brachten mir einen Kübel und Thomas setzte sich neben mich, versuchte mir Mut zu machen. Ässels Mum redete derweil auf mich ein: „Da bist du selbst dran Schuld, dass die jungen Leute es auch immer übertreiben müssen, es wird dir eine Lehre sein!“ Sie ging, dann kam Amelie und setzte sich auf die andere Seite und redete auch mit mir, dass alles gut würde. Ich musste brechen und mit dem Brechen wurde mir derart schwindelig und übel zu Mute, wie es mir noch nie in meinem Leben gewesen war. Es war nicht mehr verschwommen, nein, teilweise schon grau und ich hatte Mühe, meine Augen offen zu halten. Zwischendurch kam Ässels Schwester rein, sie war zu allem Elend auch noch Krankenschwester. Sie fragte mich, was ich habe und wie es mir geht, ob wir einen Krankenwagen holen müssen. Ich riss mich mit größter Mühe und Not am Riemen und erzählte, dass ich meine Tage hätte, mir deshalb so schlecht sei, dass so etwas öfter vorkomme bei mir, aber ich wirklich nicht viel getrunken hätte. Thomas und Amelie unterstützen mich. Dann nahm sie eine kleine Taschenlampe und leuchtete mir und Amelie ins Auge, obwohl es Amelie recht gut ging. Sie meinte daraufhin: „Da, du hast wesentlich mehr getrunken“, schaute mich dabei an. Die Mutter kam zwischendurch auch immer wieder und war richtig sauer: „Ich ruf jetzt deine Mutter an, dass sie dich abholen soll, oder wir fahren dich“, und die Schwester: „Wir müssen vielleicht einen Krankenwagen holen, weil so geht das ja nicht mit dir.“ Thomas und Amelie redeten auf sie ein und ich auch, so gut es ging, dass es bald wieder mit mir gehen würde und meine Mama sowieso bald käme. Es schien zu helfen. Ich brach immer und immer wieder, den Nudelsalat, den ich zuerst beim Schweizer gegessen hatte und wahrscheinlich einen Teil des Alkohols. Doch es ging mir nicht besser, im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Ich kippte immer wieder nach hinten weg und fing an zu zittern, einfach so, mir war nicht einmal kalt. Ich atmete so, als ob ich keine Luft mehr bekommen würde, am Ersticken wäre, so fühlte ich mich auch. Ich dachte, dass ich jeden Moment ins Koma fallen würde. Ich wusste, dass ich meine Augen aufhalten musste, aber das war richtig hart. Immer wieder streichelten mich Amelie und Thomas am Rücken und an den Armen, hielten mir die Haare aus dem Gesicht, wenn ich mich übergab, versuchten mich wieder aufzusetzen, wenn ich nach hinten kippte. Wenn ich wieder anfing, heftig zu zittern, hielt Thomas mich ganz fest. Mir ging es erbärmlich. Ich sage immer wieder Dinge wie: „Ich bin es doch eh nicht wert“, oder: „Ich würde jetzt am liebsten eine Brücke hinunterspringen“, „Es tut mir so leid, ich bin so erbärmlich“ und „Ihr müsst mich jetzt hassen, oder?“
Amelie und Thomas versuchten mir das auszureden, meinten, dass ich auch nicht mehr ins Krankenhaus müsse. Thomas sagte: „Ich könnte dich nicht hassen, wie denn auch.“ Amelie fing dann an zu weinen und sagte immer wieder, dass ich es wohl wert sei, dass sie mich lieb habe und ich wohl der wichtigste Mensch für sie sei. Es war der Horror, ich fühlte mich noch erbärmlicher, als sie anfing, wegen mir zu weinen. Was hatte ich bloß getan? Teilweise versuchte ich auch immer etwas zu sagen, aber brachte kein Wort mehr raus, mir ging so viel durch den Kopf, vor allem der Tod, denn ich dachte, dass es vielleicht gleich zu Ende sei. Ich hatte Angst vor meiner Ma, wenn sie mich so sehen würde. Ässel kam auch noch rein, regte sich unheimlich auf, meinte, ich würde die ganze Party schmeißen, obwohl ja die andren in einem ganz anderen Raum waren. Er war so wütend und maulte herum, in diesem Moment war mir das aber ziemlich egal. Plötzlich wollte Thomas mit ihm vor die Tür und Amelie blieb bei mir. Beide schrien sich vor der Tür an, vor allem Thomas, da Ässel es nicht begreifen wollte, dass es mir schlecht ging und es nicht nur wegen dem Alk sei. Er setzte sich wirklich ganz schön für mich ein, das war richtig ritterlich. Danach kam er wieder rein und ich sagte nur: „Danke!“ Amelie ging dann, holte einen anderen Eimer. Ich legte mein Kinn und meine Nase an Thomas Kinn und seine Nase und wir schauten uns an, ganz tief in die Augen, in dem Moment wollte ich ihn küssen, mir war es egal. Aber bevor ich das „schaffen“ konnte, wurde mir schlecht und Amelie kam zum Glück mit dem nächsten, weißen Eimer herein. Ässel brachte mir eine Scheibe Weißbrot und etwas Wasser. Ich kann mich noch erinnern, dass ich das zweite Wasserglas umwarf, aus Versehen und das Weißbrot schmeckte in dem Moment einfach nur scheußlich. Nach zwei Stunden ging es einigermaßen und meine Ma kam, um mich abzuholen. Ich hatte Angst, vor allem Möglichen. Dass sie böse und enttäuscht von mir wäre, ich es nicht mal bis ins Auto schaffen würde oder auf dem Weg dorthin zusammenbräche und all so etwas. Ich bat Amelie und Thomas, mitzukommen. Amelie hatte ihr Zeug schon bereit, Thomas holte seine Sachen noch. Ich lief, sofern man das laufen nennen konnte, mit Hilfe von Ässels Mutter und Amelie zum Auto, Thomas kam nicht. Amelie stieg einfach ein, meine Ma sagte nichts Großes dazu. Ässels Mutter sagte noch zu meiner Mama: „Ihre Tochter hat den ganzen Abend gebrochen.“ Dann fuhren wir los und ich war ganz still, konzentriert, nicht zu brechen. Mama fragte natürlich nach. Amelie sagte dann: „Ja, mir ist auch schlecht, da war etwas in der Pizza drin, das haben wir nicht vertragen, deshalb ist der Lena jetzt auch schlecht geworden.“ Das wiederholte sie dann noch mal und war ganz ernst. Ich dachte während der Autofahrt nur: „Ok, ok, Kurve nach rechts, die Kurven sind immer gut, rechte Kurven sind völlig ok. Und jetzt kommt eine Kurve nach links, na gut, Kurven nach links gehen auch, sie machen nichts, sind gut.“ Ab und zu machte ich das Fenster auf, die frische Luft tat sehr gut, leider wurde es Mama total kalt, aber ich spürte das in meinem Zustand nicht einmal. So konnte ich mich zurückhalten, nicht ins Auto zu brechen. Zuhause angekommen, war ich richtig erleichtert. Amelie kam hoch zu mir in meine Wohnung, meine Ma hatte anscheinend nicht allzu viel bemerkt. Regte sich etwas auf, dass ich angeblich bei jedem zu Hause brechen würde, aber auch das war mir so etwas von egal. Als wir oben waren, half mir Amelie, mich umzuziehen, ich musste noch zwei Mal brechen und bekam sogar alleine meine Kontaktlinsen raus. Danach trank ich noch Leitungswasser und aß ein Salbeibonbon, was mich etwas beruhigte. Amelie kümmerte sich ganz lieb um mich und Thomas schrieb mir noch, dass er gerade seine Sachen holen wollte und dann waren wir leider schon weg, dass er mir aber gedanklich beisteht, wenn er schon nicht bei mir sein kann. Wir legten uns ins Bett. Doch bevor ich mich hinlegen konnte, dauerte das noch eine halbe Stunde, mindestens. Denn – ich konnte meinen Kopf nicht nach hinten bewegen, weil mir dann furchtbar übel wurde, so versuchte ich immer wieder, nach und nach, meinen Kopf in eine halbwegs liegende Position zu bringen, bis ihm nicht mehr so schlecht wurde. Das dauerte sehr lange und war ganz schön anstrengend. Ich schlief dann irgendwann ein. Nach wenigen Stunden wachte ich nachts wieder auf und Amelie gleichzeitig mit mir. Ich schaltete das Licht an und wir beide setzten uns auf. Mir ging es wieder gut, ich fühlte mich so unendlich gut, wie neu geboren, es war der Wahnsinn, einfach unvorstellbar. Wir beider mussten lachen, wahrscheinlich vor Erleichterung, dass es zu Ende war. Wir redeten über die Party, was alles passiert war und Amelie bewunderte mich immer, dass es mir so gut geht, ich kein Kopfweh oder keinen Kater hatte, wir redeten stundenlang und lachten, es war zu Ende, der Horrortrip war vorbei. An dem Morgen fand eine Übergabe von Sachen für meinen Vater statt und Heino kam daher auch vorbei. Nach einer langen Nacht, nach drei Stunden langem Brechen.
Mama fuhr am nächsten Morgen mit Christiane zum Finanzamt, da sie dort etwas zu erledigen hatten. Amelie und ich waren kurz alleine und machten uns einen schönen Vormittag mit frischgepresstem Orangensaft. Das Schöne war auch, dass ich alles essen konnte, ohne dass mir schlecht war, wie ein kleines Wunder. Ich fühlte mich so gut, so unendlich frei und rein und zufrieden, so hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich hatte eine Kette von Thomas an, die ich ihm genommen hatte, als noch alles geordneter ablief. Ich war überaus begeistert davon, wie er sich um mich gekümmert hatte und sich für mich einsetzte. Wir riefen ihn an. Er war ziemlich fertig, redete kaum, war aber nicht beleidigt oder dergleichen. Ässel war wohl noch sauer und Thomas legte sich dann gleich hin, um weiteren Ärger zu vermeiden. Das war mein erster richtiger Rausch, der zu einem unvergesslichen Horrortrip geworden ist und bis heute kann ich kaum noch Alkohol trinken, zwei Monate sind bereits vergangen, aber mein Magen macht das wahrscheinlich nie wieder mit. So etwas sollte wirklich keiner machen, so gut es mir auch hinterher ging, so schlecht war mir an diesem Abend, in dieser Nacht. Drei Stunden lang zu brechen und, das ist nicht übertrieben, zu denken, dass man ins Koma fallen könnte, teilweise kaum etwas zu sehen, am ganzen Körper zu zittern wie verrückt, das ist wirklich kein schöner Zustand.
Danach ging es dann mit der Clique den Bach hinunter. Ässel redete erst einmal mehrere Wochen nicht mit mir, Thomas nahm die ganze Sache ziemlich mit und ich erfuhr von Vanni, dass anscheinend einige mit ihm reden wollten, er aber nicht, und er ziemlich deprimiert war wegen der ganzen Geschichte. Ich hatte dadurch ein schlechtes Gewissen, aber mit der Zeit legte es sich wieder und wir redeten nach ein paar Tagen, als die Ferien wieder zu Ende waren, normal miteinander. Dann erfuhr ich noch, dass Andi mit Yvonne rumgemacht hatte und beide anscheinend zusammen sind, das ging aber sehr schnell vorbei. Yvonne wollte mit ihm nichts mehr zu tun haben und nach zwei Tagen war es zu Ende. Sie erzählte mir, wie sehr er sich an sie herangeschmissen hat, darüber war ich natürlich sehr enttäuscht. An einem Wochenende kam er dann samt Gruppe vorbei, unangemeldet und führte sich bei Yvonne wohl ganz schön bescheuert auf. Sprich, er wollte sie ständig befummeln, sie aber nicht und er hat einfach so in ihren Schubladen nach ihrer Unterwäsche geschaut und diese dann auch herausgenommen, sodass sie alle anderen auch gesehen haben. Dieses aufdringliche Getue und seine penetrante Art hat sie sehr bald aufgeregt und so merkte dann auch sie, was für ein Volltrottel das ist. Andi redete dann auch nicht mehr so viel mit mir, schmiss sich aber an Isabel und Jenni, eine ziemliche Schlampe, die er natürlich auch wieder durch mich kennt, ran. Ich blieb trotzdem bei der Gruppe, alleine schon wegen Thomas. Nach einiger Zeit redete Ässel wieder mit mir und ich war irgendwie ziemlich erleichtert. Mit Thomas lief es ziemlich gut, wir unterhielten uns immer wunderbar. Er ist so ein toller Mensch, nach der Schule, bzw. vor dem Nachmittagsunterricht bin ich immer mit ihnen Döner essen oder zum V. Markt, etwas zu essen kaufen gegangen. Er war immer so höflich, diese Höflichkeit war so selbstverständlich für ihn, er wartete auf mich, hielt mir die Tür auf, wartete mit mir, bis meine Ma kam und war in jeder Hinsicht ein Gentleman. Ich fühlte mich so wohl bei ihm, wahrscheinlich habe ich mich noch nie so geborgen bei irgendjemand Anderem gefühlt. Zwischendurch war ich noch eine Woche lang krank, schlimm krank. Es fing an einem Montag an, ich hatte brutalstes Kopfweh, wie Migräne, mir war schlecht, schwindelig und der Schmerz hörte nicht auf, egal was ich machte. Schlafen konnte ich auch nicht, erst abends wurde es dann etwas besser. Die nächsten Tage hatte ich immer Fieber, ging trotzdem in die Schule, da wir in dieser Zeit ständig Schulaufgaben und Stegreifaufgaben schrieben, ich wollte nichts verpassen, das war mir wichtig. Doch auch diese Einstellung war wieder einmal vollkommen hirnrissig. Mir ging es von Tag zu Tag schlechter, in der Schule konnte ich mich kaum noch konzentrieren, mir taten alle Knochen weh, jeden verdammten Tag hatte ich Fieber, es ging einfach nicht weg, wurde immer höher. In dieser Woche schrieb ich aber mit aller Kraft noch Deutsch und Französisch mit. Den Freitag überstand ich gerade so und ging dummerweise auch noch mit der Gruppe abends ins T. und N. und wegen wem das Ganze? Genau – Thomas. Übrigens ließ ich mir genau an diesem Freitag auch noch hellblonde Strähnchen in meine Haare machen, endlich habe ich mich das getraut und es war auch gut so. Jedenfalls hätte ich das nicht mehr machen wollen, denn danach hat es mir wirklich die Beine vom Boden gerissen. Ich konnte am Wochenende nicht mehr richtig aufstehen, habe schlimmes Halsweh bekommen und über 39° Fieber. Das Halsweh artete dann in vereiterte Mandeln aus, die so dick anschwollen, dass ich kaum noch etwas essen konnte. Die darauf folgende Woche ging ich also nicht mehr in die Schule. Ich musste Antibiotika nehmen, weil nichts anderes mehr half und Fieber hatte ich diese Woche weiterhin, trotz Säfte. Das heißt, dass ich zwei Wochen lang Fieber hatte, das dann nach und nach weniger wurde, bis es nur noch abends kam und schließlich weg war. In dieser Zeit meldete sich Thomas nicht bei mir. Als ich wieder in die Schule kam, war ich total froh, da mich meine Mutter, egal ob ich eine schwere Infektion hatte (dem Arzt zufolge), ständig nervte, anmaulte und anschrie, als ob ich für alles was könne, nun ja, das geht bis jetzt, es ist ziemlich heftig, aber dazu komme ich später.
Ich war so verliebt in ihn, das heißt, ich bin es immer noch, dass ich es jetzt endlich für die richtige Zeit hielt, ihm zu sagen, was Sache ist. Ich tat es. Ich wusste, dass er früher auf dem Gymnasium Latein hatte und schrieb ihm auf lateinisch, dass ich in ihn verliebt bin, den Zettel gab ihm dann die Isabel. Vielleicht etwas kindisch, dennoch kreativ. Am nächsten Tag war ich unglaublich gespannt auf das, was er darauf sagen würde, wie er reagiert. Ich war aufgeregt und sehr durch den Wind, mir war bewusst, dass er es jetzt wusste. In der Pause standen wir dann wieder in unserem Kreis. Ich stand recht hilflos darin und wartete ab, redete derweil aber ziemlich wirres Zeug, von einem kleinen Bären, den ich an meiner Sporttasche hatte, na ja, typisch ich. Er starrte mich an, starrte und starrte und macht mich nervöser und nervöser. Amelie versuchte mich ständig zu ihm hinzudrücken und meinte, dass ich jetzt endlich etwas zu ihm sagen sollte. Aber ich war der Meinung, dass er den Mumm haben müsste, etwas dazu zu sagen. Es war schon kurz vor Ende der Pause und ich wäre fast durchgedreht, dann sagte ich verzweifelt: „Jetzt sag doch endlich was dazu!“ Er kam auf mich zu und wir gingen ein paar Schritte von der Gruppe weg. Er stand vor mir in all seiner Größe und mit seinem unbeschreiblichen Wesen und sagte einfach so, ohne mit der Wimper zu zucken, eiskalt: „Ich mag dich sehr gerne, mir liegt auch sehr viel an dir – aber – ich liebe dich nicht!“
Ich stand da wie ein kleines Kind, dem man gerade seinen Teddy weggenommen hatte, das dann anfängt zu weinen und zu schreien, nicht weiß, wieso das nun passiert ist. Natürlich weinte ich nicht, brachte nur ein „Aha“ heraus. Dann meinte er noch „Ist das ok für dich?“ Was für eine scheißblöde Frage, dachte ich, und hätte ihn am liebsten angeschrien. Aber nein, ich sagte nur: „Ja, ist es.“ Ich wollte so schnell wie möglich dort weg, ging zur Amelie und zog sie noch recht gut gelaunt nach drinnen, in die Aula. Danach wurde mir klar, was passiert ist und ich war wirklich kurz vorm Heulen, was so weh tat, so richtig weh. Dieses Arschloch, er redet mit mir vertraut, als ob wir uns schon ewig kennen, schaut mir ständig tief in die Augen, starrt mich an, kümmerte sich während der Party wie mein Freund um mich, erzählt mir was über seine Vergangenheit, das er angeblich sonst niemandem erzählt, alle meinen, dass wir bald zusammen kommen, Benni sagte noch vor ihm, dass er was von mir will, worauf er meinte, dass er grade nichts dazu sagt und grinst und jetzt will er mir wahrhaftig sagen, dass er mich nur mag?
Eine weitere, schöne, bunte, heile Luftblase ist zerplatzt, die wirklich riesengroß war. Aber das Beste kommt noch. Ein paar Tage später ruft mich mal wieder Vanni, meine „ach so gute Freundin, die wie meine große Schwester ist“ an, und erzählt mir, dass sie es ist, die mit Thomas seit einer Woche zusammen ist. Es war so, dass ausgerechnet sie, dieses Miststück, mich jeden zweiten Tag angerufen hatte, ständig nach Thomas fragte, was mit uns ist und auch noch wusste, obwohl sie schon zusammen waren, dass ich vorhatte, ihm zu sagen, was ich fühle. Und? Was macht sie? Hört sich das alles an, tut, als ob nichts ist und lässt mich praktisch ins offene Messer laufen, tolle Freundin. Aber das war nicht alles, meine lieber Herr Exfreund war schon seit Wochen mit der Oberschlampe Jenni zusammen, ist es übrigens immer noch. Alle und auch ich meinen, dass das wirklich ekelhaft ist mit den beiden und die ganze Schule weiß, was sie für eine ist, es ist echt peinlich. Er verbreitet selbst, dass er sie wegen dem Sex ausnutzt und mehr nicht. Wunderbar, heißt das, dass er das mit mir auch nur deshalb gemacht hat, um sich körperlich befriedigt zu fühlen? Tja, natürlich habe ich mich darüber geärgert, denn dadurch ist unsere ganze Beziehung in Frage gestellt und ich könnte mir in den Arsch beißen, wie blöd ich wahrscheinlich war. Aber es geht noch weiter. Joschi, einer aus der Gruppe, mit dem ich mich auch sehr gut verstand, hatte Geburtstag, davon wusste ich aber erst nichts. In einer Freistunde kam dann der Benni zu mir und fragte mich, ob ich auch zum Joschi komme. Ässel saß genau neben mir und meinte: „Nein, ganz sicher nicht. Das weiß ich sicher.“ Er sagte das in einem boshaften Tonfall und ich konnte mir schon meinen Teil denken, fragte aber nach. „Tja, der will nicht, dass ihm so eine wie du die Party kippt.“ Ich war so enttäuscht, so sauer und wütend, dieser Wichser hatte doch überhaupt keine Ahnung, wieso das alles passiert ist. Benni schaute mich etwas mitleidig an. „Wieso? Der hat das doch gar nicht mitbekommen während deiner Party, ich war doch in einem ganz anderen Zimmer, weit weg von euch“, sagte ich. „Ja und? Ich hab’s ihm halt erzählt“, sagte Ässel. Ich hätte ihn anschreien können, was für ein gemeiner Mensch er ist. Als die Freistunde zu Ende war, fragte ich Benni, ob es wahr sei, dass der Ässel mich beim Joschi so schlecht gemacht hat, dass er mich nicht mehr einladen will. Benni schaute mich an und nickte und meinte, dass er das auch ganz schön bescheuert vom Ässel fände, dass so etwas echt jedem mal passieren kann. Super. Was sollte ich also noch in der Clique? Nichts, nichts, und wieder nichts. Ässel machte mich schlecht, Andi hatte eine Schlampe zur Freundin, über die sich jeder lustig macht und redete nicht mehr viel mit mir, und über Thomas muss ich nichts mehr sagen. Enttäuschung, Hass, Trauer, ich stand einfach so da, ohne Clique, innerhalb von einer Woche haben die so einen miesen Scheiß abgezogen, obwohl ich niemandem etwas getan hatte. Ich entfernte mich also von denen, war wieder bei meinen Mädels. Aber meine Wut hatte ich immer noch in mir, ich konnte nicht verstehen, wie man so ungerecht sein konnte. Die Gruppe redete dann auch nicht mehr mit mir, keiner außer dem Benni, als ob ich allen etwas angetan hätte. Das ging fast drei Wochen, und wenn ich sie sah, draußen in der Pause, im Nachmittagsunterricht, auf dem Gang, kam ich mir so nackt vor, ich weiß nicht, ob sich das jemand vorstellen kann, sich richtig nackt zu fühlen, es ist komisch, das hatte ich noch nie. Und so ging das eben weiter und weiter, ich fühlte mich dabei nicht gut und musste sogar einmal in der Pause weinen, weil ich so eine Wut hatte. Natürlich lag es nicht nur daran, es waren viele Probleme, die in den Wochen auf mich zukamen.
Eines davon war die Isabel. Sie versprach mir seit drei Wochen zu kommen, immer am Wochenende, wegen Mathe, so wie sie es mir fest versprochen hatte. Das erste Wochenende kam sie einfach gar nicht, rief nicht an, schrieb keine SMS, nichts. Ich wartete und wartete, nach einigen Stunden rief ich dann an, da mich das doch sehr wunderte. Sie war zu Hause und meinte, dass sie gleich mit ihrem Vater essen gehe. Das war alles, kein Entschuldigung, oder ich habe es vergessen, nichts. Ich gab ihr eine weitere Chance. In der darauf folgenden Woche wollte sie Sonntags kommen, schrieb mir dann aber plötzlich, mitten in der Nacht auf den Sonntag, nach ein Uhr, dass sie mit ihrer Oma nach München fahren müsse, weil sie dort bei einem Bekannten essen gingen. Keine Entschuldigung, nichts. Und wieder gab ich nach, obwohl es nicht fair gegenüber mir war. Das nächste Wochenende, die gleiche Zeit, der gleiche Tag. Wieder plötzlich in der Nacht auf den Sonntag – sie kann nicht kommen, weil ihre Mutter endlich einmal wieder zu Hause ist, dass sie so lang in Urlaub war, sie käme aus K. (gerade einmal 60 Kilometer weg von dem Ort, wo sie wohnte), ich sollte das doch verstehen. Keine Entschuldigung, nichts. Ich konnte mich alleine um Mathe kümmern.
Was ich noch nicht erwähnt habe, ist, dass meine Nachhilfelehrerin umgezogen ist, jedoch nicht weit weg und hat sich seitdem nie wieder gemeldet, hat mich einfach alleine sitzen lassen, obwohl das gar nicht ihre Art war und sie kein Sterbenswörtchen davon gesagt hatte. Mir reichte es also mit Isabel und ich redete eben nicht mehr so viel mit ihr wie sonst, nahm auch das Telefon nicht mehr ab, wenn sie anrief, oder ließ ihr von meiner Ma ausrichten, dass ich gerade außer Haus, bei einer Freundin oder sonst was wäre. Es war so enttäuschend, alle ließen mich alleine, alles ging kaputt, ohne dass ich etwas getan hatte, es passierte, ließ sich nicht aufhalten. Das waren keine schönen Wochen und in der Schule war es sehr stressig, zu Hause natürlich auch. Alles stürzte wieder auf mich ein, kaum ein Halt, außer Amelie und Katja und Günter, an die ich mich wenden konnte. Doch es ging vorbei, so wie alles vorbei ging. Ich redete wieder normal mit Isabel, telefoniere ab und an mit ihr, aber es hat sich etwas verändert, dass ich mich nicht mehr so verarschen lasse und mich somit auch nicht mehr mit ihr treffe. Mathe habe ich zu meinem Erstaunen so gut alleine hinbekommen, dass ich auch nicht mehr auf sie angewiesen bin. Aber wie gesagt, wir haben jetzt kein gespanntes Verhältnis und ich bin auch nicht mehr böse oder wütend. Ich dachte auch darüber nach, was sie über mich geschrieben hatte, als wir in D. waren, alles kam hoch, dass ich eigentlich damals schon was ändern wollte, aber irgendwie fühlte ich mich zu abhängig. Doch es gibt einen Zeitpunkt, an dem Schluss ist, an dem man nicht mehr kann, da man sich sonst selbst völlig zerstören würde und so wie es jetzt ist, ist es gut so. Zu der Gruppe ging ich auch wieder hin. Das erste Mal nach langer Zeit schaute mich der Tim ganz komisch an, aber nicht böse, Andi freute sich anscheinend und plapperte los, Jenni war etwas eifersüchtig, aber es war okay. Dann passierte etwas, was ich nicht gedacht hätte, was ich am wenigsten vermutet habe. Thomas kam mit dem Rest der Gruppe raus, so wie immer. Er sah mich kurz und kommandierte dann den Rest, samt Tim, mit ihm reinzugehen, was sie auch taten. Es war seltsam, sie standen nämlich immer draußen, ob es schneite, regnete, stürmte. Aber ich ließ nicht locker. Amelie und Isabel kannten meinen Plan, ganz einfach zu sehen, wie jeder einzelne auf mich reagiert, wenn ich wieder da bin. Also ging ich den andren Teil der Pause rein, stellte mich mutig neben Thomas und sagte: „Hi“. Er sah weg, schaute mich die ganze Zeit nicht an, behandelte mich wie Luft. Tja, die Pause war vorbei und ich sagte ganz fröhlich „Tschüüüss“. Ein paar erwiderten das, aber nicht er. Es war interessant, ich trennte die Gruppe, die darauf folgenden vier Tage ging ich auch zu ihnen, allerdings gingen sie nicht mehr rein, aber trennten sich, spalteten sich auf. Den letzten Tag vor den Ferien kam ich wieder und schenkte allen zu Weihnachten eine Schokolade. Manche sagten „Danke“ und schauten überrascht, einer wollte keine und zickte herum, ziemlich unhöflich, und Thomas, er sagte wieder etwas zu mir, seit Wochen, auch wenn es nur ein „Wenn du meinst“ war, als ich ihm die Schokolade gab. Ich habe ihm vergeben, dem Ässel auch, vielleicht ist es naiv, oder zu nachgiebig, aber für mich ist der Weg des Zurückziehens und des Wütend- und Traurigseins ein schwererer, als der, wieder dabei zu stehen, auch wenn es nicht so läuft, wie ich es will. Das Interessante am Freitag war, dass sich die Gruppe nicht mehr trennte. Das freute mich sehr. Und Ässel kann mich gar nicht so hassen, denn als ich Mittwochs kam, drehte er sich zu mir hin, strahlte irgendwie, grinste mich an, fragte mich, wo meine Kette denn wäre, da ich immer eine anhabe und stellte fest, dass ich keinen Pickel habe. Tja, charmant wie immer, typisch Ässel. Doch das zeigte mir, dass ich ihm nicht egal war und er mich ansah, so genau ansah, dass er, so dumm es klingt, sogar sah, dass ich keine Pickel hatte.
Zuhause lief es nicht sonderlich gut. Ich dachte, dass wenn er jetzt weg sei, alles viel harmonischer ablaufen würde und damit meine ich das Verhältnis zwischen meiner Ma und mir, doch so war es nicht. Ich stand morgens auf, wurde angemault, weil ich zwei Minuten zu spät kam, vergessen hatte, das Licht im Gang auszumachen und lauter solche Kleinigkeiten. Draußen, wenn wir morgens immer losfuhren, ging das Tor wegen der Kälte schlecht auf, wer war daran schuld? Ich natürlich und ich musste schieben, das machte mir nichts aus, doch wenn ich schob und das Tor ging selbst dann schlecht auf, war wiederum ich schuld. Wenn sie mich von der Schule abholte, saß sie meistens mit einem bösen und wütenden Blick im Auto, ich machte mir immer Gedanken, was ich nun wieder verbrochen hatte. Es lag jedoch kaum an mir. Ich konnte wohl, bzw. kann es immer noch, machen was ich will, und es ist doch falsch, es können Dinge geschehen, auf die ich gar keinen Einfluss habe und doch bin ich daran schuld. Im Auto ging es dann weiter, sie schrie mich richtig an, ich hätte diese bestimmte Blume nicht gegossen, Kleider würden im Bad auf der Badewanne liegen, das dulde sie nicht mehr oder Blätter müssten aufgekehrt werden, die sie stören würden in meiner Wohnung. Es ging wirklich wochenlang so und manchmal kamen auch Drohungen von ihr wie: „Mir reicht es, deine scheißblöde Pflanze, ich werfe sie dir weg, ich schwöre es.“ Und einmal meinte sie todernst: „Wenn du nicht jeden Tag deine Kleider schön aufräumst, dann sperre ich dir die Speisekammer ab und es gibt nichts mehr, keine Plätzchen, gar nichts, damit das klar ist!“ Ich fand besonders diesen Satz ziemlich lächerlich, als ob ich nicht ohne Süßigkeiten auskommen würde. Natürlich räumte ich die Kleider auf, damit sie sich nicht noch mehr abartige Sachen einfallen ließ. Mittags entspannte es sich manchmal etwas, aber nicht immer. Ihr passte das nicht, was ich anhatte, oder wie ich irgendwelche Dinge holte, alles war falsch und nicht richtig. Wenn sie mich um etwas bat, dann schrie sie mich sehr oft an, sie hätte es genauso gut auch in einem normalen Ton sagen können, ich hätte es genauso gemacht, aber nein, man musste es wirklich herausschreien. Das Beste kam während des Essens immer genau dann, wenn sie mich plötzlich mit Papa verglich. Das war hart für mich und wenn es mir reichte, fing ich an vor ihr zu weinen, damit sie sah, wie mich das traf. Wenn ich die Nudeln mit der Gabel in der rechten Hand aß, ohne Messer natürlich, meinte sie: „Das hat der Papa auch immer gemacht. Ich kann das nicht sehen, es erinnert mich immer an den Alten.“ Als die Sonne mich durch unsere großen Scheiben blendete, sagte sie: „Wie der August, den hat es auch immer geblendet“, das lag daran, dass ich an seinem Platz saß. Das sagte sie in einem freundlichen Ton, doch alles andere nicht. Es waren nicht nur diese zwei Bemerkungen, es waren mehr, bis ich mit ihr darüber sprach und ihr sagte, dass sie mich wirklich nicht mit einem psychisch kranken Mann vergleichen könne, der sie umbringen wollte. Ab diesem Zeitpunkt begriff sie es anscheinend, auch weil ich es unter Tränen sagte. Aber das Beste geschah in der letzten Schulwoche vor den Weihnachtsferien, an einem Dienstag. Katja und Gertrud wollten mit Mama und mir in eine Gospel-Vorstellung gehen. Wir freuten uns schon richtig darauf. Am Abend zog ich mir meine dunkle Jeans an, die eine schöne Bestickung in lila mit Pailetten hatte, dazu meinen lila Pullover mit V-Ausschnitt. Ich ging die Treppe hinunter und währenddessen stand sie unten und schrie mich wieder mit voller Kraft an. Wie ich denn wieder aussähe, ich wäre doch verrückt, ich habe sie doch nicht mehr alle, wie eine Schlampe sähe ich aus, so verkommen, dass ich mich nicht schämen würde und ich solle mir gefälligst etwas anderes anziehen, sonst käme ich nicht mit. Ich war völlig geschockt, weil sie davor noch so gut gelaunt war und was ich anhatte, war nie und nimmer verkommen oder sonst etwas, es war schön und gefiel mir. Ich ging hoch und sagte dazu gar nichts. Ich war einfach enttäuscht und traurig, dass der Abend wieder so laufen musste. Ich saß an meinem Wohnzimmertisch, der auch gleichzeitig mein Arbeitstisch war und starrte in mein Französischbuch. Ich dachte mir, dass es doch nicht schon wieder sein kann, nicht diesem Abend. Dann schrie sie noch lauter von unten hoch: „Was ist jetzt?“ Ihr Ton war nicht nur laut, auch wahnsinnig wütend. Ich sagte ganz ruhig: „Nichts. Ich dachte, du wolltest mich wohl nicht dabei haben, also bleibe ich lieber hier.“ Obwohl ich es in einem freundlichen Ton sagte, drehte sie noch mehr durch und ihr Schreien war nun hysterisch geworden: „Habe ich gar nicht! Du willst nicht mit! Du vermiest mir wieder den ganzen Abend, du blöde Kuh! Dann fahre ich dich nicht mehr in die Schule ab morgen! Du kannst sehen, wie du alleine zurechtkommst! So lasse ich nicht mit mir umspringen! Kaum ist das eine Arschloch weg, schikaniert mich die andre!“ Danach war kurz Stille und ich hatte einfach nur Angst, dass sie in ihrem Zorn zu mir hochkommen würde und wer weiß was dann. Ich saß immer noch am Tisch, hatte Angst, überlegte, was ich machen sollte. Nachgeben? Lieber dableiben? Ich weinte los, weil ich es so satt hatte, die ganzen Wochen nur angemault zu werden, alles falsch zu machen und an jeder Kleinigkeit schuld zu sein. Es ging weiter, doch in ihrem Ton war kein solcher Hass mehr: „Du ziehst dich jetzt sofort um, wenn ich dir das sage, verflixt noch einmal! Hast du das gehört? Du ziehst dich um und du machst das jetzt, verdammt noch mal! Ich setze mich jetzt durch, ist das klar?“ Sie spann total, sie hätte mich genauso gut darum bitten können, dass ich mir doch etwas anderes anziehen könnte, ich sagte dagegen nicht einmal was, nichts, sie ging von ganz alleine so furchtbar ab. Ich zog mich um, einen anderen Rollkragenpullover, der ein eher altmodischeres Muster hatte und vorne im Stoff weiß geflochten war. Er sah nicht schlecht aus und war eigentlich genauso ansehnlich wie der andere. Die Jeans wechselte ich gegen eine schwarze Hose aus, die eher schlicht und langweilig war. Ich ging wieder hinunter. Jetzt war sie anscheinend zufrieden und wieder einigermaßen gut gelaunt. Als wir dann zur Katja liefen, ging es wieder und ich versuchte ihr das auf eher lustige Art und Weise zu erklären, dass sie mich auch hätte normal darum bitten können und mich nicht so anschreien müsse. Und ich auch nicht verstehe, was sie gegen mein Outfit hatte. Sie wollte es nicht ganz begreifen, aber ein Glück, dass ihre Laune wieder über Wasser war. Der Abend verlief nicht sonderlich gut. Es ging weiter. Die Gospel-Gruppe hatte einen schweren Unfall, darum fiel das Konzert aus, aber dafür gingen wir im C., einer Cocktail-Bar, etwas trinken. Es war ganz amüsant.
Später liefen wir nach Hause und als Mama und ich, eingehakt, kurz vor unserem Gartentürchen waren, legte es sie richtig hin und mich mit. Beide lagen wir auf dem Boden, ich fand es im ersten Moment eher lustig, hatte mir auch nicht wehgetan, aber Mama ging es ganz anders. Das erste, was sie typischerweise sagte, war: „Verdammte Scheiße, aua, wieso kannst du mich denn nicht halten, verdammt noch mal, hmm? Jetzt bin ich wegen dir hingefallen!“ Sie hatte sich die Außenbänder stark gedehnt und konnte kaum noch laufen, war aber dafür wieder aggressiv wie ein wilder Löwe. Drinnen angekommen rief Günter noch mal an, weil er uns etwas wegen dem Papa sagen wollte, da er ihm wieder Kleidung übergeben hatte. Aber das war in dem Moment egal, ich erzählte, was passiert war und er bestand darauf, hierher zu kommen. Es war bestimmt schon nach elf Uhr. Ich ging zu Mama ins Bad, die sich gerade den Fuß mit einem Waschlappen kühlte, sie sah mich mit Stieraugen an. „Was ist?“, fragte sie genervt. Ich sagte ihr, dass Günter kommt, während ich ihn noch am Telefon hatte. „Nein bloß nicht. Der Scheißkerl soll bloß wegbleiben, spinnt der denn?“
„Ok, ich sag ihm, dass du das jetzt nicht mehr willst.“
Warum auch immer sie ihn Scheißkerl nannte, ich wusste es nicht und weiß es bis heute nicht, aber so ist sie eben. Ein Glück, dass Günter das nicht hörte. Ich sagte ihm, was Mama meinte, jedoch in höflicher Form. Günter kam trotzdem. Wer war natürlich daran schuld? Richtig – ich. Obwohl ich nie gesagt hatte, dass er kommen sollte, im Gegenteil. Doch es war gut, dass er kam, er brachte Coolpacks mit für die Mama und kümmerte sich um sie. Sie hatte sich wieder beruhigt. Ich saß daneben, holte Kissen und Handtücher und assistierte praktisch nur. Das ganze Drama ging bis um drei Uhr. Mama ging es schlecht, ihr Bein schwoll sehr dick an, wurde blau und sie kann bis jetzt nicht wirklich laufen. Ich schaute etwas traurig und war ehrlich gesagt stinksauer auf sie, da sie mich wieder für alles verantwortlich machte. Günter fragte mich, was los wäre und er meinte, dass ich nicht bloß deswegen so traurig wäre. Er hatte natürlich völlig recht. Ich war so am Ende. Ich weinte wieder los, konnte nichts sagen, wie auch, da mein Problem ja vor mir auf der Couch lag. Dann maulte sie mich wieder an, ich solle doch nicht so stur sein und es ihm sagen. Mir reichte es so was von dermaßen und ich ging weinend hoch und sagte: „Was denn? Ich bin doch sowieso an allem Schuld, du willst mich doch gar nicht mehr, also gehe ich halt!“ Das war’s und ich weinte und weinte und weinte. So wie ich es auch die restlichen letzen zwei Wochen getan hatte.
Ich wollte mit niemandem reden, fühlte mich alleine gelassen und einsam, schrecklich einsam. Mir wurde wieder kalt, so eiskalt. Ich saß da, auf dem kalten Boden, zwischen meinem Gang oben und meiner Tür, die ins Wohnzimmer führte. Der Boden war genauso kalt, wie ich mich fühlte. Jeden verdammten Tag machte ich mir Gedanken und Hoffnungen, dass es so nicht weitergehen konnte und doch stand ich jeden Tag auf, ging zur Schule, lernte und riss mich zusammen, jeden Tag war es wieder und wieder das gleiche, immer wieder von vorne, du machst alles falsch, du bist daran schuld, wieso hast du dies nicht getan und das nicht, du bist nichts, du bist es nicht wert, ich liebe dich nicht, das sagte mir jeder einzelne Tag und es ging weiter und weiter. Es schien endlos zu sein. Ich fühlte mich endlos, diese Endlosigkeit war zum Schreien, tief, schwarz, kalt und leer, kein Ausweg in Sicht. Ich saß jeden Abend da, konnte nicht einmal mehr mein Tagebuch schreiben, was ich immer vorhatte. Mir fehlte die Energie, die Kraft, es war sinnlos, alles war grauenhaft, erbärmlich, jämmerlich. Jedes schlechte Gefühl kam immer hoch und ich saß da, auf meiner Couch, starrte auf einen Fleck, dachte an meine Vergangenheit, an das was kommt und vor allem an das, was gerade ist. Alles war kaputt, alles. Meine Vergangenheit, all die Jahre, ein einziger Kampf, keine Pause, keine längere Zeit, in der alles in Ordnung war, es ging weiter. Und jetzt? Was ist jetzt? Nun, da er weg ist? Ein weiterer Kampf, es dreht sich, ein Kreis, der ganz schwarz ist und ab und an weiße Punkte hat, aber ob er jemals ganz hell sein wird, das ist fraglich. Es ist hart, so hart. Ich bin müde, von dem Kampf, von dem Leid, von meiner Vergangenheit, von den Menschen, die mich enttäuschen, die mich nicht anerkennen, mich Tag für Tag verletzen. Ich denke viel über den Tod nach, nach wie vor. Besonders in diesen schlimmen Wochen war es krass. Kein Ritzen mehr, kein Alkohol mehr, keine Tabletten mehr, keine Liebe mehr, die dich vielleicht hochbringen könnte, Freunde, die dich enttäuschen, grundlos und eine Mutter, die ihren ganzen Hass und Zorn an einem auslässt. Dabei muss ich immer stark bleiben, jeden neuen Tag aufstehen, in die Schule gehen, aufpassen, mich konzentrieren, etwas lernen, gute Noten schreiben, zu Hause nicht ausrasten, ständig nur ruhig bleiben, die Gute und Verlässliche sein und brav meine Hausaufgaben machen, schön lernen und das machen, was die Mutter sagt, bzw. schreit. Es war, als ob, sobald die Sonne wieder aufging, einer als Strafe dafür, dass du sie sehen kannst, bis es Abend wird, Messer in dich hineinrammen würde. Das mit der Gruppe habe ich Gott sei Dank wieder hinbekommen, einigermaßen, auch Dank Günter, der mir dabei sehr geholfen hat und mit mir darüber redete. Das mit Isabel habe ich alleine hinbekommen, mich zu lösen ohne sie zu verletzen. Ich möchte niemanden verletzen, ich will nämlich nicht genauso sein, wie all die anderen, die das mit mir tun, oder mit anderen Mitmenschen. Ich versuche zu vergeben, selbst wenn es mich vor Wut geradezu zerreißt. Ich bemühe mich, es zu schaffen, weiterzukämpfen, auch wenn ich schon längst müde bin.
Dabei stelle ich mir immer einen Krieger vor, der auf einem brutalen Schlachtfeld kämpfen muss und Grausames und Brutales sieht und mitbekommt. Er kämpft und kämpft, es ist ein sehr langer Krieg, es geht um eine schwierige und lange Schlacht. Er hat es aber bisher überlebt, wenn auch mit vielen Wunden und Kratzern. Wenn er jetzt plötzlich aufgeben würde und der Krieg wäre zu Ende, würde er sich unglaublich ärgern, also macht er weiter. Er weiß nicht, wie lange die Schlacht noch dauert, wie viele Qualen er noch erleiden muss, aber die Hoffnung gibt er nicht auf und deshalb kämpft er weiter. Vielleicht ist es irgendwann mal vorbei und er kann sagen, dass er als einer der wenigen durchgehalten hat bis zum Schluss, auch wenn es schwer und vor allem einsam war. Doch danach ist er umso erleichterter und weiß, dass er etwas geleistet hat, was nur wenige schafften. Das ist der Grund, warum es trotz allem noch weitergeht, das heißt, weitergehen muss.
Ich danke Gott oder einer höheren Macht, dass ich meine beste Freundin Amelie noch habe, ihr vertrauen kann und dass sie immer für mich da ist. Ich bin auch unendlich froh darüber, mit Günter und Katja so gut reden zu können. Ich liebe diese Menschen sehr, besonders Amelie, sie sind mir ans Herz gewachsen und unentbehrlich. Ich bin mir sicher, dass sie das wissen und ich bete dafür, dass es ihnen gut geht und sie kein Leid mehr erfahren müssen, dass sie weiterhin da sind und vor allem glücklich und froh leben. Ich bin auch glücklich, meine Mutter zu haben, ich liebe sie sehr, auch wenn sie eine wahrhafte Bestie sein kann. Um sie mache ich mir am meisten Sorgen, doch leider kann ich sie nicht auffangen, es geht nicht und doch bemühe ich mich. Sie ist mir der wichtigste Mensch, auch wenn das oft wehtut, dass sie mir so viel bedeutet, was man sich kaum vorstellen kann. Ich wünschte, sie wäre gelassener, nähme alles leichter, würde sich nicht allzu sehr in ihren Schmerz verbeißen, ihn gehen lassen, oder wegsperren, hinter eine dicke, fette Tür, die einfach verschlossen bleibt und nur dann geöffnet werden sollte, wenn es wirklich nötig ist und einen Sinn hat, nicht alles noch schlimmer macht.
Weihnachten war in Ordnung, wir aßen über den Tag verteilt ein Menü und abends kamen noch Günter und Katja vorbei. Mama hat sich, seit Ferien sind, wieder etwas beruhigt und es geht gerade sehr gut, sie mault nicht, schreit nicht, lacht wieder mehr. Ich habe ihr das auch gesagt, dass ich das sehr schön finde und mich das glücklich macht, wenn es ihr besser geht. Es ist gut, dass jetzt Ferien sind, so können wir uns ausspannen und Papa ist jetzt anscheinend auch weg, sodass wir keine Angst haben müssen, dass er irgendetwas macht.
Es ist immer das Gleiche, er rief mich ein paar Mal auf dem Handy an, ich nahm nicht ab, er schrieb über den Anwalt Faxe, wegen seiner Kleidung und zeigte Mama an, da sie sich ja gewehrt hat. Dann legte er sich letzten Dienstag noch mit Günter an, war sehr aggressiv, wollte ihm anscheinend schon eine runterhauen, aber Günter ließ es nicht soweit kommen. Es gibt aber auch viele gute Nachrichten. Die Anzeige gegen die Mama ist fallengelassen worden und wie erwähnt, ist er jetzt weg, wie er zu der Sekretärin von Mamas Anwältin meinte, „auf Rehabilitation“! Wie lächerlich. Er brauchte nämlich Kurzarmhemden und seine kurzen Hosen, also ist er wohl in Urlaub geflogen und nichts anderes. Er hat nicht mal ein Wohnrecht hier, hat man herausgefunden, das bedeutet, dass wir ihn nie auszahlen müssen und er mit 100%iger Sicherheit nicht mehr in das Haus darf. Das ist wunderbar und vor allem für die Mama sehr erleichternd. Ihre Neurodermitis ist ziemlich schlimm geworden, jetzt hat sie es auch noch im Gesicht gekommen und ist ganz rot und entzündet, zudem kann sie ja nicht laufen und ist wirklich arm dran.
Langsam beginne ich den Papa zu vergessen, ich denke nicht mehr so oft an ihn und habe weniger Angst, dass etwas passieren könnte. Seit er fort ist, esse ich viel mehr, mir geht es körperlich deutlich besser und ich kann auch besser schlafen, wache kaum noch auf, schlafe gleich ein. Diese krassen Angstzustände sind fast ganz weg und das Bedürfnis, mich zu ritzen oder durch Alkohol all den Schmerz zu ertränken, ist auch weg. Die Abende, an denen es mir so schlecht ging, waren schon hart, aber es war anders, ein anderes Gefühl, als wenn es mir wegen ihm so schlecht gehen würde. Ich will dennoch nie mehr wieder so eine lange Zeit dermaßen am Ende sein, nie, nie wieder. Es ist wirklich schlimm gewesen, mittlerweile geht es wieder und ich breche nicht einfach so nervlich zusammen. Es ist wieder ok, zwar nicht gut, aber immerhin ok. Es war ein Loch, ein ganz tiefes Loch, ich dachte in dieser Zeit wirklich, dass ich nicht mehr herauskommen würde. Egal wer so etwas durchmacht, ich versichere, es geht vorbei, auch wenn es wie scharfe Messerstiche sind, wenn du dich klein, ungeliebt und abgeschoben in eine kahle Ecke fühlst, irgendwann ist das Leid sich selbst leid, dann ist es zu Ende. Ob es wiederkommt und wann, das kann ich nicht sagen, ich bin mir aber sicher, dass es einmal wieder soweit sein wird, aber dann gehe ich anders damit um, weil ich weiß, wie es war. Man lernt daraus, auch wenn es einem in den Momenten, Tagen, Wochen nicht klar ist und man ständig an den Tod denkt. Hinterher hat man etwas gelernt. Ein Stück besser mit sich umzugehen, wieder in die Gesellschaft zu finden, einfach zu leben. Denn das, was in diesen Tagen mit mir war, war kein Leben mehr, das, genau das, war der Tod. Nicht wenn ein Mensch stirbt ist es der Tod, nein, wenn man in einem Loch sitzt und nicht mehr herauskommt, sich alles wiederholt, dann ist man nicht mehr am Leben, aber man kann wieder zurückfinden, es geht. Wie gesagt, irgendwann ist selbst das Leid sich leid.
Tagebuch vom 26.–31.12.05
Heute ist ein äußerst bedeutender Tag, nicht nur weil Silvester ist, nein, denn bis zu dem heutigen Tage schreibe ich schon seit 2003 Tagebuch, das heißt, bereits drei Jahre lang. Und vor allem ist in diesem Jahr unendlich viel passiert und gerade 2005 begann ich richtige Einträge zu schreiben. Ich muss sagen, dass ich wirklich auf wenige Dinge in meinem Leben, die ich vollbracht habe, stolz bin, aber auf das hier bin ich richtig stolz.
In den letzten paar Tagen ist nicht sonderlich viel passiert, das ist auch gut so, mir ging es richtig gut und ich hatte keinen Stress mit der Mama. Alles lief geradezu perfekt. Das habe ich wirklich gebraucht, schon seit langem.
Es schneite ja bei uns und Himmel, ich liebe den Schnee. Viele Menschen mögen den Winter nicht, weil er angeblich so grau, hässlich und kalt sei, aber ich bin ein richtiges Winterkind. Es ist so schön, so wunderschön. Ging es mir jemals über so viele Tage so gut? Ich glaube nicht so recht.
Es beschäftigen mich natürlich immer noch viele Dinge, ich kann sie ja nicht plötzlich wegzaubern. Manchmal habe ich abends noch Angst, dass er irgendwie ins Haus kommen könnte, ich habe dann richtige Angstzustände, aber sie sind mit der Zeit besser geworden. Ich will dann schlafen, aber ich höre Schritte, Atmen, manchmal höre ich richtig, wie bei mir oben jemand auf dem Flur oder über den Teppichboden in meiner Wohnung läuft. Es sind Wahnvorstellungen, Illusionen, die jedoch so echt sind, dass sie mir noch mehr Angst machen. Manchmal, wenn ich nachts wegen einem schlimmen Albtraum aufwache, der wieder sehr brutal war und eigentlich immer von meinem Vater handelt, dann höre ich ebenfalls Geräusche. Ich will sie aus dem Kopf bekommen, doch sie gehen nicht von selbst. Manchmal gehe ich einfach auf den Gang, sehe nach, ob da wirklich nichts ist, besonders, wenn ich Schreie von meiner Mutter zu hören glaube. Ich weiß, dass es nicht die Realität ist, dass es unwirklich ist, in meinem Kopf entsteht, doch es geht, wie gesagt, nicht von der einen auf die andere Sekunde weg und ich muss mich richtig konzentrieren, damit ich wieder einschlafen kann und nicht jedes Mal in Panik ausbreche. Mittlerweile geht es aber und ich denke, dass es nur psychisch sein kann. Ich bekomme es nach und nach in den Griff und kann wieder „klar“ denken, wenn ich nachts von solch einem schlimmen Traum aufwache.
Jeden Tag überlege ich, was ich mit der Gruppe machen soll, wieso ich nicht mit Andi abschließen kann und ob Thomas wirklich nie mehr als Freundschaft für mich empfunden hat oder es noch empfindet. Es sind viele Fragen und ich bin mir bewusst, dass nur ich die Antworten weiß, aber vielleicht will oder kann ich sie nicht hören.
Vor drei Tagen legte ich also Tarot, das mir immer sehr hilft. Ich befragte es nach Mama, Thomas, der Gruppe, Andi, Papa, der Schule und mir. Es kam heraus, dass ich die Zeit mit Mama genießen soll und nicht von schlechten Sachen reden dürfte, sondern nur von Guten, die uns beiden Freude bereiten. Das tat ich dann auch und es ist gar nicht so einfach, wirklich nichts Schlechtes zu erwähnen. Doch es half wirklich, nicht nur ihr, sondern auch irgendwie mir. Man sieht die Situation als nicht so schlimm an und macht sich bewusst, was wirklich schön ist im Leben, das heißt auch, was wirklich zählt und das ist wahrhaftig das Gute. In Sachen Gruppe und meinem Ex bekam ich Karten, die viele rote Farben hatten, daher sehr viel Emotionen. Ich sollte mal meine Meinung äußern, zwar niemanden verletzen, aber trotzdem die angestaute Wut herauslassen. Was meinen Vater betrifft, kam nicht sonderlich viel heraus, nur dass ich Gewohnheiten aufgeben müsste, die mit ihm zu tun haben. Damit ist wohl gemeint, dass wenn ein fremdes Geräusch im Haus ist, das ich nicht zuordnen kann oder wenn etwas knallt, dass ich dann nicht immer alles stehen und liegen lasse, um zu hören oder zu sehen, was das war. Es gibt keinen Grund mehr dafür, weil er ja nicht mehr da ist, aber dieses Verhalten hat sich bei mir eingefleischt. In der Schule sollte ich einfach alles lieben, was ich dort mache, sei es das Lernen zu Hause, oder Arbeiten schreiben, ich müsste es richtig lieben, um darin Erfolg zu haben. Nun gut, mal sehen, ob ich das hinbekomme …! Schließlich zu Thomas. Ich sollte froh darüber sein, was ich erreicht habe, sprich eine solche, tiefe Freundschaft und er hätte momentan nicht den Willen und die Kraft dazu, das zu zeigen, was er wirklich will. Er fühle sich unterdrückt und unsicher. Amelie will jetzt nach den Ferien unter vier Augen mit ihm sprechen und ihm sagen, dass viele dachten, dass zwischen uns mehr gewesen wäre und so weiter und so weiter. Mal sehen was das bringt. Was ich mir davon erhoffe? Ganz klar, die Erfüllung eines Wunsches, nämlich, dass er herkommt, sagt, er liebe mich und alles heile Welt wäre. Doch so wird es, denke ich, nicht sein.
Heute Abend sind wir bei Gertrud eingeladen, leider kann ich nicht mit Amelie feiern, obwohl wir uns so darauf gefreut hätten, aber meine Ma kann nicht fahren, wegen ihrem Fuß und sie hat bei dem Wetter auch keine Lust.
Tja, das war ein Jahr, ein hartes Jahr, aber ich habe es überstanden und Gott, mir kommen die Tränen, wenn ich das schreibe. Ich habe es überlebt, obwohl es oft so hart an der Grenze war. Und ich freue mich, so wie ein Kämpfer, der vom Krieg nach Hause kommt, seine Familie wiedersieht und erleichtert ist, glücklich und hoffnungsvoll. Ob er allerdings wieder auf das Schlachtfeld muss, ist unsicher, was er weiß ist, dass er weiterhin zu kämpfen hat.
Mir fehlen die Worte, um einen oder mehrere Sätze zu schreiben, die das Jahr beschreiben, es war viel, zu viel.
Gedicht:
Am Anfang war ein Wort,
es setzte sich über die Jahre hin fort,
es kämpfte und rankte,
zankte und wankte,
zwischen Leben und Tod.
Die Hoffnung gab es nie auf,
so nahm es fortwährend seinen Lauf,
es lief und lief,
bis es an eine Wand stieß,
es stand wieder auf,
nahm weiter seinen Lauf.
Der Abschied fiel ihm schwer,
er wollte seinen Vater sehen, nimmermehr,
es war zu Ende, kein Funken Licht,
es sah nur noch das Teufelsgesicht.
Vor Angst und Schrecken weinte es lange,
hatte zu oft Tränen auf der Wange,
das Leid wurde dort zu groß,
es lief hinfort an einen anderen Ort.
Es tat ohne Nutzen viel,
hatte dabei stets immer ein Ziel,
ein Spiel mit gutem Ende,
was es bekam,
waren wieder leere Hände.
Es war kaum noch zu retten,
wollte schlafen,
für ewig in Wolkenbetten.
Lichter, viele, helle Lichter,
sie kamen,
sogen allzu oft das Böse weg,
wie ein Trichter,
es hatte denjenigen zu verdanken,
dass all die Kranken nun,
die soviel Schande machten,
endlich verschwanden.
Es wurde besser,
doch spürte die Wunden der Messer,
sie erinnern daran,
wie es sein kann,
machen einem klar,
es geschah dieses Jahr.
Doch die Hoffnung gibt es nie auf,
es nimmt sodann fortwährend seinen Lauf!
Tagebuch vom 01.–06.01.06
Kommen wir erst mal zu Silvester. Es war ein ganz stinknormales, gewöhnliches Silvester, eines ohne große Sorge um meine Eltern, ohne Streit, ohne Angst. Zugegeben, etwas langweilig war es. Wir waren bei Gertrud eingeladen, ihre Schwiegermutter kam dann auch noch dazu. Nachdem wir lange und viel gegessen hatten, spielten wir Tabu. Etwas müheselig mit der 92 Jahre alten Schwiegermutter war es schon, aber trotzdem lustig. Günter und Katja konnten leider nicht rüberkommen. Katja ging es nicht sonderlich gut, da ihr Bein wieder schmerzte, immer noch wegen ihres schlimmen Fahrradunfalls. Günter kam anfangs kurz vorbei mit dem kleinen Felix, seinem Enkelkind, ging aber nach ein paar Minuten wieder. Als es dann soweit war, saßen wir alle auf Gertruds blauer Couch und zählten mit dem Fernsehprogramm hinunter, bis es endlich 2006 war. Danach tanzten Gertrud und ich noch Walzer durch das Wohnzimmer und Cocko lief mit uns mit und bellte. Gertrud war wohl etwas angetrunken. Kurz danach versprach uns Günter draußen ein Feuerwerk. Wir standen alle gespannt auf dem Balkon und sahen zu. Es war wirklich sehr schön, alle waren gut gelaunt, kein Streit, es war harmonisch, so wie ich es nicht gewohnt war. Auch wenn es nicht die Riesenparty war, so fühlte sich doch jeder wohl und das war das Wichtigste. Als wir wieder im Haus waren, gossen wir Blei. Ich hatte eine Pistole, einen Degen und einen Käfer, alle drei waren gut. Sie bedeuteten Glück, Zuversicht und Mut in der Zukunft. Mama und ich gingen aber schon um halb zwei. Das lag daran, dass Cocko, die Hündin, mir aus Versehen mit ihrer Pfote ins Auge fasste, als wir beide spielten. Meine Kontaktlinse fiel sogar heraus und mein Auge juckte und war entzündet, außerdem hatte ich nichts für meine Linsen dabei. Zu Hause angekommen waren wir dann auch sehr müde.
Im neuen Jahr kam die Bettina noch zu mir, wir waren mit Günter und Katja in M., allerdings war das, wegen Mamas Bein, total stressig. Sie war deshalb schlecht gelaunt, hatte eben Schmerzen und maulte viel herum. An diesem Tag in M. machten dann Günter und ich etwas ziemlich Verrücktes aus. Am nächsten Tag war nämlich Amelies Geburtstag und auch Thomas und seine Freundin Vanni kamen. Ich war mir immer noch nicht sicher, was er jetzt über mich denkt, ob er mich eifersüchtig machen möchte, ich mir alles bloß eingebildet hatte oder vielleicht um ihn kämpfen sollte. Fest ausgemacht war, dass wir ins T. und N. gehen würden, dort käme dann auch Günter hin, setzte sich in unsere Nähe und würde dann Thomas und Co. beobachten, um mir Genaueres zu sagen.
Donnerstags hatte also Amelie Geburtstag. Eingeladen waren eben auch ein paar Jungs. Es war alles ganz in Ordnung, bis Thomas und seine Vanni kamen. Ich dachte, mir würde es nichts ausmachen, ich wäre ganz cool, könnte mit ihnen ohne weiteres reden. Aber nichts dergleichen. Ich fing an zu zittern, war aufgeregt und wurde ganz kribbelig und wütend auf die beiden. Am liebsten hätte ich sie angeschrien und alles kurz und klein geschlagen. Sie turtelten auf Amelies Bett herum und kicherten. Nun ja. Von Amelie aus gingen wir dann um sieben Uhr ins T. und N. Andi war auch dabei, zum Glück aber nicht seine Jenni. Günter kam dann irgendwann und ich war schon beim zweiten Cocktail. Mir ging es wirklich nicht sonderlich gut. Direkt vor mir saß nämlich händchenhaltend das Traumpaar und sie knutschten ab und zu. Andi machte sich an Yvonne und Isabel ran. Günter setzte sich in eine Ecke und beobachtete uns. Natürlich wusste keiner Bescheid, nur die Amelie, und die meisten kannten Günter nicht einmal. Einige sprachen mich auf ihn an, vor allem Lina. Sie meinte wortwörtlich: „Was ist denn das für einer, der passt ja gar nicht hier rein. Hier sind doch nur junge Leute und der ist schon voll alt und der starrt andauernd hierher, Gott, der soll gehen, der macht mir echt Angst.“ Ja, es war wirklich etwas beunruhigend, wenn man ihn nicht kannte. Madame Isabel war leider, wie gesagt, auch da. Allerdings nicht an unserem Tisch. Als ich noch bei Amelie war, rief sie mich auf dem Telefon an, meinte noch zu Amelie, als sie ihr gratulierte, dass sie gar nicht hier sei, sie also nicht zu Amelies Party ins T. und N. kommen könnte. Mir erzählte sie auch vor den Ferien, dass sie bis zum Sonntag in der Schweiz wäre. Sehr seltsam und plötzlich war sie doch mit ein paar Freunden da. Na ja, einmal verlogen, immer verlogen. Als Amelie und ich dann auf die Toilette gingen, folgte uns Günter wie abgesprochen, für die erste „Analyse“. Er zuckte mit den Schultern und meinte: „Na, ja, ich kann dazu nicht viel sagen, die beiden sehen ja ganz glücklich aus. Mit ihm zu reden ist halt sehr schwer, weil die beiden die ganze Zeit aufeinander hängen. Na gut, ich schau mal weiter.“ Also gingen wir wieder nach oben. Nach einer halben Stunde kam Günter dann an unseren Tisch, fast alle schauten ihn an wie ein Auto. Er gratulierte Amelie und schenkte ihr zwei silberne Dosen. Dann verabschiedete er sich noch und sagte: „Tja Lena, ich weiß auch nicht, wir werden noch sehen.“ Erst einmal konnte ich damit wirklich gar nichts anfangen und dachte mir, „Hey, super, danke, ähm, für was jetzt eigentlich.“ Doch später begriff ich es. Mein Hass und meine Wut wurden langsam weniger und das Gefühl Andi und Thomas küssen zu müssen, aus völliger Verzweiflung, auch. Als Thomas endlich einmal von ihr abließ, stand ich auf und redete einfach mit ihr. Es war schon ziemlich angespannt, aber eigentlich ohne Hass oder Verachtung. „Hey, na, wie geht’s dir so?“, fragte ich zuerst und setzte mich neben sie. „Hey. Ja, super.“ Sie schaute etwas verdutzt, aber strahlte vor Glück. „Ja, glaube ich dir. Man sieht es dir an. Du bist glücklich, oder?“ „Ja, das bin ich, kann man sagen“, antwortete sie und grinste immer mehr. Ich empfand nichts, gar nichts, nur etwas Aufregung. Im Verlauf meinte sie noch, dass ich ja nicht mehr mit ihr geredet hätte, ich nickte nur und meinte: „Tja.“ Später fragte sie mich noch, wer denn der Glückliche sei. Ich verstand erst gar nicht, wovon sie redete, ich hatte doch keinen Freund. Dann ergänzte sie noch, dass sie bei mir angerufen hatte und meine Ma ihr gesagt hat, dass ich bei meinem Freund sei. Ich erinnerte mich. „Ja, ähm, er heißt Philipp.“ (Wenn er auch imaginär ist). Ich hätte ebenso gut sagen können, ich habe doch gar keinen. Aber das ging nicht, mein Stolz stand mir im Weg und ich wollte so dastehen, als ob ich über alles hinweg wäre. Der Hass in mir kam wieder hoch, alleine schon die Tatsache, dass sie immer noch nicht begriff, was für einen Vertrauensbuch ihre ganze Lüge verursacht hatte. Dann kam Thomas wieder und ich verschwand. Kurz bevor Vanni um neun Uhr abgeholt wurde, kam auf einmal Günter noch mal hoch zu uns, er hatte sich wohl noch unten an der Bar aufgehalten. Er sah, wie ich Vanni zum Abschied umarmte. Ich ging ein paar Schritte auf ihn zu und meinte: „Jetzt habe ich doch wieder mit ihr geredet, ich wusste auch nicht genau weshalb.“ Günter grinste mich an und umarmte mich. „Ja, ich bin ein viel zu netter Mensch, oder?“
„Ja, das bist du“, sagte er und sah mich weiter etwas fragend an, so als ob er noch etwas hören wollte. „Ich habe mir das alles bloß eingebildet, stimmt’s!“, sagte ich. „Ja Lena, ist wohl so“, meinte er. Ich nickte und musste irgendwie über mich selbst lachen. „Gut, das wollte ich nur noch mal bestätigt haben.“ Damit war das Thema für mich abgeschlossen, einfach so. Es war für mich okay, ich habe es selbst eingesehen und das war für mich der Punkt, um ihn vergessen zu können. Später saß er alleine auf der Couch, da ja seine hässliche, äußerst dicke und zudem noch stinkende Vanni, die auch noch recht viele Schuppen hatte, weg war. Ich setzte mich neben ihn, da ich noch unbedingt mit ihm reden wollte. Am Vortag bekam ich nämlich abends plötzlich eine SMS, die Nummer war mir nicht bekannt und darin stand: Hallo Lena! Ich wünsche dir nachträglich ein schönes, neues Jahr und hoffe, dass es dir und deiner Familie gut geht. Liebe Grüße, Thomas! Da ich keinen anderen Thomas kannte, außer ihn, dachte ich, er hätte mir diese Nachricht geschrieben und wollte mich für sein überraschendes „Entgegenkommen“ bedanken. Er war bereits sehr angetrunken, daher etwas gelassener und grinste mich richtig an, schien sich zu freuen, dass ich mit ihm reden wollte. Ich sprach ihn auf die SMS an. Er sah mich erstaunt an, etwas ungläubig, dann zeigte ich ihm die SMS noch und er sah mich noch verwirrter an. Er habe sie nicht geschrieben, ganz sicher nicht und hätte auch kein anderes Handy, er kenne die Nummer nicht und sah sogar nach, ob er diese irgendwo gespeichert hatte. Es kam nichts dabei heraus. Ich war wieder etwas geknickt und enttäuscht, aber immerhin hatte ich mit ihm etwas geredet. Verrückt – wer hatte mir dann diese Nachricht geschrieben und kannte zudem noch meinen Namen?
Der Abend lief aber noch sehr lustig ab. Amelie und Yvonne waren komplett betrunken. Amelie machte eine Couchlehne kaputt, indem sie sich aus Freude darauf warf. Und als wir gingen, schmiss sie noch die letzten zwei Tequilagläser um, die Yvonne und Amelie an dem Abend en Masse tranken. Yvonne wurde zum Glück abgeholt, aber ich übernachtete als einzige bei Amelie und sie konnte nicht mehr laufen und lachte nur noch. Thomas und Andi halfen mir, sie nach Hause zu bringen. Auf dem Weg dorthin musste sie noch zwei Mal für kleine Mädchen und dabei halfen mir Thomas und Andi natürlich nicht. Es war schon anstrengend und Amelie klappte immer wieder lachend auf den Boden. Ich fand es mit der Zeit nicht mehr lustig und sie kicherte unentwegt. Zu Hause verabschiedeten sich Thomas und Andi von mir. Mittlerweile redete Thomas sogar wieder mit mir und umarmte mich zum Abschied von sich aus. Ich konnte Amelie noch umziehen und einigermaßen dafür sorgen, dass ihre Eltern nicht bemerkten, dass sie so betrunken war. Eigentlich sollte ich auch in ihrem Bett übernachten und hatte daher keine Schlafsachen dabei, aber das ging nicht, weil sie immer wieder anfing zu lachen, mit sich selbst sprach, kurz sang und sich im ganzen Bett ausbreitete. Als ich mich noch bei ihr umzog, lallte sie, dass ich einen Po hätte, so einen wie eine Stripperin und in den sie beißen wollte und mich scharf finde. Na ja, betrunken eben. Die Nacht schlief ich dann ein paar Stunden im Fernsehraum, bei den Katzen. Ich war zwar allergisch auf sie, aber es war erträglich. Am nächsten Tag ging es mir weniger gut, da ich noch todmüde war und es mich juckte, wegen der Katzenhaare, die ja im Raum herumflogen. Amelie tat es ziemlich leid und ich erzählte ihr, wie der Heimweg war und was sie so alles gesagt hatte. Sie konnte sich kaum mehr daran erinnern, auch nicht daran, dass ich ihr die Hose aufmachen musste, als wir hinter einem Container standen und sie dringend musste. Das ist zwar nicht schlimm, aber genau in diesem Moment kam ein Mann vorbeigelaufen und schaute kurz her und lief schnell weiter. Was der sich wohl gedacht hat. Aber macht nichts, es war ihr siebzehnter Geburtstag und sie hatte ihren Spaß dabei. Lustig war auch, dass sie über die ganze Kreuzung in K. schrie, sie wolle einen Mann und Thomas solle sofort herkommen.
Meine Mutter holte mich um zehn Uhr ab und den Tag über war ich etwas betrübt. Der gestrige Abend war sehr emotional für mich und das musste ich irgendwie schlucken. Doch seit diesem Abend ist Thomas kein Thema mehr für mich. Ich bin selbst überrascht. Vielleicht war es wohl doch nur wieder ein Klammern, vielleicht auch nicht. Aber an diesem Abend, bzw. in dieser Nacht bemerkte ich, dass er nichts für mich war, teilweise kam er mir sogar überheblich vor, erinnerte mich ein wenig an meinen Vater. Ich bin froh, dass es jetzt vorbei ist.
Tagebuch vom 07.–27.01.06
Notiz:
- Wichtig: Waren vor Gericht (Amtsgericht), musste nicht mit rein, Beschluss kam ein paar Tage später, Papa darf nie wieder hier rein, Freude!
- Er hat den Beschluss auch bekommen, war vorgestern Nacht auf unserem Grundstück, haben Fußabdrücke im Schnee am nächsten Tag gesehen, die Polizei informiert und heute Fotos gemacht.
- Sind frische Spuren, das weiß ich, weil ich immer schon schaue, habe in dieser Nacht auch schlecht geschlafen, träumte von ihm, bekam plötzlich schlimme Bauchkrämpfe
- Habe sehr viel Angst vor ihm. Habe bei Mama geschlafen, geschah nichts mehr in der Nacht von Donnerstag auf Freitag.
- War Donnerstag nicht in der Schule, weil Mama und ich wieder aussagen mussten beim Gericht (Protokoll wurde von einer Richterin aufgekommen)
- Es dauerte über drei Stunden, war ziemlich hart, vor allem für Mama
- Mama war heute bei der Polizei, wir können nicht viel machen, Kameras bringen nichts, er kann sich verkleiden
- Alarmsignal geht auch nicht, geht bei jedem kleinen Tier los, können nachts nicht schlafen und würde Nachbarn und Umgebung stören
- Als wir Donnerstag zurückkamen, hat die Polizei aus K. angerufen, wollen bei ihm Hausdurchsuchung machen, wegen Waffenbesitz, Papa ist nicht auffindbar!
- An der angegebenen Adresse ist er nicht, dort sind nur Ferienwohnungen, die leer stehen, es sind nur Briefe in einem Briefkasten gewesen
- Keiner weiß, wo er ist, Polizist meinte, er sei untergetaucht
- Spuren von ihm gingen hinten direkt an unserem Haus vorbei, man sieht, er ist über das große Tor gestiegen, gehen dann am Garagenweg vorbei, am Kinderzimmer vorbei, genau an Mamas Schlafzimmer und er wollte schauen, ob hinten die Gartentür offen ist und er so ins Haus gelangen kann!
- Können alles genau sehen, da zum Glück noch Schnee liegt, wir haben solche Angst! Er ist gefährlich und krank, es ist so schrecklich!
- Wollte er uns umbringen? War er betrunken? Wollte er uns mit Waffe erschießen?
Tagebuch vom 28.01.–28.02.06!
Es ist schon wieder so unendlich viel Zeit vergangen und einiges ist passiert.
Erst einmal zu meinem Vater. Die Polizei konnte ihn bisher immer noch nicht auffinden und vielleicht muss deshalb irgendwann einmal, nach einem gewissen Zeitraum, eine bundesweite Fahndung nach ihm herausgegeben werden. Er zahlt keinen Strom, kein Wasser, den Unterhalt meiner Mutter nicht und meinen hat er vor einer guten Woche erst überwiesen. Das Geld war schon seit Monaten fällig. Natürlich hat er nicht den vollen Betrag bezahlt, sondern von jedem Monat jeweils 100 Euro abgezogen. Wahrscheinlich werden wir jetzt klagen. Zum Glück schneit es bei uns sehr oft, sodass wir durch den Schnee sehen können, ob neue Spuren in unserem Garten sind. Bisher waren aber keine mehr zu sehen, Gott sei Dank! Aber das Schlimmste kommt erst noch. Bei der Heirat hat meine Mutter einen Vertrag unterzeichnet, in dem geschrieben steht, dass das Haus nach der Scheidung, egal aus welchen Gründen die Scheidung sein mag, an meinen Vater zurückfällt. Uns würde nur ein Viertel zustehen. Dieses Viertel ist dann wahrscheinlich der Keller. Aber es kommt noch besser. Das Trennungsjahr ist so kurz angesetzt worden, dass es in diesem Monat schon vorbei ist. Eigentlich bedeutet das, dass wir hier sehr bald ausziehen müssten. Nur wohin? Mit welchem Geld? Er zahlt uns nichts, rein gar nichts. Meine Ma hat die ganzen anfallenden Kosten bezahlen müssen, ihre Rente hat er auch einkassiert, genauso wie mein Kindergeld über Jahre hinweg. Allerdings gibt es einen kleinen Haken, hoffentlich zu unseren Gunsten. Damals, als der Vertrag ausgefertigt und unterschrieben wurde, war ich noch nicht auf der Welt und mir gehörte das Haus auch nicht. Doch jetzt ist das anders. Alle Rechte und Pflichten würden dann laut Vertrag auch wieder auf mich zurückfallen, aber ich werde mich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Unter diesen Umständen darf so etwas nicht passieren. Und wenn doch? Was dann? Dann stehen wir da, mit etwas Geld, keiner Wohnung und er wäre fein aus dem Schneider, so wie immer. Kann es denn sein, dass die Guten immer Elend erfahren müssen und die Bösen alles bekommen? Das ist ungerecht. Am Freitag, als ich das erfahren habe, saß ich im Auto auf dem Weg nach Hause. Ich konnte erst mal nichts sagen, ich saß da und dachte einfach wieder an den Tod. Er war mir wieder so nah, dieses Schwarze, dieses Unendliche, ein Ausweg. Etwa der einzige Ausweg? Der Letzte? Ich musste weinen. Meine Mutter war genauso sprachlos. Sie erfuhr es vormittags von ihrer Anwältin. Anscheinend wusste sie nichts mehr von diesem verfluchten Vertrag. Als wir zu Hause waren, wurde ich dann wütend und immer wütender. Ich hätte alles zusammenschlagen können. Ich war böse auf alles und jeden. Ich dachte immer nur: Wieso? Warum ich? Was soll das? Weshalb kann es kein Ende finden? Soll es vielleicht doch mein Schicksal sein, mich umzubringen? Ist es das? Mama und ich konnten mittags nichts essen. Meine Mutter fing dann an zu weinen, sie hörte bis zum späten Abend nicht mehr auf. Sie machte sich Vorwürfe, dass sie so dumm gewesen war und das unterschrieben hat. Ich ging ab und an mal nach ihr sehen, aber ich konnte nicht bei ihr sein, ich war selbst am Ende. Dann kam sie noch mit ihren Plänen an, nach B. zu ziehen, vielleicht nach H. Dieser Plan wurde dann im Laufe des Tages zu einer Tatsache. Noch schlimmer für mich. Alles zu verlieren, die Schule zu wechseln, niemanden zu kennen, meine Freunde fast nicht mehr zu sehen. Ich war gelähmt, ich fühlte mich leerer und verlassener denn je. Der tiefe, weite, schöne Abgrund lag jetzt nicht nur vor mir und lud mich ein, in ihn hineinzutauchen, er streckte förmlich die Arme nach mir aus, zerrte mich bis kurz vor den Abgrund und fragte: „Möchtest du jetzt endlich springen? Jetzt, da ich dich schon zu mir holen musste? Spring, es ist Zeit, alles ist dem Ende nahe, jetzt gibt es keine Zweifel mehr, es nicht zu tun!“ Es war so einladend wie noch nie. Aber ich dachte mir: Nein, jetzt nicht. Du hast noch dein Tagebuch und wenn es das Einzige ist, was du hast. Schreib es zu Ende, schreibe die Dinge auf, die du noch erleben musst, bis du wirklich nicht mehr kannst, oder vielleicht, bis es endgültig vorbei ist. Du weißt es nicht, niemand weiß es. Doch die Menschen sollten die Wahrheit erfahren, die ganze Wahrheit und sie sollen sich nicht so einsam fühlen und verlassen, wie ich es oft tue. Ich muss weinen. Ich bin so schwach, ich bin so unglaublich schwach. Ich will nicht mehr kämpfen, ich bin müde, ich habe es satt. Trotzdem mache ich weiter, mit meinen letzten Reserven. Meiner Mutter geht es bisher sehr schlecht. Sie lacht kaum noch, denkt andauernd nach, ist mit sich selbst beschäftigt. Sie trinkt eigentlich nicht mehr, aber wenn es so schlimm ist wie jetzt, dann betrinkt sie sich wieder. Am Freitag war sie betrunken, doch es ist verständlich, man muss irgendetwas tun. Eine Lösung finden, so wie ich mich früher geritzt habe, oder so wie ich Anfang der zehnten Klasse abends immer Alkohol gebraucht habe. Auch ich war an dem Abend betrunken, aber ich wurde eher lustig und unbeschwerter. In meinem Rausch rief ich Amelie an und erzählte ihr, dass ich noch mit allen möglichen Leuten herumknutschen wollte, dass ich Andi und Jenni eine Fanta über den Kopf schütten wolle und so weiter. Als ich mich ins Bett legte, schrieb ich dem Hansen eine SMS. Wie ich auf diese Idee gekommen bin, dass weiß ich auch nicht. Aber sie erwies sich als äußerst praktisch für einen kleinen Rachefeldzug.
Ich schrieb: Hey! Willst du mit mir schlafen? Ich weiß, hört sich komisch an und verrückt, aber ich meine es ernst. Ich zieh weg, deshalb. Und ich würde es einfach schön finden.
Am nächsten Morgen dachte ich mir nur, dass ich äußerst peinlich bin und mich jetzt wohl endgültig blamiert hätte. Das wäre aber auch egal gewesen, da er mich sowieso nie kennen lernen wollte und wir uns wahrscheinlich auch niemals gesehen hätten. Dann, im Laufe des Tages, klingelte es mich plötzlich immer wieder an. Die Nummer kam aus B. und wer wohnte dort – der Hansen. Ich nahm natürlich nicht ab, da ich ehrlich gesagt keinen Bedarf mehr verspürte, mit ihm zu reden, nachdem er mir nicht einmal zurückgeschrieben hat.
Er schrieb: Hi, ich bin’s, Hansen! Ich schreib vom Handy einer Freundin! Finde deine Anfrage von gestern Abend mit dem miteinander Schlafen nicht schlecht! Schreib doch bitte auf mein eigenes Handy zurück! Oder ruf kurz an! Bye, Hansen!
Mich traf der Schlag. Aus allen Wolken fiel ich nicht, doch jetzt bestand definitiv kein Interesse mehr an ihm. Da kam ich auf eine geniale Idee.
Ich schrieb: Hey Süßer! Also? Würdest du mit mir schlafen? Wann hättest du denn Zeit? Das würde bestimmt heiß werden.
Ich war wirklich sehr gespannt auf eine Antwort. Ginge er darauf ein, oder war er auch betrunken, sozusagen ein dauerhaft betrunkener Zustand? Mich würde das bei ihm nicht mehr wundern.
Er schrieb: Von mir aus heute oder morgen! Wo? Kann’s mir auch schön vorstellen! Schreib bitte auf mein Handy wieder! Gruß, Hansen!
Perfekt, er hatte angebissen. Diese blöde, hormongesteuerte Kreatur von Mann. Nachts schlief ich natürlich, schrieb daher nicht, doch er hatte es wohl sehr nötig.
Er schrieb: Du meldest dich ja gar nicht mehr! Dachte, wir wollten ein bisschen Spaß haben? Mail back auf mein Handy, schreibe von einer Freundin! Bye, Hansen!
Am nächsten Tag war mein Plan noch ausgefeilter.
Ich schrieb: Na? Wann hast du denn Zeit? Ich wohn grad in K. und hab dort meine eigene, kuschelige Wohnung, wir würden uns dann vorm A. Forum treffen, ja?
Dann meldete er sich einen Tag nicht mehr. Ich dachte schon, dass er sich wahrscheinlich doch nicht auf so etwas einlassen wolle und eventuell auch kurz seinen Verstand aktiviert hätte, vor allem, da ich K. extra aussuchte, weil es weit weg von B. war, aber ich wurde eines Besseren belehrt.
Er schrieb: Tag auch! Hab jetzt wieder Geld auf dem Handy! Wenn du Lust hast, dann komm ich heute zu dir nach K. und dann treffen wir uns vorm Forum! Wir können ja heute Abend ein bisschen weggehen und dann in deine kuschelige Wohnung gehen! Also? Wie sieht es aus? Bye Hansen ;-)
Na? Wenn das nicht mal ein Angebot ist! Grins! Mein Plan wird dann wohl hoffentlich heute Erfolg haben. Nämlich ihn von B. mit dem Zug nach K. zu schicken, außer er hat ein Auto und ihn dann einfach sitzen zu lassen. Kostet viel Geld und er hat nichts davon.
Ich schrieb: Geht klar. Sag mir noch, wann genau du kommst. Ich bin 1,76, schlank, längere, blonde Haare, grüne Augen. Klar können wir weggehen. Super, ich freu mich!
Und wie ich mich freue, he, he. Das wird Spitze! Dann kann er schön draußen in der Kälte warten, so wie er mich mal sitzen gelassen hat.
Er schrieb: Ich sag mal so gegen acht! Am Brunnen vor dem Forum! Aber sag doch noch, wie du gerade auf mich kommst?! Freu mich auch! Passt dir die Zeit?
Wie ich auf dich komme? Oh Mann, der wusste schon wieder nicht, wer ich bin. Drei lange Jahre schreibe, telefoniere, simse ich ihm hinterher, will mich mit ihm treffen, sag ihm immer und immer wieder, wer ich bin und er weiß schon wieder nicht, mit wem er es zu tun hat. Aber das ist, so gesehen, gut für mich.
Ich schrieb: Ist ok! Ich finde dich ganz einfach sehr sexy und verdammt süß. Und kann es mir mit dir gut vorstellen. Bis um acht!
Richtig, ich kann es mir gut vorstellen, wie ich dich schön sitzen lasse. Da kommt Freude auf!
Er schrieb: Jetzt weiß ich zwar, wie du aussiehst, aber deinen Namen und woher du mich kennst, nicht! Bis später, mfg, bye, Hansen ;-)
Nun, ihm wird sein Zwinkern noch vergehen. Ich weiß, ich höre mich gehässig an, aber endlich habe ich kein Interesse mehr, mich mit ihm zu treffen, ich will einfach nur dieses allerletzte Ding durchziehen. Heute um acht Uhr ist es dann soweit, mal schauen, wie oft er es bei mir anklingeln lässt, wie oft er mir schreibt. Er ist süß, aber Rache ist noch viel süßer!
In der Schule geht es gut, mein Zwischenzeugnis war wirklich prima und in Mathe schrieb ich in der letzten Schulaufgabe eine 2, ganz alleine erkämpft. Ich lerne sehr viel und mir macht es richtig Spaß. Ich habe dadurch zwar weniger Zeit, aber kann mich gut ablenken, von dem ganzen Problem mit meinem Vater, bzw. Erzeuger. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ich doch adoptiert bin. Kleiner Scherz am Rande.
Mittlerweile macht es mir kaum noch etwas aus, dass die Gruppe mich nicht mehr so einbezieht, ich möchte das auch nicht mehr. Sie gehen trinken, trinken und nochmals trinken. Einige meiner Freundinnen sind eben auch dabei. Es mag sein, dass sich das etwas überheblich anhört, aber für mich ist das nichts mehr wert. Im Gegenteil. Ich kann es nicht mehr sehen, wie sich immer alle antrinken müssen. Ganz am Anfang, das war gegen Ende der neunten Klasse, gingen wir noch in die Stadt und aßen einfach Eis oder zogen gemütlich durch die Stadt, gingen in ein paar Cafés. Es hat sich sehr geändert. Jetzt gehen sie nur noch in eine Bar, um Alkohol zu trinken. Schlimmer ist noch, dass sich viele so betrinken müssen und das immer und immer wieder, dass man sie nach Hause tragen muss, dass sie umkippen und so weiter. Es ist nicht mehr meine Welt, ich ziehe mich lieber zurück und lerne, davon habe ich sehr viel mehr.
Günter hat mich übrigens sehr enttäuscht. Ist denn wirklich jedes männliche Geschöpf so unsensibel und triebhaft? Kann das sein? Fast jeder Mann oder Junge, den ich bisher kennengelernt habe, ist richtig verlogen, hinterhältig oder feige und derart unsensibel und verletzend, dass man sich nicht mehr mit der Person abzugeben braucht. Günter ist ein zuvorkommender, älterer Mann, der aber einige Komplexe mit seinem Alter hat. Anscheinend haben das viele Männer um die sechzig Jahre herum. Jedenfalls erzählt er oft vor seiner Frau Katja, mit welchen Frauen er früher etwas hatte. Mich persönlich würde das stören, aber nun gut. Was deutlich zu weit ging war, dass er meine Mutter anmachte. Er meinte, was für hübsche Brüste sie doch hätte und fasste sie kurz an. Seitdem möchte meine Ma, verständlicherweise, dass ich immer dabei bin, wenn er allein zu uns kommt und uns besucht oder etwas bei uns repariert. Seitdem ist nichts dergleichen vorgefallen und meine Mama nimmt das ganz locker, aber ich, ehrlich gesagt, nicht. Dann schreibt er einem sehr oft vor, was zu tun sei, möchte seinen Willen immer durchsetzen. Es ist vielleicht gut gemeint, aber extrem penetrant und aufdringlich. Vor ein paar Wochen wollten wir spazieren gehen und kurz bevor wir losgehen wollten, klingelte das Telefon. Wer war es? Günter. Meine Mutter hatte keine Lust ranzugehen, da wir gerade am Gehen waren. Er machte erst auf meinem Handy Telefonterror, dann auf Mamas Handy. Als wir nach Hause kamen, waren wieder Spuren in unserem Garten, ganz frisch. Wir bekamen Angst, doch ich sah, dass die Spuren vom Gartentor ausgingen und logischerweise wäre das sehr leichtsinnig von ihm, am helllichten Tage vorne über das Tor zu steigen. Man hätte ihn erwischen können. Also riefen wir gleich Günter an, ob er es war. Und er war es natürlich. Er machte einen Riesenaufstand, dass wir für zwei Stunden nicht erreichbar waren. Mir ging das deutlich zu weit und als uns Günter und Katja wieder besuchen kamen, redete ich mit ihm. Er begriff es nicht. Er meckerte und gab noch uns die Schuld, meinte dann ziemlich frech: „Ehrlich gesagt, war es mir egal, ob ihr durch die Spuren eine Schrecken bekommen habt. Für den Schrecken, den ihr mir eingejagt habt.“ Ich versuchte ihm zu erklären, dass wir doch wohl für ein paar Stunden weg sein dürfen und dass ich es sehr heftig finden würde, wenn er dann gleich über den Zaun steigt. Aber er wollte das nicht begreifen. Das letzte Mal, als er alleine da war, um etwas für das Gericht zu unterschreiben, zeigte ich ihm mein Zeugnis, weil ich sehr stolz darauf war. Was machte er? Er nörgelte daran herum, sodass mir der Mund offen blieb. Er meinte, es wäre gerade noch ok, obwohl ich fast nur Zweier hatte und in Mathe eigens auf eine Drei gekommen war. Mein Zeugnis war das fünftbeste in der Klasse und er – er stänkerte und hörte nicht mehr auf. Ich war so wütend, ich hätte ihm richtig eine runterhauen können. Ich nahm ihm einfach mein Zeugnis aus der Hand und meinte in einem leicht barschen Ton: „Also hör mal, ich lasse mir doch nicht mein schönes Zeugnis von dir versauen!“, dann ging ich hoch und seitdem habe ich kein Wort mehr mit ihm geredet. Das hätte ich wahrhaftig nicht von ihm gedacht, dass er mich so zu Unrecht verletzen würde. Und seitdem finde ich, dass ich mir das nicht mehr antun muss und Punkt.
Am liebsten würde ich einfach für ein paar Wochen nach Südafrika gehen. Vielleicht noch die Amelie mitnehmen, aber sonst einfach nur weg von allem hier. Jetzt, mit 16 Jahren, beginnen mich so viele Menschen zu enttäuschen. Sie reden schlecht, lügen, zeigen mir gegenüber einfach ein Verhalten, das absolut schlecht ist. Ich versuche immer gerecht zu sein, ich bemühe mich, Konflikten aus dem Weg zu gehen, ich behalte Geheimnisse von andern für mich und rede über niemanden schlecht. Wenn jemand etwas verbockt hat, dann bin ich es, die ungerechterweise wieder ankommt und für den Frieden ist. Aber irgendwann ist Schluss. Ich fresse es in mich hinein, all die Gemeinheiten. Was soll das eigentlich? Diejenigen sollten endlich einmal begreifen, dass so etwas unmenschlich ist. Weshalb sind Menschen so? Fehler und Schwächen sind in Ordnung, aber nicht solche, die einen derart verletzen und auch keine, für die man sich nicht einmal entschuldigt. Es ist wahrhaft schwer, unter dieser Ungerechtigkeit zu leben und immer zu versuchen, alles wieder recht zu machen. Ich habe keine Geduld mehr dafür und auch kein Verständnis. Also drehe ich denjenigen einfach den Rücken zu und lasse sie weiterhin Fehler begehen, die ich ohnehin nicht verhindern kann.
Manchmal bin ich böse, richtig wütend, sodass ich platzen könnte und in jeder Ader ein explosives Gas steckt, sodass alles in die Luft fliegen würde. Ich kann momentan nicht mit diesem Hass, dieser Enttäuschung umgehen. Es scheint mich oft zu erdrücken, ich muss eine Faust ballen, damit ich nicht auf etwas losgehe und alles ablasse. Ich habe große Angst und könnte ausflippen, richtig ausrasten, alles zusammenschlagen, schreien, weinen, mich auf den Boden werfen, alle beschimpfen und schlagen, die mir so weh getan haben, die nicht ahnen können, wie hart und bitter es ist, in solch einer Situation auch noch unnötig alleine gelassen zu werden. Ich hoffe, dass jeder, der dieses Buch liest, niemals so etwas mit einem anderen Menschen macht und etwas mehr Verständnis und Feingefühl entwickelt, für andere, die sich ohnehin schon alleine und kaputt und krank fühlen.
Der einzige Ausweg ist leider, sich mit solchen Menschen nicht mehr abzugeben, sie hinter sich zu lassen, auch wenn es eine bittere Pille ist. Es tut mir leid, es ist Selbstmitleid, aber warum, warum haben mir meine Freunde wie Isabel oder Thomas und Vanessa und so weiter das angetan, warum nur? Das kann ich wohl nie beantworten, niemals.
Tagebuch vom 29.02.–26.03.06
Mir geht es schlecht, sehr schlecht. Ich fühle mich einsam und das Wort Hoffnung entfernt sich immer mehr. Ich verstehe selbst nicht, weshalb ich nicht mehr so oft schreibe. Fehlt mir die Kraft? Oder die Zeit? Ich habe viel zu schreiben, so unendlich viel, dass ich wohl alle Straßen, die es auf der Welt gibt, beschriften könnte.
In den Pfingstferien waren wir bei meiner Oma, es war schrecklich. Manchmal denke ich, dass sie es nicht richtig verstehen kann, was der Papa uns angetan hat, vor allem meiner Mutter. Oma begrüßte uns und danach kam die erste Frage. Ob es uns denn nicht schlecht ginge, so ohne Mann im Haus und ob ich ihn denn nicht vermissen würde. Ich wäre am liebsten sofort wieder gegangen. Es schneite zudem die ganze Zeit, und als Mama und ich nach H. gingen, war im Prinzip der ganze Tag dahin, wegen des Schnees. Ich will mich, ehrlich gesagt, gar nicht mehr an diese paar Tage erinnern. Wie gesagt, sie waren einfach nur schrecklich und langweilig. Ich konnte nichts mit mir anfangen, man konnte nichts unternehmen und die Oma war wie immer sehr anstrengend und nervenaufreibend. Mit Mama verstand ich mich auch nicht sonderlich, aber das ist nichts Neues, wenn man aufeinander sitzt und genervt ist. Ich musste dort viel weinen, weil ich nicht mehr konnte, aber das tue ich auch so. Gott, wo soll ich anfangen? Ich hasse alles, meine Mandeln sind wieder entzündet und vereitert. Ich könnte durchdrehen, das heißt, ich drehe bereits durch. Ich will nicht mehr. Nicht mehr lernen, nicht mehr die ganzen Scheißleute sehen, die mich verarschen, nicht mehr weinen, mich nicht mehr einsam und alleine gelassen fühlen, ich will nur noch mein Buch zu Ende bringen und dann sterben. Mein Leben hängt nur an meinem Buch und vielleicht noch am Erfolg in der Schule. Ich fühle mich klein und erbärmlich, richtig erbärmlich. Letztes Wochenende war ich wieder am Boden zerstört – Nervenzusammenbruch. Warum? Mein Ex-Freund verbreitet alle intimen Dinge aus unserer Beziehung über uns, das heißt besonders mich. Seine ganze Klasse weiß es und alle machen sich natürlich darüber lustig. Ich war so wütend, ich überlegte mir, ob ich nach der Schule heimlich in das Klassenzimmer gehen und auf die Tafel ganz fett: Andi hat einen kleinen Schwanz und ist impotent, schreiben sollte. Aber ich ließ es, da ich nicht genauso niederträchtig sein wollte, wie er. Ich denke, ich habe das nicht nötig. Die Racheaktion mit dem Hansen hat super funktioniert. Er fuhr nach K. vor das Forum, wartete und wartete. Er rief mich sechs Mal an, schrieb mir eine SMS, wo ich denn bliebe, ich antwortete nicht. Danach kam bisher nie wieder etwas von ihm. Ich denke, dass ich jetzt mit ihm abgeschlossen habe, das war meine Rache, ganz einfach und nach all den Jahren kann ich sagen, dass ich diesen Menschen nun abgehakt habe. Leider dauert es immer viel zu lange, bis man einmal erkennt, dass es jemand ganz und gar nicht wert ist, ihn zu lieben. Leider. Ich will weg von hier. Ein anderes Leben, ein anderes Haus, eine andere Schule, andere Eltern, eine andere Familie, und ich wünschte, nie diesen beschissenen Freund gehabt zu haben, mit seinen verkommenen Freunden, auf die ich mich eingelassen habe. Ich wünschte, dass mich niemals jemand so enttäuscht hätte wie meine eigenen Freunde, gerade die, denen ich so viel vertraute. Aber es ist passiert und jetzt habe ich die Quittung dafür. Ich will keinen Freund mehr und nur der Gedanke daran macht mich wütend und ekelt mich an. Außerdem werde ich nie mehr jemandem so blind vertrauen und derart viel von jemandem halten, dass ich sagen könnte, die Freundschaft sei tief und nicht oberflächlich. Ich hasse die Menschen, grundsätzlich, zwar nicht alle, aber die Masse ist einfach intolerant, gemein, gewalttätig oder sonst was. Ich weine jetzt schon fast den ganzen Tag und es ist gleich halb zwei. Mama hat jetzt einen neuen Anwalt, aber auch er ist ein Arschloch, genauso wie die letzte Anwältin. Sie wollen Geld, Geld und nochmals Geld. Sie interessieren sich nicht dafür, was passiert ist, was man erlebt hat, für nichts. Sie sind unmenschlich und im Prinzip wie Nutten des Gesetzes. Sie machen alles, aber zögern es so lange hinaus, bis man kaum mehr Geld hat. Am Montag, also morgen, gehe ich mit der Mama nach Memmingen zu ihrem neuen Anwalt, H. heißt er mit Nachnamen. Anfangs war sie recht begeistert, aber es hat sich herausgestellt, dass auch er seinen faulen Arsch nicht bewegt und überhaupt nicht begreift, was die Mama alles erleben musste. Kein blasser Schimmer von Menschlichkeit. Nichts, rein gar nichts. Wir sind am Ende, jeden Tag, mal weint die Mama, mal ich, es ist ein sich abwechselndes, hoffnungsloses Tief. Er hat bisher immer noch nichts gezahlt, ob die Mama das Darlehen von über 150 000 Euro zahlen muss, ist zwar sehr fraglich, meinte ein Notar, aber sicher ist es nicht. Ich sehe Tag für Tag, wie alles den Bach runtergeht, wie ich mich abrackere, die Mama alles Mögliche tut und was kommt dabei heraus? Immer wieder nur Ungerechtigkeit und ständig große Mauern, gegen die man schlägt. Die Polizei sucht jetzt noch stärker nach ihm und letzte Woche waren wir wieder auf der Wache und mussten wegen seiner Waffen aussagen. Sie haben ihn immer noch nicht gefunden, nichts, keine Spur. Der Oberkommissar hat uns dazu geraten, Kameras am Haus anzubringen, genau das, was ich schon immer gesagt habe. Der Schnee ist jetzt geschmolzen, wir können also keine Spuren mehr sehen. Gerade kam die Mama rein und meinte, dass ich besser morgen nicht mitgehen sollte zu dem Anwalt, da es mir so schlecht geht. Katja kommt aber mit. Gerade habe ich aufgehört zu weinen, jetzt tue ich es schon wieder. Ich habe meine Mama gebeten zu gehen, da ich alleine sein möchte. Ich kann gar keine Gesellschaft mehr vertragen, wenn es mir schlecht geht. Ich will nicht mehr. Wieso machen die das alle mit mir? Warum? Warum kann das nicht aufhören? Ich will sie alle umbringen, sie alle erschießen, meinen Vater, die Anwälte, meine ganzen Scheißfreunde, die nie wirklich welche waren. Ich hasse alles, alles, verflucht sollen sie sein und ein Leben lang Pech haben. Scheißgesellschaft, dumme, blöde, versumpfte, verlogene, böse und gehässige. Ich will alleine sein, alleine mit mir in Afrika, sterben. Auf einem hohen, weiten Berg liegen, nur die Vögel und unter mir das Meer hören. Der Wind soll immer leiser und leiser rauschen, bis sich kein Gras mehr bewegt und die Vögel verstummen, bis das Meer aufhört zu rauschen, für einen Moment, dieser Moment ist für mich, ganz alleine und dann, dann hat mich Afrika sterben lassen. Ich stelle es mir vor, so oft. Als der Schnee noch über einen Meter hoch lag und wir sogar einen Tag nicht in die Schule gehen konnten, da sah ich oft raus und hörte Musik. Ich starrte vor mich hin und sah mich, wie ich in den Schnee fiel in unserem Garten, direkt vor unserem Haus. Die Sonne schien und über mir sah ich die kahlen Äste der großen Bäume. Der Schnee in den ich sank, war weich und glitzerte durch das Sonnenlicht. Ich blinzelte ganz langsam, so als ob ich kurz vor dem Einschlafen wäre. Der Himmel entfernte sich, wie in Zeitlupe, und ich sah, wie unter mir der Schnee rot wurde, es war mein Blut, jemand hatte mich angeschossen. Den Schmerz spürte ich nicht, nur der Schnee wurde an einer Stelle immer mehr rot. Das Blut lief aus meinem Körper. Meine Augen glänzten und ich lächelte in den Himmel, als ob er mich angelächelt hätte. Ich empfand weder Kälte noch Wärme, es war, als ob ich schweben würde im Schnee. Der Wind fuhr mir leicht über das Gesicht und langsam schloss ich die Augen, ich atmete aus und das letzte Gefühl, das mich umgarnte, war Geborgenheit. Ich hörte auf zu blinzeln, der letzte Atemzug war getan, ich war tot, alles war ruhig und weit entfernt, dann fing es an, große Flocken zu schneien, die erste landete auf meiner Unterlippe und schmolz. Es fühlte sich kalt an und eine Träne des Himmels floss an meiner blassen Lippe hinunter. Es war so schön sich das vorzustellen, immer und immer wieder, tagsüber und bevor ich einschlief. Es ist beruhigend und wohltuend. Ich weiß, dass es nicht normal ist, wie ich denke und ich bin mir auch bewusst, dass ich von allen, die mir am Herzen liegen oder lagen erwarte, dass sie fair sind, verständnisvoll und gerecht. Vielleicht bin ich sehr kritisch geworden, vielleicht aber auch nicht und die Menschen sind wirklich so. Wer weiß, vielleicht wache ich ja eines Tages auf und spüre einen Tropfen auf meinem Gesicht, der mich darauf hinweisen soll, dass es jetzt vorbei ist, mein bisheriges Leben und ein neues, schöneres beginnt. Doch vorher möchte ich, dass mein Buch fertig wird und was danach kommt und sein wird, das will ich nicht wissen, es ist mir auch egal.
Eine weitere Freundin enttäuschte mich sehr. Es scheint, als ob es mittlerweile eine Verschwörung gegen mich wäre. Ich denke nicht, dass es das ist, aber wie gesagt, es scheint so. Von der Schule aus wollten wir nach G. fahren, dort konnte man sich für drei Tage politisch bilden und nur wenige Schüler durften dabei sein. Ich war eine davon, die Betonung liegt auf war. Da es so schneite und eine Durchsage im Radio gemacht wurde, dass unsere Schule geschlossen war, war ich mir nicht mehr sicher, ob der Bus nach G. denn trotzdem fährt. Herr Blau, der das alles organisierte, rief uns nicht einmal an, also telefonierte ich mit Sandy, die nur dorthin fuhr, weil sie von der Schülerzeitung war. Ich fragte sie, ob sie etwas wüsste. Sie rief daraufhin Herrn Blau an, allerdings wusste er auch nichts, nicht einmal, dass ja gar keine Schule war. Er meinte, dass er uns anrufen würde, wenn der Bus nicht fährt und Sandy mir doch bitte Bescheid sagen solle, damit er nicht jeden einzeln anrufen muss. So legten Sandy und ich fest, dass sie mich anrufen würde, wenn der Bus nicht fährt, abgemacht war bis halb acht und wenn ich nichts von ihr hören würde, dann fährt der Bus. Sie rief an, allerdings nicht auf meinem Handy, sondern auf dem Festnetz. Da meine Ma nicht auf war, musste ich schnell runterlaufen, um abzunehmen. Es war zu spät. Ich lief wieder hoch, klingelte sie auf ihrem Handy an. Es kam nichts zurück. Nach einiger Zeit rief sie wieder an, auf dem Festnetz blöderweise. Ich lief wieder, es war wieder zu spät. Ich versuchte sie drei Mal anzurufen, doch sie nahm nicht ab, nicht zu Hause, nicht auf dem Handy. Einen anderen aus der Gruppe, den ich hätte anrufen können, kannte ich leider nicht. Ich ging davon aus, dass der Bus nicht fuhr. So war es aber nicht, sie fuhren. Ich war natürlich stinksauer und ärgerte mich. Warum tat sie das? Weshalb? Sie hatte ihr Handy dabei, erfuhr ich, als sie wieder da war. Sie verstand gar nicht, weshalb ich ihr aus dem Weg ging und warum ich sehr schlecht auf sie zu sprechen war. Das Beste war, dass sie im Physiksaal hinter mir saß und zu Conny ziemlich laut sagte: „Die Lena kann mich mal am Arsch lecken!“ Wie nett. Ohne dass ich ihr etwas getan hatte, ohne dass ich mit ihr danach geredet hatte, ohne sie schlecht gemacht zu haben. Super, eine von meinen Zickenfreundinnen weniger! Und die Moral von der Geschicht, die gibt es leider nicht! Wahrscheinlich fand sie es lustig, mich zu verarschen oder sie ist einfach ein hinterhältiges Miststück, so wie es einige meiner anderen „liebenswerten“ Freundinnen auch sind, das heißt waren!
Brief an Amelie vom 28.03.06
Hey you, sexy Hexy!
Stimmt, gute Idee, ich gehe einfach mit ihm shoppen. Und er kann mir dann beim Anprobieren eines Versace-BH’s helfen oder mir den Schlüpfer ausziehen, falls ich das nicht alleine hinbekomme!
Ich habe, glaube ich, gestern dem Jonas indirekt gesimst, dass ich ihn liebe, verdammt. Ich weiß auch nicht, nun ja, Hormone!
Aber ernsthaft, der Max ist viel zu, zu, ähm, also, Prada und Gucci für mich ...!
Bis gleich dann,
H.D.L!
Lena!
Hallo, ich bin es noch mal,
während du mir eine Mail zurückschreibst, schreibe ich dir einfach noch etwas. Ok, du darfst dich jetzt zurücklehnen und die Schnulze über dich ergehen lassen.
Der Max schaut manchmal so tiefgründig und traurig, genau in diesen Momenten merke ich, dass vielleicht noch mehr außer seiner sarkastischen Ader durch ihn fließt. Ich ertappe mich dann dabei, plötzlich zu träumen und zu grinsen, ich komme mir in diesen Momenten so kindisch vor und völlig albern, aber es ist auch lustig. Bisher hat er mir noch gar keine E-Mail zurückgeschrieben. Als er heute kurz hergeschaut hat und dann ganz schnell wieder weg, da hat er eine Bewegung mit dem Kopf gemacht und seine Augen so auf den Boden gerichtet, dass es mich in erschreckender Weise an Thomas erinnert hat. Er starrt oft vor sich hin und bekommt einen unglaublich melancholischen Blick, so verträumt und doch ernst und traurig. Wenn er so schaut, würde ich ihn am liebsten umarmen und anfangen zu weinen. Er kommt mir verletzlich und ganz zart besonnen vor und oft meine ich, dass er seinen inneren, weichen Kern und vielleicht auch Erlebnisse durch seinen ständigen Humor und seine Unernsthaftigkeit verdecken will. Das Gleiche hatten wir ja auch beim Andi, der alles durch Fröhlichkeit überspielt hat, auch das macht mir Angst. Und falls es nicht so ist, dann wäre Max zu oberflächlich für mich und ich möchte eben einen Menschen, der zwar Humor hat, jedoch einfühlsam ist und auch mit seinen Gefühlen und Erlebnissen umgehen kann.
Das wollte ich dir sagen, danke, das hat gut getan, das abzuschreiben. Manchmal fällt es mir leichter, etwas einem Menschen zu schreiben, als einem Tagebuch!
Hab dich lieb!
Brief an Amelie vom 29.03.06
Hallo du Blaumacherin!
Also, die Schulaufgabe war ganz in Ordnung. Ich habe insgesamt einen achtseitigen Aufsatz, aber ich glaube, dass der Leserbrief bei mir nicht so gut geworden ist.
Nun ja. Das mit Physik habe ich dir wahrscheinlich noch gar nicht erzählt, oder? Die Clarissa war bei verschiedenen Physiklehrern an unserer Schule, weil sie den Lehrstoff nicht verstanden hat und die meinten alle, dass einige Dinge, die wir im Heft stehen haben, nicht stimmen. Das ist dann bis zum Herrn Wirrer vorgedrungen und da er Korektor ist, kann er so etwas nicht verantworten. Daher war die Clarissa gestern bei unserer Rektorin geladen und durfte mit der sprechen. Natürlich habe ich sie gleich heute morgen gefragt. Der Herr H. hat anscheinend jetzt schon Ärger bekommen und muss das alles ausbessern, aber er darf jetzt doch die Schulaufgabe schreiben, frag mich bloß nicht warum.
Am Ende kam der Herr Wirrer noch runter, da die Bettina, Nena, der Stefan und ich noch unten standen und geredet haben, bis meine Ma kam. Er hat uns gleich angesprochen und meinte, dass selbst er es nicht verstehen kann weshalb das jetzt so gekommen ist. Der H. müsste uns noch den Stoff richtig beibringen, vor der Schulaufgabe.
Aber das alles geht ja wohl schlecht, da wir ihn nur eine Stunde haben und da schreiben wir Schulaufgabe. Weiter meinte er, dass wenn er es nicht machen würde, könne man ihm irgendwas entziehen, frag mich aber nicht genau, was. Ich glaube Lehramt hat er nicht gesagt.
Ich bin dann rausgegangen und der Wirrer kam mit mir mit. Er erkundigte sich so nach meiner Lage und wie es zu Hause ist. Ich sagte ihm kurz das Wichtigste und er war schockiert und schüttelte den Kopf. Meinte weiter, dass er mir ansähe, dass ich in den letzten Monaten oder Wochen angespannt aussehen würde. Ich schob das dann einfach auf die Schule. Na, ja 10. Klasse, was will er mehr erwarten? Dann meinte er: „Du rauchst ja nicht, oder?“ Ich sagte: „Ähm, nein, wieso?“, er sagte dann: „Sonst hätte ich dir jetzt ne Zigarette angeboten.“ Ich war ganz schön, ja, platt? Ich meine, der Wirrer? Wow. Aber jetzt kommt`s. Dann meinte er, ich sehe ja heute sehr schick aus und grinst mich an und zwinkert mir zu und sagt: „Tschüss!“ Den Blick hättest du sehen sollen. Na, wenigstens hat er dann durch seine Zigarette anschließend seine Befriedigung bekommen. Grins!
Ach ja, der Max .... hat .... mir ... ja ... genau – du bist nah dran ... immer weiter raten ... – ok, ok, ich sag es schon ... – geschrieben, eine E-Mail. Moment, ich kopier sie dir gleich und schicke sie dir nach.
Ja und ansonsten war nicht mehr viel.
Den Papa haben sie immer noch nicht gefunden. Und so ein Hilfspolizist war jetzt bei einer seiner Adressen. Die Mama hat angerufen und dort wohnt schon seit Jahren keiner mehr. Diese Adresse hat er anscheinend schon sehr lange, aber keiner wusste bisher etwas davon. Also keine weitere Freundin oder keine andere Tochter von ihm. Aber das muss nichts heißen, du weißt ja. Jedenfalls lassen sie diese Adresse jetzt von Amts wegen streichen, eben weil dort keiner mehr lebt. Ok, dann werde ich mal dem Max zurückschreiben.
Bis morgen oder auch nicht bis morgen, grins!
Ciao Bella!
HDL!
Von Hannes:
Guten Abend!
Ja denkste, ich glaub an so´n Schwachsinn und außerdem
sind wir ja schon reich genug. Die DVD kannst natürlich noch
behalten, das wäre ja sonst auch Fataaaaal.
Na dann bis morgen zur Deutsch-Schulaufgabe.
You see what you get You know!
Ich schrieb zurück:
Servus!
Keine Ahnung, ich denke, dass du das schon glaubst, sonst würdest du das ja nicht mitmachen mit diesen Kettenbriefen, oder? Macht ja nichts.
Wir sind reich genug? Ähm ... ja, doch ... also wenn du Geld übrig hast, dann kannst du es mir gerne geben ...!
Das mit dem lieben Herrn H. finde ich ja auch fatal, oder? Der Wirrer kam noch zu uns und meinte, dass er das selbst nicht versteht, dass wir dann Schulaufgabe schreiben. Er muss uns auch den richtigen Stoff „beibringen“, das noch vor der Schulaufgabe, aber das ist ja auch egal. Und wenn er das nicht macht, was wahrscheinlich der Fall ist, bekommt er irgendetwas entzogen, meinte der Wirrer auch.
So, jetzt bist du wieder topp informiert. Also dann, bis morgen.
You see what you get, but ... you know!
Bye, Lena!
Er:
N´Abend,
das mit dem H. ist ein Skandal! Das ist schon mal
ein kleiner Fortschritt, dass selbst der Wirrer nicht versteht,
warum wir die Schulaufgabe schreiben. Wenigstens der ist jetzt
auf unserer Seite. Aber, dass die H. wieder so gut
wie gar nix unternimmt, konnte man irgendwie erwarten.
Haha, tolle Idee das ganze morgen vor der Schulaufgabe nochmal zu
erklären, das verwirrt nur! Ich hoffe das hat noch Konsequenzen
für diesen alten dilettantischen, inadäquaten, sich wenig eloquent
ausdrückenden sog. „Lehrkörper“ (oder eher Leerkörper)!
Jetzt aber genug geschimpft. Schönen Abend noch!
Amüsierst dich noch mit den Mattscheiben?
Brief an Amelie vom 30.03.06
Hey my sister!
Danke, dass du denkst, dass ich in dem English-Speaking Test gut sein werde. Ich bin jetzt schon ziemlich aufgeregt und bei manchen, bei denen ich das Gespräch ganz gut fand in der Übung, da meinte die Frau R., dass das ok gewesen ist und mehr nicht. Na ja. Ich habe einfach Angst, dass mir nichts einfällt oder dass mir die Wörter ausgehen. Und ich hätte gerne einen Gesprächspartner, der ganz gut Englisch kann. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass du das super hinbekommst. Du brauchst nicht aufgeregt zu sein, schließlich bist du ja super in Englisch und deine Aussprache ist auch sehr schön.
Ich war heute beim Arzt, wegen meinen lecker, eitrigen Mandeln. Es ist leider nicht besser geworden. Er schaute mir jedenfalls in den Rachen, ist ja logisch und meinte nur: „Oh Gott, ganz schrecklich!“ Und das sagte er in einem ernsten Ton. Ich sagte dann: „Na herzlichen Dank, wie aufbauend.“ Ich muss jetzt wieder Antibiotika nehmen, (wie außergewöhnlich) und eben gurgeln. Dann hat er mir noch erzählt, was ich alles bekommen kann von der Krankheit. Schüttelfrost und Fieber, was ich noch nicht habe und dank dem Antibiotikum auch nicht bekommen werde, hoffe ich zumindest, und ich soll auf keinen Fall Sport machen und mich nicht überanstrengen und eben ausruhen.
Heute kam wieder ein Brief von der lieben, netten „Gegenseite“, da stehen wieder Dinge drin. Der schreibt derart unverschämte Sachen. Alles wieder nur Lügen. Der Günter würde was mit der Mama haben und meine Mutter hätte doch gefälligst zu ihrer Mutter nach S. ziehen sollen, sie wohnt zwar in K., aber das weiß er anscheinend auch nicht mehr und ich würde ja auch nur lügen, da ich ja eine Art Leibeigene meiner Ma wäre. Und lauter so ein Zeug. Ich weiß von dem Brief auch nicht alles, möchte ich auch nicht, das regt mich nur auf.
Die Katja hat sich nach ihrem Tobsuchtsanfall auch nicht mehr bei der Mama gemeldet. Ich meinte, die hat sie doch nicht mehr alle. Kommt hier einfach an, meine Ma war schon am Boden zerstört, wegen der ganzen Sache, und die fängt an zu brüllen und meiner Ma Vorwürfe zu machen, sie würde was gegen Männer haben und gegen den Günter auch und so weiter. Dann saß die Mama weinend auf der Couch und was macht die Katja? Sie schreit sie weiter an. Einfach so, ich war so platt und enttäuscht. Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte. Ich hätte immer etwas dagegen sagen sollen, da ich es kaum noch ertragen konnte, wie sie meine arme Ma so fertig gemacht hat. Ich hatte an dem Tag ja auch einen völligen Koller, das erzählte ich dir ja bereits, aber so etwas, das hätte ich niemals von der Katja gedacht. Die kam bei uns an und legte sofort los, das ging eine ganze Weile, bis sie sich wieder beruhigt, bzw. abreagiert hatte. Die Mama tut mir so leid, wirklich, ich war richtig wütend auf die Katja, ich habe gedacht, dass ich sie gleich rauswerfen muss, da sonst die Mama wahrhaft zusammenbricht. Das war vielleicht ein Erlebnis, ich war in einem falschen Film, Wahnsinn. So etwas kann die doch nicht bringen, oder? Und sich dann auch noch einmischen, ob ich mit der Mama zusammen zu dem Anwalt mitgehen darf, um ihn auch mal kennen zu lernen, oder nicht.
Die hat wirklich geschrien, richtig gebrüllt. Ich hätte das nie von ihr gedacht, das heißt, sie nie so eingeschätzt, dass sie so etwas macht und derart ungerecht ist. Die Mama war halb am Zusammenbrechen, völlig verheult und hat sogar etwas gezittert und sie tröstet sie nicht einmal und machte immer weiter. Also wirklich, mit denen brauchen wir uns nicht mehr abzugeben. Das hat auch die Mama hinterher gemeint.
Ich war heute Morgen so gut gelaunt, aber jetzt bin ich irgendwie wieder ganz traurig. Aber ich denke, dass das nicht abnormal ist. Es läuft ja auch nicht so toll. Wie geht’s dir denn grade so? Letzte Woche warst du irgendwie ganz niedergeschlagen und so in dich gekehrt. Ich glaube, es hat dir ganz gut getan, für ein paar Tage nicht in die Schule zu kommen. Heute warst du wieder ganz fröhlich. Das hat mich gefreut :-)!
Max ... tja, ich denke, dass er wirklich nichts von mir will, er mich ganz normal als einen Kumpel sieht und mehr nicht und ich glaube, dass sich das auch nicht ändern wird. Ich möchte mir das bestimmt nicht einreden, aber ich versuche realistisch zu denken und nicht verliebt mit einer rosaroten Brille durch die Welt zu laufen. Ich weiß selbst nicht, ob das nur Klammern ist oder einfach nur Verknalltsein. Es ist auf der einen Seite schön, aber auch wieder etwas enttäuschend und ich erwarte ständig zu viel, das kann ich nun mal nicht abstellen. Ich schreibe ihm heute nicht, vielleicht schreibt er ja einfach so von sich aus, mal sehen. Und bitte sag ihm nichts und mach auch keine Andeutungen, danke. Ich weiß nämlich nicht, wie schnell sich meine Gefühle ändern. Momentan habe ich einfach nur das Bedürfnis, dass er bei mir ist und mit mir redet und dann würde ich ihn gerne knuddeln, mehr nicht.
Clarissa und Isabel haben sich übrigens nicht vertragen und reden auch nicht miteinander. Ich habe die Clarissa gefragt und sie konnte es auch nicht verstehen, weshalb sich die Isabel plötzlich einfach neben sie setzte. Also, kein Grund gleich ein neues Weltbild aufzustellen. Grins!
Bye, bye,
Lena
P.S.: Deine Ma liest aber nicht meine Mails, oder?
Hab dich lieb!
Hallo noch mal!
Ok, hab jetzt so eine Tablette genommen. Boah, sind die stark. Ich bin richtig benommen, ist aber voll cool. Ich bringe mal morgen die Liste mit, mit den Nebenwirkungen, die ist echt hot! Also, mir ist schwummerig, schwindelig, ich habe Herzschmerzen, bin müde. Ok, hört sich nicht so toll an, aber ich fühl mich gerade wie im Delirium, sprich: PEACE! Und irgendwie steigt mein Hormonspiegel weiter an. Upsi! Na ja, morgen früh muss ich wieder eine nehmen, also, falls ich dann „aus Versehen“ den Max anspringe oder notgedrungen vielleicht auch dich, dann sind es die Hammertabletten. Joa, be cool! Hot, die hauen rein! Grins!
Falls der Max dir geschreibselt hat, kopier mir umgehend die E-Mail und schicke sie mir.
Hey Oma, schmeiß mal den Ofen an und klapp die Kiste zu! Hahahaaa! Oh, ich glaube jetzt habe ich Fieber. Muhahaha!
Ja, egal. Der Max. Das ist mir einer. Der provoziert mich am laufenden Band, ja, ja, also ja, genau. Ähm, was?! Ach ja, provoziert mich und außerdem soll er gefälligst nicht so unschuldig schauen, die Sau, also nette, süße Sau! Hängst, muhhhaaaaa! Oder so. Ja und wer holt den Rettich für mich ab? Maaaaaamiiiii, ich will koksen, muhaaaaaaaa! Ja, ich habe definitiv Fieber, sehr, sehr hoch! Ok, dann auuuuuuuuaaaa, mein Herz. I have got a heart-attack. Ne, ne, doch nicht, na ja, was nicht ist, kann noch werden, muhaaaaaaaaa! Mucho, Mucho, Mucho men! Genau, das ist er auch, ein Mucho und ein kleiner Blöder, der meine Gehirnmasse haben will, nur weil die von Giorgio Armani und Karl Lagerfeld zusammen mit Jette Joob entworfen worden ist. Ähm, so geht es hier nicht! Wir sind nicht auf dem Pony-Hof. Neeeeeeeeein, ich denke schon so wie er ... au, au, au, mein Kopf tut weh, jetzt echt, auuu, ok ich hör auf und messe mal Fieber und lege mich hin und träume von wilden Nächten, nein, nein, ich träume von dir und mir, nein, auch nicht, ich träume von dem Rettich, genau!
Bis morgen, oder so, muhaaaa!
Byele, und cool! Yeaaahhhhhh!
Brief an Amelie vom 31.03.06
Hey!
Oh, ist ja süß, dass du dir Sorgen um mich gemacht hast. Mir ging es aber auch schlecht. Ich bin aus dem Ethikunterricht rausgekommen, die Treppe hochgelaufen und alle, die an mir vorbeigingen, habe ich ganz schwummerig gesehen und alle Stimmen waren ganz weit weg. Als ich über den Gang zum Klassenzimmer lief, wurde mir immer schwindeliger und alles hat sich so leicht nach rechts und links gedreht. Die Conny hat dann nach mir gerufen und ich ging zu ihr, aber ich hab nicht mehr mitbekommen was sie wirklich zu mir gesagt hat. Der Max kam dann auch hinter ihr her und sagte auch noch etwas, frag mich nicht was. Ich habe mich noch am Fenstersims gestützt, aber keiner hat irgendwas gemacht. Dann lief ich eben weiter und zu jener Zeit kamst du auch gleich vor das Klassenzimmer mit dem Schlüssel. Ich fing an zu zittern, das hast du ja gesehen und ich dachte, ich kippe gleich um, mir hat es derart den Kreislauf zusammengehauen. Oh Mann, das lag bestimmt an der Infektion und an den Tabletten.
Der Max war heute sooo süß! Wie er mich angeschaut hat, oh Gott! Ich wäre am liebsten dahingeschmolzen. Er musste dann zu mir ein Bild malen, du weißt ja, was einem gerade zum Anderen einfällt. Er hat erst ewig lang überlegt und überlegt und wusste nichts. Dann hat er erst einen Kopf gemalt mit längeren Haaren und einem gaaaanz großen Lächeln. Und danach meinte er, dass ihm was viel Besseres einfallen würde und – er zeichnete eine Sonne, die lacht. Verstehst du? Er sieht in mir eine lächelnde Sonne ... oh, wie süß! Als wir in den Physiksaal gehen mussten, hat er meinen Mantel von der Garderobe genommen und mir dann gegeben, so lieb. Oh Gott, ich könnte den nur anschauen, einfach nur anschauen und nichts sagen und ihn dann umarmen und nicht mehr loslassen.
Ach und mein netter Herr Devil-Daddy hat schon wieder einen Brief geschrieben, jetzt will er die Hälfte von Mamas Geld haben. Genau ... und wir leben dann auf der Straße ... der spinnt doch! Kannst du dir ja vorstellen, wie die Mama darauf reagiert hat, oder?
Mir fiel es ja schwer, gestern dem Max nicht zu schreiben, da ich glaube, dass es besser ist, sich nicht so aufzudrängen, aber heute schreib ich ihm einfach wieder.
So, dann viel Spaß mit der Yvonne und – bring sie von Andi, dem Schwein ab, oder auch nicht, wie du willst. Ich gehe dann später noch mal rein, bis dann!
H.D.L!
Brief an Amelie vom 01.04.06
Hey Schnübbsche!
Ich war mit der Mama spazieren. Wir haben in der Stadt Günter getroffen und Katja kam dann auch noch dazu, da sie einkaufen war. Nun ja. Mit dem Günter rede ich wieder, aber mehr auch nicht. Und er hat gemeint, dass er von seiner Frau gehört hat, was passiert ist. Er sagte dann, dass er sich lieber nicht dazu äußert, aber na ja, er würde sie ja kennen. Dann lächelte er und zog die Stirn hoch. Sprich, er fand es wohl auch nicht so toll. Die Katja kam die letzen paar Minuten noch dazu und hat so getan, als ob nichts vorgefallen wäre. Ok, das ist auch eine Möglichkeit.
Das Spazierengehen hat mich ganz schön angestrengt, aber na ja. Erst wollte ich auch nicht, kannst du dir ja vorstellen. Aber es war dann ganz schön, die Sonne schien und frische Luft, mal etwas Neues! Grins! Hoffentlich bleibt das Wetter mal so.
Gott, ich bin total mit den Nerven fertig. Was der alles geschrieben hat auf den 13 Seiten, ich glaube ich spinne. Das ist so derartig krass. Ich schreibe dir das ein anderes Mal auf. Das ist so absurd und gelogen. Der Günter meinte heute auch, wenn er das nicht alles selbst miterleben würde und man es ihm über einen Dritten nur erzähle, dann könnte er das wohl nicht glauben, weil das so dermaßen heftig ist, was dieses Schwein macht. Aber ok, ich wechsle lieber das Thema, sonst geht meine Laune gleich vom Erdgeschoss in den Keller und buddelt sich dort noch ein Loch!
Ich hab dem Max gestern geschrieben, ich kopier es dir schnell, ist ganz lustig ... Moment ...
Hallölein,
hier spricht ihr persönlich grinsender Sonnenschein.
Ein neues, schönes Fremdwort für dich: Kostbarkeiten oder wertvolle Dinge = Preziosen! Und eines geht noch rein: veraltet = obsolet!
Herrlich, oder?! Grins!
Oh Mann, jetzt habe ich eine vier in Physik, s***, tja, jetzt bekomme ich diese bescheidene Note auch ins Zeugnis. Und ich lerne noch! Ha, ha, ha!
Übrigens, meine Gehirnmasse ist ja von Giorgio Armani zusammen mit Versace, in Anwesenheit von Jette Joob, unter strengsten Anleitungen von Gucci und unter höchster Kontrolle von Prada, mit der Hilfe von Escada hergestellt worden. Natürlich haben sämtliche andere Modegurus auch noch ihren Senf dazu gegeben. Wahrscheinlich kann es – das Gehirn – deshalb auch keine Physik ;-)!
Ach ja, kennst du Scary Movie?! Frau von Prada Amelie de Luxe à Valentino S., sowie das gnädige Fräulein von Louys Feraud Lena de Chanel à Lacoste S., möchten dich fragen, ob du nächste Woche mit uns ins K. gehst. Herr Diddi von H&M de Schwuffi wäre ebenfalls anwesend.
So, das war es auch schon.
Bye, Lena!
So ... und? Wie ist der Text? Lustig, oder? Er hat aber noch nicht zurückgeschrieben ... heul, der soll sich mal beeilen, Mensch! Ich bekomme hier gleich einen Kreislaufzusammenbruch – lach!
Oh ja, das Kino ... hehe, ... , genau, so zufällig sitzen wir nebeneinander und so zufällig falle ich ihm dann um den Hals und so zufällig küsse ich ihn dann und so zufällig ... ok, das geht jetzt zu weit.
Na gut, bis später hoffentlich. Bye, bye und falls er dir geschrieben hat, du weißt ja, kopieren bitte!
Adios!
Ich bin es mal wieder!
Ach je, er ist ja so süß, so süß, so süß! Und wenn er einen anschaut mit seinen lieben, schönen, braunen Augen und verträumt schaut, dann könnte ich geradewegs vom Stuhl dahinschmelzen.
Ich glaube, dass ich jetzt weiß, was der Andi mit meinen Augen hatte. Früher konnte ich das nicht verstehen. Er sah mir einfach so in die Augen, ich dachte, äh, was soll das? Er meinte immer, dass es so unendlich schön sei. Ich habe nie verstanden, wieso. Er saß einfach da und starrte mir in die Augen, fand das superklasse und ich wusste nichts damit anzufangen. Jetzt begreife ich das, denke ich.
Ich könnte einfach so stundenlang dasitzen, er müsste nichts sagen und ich könnte ihm bloß in die Augen schauen. Das ist so schön. Oh Gott. Verstehst du?! Er muss nichts machen, nur auf seinem Stuhl sitzen, vor mir stehen oder sonst was, ich finde es toll! Das ist Wahnsinn. Purer Wahnsinn. Weißt du, ich will gar nicht mehr. Genau, das ist noch verrückter, ich will ihn nur anschauen, ok, ok, gut und ihn dann einfach umarmen, aber mehr nicht. Das ist sooo, ach, wie soll ich es beschreiben.
Das beste ist immer, wenn er irgendwohin starrt oder ganz lieb, verträumt schaut. Da bin ich nicht mehr auf dieser Welt, ich bin dann irgendwo zwischen meinen Augen und seinen und alles außen herum ist Nebel und dann stehen wir uns alleine gegenüber und er schaut mich traurig an und seine Augen sagen mir, dass er so verletzlich ist und seine Seele einsam ist und Liebe braucht. Und dann, dann muss ich einfach weinen und ihn umarmen.
Ja, so ist das. Natürlich weine ich nicht, aber wenn Zeit und Raum plötzlich so anders und sonderbar werden, dann fühlst du das in dir und es spielt sich wie ein kleiner, schnulziger Film ab.
Hab dich lieb!
Brief an Amelie vom 02.04.06
Hallo Mausi!
Oh Gott, er hat mir geschrieben ..., aber lies selbst ... (so süß)
N´Abend,
der hochwohlgeborene Herr Hugo Boss-Chanel von Hilfiger zu Replay E.
möchte Sie ganz herzlich grüßen und sich für die erhaltenen Preziosen bedanken. Nimm das mit der 4 in Physik nicht so schwer. Vergiss es einfach und lass den
Sonnenschein wieder in dich einkehren!
Mit freundlichsten Grüßen
Max H. B.-C. von H. zu R. E.
Und? Was sagst du dazu? Oh Gott, sag was dazu, ich bin heute Morgen fast durchgedreht. Ja, ok, gut, meine Hormone spinnen wahrscheinlich leicht, egal.
Wir waren heute wieder spazieren, ansonsten war eigentlich nichts Besonderes. Mir geht es grade irgendwie nicht so gut, keine Ahnung weshalb. Ich habe heute die letzte Tablette genommen. Ich habe so Angst vor Englisch, sch***! Dann wollte ich heute Mittag schlafen, aber das ging auch nicht. Dann habe ich mir eben Friends angeschaut. Die Hochzeit von Phoebe war so schön, mir sind die Tränen gekommen. Und der Heiratsantrag in dem Restaurant, schwärm, da saß ich einfach nur vor dem Fernseher und ach Gott!
Ok, dann bis bald wieder!
H.D.L!
Briefwechsel zwischen Amelie und mir vom 04.04.06!
Hey Kleines!
Oh Gott, meine Oma lebt! Ja, sie lebt! Sie war ständig auf Geburtstagen und hat anscheinend einen Kopfhörer und hat das Telefon deshalb nicht gehört. Himmel sei Dank! Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Ich dachte schon, dass sie tot wäre. Oh Gott, ich bin so froh, so glücklich, das glaubst du gar nicht. Verrückte Oma, geht ständig auf Geburtstage und hat auch noch Kopfhörer, mit denen sie Fernsehen hört, also voll technisch ausgestattet. Und was machen wir? Genau – gehen vom Schlimmsten aus. Ach je, ich bin ja so dankbar! Die Mama war heute wieder bei ihrem Anwalt. Der ist zwar ein lahmer Esel, aber sonst ganz in Ordnung. Ich schreibe dir mal über die Ferien auf, was der alles geschrieben hat, natürlich in kurzer Form. Da haut es dir den Stuhl weg, glaub mir. Die Rückbert muss jetzt noch so eine Art Protokoll schreiben, mit der muss ich dann eben morgen reden. Ansonsten würden angeblich über zehn Anklagen gegen die Mama laufen, von der Gegenseite aus selbstverständlich. Das wissen wir, da unser Anwalt den Anwalt vom Papa kurz gesehen hat. Aber das will nichts heißen, weil wenn ein Richter halbwegs normal denken, bzw. lesen kann und auch Augen im Kopf hat, lässt er diese Klagen sowieso fallen. Diese Anklagen sind daher völliger Unsinn und eigentlich für den Müll. Ach, ich hasse diesen Teufel so, der ist so mies und krank, wenn du die Briefe liest, dann denkst du, das heißt, du kannst dann eigentlich nicht mehr denken, sondern nur noch den Kopf schütteln. Alles läuft nur aufs Geld und nochmals Geld hinaus, das ist alles was er im Hirn hat. Sein Anwalt ist sein kleiner Leibeigener, der förmlich jeden Scheiß, den der Herr Devil sagt, aufschreibt und beide machen ein Riesen-Tamtam daraus. Es ist so ungerecht, und diese Lügen, die ertragen die Mama und ich kaum noch. Da müsste der Himmel sich doch persönlich öffnen und für jedes diese Wörter einen Blitz auf ihn drauf werfen. Aber wie bereits gesagt, ich schreibe dir das mal in den Ferien.
Am Freitag komme ich dann direkt nach der Schule zu dir. Ich freue mich schon total, und ich glaube, der Diddi auch. Er hat ja nicht so viele Freunde und was ich so mitbekomme, geht er auch nicht wirklich oft weg, oder kommt mal raus. Ich denke, dass das bei dem Max ähnlich sein wird und er freut sich bestimmt auch. Wenn meine Ma dich dann nach Hause fährt, komme ich noch schnell mit hoch zu dir und hole meinen Schulranzen. Außerdem müssen wir uns in den Ferien treffen, wegen dem Referat. Ich habe mir heute im Unterricht gedacht, hmm, das Thema Umwelt ist eigentlich ganz interessant und wir beide sind ja für die Umwelt. Aber das Beste wäre ja, dass wir dann einen Grund hätten, uns zu treffen. Also habe ich mir gedacht, machen wir das Thema doch. Du klangst zwar nicht gerade so begeistert, aber es ist doch auch ganz gut für dich oder? Du hattest in der letzen bzw. vorletzten Ex keine so gute Note oder? Das machen wir schon!
Du wolltest ja noch wissen, wie das passiert ist, dass ich mal wieder mit dem Jonas zusammengekommen bin. Also, ich habe mir gedacht, dass das mit dem Max völliger Unfug ist. Du kennst mich, du kennst den Max. Er ist viel zu unreif für mich und ich brauche eine starke Schulter und kein dünnes Gerippe, das gleich umfällt. Ja, ich weiß, du hättest es süß gefunden, aber er ist nicht das, was ich will und wie ich schon sagte, es war einfach nur geklammert und wahrscheinlich haben meine Hormone gesponnen. Jedenfalls dachte ich, dass ich ihn besser vergessen könnte, wenn ich jemanden anderen hätte. Aber wer? Der Diddi? Um Gottes Willen, nein, natürlich nicht. Und wer bleibt da noch übrig? Richtig, Jonas. Also schrieb ich ihm, dass ich glaube, dass ich ihn lieben würde und erwartete natürlich eine Antwort. Die kam dann auch, nachdem ich ihm eben mehr oder weniger Zeit gegeben hatte. Er schrieb nur: Ja, ich liebe dich. Dann schrieb ich zurück, ob sich denn etwas ändern würde und dass ich sein Lachen, seine Stimme und seine Art vermisst hätte und ihn einfach verdammt gerne mag. Er: Äh? Was meinst du mit ändern, was soll sich ändern, inwiefern? Ja, das ist typisch er, also schrieb ich: Du weißt, dass es nie so wirklich mit uns geklappt hat, wegen allem Möglichen. Sag mir einfach, was du denkst oder fühlst. Muss dann auch schlafen … Mb! Und er schrieb dann zurück: Ich hoffe sehr, dass sich in der Beziehung viel ändert! Ok, schlaf schön und süße Träume! Ich liebe dich. So und das war eigentlich alles. Verrückt oder? Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, was genau ich für ihn empfinde und warum ich das alles geschrieben habe. Es stimmt schon, dass ich ihn echt vermisse, aber na ja, lieben tue ich ihn nicht wirklich. Es könnte aber auch sein, dass ich es verdränge oder es nicht zulasse. Oder dass ich vielleicht einfach sagen kann, hey, jo, ich habe einen Freund und Punkt. Es ist auf eine gewisse Weise so eine Art Polster, falls ich mich nämlich wieder an irgendwen klammern will oder meine Hormone kurzfristig durchdrehen. Aber es ist okay. Ich nehme es nicht sonderlich ernst. Es ist mir egal, ob er jetzt mit anderen chattet und noch andere Chatbeziehungen hat. Es geht mich auch nichts an, ob er vielleicht mit jemandem einen One-Night-Stand hat oder sonst was. Es ist einfach so und für mich ist es irgendwie ein Vorteil, dass meine Gefühle nicht gleich durchdrehen, wenn eine Prise Frühling kommt. So, nun habe ich einiges geschrieben, bis morgen dann also. Und falls es etwas Neues gibt, schreibe ich es dir ;-)!
Bye, hab dich gaaaaanz lieb!
Hey ho!
Gott, sei Dank, deine Oma lebt. Du hast echt ne coole Oma, macht Big Partys, trägt Kopfhörer.
Da bin ich mal gespannt. Geht klar mit dem Referat. Dann sehen wir uns, und
dann können wir HAAAAAAARRRRRRRRRRRR!!!
Scherz, Hormone. Tut mir leid.
Ach, ja. Ich wollt dir ja erklären, warum ich den Verstand verliere.
Ich hoffe, des liegt nur an den Hormonen.
Ich bin in letzter Zeit voll hysterisch und bild mir voll den abartigen,
kranken psychopathischen Scheiß ein. Das ist wirklich abartig, deswegen hatte
ich auch 5 Nervenzusammenbrüche in den letzten 2 Wochen.
Ich hab mir zum Beispiel eingebildet, das ich den Maze umbringen wollte, als
wir da letztes Jahr Essen waren mit der Schülerzeitung. Er saß auf der
Mauer, und ich hab ihn aus Spaß – hoffe ich – so hinter geschubst. Das ging dann 2 oder
3 Wochen so. Abartig, ich weiß. Aber hauptsächlich bild ich mir ein, dass ich
pervers bin. Zum Beispiel hab ich mir eingebildet, dass ich auf meine Mutter
steh, weil ich in der Zeit, in der ich 11 oder 12 war, voll oft mit ihr schmusen
wollte. Des ist alles voll krank und abgefahren. Lauter so einen Müll bild ich
mir ein. Wenn du nicht mehr meine Freundin sein willst, kann ich des
verstehen. Ich bekomme ja selber Angst vor mir. Ach ja im Moment bin ich pädophil,
also eingebildet. Des Geilste sind immer die Gedanken, die damit
zusammenhängen. Echt toll, doch. Deswegen wollt ich mich letzen Sonntag auch
umbringen, wollte eine Überdosis nehmen. Hab dieses ganze Chaos nicht mehr
ertragen. Aber ich bin nicht vom Boden aufgekommen.
Als ob ich nicht schon genügend Probleme mit meiner Persönlichkeit hätte.
Aber es wäre nicht mein Leben, wenn ich eine normale Entwicklung durchmachen
würde. Anscheinend verlang ich da zu viel. Schule, Freund, Arbeit, Freunde,
ich weiß, das ist schon wahnsinnig abnormal so eine normale Pubertät.
Na, ja. Des steh ich auch noch irgendwie durch.
Also, wenn du mir jetzt die Freundschaft kündigen willst, dann schreib mir
jetzt, dann bin ich vorbereitet.
Echt ne coole Geschichte mit dir und Jonas.
Vielleicht klappt es ja diesmal.
Also dann Love you,
Knutsch, deine abartige Freundin.
Hallöli!
Ok, zu deiner letzen E-Mail. Ich finde dich nicht abartig. Du bist meine beste Freundin und meinetwegen kannst du jemanden umbringen und du wärst immer noch meine beste Freundin. Ich kann verstehen, dass du dich abartig fühlst. So wie du empfindest, das kann ich natürlich nie und nimmer nachempfinden. Dass du dieses Ullrich-Turner-Syndrom hast, ist für dich sehr schlimm, das weiß ich. Ich finde allerdings, dass du ganz gut damit umgehst. Die Hormonbehandlung ist ziemlich hart für dich, das merkt man, selbst wenn du einfach neben mir in der Schule sitzt und nichts sagst. Ich kann deine Gedanken und Gefühle irgendwie sehr gut wahrnehmen. Vielleicht weil wir so lange befreundet sind oder wegen meinen empathischen Fähigkeiten. Es ist manchmal sehr schwer für mich, da ich dir unbedingt helfen möchte, ich weiß jedoch nicht, wie. Ich hab dich unglaublich lieb und es tut mir so leid für dich. Ich finde es schlimm, dich auf diese Weise leiden zu sehen. Gestern Abend, als ich das las, musste ich dann plötzlich weinen. Mir liegt an dir so viel, du kommst direkt nach meiner Mutter und deshalb möchte ich irgendetwas für dich tun, damit sich etwas ändert. Wie gesagt, ich weiß kaum was. Ich kann mir dir darüber reden, dir zuhören, dir vielleicht Rat geben, aber richtig verändern kannst eigentlich nur du etwas. Ich kann mir das natürlich schwer vorstellen, diese Hormone zu nehmen und dabei förmlich auszurasten. Durch mein ganzes Leben habe ich auch sehr viel Schaden genommen. Ich höre manchmal nachts Schritte oder Stimmen und Atmen. Ich träume sehr oft von meinem Vater und diese Träume sind nicht gerade schön und voller Angst. Ich leide auch oft an Depressionen und du weißt, wie oft ich meinem Leben schon ein Ende setzen wollte. Ich habe eine Sucht hinter mir und war hinterher richtig stolz, es geschafft zu haben, selbst als ich richtige Entzugserscheinungen bekam, was ich nie gedacht hätte. Es hat sich vieles geändert. Es dauert ewig lange, meistens dauerte diese Zeit einem viel zu lange und dieses Warten, dass etwas passiert, sich zum Guten wendet, ist schmerzlich. Insofern kann ich das, denke ich, gut nachvollziehen, diesen ganzen Schmerz und die Verzweiflung. Dass du dir Dinge einbildest, das ist unter deinen Umständen wohl „normal“. Das Einzige, was ich dazu sagen kann, ist wahrscheinlich, dass du versuchen musst, damit Schritt für Schritt umzugehen und es vor allem zu analysieren. Du musst dich mit den Gedanken auseinandersetzen, sie nicht versuchen zu verdrängen oder ihnen mit Hass und Abneigung entgegen zu treten. Damit würdest du dich nur selbst zerstören. Versuche sie aufzuschreiben, das ist das Beste, was du machen kannst. Wenn du einen „Hysterieanfall“ bekommst, dann wird dir das, denke ich mal, bewusst. Du musst versuchen, dagegen etwas zu unternehmen, dich davon wegzubringen, dich zwingen, Ruhe zu bewahren oder dich abzulenken. Es wird lange dauern, das in den Griff zu bekommen. Doch Schritt für Schritt kannst du es schaffen und ich möchte dir dabei helfen, wenn du es möchtest. Meditation ist eine super Methode dafür. Es hat auch mir geholfen. Wie gesagt, das Aufschreiben auch und dein Denken und Handeln selbst zu erklären. Wenn du nämlich die Ursache dafür ganz genau findest und es auseinander nimmst, dann erst findest du einen Weg, bzw. mehrere Wege, wie du die Situation oder deine Gefühle kontrollieren kannst. Momentan hast du das Gefühl, keine Kontrolle über dich zu haben und es ist leider auch so. Es ist aber nicht schlimm und vor allem darfst du niemals von dir denken, dass du selbst verrückt bist und dir nicht mehr zu helfen ist, weil sowieso alles egal wäre. Verstanden? Wenn du diese Schrittchen schaffst, werden es Schritte, irgendwann siehst du dann einen langen Weg hinter dir und bis wahrhaft stolz auf dich, das geschafft zu haben. Die Hauptsache ist, dass du dich zusammennimmst, dich konzentrierst und bloß nicht aufgibst. Du wirfst immer viel zu schnell das Handtuch in die Ecke und schmeißt es gleich hin. Falsch. Hingefallen? Fehler gemacht? Egal, das ist egal! Du hast es versucht und aus Fehlern lernt man. Und wenn du am Boden liegst, dann muss das ein Grund sein für dich, gerade jetzt aufzustehen. Verstehst du. Du bekommst das in den Griff. Du musst es dir versprechen, deinem Leben und Lösungen finden, sodass es dir besser geht. Ich bin immer für dich da und ich habe dich lieb. Du bist meine beste Freundin, und als solche darfst du mich niemals im Stich lassen, klar?
Brief von Amelie vom 05.04.06
Hey sweetest thing on Earth,
Danke für deine E-Mail. Des hat mir wirklich gut getan. Dankeschön.
Du kannst echt gruselig sein manchmal, weißt du das? :-)
Du Emphat-girl du! Hey, du solltest einen Comic mit dir veröffentlichen.
Emphat-Girl startet zum Angriff und packt den Gegner an seiner
schwächsten Stelle: seinen Gedanken.
Wie lange wird Mr. Freeze dem noch standhalten? :-)
Ja, ich fühl mich wirklich, als hätte ich keine Kontrolle und würde jeden Moment ein K.- Chainsaw-Massacre begehen und mir danach ein Menschenfleisch-Sandwich einverleiben.
Oh, und danach geh ich mit meinem Freund Michael Jackson auf einen Kindergeburtstag.
Ja, tut mir leid. Ich bin makaber. Aber so lange meine Nase noch auf natürliche Weise an ihrem Platz sitzt, ist alles ok.
Übrigens schönen Gruß von Onkel Hannibal. Er macht grad ein Praktikum auf
der Organspende-Station.
Seltsam, aber seit er da ist, sind ziemlich viele Organe verschwunden und die Kids beschweren sich, dass keine Süßigkeiten mehr da sind.
Und den neuen Krankenschwestern wurde auch „gekündigt“. Auf jeden Fall sind sie nicht mehr da. Na ja.
Ich weiß, aber ich hab einfach riesengroße Angst, meinen Verstand zu verlieren. Ich fühl mich total instabil, so geistig verdammt ungesund.
Ich hoff wirklich, des liegt an den Hormonen. Aber ich hätte lieber so verdammte Bauchschmerzen, dass ich nix mehr sehen kann, als so etwas. Andere
haben Regelbeschwerden, bei mir schlägt es natürlich voll auf die
Psyche!
Kotz! Ich hab mir gedacht, dass ich ne Psychotherapie mach, weil sonst müssen ein paar Gebäude dran glauben. Ich rede natürlich nicht von unserer Schule.
Ich bin wirklich dankbar, dich zu haben *KNUTSCH*.
Tu es un Angel.
Ich versuch zu machen, was du gesagt hast. Auch wenn des nicht leicht wird.
Ich versuch ja schon, mich abzulenken, indem ich mich mit Musik zudröhne.
Ja, Selbstzerstörung ist ganz meine Wellenlänge, entspricht ganz meiner Natur. Was soll ich nur ohne meinen treuesten Begleiter. Darauf baut sich doch mein ganzer Charme auf. Auf Selbstzerstörung und Sarkasmus. Verdammt! Du meinst also, ich soll mir ein paar liebenswerte Eigenschaften zulegen, nett zu mir selbst sein!
Ade, schöne Welt des Psychokrieges.
Hoffentlich kommt die Isabel morgen, sonst ist sie mein erstes Opfer. Dann esse ich lieber ihre Leber mit ein paar Zuckerstangen. Appetit?
Hab mich grad auf so einer Ullich-Turner-Syndrom-Seite eingeloggt und versuch mich zu registrieren.
Frage die Mädels, wie sie die Hormon-Folter überlebt haben.
Knutsch
Bussi
TI
AMO
Love
P. S. You are too sexy for my Klodeckel
Briefwechsel vom 13.04.06
Hey Süße.
Wie geht’s?
Was gibt’s so Neues bei dir?
Bist du irgendwie sauer auf mich, oder so?
Habe irgendwie des Gefühl, dass du sauer auf mich bist. Tut mir leid, wenn ich am Freitag scheiße drauf war.
Bin voll in deine Fußstapfen getreten. Hab mich zur I-net Bitch entwickelt – wieher, brüll, lach, kicher.
Habe 2 E-Mail-Adressen abgestaubt. Aber die sind voll nett. Der eine heißt Jan und der andere Martin. Sind beide 24. Und mit M. hab ich auch noch Kontakt. Ist voll lustig sich mit dem zu unterhalten. Der ist nett, aber echt viel zu alt. Aber irgendwie sind die alle voll alt in dem Chatroom. Lass des jetzt aber sein, weil das irgendwie langweilig wird. Na ja :-) Wie gesagt I-net-Bitch. Hi, hi Du warst mir eine große Meisterin :-)
Habe meinen Eltern gesagt, dass ich die Hormone nicht vertrag. Hab zwar nicht
genau gesagt, was los ist, hab aber gesagt, dass mich die Teile wahnsinnig machen. Ich setz die jetzt ab, weil ich des nimmer vertrag, und rufe dann den Arzt mal an.
Wie geht’s dir so? Gibt’s irgendwas neues vom Devil? Hoffentlich finden sie
dieses Schwein.
Also dann,
Love. Amelie
P.S. Musst mir ehrlich sagen, wenn du sauer bist.
Hallo Amelie!
Ich habe heute etwas an Unicef geschrieben.
Hallo,
mein Name ist Lena und ich bin 16 Jahre alt. Ich war schon vier Mal in Afrika und habe die Armut hautnah mitbekommen. Es ist wirklich schrecklich und ich denke, dass zu viele Menschen einfach wegsehen und nichts machen. Meine Mutter spendet jedes Jahr etwas an Unicef, doch auch ich habe mir Gedanken gemacht, wie ich vielleicht etwas tun könnte, um zu helfen.
Deshalb möchte ich Sie fragen, ob es denn möglich ist, eine direkte Brieffreundschaft mit einem Kind aus Afrika zu führen, das vielleicht Englisch kann oder es noch in der Schule lernt. Ich dachte dabei nicht an irgendein Kind, sondern eines aus der dritten Welt, dem man helfen kann.
Durch meine Lehrer oder über das Internet finde ich leider keine Adressen von solchen Kindern, die daran auch interessiert wären.
Ich möchte eine solche Brieffreundschaft, weil mir viel daran liegt, eines dieser Kinder kennen zu lernen und zu erfahren, wie es lebt und wie sein Tagesablauf ist. Ich möchte es durch den Briefwechsel auch seelisch unterstützen und Mut machen und ihm auch von Deutschland oder anderen Ländern berichten. Das ist ein großer Wunsch von mir und liegt mir schon seit längerer Zeit am Herzen.
Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn sie mir weiterhelfen könnten, da ich nicht weiß, an wen ich mich sonst wenden könnte. Oder wenn Sie mir vielleicht sogar eine solche Adresse geben würden.
Vielen herzlichen Dank.
Mit lieben Grüßen,
Lena!
Wie findest du das?
Ehrlich gesagt, ja, ich bin sauer. Das am Freitag lief nach meiner Meinung total schief und ich habe darüber auch nachgedacht. Ich habe versucht, über alles wegzusehen, aber es ging nicht. Ich habe dich gar nicht mehr erkannt am Freitag. Du warst zeitweise so fremd und ich konnte, ehrlich gesagt, nichts mit dir anfangen, weil du so anders warst. Es war nicht den ganzen Tag so, das werfe ich dir nicht vor, aber wie gesagt, es ging mal auf und wieder ab mit dir und das war einfach zu viel für mich. Das, was du dem Max gesagt hast, die Sache mit der Barbiepuppe, die wirklich sehr peinlich und zudem sehr pervers war, habe ich nur dir erzählt. Nur dir. Und ich weiß, dass ich furchtbar lachen musste, aber das mache ich immer, wenn mir etwas peinlich ist und ich nicht weiß, was ich sagen oder tun soll. Dass du es erzählt hast, war für mich schlimm, weil es, auch wenn es vielleicht lustig ist, etwas mit Vertrauen zu tun hat. Außerdem gehe ich mit dem Max noch mindestens zwei Jahre zur Schule. Vielleicht vergisst er es, vielleicht auch nicht, der Moment alleine war sehr peinlich für mich und selbst wenn er es vergisst, denke ich bestimmt noch oft daran und fühle mich nicht gerade gut dabei. Mir liegt viel am Max, ich denke, dass du das weißt und auch deshalb hat es mich getroffen.
Ich bin nicht direkt sauer oder böse auf dich, aber eben enttäuscht und verletzt.
Dass du die Hormone absetzen willst, finde ich gut. Was bedeutet das dann eigentlich für deinen Körper? Die Therapie mit dem Zeug wäre doch dann beendet, oder? Hieße das nicht, dass du dann eine geringere Chance hättest, dass du deine Regel bekommst und auch Kinder kriegen kannst? Es ist auch super, dass du wenigstens den einen Satz zu deinen Eltern gesagt hast, jetzt wissen sie zumindest, dass du es nicht so gut verträgst.
Dann bis bald.
Lena!
Tagebuch vom 21.04.06
So ist es nun, ich habe Streit mit meiner besten Freundin, weil sie sich völlig daneben benommen hat und ich mit ihr nicht mehr auskomme. Was soll ich nur tun? Es hört nicht auf, dass man mich verletzt und enttäuscht. Jetzt ist sie sauer, grundlos. Ich bin es mittlerweile gewöhnt, dass man einen Hass gegen mich hegt, obwohl ich nichts dafür kann und mich auch nicht daneben benommen habe. Ich muss mit ihr ein Referat halten, das zu allem Übel auch noch früher gehalten werden soll. Ich kann nicht mehr, ich schaffe das nicht, sie bringen mich alle um, seelisch. Erst die Isabel, dann die ganze Gruppe, die Sandy und jetzt auch noch meine beste Freundin. Alle verändern sich so sehr und ich muss immer mehr einsehen, dass ich all die Jahre falsch lag und meine Zuneigung und Liebe an eine kalte Wand geprallt ist, ohne dass ich das bemerkte. Ist es denn tatsächlich so, dass man niemandem mehr vertrauen kann, von keinem Menschen erwarten darf, dass er einem die gleiche Liebe und den selben Respekt entgegenbringt, den man jemandem gibt? Ich verzweifle, Tag für Tag und fühle mich abgesondert, ein kleines, scheinendes Licht in einer großen Wolke gefangen. Vor Gericht sind wir auch wieder geladen. Frau Rückbert hat dafür eine eidesstattliche Erklärung geschrieben, die sehr tief blicken lässt. Sie schrieb, dass ich ihr schon seit drei Jahren vertrauliche Dinge erzähle, es fing bereits in der achten Klasse an, dass ich viele Streitereien von meinem Zimmer aus mitbekommen würde indem ich schlagende Türen, Schläge auf Gegenstände und Schreie höre. Sie berichtete auch, dass ich erst nicht wollte, dass sie ein Gespräch mit meinen Eltern führen sollte, dass ich oft gedrückt, traurig und abwesend wirkte, meine schulischen Leistungen schlechter wurden und ich öfters aus dem Unterricht gehen musste. Sie gab einige Erlebnisse wieder, die ich ihr erzählt hatte, wie zum Beispiel der Vorfall, als ich erst fünf Jahre alt war und mein Vater meine Mutter so sehr schlug, dass mein Vater uns ständig psychisch unter Druck setzt und dass ich bereits ihre Telefonnummer und Handynummer hatte. Außerdem wurde aufgrund meiner sehr heftigen Probleme noch ein weiterer Beratungslehrer eingeschaltet, nämlich Herr Wirrer. Sie schrieb, dass es besonders in den letzen beiden Jahren sehr oft zu Telefonaten zwischen uns kam, da es zu Hause immer schlimmer wurde, ich schickte ihr auch viele SMS, worauf sie mich anrief und ich ihr unter anderem meine emotionale Lage schildern konnte. Ich erzählte ihr natürlich auch, dass ich Alpträume und Schlafstörungen hatte und auch mit Fluchtgedanken spielte. Sie äußerte, dass ich mich schwerer in der Schule konzentrieren konnte, dass meine Mutter herausfand, dass er eine Geliebte hatte und mit dieser im Urlaub war, dass er sie sogar in seinem Auto einmal schlug und das schreckliche Ereignis mit der Badewanne natürlich auch. Sie gab so gut wie alles wieder, was ich ihr erzählt hatte, die ganzen tragischen und grausamen Dinge. Darin stand natürlich auch, dass er mein Tagebuch gelesen hatte und was alles an Ostern geschehen war, bis hin zum „Ende“, als er erneut handgreiflich wurde und uns beide schlug und meine Mutter dann zur Polizei ging, welche ihn dann abholte. Das mit dem Jugendamt war selbstverständlich auch wichtig, nur leider brachte das recht wenig. Sie sagte ebenfalls, dass mein Vater eine scheinbare familiäre Harmonie erzwang, indem er meine Mutter mit einem Messer bedrohte, ich allerdings erst einige Zeit später davon erfuhr. Alles in allem war ihre Erklärung sehr tiefgreifend und fasste alles zusammen, was nötig war. Am Ende bekundete sie noch, dass sie festgestellt haben, dass ich mich, seitdem mein Vater aus dem Haus ist, positiv verändert habe, fröhlicher, psychisch stabiler wäre und meine schulischen Leistungen sich verbessert hätten, was auch alles richtig war. Sie versicherte, dass sie mir immer voll und ganz glaubte und zu jeder Zeit den Eindruck hatte, dass ich immer die volle Wahrheit erzählt habe. Wenn dieses Dokument nicht einschlägt, dann weiß ich auch nicht.
Bald müssen wir wieder vor Gericht, mein Vater möchte, dass er wieder in die Wohnung und sich meiner Mutter wieder nähern darf. Zahlen tut er natürlich immer noch nichts. Es ist kein Wunder. Manchmal scheine ich innerlich durchzudrehen und all die Erinnerungen kommen wieder hoch, sie verblassen mit der Zeit, doch es hört nicht auf. Der Schmerz kommt immer wieder und lässt mich eigentlich nie in Ruhe. Gefühle, Gedanken, viele Ängste und wenig Hoffnung. Ein grauer Schleier liegt über mir und keiner vermag mich davon zu befreien, außer vielleicht ich selbst. Die Frage ist natürlich, wie ich das anstellen soll. Ich mache mir große Sorgen um meine Mutter. Das Gericht wird seiner jetzigen Anklage nicht zustimmen, ansonsten klagen wir dagegen. Jedenfalls kommt er wieder, er will sie umbringen, ich fühle es. Ich kenne seine Gedanken, ich weiß wie er denkt, was er fühlt und dass er verrückt ist. Ich träume so viel, jetzt in den Ferien ging es etwas zurück. Es ist schrecklich, immer und immer wieder. In den Ferien erzählte ich meiner Mutter sogar von den Albträumen, die ich einst hatte. Sie kamen oft, als er noch hier war. Es war immer das gleiche Schema. Er war betrunken und verfolgte mich, ich wusste, dass er mich vergewaltigen wollte, ich spürte es. Dann irgendwann floh ich nicht mehr und ergab mich und wollte es auch. Es passierte, einfach so, in meinem Traum. Es gab mir unendliche Male zu denken und ich wagte nicht einmal, es aufzuschreiben. Ich versuchte mich zu erinnern und machte mir auch selbst Angst, da ich es ja im Traum ab einem gewissen Zeitpunkt selbst wollte. Es war nie romantisch oder liebevoll. Es war eher eine Hassliebe, seltsam und völlig abartig und krank. Weshalb war das so? Hatte er das vielleicht mal getan mit mir? Diese Frage beschäftigte mich unzählige Male. Ich versuchte mich zu erinnern, ganz tief zu gehen, egal wie schlimm oder schrecklich es sein würde. Es kam nichts dabei raus, rein gar nichts. Als ich dann das erste Mal mit meinem Ex-Freund schlief, wusste ich, dass ich noch Jungfrau war, damit war es eigentlich geklärt. Jetzt, da er weg ist, sind diese Träume weg, sie kommen nicht wieder und ich denke, dass sie das auch nie wieder tun. Irgendwann machte ich mich auf die Suche nach Traumdeutungen, da ich trotzdem eine Antwort wollte. Ich fand sie. Es bedeutet meistens nicht, dass man vergewaltigt wurde, sondern dass man mit seinen eigenen Gefühlen immer und immer wieder gegen Unverständnis stößt und etwas erreichen möchte, wozu man jedoch nicht fähig ist. Dass ich es dann auch selbst wollte, aus diesem Zorn und der Wut und dass es mir dadurch nichts ausmachte, das träumte ich, da ich in Wirklichkeit immer von ihm geliebt und akzeptiert werden wollte. Ich wollte Zuneigung und Anerkennung und versuchte alles, um sie zu erlangen. Ich sprach mit ihm, schrieb ihm Briefe und das tausende Male, aber es kam nie etwas davon an, im Gegenteil, es wandelte sich in noch mehr Ablehnung und Enttäuschung um. Mittlerweile träume ich „nur“ noch davon, dass er meiner Mutter etwas tut, ans Haus kommt oder, was aber auch immer seltener wird, dass sich meine Eltern wieder vertragen und meine Mutter ihn wieder einziehen lässt. Ich flippe immer extrem aus, entweder schlage ich ihn zu Tode und würge ihn oder ich weiß, dass er meine Ma umgebracht hat und bevor ich dann zum Beispiel die Garage betrete, in der ich meine, dass sie tot liegt und neben ihr mein Vater steht, wie ein Monster, wache ich auf. Es ist schlimm, nein, schrecklich. Ich habe Halluzinationen, sie hören auch nicht auf. Vor allem, wenn ich nachts aus einem solchen Traum aufwache und mein Herz so schnell schlägt, dass ich meine, sterben zu müssen, höre ich Schritte. Entweder, dass jemand meine Treppe hoch läuft, um in meine Wohnung zu gehen, wie er das oft tat, wenn Streit war, oder einfach Schritte und Atmen im Flur unten. Manchmal scheint es auch, als ob sie schreien würden, wie früher, als das alles noch so schlimm war und auch mitten in der Nacht angefangen hat und nicht enden wollte. Ich erzähle das alles meiner Mutter, es tut gut und sie hat Verständnis, sie meint allerdings, ich solle einen Psychiater aufsuchen, damit er mir helfen kann. Sie meint es gut und macht sich Sorgen, aber ich habe furchtbare Angst, alles noch mal aufzurollen. Ich habe es aufgeschrieben, so viele Jahre, und es war so schön und erleichternd. Ich habe oft geweint dabei, vor allem am Anfang, wo ich besonders schlimme Ereignisse aufschrieb. Mein Tagebuch ist mein Therapeut und wenn ich das Schreiben nicht gehabt hätte, niemals darauf gekommen wäre oder es heute nicht hätte, würde ich zu Grunde gehen und vielleicht völlig durchgedreht sein. In den Sommerferien werde ich alles überarbeiten und zu einem Buch zusammenschreiben. Anfangs war das nicht meine Absicht, doch nun sehe ich mich dazu berufen, dass jeder die Wahrheit erfahren kann, der sie lesen möchte, dass sie diejenigen helfen möge, die in einer schweren Situation sind, dass sie sich nicht einsam fühlen und vor allem, dass man daraus lernt. Jeder, der es liest, sollte es begreifen, fühlen und wissen, dass Toleranz, Hoffnung, Mut und auch Fehler dazu gehören zum Leben. Jeder der möchte, soll irgendwann einmal die Möglichkeit haben, zu lesen, wie das Leben eines Mädchens aussehen kann, dass dir vielleicht gerade über den Weg gelaufen ist.
Ich bin wieder mit dem Jonas zusammen und es ist ... wie soll ich es beschreiben? Am Anfang meinte ich, keine wahren Gefühle zu haben, es nur als Stütze zu brauchen. Es ist alles ganz anders gekommen, als ich es wollte. Ich bin mitten drin, es lässt mich nicht mehr los, ich sitze Tag für Tag da und höre einfach Musik, denke an ihn, an ihn, an ihn, an ihn. Er rief mich einmal an, er war etwas betrunken und sagte so oft, dass er mich liebe, mich nicht verlieren will. Es war so süß und lieb und ich kam mir so schlecht vor, dass ich alles anfangs nur als Scherz sah, der sowieso im Nichts enden würde. Ich hatte Gefühle für andere, hatte zwei Freunde und meinte, niemals von dem Hansen loszukommen. Ja, ich hatte Gefühle, ich hatte sie. Ja, ich liebte den Hansen, sehr lange, zu lange, es ist vorbei. Wir kennen uns jetzt schon fünf Jahre lang, unendlich lange, für jemanden wie mich, die noch jung ist. Wir sind jetzt schon zum fünften Mal zusammen. Außenstehende sehen mich als verrückt an, so etwas einzugehen, sie sehen es als leichtsinnig und unernst an. Ich tue das nicht und schäme mich auch nicht dafür. Es ist eigenartig, ganz klar. Doch kann irgendein Anderer, der nicht in meiner Haut steckt, sagen, dass solch eine Liebe weniger tief ist als jemand, der den anderen sieht? Ich bin anders als die anderen, jedoch nicht negativ. Das sagte meine Oma schon, als ich klein war und meine Mutter meint es heute auch. Es ist anders, alles ist anders, mein Leben, meine Familie, meine Freunde, die ich fast alle verloren habe, mein Bezug zu den Dingen, die um mich herum geschehen. Ich kann keine Beziehung mit jemandem eingehen, können schon, doch ich bin nicht fähig dazu. Zu viele Verletzungen, zu viele Enttäuschungen. Ich habe es nicht mit Männern, das kann ich klar sagen. Es ist viel zu viel Schlechtes passiert, als dass ich behaupten könnte, ich hätte kein gestörtes Verhältnis zu ihnen. Freundschaft ja, mehr aber nicht. Doch lieben kann ich trotzdem, sogar sehr. Das ist wahrscheinlich auch mein Problem. Ich liebe, ich gebe mich völlig hin und bisher bin ich damit immer ausgerutscht und hingefallen. Ich möchte ihn einerseits sehen, in den Arm nehmen, ihn einfach an meiner Seite fühlen und Gewissheit haben, dass jemand für mich da ist, mich umarmt und mit zarter Stimme sagt, dass es okay ist, dass alles gut ist. In diesem Moment sollte ich dann vor Glück weinen und mich fallen lassen können. Mich darauf einzulassen, auf die Liebe, jemandem zu vertrauen, besonders bei dieser Entfernung, das ist schwer und es kommt mir jeden Tag so vor, als ob ich Gift nehmen würde. Ich schlucke es, weil ich nicht anders kann, ich brauche es, ich sehne mich danach, doch es ist ein Warten auf den Schmerz. Ein Schmerz, der langsam kommt, sich durch alle Glieder zieht, er brennt und er zwingt einen auf die Knie, bis man jämmerlich am Boden liegt, weint, zittert, es gewusst hat, dass es so kommen wird. Es bringt mich um, innerlich. Ich liebe um zu leben, um Hoffnung zu fassen um an dem Leben festzuhalten, aber es zerreißt mich in tausend Stücke. Das Ziehen spüre ich jetzt schon. Ich bin traurig, nicht nur wegen der Liebe, wegen meiner Familie, wegen der Angst, wegen der Zukunft und meiner Freunde, die ich nicht mehr habe, über die ich ein Drama namens „Verrat und Täuschung“ schreiben könnte. Ich konnte lange nicht schreiben. In einem Monat vielleicht zwei Seiten, ich konnte nicht. Alleine das schon sagt so viel aus, nicht das nichts passiert, nein, sondern dass ich so beschäftigt bin mit allem um mich herum, dass ich es nicht einmal zustande bringe, zu schreiben. Mein Schreiben, meine wahre Liebe, sie ist mir treu, fängt mich auf, ist lieblich und entspannend, wenn ich das nicht hätte, wäre ich wahrhaft verloren. Es fließt, seit gestern fließt es wieder und ich könnte schreiben ohne Ende. Ich würde mich darin verfangen und mich freiwillig davon fesseln lassen, wenn ich es könnte. Vielleicht ist es auch eine Art Abhängigkeit, eine die sehr gut tut.
Was soll ich nur machen mit ihm? Jonas, das ist wie eine kleine, kristallene Schneeflocke, die einem vom Himmel auf die Lippe fällt und zergeht und wie eine kleine, kalte Träne an einem herunterrollt und auf der Haut zu einer dünnen Eisspur wird. Er hat vor zu kommen, endlich, aber ich habe Angst. Was ist, wenn er nicht so ist, wie ich ihn in meinem Herzen trage, wenn er kein Schneeflöckchen, sondern ein grauer Stein ist, der droht, mich zu erschlagen. Mich richtig zu kennen, das ist wohl sehr schwer, auch wenn einige meinen, mich gut zu kennen. Ich bin vielseitig und geprägt, tief geprägt und man muss mit mir umgehen, wie mit einer kleinen Feder. Man kann sie in der Hand halten, jedoch mit offener Hand. Wenn man sie zumacht, fühle ich mich eingeengt und gehe kaputt. Wenn du sie jedoch offen hältst, musst du aufpassen, dass die Feder dir nicht entwischt, deshalb gehe nicht zu schnell oder gar zu langsam, so dass der Wind mich wegwehen könnte. Es ist eigenartig, ich vergleiche mich mit so etwas Simplem, wie mit einer Feder, was auf der anderen Seite aber wiederum kompliziert ist. Was tue ich also? Ich weiß es nicht. Verletzt werde ich bestimmt. Ich denke daran, was alles passieren könnte. Er käme vielleicht und ich wäre enttäuscht und dann? Er käme und alles würde perfekt laufen, dann ginge er und der Zauber wäre vorbei. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, alle sind vergebens. Wenn wir wie Farbe und Wasser sein würden und es schöner kaum zu denken wäre, glaube ich, dass er immer wieder in seine Heimat ginge. Er kann sich nicht für mich aufgeben, das darf ich auch nicht verlangen. Er muss das machen, wonach ihm ist, wobei er sich wohl fühlt. Wie gesagt, es wird mich wohl umbringen. Ich habe mich gefragt, weshalb wir uns das eigentlich immer wieder antun und zusammenkommen. Ich denke, dass es Hoffnung ist, da wir sonst keine haben, für nichts. Wir haben uns etwas ausgesucht, in das wir Hoffnung stecken können. Mit der Liebe ist es das Gleiche. Ich habe niemanden, der mich auf diese Weise liebt und er auch nicht, doch sie ist in uns und wir sind machtlos. Wohin damit? Das fragen wir uns vielleicht Tag für Tag und die Antwort ist: Schenken wir sie doch jemandem, der sie braucht und der in einer ähnlichen Gefühlslage ist. Das ist meine Antwort. Jetzt könnte ich noch Liebe definieren, aber das kann ich nur für mich alleine tun. Sie ist wie eine Rose, die plötzlich irgendwo aus einer kahlen Mauer sprießt, die rot ist und verführerisch duftet. Sie welkt jedoch niemals und zeigt sich gegenüber den anderen Rosen als besonders und als stärker. Wenn alle anderen Rosen, die vielleicht auch rot blühten, verwelkt sind, oder die Blätter schmerzhaft abgefallen sind, strahlt sie noch immer und sitzt so tief, dass keiner es auch nur annähernd vermag, sie rauszureißen. Das ist Liebe für mich.
Es scheint, als ob da jemand ist,
der einen sehr stark vermisst,
es ist ein Spiel des Lebens,
für viele ist es vergebens,
die Hoffnung ist uns immer treu,
dennoch zeigt sie einem Reu,
wer scheu ist und es trotzdem wagt,
der wird vielleicht nicht mehr geplagt.
Es scheint, als ob da jemand ist,
der einen leider vergisst,
es ist wie ein Leben,
die Fehler zu vergeben, nachzugeben,
doch ist das das wahre Gesicht,
ist es das hell scheinende Licht?
Wir plagen uns mit Fragen,
doch alles, was wir sagen,
zeigt das Leid, dass wir in uns tragen.
Es scheint, als ob da jemand ist,
der ausnahmsweise ist nicht trist,
einen, den man schätzt und ehrt,
dem man oft zu viel gewährt,
ist es die Knospe, die es verspricht,
ist es die Rose, die uns dann doch
letztendlich bricht?
Vergebens, wir wissen es nicht.
Tagebuch vom 01.05.06
Ich schrieb Jonas meinen Tagebucheintrag vom 21.04.06, danach meldete er sich lange Zeit nicht mehr. Nachdem wir telefonierten, wusste ich, dass es mit uns wohl nicht mehr so weiter geht. Er schrieb mir:
Hallo Lena!
So, auch wenn ich mir noch nicht sicher bin, was ich schreib oder wie ich es formuliere, schreib ich dir, wie versprochen. Ich habe mir das ehrlich gesagt anders vorgestellt, aber leider endet es immer genauso, wie es jedes Mal endet, ob es wirklich besser ist oder nicht, kann ich irgendwie noch nicht sagen. Es hat sich irgendwie nichts geändert, auch wenn ich sehr gerne gewollt hätte, so ging es doch wieder nach hinten los, wie so vieles, was ich mir erträumte oder in Angriff nahm, alles endet in einem reinen Desaster. Gut, was soll ich dazu sagen, selber schuld würde ich das nennen, oder einfach nur Pech gehabt, zumindest wird eine der beiden Aussagen schon passen. Möchte aber den Kontakt nicht aufgeben, denn wenn jetzt wieder 1 Jahr Stille herrscht weiß ich genau, was am Ende wieder dabei rauskommt, dann beginnt das ganze Spiel wieder von vorne und das ist auch nicht wirklich Sinn der Sache. Jeder von uns hat seine Probleme, der eine mehr, der andere weniger, nur damit klar kommen geht irgendwie nicht. Ich hoffe dennoch, dass wir Freunde bleiben und uns nicht aus dem Weg gehen, aber das kann nicht nur ich entscheiden, das geht nur, wenn du damit einverstanden bist.
Mein Kartenhaus ist wieder eingestürzt, weil der Wind von mehr als einer Seite kam. All die Farben sind jetzt übermalt, mir bleibt ein schwarzes Loch und eine Hand, wenn ich sie hebe, wird sie schwer wie Blei und sie quält sich, etwas Neues zu bauen. Ich weiß, ich könnte, wenn ich wollte, doch kann ich es nicht, weil ich es mir nicht zutrau. Hinter mir zerschmettert Glas und Porzellan, vor mir zerspringt der Spiegel, in dem ich mich sonst sehen kann und ich stehe wieder mitten drin, aber Leben zwischen den Scherben, wohin? Ich mach die Augen zu und lasse mich treiben. Ich hoffe, jemand fängt mich auf. Ich dreh mich im Kreis mit verbundenen Augen, bis mir jemand die Richtung zeigt. Du bist da und streichst mir übers Haar. Du fängst mich auf wie warmer, weicher Sand.
So, einen Text habe ich noch … am Schluss sag ich dir auch noch, warum ich diese Texte geschrieben habe!
Die Bäume waren ohne Blatt und Einsamkeit kroch durch die Stadt, ein kalter Mond schrieb seinen Namen auf Asphalt. Die Schatten zeigten kein Gesicht, die Sterne waren ohne Licht und aus den Wäldern stieg der Nebel weiß und kalt. Durch Regen und durch Dunkelheit ging ich allein unendlich weit, da löste sich vor mir aus einer Nebelwand. Ein Schatten den ich niemals sah, mit langen Haaren stand er da und eine schwarze Lady reicht mir die Hand. Wer bist du und was willst du hier, warum kommst du heut Nacht zu mir, so habe ich die schwarze Lady gleich gefragt. Mein Name, der ist Ewigkeit, ich wart auf dich schon lange Zeit, das hat zu mir die schwarze Lady dann gesagt.
Irgendwie komm ich mir jetzt richtig doof vor, wenn ich ehrlich bin, aber was soll’s, ist ja irgendwie auch was Wahres dran. Zum Teil ist das Gefühl und zum Teil Traum, vor allem Träume, die nie in Erfüllung gehen werden, gerade weil ich mir und anderen das Leben nicht gerade einfach mache, wie du ja sicher weißt. So, ob du eine Antwort schreibst, bleibt deine Entscheidung …das entscheide bitte selbst!!!!!!!!!!
Gruß Jonas
Ich schrieb ihm zurück:
Du kannst ja richtig poetisch schreiben ;-). Ok, das ist jetzt eher keine Angelegenheit, worüber man Witze reißt. Ich denke, dass ich dir wohl zu schwer bin und dass du mir zu kompliziert bist, das kann ich definitiv sagen, aber ich glaube, dass du das weißt. Ich denke dich zu lieben, du denkst das wahrscheinlich auch, aber es könnte auch ein Klammern sein von beiden Seiten, meinst du nicht auch? Es ist schlecht zu sagen und noch schwieriger zu definieren, wenn man sich seit fünf Jahren kennt und sich auf der anderen Seite nie gesehen hat und sich dann plötzlich doch nicht kennen würde. Das alles ist hart und macht uns das Leben auch nicht einfacher. Wie ich dir schon sagte, ist es eher ein Problem für mich, als eine Stütze. Ich würde dir gerne in deinem Leben weiterhelfen und an deiner Seite stehen, dich auffangen, trösten, aber das geht sehr schlecht über das Telefon. Meine beste Freundin Amelie sagte mir mal: „Es ist schon lustig zwischen euch, ihr kommt zusammen, einer macht Schluss, danach herrscht meistens Funkstille und sobald einer sich wieder meldet, seid ihr sofort wieder zusammen, das ist wirklich irre.“ Ja, da hatte sie völlig recht, es ist irre. Ich erwarte zu viel von dir, dass du dich jeden Tag meldest, mich mit Nachrichten überschüttest, mir tausende E-Mails schreibst, vor allem, dass du einmal zu mir kommst. All das war nie der Fall, auch nicht in fünf Jahren. Uns verbindet Vieles, Unbewusstes wohl am meisten. Ich dachte mir schon oft: Jetzt lieben sich mal zwei Menschen und haben auch noch das „passende“ Schicksal und doch trennt sie so unendlich viel. Es ist schade und auf eine Art und Weise jämmerlich. Ich möchte den Kontakt zu dir halten, freundschaftlich und für mich, da bin ich mir ziemlich sicher, geht das. Wir werden uns irgendwann einmal sehen, das weiß ich, voreinander stehen und uns anschauen. Wir werden wohl lachen müssen und darüber nachdenken, was wir eigentlich gemacht haben in unserer Beziehung, wie unsinnig diese Quälerei war. Ich verspreche dir, dass wir uns sehen, aber freundschaftlich. Ich hab dich lieb, du bist wie ein Bruder, der woanders lebt und den ich nicht aufgeben möchte, weil er einfach super ist. Gib dein Leben nicht auf, tu es nicht, für mich, für dich, für Moritz, ok? Bis bald, wir könnten uns ja E-Mails schreiben, oder? Bye, bye!
P.S.: Ich werde dich immer im Herzen tragen, selbst wenn du keinen Kontakt mehr haben willst und ich denke an dich und glaube an dich, dass du es schaffen wirst!
Tja, mal sehen, was weiter passiert. Was sonst noch so geschah: Mein Vater hat mich jetzt auch angeklagt, er rief in der Schule an und wollte Frau Rückbert sprechen, aber meine Ma hat im Sekretariat Bescheid gesagt, was bei uns los ist. Also hat er auch dort keine Chance, irgendwelche Informationen zu bekommen, oder jemandem etwas vorzulügen. Unser Termin beim Oberlandesgericht hat sich verschoben, was aber gut für uns ist, zahlen tut er immer noch nicht und gemeine Briefe von der Gegenseite kamen natürlich auch wieder, aber das ist bald schon nichts Ungewöhnliches mehr. Da ich gerade wenig Zeit habe, schreibe ich nur das Wichtigste. In der Schule geht es zum Glück ganz gut und ich denke irgendwie, dass ich in den Max verknallt bin. Wir schreiben uns oft E-Mails und in der Schule ist er fast immer bei mir. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, wir verstehen uns gut, aber was genau er denkt und fühlt kann ich nicht sagen, er ist schwer einzuschätzen. Nun ja, ich hoffe, das alles gut wird und nicht noch schlimmer. Momentan geht es mir ganz gut, es wird besser und ich bin jeden Tag dankbar, dass meiner Ma nichts passiert ist, dass sie noch lebt und dass dieser Tyrann aus dem Haus ist.
Hier noch einen Brief an ihn, als wir vor einem Jahr zusammen waren. Ich fand ihn gerade in meinen Dokumenten und musste ihn einfach wieder lesen:
Hey du!
Hast du etwa wieder ...???
Biiiiiiiitttttttte nicht, tu es nicht! Ok? Du hast es mir versprochen!
Mir geht’s grade nicht so gut, na ja, das übliche – Eltern. Aber gut, ich
hatte jetzt 15 Jahre Zeit, um mich damit abzufinden oder mich umzubringen,
und nichts von beidem habe ich gemacht.
Es gibt Momente, da bin ich richtig froh, dass ich mich nicht umgebracht
habe, so ein Moment war auch gestern, unser Telefongespräch! Ehrlich!
Was ich über dich denke, das ist seeeeeehhhhhhhhhr viel. Ich glaube, dass
wir uns, auch wenn sich das komisch anhört, dadurch, dass du dich geritzt hast,
irgendwie näher gekommen sind, so finde ich das zumindest.
Ich liebe dich, denke ich, schon sehr. Aber ich habe eben momentan große
Angst, dass von 0 auf 100, wieder alles auf 0 sein kann und das ist etwas
gefährlich für mich!
Jetzt nicht, dass ich mir was antue, sondern dass ich vielleicht eben einen
Nervenzusammenbruch habe.
Gebe ich gern zu, hatte ich schon sehr oft, einmal da kam sogar meine Mum
und ich lag am Boden und habe eigentlich keine Regung gezeigt, aber alles noch
ganz gut mitbekommen. Jedenfalls hat sie mich dann nur angeschrien, ist
wieder gegangen und hat sich nicht um mich geschert.
Es ist so, dass eben kaum einer für mich da ist, meinen Dad habe ich sowieso
schon verloren, ich denke, das weißt du. Ich gehe ihm, so weit es geht, aus dem
Weg, rede fast nichts mit ihm, ansonsten bin ich sehr genervt von ihm, weil
er in letzter Zeit ständig zu Hause ist.
Daher bekomme ich auch keinen Zugang mehr zu meiner Mum, kann ihr nichts
mehr erzählen, kaum Scheiß mit ihr machen oder so etwas.
Manchmal, da lehnt sie mich auch ab. Vorletzte Woche kam ich immer ziemlich
deprimiert von der Schule nach Hause und mir ging’s eben auch nicht gut, weil
sich keiner mehr um mich gekümmert hat, sprich Mama.
Und was macht sie jeden Tag? Macht mich runter bis aufs Tiefste! Wie blöd
ich bin. Dass ich nichts hinbekomme. Dass ich eine Schlampe bin, dass sie nicht
mehr weiß, was sie noch mit mir machen soll. Und was mich am meisten
getroffen hat, dass ich mich angeblich um nichts kümmern würde.
Ich lerne jeden verdammten Tag so viel, mache noch regelmäßig so Scheißhobbys, damit man sich ja nicht wieder aufführt, ich wäre so unsportlich oder so etwas.
Na ja, gut, was soll’s, zumindest habe ich noch meine Freunde, die schon zu
meiner Familie geworden sind.
Du gehörst irgendwie auch zu meiner „Familie“, ich weiß nicht, ob du das
verstehst. Wir wissen beide, dass viel schiefgegangen ist, aber ich mag
dich so verdammt gerne und will niemals, dass dir was passiert. Ich denke, ich
würde mein Leben für dich geben, falls etwas wäre.
Es ist so schlimm, dass wir uns nicht sehen können, weißt du, mir fehlt
oft jemand, der mich einfach in den Arm nimmt und sagt, dass alles nicht so
schlimm ist und alles gut wird oder so ähnlich.
Ich kann mich nirgendwo so richtig geborgen oder sicher fühlen. Daheim bin
ich, vor allem da mein Dad jetzt ständig da ist, immer in Alarmbereitschaft,
bei jedem etwas lauteren Geräusch schalt ich alles aus und bin ganz still
und höre, ob nichts ist.
Es ist dann eigentlich auch nichts, aber ich kann das nicht abstellen, weil
ich weiß, wie schnell etwas passieren kann.
Hört sich vielleicht egoistisch an, aber ich brauche jemanden, der sich
ständig um mich kümmert, ja, hört sich komisch an. Ich weiß nicht genau,
wieso das so ist.
Es kann sein, dass ich zu viel von dir erwartet habe, dass ich immer gedacht
habe, heute ruft er an, oder heute bekomme ich einen Brief oder eine E-Mail.
Das war etwas hart.
Du bist es sehr wohl wert zu leben. Ich denke, einem gehört eigentlich
nichts, alles ist von anderen, ob bezahlt oder geschenkt. Verstehst du?
Auch dein Geld ist im Prinzip nicht direkt deines, es kommt ja nicht von dir
und da hast du ja eigentlich nichts, was du alleine hast. ABER: Dir gehört
doch etwas, das bist du, du gehörst dir selbst, ganz alleine.
Niemand kann dich dir wegnehmen. Du bist dein, das musst du dir erst Mal
bewusst machen und das ist was Besonderes.
Vor allem du bist was Besonderes. Und soll ich dir sagen für wen? Für mich
und deshalb gehörst du nicht nur dir selbst, sondern ich gehöre dir damit
auch zum Teil, verstehst du?
Ist das was? Grins!
Ich weiß eben nicht, wie das mit uns gehen soll, du wohnst am anderen Ende
des Landes, ich habe keinen Führerschein und zu meinen Eltern kann ich auch
nicht sagen, hey ihr alten Säcke, ich fahr dann mal mit dem Taxi oder Zug zu
meinem Freund, ha, ha! Du weißt, wie ich das meine, das ist extrem schwer,
ganz extrem schwer.
Jetzt kommt mein ABER, du hast einen Führerschein, manchmal denke ich nur, du
willst gar nicht zu mir, weil du vielleicht dein Zuhause nicht verlassen
möchtest und dir das wichtiger ist. Ich weiß es nicht.
Nur ich will eben nicht mit jemandem zusammen sein, den ich nie sehen kann,
weißt du? Das ist schwer für mich, vielleicht nicht für dich, aber für mich
schon, das ist so, als ob du einen Geist als Freund hast, so eine Art
Illusion!
Soso, da hast du meine E-Mail schon zum Teil gelesen. Und dann hast du es
aufgegeben. Na ja, kann ich etwas verstehen. Ich meinte die E-Mail nicht
böse, ehrlich, im Gegenteil. Ich hab sie gut gemeint.
Ich kann dir nichts Böses wollen, das geht nicht, dafür mag ich dich viel zu
sehr.
Ach ja, du meintest doch, dass du was für mich empfindest, was du nicht
erklären kannst, aber versuch es doch mal ..., würde mich interessieren.
Ich kann dich wahrscheinlich den Rest der Woche nicht anrufen, denn wenn
meine Eltern mitbekommen, dass ich das Telefon nehme, killen die mich.
Grins!
Und meinst du, dass es dir Leid tut, dass du gesagt hast, dass du mich
liebst? Das klingt immer so, als wie wenn du sagt, hey, jo, ich liebe dich,
nee, Moment, doch lieber nicht! Du weißt, wie ich das meine!
Und ich weiß, wie du das meinst, ja, kenne dich ja! Übrigens, wir kennen uns
jetzt schon mehrere Jahre!!! Wow!
Tja, und was jetzt?
Ich würde dir ja gerne noch ewig viel schreiben, hmm ...!
Aber du hast wahrscheinlich nicht so viel Zeit.
Wieso bist du eigentlich Sanitäter geworden? Grins!
Du warst gestern zum Teil wirklich ernst. Und auch sehr traurig. Tu so etwas
nicht wegen mir, bitte.
So, und damit du jetzt noch richtige Albträume bekommst von mir, he, he, he,
schicke ich dir gleich ein Bild von mir.
Ich bin das da im Hintergrund, also die mit der Brille, die so grinst!
Byele, ... hoffentlich klappt es ...!
Bye, Lena!
I will always love you!
Brief an Amelie vom 15.05.04
Hey Amelie!
Hier noch einmal, was ich ihm geschrieben habe:
Hallo!
Also der Olaf (mein Handy) hat der Claudia (deinem Handy) ein kleines
Briefchen geschrieben (SMS), aber es scheint so, als ob Claudia das ganze
Wochenende über schläft.
Was ich fragen wollte, haben wir am Mo. die letzte Std. frei? Und könntest du mir dann noch vielleicht die Handynummer von der Isabel geben? Also ich möchte ja jetzt niemandem Vorwürfe machen oder mich beschweren, aber es fällt einem halt so auf, dass wenn man mit jemandem E-Mails schreibt und der andere dann gaaanz lange gar nicht mehr schreibt, genau – er einfach nicht mehr schreibt. Weißt du, was ich damit sagen will? Okay, ja, ich habe mich leicht kompliziert ausgedrückt. Da wollte ich mal fragen, ob ich dir vielleicht unbewusst etwas geschrieben habe, was du irgendwie weniger gut aufgefasst hast oder dergleichen?
Es könnte auch sein, dass du einfach nicht mehr so viel mit mir zu tun haben willst, weil ich dir zu blöd bin, das wäre eine andere Möglichkeit. In diesem Fall könnte man mir das evtl. auch in einer etwas freundlicheren Form mitteilen, dann hätte ich ein Fragezeichen weniger in meinem Kopf.
Ok, dann ja, schreib oder schreib nicht, jedenfalls ich hab geschrieben, dann bis bald oder so.
Bye, Lena!
So, und nun, was er zurückgeschrieben hat:
Hallo Lena!
Du meinst deine E-Mail, in der du deine 8 Ichs beschrieben hast, könnte mich abgeschreckt haben und jetzt möchte ich mich von dir abwenden. Das tut mir wirklich Leid, dass du das denkst. Aber ich glaub nicht, dass du dir da Sorgen machen musst. Ich finde dich auch weder zu blöd noch wirst du mir in irgendeiner Weise zu viel. Im Gegenteil: Ich finde, du hast einen tollen Humor und bist auch sonst sehr nett! Glaub mir bitte, es gibt ganz andere als dich und die sind dann mal wirklich seltsam. Dass ich nicht zurückgeschrieben habe, liegt daran, dass ich das Internet in letzter Zeit eher meide, weil unser Norton Anti Virus 2005-Abonnement abgelaufen ist und jedes Mal wenn ich ins Internet gehe kommen an die 100 Sicherheitswarnungen, dass unser Computer nicht geschützt ist usw. ... . Ich hoffe du bist deswegen nicht sauer auf mich!
Lg, Max!
Ja, und jetzt? Keinen Plan, was ich machen soll. Ich mag ihn so gerne. Mit der Beziehung von Jonas und mir habe ich das natürlich überwiegend unterdrückt. Das ist natürlich falsch gewesen, aber ich habe Angst, verletzt oder enttäuscht zu werden und wie gesagt, der liebe Max ist eine schwierige Person, die man nicht leicht verstehen kann. Wenigstens weiß ich jetzt, weshalb er mir so lange nicht mehr geschrieben hat. Und was war das bitte heute? Völlige Entfernung beiderseits. Ist das nicht irgendwo peinlich, oder fasse ich das nur so auf? Gestern nahm ich mir noch fest vor, ihn zu umarmen und mich richtig zu freuen, wegen der E-Mail, doch heute ist alles wieder zerplatzt. Ich habe erwartet, dass er vielleicht mehr mit mir redet oder mich von sich aus auf seine Nachricht anspricht oder zumindest wieder, wie üblich, in der Pause bei mir steht. Aber nein, nichts dergleichen. Was soll ich mir jetzt denken? Teilweise ist es vertraut zwischen uns und diese Blicke sind manchmal, wie ich finde, sehr kitschig und vielleicht sogar romantisch. Und? Alles etwa nur Einbildung? Wenn es mir doch nur jemand sagen könnte, jemand der mir helfen könnte. Es tut mir gerade so weh, weil wir uns einerseits so „nett“ schreiben und manchmal diese gewissen Blicke austauschen, sogar ab und an zanken, a la „Was sich liebt, das neckt sich“. Dann kommt wieder diese Entfernung, eine Art Abweisung, so als ob etwas wäre und doch nichts ist. Als ob er mich sehr mögen würde und mehr und dann aber auf Abstand geht. Ich verstehe ihn nicht. Ganz einfach. Ich kann, soviel ich auch darüber nachdenke, was sowieso zu nichts führt, mir keinen Reim darauf machen. Ich will ihn gehen lassen, sodass er mir gleichgültig ist, doch es funktioniert nicht. Ich kann ihm nicht einmal richtig böse sein für seinen Abstand und seine Vernachlässigung, die ich empfinde. Er ist so sanft und hat diese netten, lieben Knopfäugelein und seine Hände sind so hübsch, von dem Geruch erst gar nicht zu reden, … Himmel, was soll das? Klammere ich wieder, nur um meine anderen, wahrhaft schrecklichen Probleme zu verdrängen?! Ach Herrje. Wenn ich tun könnte, was ich wollte, ohne Konsequenzen, dann würde ich morgens, wenn er den Gang entlang schwebt, auf ihn zugehen, ihn ganz fest und lange umarmen und ihm dann ins Ohr flüstern, dass ich ihn so gerne habe, noch viel mehr als gerne und dass ich es nicht ändern kann. Danach würde ich ihn loslassen, ihm in die Augen schauen und ihm einen Kuss geben. Furchtbar, oder? Genau. Immer wenn ich diese Gedanken habe, erheitern sie mich und machen mich zugleich traurig. Heute ist kein schöner Tag, ich muss nachdenken, viel nachdenken, über alles Mögliche und Unmögliche. Einbildung ist auch eine Bildung, nur leider die Falsche. Ich werde morgen nicht in die Schule kommen, denke ich, ich kann nicht. Mir geht es nicht sonderlich, auch wegen ihm, leider. Ich brauche einen Tag für mich. Ja, das ist doch schrecklich. Jetzt nimmt mich der Kerl schon fast so mit, dass ich es schon gar nicht mehr ertragen möchte, die Enttäuschung zu erleben, falls er nicht auf mich zukommt, nicht neben mir in der Pause steht, nicht zu mir an den Tisch kommt. Ach Amelie, es ist mir wahrscheinlich alles gerade zu viel und so wie es mir momentan geht, würde ich anfangen zu weinen vor Verletztheit, wenn er morgen in irgendeiner Form abweisend wäre. Für alle anderen habe ich natürlich „Migräne“, steht auch auf meiner Entschuldigung. Bitte sag zu keinem was und vor allem nicht zu ihm.
Bye, deine Lena!
Brief an Max vom 18.05.06
Hey Max!
Na? Wie geht es dir so?
Es ist ehrlich gesagt sehr erstaunlich, wie viel Wahres du doch in mein recht umständliches Gefasel hineininterpretieren konntest! Hut ab Herr E.!
Ich habe mit dem Scheiß-Grau geredet. Die Sau meinte, da ich auf 1,57 stehe, könne er keine 1 rechtfertigen. Super! Blödes Arschloch! Dem hat doch auch einer ins Hirn geschissen. Gibt uns allen 2er, klar doch, weil der Depp selbst keinen Plan hat und außerdem kein Deutsch kann. Nur wegen dieser bescheuerten Note hat es mich runtergezogen. Herzlichen Dank, Herr Grau, Sie werden dann meine „Antwort“ per Briefbombe bekommen. Dann fing er noch an mit Abschlussprüfungen, ja, ja, wenn ich da eine 1 schreibe und bla, bla. Interessiert mich das? Habe ich das etwa gefragt? Ging es mir vielleicht darum? Genau - NEIN! Blöder Penner! Der soll nach Hause gehen in seine abgewrackte Drecksbude und sich seinen verfickten Würfel, mit dem er unsere Noten macht, in seinen Arsch stecken! Wahrscheinlich steht er sogar noch drauf! Ok, genug von diesem Thema!
Kommen wir zu der Frau H.! Sag mal, geht`s der noch gut?! Wenn sie so labil ist, dass sie uns jetzt sitzen lässt, die blöde Fotze, dann sollte sie sich das gefälligst am Jahresanfang überlegen und da bitte gleich in die Irrenanstalt gehen! Lässt uns einfach hängen, Schlampe! Meine drei in mühevollster Arbeit geschriebenen Blätter werde ich auch nie wiederbekommen und die verwichste Schulaufgabe hat sie auch nicht korrigiert! Gott, der werd ich auch mal die Bude einräuchern! Gut, soviel zur H.!
Wen hasse ich denn heute noch? Ach ja, die Schwarz. Irgendwelchen Ärschen gibt sie anscheinend 1er, so, so, aber mir kann sie dann keine 1 geben oder wie und ich melde mich bzw. habe mich immer wie bescheuert bei der gemeldet. Und? Nichts, nein, zu der armen, kleinen Lena kann man ja nicht mal nett sein, oder vielleicht gerecht! Aber hey, was soll’s, das bin ich schon von meinem Leben gewöhnt. Mein Leben kennt das Wort „Gerechtigkeit“ nämlich nur, wenn man dafür sein Leben aufgeben würde!
Huch, war ich gerade etwas gehässig und gemein?! Och, wie böse von mir – das war nur ABSICHT! Ich sollte mal wieder runter kommen, meinst du? Ja, vielleicht könntest du Recht haben.
Also, ich hab mich ja sehr gefreut über deine E-Mail, die fand ich echt sehr lieb und nett! So was bekommt man ja nicht jeden Tag zu lesen. Und damit du mich weiterhin auch noch nett findest, sage ich dir jetzt, bzw. schreibe ich dir, dass ich dich auch sehr nett finde und dass du lustig und cool bist, das denke ich, weißt du, oder?
Ich habe heute überhaupt keinen Bock, irgendwas zu machen. Ok, vielleicht noch Englisch. Deutsch habe ich somit heute abgehakt und ich werde mich auch nicht mehr melden oder das Arschgesicht anschauen, wenn es wieder Dreck labert. Nö, nicht mit mir! Tse, wer bin ich denn? Was denkt der eigentlich! Ok, ok, ich hör schon auf.
Ich hab einen Phoenix gemalt. Einfach so, ich zeichne ja ab und an mal. Bei Tieren sehe ich mich als eher unbegabt, aber so Blumen, das hab ich voll drauf – grins! Da hatte ich mal so eine Zeit in der 9. Klasse. Ich sag mal so, da ging es mir ziemlich schlecht und dann habe ich fast jeden Tag solche Blumen gezeichnet, hat mir gut getan. Und heute war ich auch nicht so gut gelaunt und dann hab ich mich eben wieder hingesetzt und gezeichnet. Ich hatte einmal so eine Art Sucht. Na ja, es war definitiv eine Sucht. Und es hat so ein gutes Jahr gedauert, bis ich das wieder in den Griff bekommen habe. Immer, wenn es mir dann wieder schlecht ging, habe ich geschrieben oder gezeichnet, um mich abzulenken und nicht auf „Dumme Gedanken“ zu kommen. Manchmal, wenn mir alles zu viel wird, hab ich schon noch solche Gedanken daran und manchmal ist es so, als ob ich es vermissen würde, aber zum Glück hab ich das hinter mir. Hoffentlich bist du jetzt nicht geschockt. Ich habe mittlerweile nämlich immer Angst, dass wenn ich etwas weniger Schönes von mir erzähle, man mich gleich anders behandelt oder mir aus dem Weg geht oder sonst was.
Okay, ich denke, ich habe ganz schön viel geschrieben. Und natürlich bin ich nicht sauer, weil du mir nicht geschrieben hast. Ich wäre nur sauer, wenn du das, was ich dir da oben geschrieben habe, herum erzählst oder dich drüber lustig machen würdest.
Also dann, bis morgen!
Bye, bye,
Lena!
H.D.L!
Brief an Amelie vom 10.06.06
Hey Amelie!
Ich habe gesehen, dass du mich gestern angerufen hast, leider ging es mir so schlecht, dass ich nicht mal telefonieren konnte.
Meine Ma spinnt total. Ich komme mir vor wie im Irrenhaus. Ich bin ja seit Anfang der Ferienwoche krank und habe wieder eine Infektion. Damit ist nicht zu spaßen und eigentlich weiß sie das auch, aber sie ignoriert mich völlig, auch dass ich krank bin und dass es mir schlecht geht. Ich hatte Glück, dass in den ersten paar Tagen der Ferien schlechtes Wetter war, so konnte ich wenigstens zu Hause bleiben und mich etwas ausruhen. Aber seitdem es schön ist, hört die Quälerei nicht mehr auf und es ist wahrhaft eine Qual für mich. Am Mittwoch waren wir in M. bei unserem Anwalt, das Gespräch war eigentlich ganz gut. Jetzt haben wir auch die Fotos gesehen, die er hat machen lassen, 800 Kilometer weiter weg, bei einem Arzt, der sowieso ein Tenniskumpel von ihm war. Die Bilder waren derart lächerlich. Er hat sich auf die Backe so vier oder fünf riesengroße Kratzer hingemalt, die wie von einem Tiger oder Löwen aussehen. Die Mama hat ihn zwar gekratzt, aus Notwehr, weil er sie wieder ins Gesicht geschlagen hat, aber glaub mir, so sah das ganz bestimmt nicht aus. Diese Schnappschüsse, anders kann man sie nicht nennen, sind in irgendeiner Küche aufgenommen worden, aber nicht bei einem Arzt. Wahrscheinlich bei seiner Freundin, denke ich, die dann mit einem roten Kajal recht schön nachgeholfen hat.
Danach sind wir in ein Modehaus, wo die Mama sich über zwei Stunden aufgehalten hat. Wie ging es mir? Richtig, ich hatte Fieber und hätte eigentlich ins Bett gehört, aber nein, meine liebe Mutter hat das nicht wahrgenommen. Erst als wir in der Stadt gegessen hatten, fiel ihr auf, dass ich ja blass bin und mir die Nase läuft und ich müde aussehe. Wir sind dann auch nach Hause gefahren, damit ich Medikamente nehmen konnte. Danach ging es mir natürlich besser, weil das Fieber wegging und ich etwas gegen den Schnupfen nahm. Ich bekam vorgeworfen, nur zu spielen, ich wollte nur nicht in M. bleiben, mir wäre alles zu viel und ich wäre ein Hypochonder. Ist das nicht nett? Anschließend kam dann noch die Klage, warum ich denn jetzt nicht auf der Couch liege und schlafen würde. Ich kann nicht tun was ich will, und alles mache ich falsch, so ging das den ganzen Tag. Ich wäre morgens schon mit einem derartigen Gesicht aufgestanden, dass einem alles vergeht und verderbe einem alles. Aber es geht ja noch weiter. Ich hatte Fieber, Eiter an den Mandeln, Schnupfen, Halsweh und dann schickt sie mich am nächsten Tag raus in den Garten und lässt mich über zwei Stunden lang kehren. Nun gut dachte ich mir, frische Luft, schönes Wetter, es wird wohl nicht so schlimm werden. Draußen bekam ich dann erst einmal meine Allergie zu spüren und mir ist noch mehr die Nase gelaufen. Nach einiger Zeit und mit Aspirin ging es einigermaßen. Als ich damit fertig war, war mir furchtbar schwindelig und ich hatte wieder erhöhtes Fieber, außerdem war ich blass wie ein Gespenst. Selbst unser Elektriker, der kurz wegen unserer kaputten Waschmaschine vorbeikam, meinte, dass ich schlecht aussehe und in meinem Zustand noch dazu im Garten arbeite. Ist es nicht traurig, wenn der Elektriker eher meinen Gesundheitszustand erkennt, als meine eigene Mutter? Jedenfalls musste ich, nachdem ich das ganze Grundstück gekehrt hatte, weiterarbeiten und wurde dazu noch von meiner Mutter geschimpft. Und weshalb, fragst du dich wahrscheinlich, was kann man denn dabei so sehr falsch machen? Ich erzähle es dir. Erst meinte sie, ich soll ihr den Sack aufhalten, damit sie das gemähte Gras dort hineinschütten kann, sagte, ich solle aber wegschauen, damit mir das Gemähte nicht so in mein Gesicht fliegt, wegen meiner Allergie. Was meinst du wohl, was hinterher passierte? Danach schimpfte sie mich, dass ich gefälligst aufpassen sollte was ich mache und immer so oberflächlich wäre. Anschließend meinte sie, ich müsse noch das Gras schneiden, an das sie mit dem Mäher nicht hingekommen ist. Ich solle dann gefälligst schnell anfangen und hier und da und dort und so weiter. In einem Ton, der beim Militär nicht anders ist. Genervt und halb umkippend machte ich das dann, aber auch das war nicht richtig. Wie hätte es auch sein können? „Was machst du denn? Fang gefälligst vorne an, warum schneidest du denn hier?“ Weil sie es mir gesagt hatte, natürlich. Das sagte ich ihr dann auch, aber es half alles nichts. Sie hatte immer recht. So ging das dann den ganzen Tag. Und davon wird man nicht gesund, das kannst du mir glauben. Später kam der Sozialpädagoge, weil wir ja das Sorgerecht von meinem Vater meiner Mutter übertragen wollen. Er sah aus wie ein Waldschrat und war ehrlich gesagt nicht besonders sozial und fand sich und sein Jugendamt wunder wie toll und hilfsbereit und macht mir noch Vorwürfe, weshalb ich nicht zu ihm gekommen bin und dass er sich wundert, warum man mich bei dem Jugendamt in K. nicht an ihn verwiesen hätte und nichts gemacht hat und so weiter. Ich habe zwar versucht, ihm zu erklären, dass der Herr M. mir keineswegs geholfen hat und all das nicht tat, was dieser Waldschrat da sagte, aber er wollte mir nicht so recht glauben. Dann hat er blöd herumgelabert und ist mit einem unangebrachten Witz an unsere schreckliche Situation herangegangen. Ha, ha, dass ich mich nicht noch totlache. Aber so ist das Jugendamt, enttäuschend aber wahr. Hinterher war ich ziemlich traurig, aber nein, selbst da stoße ich auf Verständnislosigkeit. Plötzlich konnte ich mir dann Dinge anhören, wie: „Du bist zu allem zu faul“, „Du spielst ja nur krank und dir macht das Spaß“, „Du bist ständig nur kränklich und mit dir kann man nichts anfangen.“, „Du bist ständig nur schlecht drauf. Wann bist du eigentlich mal gut gelaunt? Du kommst morgens mit so einer Fresse runter und bist nur krank und schwach und dies und das. Mir reicht das mit dir. Du lässt dich nur hängen.“, „Andauernd bist du das Kleinkind und ach sooo klein und schwach. Du steigerst dich da ständig rein, merkst du das nicht, und läufst das ganze Jahr über mit einem Schal herum, das ist nicht mehr normal.“ So ging das dann weiter und irgendwann bin ich weinend hochgegangen und habe mich nur noch ironisch für die „Nettigkeiten“ bei ihr bedankt. Ich war nicht nur körperlich am Ende, sondern auch seelisch. Mir ging es so schlecht. Ich saß da, richtig jämmerlich und kam mir einfach wieder einsam vor und verlassen. Ich sah die Aspirin und die Schlaftropfen vor mir stehen und dachte nur: „Nimm sie doch, vielleicht fünf oder sieben von den Aspirin oder ganz viele Schlaftropfen, oder vielleicht sogar beides. Nimm es, dann ist es vorbei und sie sieht endlich, was sie dir angetan hat, vielleicht wird sie dann wach.“ Diese Gedanken gingen mir einige Minuten durch den Kopf und ich hatte die Tabletten auch schon in der Hand, ging zum Wasserhahn und füllte das Glas mit Wasser – doch dann dachte ich an dich, an den Moment, beim Ässel, wo es mir auch sehr schlecht ging und du um mich geweint hast und dann ließ ich es einfach und setzte mich an den Tisch und versuchte irgendwie Mathe zu machen. Später kam zum Glück die Gertrud vorbei mit dem Hund und nachdem wir telefoniert hatten, bin ich einfach mit dem Hund rausgegangen in den Garten und habe mit ihm gespielt. Es war wirklich schön. Die Cocko war ganz lieb, ich weiß nicht genau was mit ihr los war, aber ich habe ihr sogar etwas beigebracht und später sind wir noch kurz spazieren gegangen. Sonst hört sie nur auf den Günter und vielleicht noch auf die Gertrud, bei allen anderen spinnt sie herum und bellt, wenn du mit ihr spazieren gehst. Bei mir war das nicht so. Ich habe dann noch Käse und Schinken und Trauben und Gebäck geholt, was wir dann zusammen gegessen haben. Es war schon lustig. Was mich aber am meisten gefreut hat, war, dass sie dann zu mir in die Wohnung die Treppen hochgegangen ist. Früher, als sie klein war, ist sie einmal eine Glastreppe hinuntergefallen und seitdem geht sie höchstens mit dem Günter Holztreppen, ansonsten hat sie panische Angst davor. Aber sie ist einfach mit mir mitgekommen und war ganz anhänglich und lieb. Das hat mich wirklich aufgebaut und war richtig erholsam für mich. Die Gertrud hat mir sogar eine Rose mitgebracht, weil ich krank war. Alle sehen, dass es mir schlecht geht und du hast es auch am Telefon mit angehört, nur die Mama dreht total durch und ignoriert alles. Am Freitag bin ich dann zum Arzt gegangen und er meinte, dass er mir nicht schon wieder Antibiotika geben will, weil die sehr schädlich sind und den Körper auch abhängig machen. Also hat er mir etwas Homöopathisches verschrieben. Jetzt wird es allerdings heftig. Meine Ma ist dann mit mir an den H. See gefahren, weil sie unbedingt spazieren gehen musste. Am Anfang war mir nicht so schwindelig, aber es wurde immer schlimmer und schlimmer und ich war wieder völlig erschöpft. Als wir um den ganzen See herumgelaufen waren, gingen wir endlich essen und es ging dann wieder. Danach liefen wir zum Auto und es drehte sich wie aus dem Nichts alles um mich herum. Im Auto war ich am Ende, konnte aber nicht die Augen zumachen, weil ich sonst bestimmt gebrochen hätte. Ich dachte, ich kippe gleich weg und verliere mein Bewusstsein. Endlich waren wir zu Hause und aus meinem Schwindel wurden starke Kopfschmerzen, also legte ich mich hin. Als ich nach einer guten Stunde wieder aufwachte, war alles wieder vorbei, dachte ich. Sobald ich aufstand, brach mein Kreislauf zusammen und die Kopfschmerzen waren wieder da. Ich hatte es schwer zu laufen und bekam wieder Fieber. Ich versuchte runterzugehen, um etwas zu trinken zu holen und eine Aspirin gegen die Schmerzen einzunehmen. Meine Mutter sagte wieder ein paar blöde und gemeine Dinge, aber es ging und sie machte mir dann sogar einen Orangensaft. Es wurde so furchtbar schlimm, dass ich hochgehen musste, ich konnte keinen Fernseher mehr hören, es tat mir in den Ohren weh, wenn meine Mutter redete und alles drehte sich in einem stechenden Schmerz. Ich legte mich also wieder auf die Couch. Am Abend wurde es etwas besser und ich schaute unten einen Film, allerdings konnte ich mich fast nicht bewegen und lag nur da und sobald ich mich bewegte oder gar aufstand, war der Schmerz so unerträglich, dass ich am Boden zusammenbrach, was dann auch passierte. Nach dem Film wollte ich ins Bett gehen, vorher die Jalousien runterlassen und mich selbstverständlich umziehen. Es war die Hölle, ich kam kaum die Treppe hoch. Es fühlte sich an, als ob jemand deinen Kopf gegen die Wand schlägt oder dir mit dem Hammer auf den Kopf klopft. Es tat so weh, dass mir die Tränen kamen. Oben angekommen, versuchte ich die Rollläden herunterzuziehen. Als ich das grade geschafft hatte, brach ich am Boden zusammen, mein ganzes Gesicht war knallheiß und ganz rot, ich dachte, mein Kopf platzt gleich. Irgendwie ging ich dann ins Bett und kroch über den Boden, weil ich nicht mehr laufen konnte. Ich wünschte ihr noch unter Tränen eine gute Nacht, aber es scherte sie nicht. Ich war so froh, als ich im dunklen Zimmer lag und meine Schmerzen gingen dann auch ziemlich schnell wieder weg. Ich hätte wirklich aus dem Fenster springen können, so heftig war das.
Heute Morgen ging dann der Nerventerror meiner Mutter weiter. „Ich habe keine Lust mehr auf dein Getue“, „Dir gefällt es regelrecht, krank zu sein.“, „Es ist mir langsam egal, du bist ja nur krank.“ Und all das, was ich oben schon schrieb, sagte sie auch noch mal. Ich saß dann wieder weinend am Tisch und wir standen auf. Ich ging hoch und machte mich fertig, weil sie Lust aufs Shoppen hatte und ich mitgehen musste. Und plötzlich, oh Wunder, fingen meine Schmerzen wieder an. Ich legte mich auf die Couch und machte Atem- und Entspannungsübungen. Gott sei Dank half das und es wurde besser. Als wir gehen wollten, durfte ich nicht die Schuhe anziehen, die ich wollte, sondern musste die, die ihr passten, tragen und was ich davon habe, sind zwei Blasen, wie wunderbar. Sie kaufte ein und kaufte und kaufte. Ich meinte noch, dass wir das Geld eigentlich brauchen und noch pleite gehen, da sie für über zweitausend Kleidung kaufte. Doch ihr ist alles egal, wie es scheint, ich, das Geld, alles. In der Stadt dachte ich dann noch, dass ich meine Tage bekommen hätte, weil ich leichte Krämpfe hatte und es war eigentlich auch schon Mittagszeit. Glaubst du, sie wäre mit mir irgendwo reingegangen? Nein, sie ging in das nächste Geschäft und probierte dort fast eineinhalb Stunden lang Röcke und Oberteile an und ob ich irgendwann eine blutige Hose hatte, war ihr derart egal. Mittags beim Essen kamen im Restaurant wieder die gleichen Vorwürfe und Beschimpfungen von ihr, und ich versuchte ihr klarzumachen, dass sie sehr ungerecht ist und sagte ihr auch, dass ich niemanden hätte, an dem ich meine Aggressionen ablassen kann, sie allerdings schon, und Spaß, denke ich, macht es niemandem, krank zu sein, und schon gar nicht solche Schmerzen ertragen zu müssen. Sie hörte mir zwar zu, was schon mal gut war, aber im Prinzip verstand sie es nicht und meinte sogar noch, als wir nach Hause liefen, dass ich gar nicht so hart im Nehmen wäre, wie ich immer tue und dass ich schwächlich und wehleidig sei. Dazu sagte ich dann nur, dass andere in meiner Situation schon ganz andere Dinge gemacht hätten, zum Beispiel Drogen genommen oder sich wahrscheinlich sogar umgebracht. Daraufhin wurde sie wieder zornig und wütend und schrie: „Ach Gott, ach Gott, dann hättest du das halt gemacht!“
Ist das nicht schrecklich? Was soll ich nur machen, ich weiß es nicht. Ich drehe langsam durch, das heißt, ich drehe schon lange durch. Was ist nur wieder los? Plötzlich fängt sie wieder an und es nimmt kein Ende. Die macht mich fertig von morgens bis abends und dazu bin ich noch krank. Das ist natürlich nicht alles, was sie sagt, es ist noch mehr, ich bekomme alles vorgeworfen. Sie schimpfte sogar darüber, dass ich keine Antibiotika verschrieben bekommen habe. Was kann denn bitte ich dafür, wenn der Arzt das für schlecht hält, was es auch ist. Aber nein, sogar deshalb werde ich angemault. Ich weiß nicht mehr, wie das weitergehen soll. Ich will nicht mehr, nicht mehr krank sein, nicht mehr meine Mutter sehen und hören, nicht mehr ins Gericht gehen, zu nichts mehr gezwungen werden, einfach nicht mehr leben, denke ich. Ich bin am Ende, du glaubst gar nicht wie am Ende ich bin, alle sind so verrückt und böse. Mein Vater, mein Mutter, manchmal glaube ich, dass mich beide hassen. Mein Vater sowieso, weil er krank ist und meine Mutter braucht mich nur wegen dem Haus und dem Geld und den Prozessen. Ich könnte doch auch genauso gut fort von hier sein, einfach weg. Ich hätte gerne eine neue Familie, eine normale, eine mit einem netten Vater, der einen liebt und sich um einen sorgt. Ach nein, jetzt muss ich auch noch weinen, super. Ich kann halt nicht mehr. Ich tue denen nichts und die machen mich kaputt, bis ich mich irgendwann umbringe oder im Irrenhaus lande oder so psychopathisch werde, wie die und das will ich nicht. Ich habe so Angst. Ich kämpfe immer und immer wieder und tue alles Mögliche, um dieses beschissene Leben hinzubekommen, aber ich habe oft das Gefühl, dass es gar nichts bringt.
Schön, dass ich dich noch habe, ich hör jetzt lieber auf, hol mir mal ein Taschentuch, bis dann,
hab dich lieb, Lena!
Brief an Amelie vom 19.06.06
Hey Kleine!
Wow, jetzt sitze ich hier und weiß, dass es morgen bei der Gerichtsverhandlung um Leben und Tod geht. Glaub mir, das ist kein gutes Gefühl, eher ein schreckliches, welches es sich nur zu unterdrücken bedarf. Aber nun ja. Fasse ich also zusammen. Erst ruft er einen Tag vor der mündlichen Französischprüfung an, erzählt zwei Sekretärinnen, dass ich „stark suizidgefährdet“ sei und verlangt die Frau Rückbert und droht, dass wenn er sie nicht sprechen kann, er dann „unverzüglich“ mit der Rektorin sprechen muss und „er haue die Frau Rückbert auch nicht in die Pfanne“. Gott sei Dank, dass ich sie noch in der 6. Stunde erwischt habe. Du warst ja auch noch dabei. Jedenfalls haben wir dann gewartet, bis sie ihn zurückgerufen hat, bis die Frau H. endlich vom Unterricht kam und wir mit ihr reden konnten und, und, und. Alles in allem hat das eine ziemlich lange Zeit gedauert. Du hast ja sein Protokoll gelesen, was er alles zu ihr am Telefon gesagt hat. Der Witz ist allerdings, dass die liebe Frau Rückbert, so wahr ich hier sitze und schreibe, sagte, dass er meinte „er wäre freiwillig aus dem Haus ausgezogen, um des lieben Friedens willen.“ Hinterher, sprich gestern, als ich sie nochmals anrief, wegen diesem Protokoll für das Gericht, sagte sie jedoch, dass er dies nicht gesagt habe. Ich fand das schon seltsam. Außerdem meinte sie auch, er hätte gar nicht zu ihr gesagt, dass ich psychisch krank sei. Genau das hat sie aber ebenfalls direkt nach dem Gespräch gesagt. Aber nun ja, ich kann daran am wenigsten ändern. Heute war er also an der Schule, um „richtigzustellen, dass er nicht mit der Rektorin gesprochen hat und uns (Mama und mich) auch nicht beleidigt hätte.“ Der Herr H., unser Anwalt, schrieb anscheinend versehentlicherweise Frau H., anstatt Frau Rückbert. Macht das denn irgendetwas aus?! Nein, ich meine nicht, so viele Lügen wie er und sein Anwalt zu Papier bringen, wobei wirklich jedes zweite Wort falsch ist. Und eine Beleidigung muss nicht immer ein Schimpfwort sein. Wenn er meint sagen zu müssen, dass ich ihn angeblich geschlagen hätte und beschimpft und suizidgefährdet wäre, dann fasse ich so etwas als Beleidigung auf, weil es schlicht und einfach eine Lüge ist und somit meinen Charakter und meine Persönlichkeit angreift. Der nächste Witz ist, dass mein werter Herr Vater ebenfalls das Gesprächsprotokoll hat. Ich frage mich daher, wie auch du dich sicherlich fragen wirst, warum er das eigentlich in die Hände bekommen hat. Richtig, durch Frau Rückbert natürlich, jedoch wusste er mit hundertprozentiger Sicherheit nicht, dass sie so etwas schreiben sollte. Also hat sie es ihm ganz einfach gesagt und es ihm zu lesen gegeben – und sogar gefragt, „ob es ihm denn so passen würde“, wie sie es geschrieben hat. In dem Moment gingen wohl mindestens zehn Fragen in meinem Kopf herum und leichtes Unverständnis. Er meinte, dass es ihm so Recht sei und er auch darauf gefasst ist, dass das vor Gericht gebracht wird, aber das wäre ihm wiederum auch recht. Ist das nicht auf eine ironische Weise herrlich? Ich weiß nicht, warum sie ihm das gegeben hat, gerichtstechnisch ist das auch ehrlich gesagt nicht gerade gut, das kann man sich aber denken, wie ich meine. Sie meinte sogar, dass er auf sie „dynamisch“ gewirkt hat. Hallo? Geht es eigentlich noch? Wer ist hier der Böse? Wer sagt hier die richtige und einzige Wahrheit? Etwa er? Nein, aber es schien mir heute so, als hätte er sie mit seinem: „Ich bin ja so fürsorglich und ruhig und alt und ach so nett und lieb“, eingewickelt. Genau so beschrieb sie auch sein Auftreten. Ich würde mich auf Dauer nicht mit meiner Mutter verstehen und er sei sehr besorgt deshalb, bei ihm würde immer eine Tür für mich offenstehen. Über diesen Satz kann man weinen oder lachen, eines von beiden. Ist das nicht lächerlich und ungerecht? Ungerecht ist es vor allem. Zwanzig Minuten hat er mit ihr heute geredet und war „freundlich“ und hat einen „recht guten Eindruck“ gemacht. Ich fasse es nicht.
Die Frage ist, weshalb er eigentlich in die Schule kam. Um irgendetwas richtig zu stellen etwa? Nein, sicherlich nicht. Er war nur wieder innerlich in Rage geraten, weil sein wüster Anruf nicht gut ankam und ihm das schlecht angerechnet wird. Das ist der einzige Grund, um sich zur Schau zu stellen, sich zu zeigen, sich selbst etwas zu beweisen, dass er es noch kann, andere aufhetzen und überzeugen, selbst in einem glänzenden Licht dazustehen – jedoch alles so unwahr zu erzählen und dabei nicht mit der Wimper zu zucken. Ich kann es auf der einen Seite nachvollziehen, dass er sie beeinflusst hat, sie innerlich zweifeln lässt. Ich habe es gemerkt, als ich mit Frau Rückbert gesprochen habe. Es war nicht so wie immer, das war es auch schon das letzte Mal in der Schule nicht. Ich kenne sie schon sehr lange und habe schon so oft mit ihr geredet, ich weiß, ich sehe, dass sie zweifelt. Einerseits bin ich wütend, aber ich kann es verstehen, wenn er seine Supermanshow ablegt und alle mit süßem Honig und Zuckerwatte einwickelt, da käme wohl jeder ins Zweifeln. Doch sie kennen ihn nicht, ich kenne ihn besser als meine Mutter. Ich kann und konnte immer sagen, was er macht, was er sagen wird, was er vorhat, Gedanken, die ihm durch den Kopf gehen, kranke Gedanken, derart schlimme, dass es einen zerreißt. Das, was er tut und getan hat, ist alleine schon unvergesslich und krank, doch dass, was er in sich trägt, ist noch bösartiger. Er soll mich in Ruhe lassen, aber um mich geht es weniger, er soll sie in Ruhe lassen, er hat ihr schon genug angetan, irgendwann muss es doch ein Ende haben, oder? Momentan hat sie sich wieder gefangen, wie gesagt, es ist einfach immer so vor Verhandlungen. In dieser Zeit bin ich wütend und will fort und meine, ihr nicht vergeben zu können, aber hinterher ist alles wieder vergessen, das ist auch richtig so, denke ich. Ich habe Angst, große Angst, vor allem davor, was passiert. Meine größte Angst ist, dass ich sie verliere, dass er kommt, irgendwann und ich sie nicht beschützen kann, dass er sie erwürgt, ersticht, totschlägt, erdrosselt oder sonst was mit ihr macht. Ich traue ihm alles zu. Jeder, der ihn so erlebt hätte, würde ihm das zutrauen. Ich weiß oft nicht, wie ich damit fertig werden soll, was ich fühlen kann und soll. In manchen Momenten, da ist ein Ansatz von Vergebung da, verbunden mit Ablehnung und meistens ist es Hass, tiefer, dunkler Hass. Ich würde ihn töten für sie, wenn er ihr etwas antun würde, es wäre mir dann egal, ob ich eine Mörderin wäre. Mord ist nicht gleich Mord und wenn dir Menschen derartige Dinge angetan haben, dann bist du irgendwann vielleicht sogar so weit, so etwas zu tun.
Ich habe Angst vor morgen, hoffentlich geht alles gut. Die können doch eigentlich gar nicht anders entscheiden, oder? Für ihn? Dann müssten sie verantworten, dass wir geschlagen werden und Schlimmeres. Wir müssten ausziehen, das dauert lange, man muss etwas finden, der ganze Prozess mit Umzugswagen und so weiter. Aber es ist nicht nur das. Es ist mein Haus, meines, mein Heim, mein Garten, ich bin hier groß geworden, habe dafür gekämpft, ich liebe das hier, ja, ich liebe es, ich habe eine so große Bindung, als ob es mein Kind wäre. Ich denke, dass es der Mama nicht anders geht. Ich könnte schreien, laut schreien und all seine Sachen kaputt machen, die er besitzt, bis auf die letzte Unterhose. Er sagte mal: „Ich werde dafür sorgen, dass ihr nur mit Wasser und trockenem Brot dastehen werdet.“ Er sagte das mit einer Überzeugung, eine Art Rachefeldzug, ohne jeglichen Grund und in seinem Gesicht war eine düstere Ernsthaftigkeit, daran kann ich mich noch gut erinnern.
Wünsche mir Glück, wünsche mit das Beste, Kraft und Hoffnung und bete für mich, dass alles so kommt, wie ich es mir wünsche. Bis hoffentlich Mittwoch.
Hab dich lieb.
Lena
Tagebuch vom 20.06.–19.07.06
Ich schrieb schon eine lange, lange Zeit nicht mehr. Zugegeben, ich hatte einfach keine Lust dazu und war, das heißt bin, erschöpft.
Wir waren beim Oberlandesgericht in A. und es ging zum Glück gut für uns aus. Wir dürfen im Haus bleiben und er darf niemals wieder hier rein. Leider ist zwar das Kontaktverbot zu meiner Mutter aufgehoben worden, aber bisher ist nichts passiert. Es war schon eigenartig. Ich saß draußen auf einem Stuhl und musste warten, es dauerte eine Stunde länger als geplant. Die drei Richter kamen den Gang entlang gelaufen und sahen auf eine seltsame Art und Weise furchterregend aus. Sie schritten in ihren schwarzen Roben dahin, waren schon sehr alt und wirkten ernst und steif. Es war ein härterer Kampf als erwartet, ja, das war es. Ich wurde nicht in den Gerichtssaal gerufen, doch wer weiß, vielleicht ist das Warten ja schlimmer, als das Dabeisein. Beide Parteien ging zwei Mal auf den Flur, um sich zu beraten und als mein Vater mit seinem Anwalt an mir vorbeikam, rief er mir förmlich ein direktes und freches „Morgen“ zu. Es war albern und der Tonfall war noch viel alberner. Ich drehte mich weg und musste sogar lachen. An seiner Stimme hörte ich, dass er wohl am Vortag sehr viel getrunken haben musste, da sie belegt klang und rau war. Ich kenne seine Stimme mittlerweile sehr gut, vor allem, wenn er einen Rausch ausgeschlafen hat. Sein Anwalt war sehr jung, dennoch äußerst frech und richtig ekelhaft, er passte daher gut zu meinem Herrn Vater. Es war der reinste Nervenkitzel. Ehrlich gesagt, möchte ich gar nicht mehr allzu viel darüber schreiben. Das Geschehen dort war schon anstrengend genug.
Es ist wieder einmal einiges passiert. Gutes und vielleicht auch weniger Gutes. Doch bleibe ich erst mal bei dem Guten. Ich bestand meine Abschlussprüfungen wirklich sehr gut und bin richtig stolz auf mich. Ich hätte nie in meinem bisherigen Leben auch nur geahnt, dass ich mich in der zehnten Klasse derart verbessere. Ich habe einen Schnitt von 1,8 und bin sehr zufrieden. Ich habe nur Zweier und Einser in meinem gesamten Zeugnis, allerdings auch eine 4 in Physik, aber nun gut, davon werde ich mir meine Freude nicht verderben lassen. Nun bin ich fertig und bald ist die Verabschiedung. Eine weitere gute Nachricht ist, dass ich jetzt mit meinem Führerschein anfange. Erst dachte ich, dass der Unterricht bestimmt hart und streng wird, aber er ist ganz und gar nicht so. Es ist sehr lustig und die Leute, die dort sind, machen ständig Witze. Ich sah sogar die Zwillinge Johannes und Klaus wieder, die ich letztes Mal in der Grundschule in der vierten Klasse sah. Sie hatten sich wahnsinnig verändert, ich erkannte sie kaum wieder. Wir redeten nicht miteinander, aber das macht nichts. Ich habe die Zeit in meiner Grundschule sowieso abgrundtief gehasst, einschließlich der Menschen, die in meiner Klasse waren. Aber nun ist alles vorbei. Zugegeben, es ist einerseits schön und nach jeder Prüfung überkam mich ein Gefühl von tiefem Glück, als ob man über der Erde schweben würde und den Sommer und all die blühenden Blumen richtig spüren könnte, es waren grandiose Augenblicke. Aber danach war es wieder zu Ende. Wir bekamen die Noten und natürlich gab es dann wieder diesen wunderbaren Moment, der, in dem man genau weiß, dass man das geschafft hat, wovon man immer träumte, was man immer erreichen wollte. Es ist schwer zu begreifen, es ist noch nicht richtig bewusst geworden, alles ist richtig neblig und schwammig. Ich kann kaum glauben, dass mein Vater nie wieder in dieses Haus kann, um uns zu terrorisieren, ich kann es nicht fassen, dass wir hier wohnen bleiben dürfen, es ist nicht vorstellbar für mich, dass ich jetzt mit der Schule fertig bin, in der ich all die Jahre gelitten und gekämpft habe und doch Freunde fand, die mir halfen, meinen Lebensweg zu finden. Es ist so endgültig, so vollendet. Ich muss weinen, mir rinnen doch direkt die Tränen hinunter. Da hätte ich allen Grund zur Freude und weine, weil etwas zu Ende geht, weil ich es geschafft habe und einfach noch lebe. Ich habe gekämpft, so, so sehr, ich hatte unglaublich viel Angst in meinem Leben und dachte immerzu, dass es nie etwas werden würde, weder mit der Schule, noch zu Hause.
Doch es hat etwas gebracht, nein, nicht nur etwas, viel, so unendlich viel. Es liegt ein großer Haufen hinter mir, ein Berg, ein schwarzer Berg, über dem ich noch die tiefschwarzen Wolken sehen kann, wenn ich zurückblicke. Und das war nicht mal alles. Es geht noch weiter. Jonas kommt mich in den Sommerferien besuchen. Nach fünf Jahren, fünf langen, schweren, Jahren. Er kommt, einfach so. Wir sind nicht einmal zusammen, aber es ist unfassbar für mich, er kommt. Ich könnte es jeden Tag durch die ganze Stadt rufen, dass er hierher kommt, zu mir. Es ist verrückt, unbeschreiblich. Zum ersten Mal stehen sich zwei Menschen gegenüber, die sich einen für mich sehr langen Zeitraum kennen, ihre Probleme teilten, fünf Mal zusammen waren, wenn auch über diese große Ferne, sich so oft am Telefon sagten, dass sie sich liebten und auch weinten, lachten und Gefühle teilten. Kein Mensch kann bisher wohl verstehen, dass wir eine richtig tiefe Bindung haben, eine solche, die niemals zusammenbrach, egal was passierte. Und jetzt? Bald stehen wir uns gegenüber und können uns umarmen, uns in die Augen sehen, beobachten wie der andere lächelt und seine Lider schlagen, er isst, geht, atmet oder einfach nur still dasitzt. Für jeden ist das verständlich, der eine Bindung zu jemandem anderen eingeht, aber für uns nicht. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob es doch die Liebe gibt, selbst wenn gar keine chemischen Vorgänge im Gehirn ablaufen können. Kann es sein, dass ich ihn liebe? Ich kann diese Frage nur beantworten, wenn ich ihn sehe und dann wird sich alles entscheiden. Dieser eine Moment, mein Gott, es wird wahr, ich habe es oft nicht für möglich gehalten oder die Hoffnung aufgegeben, aber es ist wirklich wahr.
Momentan fühle ich mich dennoch immer noch einsam, verlassen, leer. Ja, ich weiß, das schrieb und schreibe ich oft, aber es vergeht nicht. Ich habe Depressionen, sie kommen meistens nachmittags und ich kann kaum etwas dagegen machen. Ich versuche dafür immer eine Erklärung zu finden und kenne leider nur eine: Es ist wohl die Vergangenheit, die noch in mir weilt, die mich noch nicht ruhen lässt, die womöglich Nachwirkungen hat. Oft kann ich nichts mit mir anfangen, ich zähle mir zwar immer die wunderschönen Dinge auf, über die ich mich gefreut habe und es doch eigentlich noch sollte, aber es funktioniert nicht. Ich weiß kurz und knapp nicht, was ich mit mir und meiner Zeit anfangen soll. Ich überarbeite mein Buch und bin bei über hundert Seiten, ebenfalls ein Grund zur Freunde, ich lerne auch für die Fahrschule, damit ich wenigstens etwas für meine Gehirnzellen habe, aber mehr vermag ich nicht zu tun. Ich überlege mir, mein komponiertes Stück in Noten zu verfassen, ich habe mir vorgenommen, ein schönes Stück zu spielen, wollte mir ein Zeichenbuch kaufen und dann wilde Tiere zeichnen, aber auf all das habe ich keine Lust. Es ist eigenartig, nicht einmal das Tarot wollte mir helfen. Meine Freunde habe ich alle nicht mehr. Mit Amelie kann ich nicht mehr weggehen, da sie Alkoholprobleme hat und ansonsten hat sich alles entfremdet, ist auseinandergegangen.
Mit meinem Ex-Freund Andi habe ich mich übrigens wieder vertragen, ich vergaß während dieser Zeit, es aufzuschreiben. Nach der letzen Abschlussprüfung ist es Brauch bei uns, immer in den Park zum Saufen zu gehen. Da alle angetrunken oder betrunken waren, kam es bei uns dazu, dass wir wieder miteinander redeten. Mitschuld trug die Amelie, da wir beide uns um sie kümmern durften, da sie wegen zu viel Alkohol wieder einmal einen höllischen Nervenkoller bekam. Wir gingen spazieren, redeten und redeten, wir waren beide angetrunken, daher fiel uns wohl alles etwas leichter. Es war schon Wahnsinn, er trug meinen Anhänger, den ich ihm geschenkt hatte, immer mit sich, zog bei den Prüfungen immer meine Kette, die ich ihm einmal gegeben hatte an, sozusagen als Glücksbringer, er behielt mein Foto in seinem Geldbeutel und dann erklärte er mir noch, wie sehr er mich doch liebte, dass er nie wieder jemanden so sehr lieben könne wie mich und ich ihm sein Herz nun einmal herausgerissen hätte. Es klang zwar wieder teilweise vorwurfsvoll, aber das war ich ja von früher gewohnt. Ich wollte testen, ob er mich immer noch liebt, blieb kurz vor ihm stehen, sah ihm tief in die Augen und machte meinen berühmt-berüchtigten Hundeaugenblick. Er schmolz wohl völlig dahin, blieb für einige Sekunden regungslos stehen, machte die Augen zu, hielt sie geschlossen, machte sie wieder auf, sah auf den Boden, sah wieder mich an und gab mir einen Kuss auf den Mund. Er wollte wohl mehr, einen Zungenkuss, doch ich ließ es nicht zu. Ich wollte ihn nicht. Ich habe ihn nie gewollt und tat es in diesem Augenblick auch nicht. Die Sache war damit gegessen und er meinte, dass es doch besser ist, es zu lassen, da er seine Freundin fast ganz vergessen hätte. Alles war wieder in Ordnung, wir konnten normal miteinander reden. Als wir wieder in die Schule kamen, sah es aber anders aus. Er redete nicht mehr mit mir, so wie geplant und von der lieben Frau Yvonne P. gingen Gerüchte aus, dass er seine Freundin mit mir betrogen hätte, da ich mit ihm in einem Gebüsch geschlafen hätte. Es war alles völliger Unsinn und die liebe Yvonne konnte gerade nicht gut mit mir Kirschen essen und meinte wohl, wieder gemein sein zu müssen. Doch ich war das ja gewohnt. Ich bin ehrlich gesagt sehr froh, dass ich aus dieser Schule rauskomme. Meine alte Clique mit Andi und Co. besteht schon lange nicht mehr und alle haben mir dort Gemeinheiten entgegengebracht, die Sandy ist zu einer richtigen Zicke mutiert und gibt sich mit der Yvonne ab. Mit beiden im Zweiergespann will niemand mehr etwas zu tun haben, da beide anscheinend auch bei allen anderen sehr negativ aufgefallen sind und sie alle haben sich mit der Zeit entfremdet und voneinander entfernt. Mit Bettina habe ich noch am meisten Kontakt, Amelie kann ich völlig vergessen, sie ruft mich nicht mehr an, ist ständig weg und versinkt förmlich in ihrem Alkohol und mit dem lieben Max, oh je, der erkannte wohl durch meinen Suff im Park, dass ich an ihm interessiert war, wir redeten wieder nicht miteinander, aber momentan ist wieder alles in bester Ordnung. Es ist traurig, schlicht und einfach traurig. Perfekt ist es schon gar nicht, nein. Mit Isabel vertrug ich mich sogar auch wieder, aber da sie wieder einmal eine Verabredung platzen ließ, sich erneut total daneben benahm, war es auch schon zu Ende. Sie verarschte mich wieder und ich merkte an Gesprächen, dass sie sich nicht verändert hatte, sie treibt, bzw. trieb es mit sehr vielen Kerlen und findet das gut. Tja, sie fände sich selbst immer noch so toll und der Rest ist wohl bekannt. Allerdings ist sie durch ihre Herumschlamperei jetzt schwanger. Das ist tragisch, das meine ich im Ernst.
Nun gut, das waren alle Neuigkeiten, die passiert sind. Dieser Eintrag ist zwar nicht sonderlich lang, aber ich denke, dass das auch nicht schlimm ist. Somit beende ich ihn und hoffe, dass es mir bald wieder besser gehen wird, der Zustand in dem ich mich befinde, ist ja unerträglich, schrecklich und grauenhaft. Ich verstehe mich kaum selbst und doch geht es mir schlecht. Auf einen neuen Tag! Im Anschluss noch ein Gedicht über Jonas und mich und einen Briefwechsel zwischen Isabel und mir.
Gedicht
Wir lernten uns durchs Schreiben kennen,
Uns vermochte von dieser Zeit an nichts mehr zu trennen.
Es war die Seele die uns zusammenführte,
Der Augenblick, der durch Zufall herrührte.
Die Liebe zwischen uns war ein starkes Band,
Wir sahen es als einen weißen, hellen Strand.
Die Ferne jedoch war immer da
Und es war eine Sünde, die niemand verstand.
Dir die Liebesworte zu sagen,
Nicht über das Schicksal zu klagen,
Es war ein einziges Leid,
Wir vermochten es nicht zu tragen.
Mein ganzes Leben lang plagte mich Schmerz und Sorgen,
doch vor dir brauchte ich sie nicht zu halten verborgen.
Tränen flossen,
Ergossen sich über die Weile,
Es war nicht die Welt, die wir wollten,
Die Heile.
Wir taten uns weh, Verzweiflung –
Doch ein Bann, den niemand brechen kann.
Ist es Liebe?
Wachsen sie, die Leidenschaften der Triebe?
Wir wagten nichts und doch so viel,
Ich zweifelte, du setzt zu wenig aufs Spiel.
Die Stimme erklang, sie war einst und je
Und entsprang durch deinen Mund, deine Lippen, deinen Geist,
Weißt du denn nicht, was das für mich heißt?
Es war sanft und heiter,
Du warst mir allerweil ein Begleiter,
Ein Freund, eine Liebe,
Die Hoffnung, die blieb und zugleich wie Sand hinfort floss,
Wie durch tausend Siebe.
Ich wollte dich berühren,
Dich sehen und dabei so stark fühlen,
Nicht mehr stehen,
Nicht mehr bangen,
Es wäre hinfort gewesen,
Dieses unaufhörliche Verlangen.
Die Dunkelheit kam oft hinüber,
Zog sich wie ein kalter Schatten,
Des Lebens düstere, dunkle Platten,
Es gab Stufen,
Menschen hörte ich nach mir leuchtend rufen.
Der Tod war so nah,
Doch du warst immer da,
In meinem tiefen Herzen,
Dessen Schluchten schmerzen,
Welche Abgründe so tief sind und tau,
Dass selbst ich mich nicht einmal mehr trau
Sie hineinzulassen,
Sie zu fassen
Und nicht mehr gehen zu lassen.
Es ist die Liebe, die Sehnsucht
Und das bist du, da du einschlugst,
Kraftvoll mit liebevollster Wucht.
Ich dachte so viel an dich,
Wachte und wachte,
Die wundervollste Emotion brach aus,
Holte mich aus meinem düsteren Haus
Und sagte mir, sie brächte mich näher hin zu dir.
Ich glaubte all dem,
Doch vor allem dem Warmen und Sanften in dir.
Deine Augen würde ich gerne lachen sehen,
Deine Lippen sich vorsichtig und behutsam bewegen,
Sodass sich jede Freiheit und alles Glück
In mir würde regen.
Wir schrieben und erzählten uns allerlei,
Immer war es zwischendurch vorbei,
Immer fing es wieder an,
Bis der Eine, zerbrechlich nicht mehr kann.
Es zerreißt und zerrt,
Es blutet und wehrt,
Es atmet und lebt,
so wie ein starkes, federleichtes Gefühl bebt.
Dein Lachen klingt so unbeschreiblich schön,
was täte ich dafür nicht alles machen.
Weißt du, wie ich mich dir hingeben würde?
Weißt du, dass ich gab für dich ein Stück vom Leben?
So weich und glatt
Und doch zärtlich wie matt,
So zierlich und schwach,
Eine zarte Blüte im Winde,
So ist auch unsere Liebe,
Da sie schwinde von Tag zu Tag und Zeit zu Zeit.
Doch endlich, mein schönstes Ich,
Ist es soweit,
All die singenden Vögel und tanzenden Bäume
Machen sich erklingend bereit,
Du kommst zu mir hierher,
Es sollen für dich fließen
Tränen aus Freude wie ein Meer.
Ich will dich sachte
Und mit liebendem Bedacht berühren,
Denn du sollst nach all der endlosen Zeit spüren,
Dass es nicht vergangen ist und immer währt,
Drum verängstige ein Wesen voller Stolz niemals
Und mache nicht kehrt.
Einen Schluss für dich zu finden
Ist wie ein Kuss,
Einer der niemals endet,
Im Nirgendwo bleibt,
Dort weilt,
Und wie die Schmerzen, die meinen und deinen,
Nimmermehr heilt.
Die Angst ist groß
Die Enttäuschung schwankt mit den Ästen im Sturm,
So hole mich endlich herunter,
Von diesem endlosen, leeren, einsamen Turm.
Schenke mir dich und dein prächtiges Herz,
Zumindest für eine Weile,
Damit ich endlich heile,
heile!
Hallo Isabel,
ich möchte dir sagen, bzw. schreiben, dass ich damals in D. den Zettel auf deinem Bett gelesen habe. Was darauf stand, handelte eigentlich nur von mir. Mittlerweile glaube ich, dass er sogar indirekt für mich bestimmt war.
Es ging mir danach sehr schlecht, vielleicht kannst du dich nicht mehr genau daran erinnern, was darin stand, jedenfalls war es sehr heftig für mich und ich erkannte dich noch weniger, als bereits in den Tagen davor mit dir, in denen du sehr abweisend und ungerecht warst.
Der Zettel war hart für mich und im Prinzip stand darauf, dass du meine Probleme für lächerlich hältst, mich absolut nicht verstehen kannst und ich dich sowieso nur nerven würde und dass dein Bruder und die Frau Rückbert mich nicht mögen würden. Warum auch immer. Als du mit Frau Rückbert telefoniert hast, sagte ich noch zu dir, dass ich deinen MP3-Player holen würde und du warst einverstanden. Dieser lag genau in deinem Zimmer, neben deinem Bett. Mir stach mein Name auf diesem Blockblatt sofort ins Auge, es war, soweit ich mich erinnere, sogar das zweite oder dritte Wort darauf und nicht gerade klein geschrieben, also dachte ich, und das meine ich ehrlich, dass es wohl für mich sei. Ich las alles und wusste von diesem Moment an, dass du nie und nimmer meine Freundin warst und sein wirst.
Du weißt, dass ich mich sehr um dich bemüht habe, besonders in dieser Woche und es ging, kurz gesagt, fast nur um dich und deine Probleme und ich war so dumm und versuchte immer, dir so gut wie möglich zu helfen, da ich dich wirklich lieb hatte.
Danach vergab ich dir, weil ich dich noch mochte und mir einbildete, dass du es eventuell nicht so gemeint haben könntest und vielleicht eine schwere Zeit hattest, ebenfalls ein Fehler von mir.
Es ging weiter mit deinen Spielchen, anders kann ich es nicht nennen. Wir verabredeten uns mindestens fünfmal, nicht einfach nur so, es war auch noch äußerst wichtig für mich wegen Mathe und ich war schließlich in der 10. Klasse, wie du weißt.
Jedes einzelne Mal kam plötzlich nachts, vor dem verabredeten Termin, immer eine Absage. Einmal fiel dir ein, dass ja dein Vater käme, dann fiel dir um halb ein Uhr ein, dass du ja zu deiner Oma nach M. müsstest und dass deine Mutter aus K. käme (wörtlich) und du jetzt zu Hause bleiben wolltest. Immer nachts und keine Entschuldigung, nie, nicht danach, gar nichts. Tolle Freundin, dachte ich, super, du hast mich ständig sitzen lassen mit ziemlich seltsamen Ausreden, die mitten in der Nacht kamen.
Es reichte mir langsam, ich hielt das nicht mehr aus. Dann war auch noch mit der Clarissa Schluss und ab diesem Zeitpunkt war ich wieder gut genug für dich. Zuvor, falls es dir nie aufgefallen ist, kamst du NUR zu mir, wenn du mit ihr Streit hattest oder dich über sie beschweren wolltest.
Auch das war und ist keine richtige Freundschaft für mich. Du hast dich sehr geändert und plötzlich kamst du dir als etwas Besonderes vor, du fandest dich über allem stehend (sagtest du einmal wörtlich zu mir), fandest die anderen alle minderwertig und alle anderen hätten im Gegensatz zu dir nur Minderwertigkeitskomplexe (sagtest du ebenfalls und schriebst es). Ich finde, dass das eine ziemliche menschenverachtende Einstellung ist, vor allem gegenüber Menschen, die dir nie etwas getan haben.
Ich kann dich nicht verstehen und deine seltsame Einstellung auch nicht, ich weiß nicht, warum du derart voll Hass bist, gegenüber manchen Leuten wie mir und ich kann es auch nicht verstehen, wie man von sich selbst schreiben oder sagen kann, wie schön und selbstbewusst und besonders man sich findet. Es gibt ein Wort dafür, es heißt narzistisch.
Als ich mit der Clarissa das Referat gemacht habe, dachte ich mir, dass es bestimmt schlimm werden würde, wegen euerer kaputten Freundschaft, aber es war zu meiner Überraschung nicht so. Sie lästerte nicht groß über dich und zählte auch nicht auf, was du alles falsch gemacht hast. Allerdings zeigte sie mir einen Brief, den du an sie vor ca. eineinhalb Jahren geschrieben hast. Sie zeigte mir eine Passage, in der stand, dass ich mich angeblich für die „kleine, arme Lena“ halten würde und es dich „so was von nerve“ dass ich immer mit meinen „unwichtigen und kindischen Problemen“ zu dir käme. Das traf mich natürlich noch viel mehr und ich wusste, dass du dich wahrscheinlich nicht geändert hattest, sondern schon immer so warst.
Sag bitte nie wieder, dass du mich lieb hättest oder sonst etwas, das wäre, als ob du sagen würdest, dass du nicht atmen könntest. Bitte schreibe mir auch nie wieder, schreibe mir auch nicht auf den Brief hier zurück und ich hoffe auch, dass ich dich niemals wieder sehen muss. Ehrlich gesagt widert mich dein gekünsteltes und verlogenes Auftreten an.
Wenn du immer noch denkst, dass du so unendlich hübsch und toll bist und immer die Größte sein wirst, dann lebe in deiner Scheinwelt und in deinem menschenverachtenden Leben weiter. Aber das, was du zum Ausdruck bringst, dass zeigt keine Größe oder Tugend, sonder leider ein Mädchen, dass alleine sein muss, wohl sehr alleine.
Wenn du weiterhin Menschen derart enttäuschen und hintergehen wirst, dann tun mir diese Menschen jetzt schon leid und du mir auch, da du das Menschliche dann niemals gelernt hast.
Gruß, Lena!
Hi Lena,
der Zettel auf meinem Bett war nicht ernst gemeint, aber ja, ich wollte, dass
du ihn liest. Ich war eifersüchtig auf dich und wollte das irgendwie zum
Ausdruck bringen, ... dich damit verletzen. Ich war eifersüchtig, weil du von
meiner Mutter und von der Frau Rückbert die Aufmerksamkeit bekommen hast,
die ich mir immer gewünscht und nie bekommen habe und das hat mich so
wahnsinnig verletzt. Aber das war nicht in Ordnung, dass ich wollte, dass du
das liest und auch verletzt bist, ... das wusste ich schon, nachdem du ihn
gelesen hattest! Das war eine harte Zeit für mich damals und das weißt du
und du hast immer zu mir gehalten und warst immer für mich da und dafür bin
ich dir so dankbar, was allerdings nicht gestimmt hat, war, dass du und deine
Probleme mir egal waren! Auf den Brief hab ich das nur geschrieben, wie
gesagt, um dich zu verletzen und auf den Brief für die Clarissa habe ich das
geschrieben für die Clarissa, weil ich sie so lieb hatte und keinen Streit
wollte. Aber sag niemals, dass mir deine Probleme egal waren ... ich bin
immer zu dir gefahren, wenn was war, entweder mit dem Mofa oder mit meiner
Mum, oder wir haben dich abgeholt, ich habe nachts stundenlang mit dir auf
dein Handy telefoniert, was mir viel Ärger eingebracht hat, wegen der
Rechnung ... ich habe immer versucht, dich zu unterstützen und dir zu helfen,
weil du der wichtigste Mensch in meinem Leben warst! Manchmal bin ich nicht
damit fertig geworden, mir und dir gleichzeitig zu helfen und mir war dann
alles zu viel und dann laufe ich für gewöhnlich einfach weg!
Du hast recht, manchmal bin ich egoistisch und selbstsüchtig, aber wer hilft
mir sonst, wenn nicht ich ... und du weißt, dass sonst keiner da ist und ich
komme aus diesem Loch einfach nicht mehr raus und jetzt bricht gerade meine
Welt zusammen und ich hab solche Angst und langsam keine Kraft mehr! Deshalb
habe ich dir am Montag auch abgesagt, aber ich kann dir einfach nicht sagen
warum, Lena, auch wenn ich das so gern tun würde ... es geht nicht, aber du
kannst das jetzt nicht nachvollziehen oder verstehen warum, das ist klar.
Wenn ich du wäre, würde ich mich auch hassen dafür, denn ich mache verdammt
viele Fehler und das weiß ich und dafür gibt es auch keine Entschuldigung ...
aber dir nicht zu sagen, dass ich dich lieb habe wäre, als würde ich nicht
atmen und ich werde ich dich immer lieb haben, auch wenn du mich jetzt hasst
und nichts mehr mit mir zu tun haben willst.
Du hast mal gesagt, dass wir, wenn ich nach England gehe (und ich hoffe, dass
ich das jetzt noch kann), keinen Kontakt mehr haben werden, aber du hast
wahrscheinlich gedacht, das ginge von mir aus, aber es geht von dir aus, das
weiß ich jetzt.
Ich will nur, dass du weißt, dass du ein wichtiger Teil meines Lebens warst
und ich dich nie vergessen werde und das mir das alles so leid tut und ich
hier sitze und heule und mir das so weh tut, dich zu verlieren!
Tagebuch vom 20.07.–10.08.06
Ich sehe keinen Sinn mehr in meinem Leben, das heißt, den sehe ich wohl meistens nicht. Wo soll ich anfangen? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Am besten, ich fange bei meinem psychopathischen Vater an. Er hat noch nichts gezahlt, doch das war zu erwarten. Kein Strom, kein Wasser, keinen Unterhalt für mich, nur das Nötigste, für die Mama nichts. Die Hälfte von mehreren Konten natürlich auch nicht. Wir haben jetzt endlich Klage gegen ihn erhoben, hoffentlich bringt das etwas und er zahlt sehr bald alles zurück. Ist das denn fassbar? Nein, das ist es nicht. Sein Satz: „Ich werde dafür sorgen, dass ihr nur noch mit trockenem Brot und Wasser dasteht!“, geht mir immer durch den Kopf. Es ist wie ein Fluch. Man fragt sich Tag für Tag, wie es weitergeht, ob es gut geht, wann das nächste, verdammte Mal ist, wenn wir wieder einmal vor Gericht sein müssen, es ist ein Warten, unendlich scheint einem die Zeit zu vergehen. Man vegetiert vor sich hin, grübelt, überlegt, hinterfragt, bangt, hat Angst und alles schleicht vor sich hin, so als ob es das Schicksal darauf anlegt hätte, dass man fast am Sterben ist, bis endlich etwas Gutes geschieht. Wir haben zwar noch Geld, es reicht noch, um alle anfallenden Kosten zu bezahlen, und um uns zu ernähren auch. Doch diese ganze, ekelhafte, nicht enden wollende Sache kostet nicht nur Nerven, sonder viel mehr noch Geld. Geld für diese Klage, Geld für die nächste Klage, Geld für den einen Prozess, Geld für das ganze Papier, das hauptsächlich von der werten Gegenseite kommt, Geld für die Stunden, in denen man beim Anwalt sitzt, der sich dann sowieso nicht ausreichend vorbereitet hat. Es kommen Briefe über Briefe, es findet kein Ende und die Märchen und Geschichten werden immer besser. Diese Lügen erstrecken sich dann meistens über zehn oder noch mehr Seiten und wenn man sie liest, bekommt man Zittern, Schweißausbrüche, läuft grün, rot, blau, gelb an vor Wut und Ungerechtigkeit und ist hinterher deprimiert und verzweifelt, ärgert sich, bis man kurz vor dem Zusammenbruch steht. Wir dürfen zwar in diesem Haus wohnen, er nicht, doch die Herren vom Senat meinten glatt, dass falls er ein Wohnrecht eingetragen bekäme, wir dann doch für eine befristete Zeit hier wohnen bleiben dürften, wenn er es denn so wolle. Meine Mutter war nach diesem Schreiben mit diesem beschissenen Satz am Ende. Das ist sie immer noch. Wann genau wir vor Gericht müssen, wenn es um dieses besagte Wohnrecht geht, das wissen wir noch nicht. Fest steht, dass ich es ihm nicht eintragen lasse und da er mir gegenüber gewalttätig geworden ist, so steht es unter irgendeinem Paragraphen geschrieben, kann er sich das nicht mehr eintragen lassen. Sogar die Senatoren sagten ihm das, doch weshalb schrieben sie dann wiederum so etwas? Ich verstehe die Welt nicht mehr, ich verstehe die Ungerechtigkeit nicht, das Gericht nicht, die Richter schon gar nicht und meinen Vater habe ich nie verstanden und werde das wohl auch nie tun. Aber das ist nicht alles, es gibt noch wesentlich mehr Gründe, um schlechte Laune zu haben. Ich möchte jetzt einmal wiedergeben, was diese verdammten Menschen, ob es Menschen sind, da bin ich mir nicht einmal so sicher, in den letzten Briefen, die in den Ferien kamen, geschrieben haben. Ich sei meiner Mutter hörig, meine Mutter sei psychisch krank – das schreiben sie in wirklich jedem Brief – das Jugendamt, das auch empfiehlt, meiner Mutter das Sorgerecht zu übertragen, hätte sich nicht ausreichend mit mir unterhalten – nur insgesamt fast vier Stunden – meine ehemalige Lehrerin sei ebenfalls gegen mich, meine Mutter hätte niemals Geld gehabt, mein Vater hätte sich unglaublich um mich gekümmert, er hätte mir eine Nachhilfelehrerin besorgt, die er persönlich ausgewählt hätte und ich hätte sehr wohl große Probleme in der Schule gehabt und wir seien alle zusammen, harmonisch und friedlich in Italien im Urlaub gewesen. Das war jetzt zwar nicht einmal die Hälfte von dem, was an Verlogenheit auf diesen, im Grunde genommen wertlosen, Papieren stand, dennoch trifft es einen sehr. Zu der Frau Rückbert meinte er einmal, ich sei ihm gegenüber gewalttätig gewesen und hätte ihn aufs übelste beschimpft, sodass wir, wie er auch behauptet, eigentlich nie eine „angenehme Beziehung“ geführt haben können. Man sieht, dass er sich oft selbst verstrickt und es dafür einige Beweise gibt. Es ist alles sehr kompliziert und die rechtliche Lage verstehe ich ab und zu auch nicht, einiges widerspricht sich und vieles steht fest, wobei man anfangs einen Schock bekommt, doch die Ausnahmen, die meistens auf die Gewalt zurückgreifen, erleichtern einen wieder. Die Polizei hat ihn bisher auch nicht gefunden, wie auch nicht anders zu erwarten. Sie haben sich bis jetzt auch nicht mehr bei uns gemeldet, wahrscheinlich haben sie es aufgegeben, ihn zu suchen, ich weiß es allerdings nicht genau. Seine Waffen wird er dann wohl mit der Zeit weggeschafft haben. Wo er wohnt, das weiß niemand, ich glaube nicht einmal sein eigener Anwalt. Seine kleine Hure, die mit ihm im Urlaub war, hat dem Gericht anscheinend einen Brief geschrieben, in dem sie bekundet, nicht mit meinem Vater im Urlaub gewesen zu sein. So ein mieses, billiges, dummes Stück. Wenn er sie dann irgendwann schlägt und sie fertigmacht, dann wird sie merken, dass sie sich das vorher besser anders überlegt hätte. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er auch ihr gegenüber gewalttätig wird. Er schlug schon in seiner Jugend, seine erste Frau auch, meine Mutter, und er verhielt sich auch sonst sehr aggressiv, wie es die meisten vom Tennisklub hier sagen, in den er seit einem Monat aber auch nicht mehr geht. Keiner hörte mehr etwas von ihm, er meldete sich nur bei den letzten beiden Spielen ab, die für die Mannschaft sehr wichtig waren, darum sind einige auch wütend und enttäuscht von ihm. Er wurde dort oben nicht gerne gesehen, haben uns seine Mannschaftskollegen gesagt. Er trank immer viel Alkohol, wurde dann äußerst ausfällig und wüst, legte sich mit jedem an und spielte eher unpartnerschaftlich. Tja, einmal ein Mistkerl, immer ein Mistkerl. Er vermag es nicht, sich zu verstellen, das gelingt ihm nur ab und an, wenn er in Gesellschaft ist, oder unter Geschäftspartnern war, das habe ich in der Vergangenheit oft gemerkt. Aber für längere Zeit kann er das nicht aushalten, sein schlechter Charakter und seine aggressiven Eigenschaften stehen ihm dafür viel zu sehr im Weg. Den Termin im Amtsgericht in M., der bald sein sollte, wobei es um die Übertragung des Sorgerechts ging, hat er wieder verschoben. Ein Grund ist nicht angegeben, aber ich nehme an, dass er seinen faltigen Arsch in einen Flieger gesetzt hat und sich mit seiner kleinen, alten Schlampe irgendwo im Urlaub befindet. Ärgern will er uns sicherlich auch. Das alleine ist jetzt nicht das große Thema, es war sogar irgendwie zu erwarten, doch ich mache meinen Führerschein gerade mit 17, das heißt, begleitetes Fahren. Ich fing sofort am Anfang der Ferien an und mit meiner Theorie bin ich schon fast fertig, zwei Fahrstunden hatte ich bisher auch. Jetzt zu meinem Problem. Den Antrag dafür muss mein Vater mit unterschreiben, solange ihm noch nicht das blödsinnige Sorgerecht entzogen wurde. Das heißt, dass ich unbedingt einen richterlichen Beschluss dafür brauche, dass meine Mutter es allein hat, ohne können wir den Antrag nicht beim Landratsamt einreichen. Ich kann mich also auch nicht bei der theoretischen Prüfung anmelden und alles verzögert sich. Bei der praktischen Prüfung habe ich kaum Bedenken, ich fahre bisher so schlecht, dass ich noch bestimmt sehr, sehr viele Fahrstunden brauche. Wenn man den Antrag einreicht, dauert es einige Zeit, ich glaube sogar zwei Wochen, die Anmeldung zur Prüfung auch wieder zwei Wochen. Es dauert und dauert und dauert. Es geht mir alles viel zu langsam. Ich kann warten und warten und die Leute bei der Fahrschule auch. Ich hasse es, ich hasse ihn! Ein Glück, dass die neue Schule, bei der ich mich angemeldet habe, nach einer Unterschrift meines Vaters nicht gefragt hat. Ihnen scheint es egal zu sein. Wie soll das nur weitergehen, wie? Er lügt und lügt, jedes zweite Wort, dass wir zu lesen bekommen, ist gelogen, vor Gericht spielt er den armen, alten, verlassenen Mann, den wir geschlagen hätten. Gegen meine Mutter liefen über Monate hinaus Anzeigen, wegen Körperverletzung, diese gingen über mindestens sechs Instanzen und wurden alle abgelehnt. Plötzlich stellte er diese Anzeigen ein und die dazugehörigen Einsprüche gegen die Richter, die das richtigerweise ablehnten, auch. Er ist nicht nur gewalttätig und ein intriganter Lügner, mir scheint es, als ob er ein Verrückter ist, der wegen starker Wahrnehmungsstörungen, Schizophrenie und Depressionen in ein Irrenhaus müsste und das umgehend. Momentan ist er vielleicht auf einer Insel oder einem anderen Kontinent, meinetwegen auch bei seiner Tusse, aber wer weiß, ob er sich nicht hier aufhält, ständig an unserem Haus vorbeifährt, da die Senatoren ja das Kontaktverbot aufgehoben haben. Ich komme mir manchmal beobachtet vor, als ob er einen observieren lässt, einen abhört, Wanzen angebracht hat, um zu kontrollieren, zu manipulieren, so wie er das immer tat. Manchmal versuche ich ihn zu vergessen, es geht jedoch nicht, es passieren leider zu viele Dinge, die mich immer an ihn erinnern, an das, was er uns angetan hat, an das, was er ist, nämlich ein Verrückter. Das zu begreifen, dass man einen geisteskranken Vater hat, das ist schwer. Es zu verstehen, noch härter.
Momentan versuche ich, irgendwie an Geld zu kommen. Meinen Führerschein will ich überwiegend selbst bezahlen, da ich dafür bereits schon sei drei Jahren spare. Ich habe jetzt Nachhilfe angeboten und Zettel ausgehängt, gleich mehrere, doch anscheinend hat niemand Lust, in den Ferien zu lernen. Sie hängen jetzt schon sei drei Wochen, keiner hat sich gemeldet. Ich sortierte meinen ganzen großen Kleiderschrank aus, bisher habe ich wahnsinnig viele Pullover und T-Shirts, Hosen, Jacken und Röcke, die ich nicht mehr anziehe. Ich versuche sie auf einem Flohmarkt zu verkaufen. Bettina schaut schon immer, ob vielleicht in K. einer stattfindet. Ich hoffe, dass ich da wenigstens eine Chance habe, um etwas Geld zu verdienen.
Momentan kann ich nicht meditieren, es funktioniert nicht, ich werde immer aggressiv und aufgeregt. Ich weiß nicht, weshalb. Karten legen klappt auch nicht, sie verweigern sich, wollen nicht mit mir reden, mir nicht helfen, wenn ich sie um Rat bitte. Meiner Gesundheit geht es schlecht. Meine Allergie war in den letzten Wochen sehr schlimm. Sie ist plötzlich ausgebrochen, als ich wieder Probleme mit meinen Mandeln bekam. Das mit den Mandeln ging kurz vor den Abschlussprüfungen wieder vorbei, Gott sei Dank, aber die Allergie war, oder ist sehr heftig. Ich nahm sehr starke Tabletten, die Tabletten machten mich noch schwächer und depressiver. Ich konnte mich schlechter konzentrieren, meine Knochen taten mir jeden Morgen unglaublich weh und jede größere Anstrengung war mir zu viel. Dann bekam ich starke Atemnot und das war das Schlimmste. Am Anfang konnte ich abends nicht einschlafen, weil ich auf einmal heftigen Husten bekam, so als ob ich starke Bronchitis hätte. Ich ging sogar zum Arzt, doch der meinte, dass es keine Erkrankung der Atemwege sein könnte, nur die Allergie wäre daran schuld. Mittlerweile glaube ich kaum noch daran. Es regnete die letzen zwei Wochen fast jeden Tag, ich brauche keine Allergietabletten mehr, habe auch keine Anzeichen, doch das Atemproblem ist immer noch da. Abends brauche ich immer eine Stunde, um einzuschlafen, mindestens. Sobald es Abend wird, beginnt ein fortwährender Hustenreiz, gegen den eigentlich nichts hilft. Wenn ich mich schlafen lege, wird es schlimmer und schlimmer. Ich bekomme Husten, Atemnot und der verfluchte Hustenreiz dauert und dauert und scheint nicht aufhören zu wollen. Ich kann Säfte nehmen, Bonbons essen, Atemübungen machen, aber es ist sinnlos. Kaum schreibe ich davon, schon bekomme ich ihn. Was ist das bloß? Psychisch? Chronisch? Ich weiß es nicht, der Arzt scheint es auch nicht zu wissen. Ich will es einfach nur losbekommen.
Meine Mutter trinkt in letzter Zeit wieder. Ich will das eigentlich gar nicht schreiben, weil ich dann fast zu weinen anfange. Es ist ein Problem, mit dem ich am wenigsten umgehen kann. Ich redete schon mit ihr. Manchmal wird sie wütend, wenn ich sie darauf anspreche, manchmal macht sie mir Vorwürfe, dass ich die Unwahrheit sagen würde und einmal meinte sie, dass ihr doch nichts anderes übrig bliebe, bei dem ganzen Scheiß hier. Ich habe Angst, dass sie richtig süchtig wird. Sie fängt meistens erst spät nachmittags an, aber manchmal auch früher. Bei diesem „manchmal“ mache ich mir dann noch viel mehr Sorgen. Ich kann sie nicht mehr darauf ansprechen, ab und zu tue ich es dennoch, aber es bringt nichts. Sie trinkt erneut. Es gibt auch Tage, an denen sie sich nicht betrinkt, doch wenn Briefe kommen, was sehr oft geschieht, dann tut sie es wieder. Ich weiß, das sie das nicht verkraftet, ich tue es ja auch nicht. Scheiße, verdammte Scheiße, ich kann nicht mehr. Was soll ich denn tun? Alles ist so sinnlos und vergebens. Warum trinkt sie denn, warum? Sie will es nicht wahrhaben, dass es langsam zu einem ernsthaften Problem wird, sie hört nicht auf mich, wird wie gesagt, meistens wütend und sauer. Ich gehe oft hoch und muss mich zusammennehmen, mich zurückhalten, um nichts Unüberlegtes zu machen, auf mich selbst aufpassen, dass ich wegen ihr nicht in Tränen ausbreche. Bisher musste ich manchmal weinen. Ich lief hoch, setzt mich auf meine Couch, starrte vor mich hin und es liefen einfach kalte Tränen hinunter. Schlimm ist es, wenn sie sich mehr als nur antrinkt, dann kann sie sehr ungerecht und aggressiv werden. Sie mault dann zwar nur herum und schreit mich ab und an auch an, aber trotzdem kann ich das nicht ertragen. Ich würde am liebsten vor ihr auf die Knie zusammenbrechen, weinen und sie anschreien, ihr sagen, dass sie es lassen soll, dass sie mir das nicht auch noch antun kann. Ich glaube, dass sie bisher nicht süchtig ist, aber vielleicht ist sie es bald, wenn der Terror hier kein Ende nimmt. Ich weiß, dass ich dagegen kaum etwas machen kann. Reden hilft nichts, sie ist eine erwachsene Frau, denke ich manchmal, sie muss doch wissen, was sie tut, sie hat Verantwortung für sich selbst zu tragen. Ich würde ihr so gerne helfen, alles wieder zum Guten hinwenden, es geht nicht, ich bin machtlos. Manchmal glaube ich, dass ich mein ganzes Leben lang machtlos war, ich arbeite, lerne, versuchte immer alles richtig und korrekt zu machen, wollte immer alles hinbiegen, helfen, mir und meiner Mutter. Natürlich hat einiges etwas gebracht. Ich habe sehr viel erreicht, wenn ich zurückblicke, aber dennoch fühle ich mich hilflos, fallengelassen, ich schwebe irgendwo in der Luft, finde keinen Halt und niemand hilft mir, ich bin alleine, so unglaublich alleine mit mir selbst. Ich kann wohl nur abwarten und hoffen, weitermachen, einfach weitermachen. Wie, weiß ich oft selbst nicht, es geht zwar voran, aber im Schneckentempo, bis man wahrhaft kurz vor dem seelischen Tod steht und das leider schon mein ganzes Leben.
Jonas hat sich auch nicht mehr bei mir gemeldet. Er wollte das zum Ende des letzten Monats tun, jetzt ist bereits Anfang August und ich hörte immer noch nichts von ihm. Ich schrieb dieses Gedicht, einfach so, es quoll förmlich aus mir heraus, es floss durch meine Hand und gelangte mit einer Leichtigkeit aufs Blatt, dass ich selbst erstaunt war. Mir fallen Gedichte im richtigen Moment zwar immer leicht und ich sprudle dann auch vor Gedanken und Eindrücken, doch dieses Gedicht war noch intensiver, leichter und irgendwie ehrlich. Ja, ich liebe ihn. Ich glaube es nicht, ich vermute es nicht, ich kann keine Ausrede dafür finden, dass es vielleicht Klammern sein könnte, nein, ich liebe ihn aus vollstem Herzen und ich sehne mich Tag für Tag nach ihm. Ich hielt es auch nicht aus, so lange nicht mehr mit ihm zu reden, daher schrieb ich ihm, als es mir schlecht ging, dass ich ihn jetzt brauchen würde. Es kam nichts zurück. Meine Nachricht ist schon mehrere Wochen alt. Kein Zeichen, nichts. Funkstille. Manchmal gehe ich ein, wenn ich daran danke, dass bei all den betrüblichen Dingen, es nicht einmal klappt, dass er zu mir kommt. Will er nicht? Gibt es dort oben auch schöne Mädchen? Ist er vielleicht sogar schon mit einer zusammen und hält es für „vernünftiger“, den Kontakt zu mir ganz abzubrechen? Es könnten viele Gründe sein, auch Feigheit und Angst, Beklemmung oder Schüchternheit. Aber das ist kein Grund, einen so viele Jahre warten zu lassen, es immer und immer wieder zu versprechen und dann nicht zu kommen. Ich habe Angst davor. Vielleicht ist es dann gar nicht mehr so schön, wenn er vor mir steht, wenn er mit mir redet, mir in die Augen schaut. Es könnte auch sein, dass die Distanz zu Recht zwischen uns besteht, dass wir uns bloß nie sehen, weil wir sowieso nicht zusammenpassen. Wenn die Liebe aber bestehen bleiben und durch sein Kommen noch tiefer würde, dann hätte ich wieder ein Problem. Der Abschied! Wenn wir eine sehr kurze Beziehung führen würden, wenn er käme, dann wäre er doch hinterher wieder verschwunden, die vielen hundert Kilometer trennten uns und das Einzige, was bliebe, wären Erinnerungen und Schmerz. Egal welche Entscheidung ich, das heißt er trifft, es kann kein gutes Ende finden, das weiß ich und er wahrscheinlich auch. Es gibt nur drei Möglichkeiten: Erstens: Wenn er nicht kommt, würde ich verzweifelt sein, in meiner tiefen Liebe untergehen und in Ungewissheit leben. Zweitens: Wenn er kommt und ich nicht mehr die große Liebe empfinden würde, weil er ganz anders ist, wäre ich enttäuscht und wüsste, dass ich mir sehr oft etwas vorgemacht hätte und die ganzen Emotionen eine Lüge gewesen wären. Drittens: Wenn er kommt und wir tatsächlich beide immer noch so stark verliebt sind und etwas miteinander anfangen, würde er trotzdem wieder gehen müssen und der Rest von der Story ist wohl bekannt. Alles in allem ist mein Schicksal wieder einmal verdammt und kompliziert. Doch da dies nichts Neues ist, kann ich mich wenigstens schon darauf einstellen, zu leiden.
Amelie hat sich auch nicht bei mir gemeldet und es sind schon bald zwei Wochen vergangen, an denen wir nicht miteinander sprachen. Ich meldete mich immer, schrieb ihr, rief sie unzählige Male an, bis sie einmal in den Ferien vorbeikam. Und jetzt? Nichts. Gar nichts. Was ist nur los? Wollen die mich nicht mehr? Bin ich ihnen zu erwachsen geworden, weil ich mich nicht nur über Kerle unterhalten möchte und es nicht gerade amüsant finde, wenn man sich jeden zweiten bis dritten Tag derart betrinkt, dass man nicht mehr laufen kann? Mit Bettina verstehe ich mich sehr gut, es liegt, denke ich daran, dass wir auf einer Wellenlänge liegen, obwohl wir völlig verschiedene Leben haben. Die liebe Sandy lud mich nicht zu ihrem Geburtstag ein, wahrscheinlich weil ich in ihrer Gegenwart erwähnt habe, dass ich die Yvonne nicht leiden kann, die ja ihre beste Freundin ist. Jedem das seine. Ich wäre sowieso nicht gekommen, da mir die herzallerliebste Sandy schon seit längerem am Allerwertesten vorbeigeht, um jetzt nicht in Fäkalsprache zu verfallen. Ich gehöre nicht mehr dazu, schon sehr, sehr lange nicht mehr. Diese Clique, meine ehemaligen Freundinnen – ich habe gelernt, vorsichtig zu sein, einem anderen selbst dann nicht zu vertrauen, wenn man ihn schon Jahre lang kennt und meint, alles über denjenigen zu wissen. Vielleicht habe ich einfach Pech mit Menschen, vielleicht liegt es an meinem Leben, dass ich immer Pech haben muss und mich dennoch gut und gerecht verhalte. Mittlerweile verstehe ich mich selbst nicht einmal, warum ich noch so nett zu allen war, jedem mehrere Chancen gegeben habe, immer versuchte, alles und jeden zu verstehen und nachsichtig zu sein, nachzugeben, Frieden zu schaffen, alles immer richtig zu machen. Mir reicht es. Mir reicht es wirklich. Ich habe mein eigenes Leben und das ist zudem noch eines, das sehr schwer ist und wer meint, mir gegenüber ungerecht zu sein, obwohl ich es nie war, dann sollen die sich gefälligst aus meinem Leben verpissen und mich in Ruhe lassen, denn dann sind sie keines Blickes würdig!
Tagebuch vom 11.–27.08.06
Fange ich doch erst einmal mit dem wohl Schockierendsten an. Meine Ma hatte am Dienstag letzte Woche Geburtstag. Sie wurde fünfzig Jahre alt. Erst gab es einen riesigen Stress deswegen. Sie wollte nicht feiern, ihr war alles zu viel, natürlich hauptsächlich die Tatsache, dass sie schon „so alt“ wird und „ein Scheißleben“ hat. So zog sich diese Stimmung über Tage hinweg und ich konnte sie nicht überzeugen, anders zu denken. Günter und Katja planten erst in das Hotel S. zu gehen, da dort angeblich ein Tanzabend wäre und dort schön essen zu gehen. Jörg, ein älterer Herr, sehr nett, aber extrem langweilig und stumpfsinnig, sollte auch dabei sein und er sollte dann auch seinen achtzehnjährigen Sohn mitbringen, der nach Katja, „ja sooo hübsch und nett“ sei. Alles ging in die Hose. Zwei Tage vor dem großen Tag wollte Günter uns überreden, mit zum Tennis zu kommen und abends wäre im Clubhaus noch eine Salsanacht, da jemand verabschiedet wird. Da an diesem Tag endlich wieder schönes Wetter war, mussten wir beide allerdings im Garten arbeiten und hatten später auch keine Lust mehr dort herumzustehen, vor allem, da Katja nicht einmal dort war, und uns steinalte Männer anzuschauen, da dort ausschließlich männliche Wesen spielten und danach wohl auch feierten. Wir sagten Günter also, dass wir viel Arbeit haben, selbst am Mittag noch nicht fertig wären und wahrscheinlich nicht kämen. Was machte er? Er meldete uns an und warf mir am nächsten Tag, als ich ihn wegen einer Bestellung in diesem Hotel S. anrufen wollte, alle möglichen Dinge an den Kopf. Wir hätten wohl „Ja“ gesagt. So ginge das nicht, wir hätten ihn dermaßen im Stich gelassen und so etwas kann man nicht machen, er wäre jetzt sauer und seine Frau erst und jetzt wüsste er nicht, ob das überhaupt noch klappen würde mit dem Essen, denn er müsse erst einmal mit seiner Frau sprechen, die ja noch viel böser auf uns gestimmt wäre, wie er selbst – obwohl sie nicht einmal dort war. Somit war das Gespräch beendet, ich war geknickt und erzählte meiner Mama, was jetzt Sache sei. Sie regte sich darüber natürlich sehr auf, da es ihr Geburtstag war, den jetzt wieder ein paar dumme Menschen zu versauen versuchten. Sie betrank sich und am Ende des Tages wurde ich nur noch angeschrien, war an allem Schuld und würde alles vermiesen. Sie brüllte mich an und meinte: „Warum musstest du auch mit den Deppen etwas ausmachen? Jetzt kommen die wieder alle zu mir, der scheiß Jörg, auf den nur die Katja scharf ist und der dicke Franz, der Mops, ich habe keine Lust darauf! Jetzt kann ich mich wieder in die Küche stellen und die bekochen! Der ganze Tag ist wieder gelaufen! Scheiße! Was mischst du dich auch ein? Hä? Ist es vielleicht dein Geburtstag oder meiner? Schreibe ich dir vor, wen du einzuladen hast und wen nicht? Habe ich dir vorgeschrieben, dass du an deinem Geburtstag die ganze Scheißbagage einladen solltest? Wie stellst du dir das vor? Mir reicht es. Ich will die alle nicht, ich habe keine Lust auf die! Schön hast du das wieder hinbekommen, wirklich, alles ist wieder für den Arsch!“ Bevor ich noch ein Wörtchen sagen konnte, ging ich einfach hoch und legte mich ins Bett, weinte und dachte nur: Bring dich doch um, du machst ja sowieso alles falsch und wirst auch immer alles falsch machen! Am nächsten Morgen war alles wieder halbwegs in Ordnung. Sie rief Katja und Günter an und wir machten aus, einfach in eine Bar zu gehen. Der nächste Tag, ihr Geburtstag, lief ganz in Ordnung ab. Erst fuhren wir nach A. und gingen dort in ein Feinkostlokal, danach noch etwas bummeln und als wir wieder zu Hause waren, kamen auch schon die „Gäste“. Alle waren gut gelaunt und nach einer Stunde fuhren wir in diese Bar. Bis dahin ist die Story noch nicht sehr schräg oder abartig, aber das kommt jetzt. Nach vier Cocktails war ich schon ziemlich angetrunken und sehr, sehr anhänglich. Da ich niemanden hatte, außer dem Günter, der übrigens 66 Jahre alt ist, redete ich mit ihm den ganzen Abend und umarmte ihn dann auch häufiger. Im Laufe der letzten zwei Stunden dieses Abends, bzw. dieser Nacht, kamen dann folgende Sätze von ihm: „Wenn ich doch nur 40 Jahre jünger wäre, dann wäre dein Oberteil jetzt ausgezogen“, „Ich finde dich echt klasse, du bist eine tolles, junges Mädchen, eines, das alles hat. Ich verstehe nicht, warum die Jungs bei dir nicht Schlange stehen“, „Da ich dich jetzt schon so lange kenne und wir alles voneinander wissen und auch miteinander reden können, kann ich ja mir dir darüber sprechen, dass ich leidenschaftliche Gefühle für dich empfinde“, „Ich würde dich schon sehr gerne beschmusen, weil du einfach so knuddelig bist“, „Oh, ich kann heute Nacht nicht schlafen, du weckst da Gefühle in mir …“, „Wir müssen mal zusammen weggehen und uns in ein Cafe setzen und danach setzen wir uns auf eine Parkbank und machen da weiter, wo wir aufgehört haben“, Wir können unsere Beziehung so weiterführen, aber nur solange sie keinem von uns beiden wehtut.“ Und so weiter und so fort. Später versuchte er mich noch am Hals zu küssen, vor versammelter Mannschaft, sprich, meiner Mutter und natürlich seiner Frau. Aber ihm schien das egal gewesen zu sein. Ich war zwar sehr betrunken und zugegeben auch anhänglich und möchte nicht leugnen, dass mir seine Komplimente gefielen, aber ich drückte ihn dann von mir weg, wenn er versuchte, mich irgendwie anzuschlabbern. In dem Moment des Rausches fand ich es alles sehr, nun ja, berauschend. Ich umarmte ihn auch oft, doch meinte das wahrhaftig freundschaftlich. Jedoch machte ich einige Fehler und stimmte so ziemlich allem zu, was er von sich gab oder ging mit „gleichfalls“ darauf ein. Zum Schluss fuhr er uns nach Hause und verabschiedete sich von mir, versuchte mich wieder irgendwie am Hals zu küssen und sagte in einem sehr anmachenden Ton: „Wir hören dann voneinander.“ Das einzige, was ich dazu meinte, war: „Ja, klar!“ Na super, habe ich wieder einmal toll hinbekommen. Am nächsten Morgen wachte ich auf und das Erste, was mir einfiel, war nur: Oh Gott, nein, Scheiße, was habe ich getan? Was war das gestern? Was hat er getan? Nein, Mist, ich will nicht mehr aufstehen! Ich machte mir zwei Tage lang einen Kopf deshalb, auch weil er mich körperlich unglaublich toll fand, jedoch meinte, dass er schon die Bremse ziehen würde. Ich fragte ihn daraufhin: „Sicher?“ Er meinte: „Ja, sicher.“ Das glaube ich sowieso nicht. Ich redete mit Amelie darüber und sie war schon sehr geschockt, machte sich Sorgen um mich und riet mir, mich von ihm fernzuhalten, meiner Mutter auch etwas davon zu erzählen und ihm einfach auszuweichen. Auch ich war geschockt, natürlich noch viel mehr als sie. Ich war erst völlig platt und musste immer daran denken, was er sagte, dass er mich ansah, als ob er in mich verliebt sei, dass er mich vor allem vor seiner Frau abknutschen wollte und meinte, dass wir eine Beziehung führten. All das war zu viel für mich, das ist es auch immer noch. Bisher habe ich nichts von ihm gehört, Gott sei Dank und sehen will ich ihn auch nicht. Ich glaube, dass er pädophil ist. Um Himmels Willen, ich habe es mit einem weiteren Verrückten zu tun. Ich überlegte mir selbstverständlich auch, ob es etwas mit dem Alkohol zu tun hatte, da er wirklich zu viel getrunken hatte, doch ich warf am nächsten Tag noch mal einen Blick auf die Rechnung und es war nur ein Bier und ein halber Cocktail für den ganzen Abend. Ich bekam noch mehr das Zittern. Ich dachte nach und überlegte, was ich jetzt machen sollte. Ich machte mir große Vorwürfe, dass ich wegen dem Alkohol so zugänglich und anhänglich war. Amelie meinte, dass es nicht schlimm sei, dass ich nicht mit dem Scheiß angefangen hätte und ihn ja nur umarmte. Eigentlich hatte sie Recht. Doch da ich vielem einfach zustimmte und mich über Komplimente freute, glaube ich, dass ich ihm wohl Hoffnung gemacht habe, was man an dem Abend auch sichtlich merkte. Ich erzählte vernünftigerweise meiner Mama auch ein paar Dinge, sie regte sich mäßig auf und meinte, dass sie ja wüsste, dass er eine Schraube locker hat. Es ist nämlich so, dass Katja ihre Tochter mit in die Ehe brachte und als diese dann in die Pubertät kam, machte sich Günter an sie heran, wollte sie ständig nackt im Bad sehen, ihr auf den Po klopfen und solche Dinge. Angeblich hat er ihr aber nichts getan, doch mit sechzehn Jahren ist sie dann zu ihrem Vater gezogen, weil sie das nicht mehr wollte und sich auch sonst mit Günter überhaupt nicht verstand. Gertrud erzählte uns auch ein paar andere Geschichten, die sehr abartig waren. Auch ihre Freundinnen hatten das schon miterlebt und berichteten davon. Ihre Cousine sagte, dass er einmal die Hose vor ihr herunterzog, um seinen Po zu zeigen, eine andere Freundin von Gertrud sagte, dass er fast jeder anbietet, mit ihm zu schlafen. Es gibt schon Sachen. Oh Gott, an was für Leute geraten wir nur immer. Die arme Katja. Nichts darf sie alleine machen, nicht einkaufen, nicht alleine mit einer Freundin ausgehen oder sie besuchen kommen. Es gibt schon einige Parallelen zu meinem Vater. Angst habe ich jetzt nicht direkt, aber ich kann jetzt, glaube ich, nie wieder so mit ihm reden, wie ich es vorher immer tat, als er noch ein Kumpel, ein normaler Gesprächspartner für mich war. Es ist schon erstaunlich, wie sich plötzlich alles ändern kann.
Die Tage danach waren wir mit der Gertrud in M., dort wurde ein afrikanisches Musical aufgeführt und ihre beste Freundin, die Rosa, wohnt dort ebenfalls. Es war sehr, sehr schön, vor allem, einmal wieder unter Leute zu kommen, etwas zu erleben. Rosa wohnt genau neben einem Schwulenhotel, das sie sehr gut kennt, und das auch sehr sauber und schön ist. Sie buchte dort für uns und es war ganz amüsant. Wir sahen natürlich einige Schwule, aber so lustig, wie ich dachte, war es doch nicht, da man sich recht ausgegrenzt und als Außenseiter vorkam. Es war etwas unangenehm, aber nicht auf sexuelle Art und Weise, sondern das Klima war einfach merkwürdig, man fühlte sich etwas verloren. Die Tage in M. waren wirklich schön. Rosa ist eine super Frau. Sie ist schon fast siebzig, aber man merkt es ihr nicht an und sie hat sich noch gut gehalten. Es war spaßig und wir gingen abends mit ein paar anderen Frauen weg, die auch das Musical besuchten. Die Runde war angenehm und Gertrud kannte die meisten natürlich. Wir sahen uns am nächsten Tag M. an und gingen ein bisschen einkaufen. Es war richtig locker und lustig. Für Günter kauften wir noch ein Geschenk, da er gleich nach Mama Geburtstag hatte und wir an dem Abend auch noch hineingefeiert hatten. Auch Rosa erzählte einiges über den lieben Günter. Sie sagte wörtlich: „Der ist doch krank. Das sieht man schon an seinen Augen. Bei ihm ist alles nur aufs Sexuelle bezogen und seine Frau manipuliert der von morgens bis abends. Der ist einfach gestört und mit solchen Leuten braucht man sich nicht abzugeben. Dem würde ich was erzählen, wenn der ankäme und mir am Busen herumfummeln würde, wie er das schon bei der Gerlinde gemacht hat.“ Gerlinde war anscheinend auch eine Bekannte von der Gertrud. Alles in allem hatte ich Spaß, die Mama auch, ich konnte nachdenken und mir wurde klar, dass er definitiv verrückt ist.
Bei unserem Anwalt waren wir auch, der sehr negativ über alles denkt und das Gespräch mit ihm war nicht gerade aufbauend. Es hat sich aber bisher nichts verändert. Es kamen keine bösen Briefe, da mein Vater gerade in Urlaub ist und es sich gut gehen lässt, dieses Monster. Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Mit meinen Fahrstunden komme ich gar nicht zurecht und kann mir auch nicht vorstellen, irgendwann einmal Auto fahren zu können. Nach den Fahrstunden bin ich immer völlig deprimiert, könnte heulen und würde am liebsten alles hinschmeißen. Ich weiß nicht, wie ich das hinbekommen soll. Die Fahrlehrerin mag ich auch nicht sonderlich und alle meinen, dass sie sehr asozial ist, was auch stimmt. Ach, was soll ich machen, ich muss da durch, obwohl ich keine Lust habe. Ich hasse die verdammte Kupplung und das bescheuerte Bremsen dazu. Das Anhalten dauert immer ewig lange und ausgerechnet an Kreuzungen, auf denen viel Verkehr ist, stirbt mir der Motor ab. Ich bin es langsam leid und meine Geduld ist wirklich begrenzt, die der Fahrlehrerin wohl noch mehr. Jedenfalls lernte ich zwei ganz nette Mädchen kennen, die eine wohnt ganz in meiner Nähe, ist allerdings etwas dämlich, die andere ist sehr nett und lustig, wohnt nicht weit weg von hier. Die Jungs sind immer sehr spaßig und bei den Theoriestunden, die ich nebenbei auch bald abgeschlossen habe, ist es immer locker und jeder macht Witze.
Übrigens schenkte ich meiner Ma ein Fernglas, einen Riesen-Blumenstrauß in Herzform, zwei Karten für das Konzert von George Michael und ich schrieb ein Gedicht für sie, bei dem sie weinen musste. Sie sagte, dass ihr das von allen Geschenken das Liebste wäre, was mich wirklich sehr berührte und freute. Hier ist das Gedicht, dass ich für sie schrieb.
Mama
Innen ein zarter Kern,
Die schöne Welt oft so fern,
Wie ein Löwe im Herzen,
Musstest ertragen
Unsägliche Schmerzen.
Wie ein unsterbliches, treues Tier,
Ist meine Liebe zu dir.
Deine prächtigen, roten Locken,
Deine Tränen, die oft nicht trocknen,
Dein Lachen aus ganzer Kraft,
Die grünen Augen blinzeln sacht,
Das alles gehört zu deinem Wesen,
Einem, dem man kann Bände
Aus dem Gesicht lesen.
Doch du schreitest im Leben hinfort,
Meine Dankbarkeit dafür
Lässt sich nicht fassen in ein Wort.
Deine Stille sagt oft endlos viel,
Dass du vor Augen hast
Immer ein Ziel.
Eines düster, grausam und grau,
Macht dir das Leben unwürdig aus.
Aber es gibt noch treuselige Begleiter,
Sodass du nicht fallen wirst
Vom Pferd, wie ein leichtsinniger Reiter.
Es sind Lichter in dir und mir
Und wir beide, wir weilen hier,
Du wie ein starker, wütender Stier,
Ich wie ein ruhiges, geduldiges Tier.
Du bist in der Welt so klein
Und doch unschätzbar groß,
Zogst nicht das große Los,
Jedoch bist du einzigartig
Und grandios, denn
Man warf dir ein schweres
Schicksal in den Schoß,
Ließ dich auf widerwärtige Tyrannen los
Du meisterst es ganz speziell, nur,
Lass guten Dingen Zeit,
Sie wachsen nicht schnell.
Ich liebe dich von ganzem Herzen,
Es tat weh,
Dass du ertragen musstest
So viele Schmerzen.
Will dich allerliebst sehen gedeihen,
Heilen und gesund
Und prachtvoll weilen,
Denn du bist mein Stolz,
Mein goldenes Ebenholz,
Mein edles Gold,
Dein Wesen so hold,
Mein größter Lebensantrieb,
Ich hab dich lieb!
Brief an Amelie vom 31.08.06
Hey!
Na du? Wie geht’s dir?
Gott, ich sag’s dir, das mit dem Antrag für die Fahrerlaubnis ist vielleicht was. Heute haben wir da angerufen, weil wir einen Termin mit dem zuständigen Fuzzi ausmachen wollten. Aber oha, welch ein Wunder, der werte Beamte ist natürlich in Urlaub. Also hat meine Ma mit einer anderen Dame gesprochen und die meinte, dass es in Ordnung gehen würde und ich meine Prüfungen zwar machen kann, aber erst wenn wir die Bescheinigung für die Übertragung des Sorgerechts eingereicht haben, kann ich meine Papiere bekommen. Danach konnte ich also wieder bei meiner Fahrschule anrufen und denen das erklären, dass die an den Antrag, der ja erst zurückgeschickt wurde, eine Notiz machen. Und der Mann von der Chefin der Fahrschule gibt diese Anträge immer Donnerstags ab, frag mich nicht weshalb. Heute ist zum Glück Donnerstag, aber das Mädchen, mit dem ich gesprochen habe, muss ihn erst wieder kontaktieren, dass er das noch rechtzeitig abgibt – jetzt kommt wieder ein weil – da er und seine Frau nächste Woche in Urlaub fahren. Das ist doch nicht mehr normal, oder? Ich rege mich so darüber auf. Mir ist es wirklich peinlich, dass das mit meinem Antrag alles so lange dauert und ein Hin- und Hertelefonieren ist. Die Fahrschulleiterin weiß das, die, die dort arbeiten auch und ein anderer Fahrlehrer ebenfalls, dass mein lieber Herr Vater nicht aufzufinden ist und die Sache mit der Sorgerechtsübertragung. Ich weiß, dass ich nichts dafür kann, die wahrscheinlich auch, aber es nervt mich, dass fast alles in meinem Leben immer so zäh vorangeht. Mensch, das gibt es doch nicht. Ich habe meiner Ma gesagt, dass sie das mit den Formularen schon früher versuchen soll, aber nein, die Dame wollte ja nicht. Und was ist jetzt? Antrag hin und Antrag her, sodass es wieder länger dauert, das Landratsamt muss uns nun erst wieder einen Brief mit einer Gebühr schicken und erst dann kann ich mich beim TÜV anmelden, die Anmeldung dauert dann auch wieder zwei Wochen. Herrgott! Das mit der theoretischen Prüfung ist ja nicht sonderlich schlimm. Aber wie bitte soll ich noch drei Wochen oder länger Fahrstunden nehmen, bis ich endlich meine Praktische mache? Ich habe irgendwann ausgelernt und bin fertig, dann kann ich nicht einfach eine Woche mit dem Fahren aufhören und dann diese Prüfung machen, dann wäre ich wieder etwas aus der Übung. Die Fahrstunden kann ich auch nicht so weit aufteilen, dass es für drei Wochen aufgeht, weil ich wegen der Fahrübung und der Routine mindestens zwei Mal die Woche fahren muss. Super. Wirklich. Und wer hat wieder nicht auf mich gehört, hat nicht den beschissenen Antrag ausfüllen wollen? Richtig, meine Mutter. Jetzt zieht sich das alles hin und ich weiß nicht, wie ich zeitlich hinkommen soll. Aber sie scheint das nicht zu verstehen. Danke auch, sage ich da nur.
Mir geht es richtig beschissen. Nicht nur deswegen ärgere ich mich, nein, auch wegen der Yvonne und der Isabel, der Sandy und einfach allen! Ich könnte die alle überfahren! Ich dachte immer, dass ich damit zurechtkomme, dass ich irgendwann sagen könnte, es sei okay für mich, dass mich alle verarscht, belogen oder sonst was haben und das nicht nur einmal oder nur wenig, nein sondern mehrmals und richtig heftig. Warum nur, das frage ich mich ständig, warum? Ich habe immer versucht, nett und höflich zu sein, gerecht, ehrlich und nicht hinterhältig und trügerisch. Weshalb haben sie das getan? Ich fühle mich so alleine, Amelie. So, so, so alleine. Ich habe doch kaum mehr jemanden. Alle haben sich als falsche Freunde entpuppt. Nur die Bettina und du, ihr seid mir treu und ehrlich geblieben, wart niemals so verletzend wie die Anderen. Es tut weh, es tat weh und darüber hinwegzukommen mit Verhaltenserklärungen oder sonstigen Ausreden, die passen würden, das kann ich nicht, es geht nicht. Ich glaube, sie wissen es selbst nicht, warum, aber genau das ist noch schlimmer. Aus Neid? Ist das denn rechtfertigend? Ich finde nicht. Nicht zu einer Freundin, die nichts getan hat, nicht angreifend war, nicht beleidigend, nicht verleumderisch. Schade ist es, sehr schade. Ich wäre lieber in Frieden auseinandergegangen, habe es auch versucht. Mich wieder mit allen vertragen, ich bin angekrochen gekommen, habe ihnen erst vergeben, ihnen eine weitere Chance gegeben, Isabel, Sandy, Yvonne, Vanessa, Thomas, Andi, aber was haben sie gemacht? Genau, wieder das Gleiche wie zuvor, mich hängen lassen, mich enttäuscht, über mich hergezogen, mich ignoriert, keine Entschuldigung, kein Nichts. Bis heute nicht. Ich habe es mittlerweile so satt. Ich will gar keine neuen Menschen kennen lernen. Ich möchte mich nicht mit jungen Leuten treffen, groß Party machen, kontaktfreudig sein oder dergleichen. Menschen haben mich in meinem Leben schon so sehr enttäuscht, sieh dir bloß meinen Vater an, dem ich es immer versucht habe, recht zu machen. Allen habe ich es immer versucht recht zu machen. Meiner Mutter, meinen Freunden, den Lehrern, jedem. Und? Kann ich das? Konnte ich das? Vielleicht, aber gebracht hat es mir kaum etwas. Ab und an etwas Anerkennung und auch Respekt, aber selten. In den meisten Fällen haben viele einfach Dinge gesagt oder getan, die ich nicht verstehe. So ist es. Ich fühle mich irgendwie erbärmlich, komisch, seltsam hier zu sitzen und mir immer noch einen Kopf über diesen Abschaum zu machen. Das ist wohl das Dümmste, aber vielleicht auch nur menschlich.
Hab dich lieb,
Gruß, Lena!
Tagebuch vom 01.–11.09.06
Da heute ein entscheidender Tag ist, der letzte Ferientag, und ich morgen in meine neue Schule in K. gehe, dachte ich, dass ein „Neuanfang“, sofern es hoffentlich ein guter sein wird, ein Grund dazu ist, mit etwas abzuschließen, daher schrieb ich Jonas.
Hey Jonas,
ich weiß nicht, warum du mir das angetan hast. Ich weiß, dass du Angst hast und Befürchtungen, vielleicht sogar Panik. Glaubst du, ich hatte das nicht?! Du weißt, dass ich dir die Fahrt bezahlt hätte, das wäre kein Thema gewesen. Kein Anruf, keine Nachricht, nichts, nicht einmal irgendeine blöde Ausrede. Dabei habe ich dich so sehr geliebt, so, so sehr. Wie sehr, das zeigt mein Gedicht, dass ich vor einigen Wochen, als ich noch Hoffnung hatte, über dich, bzw. uns beide schrieb. Ich möchte, dass du es nun auf diesem Weg liest:
… siehe Gedicht vom Tagebucheintrag 20.06.–19.07.06
Und nein, mir war nicht langweilig oder sonst was. Ich schrieb es ursprünglich nicht für dich, aber nun weiß ich, dass ich es doch für dich schrieb, ganz einfach aus dem Grund, weil es um dich geht.
Ich versuche dich jetzt zu vergessen, es geht immer besser und besser. Der Schmerz und die Enttäuschung waren groß und sie sind in jedem Falle noch da, aber wie gesagt, ich versuche darüber irgendwie hinweg zu kommen. Ich möchte, dass du das weißt und jedes einzelne Wort in dem Gedicht ist wahr. Ich schrieb niemals über irgendjemanden so etwas, niemals. Was das bedeutet, kannst du dir jetzt denken. Viel, verdammt viel, so unendlich viel, dass du es dir nicht vorstellen kannst.
Bitte antworte mir nicht darauf, bitte. Wie gesagt, ich versuche es zu verkraften, irgendwie. Ich wollte nur, dass du es weißt. Jetzt weißt du es, tja.
Mehr ist nicht mehr zu sagen. Das war alles. Und wie gesagt, bitte melde dich nie mehr bei mir, es würde nur schmerzen, danke. Danke für alles, dass du für mich da warst, dass wir telefoniert haben, dass ich so eine wundervolle Persönlichkeit wie dich je kennen lernen konnte.
Bye und machs gut, ich wünsche dir Glück und Erfolg und – Liebe.
Lena!
Tagebuch vom 12.–17.09.06
Kommen wir zuerst einmal zu den schlechten Nachrichten. Das Sorgerecht ist nicht auf die Mama übertragen worden. Ich konnte bei dieser Verhandlung leider nicht dabei sein, da ich in meiner neuen Schule war, aber Mama erzählte mir viel. Der Richter sei sehr schlecht gelaunt in den Raum hereingekommen, ihm wäre es von Anfang an auch schon zu viel gewesen, dass ein Mädchen mit 17 Jahren noch unbedingt will, dass der Vater das Sorgerecht nicht mehr hat, denn man könne ja noch dieses eine Jahr warten. Ich verstehe das nicht. Ein Vater kann seine Tochter schlagen, ihr das Konto abräumen, sie jahrelang psychisch fertig machen, sie anklagen, die Mutter schlagen und versuchen umzubringen und die einzige Begründung ist einzig und alleine, das es dem lieben Herrn Richter zu viel ist, bloß wegen dem „einen Jahr“. Ein Jahr ist lange, vielleicht nicht mehr für einen älteren Menschen, doch für einen jungen schon. Mama und ihr Anwalt versuchten das zu erklären, es dem Herrn Richter zu verdeutlichen, dass er es einsieht. Es ging nicht. Nichts war zu machen. Allerdings musste mein absolut gestörter Vater seine Adresse jetzt endlich preisgeben. Selbstverständlich geschah das nicht einfach so. Der Richter meinte wohl irgendwann, ob er denn untergetaucht sei, ob dies der Grund dafür wäre, weil er seinen Wohnort nie angeben will und was das ganze eigentlich solle. Daraufhin zog er anscheinend sehr verlegen eine kleine Visitenkarte heraus, worauf sein Wohnort stand. Er wohnt in W., ungefähr vierzig Kilometer weit weg von hier. Er lebt in einem Hotel und hat dort wohl ein Zimmer. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Meine Mutter holte mich an dem Tag völlig aufgeregt vom Bahnhof ab, da ich dort jetzt jeden Tag unter der Woche ankomme, wegen meiner Schule. Sie war wütend und zu recht aufgebracht, ihr Anwalt ärgerte sich auch und verstand die ganze Sache nicht. Wie kann das sein? Wie? Ist das denn möglich? Es gibt so viele Gründe, so unendlich viel, was gegen ihn spricht. Alleine schon sein Verhalten bei jeder Verhandlung ist auffällig. Meine Ma sagte, dass er immer aggressiver wird, von Mal zu Mal. Am Ende ging er noch an dem Richter vorbei und sagte sogar: „Vielen Dank dafür.“ Dem Richter war das wohl so peinlich, dass er nicht auf Wiedersehen antwortete oder dergleichen. Er redete wieder einmal den üblichen Müll, er wäre der kompetentere, wenn es um berufliche Wahl und Finanzen ginge, ich hätte schon immer schulische Probleme gehabt und er könne es ja nicht mit sich vereinbaren, dass er der Mama das Sorgerecht überträgt, da er für mich eine solch große Verpflichtung empfindet, außerdem wäre er ja nur in meine alte Schule gegangen, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Bla, bla, bla, alles gelogen und verdreht. Früher wollte er mich in eine Bank stecken, obwohl ich im Französischzweig war und nicht im BWR-Zweig. Er erkannte nie, dass ich mit Mathe nicht viel am Hut hatte, er wusste nicht, in welche Klasse ich ging, interessierte sich nicht für meine Noten und wusste, bzw. weiß daher auch nicht, dass ich gut bis sehr gut bin. So ist es nun einmal. Mamas Anwalt meinte, dass wir das weiter verfolgen sollten, aufzugeben erschiene unglaubwürdig. Was aber habe ich davon, wenn wir weiterhin in dieser Sache verlieren und meine Mutter für alle Prozesskosten aufkommen kann? Richtig, gar nichts. Bis wir wieder einen neuen Termin haben, dauert es einige Zeit, bis dahin ist wiederum ein Vierteljahr vergangen und so zieht sich das hin, bis ich irgendwann achtzehn bin und es alles umsonst war. Was ich nun mit meinem Führerschein mache, das weiß ich auch nicht. In einem Protokoll, bei der Verhandlung an diesem Tag, musste er sich allerdings dazu verpflichten, meiner Fahrerlaubnis zuzustimmen und sich nicht mit meiner neuen Schule in Kontakt zu setzen. Meine Mutter musste nämlich leider vor Gericht angeben, in welcher Schule ich jetzt bin. Das war erst einmal ein Schock für mich. Ich weiß nicht, ob es ihn davon abhalten wird, wieder dort anzurufen oder sonstiges und zu sagen, dass ich psychisch krank sei und all den üblichen Kram. Ich habe Angst, Angst, dass er mir auflauert, dort hingeht, mich bei den Lehrern schlecht macht, dass ich wieder alles erklären kann, mich rechtfertigen muss wegen meinem verrückten Erzeuger. Ich habe keine Lust mehr auf so etwas. Er protokollierte auch, dass er einer Kontoeröffnung zustimmen muss, aber was bringt mir das? Wahrscheinlich meint er dann wieder einen Grund zu finden, um uns Geld abzuknöpfen, ich kenn ihn ja. Ihm geht es vor allem um Geld, Geld und nochmals Geld. Warum nur? Warum? Wieso ist er so krank? Warum lügt er so? Weshalb glaubt er, dass er immer Recht hat und all das, was er getan hat, niemals stattfand? Er ist krank, er ist ein kranker Mensch, der in eine Anstalt gehört, wo man ihn psychologisch betreuen müsste. Er hat wahrscheinlich eine gespaltene Persönlichkeit oder auch mehrere, ich weiß es nicht, doch was ich weiß ist, dass er äußert abnormal denkt und handelt und das alles extrem kriminell und abartig ist.
Heute ist Sonntag und wir räumten unseren Dachboden in der Garage auf, dort war noch viel altes Gerümpel, unter anderem von meinem Vater. Wir fanden dabei zu unserem Erschrecken auch eine Schachtel mit Platzpatronen und eine weitere mit Patronen, in denen CS-Gas war. Mama geht damit nächste Woche gleich zur Polizei. Es ist schrecklich. Vielleicht hatte er dort oben alles gebunkert, seine Waffen und die passende Munition und eines Tages wäre er vielleicht ganz heimlich dort hochgeschlichen, hätte die Pistolen geladen und uns umgebracht. Damals, als er von der Polizei am Tennisplatz abgeholt wurde, kam er ja den nächsten Tag in Begleitung einer Polizistin, da er noch „diverse Dinge“ holen wollte, jedoch „nur“ in der Garage. Die Polizistin blieb jedoch draußen und wartete. Heute wissen wir, dass er bestimmt auf den Dachboden gegangen ist und seine Waffen geholt hat, allerdings fand er in dem ganzen Durcheinander seine Munition nicht mehr oder vergaß diese einfach. Es war beängstigend. Außerdem fanden wir einen Gartenschlauch, der teilweise ganz rot gefärbt war. Meine Mutter meinte, dass es wohl Rost sein müsse, es roch auch nicht irgendwie streng, aber ich warf den Schlauch in den Müll und merkte, dass dieses rote Zeug klebte. Ich meinte: „Das klebt ja richtig. Ist das normal, dass Rost klebt? Vielleicht hat er ja schon jemanden umgebracht und wir wissen nichts davon und jetzt klebt das Blut daran.“ Meine Mutter sah mich etwas erstaunt an, glaubte mir die These aber nicht. Ich weiß es nicht, ich warf ihn weg und will es auch gar nicht wissen. Doch zutrauen würde ich es ihm locker und vielleicht hat er sich ja irgendwann einmal eine Prostituierte genommen und an ihr seine krankhaften Aggressionen ausgelassen, das könnte ich mir gut bei ihm vorstellen.
Jetzt komme ich aber zu etwas wahrhaft Erfreulichem. Meiner neuen Schule. Sie ist wirklich super. Die Lehrer sind allesamt sehr nett und behandeln uns richtig gut. Meine Klasse hat ungefähr fünfundzwanzig Schüler, davon sind sechs Jungs. Die älteste ist einundzwanzig. Die Mädchen sind alle ganz lieb. Jeder grüßt einen ganz freundlich, was ich gar nicht gewohnt bin, alle reden ganz locker und offen mit einem, niemand führt sich kindisch auf oder schaut einen schief an. Ich bin sogar gleich aufs Oktoberfest eingeladen worden. Wir lernen interessante Sachen, es ist anstrengend, aber okay. Mal sehen, wie die nächste Woche wird. Wie gesagt, ich fühle mich richtig wohl und freue mich zum ersten Mal seit langem wieder auf neue Kontakte.
Tagebuch vom 18.09.¬–8.10.06
Zuallererst möchte ich mit dem gestrigen Tag beginnen, Samstag. Ich ging mit Amelie gestern in eine Art Gothic-Diskothek in K., da ein Mädchen von meiner neuen Schule einiges darüber erzählt hatte und es mir alleine schon von ihrer Erzählung her gefiel. Ich wusste ja schon immer, dass ich etwas anders bin, dass es nicht unbedingt negativ ist, aber dass ich wohl durch mein Leben so geprägt bin und mich habe nie richtig ausleben können, dass ich von Jahr zu Jahr immer „schwärzer“ geworden bin. Ich liebe es, mich schwarz anzuziehen, finde auch dunkle Schminke schön, mag den Einklang zwischen dem schwarzen Stoff, der mir keineswegs gruselig oder furchteinflößend vorkommt, mit silbernem Schmuck oder dergleichen. Einige sind natürlich richtig in dieser Szene drin, laufen jeden Tag so herum und lieben es wirklich extrem, beziehungsweise mit ganzem Herzen in dieser Gothic-Kultur zu leben. Auch das finde ich in Ordnung und faszinierend. Es war jedenfalls richtig schön dort. Alle nur schwarz, schwarz und nochmals schwarz, geschminkt, gestylt, natürlich noch viel mehr als ich. Aber mein Outfit war auch schön, schwarzer Minirock, schwarze Stiefeletten mit etwas Silber und ein korsettähnliches Oberteil, dazu eine schwarze Perlenkette mit einem kleinen Kreuz und natürlich schwarzer Lippenstift und schwarzer Lidschatten, die schwarze Tasche hatte ich von meiner Ma und peppte sie mit einer silbernen Kette etwas auf und da es zu dieser Zeit kalt ist, trug ich einen langen, dunklen Mantel darüber. Aber wie gesagt, so laufe ich nicht immer durch die Welt, auch wenn ich manchmal richtig Lust dazu hätte, doch leider fehlt mir dazu morgens die Zeit. Nun zum Eigentlichen. Die Musik war genial, eindringlich, rhythmisch, es tanzten so viele und Amelie und ich natürlich auch. Es war nicht nur faszinierend und mitreißend, sondern viel mehr. Es bedeutete mir richtig viel und ich fühlte mich in diesem Kreis so wohl, wie ich es schon lange nicht mehr empfunden hatte. Ich traf sogar eine alte Freundin wieder und Amelies Bruder, der dort ab und an arbeitet, war auch anwesend, um die Lichteffekte zu machen und dadurch bekamen wir sogar umsonst etwas zu trinken. All diese Leute waren wirklich wahnsinnig aufgemacht und hatten die tollsten Röcke oder Kleider an, diese ganze Stimmung war so, als ob man sich in einer anderen Welt befindet, in solch einer, in der alle gleich sind, jeder so ist wie er ist, keiner den andren komisch anschaut, sich jeder ausleben kann und einer Art Kunst nachgeht, die in meinen Augen wahrhaft schön ist. Wie wir zu der Musik tanzten, war unglaublich stilvoll und elegant, es war friedlich und jeder war freundlich zu einem. Ich glaube, ich habe eine neue Szene entdeckt, in der ich mich richtig wohlfühle. Die Menschen sind interessant und es ist in keinster Weise beklemmend. Freiheit, das ist das richtige Wort. Ich kann mich fallen lassen, um mich frei zu fühlen in einer Masse von Leuten, die für mich geradezu perfekt sind. Einer davon beeindruckte mich besonders. Er war groß, hatte weiß-blaue Kontaktlinsen, seine Augen so bemalt und verziert, das er einerseits etwas sonderbar, aber gleichzeitig anziehend wirkte. Himmel, was ist mit mir passiert?! Ich wunderte mich gestern sogar ein wenig über mich. Ich bin es einfach nicht mehr gewohnt, unter so vielen Menschen zu sein und mich auszuleben. Ich glaube, dass es jetzt an der Zeit ist, dass ich etwas Spaß habe. Als Amelie und ich tanzten, kam er auch wieder auf die Tanzfläche, platzierte sich direkt vor mir, schien mich anzutanzen und sah mich mit seinen außergewöhnlichen Augen an, er lächelte nicht, er sagte nichts, er sah mich so eindringlich an, dass mich ein angenehmer Schauer überlief und ich ihn schnell anlächelte und dann wieder wegsah. Hoffentlich sehe ich ihn wieder, einfach nur, weil er auf seine Art und Weise schön ist. Leider mussten wir schon um halb zwölf gehen, da uns meine Ma extra abholte.
Nun zu meinem Geburtstag. Es war wie immer, ein einziger Horrortag. Die Gegenseite, sprich mein Vater und sein lieber Herr Anwalt schrieben uns extra zu meinem Siebzehnten 23 Seiten, in denen nur Unverschämtheiten standen und alles wieder einmal gelogen war. Da er das Sorgerecht noch hat, möchte er unbedingt wissen, wie der Lehrplan an meiner Schule aussieht, welche Noten ich schreibe, wie mein Stundenplan aussieht und ob ich denn in K. wohnen würde. Außerdem möchte er dringend unsere Telefonnummer haben, um sich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen, wie er schrieb. Soviel zu mir, der andere Bockmist wiederholt sich ständig, nur, dass es immer widerlicher und hinterhältiger wird. Günter und Katja haben vor zwei Wochen für uns ausgesagt, da sie bei der Polizei geladen waren. Günter saß über zwei Stunden bei dem Oberkommissar und Katja eine Stunde. Sie sagten die Wahrheit über meinen Vater, sie erklärten unsere Verhältnisse, dass sie uns schon länger kennen und sagten einiges über meinen Vater aus, wie sie ihn schon erlebt hätten und natürlich äußerten sie sich dazu, dass er meine Ma ertränken wollte. Alles in allem war es gut für uns und gibt diesem verlogenen und kranken Monster eigentlich keine Chance, aber wer weiß, was er sich noch alles einfallen lässt. Es ist zumindest schon mal gut, dass wir Zeugen haben, die sehr viele Dinge aussagen können, die mit unserer schlimmen Vergangenheit übereinstimmen. Er ist und bleibt ein Dreckskerl, er ist hinterhältig und bösartig, psychopathisch und gewalttätig, nur leider ist er ausgerechnet mein Vater. Am Montag geht die Mama zu ihrem Anwalt, leider kann ich nicht mitkommen, da ich erst später nach Hause komme. Hoffentlich wird alles gut und unser Herr Anwalt hängt sich jetzt richtig ins Zeug und stellt alles, wirklich alles richtig und das ist verdammt viel.
Mein Geburtstag war mal wieder schrecklich und ärgerlich. Meine Ma war genervt und am Boden zerstört nach diesen Briefen, ich hätte in die Luft gehen können, dass ich wieder an meinem Geburtstag weinen musste. Aber nein, das war nicht alles. Eine Freundin von Amelie, die eigentlich auch mit auf das Oktoberfest fahren sollte, wollte plötzlich nicht mehr, dass ich bei ihnen im Zug mitfahre und schrieb mit doch glatt am Abend, dass ich doch gefälligst alleine dort hinfahren solle, ich sowieso nicht eingeplant war und ich mich zeitlich nach ihr zu richten hätte. Damit war der Tag gelaufen. Abends lag ich weinend in meinem Bett und verstand die Welt nicht mehr. Außerdem sagte mir dann noch diejenige aus meiner Klasse ab, mit der ich mich eigentlich dort treffen wollte. Sie würde schon sehr, sehr früh dort hinfahren, um ins Bierzelt zu kommen, daher hätte ich keine Chance, sie noch zu erwischen. An diesem Abend war ich wirklich am Ende. Jedes verdammte Jahr, wenn ich älter werde, muss immer dieser Tag schief laufen, sicher, es passieren auch an anderen Tagen Dinge, die zum Davonlaufen sind, aber es gibt auch Tage, die gut laufen. Doch mein Geburtstag muss immer einer von den Tagen sein, an denen wirklich alles schlimm ist und die Leute auf einmal unfreundlich zu einem werden. Dennoch war der Siebzehnte einer, auf den ich mich freute und ich glaube, dass mir noch nie so viele Menschen gratuliert haben. Am nächsten Tag jedoch war alles wieder in bester Ordnung. Ich ging mit einer anderen Freundin aus meiner Klasse auf das Fest, sie heißt Anne und ist richtig lustig drauf. Sie sieht zwar brav und still aus, ist aber eher quirlig und aufgedreht. Wir waren in vielen Fahrgeschäften und sind über sechs Stunden unterwegs gewesen. Es war von Anfang bis Ende lustig und ich war erleichtert, dass ich wenigstens noch ein wenig nachfeiern konnte.
Die Schule gefällt mir immer noch und daran wird sich, denke ich, auch so schnell nichts ändern. Mit Max streite ich mich zwar seit dem Schulbeginn, und an manchen Tagen war ich etwas schlechter gestimmt, weil er es nicht lassen kann, mich zu beleidigen, aber ich lasse mir von Mal zu Mal ein dickeres Fell wachsen. Er ist wirklich seltsam. Jetzt frage ich mich wieder, wie ich ihn nur damals so unglaublich süß und lieb finden konnte. Klammern? Eindeutig – Ja! Es kommen oft solche Aussagen von ihm, dass ich früher netter gewesen wäre, dass ich anders wäre und bei jeder Kleinigkeit ist er sofort eingeschnappt. Wenn ich mich im Zug nicht neben ihn setze oder ihn nicht so behandle und dies tue und das mache und oh mein Gott. Er ist mehr als komisch und seltsam. Viele meinen, er sei schwul, da er sich nur mit Mädchen abgibt, sehr weibisch lacht und bisher kein einziges Wort mit unseren Jungs in der Klasse gesprochen hat. Neulich lud er mich sogar zu sich ein, doch ich ließ alles offen, was bei mir so viel wie ein klares „Nein“ bedeutet. Und letzte Woche gab er einen Kommentar von sich, der mich schon stark wunderte. Er meinte, dass wir vielleicht ganz gut zusammenpassen würden. Alles was ich dazu sagte, war: „Ha, ha!“ Nein danke, komplizierte und unhöfliche Menschen hatte ich bereits genug.
Ansonsten sind wir eine nette Klassengemeinschaft und ich habe mich schon mit vielen angefreundet, die nicht so primitiv, intolerant oder dämlich sind, wie es in der Realschule teilweise der Fall war.
Jonas hat sich nicht mehr gemeldet, das war auch nicht zu erwarten. Ich spüre, dass ich noch sehr an ihm hänge, mich gebunden fühle, manchmal der wahnwitzigen Vorstellung nachgehe, dass er vor meiner Tür steht, ein umwerfendes Lächeln hat, mir seine tiefste Liebe gesteht und alles Friede, Freude, Eierkuchen ist, aber es wird weniger.
Mehr gibt es momentan nicht zu sagen. Ich habe immer viel zu tun und komme spät nach Hause, da meine Ma die nächsten paar Wochen einen Computerkurs macht und mich nicht vom Bahnhof abholen kann. Ich würde gerne jeden zweiten Tag schreiben, vor allem, da momentan einiges aus meiner Kindheit wieder hochkommt, das eigentlich sehr wichtig ist und ich gerne aufschreiben würde. Wer weiß, vielleicht würde ich mir einen Laptop kaufen, wenn ich Geld hätte. Aber mein lieber Herr Vater zahlt ja in hundert Jahren nicht.
Brief an Amelie vom 10.10.06
Hey Hasilein!
Ich wollte dich heute besuchen kommen, da mein Bus so spät losfuhr und dazwischen keiner war, aber macht nichts. Ich war mit Nena was trinken und hab etwas gegessen. Mir ging es heute nicht gerade gut. Mann, oh Mann, der Max und die Susi haben mich heute so genervt. Die Susi ist schon nett und lustig und man kann mit ihr auch mal Scheiß machen, aber heute war das kaum auszuhalten. Die redet ständig von unseren Lehrern, genau, als ob sie die je gehabt hätte, zitiert den ganzen, lieben, langen Tag von Kalkofes Mattscheibe, nur weil das der Max auch ab und zu gemacht hat und lacht sich bei jedem dämlichen Zeug einen ab. Heute ging es derart kindisch ab, das glaubst du nicht. Wirklich, das war nicht mehr lustig. Es ist außerdem recht grausam, dass sie mittlerweile die Witze von Max lustig und seine ironische und ekelhafte Art toll findet. Zu all dem musste ich auch noch alleine mit denen im Zug sitzen, weil die Nena heute morgen verschlafen hat. Himmel, die haben ein Getue drauf, ich hätte die beiden aus dem Zug schmeißen können. Die Susi gewöhnt sich nämlich die Art vom Max an und meint, immer alles, was der Max sagt und kennt, auch sagen und kennen zu müssen. Jetzt hat sie sogar schon unseren „Ticket, Ticket“-Insider von unserer Zugfahrt mit dem crazy Bahnbeamten geklaut, obwohl sie nicht dabei war. Jeden Tag sagt sie mindestens drei Mal: „Ticket, Ticket, das ist eine Behauptung!“, und lacht sich einen ab. Ich verstehe das nicht, das ist so dumm. Oh Gott, wie gesagt war das heute morgen so dermaßen schlimm. Ich stand dann nur noch da und habe einfach gar nichts mehr gesagt. Was auch nett ist, war, dass die beiden sich heute morgen, als wir zusammen noch in den Zug eingestiegen sind, zwei Sitze geangelt haben und ich stand dann ganz blöd da. Normalerweise schauen wir immer, dass wir alle zusammen irgendwo Platz finden, aber nein, nicht heute morgen. Die werten Herrschaften haben sich nicht einmal umgesehen, sondern das Nächstbeste genommen, mit dem netten Kommentar vom Herrn E.: „Tja, Pech gehabt.“ Ist das nicht schön? Also setzte ich mich neben jemand anderen. Aber heute war es wirklich zum Schreien, von morgens bis mittags. Grrr! Die Nena hat mich dann wieder etwas aufgeheitert und meinte, dass ich mir nicht so viel aus den beiden machen soll, vor allem nicht aus Max’ dummen Sprüchen. Heute redete Nena von Freud und er kannte den großen Freud einfach nicht. Nun ja. Wir waren darüber etwas erstaunt, vor allem, da ja gerade Freud-Jahr war. Daraufhin maulte er mich wieder an und sagte: „Ja, Lena, bei dem warst du wohl, oder?“, und dann antwortete ich, dass der ja schon tot sei und weshalb er jetzt wieder so gehässig ist, dann meinte er, Freud hätte sich bestimmt umgebracht und in seinem Abschiedsbrief von meinem Leben geschrieben. Ha, ha, ha! Wie toll! Danach war ich echt kurz davor, vor Wut zu heulen. Der hat keine Ahnung von meinem Leben und gibt immer so verdammte, Scheißsachen von sich. Oder ich wäre ja die, die Tabletten nimmt und in Behandlung geht und irgendwas von Stromschlagtherapie. Aber hey, er findet es lustig und die Susi mittlerweile sogar auch! Die Nena findet es auch mies, vor allem, weil sie ja weiß, was in meinem Leben so abgeht und dann ist das echt eine heftige Beleidigung. Ich hab keine Lust mehr auf den, fahr morgen auch nicht mit denen mit, nehme einen früheren Zug. Ach ja, das war mein „toller“ Tag. Ich hasse ihn, echt, ich könnte den erwürgen oder vors Gleis schmeißen. Irgendwann dreh ich echt mal durch und dann brüll ich derart rum und ticke aus, ich hab es so satt mit dem blöden snobistischen, verklemmten Scheißkind! Na wenigstens geht er nach zwei Jahren – definitiv – und macht nicht weiter. Juhu! Hoffnung besteht! Himmel noch mal, eigentlich sollte ich mich wegen dem nicht aufregen. Aber wenn einer dich fertig macht, und das jeden Tag, dann geht das nicht so an dir vorbei.
Ok, genug dazu. Hoffentlich klappt das mit dem M. Ich kann dann wahrscheinlich auch bis zwölf bleiben, wenigstens eine halbe Stunde länger. Der Film wird kurz nach zehn fertig sein, oder? Danach wird einfach nur abgedanced und wer weiß, vielleicht kommt ja der aus A. wieder und der M. Menson auch! Und dein Bruder vielleicht auch, äh, ich meine natürlich, nein, nein, der muss ja nicht dabei sein ;-), obwohl, ich würde mal gerne so abgespaced mit dem tanzen, he, he!
Ok, bis bald.
H.D.L
Lena
Briefwechsel zwischen Robert und mir
15.10.2006
Hey!
Na, wie geht’s dir? Alles klar bei dir?
Wie war dein Wochenende, und vor allem, wie war das Konzert?
Im M. (Gothicdisko) war es gestern ganz ok. Der Film dauerte etwas länger, und daher wurde die Zeit dann auch kürzer, aber zum Glück durfte ich eine halbe Stunde länger bleiben. Ich bin sowieso sehr froh darüber, dass mich meine Ma dort hinfährt und um 12 Uhr wieder abholt. Die Musik war diesmal nicht so gut wie beim letzen Mal, aber es war etwas mehr los. Ein paar alte Bekannte habe ich dort auch wiedergetroffen, wie du schon sagtest, die Welt ist klein. Irgendwelche Leute kommen dann auf dich zu, lachen dich an, umarmen dich und im ersten Moment denkst du „hä?“, „was?“, „oh, verdammt, dich kenne ich ja!“ Aber es ist ganz ok. Wenn ich mit dem Bus nach W. fahre, dann ist da manchmal so ein Typ, der nach S. fährt. Bei dem dachte ich mir schon, dass er auch ins M. geht. Manchen sieht man es eben an. Tja, ich hatte Recht. Der war gestern auch dort, sagte sogar „Hallo“ zu mir und stand mit seinem Freund an der Theke herum. Genau, sein Freund. Ich dachte mir dann, hm, ok, hätte ich jetzt nicht direkt gedacht, dass er homosexuell ist, aber nun ja. Waren richtig schnuckelig die beiden ;-)! Meine seltsame Nachbarin hat sich dort auch herumgetrieben, alleine, ohne Mann. Sie grüßt einen nie, aber gestern hat sie sich das wohl anders überlegt. Ich war erst einmal richtig geschockt, dass die sich dort herumtreibt, aber sie passt sehr gut da rein. Aber sie ist eben nicht ganz dicht, eine ziemliche Aggroschlampte. Die ist so panne, die Frau.
Der Film, der übernächste Woche läuft, ist übrigens kein Psychofilm, ich war so frei, mir das Programmheft zu schnappen und ins helle Licht zu gehen und das zu lesen – grins! Das ist ein musikalischer Film, handelt sozusagen von verschiedenen Musikrichtungen, hörte sich ganz gut an.
Ok, würde mich freuen, wenn du mal zurückschreibst.
Liebe Grüße,
Lena!
Das ist die M. Welt. Ja, ich hatte auch viele Freunde. Und hier merkt man auch wieder, dass die Welt klein ist. Immer Samstags, soviel ich weiß. Ja, ich hatte auch schon mal Frau Schottdorf in M. gesehen. Diese Frau ist ebenfalls voll panne. Aber das kommt aus der Familie. Gut, ich hab dann halt mal probiert, Party zu machen, aber es funktionierte nicht so recht. Ich bin einfach nicht wirklich in der Stimmung dazu. Es geht mir eigentlich nicht so wirklich gut, aber ich hoffe mal, dass es wieder besser wird. Ich hab zur Zeit Angstzustände, die mich fertig machen. Aber das hat nichts zu bedeuten, vom Kopf her und allem bin ich voll da. Nicht, dass du dir denkst, was hab ich mir da für einen Psychopathen aufgegabelt. Weil, das bin ich im Prinzip nicht und das ich in K. Urlaub mache, hat auch nichts zu bedeuten. Ich kenne jemanden in N., es war echt ein Zufall, dass wir uns kennen gelernt haben. Ich hab mich echt gefreut, dass du dich gemeldet und dass du mir geschrieben hast. Natürlich schreibe ich dir zurück, wenn du mir deine Festnetznummer verrätst, könnte ich dich auch einmal anrufen, da das Telefonieren auf Handys ein erheblicher Kostenfaktor ist, der sich auf die allmonatliche Telefonrechnung niederschlägt. Aufs Festnetz hingegen kann ich völlig kostenlos telefonieren, da ich im Besitz einer Flatrate bin, die es mir eben erlaubt, für 9,99 ¤ im Monat ohne weitere Kosten unbegrenzt ins deutsche Festnetz zu telefonieren.
Ich wünsche dir eine erfolgreiche Woche und eine schöne Zeit. Wenn ich dazu komme, werde ich mich fernmündlich mit dir in Verbindung setzen und über das weitere Vorgehen diskutieren. Soll heißen, ich werde dich mal anrufen. Ich denk nur gerade an den einen Kurzfilm, „Solo Talent“. Du weißt schon, der mit dem Vogel und den Taschentüchern.
Dass der Film der übernächsten Woche kein Psychofilm sein kann, war mir auch klar, aber man muss sich mal das Ganze ansehen, zwölf Bilder auf einer Leinwand und wenn man sich das mal gibt, das wird bestimmt sehr fröhlich :-). Man sollte seine Worte besser wählen, ich weiß, es tut mir leid. Aber das ist doch jetzt auch egal.
Würde mich freuen, wenn du zurückschreibst. Über Post freue ich mich immer. Also bis dann, Gruß Robert!
16.10.2006
Hey!
Das tut mir leid, dass du Angstzustände hast. Ich weiß, eigentlich will man kein Mitleid, aber irgendwie dann doch. Jedenfalls will ich damit sagen, dass ich es gut nachvollziehen kann.
Bei mir war das so, dass ich nachts aufgewacht bin, habe Stimmen gehört, Schritte, Streit, mein Herz war auf 180 und ich lag da, ohne auch nur atmen zu wollen. Ich bekam Panik, obwohl ich wusste, dass da nichts war. Aber ich hörte das eben und es ging einige Zeit lang so. Das zu akzeptieren, damit klar zu kommen, das ist verdammt hart und schwer. Ich hatte mal eine Zeit, da war ich sozusagen auf Entzug. Erschrick jetzt bitte nicht. Wenn man auf Entzug ist, dann hat man auch so etwas. Keiner kann einem helfen, keiner ist für einen da, man fühlt sich scheißalleine und alles bricht zusammen. Ich fing dann immer an zu zittern, wie verrückt, alles war angespannt und verkrampft in mir, ich hatte den Zwang, mich an etwas festzuklammern oder konnte dann nicht mehr still sitzen, lief einfach so durch die Gegend. Ich bekam Panik, einfach nur Panik, du weißt zwar, wo du bist, aber alles um dich herum ist irgendwie nicht real, weil man vor lauter Panik und diesem krampfartigen Gefühl nur noch das im Kopf hat. Ich kenne das, man bekommt eine Krise, eine verdammte Krise, vielleicht sogar Halluzinationen und wie gesagt, damit zurechtzukommen, das ist schwer. Aber falls es dir wenigstens ein kleiner Trost ist, ich habe es in den Griff bekommen, ganz alleine. Es war schwer, es ist auch irgendwie verrückt, aber wenn es besser geht, dann fühlst du dich selbst auch wohler und bist ausgeglichener. Es ist schön, dass du mir das geschrieben hast. Ich erlebe selten Menschen, die einem gegenüber gleich offen und ehrlich sind. Ich denke, dass ich dir gegenüber auch relativ offen sein kann, vor allem, was das Leben angeht. Du hast bestimmt einen Grund für die Angstzustände und ich glaube, dass du den auch kennst. Ich will hier nicht die Psychiaterin spielen, aber ich weiß einfach, wie das ist, ich weiß es, wenn man alleine gelassen wird und sich mit der ganzen Scheiße alleine herumschlagen kann. Und ich will einfach nicht, dass wenn ich jemanden kenne, es ihm genauso geht und ich nichts tue, es geht nicht. Sprich, ich will dir gerne helfen. Es ist hart, jemanden anzurufen, wenn es wieder so ist, aber versuch es einfach mal, okay! Ich versuche, immer für dich da zu sein, ja? Hört sich jetzt kitschig an, aber ich meine das ernst. Mich geht so etwas sehr viel an, ganz einfach deshalb, weil ich damit auch zu tun hatte, nur dass du das verstehst. Wenn meine Ma drangeht, frag einfach, ob ich da bin. Okay, bis dann.
P.S. Ich habe nicht gedacht, dass du in K. in „Urlaub“ warst und selbst wenn es so wäre, hätte ich kein Problem damit ;-)!
Liebe Grüße, Lena!
Nein, ich hatte keinen Psychiatrie-Aufenthalt, die Zeiten sind vorbei! Ich will von denen nichts wissen. Stimmen hören ist krass. Ich selbst höre keine. Ich hab aber auch schon andere Dinge gemacht. Anrufen kann ich immer, bei mir ist es nicht so, ich steh alles einfach irgendwie durch. Und erschrecken tue ich auch nicht, wovon warst du auf Entzug? Ich habe mal als Kind einen Medikamenten-Entzug gehabt. Das war auch irgendwie schon wirklich der Hammer. Auf irgend eine Weise muss man nach vorne schauen und darauf acht geben, dass es weitergeht und dass man nicht stehenbleibt. Zur Zeit bin ich auch nicht in Behandlung, wobei das eigentlich besser wäre. Zuhause ist auch nicht alles wirklich rosig. Wobei es mir eigentlich nicht so wirklich gut geht. Aber ich bin auch keiner, der seine Probleme anderen Leuten aufdrückt. Ich wollte dir nur sagen, was du an mir hast, oder so den Status. Ich kenne das, wenn Leute mit jemandem überfordert sind. Oder einfach nicht auskommen miteinander. Nun ja, wie diese Zustände zustande kamen, weiß ich auch nicht so genau. Aber es gibt schon ein paar Ursachen, bestimmt. Gerade Leute, die mir wirklich ihre Probleme aufzwingen, das sind dann diejenigen, die mich fertig machen. Im Grunde bin ich noch dazu ein verplanter Mensch. Du solltest vielleicht auch nicht bei jedem, der irgendwie Probleme hat, Mutter Theresa spielen. Das ist nicht böse gemeint. Es bringt nur nichts, weil sonst kann es leicht passieren, dass man als Müllhalde für seelischen Müll hergenommen wird. Das Problem, man kapselt sich nach einer Zeit von vielen Menschen ab, man streitet gern und macht sich überhaupt sehr viele Vorwürfe. Ich kann zum Glück noch arbeiten und was sonst noch dazu gehört. Wenn du mir schreibst, das freut mich immer. Also, du musst nicht Psychologe spielen, bei mir bringt es eh nichts. Ich freue mich immer, wenn ich interessante Menschen kennen lerne. Das macht das Leben erst irgendwie lebenswert. Ich habe mich aber auch gewundert, dass du mir deine Handynummer gegeben hast. Da wir uns ja nicht wirklich kannten. Ich zum Beispiel vertraue eigentlich nur wenigen Leuten. Da ich dich ja schon nach der Nummer gefragt habe, dachte ich mir, kann ich dir auch mal ein bisschen was von mir erzählen. Ist ja alles freiwillig, was ich dir erzähle, und nicht weil ich es muss.
Mir ist es auch wichtig, dass du so ungefähr weißt, was dich erwartet. Ich finde es übrigens auch sehr gut, dass du mir etwas von dir erzählst.
Also, wenn du mal ein Problem hast, kannst du mich anrufen. Ich weiß nicht, ob ich dir helfen kann. Ich probiere es einfach einmal. Wie gesagt, ich werde dich auch anrufen.
Also mach es gut und Grüße von K.
Robert! :-)
17.10.2006
Hey!
So, ich bin gut drauf! Ähm, ja. Du hast schon recht mit dem, was du geschrieben hast und natürlich war das auch oft der Fall, dass mich das runtergezogen hat, dass ich dann der „Mülleimer“ war. Aber so ist es halt gewesen. Egal, genug davon.
Höre gerade „I don't feel like dancing“. Kennst du bestimmt, das Lied. Tja ja. Ach, ich bin mehr als kompliziert, aber ich kann das nicht abstellen. Ich denke kompliziert, fühle kompliziert, dass heißt, ich bin sensibel und das nicht gerade wenig. Ich hab schon mein ganzes Leben mit verkorksten Menschen zu tun gehabt, das ist ok so, die ziehen mich an, ich ziehe die an, kann problematisch sein, aber muss es nicht. Es sind auch schon super Freundschaften entstanden. Aber mit den einfach Gestrickten bin ich nie so ganz klar gekommen. Diese Menschen sind mir ab und an sehr fremd und oberflächlich. Ich hasse Oberflächlichkeit! Was ich mag, ist, wenn jemand ganz einfach sensibel ist, das merkt man, finde ich, recht schnell, es kommt darauf an, was derjenige sagt und wie er es sagt. Gott, was schreibe ich da wieder? Soll ich mal versuchen, etwas „Normales“ zu schreiben? Grins. Ok, das wird wohl schwer werden. Ich bin eben sehr tiefgründig und äußerst, wie soll ich das jetzt ausdrücken, vielleicht poetisch drauf. Typisch Schriftstellerin, sagen einige, aber dafür kennst du mich noch zu wenig. Jeder Schriftsteller ist (meistens) irgendwie extrem drauf. Das meine ich nicht unbedingt im schlechten Sinne, aber wir empfinden alles etwas anders und intensiver, machen uns vielleicht sogar mehr Gedanken drüber. Ich schreibe schon wieder so etwas. Schluss, aus, weg ...!
Also, hast du denn Lieblingsfilme, die ich auch kennen könnte?
Meine sind dramatischere Filme, ja, ja, ich weiß, schon wieder abnormal ;-).
Man mag es jetzt vielleicht kaum glauben, aber die meiste Zeit bin ich recht lustig drauf und erheitere auch die meisten Menschen in meinem Umfeld.
Dann bis bald.
P.S.: Nein, ich will nicht Mutter Theresa spielen, aber ich bin Jesus und – ich glänze wie Gold – das mit dem Gold ist ein Zitat von Jamie-Lee-Louis. Egal, das musst du jetzt nun wirklich nicht verstehen!
Bye, bye,
Lena!
Hallo Lena ;-)
also, ich bin gerade beim Aufräumen. Mein Zimmer, falls man es noch Zimmer nennen kann und was noch so an Räumen hier ist. Ich nenne es meinen Rückzugsort, obwohl es mich schon lange nicht mehr tröstet.
Schriftsteller, sowie auch ich haben den Drang etwas „Gutes zu schaffen“. Du schreibst, weil du es willst und es kannst. Ich schreibe, weil ich etwas damit erreichen will. Zwei Welten und doch irgendwie die gleiche Symptomatik.
Na, ja, jedenfalls habe ich heute beim Aufräumen ein paar Dinge wiedergefunden, die ich vermisst geglaubt habe. Einen Aufsatz, wie das Bauhaus, die Architektur, das Denken veränderte. Den habe ich geschrieben, als ich in der 9. Klasse war. Irgendwie schon komisch, mit Architektur hatte ich mich dann nie mehr beschäftigt. Aber was ich auch wiederfand, waren meine David-Bowie-Platten, sie waren in falschen Hüllen und ich wollte sie wegwerfen, ohne nachzusehen. Nun ja, ich stellte fest, dass ich schöne Musik wiedergefunden habe, deshalb höre ich gerade Schallplatten. Ein tolles Format, so ein Teil dreht sich vor sich hin und du hörst einfach zu und kannst das Ganze noch ansehen.
Das ist halt dann doch irgendwie etwas anderes, als wenn man es auf einem MP3-Player hört, oder auf dem PC anklickt und durch die PC-Lautsprecher durchlässt. Das macht viel aus, wenn man Musik auf diese Weise hört. Ich habe auch noch Kassetten, sehr viele. CDs habe ich weniger, so witzig es klingt, ich höre nur die Schallplatten, die ich auf sämtlichen Flohmärkten aufgetrieben habe. Ja, und natürlich die CDs, die ich selbst gebrannt habe, klingt vielleicht für dich unverständlich, dass ich mir keine neuen CDs kaufe, hat aber einen Sinn, es zu erklären, würde jedoch den Rahmen sprengen.
Was mach ich gerade sonst noch – irgendwie will ich jetzt wieder probieren „Klar Schiff“ zu machen. Sonst endet hier alles im Chaos. Ich versumpfe ja schon darin. Ich schaffe es einfach nicht, einen Ausgleich zu finden, ich bin einfach nur schlapp, ich weiß nicht, wie es weitergeht. Ich hab gerade keinen Halt. Ich steh irgendwie gerade eine komische Phase durch. Aber das hält mich nicht auf, man schlägt sich durch. Neulich las ich in der Zeitung etwas über Angst. Es gab dann auch einen netten Artikel über „German Angst“. Die anderen Länder sind lebensfroh, nur die Deutschen sind depressiv. Depression, die schwerste der Ängste. Lauter solche Sachen standen da drin. Das ist die Problematik, wenn es dem Land schlechter geht, dann machen wir uns gleich die schlimmsten Gedanken. Das ist bei uns Deutschen so. Die deutsche Angst, das könnte nach einem Film klingen. Aber es gibt dann auch die Leute, die wirklich richtige Probleme haben.
Ja, aber wie du auch schon sagtest, ich ziehe auch magisch Leute mit einem Knacks an. Da wäre ein Zeuge Jehovas, der ein echtes Alkoholproblem hat und sich am liebsten mit Zyankali umbringen will. Weil das richtig schnell wirkt. Gut, der nächste, ein 2-Meter-Riese, der nur faul in der Gegend herumhängt und an einer Intelligenzminderung leidet. Traumatisierte Frauen und so weiter und sofort. Das Leben mit solchen Leuten kann manchmal sehr witzig sein. Bei einigen der Personen nervt es aber auf Dauer.
Von mir selbst braucht man erst gar nicht zu reden. Ich bin zu verkorkst, aber etwas ist an mir besonders. Es gibt schon ein paar Menschen, die sich zu mir hingezogen fühlen.
Obwohl man mit mir viel Geduld haben muss und ich doch ein paar Fehler habe, die aber mehr mich belasten, als andere Menschen. Ich selbst beschreibe mich als Geek.
Es ist bei mir alles mehr. Das macht mich dann auch wirklich so exzentrisch, jeder Mensch, der irgendwie was kann, was nicht jeder kann, zweifelt ständig an seiner Arbeit, manche mehr und manche weniger. So wie ich das sehe, zweifle ich zu viel und denke manchmal zu abstrakt, das bringt aber auch Gutes mit sich.
Eigentlich kommt das dann ziemlich oft vor, dass ich mich verzettle und dass viele Dinge dann zu groß für mich alleine sind, aber ich check es erst dann, wenn es schon zu spät ist.
Es frustriert mich dann meistens, weil es wieder nicht geklappt hat. Irgendwann probiert man es dann neu, dann geht es schon besser.
Du hast mich gefragt ob ich einen Lieblingsfilm habe. Im Grunde schau ich mir einen Film einmal an und das war es dann auch schon. Kurzfilme gefallen mir natürlich auch sehr gut. Dies war auch der Grund, warum ich an dem einen Samstag ins M. ging.
Und wie gesagt, ich bin auch kompliziert, bei mir braucht man erst gar nicht anzufangen, darüber nachzudenken. Es ist nun einmal so. Also dann, mach’s gut.
Gruß von mir zu dir.
Man schreibt sich.
Robert
18.10.2006
Hey!
Na, wie geht’s dir? Wow, deine E-Mail war wirklich sehr lang, du übertriffst mich ja glatt. Und ich wusste gar nicht, dass du auch schreibst. Das ist sehr interessant. Dein Schreibstil, damit meine ich, so wie du mir jetzt schreibst, gefällt mir.
Heute war wieder einmal ein eher schlechterer Tag, aber nun ja, trotzdem geht es mir gerade ganz gut. Dein Leben ist auch nicht gerade perfekt, aus dem zu schließen, was ich bis jetzt gelesen habe, aber ich denke, dass dich das auch besonders macht und du hast völlig recht damit, dass man oft in einer schlimmeren Phase sehr kreativ sein kann und ab und an Dinge zustande bringt, die einem vielleicht unter normaleren Umständen nicht genauso gelungen wären.
Ich baue mir oft Luftschlösser im Zusammenhang mit Menschen, die ich kennen lerne. Gleich, ob es Freundschaften sind oder richtige Beziehungen werden, es ist so, dass ich einiges von der anderen Person erwarte, natürlich hat sie nicht perfekt zu sein, perfekt ist relativ. Ich versuche, immer gleich von Anfang an ehrlich und offen zu sein, etwas Vorsicht sollte man auch haben und was mir sehr wichtig ist, dass ich spüren muss bzw. will, dass jemand an mir hängt, dass er mich schätzt. Ich bin schon viel zu oft enttäuscht worden, von Beziehungen, von Freundschaften. Ich kann es nicht rückgängig machen und das ist auch gut so. Mittlerweile habe ich mich geändert und suche mir nur diese Sorte von Mensch aus, bei der ich wirklich merke, dass sie auf meiner Wellenlänge liegt und stets Aufrichtigkeit besitzt. Alles andere ist mir zu schmerzhaft. Ich habe schon einige Dinge erlebt, Ungerechtigkeit, Hass und auch Gewalt. Ich hasse die Menschheit nicht grundsätzlich, aber ich bin der festen Überzeugung, dass bestimmt neunzig Prozent keinen richtigen Charakter haben, falsch sind, lügen, vielleicht sogar richtig böse Menschen sind. Sicherlich hat sie ihr Leben dazu gemacht, Einflüsse spielen auch eine Rolle, aber ich finde, dass jeder dazu in der Lage sei sollte, sich zu verbessern, nicht stehen zu bleiben, ein Gefühl für andere zu entwickeln und sozialer zu werden. Man hat uns das Leben geschenkt, uns ein Gehirn gegeben und es gibt soviel Wissenswertes auf der Welt, mit dem man sich geistig und mental bilden kann, warum ist die Masse dann nicht fähig, dies zu tun, weshalb lernen die meisten nicht aus Fehlern, aus ihren eigenen und aus anderen, weshalb meinen sie, anderen das, oder Schlimmeres antun zu müssen, was ihnen selbst widerfahren ist. Ich kann das nicht verstehen, nachvollziehen ja, aber richtig verstehen nicht. Das ist traurig, wenn man richtig darüber nachdenkt, dass die Menschheit einfach nicht im Stande ist, mit ihresgleichen richtig umzugehen.
Ich bin und war ganz gerne alleine, weil ich die Gesellschaft gar nicht so sehr gebraucht habe, es liegt natürlich auch daran, dass ich ein Einzelkind bin und eher abgelegen, in einer Stadt, in der nicht gerade viel los ist, wohne. Aber ich bin zufrieden damit. Das ist etwas in meinem Leben, womit ich glücklich bin. Richtig einsam zu sein, das ist schlimm, doch das meine ich nicht. Ich habe eigentlich sehr liebe und nette Freunde, die sich um mich kümmern und mich achten, mir auch schon sehr geholfen haben. Aber seine Ruhe zu haben, sich nicht nach einer Gruppe zu richten, die Persönlichkeit somit ganz zu entfalten, das ist schön. Man wird kreativ, findet viel mehr und eher seinen eigenen Stil, wenn man manchmal in sich gekehrt ist und auch Kleinigkeiten entdeckt oder sich über etwas Gedanken macht, was man in ständiger Gesellschaft, in einer Großfamilie zum Beispiel, wo ein dauerndes Rein und Raus herrscht, wahrscheinlich nicht so ist.
Ich schrieb über das letzte Jahr einmal ein Gedicht, dass einfach alles beschreibt, was in diesem Jahr passiert ist. Es ist vielleicht etwas kompliziert und man kann es nicht ganz verstehen, wenn man mein Leben nicht in Einzelheiten kennt, jedoch glaube ich, dass du damit etwas anfangen kannst. Ich möchte dir einfach einmal einen Einblick geben, ohne Genaueres zu sagen, damit du, wie du so schön sagtest, den „Standpunkt“ kennst. ;-)
(Gedicht vom 26.–31.12.05)
Morgen!
Ich kam gerade erst nach Hause, hatte heute ein bisschen Stress, aber im Grunde geht es bei mir auch ganz gut. Es ist gerade echt alles elendig lange. Ich find dein Gedicht gut, man kann ein wenig daraus deuten. Gab es viel Streit? Und ist jemand gestorben? Du schreibst schön, das hat ein bisschen Seele, das Ganze, was du zusammenbringst. Das, was ich auf die Reihe bringe, hat Rechtschreibfehler. Freut mich, dass ich dir mit meinem Schreibstil genügen kann.
Google hat YouTube gekauft, auch was, was man näher betrachten muss. Google hat dafür 1,3 Milliarden Dollar gezahlt ;-). Einer der reichsten Menschen der Welt, Bill Gates, hat Angst davor. Nun stellen sich neue Fragen, die die Zukunft betreffen, es ist ungewöhnlich, dass Firmen für Produkte soviel zahlen. Hier geht es um die User. Bei Google geht es nur um User. Du weißt gar nicht, ohne jetzt Paranoia zu verteilen, oder Paranoia zu haben, wie viel Google über dich wissen kann. Du bist zwar immer noch eine Nummer, aber sagen wir mal so, du bist zu Hause, hast Google-Mail, gehst auf deine E-Mail, schreibst was auf dieser Seite, die auch komplett Google gehört, fährst in eine fremde Stadt und logst dich ein. Google weiß sofort, welche Werbung es dir schalten muss. Sagen wir es einfach mal so, Google weiß alles. Soll keine Verschwörung sein, die ich mir erdacht habe. Es ist so, Google kennt sogar dein soziales Umfeld. Das ist alles in zwei fußballfeldgroßen Hallen gespeichert. Dort kämpfen einige Server um alle Daten. Es ist interessant. Man kann es auch nicht ohne weiteres abschalten, man hat ihm eine eigenen Dynamik beigebracht. Viele Programmierer sagen auch, dass der Code der Suchmaschine eine Art Intelligenz besitzt. Die aber nicht wirklich vorhanden ist, sondern nur erdacht. Sprich die Macher von Google haben Talent, sie sind die Besten auf ihrem Gebiet und das mit Abstand. Dort möchte ich auch arbeiten.
Hier wird auch darauf Wert gelegt, dass sich die Entwickler/Informatiker/Programmierer und Mathematiker entfalten können. Programmieren hat sehr viel mit Kreativität zu tun, da man auch oft abstrakte Lösungswege gehen muss, bis etwas passt.
So ist das auch im Leben, ab und an muss man einfach quer denken. Ich denke gerade weniger quer, ich hab leider nicht die Zeit. Es vieles gibt was immer gleich läuft, sogenannte Routinen. Was ich aber auch so empfinde, das ist deine Weltsicht, ich hab so ziemlich dieselbe. Ich geh aber so vor: ich hasse die Menschen nicht. Ich mag eigentlich jeden Menschen, habe aber auf albernes Geplänkel keine Lust mehr. Man muss etwas unternehmen. Ich kann nicht planlos herumsitzen, ich brauch immer eine Beschäftigung. Zu mir muss auch ein Mensch passen, der das versteht. Ich kann einfach nicht mit jedem auskommen, manche Leute nerven mich bloß. Ich hab keine Lust, enttäuscht zu werden. Das hatte ich schon so oft. Man meint, man trifft jemanden, redet und stellt fest, der passt eigentlich. Aber irgendwann findet man heraust, dass es nicht so ist. Ich persönlich erwarte eigentlich nicht wirklich viel. So doof es klingt, Verständnis, das willst du sicherlich auch. Ich erwarte zum Beispiel von keinem, dass er strammzustehen hat, nur weil mein Zeh weh tut. Ich habe auch Erwartungen an andere, aber ich bin schon abgehärtet gegen viele Dinge, so kommt es manchmal, dass es mir auch egal ist. Klingt schon irgendwie komisch. Und Menschen zu verletzen, das habe ich auch nicht vor.
Es gefällt mir auch, dass du mir schreibst. Irgendwie verstehst du, was ich schreibe, das ist schon cool. Anderen fehlt zum Teil der Horizont dafür. Was du so alles schreibst in der E-Mail, ich fand es sehr interessant, dass du 90 Prozent der Menschen als „ohne Charakter“ hinstellst. Das kann vielleicht auch davon kommen, dass du auf dem Dorf lebst. Man weiß ja nicht, jeder Vierte, den ich treffe, ist ein kleiner Freak. Sagen wir mal 70 Prozent der Menschen, du weißt ja nicht, wie die Menschen im Ausland sind. Du kennst nur, ich sag es mal so, „deine Welt“. Natürlich keine eigene Welt, sondern die Orte, die du in deinem täglichen Leben siehst. Bei mir ist es zum Beispiel der Supermarkt am Ende meiner Straße und am Anfang meiner Straße. Ich musste viele Dinge wieder erlernen und wieder anfangen. Und langsam überlegen, was mir wichtig ist und was nicht. Aber fallen geht immer schneller, als wieder hochkommen. Man rutscht immer wieder ab. Ein langer Weg, den man geht. Irgendwie will man es ja auch schaffen.
Mein Motto: „Dass man etwas Gutes schafft!“
Ich hoffe für dich, dass es dir bald wieder besser geht, obwohl du schreibst, dass es dir eigentlich gut geht, wünsche ich dir doch alles Gute. Es ist schön, einen Menschen glücklich zu sehen und nicht gespielt glücklich, sondern einfach natürlich.
Also, mach es gut bis zur nächsten Mail.
Gruß, Robert!
19.10.2006
Hey you!
Schön, dass du meinen Ansichten zustimmst. Aber wenn du meinst, dass ich nicht gerade viele Leute kenne, dann muss ich dir widersprechen. Ich bin sehr lange in K. auf die Schule gegangen und habe wirklich sehr, sehr, sehr viele Menschen kennen gelernt und auch einige Freundschaften gehabt, außerdem war ich schon oft im Ausland. Afrika, ja, darüber sollte ich dir, denke ich, etwas erzählen. Ich liebe Afrika, besonders Südafrika. In meinem Zimmer habe ich sehr viele Dinge von dort stehen und hängen, ob aus Namibia, Zambia, Botswana oder eben Südafrika. Südafrika beeindruckte mich alleine schon von der Landschaft her und diese fremde Kultur, die exotisch und wild erscheint, ist äußerst faszinierend. Die Armut zu sehen, in einer Großstadt herumzulaufen, mitten unter den Ärmsten der Ärmsten, ist zwar nicht gerade das berauschendste Erlebnis, aber es ist der Eindruck, das Gefühl, der Moment, der ewig in deinem Kopf bleibt. Ich lernte viele Schwarze kennen, Ranger, Dienstmädchen, Bedienungen, auch andere Touristen aus Amerika oder England oder die Besitzer der Hotels. Selbstverständlich lernst du jemanden nicht so sehr kennen, dass du ihn als Freund oder Feind einstufen könntest, aber ich habe wirklich viel von dem Leben dieser Menschen erfahren, was für Ansichten sie haben, wie sie denken, handeln und warum sie das tun, was sie tun. Da ich eher ein tiefgründiger Mensch bin, der etwas lieber zu genau weiß, als nur oberflächlich, denke ich, dass ich dadurch auch soviel erfahren habe. Ich habe dort so viel erlebt, die Natur ist gewaltig, sie erschlägt dich, aber nicht auf eine wütende Art und Weise, sondern auf eine umschlingende Art. Sie zeigte mir Glück und Ruhe, Gewalten und endlose Freiheit. Wie viele Menschen dort leben, ist schwer zu verstehen, sehr schwer. Selbst wenn man Slums und Armutsviertel oder auch Aidskranke im Fernsehen sieht, so schmerzlich und traurig diese Reportagen auch sein mögen, es ist nichts im Vergleich zu dem, wenn man es wirklich sieht, fühlt, mit genau allen, die betroffen sind, Kontakt aufnimmt. Ich liebe die Mentalität dort und die ist gewiss eine andere, als die in Deutschland. Sie ist verschieden von allen anderen Einstellungen, sie ist besonders. Ich liebe die Natur, ich bin richtig vernarrt in sie und als ich dort war, jedes einzelne Mal, jeden Tag, jede Stunde und jede Sekunde hätte ich dieses Land, bzw. diese Länder umarmen können, Freudentränen vergießen, dafür, dass es mir so viel geschenkt hat. Es ist unglaublich und umgarnt dich so sehr, dass du immer wieder dorthin möchtest. Ich habe schon oft deshalb geweint, weil ich es vermisse, weil ich mich richtig in diese Landschaften, die Luft, die ganze Umgebung, einfach jedes kleine Detail verliebt habe, richtig verliebt. Die Viktoria-Wasserfälle in Zambia waren auch atemberaubend, sie sind so gewaltig und schön, du stehst vor ihnen, bekommst eine Prise von der Gischt ab, siehst zugleich in die Schluchten und Canyons hinunter und bist hin- und weggerissen. Dort wollte ich wirklich leben, ich habe mich gefreut, ich habe es dort geliebt, so sehr, dass ich mir manchmal fast einbildete, dass dort meine Heimat sei, dass ich das alles schon einmal gesehen habe und gefühlt, doch es so unendlich lange her ist, dass ich mich nicht mehr erinnern konnte. Botswana war ebenfalls schön, einfach nur schön. Wir hatten dort unser Häuschen mitten in der Natur, in der Wildnis, zehn Meter vor uns lag ein Fluss, der zum Okawango-Delta gehört und dort badeten jeden Tag Nilpferde und Elefanten, nachts liefen sie dann um unsere Zelte herum, streiften sie und manchmal hörte man sogar einen Löwen oder eine Löwin brüllen und erfuhr am nächsten Morgen, dass es tatsächlich ein Löwe war, der um die Camps herumgeschlichen war. Es war für mich nicht beängstigend, wie es wahrhaft für viele war, auch wenn einem die Tiere bei einer Safari sehr nahe kamen, oder der Jeep inmitten einer Beutetour der Löwen stand und es dich vor Spannung fast zerriss und dir die ganze Kraft und Wucht, das pure Leben, entgegenkam. Ich denke, dass ich es so sehr liebe, weil ich dort einfach etwas begriffen habe, was eigentlich „Leben“ bedeutet, wie es sich anfühlen kann, was dahintersteckt, wie faszinierend und aufregend es sein kann und dich in seinen Bann zieht. Die Wüste in Namibia hat mir wahrscheinlich am zweitbesten gefallen. Diese endlose, dürre, steinige, felsige und bergige Landschaft, in der man alle Brauntöne zu Gesicht bekommt, die es überhaupt gibt. Es war ruhig dort, einsam, verlassen, oft wie leergefegt, aber ich kam mir nie alleine vor, ganz im Gegenteil, ich empfand eine Ganzheit, einen völligen Einklang mit mir selbst und der Natur, es war, als ob ich die Berge atmen hören konnte, als ob die Dünen ein großes, freundliches Gesicht von etwas wären, das dir nichts antut und die Tiere dich zu kennen scheinen, wissen würden, dass man nichts Böses will, dass man diese Größe und Erhabenheit spürt und mit ihnen eine seltsame, friedliche Verbindung aufbaut, die man unter normalen Umständen wohl nicht aufbauen könnte.
Es gibt aber auch den sehr krassen und unmenschlichen Kontrast zwischen arm und reich. Das sind natürlich die schlechten Seiten, die hart zu verarbeiten sind, besonders, wenn man sich immer verpflichtet fühlt, zu helfen. Ich hoffe, dass du einen Eindruck gewinnen konntest, wie ich zu Afrika stehe. Meine ganze Freiheit und mein Frieden liegen darin und es bedeutet mir sehr, sehr viel, daher wollte ich es dir jetzt einmal schreiben.
Ok, dann bis bald mal wieder.
P.S.: Hat mich wirklich ungemein gefreut, dass dir das Gedicht und mein Schreibstil gefallen, das ist richtig schön zu lesen und macht mich wirklich ein Stück glücklicher ;-)
Bye, bye, Lena!
Hallo!
Es ist schön, wie du deine Erlebnisse von deiner Afrika-Reise beschreibst. An so etwas kann man sich glatt gewöhnen. Wenn ich sonst immer E-Mails bekomme, klingen sie nicht so überzeugend. Das ist das Schöne an dir. Obwohl ich dich ja nicht kenne. Aber ich mache mir schon so meine Gedanken. Nach 10 Jahren Internet kann man doch einen Menschen anhand des von ihm Geschriebenen einordnen. Okay, man kann zwar nicht sagen, wie er ist, aber man kennt ein paar Muster. Klar, ich habe dich natürlich nicht voll im Blick, sodass ich sagen könnte, die steht um die und die Uhrzeit auf oder auch wie du dich verhältst. Man kann zum Beispiel anhand der Uhrzeit sehen, wann du immer schreibst, so kann man dann auch erschließen, dass du gerne abends schreibst.
Damals gab es noch so eine Art Referenzen. Wenn Spiegel-Online etwas schrieb, zum Beispiel, dann probierten viele, so zu schreiben. Viele versuchten auch, wie andere zu schreiben, weil sie selbst zwar des Schreibens mächtig waren, aber nicht wussten, wie sie sich ausdrücken sollten. Solche Leute sind nicht dumm und haben auch keine Schwächen, sie wussten bloß nicht, wie sie schreiben sollten.
Irgendwann ging es dann so richtig los mit dem Internet, es kamen viele neue Leute, denen es egal war, wie irgendwas ist. Sie trugen dazu bei, dass sich alles ein bisschen gelockert hat. Die Leute in den News-Portalen schrieben dann in anderen Stilen. Alles kenne ich auch nicht, aber eines steht fest, so wie ein Mensch schreibt, so kann man Hilflosigkeit deuten. Wenn jemand etwas verheimlicht oder dergleichen. Wenn man sich dann an der Sprache orientiert, stellt man fest, dass man dadurch auch erstaunlich viel erkennt. Du bist vielleicht mehr der sinnliche Mensch, du schreibst auch oft davon, dass du sensibel bist, du drückst dich ein bisschen dezenter aus. Aber du hast auch ein wahnsinniges Potential, du willst jemanden überzeugen können. Du kannst auch härter, wenn du willst.
Aber es ist einfach so, dass man einen Menschen nie wirklich genau einschätzen kann.
Bei uns ist das allgemein so, dass der ganze Haufen, der sich um mich virtuell begibt, einfach da ist und es ist irgendwie lustig.
Schreib doch mal solche Gedichte mit mehr Druck. Es ist ein bisschen seicht, soll keine Kritik sein. Ist ja so, dass jeder schreibt, wie er Lust hat. Ich habe auch mal ein Gedicht geschrieben, aber es hat mir selbst nicht einmal gefallen.
Das Leben (das Ende?)
Das Leben ist ein Spiel mit vielen Anfängen
Doch mit nur einem Ende.
Das Ende kommt bei jedem
Ob er will oder nicht.
Reich oder arm, hier sind alle gleich.
Der letzte dunkle Weg,
Abschied für immer.
Das Ende vom Lied.
Die Gedanken sind nur bei dir,
Sie sind schon lang nicht mehr frei.
Doch keiner kann sie sehen.
Das letzte Licht ist aus,
Keiner geht nach Haus.
Jeder schaut sich noch einmal um.
Um sich zu sehen,
Sie sehen in die selbe Leere.
In die Leere in ihnen selbst.
Den leeren Platz neben ihnen.
Unfähig zu denken, kein Leben
Es ist eben so,
Es gibt kein Wort,
für diesen Nebel.
Gedankenschwere wie Blei,
Gefühle kalt wie Stahl
Herzen aus Beton und Asphalt
Niemand wusste es,
Keiner ahnte es,
Und keiner wollte es wissen.
Verbissen kämpfen sie gegen ihre Seele,
Und sind schließlich doch alle zerrissen.
Der reißende Fluss treibt sie ins Meer,
das Meer der Seelenlosen.
Aber ich bin nicht zum Schreiben von Gedichten hier. Beim Aufräumen fand ich noch ein zweites.
So langsam finden sie sich ja wieder, es ist schon komisch, ich hatte soviel geschrieben, aber ich weiß genau, es müssen 5 Gedichte sein, die ich gespeichert habe, obwohl es der größte Mist ist, den ich jemals geschrieben habe. Mag sein, es drückte meine Lage jeweils aus, aber es ist halt eine Ewigkeit her. Aber es kann schon stimmen, dass manche Leute es nicht leiden können, was sie zum Teil selbst schreiben.
Was ist das Gegenteil von Hass, Liebe.
Ich mag mich nicht,
Ich hasse mich.
Ich schreie, keiner hört´s
Ich laufe gegen Mauern,
Keiner merkt´s
Ich falle tief
Und keiner sieht´s.
Das alles nur für dich
Wieso bin das immer ich?
Ich suche dich,
Doch find ich dich?
Nein nie.
Mir ist kein Weg zu weit,
Kein Berg zu hoch,
Kein Tal zu tief.
Ich rief deinen Namen,
Doch es war still,
Still in meinem Herzen.
Ich fand dich in meinem
Schmerzenden Gedanken wieder.
Auch wenn ich dich nicht seh,
Auch wenn ich dich nicht hör,
Ich trag dich immer bei mir.
Ich brauch dich bei mir!
Ich glaube, es hatte nicht soviel mit Liebe zu tun. Die Situation machte einem einfach Angst, sodass man sich nach jemandem sehnte, den man vielleicht liebte.
Das sind meine literarischen Ergüsse, war schon ein bisschen Arbeit. Aber vielleicht war sie es damals wert. Nun ja, es war eine nette Erfahrung. Wörter können fallen, aber das waren eher traurige Gründe.
Mal sehen, was der Tag heute so alles für mich bringt. Ich hab heute nichts zu tun ;-). Holz bearbeiten und so etwas vielleicht.
Der Morgen ist schön, ich mag es, wenn es Tag wird, ich liebe aber die Nacht, warum, das weiß ich auch nicht, sie blendet nicht, es gibt keine Sonne. Aber Sonne mag ich auch, da fängt man zu leben an. Das ist schon schön. Schnee ist auch hübsch, dann ist alles bedeckt und man kann planlos durchstapfen oder sich in den Schnee werfen.
Vielleicht melde ich mich heute bei dir.
Gruß, Robert.
23.10.2006
Hallo!
Jetzt hab ich wieder Zeit, dir zu schreiben ;-). In der letzten Zeit ging mir es nicht so gut, ich hatte den Tag nur mit Medikamenten herumgebracht, die ich nicht einmal verschrieben bekam, das wird irgendwann einmal in einer Katastrophe enden. Aber was soll’s, im Moment halte ich mich ganz gut. Das Scheißzeug hat mich wahnsinnig müde gemacht. Wie geht es dir so zur Zeit?
Schöne Bilder hast du mir da geschickt. Afrika ist ein toller Kontinent. Bob Marley ist dort begraben, hat mir einmal jemand gesagt. Ich habe sogar einen Bekannten, der war schon mal 3 Monate in Afrika, der hat dort wirklich ewig Urlaub gemacht. Mein Lieblingsland ist Russland, ich möchte dort unbedingt hin, mir die Leute ansehen, die ganzen großen Städte wie Moskau, Minsk und Sankt Petersburg. Aber am besten von allen gefällt mir Moskau, das hat einfach eine Ausstrahlung, es ist eine Stadt von Welt mit roten Flecken auf der Stirn, in der jede Nacht ein Kampf beginnt. Verkokste Neureiche und die Armut um die Ecke. Anarchisten und modernste Technik, Pelzmäntel und Anzüge. In Moskau läuft alles anders als in anderen Städten. Den Kommunismus noch nicht abgelegt, Spuren sind überall und es finden sich immer wieder neue Seiten, immer wieder etwas Neues. Man sieht die U-Bahn, die Universität und den Roten Platz. Man kommt an und sie erschlägt dich, diese Stadt. Du weißt nicht, ob du überhaupt dort hinkommst, wo du hinwillst. Kurz, das muss man einfach sehen, ich will mal dort hin.
So, nun hast du mal wieder etwas von mir gehört, ich wollte dich anrufen auf dem Festnetz und immer wenn ich anrief, ging die Mailbox ran. Nun, ich war nicht in der Stimmung, etwas draufzusprechen.
Also, mach es gut und eine schöne Zeit wünsche ich dir. Ich habe noch viel zu tun mit meinen Projekten am Computer.
Ich werde mal schauen, ob ich es schaffe, dich morgen anzurufen.
Also bis dann.
Gruß Robert.
24.10.06
Hey!
Darf ich fragen, warum du Tabletten nimmst? Weil du krank bist, oder einfach so? Vielleicht kommt dir die Frage jetzt etwas komisch vor.
Du und dein Computer, das ist wohl die große Liebe – grins! Das kann ich nicht behaupten, könnte ich wahrscheinlich auch niemals. Ich hatte einmal einen Freund, der war geradezu besessen vom Internet. Er chattete fast die ganze Zeit oder unterhielt sich mit Leuten über eine Web-Cam und so weiter. Irgendwie war das ein großes Problem, er wollte nur noch in dieser Welt leben, die ich leider bis heute nicht ganz verstehe und ging dann auch „zum Scherz“ einige Internet-Beziehungen ein, die er angeblich zwar nicht ernst nahm, aber du kannst dir vielleicht vorstellen, dass ich das weniger gut fand. Wenn wir telefonierten, konnte er nicht von seiner Tastatur ablassen und irgendwann sprach ich ihn darauf an, ob wir nicht mal ganz normal miteinander reden können. Seine Reaktion war völlige Verständnislosigkeit und ein bisschen Enttäuschung.
Ehrlich gesagt, habe ich gedacht, dass du mich am Freitag anrufst und irgendwie kam nichts. Außerdem sagtest du, dass du mich am Samstag besuchen wolltest und deshalb habe ich auch meiner Freundin extra abgesagt, da wir beide ursprünglich etwas unternehmen wollten, aber dann kam gar nichts mehr von dir und ich wunderte mich sehr. Irgendwann am Nachmittag hast du dann angerufen, zu dem Zeitpunkt war aber eine Bekannte von uns da und ich war mit ihrem Hund schnell Gassi und später warst du nicht mehr zu erreichen. Ich war etwas enttäuscht, weil ich sonst einfach weggegangen wäre und so habe ich darauf gewartet, dass irgendetwas passiert. War wohl nichts. Tja und dieses Wochenende kann ich nicht mit dir ins M., weil meine Ma und ich auf ein Jazz-Konzert gehen.
Ich habe noch ein paar Fragen an dich, aber die sind etwas direkt, hoffe du findest sie nicht allzu persönlich. Ok, ich wollte dich fragen, ob du eigentlich kiffst oder harte Drogen nimmst oder vielleicht Alkohol trinkst oder solche Dinge. Und dann, jetzt kommt die normalere Frage, wann du eigentlich Geburtstag hast.
Das war es jetzt eigentlich schon. Ich hätte noch ein Gedicht für dich, das ich dieses Jahr geschrieben habe. Das über Johannesburg, das war kein wirkliches Gedicht, es ist schon fast vier Jahre her, dass ich das schrieb. Ich denke, dass dieses wohl am ausdrucksstärksten ist. Ich schrieb es über jemanden, den ich sehr, sehr geliebt habe und wo dann nur leider meine Träume zerplatzt sind. Beurteile es ruhig, das würde mich interessieren und auch, was du daraus interpretieren kannst.
(Gedicht vom 20.06.–19.07.06)
So Jana,
kommen wir nun einmal zu meiner eigentlichen E-Mail.
Wie gesagt, ich mag deine Gedichte, sie strahlen auch irgendwie das aus, was ich an dir kennen gelernt habe. So schön und faszinierend, du standest vor mir und du warst halt ein Bild, das sich nicht verliert in der Flut der Bilder. Eine Art Jägerin der Nacht, die zu früh nach Hause geht. Aber vielleicht auch keine Jägerin, sondern eine Suchende, die etwas sucht, wie jeder von uns. Ich habe auch gemerkt, dass du ebenfalls ein bisschen ein Freak bist, das muss natürlich nicht sein, aber es kann sein, in einer gewissen Art ist es sowieso jeder. Was bedeutet schon Freak, die richtige Bedeutung vergessen viele. Es ist ein Mensch, der sich intensiv mit etwas beschäftigt und danach richtet sich eben sein Leben. Es ist keine Modeerscheinung, dass man ein Freak ist, man ist es einfach, es hat auch seine schönen Seiten. Man muss sie nur sehen. Aber da tun sich viele Leute schwer. Du hast auf bei mir wirklich tiefgreifenden Eindruck hinterlassen. Ich fand dein Gesicht schön und irgendwie auch so, wie du dort einfach warst. Das ist komisch zu beschreiben. Sagen wir es einmal so:
Wann trifft man schon um 12 Uhr am N. M. in K. auf solche Leute. Ich habe damals gefragt, ob da noch ein Bus fährt. Die Begegnung war kurz und ich dachte, ich werde sie nie wieder sehen, oder mich nie wieder trauen, sie anzureden, falls ich sie mal wieder sehe. Aber du hast mich wiedererkannt am Bahnhof, als mein Zug kam. Ich dachte, ich muss sie wiedersehen. War schon irgendwie nett, so eine Art von Smalltalk gibt es selten, bei ihr steckt sicherlich noch mehr dahinter, als ein schönes Grinsen im Gesicht und dass du auch noch gut schreibst, gefällt mir.
Ich dachte auf der Zugfahrt nach Hause daran, dass wir ja fast nebeneinander saßen und ich dich damals nach Feuer gefragt habe, du hast daraufhin irgendetwas gesagt. Es hat mir gefallen, wie du darauf geantwortet hast. Du bist bestimmt in manchen Dingen kein verschlossener Mensch, aber es gibt ziemlich viel, was dich belastet. Du wurdest sicherlich auch des Öfteren mal sitzen gelassen? Es ist auch schwer, dich einzuordnen, gerade solche Leute mag ich besonders gern, da sie immer irgendetwas haben, was sie so wertvoll macht. Wenn sie weg sind ist es ruhiger, aber wenn sie da sind, merkt man sie nicht, oder sie sind nach einer Zeit einfach nervig, aber wehe sie fehlen, dann ist es ein trauriger Moment, aber ich denk nicht, das du nervig bist und das ich dich nicht bemerken würde.
So etwas wie dich, das kann man nicht wirklich einfach so links liegen lassen.
Außer, wenn es mir mal so richtig schrecklich geht, auch wenn du es mir angeboten hast, ich kann es einfach im Moment nicht, da ich dich noch nicht wirklich kenne. Dazu muss ich Lena live erleben ;-).
Schreibe weiter solche schöne Gedichte, du kannst mit der Sprache umgehen. Wenn ich es mit Programmiersprachen vergleichen würde, schreibst du in Java und ich in C. Das tolle aber an der ganzen Geschichte, die Sprache, die wir sprechen, versteht einander. Du schreibst leidenschaftlich und ich funktional, es macht ja auch nichts, natürlich kann man funktional auch Liebe ausdrücken und andere Dinge, aber du hast Leidenschaft dahinter. Ich habe nur das Ziel, meine Gedanken in Worte zu fassen.
PS.:
Ich hätte noch einen Vorschlag für dich, was hältst du davon, wenn wir uns am Donnerstag oder am Freitag einmal treffen, sofern das Wetter mitspielt? Das wäre doch auch eine gute Idee. So, nun sag mir bitte nochmal, wann in dich telefonisch erreichen kann, das wäre noch sehr nett, wenn du mir das sagen könntest, da ich auch wirklich bemüht bin, dich zu kontaktieren. Ich komme nur in der letzten Zeit so spät nach Hause. Ich werde dir morgen einmal eine E-Mail schreiben, in der drinsteht, warum es mir so schlecht ging.
25.10.2006
Hi du!
Sorry noch mal deswegen, ich hatte einfach eine Phase, in der ich mich selbst niedergemacht habe. Ich war nicht in der Lage, dir irgendetwas mitzuteilen, es ging alles nur Stück für Stück. Außerdem hatte ich so ein Gefühl, dass ich dich nicht nerven sollte. Aber weißt du was, am Donnerstag kann ich dich besuchen kommen, aber dazu später mehr.
Ich beantworte dir nun mal die Fragen, weil ich dir gegenüber einiges klarzustellen habe.
Zu den Tabletten. Nun, es ging mir an den Tagen nicht wirklich gut, krank bin ich ja eigentlich schon. Ich schätze mich zur Zeit mitteldepressiv ein. Es kommt noch ein ganzer Haufen mehr hinzu, sodass ich schon panisch auf manche Situationen reagiere. Da sind viele Ängste dahinter verborgen. Es geht aber im Moment wieder. Ich habe keine mehr genommen, seit Sonntag. Eigentlich von Donnerstag bis Samstag. Ich habe mir Tetrazepam eingeworfen, das ist gut gegen Wirbelsäulen-Krankheiten, aber es ist auch ein Beruhigungsmittel und vor allem schnell verfügbar. Mir gefällt der Zustand durch die Medikamente nicht, ich hasse sie sogar. Ich merke Veränderungen schnell, meistens bringen solche Medikamente nichts Gutes, außer einen klaren Kopf, man muss sich dann aber auch wieder zusammenreißen, dass man die Nebenwirkungen kaschiert. Das ist echt ein elendig langer Ratenschwanz, der sich da hinzieht.
Aber glaub mir, ich habe das unter Kontrolle, da ich nur in absoluten Notlagen darauf zurückgreife. Nun ja, 100-prozentig kann man sich nie sicher sein.
Hm, meine Computer sind eine Welt für sich, aber ich lass diese Welt mal Welt sein. Es gibt Leute, die wollen etwas erschaffen, so wie ich und dann gibt es Leute, die verstecken sich hinter der virtuellen Maske. Sprich, sie sitzen hinter dem Bildschirm und texten mit anderen Leuten. Bei mir ist es beides. Ich sehe im Netz wie auch im real life Netze. Freundeskreise sind Subnetze und im Internet sieht man es deutlich. Das ist alles ein bisschen philosophischer zu verstehen, kennst du das Glasperlenspiel von Hermann Hesse? Das Internet ist so eine Art, nicht das Oberflächliche, sondern das, was ich Nacht für Nacht erlebe. Man trifft sich ab und an mit I-net-Bekanntschaften. Bei mir ist es aber seltener der Fall, sie arbeiten mit mir meistens an Projekten oder wir unterhalten uns.
Zu Freitag.Ja, das war so die Reaktion, wie ich oben schon erwähnt hatte. Ich kam Samstags erst irgendwann in der Früh um 4 Uhr zur Ruhe und ich konnte auch nicht mehr, ich war vom Freitag noch richtig down. Ich habe es ab und an probiert bei dir. Es tut mir auch sehr, sehr leid. Aber was hätte ich dir sagen sollen? Willst du mit einem Haufen Trauer kommunizieren? Du musst auch selbst aufpassen, dass ich dich nicht runterziehe, da du ja irgendwie an mir hängst.
Kiffen tu ich nicht und Drogen nehme ich keine, ich trinke auch keinen Alkohol. Ab und an trink ich etwas. Aber so richtig prall war ich eigentlich schon lang nicht mehr. Habe auch gar nicht die Lust dazu. Gekifft habe ich mal einige Zeit lang, aber das ist für mich einfach nichts, ich mag diesen Zustand auf Dauer nicht. Er bringt dich zwar zum Nachdenken, aber er bringt dich nicht wirklich runter oder etwas anderes. Nichts. Ab und an den Kick, ja toll. Wozu hat man denn Computer?
Also ich bin 1,78 m groß, wiege 67 Kilo, habe blau-grüne Augen, dunkle Haare, habe am 17.09.Geburtstag und bin jetzt 21. Mein Lieblingsessen: alles was schnell geht. Was ich gerade am liebsten höre: David Bowie.
Und sonst fällt mir gerade nichts mehr ein.
Gruß Robert.
31.10.2006
Hey you!
Na, alles klar bei dir? Bist du einigermaßen gut nach Hause gekommen?
Tja, da du dich bisher noch nicht gemeldet hast, melde ich mich jetzt einfach. Vielleicht wartest du ja sogar, bis ich ein Zeichen von mir gebe, ich weiß es nicht.
Ich wollte dir sagen, dass ich das, was am Freitag war, nicht bereue, oder es mir im Nachhinein nicht mehr passt. Ich hätte mir vielleicht nicht gleich bei unserer ersten Verabredung die Kante geben sollen und falls ich dich arg angefallen haben sollte, dann tut mir das leid, wollte dich ja nicht bedrängen ;-) – obwohl, doch wollte ich – grins.
Ich kann mich auch noch an alles erinnern, über was wir geredet haben und so weiter und ich war eigentlich irgendwie glücklich darüber. Am nächsten Tag hatte ich dann endlich einmal einen richtigen Kater. Na, ja, war sehr unangenehm, aber egal.
Momentan bin ich ziemlich krank. Mir geht es richtig schlecht. Ich nehme alle möglichen Tropfen und Tabletten und es ist wirklich schlimm. Meine Nase läuft die ganze Zeit, gestern konnte ich kaum noch schlucken, alles hat sich angefühlt wie Stacheldraht in meinem Mund und irgendwann konnte ich auch nicht mehr reden, aber ich bin trotzdem mit der Mama nach M. zu dem George-Michael-Konzert gefahren. Das war wirklich der Hammer, die Show war so schön und die Stimmung war wahnsinnig toll, sodass ich teilweise Gänsehaut bekommen habe. Einen Tag davor war ich in einem Zug unterwegs und das war derart schrecklich, erst haben sie die Heizung so hoch geschaltet, dass man fast einen Hitzeschlag bekommen hätte, dann haben sie wieder die Lüftung hochgedreht, sodass man Zug bekommen hat und zum Schluss hatten die anscheinend Probleme mit ihrer Kohle, mit der sie zwei Wagons geheizt haben und alles war verraucht stickig. Das Essen war auch nichts und die Stimmung war richtig grauenhaft. Daher bin ich jetzt auch krank geworden.
Das Jazz-Konzert war auch ein Reinfall. Die Band war todlangweilig, die Klänge und Töne waren so schief und schlecht gespielt, dass einige in der ersten Pause gegangen sind, wie auch meine Ma und ich. Na ja, aber das George-Michael-Konzert war wirklich richtig schön, leider habe ich das dann im Medikamentendelirium bestaunen können.
Soviel dazu. Ich fand das am Freitag richtig lustig und schön. Ich hoffe, dass du jetzt nicht einen schlechten Eindruck von mir hast. Ich habe mir ziemlich viele Gedanken darüber gemacht, vor allem, weil ich nichts mehr von dir gehört habe. Ich weiß nicht, was du jetzt darüber denkst, oder wie du es empfunden hast und vor allem, wie jetzt deine Gefühle mir gegenüber sind. Jetzt weißt du aber, was ich denke und dass ich dich wirklich sehr gerne mag, denke ich.
Bye, bye, Bussi,
Lena!
Hi Lena!
Also zuerst einmal ein Dankeschön dafür, dass du es noch nicht aufgegeben hast :-) und es freut mich, dass du mir schreibst. Es ging in der letzten Zeit nicht wirklich viel bei mir, was Computer anging. Das Grundproblem war, dass ich keinen hatte. Ich habe ab und an probiert, dich anzurufen. Nur leider immer dann, wenn du nicht zu Hause warst. Ich bin einfach in der letzten Zeit extrem ruhig geworden, aber war auf der anderen Seite dann wieder so aufgedreht. Ich mache, wie ich es dir schon gesagt habe, Party für drei Personen. Das ging auch sehr, sehr gut und zwar nicht irgendwie, sondern zum Teil auch alleine. Auf Jonnys Dachboden blieb ich von Freitag bis heute, Mittwoch. Jonny selbst hat kein Internet mehr und ich dachte, ich muss mal weg von diesem blöden Kasten, es bringt auf Dauer auch nichts.
Aber wirklich gedacht habe ich die ganze Zeit nur an dich. Mit einer Flasche Wein, den selben, den wir auf der Parkbank tranken, nahm ich auch zu mir, als ich mich verabschiedete in das Land der Träume und der positiven Gedanken. Ich war an diesem Tag besonders gut drauf. Wieso auch nicht, ich gab mir also noch die letzte Portion Freude. Nach so langer Zeit bist du echt ein Lichtblick und ich bereue es, dass ich mich nicht gemeldet habe. Ich hoffe, dass du nicht durch die ganzen Gedanken an mich durchgedreht bist.
Irgendwann kam ein Kumpel zu mir und sah mich mit dem Wein und er fing spontan an, mit seiner Gitarre zu spielen, sang einen halben Lovesong von den Ärzten und dann fing er auch schon an, über mich zu singen. „Sie liefen sich Hand in Hand die Füße platt, bei Roberts Aussehen waren die Leute platt.“ Oder, das war auch ganz nett, er wusste nicht, wo B. war, so erzählte ich ihm, wie ich es eben so kannte und machte dann daraus: „Zwischen Kalk und Geld, fand Robi die liebste Frau der Welt!“ Ich hatte es auf Tonband, nur leider ist mir die Kassette verloren gegangen :-( .
Schon verrückt, was alles so abgeht. Dein Jazzkonzert war nicht wirklich berauschend, sagtest du mir, ich hatte mit meinen Jungs eine geile Zeit. Ich bekam ein Konzert an mein Bett geliefert und es war wirklich toll.
Und zu dem Freitag, ich brauchte irgendetwas, sodass der Funken zu dir überspringen konnte. Ich hab es dir ja gesagt, du bist einfach zu „edel“ dafür, dass man dich abfüllt und dann nur einfach so rummacht. Es muss irgendetwas überzeugen, um sich mit dir auf so etwas einzulassen. Alles andere wäre unter deiner Würde. Aber du hast es geschafft und zwar sehr gut :-). Ich denk eine Ewigkeit an dich und an deinen österreichischen Dialekt, den du so vom Stapel gelassen hast. Es stimmte mich alles ein bisschen fröhlicher und zugleich auch gelassener und das nicht, weil ich besoffen war ; ). Es war einfach ein schöner Tag. Da du auch wirklich schöne Augen hast, wollte ich dir noch ein Lied dazu schicken. So, nun aber wünsche ich dir eine gute Besserung. Falls du Lust hast, kannst du hier weiterlesen.
Ich habe dich auch sehr, sehr gerne und ich hoffe, dass es dir bald wieder besser geht. Das ist mir wichtig.
Ein Bussi von mir und ich hab dich ganz doll lieb.
Grüße, Robi.
Ich wollte dir schon seit einer Ewigkeit schreiben, aber beim Jonny, bei dem ich seit Freitag wohne, wurde das Internet abgedreht. Ich wollte dir schon viel früher schreiben, aber es ging nicht. Ich versuchte, bei einem Kumpel eine E-Mail zu schreiben, die einigermaßen Sinn ergeben sollte, doch daraus wurde auch nichts, da der „Depp“ mir ständig irgendwas zeigen wollte. Die anderen wollten die ganze Zeit chatten. Hey, das ist doch mal gut! Weg von diesen Blechdeppen, rein ins blühende Leben, dachte ich mir. Mir fehlte anfangs etwas, aber nach längerer Zeit, es war dann schon Sonntag, dachte ich mir, wenn ich es schon so lang schaffe, werde ich es auch bis Mittwoch schaffen. Ich bin eigentlich nicht computersüchtig, aber irgendwie hänge ich dann schon an diesem doofen Teil.
Aber nun zu dem nach Hause kommen. Ich bin sehr gut und vor allem zügig nach Hause gekommen. War dann noch in S. beim Mc. Doof, da ich irgendwie Hunger verspürte. Ich aß etwas und machte mich dann weiter auf die Reise nach K. Ich legte einen Zwischenstopp bei der Firma Jonny ein, bei dem ich auch wirklich gut gelaunt einschlief. Ich dachte an den darauf folgenden Tagen sehr, sehr oft und gerne an dich. Es war eigentlich nicht problematisch, mich auf dich einzulassen. Nur sagte ich dir von Anfang an, dass du zu schade bist dafür, nur mit dir rumzumachen. Ich brauchte an dem Tag etwas, was bei mir den Funken überspringen ließ, dass ich es dir glauben konnte, dass ich aktiv werden konnte, dass wirklich etwas da ist. Nicht nur durch den Alk.
Es gibt Leute, die man verarschen kann und dies auch macht, aber du bist ein Mensch, den man auf gar keinen Fall verarschen sollte, und ich tat dies auch nicht und hatte es auch nicht vor. Ich machte mir auch schon regelrecht Vorwürfe, dass ich dir nicht geschrieben habe. Ich habe dich aber auch ab und an probiert anzurufen. Ohne Erfolg, nun ja.
Aber irgendwie wurde alles immer interessanter, ich dachte an dich und trank Wein, den selben, den wir auf der Parkbank getrunken hatten! Zufall?
Am Samstag nach der ganzen Arbeit lag ich auf Matratzen, die noch auf dem Dachboden waren, denn die Betten wurden ja schon demontiert. So lag ich also da, neben mir ein Riesenweinglas, in das man eine ganze Flasche Wein füllen kann. Ich nahm immer kleine Schlucke und dachte nach. Ich kam zu dem Entschluss, dass Denken eigentlich in dieser Situation nichts bringt, aber wenigstens glücklich macht. Und so war das auch, ich schwebte so dahin, ich nahm noch Musik mit, Art Garfunkel, Bright Eyes. Ich hörte mir diese und andere Schnulzen nicht ohne Grund an. Als ich mal zu den anderen runterging, saßen ein paar Leute vor dem Lagerfeuer. Maus spielte Gitarre und Sarah sang. Als sie mich sah, umarmte sie mich gleich. Ich merkte, dass ich sie zwar umarmte, aber das war dann auch schon alles. Irgendwann sagte sie, dass ich schmusebedürftig sei. Jonny sagte dann etwas, das irgendwie so klang: „Der ist doch voll auf Teile, der ist nur noch auf Liebe aus!“ Maus kam dann und sagte „Nee, der Robi, war in ähh, wo warst du schon wieder? Ah, in W. jemanden kennen gelernt.“
Sarah: „Ach wie süß, erzähl mehr!“ Ich erzählte nicht mehr, denn ich war eh voll drauf durch den Wein und durch die Glücksgefühle.
Gut, der Sonntag begann bei mir so, wie dein Samstag anfing. Mit einem Kater. Maus sang ein Lied über W., weil ich über W. philosophiert habe. Irgendwann fing er dann so an: „Das Geld war knapp, doch Robi war da. Zwischen Kalk und Geld fand Robi die liebste Frau der Welt.“ Irgendwie kann er das, was ich denke, sehr gut nachfühlen.
Es war schon wieder Montag, aber ein Joint am Morgen und der Tag ist dein Freund. Ich dachte mir noch, Daniel braucht keine Joints, er kann sein Leben auch so leben, aber Daniel kifft sehr gerne, das ist so eine Art Hobby von ihm. Da ich aber nicht wirklich Bock hatte zu kiffen, dachte ich mir, nehme ich kleine Züge, dann passt das wieder. Wer zu Jonny geht, der ist eh so fertig, dass er es auch noch schafft, morgens einen Joint zu rauchen. Der Tag war dann allerdings alles andere als mein Freund. Ich dachte zu intensiv nach und die Gedanken gingen vom Positiven ins Negative, von einem Moment in den anderen. Deshalb lasst doch alle am frühen Morgen das Kiffen sein. Das macht man am Abend, auf einer Matratze mit einer Flasche Wein an der Seite.
01.11.2006
Hey du Freak,
süß, was du geschrieben hast. Aber du sollst nicht kiffen. Bitte, ich mach mir richtig Sorgen um dich und habe Angst, dass du abstürzt oder abhängig wirst und sonst was. Vielleicht denkst du, dass meine Reaktion jetzt übertrieben ist, aber ich mache mir nun einmal Gedanken. Lass dich nicht gehen und nimm bitte keine Drogen, bitte. Mir liegt einiges an dir und ich möchte nicht, dass du so was machst. Schön, dass es dir gut ging oder geht und dass du glücklich bist, das freut mich und danke auch für die vielen Links. Der eine war aber ziemlich brutal und irgendwie ekelhaft, aber ok, wer es lustig findet.
Ach, was soll ich sagen, ich mache mir halt Sorgen um dich, dass du irgendwas machst und dann im Krankenhaus landest oder so etwas. Ich will einfach, dass du ok bist, weißt du, dass du im Leben voll und ganz drin bist und unter keinen Umständen versinkst oder eingehst, dafür bist du einfach zu schade. Genau so, wie du meintest, dass ich zu schade wäre, mich zu betrinken, so bist du viel zu schade, um dir deine Gehirnzellen durch irgendwas zu zerstören oder Schaden zu nehmen oder sogar irgendwo reinzugeraten, wo du nicht mehr herauskommst.
Momentan geht’s mir wieder besser, aber ich habe recht viel Arbeit vor mir. Es ist ziemlich blöd, wenn man krank ist und einfach nichts tun kann. Ich fühle mich dann immer recht leer und unnütz.
Vielleicht schicke ich dir gleich noch ein paar Bilder.
Ok, ich hab dich auch sehr, sehr lieb und finde, dass du eine schöne Persönlichkeit hast, vielleicht habe ich das schon einmal geschrieben, egal, dann schreibe ich es eben noch mal. Ich hoffe, dass ich dich irgendwie erheitern kann, sodass du ganz viel Kraft gewinnst.
Bye, bye,
Lena!
Hello again,
so, ich habe selbst festgestellt, dass ich nicht kiffen soll, ich werde es auch lassen und du machst dir wirklich Sorgen um mich, ich verstehe es. Ich kann es ja auch nicht sehen, wenn der Daniel kifft, es macht mir auch Sorgen und das Ganze ist wahrscheinlich nur eine Art Ablenkung. Wir müssen alle mal wieder zurück auf den Boden kommen. Ich habe immerhin noch 40 Jahre vor mir und die möchte ich sinnvoll überstehen, keine Sucht und keine anderen Dinge, die mich runterziehen. Ich will einfach von allem loskommen. Ich arbeite gerade an mir selbst und an dem Drumherum, aber erst einmal musste ich mich frei machen und noch durchhalten.
In der letzten Woche habe ich wieder alles erlebt. Es war ein Crashkurs, der „Leben“ hieß. Wenn ich eine Kamera in die Firma gestellt und alles gefilmt hätte, wäre das bestimmt auf Interesse gestoßen. Ein total am Boden zerstörter Unternehmer, dessen Sohn mit 24 Jahren gestorben ist und seitdem säuft er, um das zu überstehen. Er muss trotz all dem funktionieren. Ein 24-jähriger Meister, der seine Firma gerade aufgab und im Stress ist, ein armer Mensch. Ein Lehrling, der seine letzten Tage in der Firma verbrachte. Ein 16-Jähriger, der noch nicht weiß, wo er steht und Liebeskummer hat. Ein 21-Jähriger, der diese Woche die Wahl hatte zwischen Trübsal oder Liebe. Er entschloss sich für die Liebe. Ein 54-Jähriger, der ein gut gehendes Geschäft hatte und durch die falschen Leute in den Ruin getrieben wurde. Seitdem wohnt er bei Jonny und hat mit ihm gearbeitet, trank ziemlich viel. Toni, 40, mit Multipler Sklerose, der vor ca. einem Jahr seine Firma verkaufte und seitdem im Norden lebt und irgendwie sein Leben leben kann, fährt mit seinem Auto über die Autobahn und zieht sich einen Joint rein. Er sagte zu mir: „Der Arzt sagte mir, ich sollte nun den angenehmeren Teil beginnen und mich so langsam auf einen Rollstuhl einstellen.“
Wir könnten es auch so machen, du könntest schauen, dass du nach K. kommst. Dann machen wir uns eine gemütliche Zeit und ich zeig dir mal meine Hometown. Du kannst gerne bei mir übernachten. Wenn du nicht willst, dass ich dir so viele Leute vorstelle, wie du es mir gesagt hast, werde ich es auch nicht tun. Du kannst auch so immer zu mir kommen. Da ich sowieso 24-Stunden-Betrieb hier habe, macht mir das nichts. Wir könnten es uns wirklich gemütlich machen. Wir können auch einen Film ansehen, ich könnte dich sogar am Bahnhof abholen, wenn du willst.
Wäre ich nicht so freakie, hätte ich dich nie getroffen. Ich schlag mich irgendwie durch alles durch, nur um mir mein Leben zu erhalten und es ist auch wahnsinnig schwer, aber irgendwie soll es ja weitergehen. Ich habe einfach soviel erlebt, das scheiße war. Man lernt es, Spaß zu haben. Du hast den Mut zur Fröhlichkeit und ich hab ihn auch langsam wieder.
Ich lass die Leute kiffen, aber ich werde mich nicht extrem reinsteigern.
Dir selbst geht es aber gerade auch nicht so gut, oder? Wir sind einfach um uns selbst so besorgt und es bringt im Prinzip nichts. Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden.
Ich denk natürlich gerne an dich.
In diesem Sinne schließen wir das Ganze mal ab.
Ich schreibe dir morgen wieder. Machs gut, ich hab dich lieb von ganzem Herzen.
Bis dann,
Gruß und Bussi,
Robi.
02.11.2006
Hey, you whiz-kid!
Na, wie geht’s dir so? Ich bin immer noch krank. Aber es geht schon besser, mich hat es wieder einmal richtig heftig erwischt, aber solange ich nicht halb am Abkratzen bin, ist es noch erträglich. Ich kann auch nicht am Wochenende zu dir kommen. Du bist lustig. Erstens würde es meine Ma nie und nimmer erlauben, was ich auch nachvollziehen kann und zweitens bin ich gesundheitlich nicht gerade stabil und drittens habe ich noch sehr, sehr viel zu tun. Nächste Woche beginnt wieder die Schule und ich muss dann fit sein und das ist sehr wichtig. Ich freue mich richtig darauf, irgendwie vermisse ich meine Leute dort, wir machen immer sehr viel Quatsch und haben echt viel Spaß. Alles ist locker und harmonisch, das gefällt mir richtig und passt in meinen neuen Lebensplan hinein. Ich habe mich in meinem Leben oft zusammenreißen müssen und alles war immer verdammt anstrengend, ich habe immer versucht, meiner Ma zu helfen, ich habe alle möglichen Mühen auf mich genommen, damit der Horror bei uns einmal ein Ende findet, aber ich bin oft gegen ein kalte, harte Mauer gelaufen und lag wieder am Boden. Aber letztendlich hat es viel gebracht, sehr viel und es hat wahrhaft weitergeholfen und das tut es immer noch. Im Nachhinein bin ich schon stolz auf mich, jetzt endlich kommt dieses Gefühl, denn früher – dieses Früher ist noch nicht sooo lange her – hatte ich das nicht, im Gegenteil. Alles drehte sich, nahm kein Ende, wurde schlimmer und schlimmer und ich stand sehr oft vor einem tiefen, schwarzen Abgrund und ich dachte mir, dass der Tod wohl wesentlich angenehmer sein muss, als das Leben, dass es schlimmer praktisch gar nicht mehr geht. In ein „normales“ und „geregeltes“ Leben zu finden, das ist oft undenkbar für mich gewesen und natürlich habe ich jetzt auch noch schlimme Phasen, in denen alles sehr zäh läuft und wir wieder Probleme mit meinem Vater haben, aber es ist viel, viel besser geworden. Ich glaube, wenn ich irgendwann aufgegeben hätte, wenn ich nichts mehr hätte erreichen wollen, wenn meine Hoffnung richtig erloschen wäre, dann wäre ich jetzt nicht hier und meine Ma wahrscheinlich auch nicht. Ich habe sie gerne beschützt und tue das auch immer noch. Es ist nicht meine Aufgabe, das sagen zumindest alle, aber ich liebe sie und ihr Leben ist mit meinem sehr stark verbunden, warum sollte ich sie denn nicht stützen wollen? Tja, oft kann ich das nicht, weil ich eben die Tochter bin und nicht ein Partner, aber ich glaube dennoch, dass ich ihr geholfen habe, einfach weil ich nicht aufgegeben habe und immer hinter ihr stand und sie sich immer auf mich hat verlassen können.
Tja, dann bis bald,
bye, bye,
hab dich lieb!
Ganz, ganz liebes Bussi!
05.11.2006
Hey,
na, alles klar bei dir? Wie war dein Wochenende? Hast du meine SMS bekommen? Es wäre schön, wenn du am Freitag kommen könntest. Du könntest mich dann direkt in K. vom Bahnhof abholen, ich komme um 14:30 Uhr an und danach entführe ich dich dann …!
Ich bin eigentlich ganz froh, dass ich dich kennen gelernt habe. Mich hat deine erste E Mail nach dem Freitag im Park sehr gefreut, dass du an mich gedacht und schnulzige Lieder gehört hast. Das war wirklich schön zu lesen. Es tut mir leid, dass ich am Anfang unseres Telefonats nicht so viel gesagt habe, ich weiß auch nicht, was mit mir los war. Ich war nicht schlecht gelaunt oder traurig, aber mir ist plötzlich nichts eingefallen und es war einfach seltsam. Aber das lag nicht an dir, das wollte ich dir noch sagen.
Nun, ich bin eben ein sehr komplizierter Mensch, aber so kompliziert dann doch wieder nicht, aber ziemlich empfindlich und ich mache mir über alles Gedenken, sehr viele Gedanken. Vor allem, wenn es um Beziehungen geht. Ich habe Angst vor Beziehungen, ich erwarte immer sehr viel und möchte, dass alles perfekt läuft. Es war bei mir leider der Fall, dass ich damals sehr, sehr viele Probleme hatte und mein Leben viel schwerer war als momentan und dann verliebte ich mich in jemanden und er sich noch viel mehr in mich. Es war schon von Anfang an nicht gut, es gab nur Probleme, Probleme und nochmals Probleme und ich wollte oft Schluss machen, doch wie ich dir schon erzählt habe, ging es trotzdem immer wieder von vorne los. Er wollte sich bessern und sich ändern, doch natürlich geschah nichts davon. Es war einerseits schon eine schöne Zeit, aber im Nachhinein bin ich froh, dass es auseinandergegangen ist und ich habe mir oft Vorwürfe gemacht, wie blöd ich eigentlich war und mir auch noch das angetan habe, obwohl ich schon so genug um die Ohren hatte. Was ich sagen will ist, dass ich sehr ängstlich geworden bin und nach meiner letzen Beziehung noch ängstlicher. Manchmal tue oder sage ich vielleicht sogar Dinge, die eher etwas reservierter und abweisend rüberkommen. Ich mache das nicht, weil ich so bin oder jemanden verletzen will, sondern aus Schutz. Es ist so in mir drin, ich bin so geprägt, dass ich auf manche Situationen etwas zurückhaltend reagieren könnte oder wie ich schon sagte, abweisend sein kann. Mit mir muss man einfach vorsichtig umgehen und wenn ich merke, dass sich jemand Mühe gibt und mich vor allem respektiert und mich achtet, dann ist alles okay. Ich habe einfach Angst, mich fallen zu lassen und dann wieder richtig hinzufallen, verstehst du. Ich wollte dir das alles persönlich sagen, damit du weißt, wie ich es meine, aber ich glaube, dass ich es viel leichter und besser schreiben kann. Ich wollte dir das schreiben, weil ich dich so gerne mag und von vorneherein nicht will, dass es Missverständnisse oder Probleme gibt.
Das war es jetzt eigentlich auch schon.
Bis bald und Bussi,
Lena!
Hi Lena!
Es ist nicht wirklich schlimm, dass du am Telefon irgendwie etwas komisch reagiert hast. Ich will dich auch nicht mehr so mit diesem ganzen Computermist hier zulabern, du bist immerhin ein Mensch, der das nicht kennt und auch nicht unbedingt will. Deshalb beschäftige ich mich nun mit humanen Sprachen anstatt mit Scriptsprachen ;-). Ja, ich könnte dich auf jeden Fall in K. am Bahnhof abholen. Ich lasse mich mal überraschen. Und ich möchte auch sagen, dass du mir sehr viel bedeutest und ich auch versuche, auf dich Rücksicht zu nehmen, du brauchst das ja auch, es ist vollkommen verständlich. Es ist klar, dass du auch was erwartest. Ich weiß im Moment gar nicht, was ich alles erhoffen soll. Ich erwarte einfach auch, wie du, Verständnis. Mir geht es etwa so wie dir.
Es gibt schon viele Dinge, bei denen man sich leichter tut, wenn man sie schreibt.
Ich selbst bin auch ein komplizierter Weg, du musst mir auf gut Deutsch in den Arsch treten, dass sich etwas tut. Aber keine Angst, ich bin ein lieber Mensch. Wenn ich nur wüsste, wie ich dir die Angst nehmen kann, oder dir wenigsten etwas Positives beweisen könnte. Ich überlege mir was. Ich verspreche dir, dass ich mir echt Mühe gebe und auch hohe Ansprüche an mich stelle. Ich hab auch keine Lust zu fallen. Gerade nicht in solch einer Zeit.
Und im Moment habe ich Sehnsucht nach dir, wie an den anderen Tagen auch. Also, ich schreibe dir morgen wieder ;-).
Ciao, auch ein Bussi von mir,
Gruß Robi.
Brief an Susi vom 12.11.2006
Hallo Susi-Mausi!
Ich stand noch zwanzig Minuten am Bahnhof und habe auf ihn gewartet, tja, du kannst dir vorstellen, dass ich ziemlich traurig und enttäuscht war. Ich ging dann einfach zur Amelie und plötzlich klingelte mein Handy und er war dran. Das Hirn von Robi hat nämlich seinen Zug verpasst und kam daher später, aber ich habe ihm klargemacht, dass ich sehr wütend war und er hat sich wirklich entschuldigt und man hat gesehen, dass es ihm leid tat. Daher war alles wieder vergeben und vergessen. Wir waren noch bis sechs Uhr bei der Amelie und es war echt ganz lustig. Die Amelie ist total begeistert von ihm, fast schon zu begeistert, ich glaube sie findet ihn mehr als nur nett, aber darüber habe ich schon mit ihr gesprochen und es ist okay für sie und sie freut sich für mich, aber dennoch glaube ich, dass es eben nicht okay für sie ist. Jedenfalls sind wir dann mit dem letzten Bus nach Wörishofen gefahren und wieder in den Park gelaufen. In dem Pavillon war es wirklich verdammt kalt, da er ja offen ist und dann sind wir in das Teehaus gegangen, das auch im Park ist. Ein kleines Häuschen, das eigentlich nur aus Holz besteht und in der Mitte einen runden Tisch hat, der innen hohl ist, also von außen geschlossen aussieht. Wir hatten Glück, dass das noch aufhatte, da wir fast am Erfrieren waren. Wir haben dann so Quatsch gemacht und sind in dieses runde, tischartige Ding hineingekrabbelt und haben uns dort verschanzt. Glaub mir, es war eng und kalt war es immer noch. Er war so müde und ist vier Mal kurz eingeschlafen, eigentlich ganz süß, aber zugegeben etwas langweilig. Tja, geküsst haben wir uns, aber mehr ist nicht passiert. Er ist manchmal sehr aufgeregt, wenn wir zusammen sind, das ist einerseits ganz lieb, aber mich stört es etwas. Wir haben uns geküsst und plötzlich fängt er einfach an zu zittern und meint: „Wow, jetzt bin ich grade nicht mehr mitgekommen.“ Ich dachte mir dann, hmm, äh, wir haben uns „nur“ geküsst und nicht wild miteinander rumgemacht oder Schlimmeres. Aber so ist er eben. Ich glaube, er braucht einfach Zeit, er ist ziemlich sensibel und vorsichtig, auch weil er in seiner Vergangenheit sehr verletzt wurde, das kann ich ganz gut verstehen. Ich versuche ihn dann einfach zu beruhigen und ihm klarzumachen, dass er wirklich nicht ängstlich sein muss. Mir gefällt an ihm, dass er so lieb und nett ist, er kann sehr gut zuhören und versteht einen auch. Das merke ich daran, dass er immer gute Antworten gibt. Er ist auch sehr höflich und ich merke richtig, dass er sich Mühe gibt und mich sehr schätzt. Ich denke, das ist sehr gut für eine Beziehung. Um halb zehn bin ich dann nach Hause gegangen, er hat mich noch ein Stück begleitet und ist dann mit dem Zug wieder nach Hause gefahren. Am Samstag wollte er auch ins M. fahren, aber sein Kumpel konnte ihn dann nicht mehr fahren. Aber das war nicht so schlimm. Jedenfalls waren die Amelie und ich wieder im M. und es war wie immer richtig cool. Ich habe sogar einen alten Kumpel von mir getroffen, der jetzt auch richtig black geworden ist, er ist richtig gewachsen, hätte ihn fast nicht mehr erkannt. Und ein Foto habe ich auch noch für dich gemacht, wenn ich schwarz bin. Ich bringe dann morgen die Digitalkamera mit und zeig es dir. Danke für dein Bild, ist echt süß und du schaust nicht blöd, sondern einfach ganz lieb und nett. Okay, dann bis morgen,
bye, bye,
Lena!
Hab dich ganz doll lieb!
11.11. 2006
Hi Lena!
Ich sage dir, der Tag mit dir, der war wunderschön und auch irgendwie lustig. Ich habe gedacht, ich hätte es mir bei dir ganz verscherzt und dass ich eigentlich gleich wieder nach Hause fahren hätte können. Aber ich habe wirklich nach Verstand gehandelt und dachte mir, ich rufe sie an und schaue, was passiert. Gut, ich dachte dann, dass ich Trottel sehr, sehr viel Glück habe. Und als ich dich dann sah, hatte ich auch noch ein mulmiges Gefühl, aber irgendwie hat es mich gefreut, dich zu sehen, ich hab dich gleich aus der Weite erkannt. Der Besuch bei Amelie war auch sehr schön, so lernt man auch die Leute um dich herum kennen.
War es dir gestern auch so kalt? Ich bin doch irgendwie gut nach Hause gekommen. Als ich daheim war, ging ich schlafen und stand am nächsten Tag total verplant wieder auf.
Es hilft mir auch was, wenn ich mit dir unterwegs bin, ich hatte endlich mal jemanden, mit dem man einfach mal so reden kann. Du sahst auch richtig gut aus. Ich mag deinen Style und auch deine Haare. Es gibt viele Dinge, die ich an dir mag. Ein lustiger Spruch, der mir heute so einfällt, ist: „Du bist knochig!“
Ich selbst sagte dann: „Du aber auch!“ So ging das immer wieder. Irgendwann sagte ich, dass ich deine Knochen liebe. Irgendwann fing ich an zu zittern, das war dann nicht mehr ganz so toll. Komischerweise habe ich heute nichts, ich dachte, dass ich zumindest eine Erkältung hätte, aber nicht einmal das.
Und das Thema Rauchen, das mache ich in der letzten Zeit eigentlich auch immer weniger.
Es ist schon manchmal gut, wenn man ein paar Leute ein bisschen auf Distanz hält. Es heißt ja nicht, dass ich sie nicht mehr sehe, es ist nur so, dass ich meinen Kopf ein bisschen mehr frei habe. Das hilft ganz gut. Es gab mal eine Zeit, da wurde ich wütend, wenn ich Besuch bekam, aber trotzdem, sie kamen immer wieder, was auch gut ist. Mit mir muss man einiges gewohnt sein. Aber ich kann auch lieb und nett sein, was ich auch die meiste Zeit über bin.
So nun habe ich dir ein bisschen was erzählt.
Ich hab dich ganz doll lieb. Ich drück dich ganz fest.
Peace,
Robi.
19.11.2006
Hallo Lena,
irgendwie habe ich gerade das Gefühl, dass es dir nicht gut geht. Aber ich halte für dich die Stellung. Irgendwas ist gerade mit dir los. Ich wünsche dir gute Besserung, aber isoliere dich nicht ganz von der Außenwelt. Nun ja, ich kann nichts machen. Ich bin auch nicht wirklich sauer. Ich will dich zu nichts zwingen und mich dir nicht aufzwingen. Im Moment kann man halt nichts machen. Du musst auch selbst schauen, dass du „funktionierst“. Aber ich will eigentlich auch nur, dass es dir einigermaßen gut geht. Ich bin extra mit einem Psychopathen nach W. gefahren, habe von einer Telefonzelle aus telefoniert und mir auf der Rückfahrt nur was über Selbstmord und so weiter anhören dürfen. Der Otto ist echt krass drauf, ein Zeuge Jehovas, säuft grade viel und kifft viel und ist anstrengend.
Falls ich falsch liege, kannst du es mir mitteilen, aber es ist nun mal so, dass du mir was bedeutest. Ich wünsche dir noch eine gute Besserung, wie oben schon mal geschrieben und ja, ich hab dich lieb.
Gruß Robi.
20.11.2006
Hey,
ja mir geht es nicht so gut, tja die Gesundheit eben. Aber was kann ich dafür, wenn ich dich nicht mehr erreichen kann und du dein blödes Handy nicht anmachst. Die Amelie hat voll Schiss bekommen, weil du bei ihr warst und dir so Sorgen gemacht hast, obwohl ja nichts war. Und wie kannst du sagen, dass ich mich von der Außenwelt abschließe? Ich finde das nicht gerade gerecht von dir, eher verletzend. Danke, dass du für mich nach W. fährst, aber wenn du eigentlich keine Lust hast, mit dem Otto zu fahren, weil der Psycho ist, dann lass es doch einfach. Ich kenne die Leute nicht, mit denen du befreundet bist, nur den Matze und der ist, glaube ich, echt ok, aber von den anderen erzählst du immer ziemlich schräge Sachen und mir macht es ziemlich Angst, wenn du mit so Kiffern oder totalen Psychos abhängst. Wenn du das willst und du sie magst, ist das okay, aber verlange bitte nicht von mir, dass ich diese angeblich so abgedrehten Menschen kennen lerne. Manchmal bist du echt strange drauf und ich versteh dich nicht, da fragst du mich, ob ich nächstes Wochenende Zeit habe und ich sage ja. Dann sagst du direkt danach, dass wir uns sowieso erst wieder um Weihnachten herum sehen werden. Deine Welt scheint mir oft sehr sonderbar und ich weiß nicht, ob ich mich damit so locker abfinden oder mich daran gewöhnen kann.
Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, ok, immer wenn wir mal zusammen sind, dann spüre ich, dass du richtig heftig Angst hast. Ich dachte immer, ich bin diejenige, die sich vor irgendetwas eher scheut, aber es scheint wohl nicht so zu sein. Die Angst kann ich dir nicht nehmen, aber es ist ganz schön heftig, wenn ich dich küsse und du dann anfängst, richtig krass zu zittern, so etwas kenne ich nicht und ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll oder was ich denken soll, es ist einfach seltsam. Es kommt mir so merkwürdig vor, als ob du das eigentlich nicht wollen würdest und wie gesagt einfach nur Angst hast und vor lauter Angst nicht du selbst sein kannst. Mir liegt auch viel an dir, aber ich kann dich nicht retten, du musst dich selbst retten oder aufpäppeln, wenn du es willst.
Bye,
Lena!
Hi!
Schwierige Sache mit diesen Psychos, Fakt ist, sie machen einen total verrückt. Nun bin ich wieder in der Lage, dass ich mich fange. Otto wollte dich auch nicht sehen. Er hätte sich im Hintergrund gehalten, das Problem mit Otto ist, dass man ihn nicht einschätzen kann. Er trank dann mit ein paar Typen noch das ein oder andere Wässerchen, was auch in diesem Moment kein Problem darstellen sollte. Nach einer Zeit hatte ich das Problem, ihn nach Haus zu bringen, da er total blau war. Gut, das Chaos war perfekt, irgendwann fing er an, nur noch über Selbstmord zu reden. Am nächsten Morgen weckte er mich um 9 Uhr auf. Wir gingen ein wenig spazieren, zur Tankstelle und so. Er machte weiter, wo er angefangen hatte. Jetzt kommt der Punkt. Ich habe der Amelie keine Angst machen wollen, war alles ein wenig krass, stimmt schon. Das ganze halbe Jahr war nur ein Überlebenskampf.
Ja, meine Welt ist im Moment total krass und es macht mich in der Tat ein bisschen fertig. Vor dir habe ich natürlich keine Angst, ich fang gerade wieder an zu leben, weißt du.
Das ist die Umbauphase. Es ist alles so eine Art Netzwerk, Freunde, Freizeit, etc., auf ein Netzwerk. Jeder kleine Stoß bewirkt irgendetwas, das daraufhin das nächste Chaos auslöst.
Wirklich krass war es, als ich alle Chaoten rausgeschmissen hatte. Daraufhin merkte ich, wie groß und wie leer doch die Zimmer hier im Haus sein können.
Ich hatte früher zum Teil 3 Jobs. Meine letzte Freundin hat soviel Geld gekostet, dass ich selbst im Urlaub gearbeitet habe. Es hat Spaß gemacht, aber es blieb nicht wirklich viel.
Ich möchte einfach leben und auch Spaß haben. Manche Dinge erscheinen wirr, die ich so mache, aber sie dienen dazu, ein paar Projekte wenigstens auf dem Nullpunkt weiterzuführen, wenn es auch nur auf der untersten Ebene weiter ging, aber es ging weiter.
Nun kommt wieder alles so langsam hoch. Man kann fast sagen, Phönix steigt aus der Asche.
Falls du was Konkretes wissen willst, der Stefan und ich planen für den nächsten Sommer mit der „portierbaren Netzwerk Lösung“ eine Lan-Party und es wird ein „Open Kino“ geben, nicht nur Kino, auch Lesungen, mit ausschließlich freiem Material. Hoffentlich kann man dann mal alles einsetzen, was man mal so geplant hatte. Von meinen privaten Dingen möchte ich erst gar nicht anfangen.
Nun zu dem Telefonat, der Herr Otto stand vor der Telefonzelle und er drängte darauf, dass ich mich mit dir treffen sollte. Im Grunde hatte er recht, es wäre vielleicht auch dumm gewesen, wenn ich es nicht probiert hätte. Außerdem wollte ich dich an diesem Tag erreichen. Er stand dort und laberte mich voll und wollte unbedingt, dass ich telefoniere, jetzt in diesem Moment. Sag ihr, sie soll rauskommen. Ich warte in der Kneipe. Zu dem Weihnachten, ich weiß auch nicht, wie ich darauf kam, wie gesagt, auf meinen Kopf kann man Rindvieh mit roter Schrift schreiben, denn manchmal habe ich echt ein Brett vor dem Kopf.
Zu der Sache mit der Isolation. Ja, ich mache mir um dich Sorgen. Die Aktion, die tut mir leid, dafür möchte ich mich auch entschuldigen. Kannst du sie mir verzeihen?
Das war echt wirklich nur noch dumm, aber ich wusste nicht, was los war. Ich mach mir übrigens auch nicht nur um dich Sorgen, sondern auch um andere. Aber ich glaube auch, dass du ganz gut klarkommst. Hoffe ich jedenfalls einmal.
Ich schreib dir morgen wieder, da ich nun auch mal schlafengehen muss.
Also bis dann.
Hab dich lieb.
Gruß Robi.
21.11.2006
Hey,
irgendwie glaube ich, dass du nicht wirklich auf meinen Text eingegangen bist. Tja, nun gut, daran kann ich auch nichts ändern, ich glaube, dass wir das lieber persönlich besprechen sollten. Und dass du keine Angst vor mir hast, das glaube ich dir nicht wirklich, vielleicht hast du keine Angst vor mir als Person, aber was deine Gefühle oder die Nähe anbelangt, schon. Und noch mal, ich war NUR krank, ich hatte KEINEN Nervenzusammenbruch oder sonst was! Und auch noch mal: ICH SCHOTTE MICH NICHT AB. Du kennst meinen Tagesablauf gar nicht und daher glaube ich zu wissen, dass du nicht beurteilen kannst, ob ich mich abschotte oder nicht!
Ich glaube nicht, dass das mit uns so funktioniert, wie es das sollte. Und manchmal weiß ich nicht wirklich, was ich für dich empfinden soll. Ich mag dich, aber der Funke ist noch nicht wirklich übergesprungen. Mehr kann ich momentan dazu nicht sagen, so fühle ich und kann es nicht ändern, aber ich finde, dass du das wissen solltest, weil alles andere nur Verarsche wäre.
Bye, bye
Lena!
03.12.2006
Hey,
ich muss dir jetzt einfach schreiben, was ich eigentlich mit dir persönlich besprechen wollte, aber anscheinend ist das bei uns nicht gerade so einfach.
Ich weiß kaum, wo ich anfangen soll. Vielleicht am Besten mit dem Wochenende, das ziemlich misslungen ist.
Die letzen drei Wochen hatte ich richtigen Stress mit der Fahrschule. Alles fing damit an, dass mein Fahrlehrer mir einfach so mündlich gesagt hat, was für einen Betrag wir zu überweisen haben, ganz ohne Rechnung. Falls der Betrag nicht bis zum nächsten Tag überwiesen sein sollte, kann er nicht mehr mit mir fahren. Ich kam nach Hause und sagte das natürlich genau so meiner Mutter und war selbst auch etwas erschrocken. Meine Ma war darüber ganz schön verärgert und rief daraufhin die Leiterin der Fahrschule an und fragte sie, was das eigentlich soll, warum wir keine Rechnung bekommen und aufs Geratewohl irgendeinen Betrag überweisen sollen. Außerdem wäre es mies, einfach zu sagen, dass er nicht mehr mit mir fährt. Das alles sagte sie natürlich nicht gerade im freundlichsten Ton. Daraufhin bekam mein Fahrlehrer anscheinend einen Anpfiff und war seitdem irgendwie komisch zu mir. Vorher schleimte er herum, gab mir immer die Hand, stieg sogar aus dem Auto und wollte mit mir Pizza essen gehen, also alles etwas übertrieben. Und dann, auf einmal, gar nichts mehr, ich wurde fast nur noch angemault und er ließ mich in jeden Fehler geradezu hineinfahren, um mich hinterher fertigzumachen. Er meinte sogar: „Ich habe gehört, dass du dich bei der Verona (das ist die Leiterin) bitterböse über mich beschwert hast.“ Ich sagte ihm dann, dass ich meiner Ma nur das gesagt habe, was er mir sagte und mehr nicht. Dann erwiderte er nur knapp: „Gut, dann hätten wir das geklärt“, und sagte das mit einem gewissen Unterton, an dem man erkannte, dass nichts geklärt war. Ein paar Tage vor meiner Prüfungsfahrt, genauer gesagt am Mittwoch, fuhr ich also erneut mit ihm und stieg in das Auto wieder einmal ganz schön verkrampft ein. Während der Fahrt sagte er dann zu mir: „Also, Lena, wenn du mich fragst, dann glaube ich nicht, dass du die Prüfung am Freitag bestehst. Du müsstest mindestens um 180° besser fahren. Ich weiß ja nicht, was mit deinen Augen los ist oder wo du hinschaust, du hast ja Augen im Kopf, aber fährst wie blind durch die Gegend. Liegt es an der Sehstärke oder ich weiß es ja nicht, aber so, wie du fährst, geht das nicht.“ Man muss dazu sagen, dass ich davor an einem parkenden Auto vorbeifahren wollte und Gegenverkehr kam, der aber noch recht weit weg war und ich noch schnell vorbei wollte. Ich saß dann recht verdutzt am Steuer und bekam Tränen in die Augen, riss mich aber zusammen. Gegen Ende der Fahrstunde wurde er immer beleidigter und seine Laune ging mehr und mehr in den Keller. Er gab mir dann eine Rechnung von über 500 Euro und sagte, dass ich das Geld am Freitag bar zur Prüfung mitbringen soll, da das mit dem Überweisen bis dahin sowieso nicht mehr klappen würde. So ging ich also wieder nach Hause und sagte das genau so meiner Mutter, schließlich muss sie das ja auch bezahlen. Sie reagierte wieder verständnislos und wir beide verstanden nicht, warum wir es nicht überweisen können. So rief sie wieder die Leiterin an und es gab wieder Ärger. Ich wurde als Lügnerin hingestellt und der Tag war gelaufen. Donnerstags wäre dann die letzte Fahrstunde vor der Prüfungsfahrt gewesen. Ich hatte um 16 Uhr einen Termin und wartete und wartete. Meine Ma meinte schon, dass er vielleicht nicht mehr kommt, weil die Leiterin wieder mit ihm gesprochen hat. Eine viertel Stunde danach rief es an, Mama ging an das Telefon, mein Fahrlehrer war dran und meinte, wo ich denn sei, weshalb ich nicht rauskäme. Er stand mit dem Auto hinter der Mauer, wo wir ihn nicht sehen konnten, obwohl er sonst immer direkt bis ans Gartentor fuhr, sodass wir ihn sehen konnten, sogar ab und an klingelte oder hupte. Aber nein, an diesem Tag war es nicht so. Meine Ma war richtig sauer und fragte ihn, weshalb er nicht läuten kann. Er sagte in einem barschen Ton, dass dies nicht seine Aufgabe wäre. Meine Ma machte ihm dann deutlich, dass wir die Fahrstunden mit ihm nun beenden und plötzlich brüllte er ins Telefon: „Sie haben mich beleidigt, sie haben mich beleidigt!“ Meine Ma legte dann auf und er fuhr weg. Super, dachte ich mir, also kann ich am nächsten Tag auch nicht meine Prüfung machen. Also durfte ich am Freitag der Leiterin alles erklären, die mich dann natürlich wieder als Lügnerin hinstellte und mit ihr eine viertel Stunde am Telefon sprechen und bekunden, dass es nun einmal so war. Sie sagte, es hätte noch nie Probleme mit dem Fahrlehrer gegeben und sie würde sich darüber ja mächtig wundern. Klar doch, ich wusste, dass es wohl mit ihm Probleme gegeben hatte. Ein Kumpel von mir arbeitet dort ab und an und erzählte mir, dass einige Fahrschüler schon gesagt haben, dass er ein Arschloch sei und immer recht derbe, frauenfeindliche Witze loslassen würde. Jetzt bekomme ich einen neuen Fahrlehrer und versuche, meine Prüfung noch dieses Jahr hinzubekommen. Zum Arzt konnte ich dann auch wieder gehen und mir ein Attest holen, dass ich die Fahrprüfung nicht machen kann, sonst hätte ich die Gebühren nämlich trotzdem zahlen dürfen.
Aber das ist nicht alles, die ganze Woche hatte ich immer schlimme Halsschmerzen und am Freitag war das besonders schlimm, ich konnte kaum einschlafen und Tabletten oder Saft haben auch nichts mehr geholfen. Wahrscheinlich kam das durch den Stress und die Aufregung. Zum Glück geht es jetzt besser.
Dann hat mein Vater jetzt unsere Fax- und Telefonnummer herausgefunden und wir wissen immer noch nicht, wie. Er schrieb uns ein Fax, keine Drohungen oder so etwas, so dumm ist er nicht, aber er mischt sich in die Bankgeschäfte meiner Mutter ein, schrieb der Bank anscheinend auch ein Fax oder rief an. Es geht dabei eigentlich nur um den Unterhalt. Er zahlt ein Jahr nichts und die letzte Gerichtsverhandlung war eigentlich fast für umsonst, da er sich weigerte, seine Unterlagen, das heißt Steuereinkünfte und so weiter, vorzulegen. Meine Ma macht es natürlich jedes Mal fertig ihn zu sehen, alles ist sehr aufwühlend und wenn dann auch noch die Verhandlung nichts erbringt, dann ist es umso schlimmer. Jetzt bekommen wir auch noch anonyme Anrufe, bei denen einer nur ins Telefon schnaubt und wieder auflegt. Als wir noch unsere alte Nummer hatten, hat mein Vater das auch immer gemacht, nun, da er unsere neue jetzt anscheinend wieder herausfand, ist er es wohl wieder und wir können uns bestimmt bald eine neue Nummer zulegen. Es ist alles sehr stressig für meine Ma und natürlich auch für mich, aber sie nimmt es mehr mit, weil sie um alles kämpfen muss und nach einem Jahr endlich Geld braucht. Alles zieht sich hin und ist anstrengend, er versucht alles, um uns fertig zu machen. Er rief wieder bei meiner Schule an, obwohl er das nicht darf. Es gibt einen richterlichen Beschluss, in dem steht, dass er in keinster Weise Kontakt mit der Schule aufnehmen darf, aber das scheint ihm alles egal zu sein, Hauptsache, er kann mich ärgern. Ich hoffe nicht, dass er wieder erzählt hat, dass ich selbstmordgefährdet bin oder sonst was, das hat er schon bei meiner letzten Schule abgezogen. Anscheinend hat er sich nur nach den schulischen Kosten erkundigt, sagte er zumindest vor Gericht. Da er das zu unterlassen hatte, werden wir wieder etwas dagegen machen müssen und ich hoffe, dass ihm jetzt endlich das Sorgerecht entzogen wird.
Am Freitag habe ich mich schon gefreut, dass du wenigstens kommst, ich habe extra den ganzen Tag alles hergerichtet und schön dekoriert und es war einfach ein kleiner Lichtblick für mich. Es war schon dunkel und so neblig, dass man gerade mal 50 Meter weit sehen konnte, aber ich bin trotzdem bis zum Bahnhof gelaufen. Meine Ma rief mich an und sagte, dass du noch bei der Arbeit bist, also lief ich wieder zurück. Dann ging ein Mann ein kurzes Stück hinter mir her und ich bekam wirklich Angst, gerade, weil es so neblig und düster und niemand mehr unterwegs war. Später war es dann einfach zu spät, meine Ma wollte nicht mehr, dass ich rausgehe und sie merkte mir an, dass ich traurig war. Sie wurde wütend und fand es wahrscheinlich noch schlimmer als ich, dass du nicht früher angerufen hattest. Dann wollte ich dich zurückrufen und sprach mit dir, aber meine Ma kam dann hoch und war auf 180 und ich hielt es für besser, einfach aufzulegen, bevor sie mich anschreit. Sie fand es leichtsinnig und naiv von mir, dass ich dir im letzten Moment doch noch zusagte und wollte nicht, dass ich mich verarschen lasse. Ich kann sie verstehen, aber an dem Abend wollte ich gar nichts mehr verstehen, sondern einfach nur wieder fröhlich werden, aber es ging nicht, das Schicksal wollte es nicht. Meine Seele lief also über und ich weinte über eine Stunde, meine Augen fingen wieder an zu eitern und ich war richtig am Ende, ich konnte nicht mehr, alles fiel auf mich herab. Du kennst diese Momente, das weiß ich, ich muss es dir nicht mehr erklären, wie es ist, wenn es einfach reicht, wenn es zu viel wird und man nicht mehr standhalten kann.
Und jetzt noch etwas, was ich dir wirklich persönlich sagen wollte, weil es so wichtig ist und auch nicht gerade einfach. Ich weiß nicht, wie ich es dir alles erklären kann und soll. Sagen könnte ich es dir wahrscheinlich sowieso nicht.
Vor ungefähr vier Wochen, genau eine Woche, nachdem das im Park war, habe ich erfahren, dass ich das Borderline-Syndrom habe, es ist eben sozusagen in mir, ein Teil von mir. Ich möchte dir das jetzt vor allem im Bezug auf mich erklären. Es ist erwiesen, dass ich es nur wegen meiner Vergangenheit habe, weil ich sehr viel mitgemacht habe und dadurch sehr stark traumatisiert wurde, Gewalt, das gestörte Verhältnis zu meinem Vater und all das sind die Auslöser gewesen. Ich bin der implosive Typ, das heißt, ich fresse alles in mich hinein, lasse es an mir selbst aus, mache mir Vorwürfe und habe ein sehr starkes Gefühl, es allen recht machen zu wollen. Ich neige dazu, mich auf instabile aber intensive Beziehungen einzulassen mit der Folge von emotionalen Krisen, ich neige zu Suchten, habe anhaltende Gefühle von Leere und das typische „schwarz-weiß Denken“ und ich richte meine Aggressionen eher gegen mich selbst. In Beziehungen ist es besonders kritisch und schwer, da ich einerseits Angst habe, verlassen zu werden, mich aber schnell in Beziehungen stürze. Es fällt mir schwer, Nähe zuzulassen, aber ich sehne mich auch so sehr danach und möchte eigentlich, dass man mich liebt. Ich habe ein unangenehmes Gefühl in Beziehungen, was sich aber auch plötzlich in ein Glücksgefühl verwandeln kann, daher bin ich mir nicht sicher, ob ich die Person nun mag oder in sie verliebt bin, oder nicht. Es ist sozusagen mal so und mal so, wird jedoch auch vom Partner geleitet. Damit meine ich, dass ich auf Dinge besonders stark reagieren kann, wobei der Partner allerdings auch etwas dazu beitragen muss. Das war einmal das Wichtigste, was du wissen solltest.
Ich möchte dir damit auch sagen, dass ich nicht weiß, ob ich in dich verliebt bin oder nicht, es wechselt sich ab, manchmal gibt es sogar Phasen, da will ich nichts mehr mit dir zu tun haben, bin sehr gekränkt und zutiefst verletzt und kann damit nicht umgehen. Als du mir das mit der Katie am Telefon erzählt hast, ist auf einmal etwas mit mir passiert. Du hast so wunderschön über sie geredet, dass sie begabt ist und hübsch, sie jeder haben wollte und sie dann anschaffen gegangen ist und Drogen genommen hat und trotzdem warst du begeistert von ihr. Dann kam ein Satz, den ich bis jetzt noch nicht ganz verdaut habe. Du sagtest, dass du auch mal zu ihr gegangen bist, weil du eben Spaß haben wolltest, so warst du eben früher drauf. Ich habe zehn Mal geschluckt und wollte nur noch auflegen, ich hätte am liebsten angefangen zu heulen, weil das für mich irgendwie schlimm war. Und jetzt hast du mir wieder eine E-Mail geschrieben, dass sie dich abschleppen wollte. Jetzt fühle ich mich wieder seltsam. Ich denke, dass du vielleicht so etwas willst, etwas Heißes und Scharfes, etwas was verkorkst ist, das du aber dennoch begehrst, jemand der sein Leben ganz anders lebt wie ich und ich verstehe es nicht. Ich bin nicht so und finde es auch nicht lobenswert, wenn man so ist, aber dass du mir das erzählt hast, das war so hart für mich, es kam mir kaputt vor, verstehst du, so als ob du völlig kaputt bist und ich so etwas nicht will. Ich versuche dir das irgendwie zu erklären, aber weiß nicht, ob es überhaupt so ankommt bei dir, wie ich es meine. Es tut weh, richtig weh und macht mich traurig und ich weiß deshalb nicht, ob es gut ist, was wir da tun, ob es einen Sinn hat oder ob du mich überhaupt willst und nicht etwas anderes, etwas kaputteres, das Drogen nimmt und einen anderen Lebensstil hat, als den, den ich führe. Ich weiß es nicht, ich kann dir nur das sagen, was ich fühle und denke und das habe ich jetzt getan und bin kurz vorm Weinen.
Bye, Lena!
Hallo!
Ich ringe mich immer wieder mal durch, ich probiere es immer wieder, diese E-Mail zu lesen, tue es aber nicht. Ich möchte einfach mit dir persönlich reden. Mag für dich jetzt vielleicht doof klingen oder vielleicht kommst du dir verarscht vor. Das ist nicht meine Absicht. Ich bastle gerade an etwas für dich. Persönlich hat sich bei mir auch etwas getan. Ich habe nun auch ein Zimmer bei einem Kumpel, das ich als Schlafplatz nutze, da es näher an den Schulen liegt. Es kostet ein paar Euro, aber ich habe auch vor, es als Büro zu nutzen. Ich habe in der letzten Zeit nur noch 12-Stunden-Arbeitstage, das ist für mich zwar nicht schlimm, nur möchte ich auch gerne Zeit mit dir verbringen. Und ich hab auch Zeit für dich.
Mittwoch geht es immer und freitags.
Also bis dann!
Gruß Robi.
Da du meine E-Mail nicht lesen willst, was für mich sehr frustrierend ist, sage ich es dir jetzt ganz knapp: ich kann keine Beziehung mehr mit dir führen: ES IST SCHLUSS!!!
Versuche es zu akzeptieren.
Du passt nicht in meine Welt, du bist viel zu seltsam für mich.
Bye.
Hey Amelie,
Gott, der ist doch krank, oder? Das gibt es doch nicht! Der spinnt! Hoffentlich liest er die jetzt wenigstens! Ich hoffe, dass wenigstens das Großgedruckte etwas bringt!
30.12.2006
Hallo!
Trotz allem wünsche ich dir noch einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Ein schönes und erfolgreiches Jahr 2007 und noch erholsame Ferien.
Also, du kannst dich ja melden, auch wenn es aus ist, trotzdem wollte ich dir noch mal schreiben.
Gruß, Robi.
31.12.2006
Hey,
mich hat es wirklich sehr, sehr gewundert und überrascht, dass du mir geschrieben hast, aber es hat mich gefreut.
Ich wünsche dir natürlich auch einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Tja, wie geht’s dir so? Was macht das Rauchen und wie geht’s mit der Arbeit so voran?
Bye, bye,
Lena!
Tagebuch vom 29.12.06–2.01.07
So unendlich lange schrieb ich schon nicht mehr, aber jetzt, da ich Ferien habe, versuche ich einiges wieder nachzuholen.
Tja, mit Robert ist schon lange Schluss und es ist wirklich besser so gewesen. Er rief mich noch etliche Male an, es glich geradewegs Telefonterror, aber auch das ging vorbei und nach der letzten E-Mail, die ich ihm schrieb, schien er es dann doch endlich begriffen zu haben. Manchmal denke ich noch an ihn, da mir wirklich etwas an ihm lag, aber eher freundschaftlich als beziehungstechnisch.
Vor einigen Wochen begegnete ich meinem Vater auf dem Weg von der Schule über den Marktplatz zum Bus. Zu dieser Zeit war noch Weihnachtsmarkt und viele Menschen tummelten sich an den Ständen, die rechts und links aufgebaut waren. Normalerweise sah ich nie jemanden genau an, da ich mich immer mit meinen Freundinnen unterhalte, doch an dem Tag war es anders. Wir hatten sogar früher aus, da wir eine Schulaufgabe geschrieben hatten, das konnte er mit Sicherheit nicht wissen, da jeder gehen konnte, wann er fertig war, also zu einer völlig irregulären Zeit. Jedenfalls ging ich wieder mit meinen Freundinnen zu der Bushaltestelle und wir liefen über den großen Marktplatz. Plötzlich fühlte ich mich irgendwie unwohl und schaute in die Menge und sah direkt einen alten Mann an, der ungefähr fünfzig Meter von mir entfernt war und in meine Richtung lief. Es war mein Vater, der mir mit seiner bösen Aura sofort ins Auge stach. Ich sagte sofort: „Oh Gott, da ist mein Vater! Oh Gott!“ Meine beiden Freundinnen, die mich begleiteten, wissen einiges über mein Leben, daher auch von meinem Vater und waren auch etwas erschrocken und fragten, wo er denn genau ist, ich solle ihn ihnen zeigen. Ina sagte sogar, dass er ruhig herkommen soll, wenn er das gedenkt zu tun, dem würden sie schon etwas erzählen. Er kam näher und näher und mein Herz raste, ich wurde blass im Gesicht und hatte einfach Angst, dass er herkommen würde. Zu meinem Erstaunen bog er, kurz bevor wir aufeinander getroffen wären, in eine kleine Seitenstraße ab. Schnell zeigte ich mit dem Finger auf ihn und meinte, dass er es sei, der Mann, der gerade abgebogen ist, lief aber schnell weiter und meinen Freundinnen fast davon. Mir ging alles Mögliche durch den Kopf. Würde er etwa in meine Schule gehen, da er gerade in diese Richtung lief? Was machte er hier denn ganz alleine? Hatte er mich gesehen? Ich glaube, er hatte mich gesehen, ich war mir sogar ganz sicher, für einen Moment kreuzten sich unsere Blicke und auch er war wohl etwas erschrocken, hatte anscheinend nicht beabsichtigt, mich zu sehen, doch sicher bin ich mir nicht.
Am nächsten Tag redete ich mit dem Schuldirektor, es blieb mir nichts andres übrig. Ich war so erleichtert, als ich erfuhr, dass er nicht an der Schule war oder mich in einer anderen Weise schlecht gemacht hat. Ich gab dem Rektor den Gerichtsbeschluss, was mir nicht gerade leicht fiel, in dem stand, dass er es zu unterlassen hat, sich in irgendeiner Weise mit der Schule in Kontakt zu setzen, außerdem stand darin, dass er ein Strafverfahren wegen schwerer Körperverletzung am Hals hat. Ich weiß nicht, was der Rektor jetzt denkt, aber er verhielt sich sehr diskret und höflich. Ich hatte geglaubt, dass mir das erspart bleiben würde, aber ich denke, es ist sicherer und besser, wenn alles von Anfang an geklärt ist und es erst gar nicht so weit kommen kann, wie bei meiner letzten Schule. Ich will es zumindest hoffen.
Vor ungefähr zwei Wochen bin ich leider wieder rückfällig geworden, habe zur Schere gegriffen und mich in meinen Oberschenkel geschnitten. Es war so hart und bitter für mich, ich war wieder mit den Nerven am Boden und konnte nicht mehr. Anfangs hatte ich nur einen Nervenzusammenbruch, musste weinen, dachte an den Tod und an Selbstmord und alles um mich herum wurde grau, trist und schrecklich kalt. Es war das Übliche. Ich fing an zu zittern und musste es einfach tun, ich musste, es schien nichts daran vorbeizuführen. Hinterher ging es mir wieder besser, aber nur kurz. Ich dachte mir: „Scheiße, verdammte Scheiße, was hast du nur gemacht, was? Nein, oh Gott, nein, warum nur, verdammt, warum?“ Ich war wütend auf mich, richtig wütend und dieser Rückschlag war ziemlich hart für mich und das ist er immer noch. Ich tat es, weil so viel zusammenkam. Meine Mutter maulte mich schon den ganzen Tag an, kaum kam ich runter, schon ging es wieder von vorne los. Ich bin nichts, ich kann nichts, ich werde auch nie etwas auf die Reihe bekommen. Eine Woche zuvor sah ich meinen Vater und Weihnachten stand auch bevor. Weihnachten, ein Fest der Liebe und Besinnlichkeit. Aber nicht für meine Ma. Sie war schlecht auf Heiligabend gestimmt und das machte mich fertig. Zudem komme ich immer noch nicht richtig damit klar, dass ich das Borderline-Syndrom haben soll. Einerseits verdränge ich es, andererseits denke ich darüber nach. Angeblich soll es nicht so extrem stark bei mir ausgeprägt sein, aber da ist es nun einmal und die Anzeichen kann ich nicht leugnen. Die Sache mit Robert hing mir ebenfalls nach und ich erinnerte mich an meine Vergangenheit. Oft kommt es mir so vor, als ob ich in mir selbst gefangen wäre, als ob es keine Heilung mehr gäbe, die Bilder sind so heftig und sitzen tief und wenn es dann soweit ist und es hochkommt, kann ich mich nicht mehr ablenken oder abschalten, an etwas anderes denken und schon gar nicht mit jemandem reden. An diesem Tag war wieder ein Tiefpunkt und jetzt denke ich darüber nach, ob ich wieder damit anfangen soll, weil ich es brauche, weil ich das Gefühl habe zu platzen, weil ich irgendwohin mit meiner Wut und meinem Zorn muss, weil ich einfach nicht anders kann.
Meinen Führerschein habe ich auch nicht geschafft. Ein Drama ist das. Entweder ich bin so unbegabt oder stelle mich dumm an oder das Auto mag mich nicht. Im Ernst, ich habe jetzt schon bald vierzig Fahrstunden und bin nicht durch die praktische Prüfung gekommen. Irgendetwas kann doch nicht stimmen. Ich war danach so frustriert und traurig, dass ich nach Hause kam, mich betrank und einfach weinte. Ich hasse es so. Es ist einfach lästig. Alles kostet uns so viel Geld, es kommt jedoch kein Geld rein und es will nicht klappen. Einerseits bin ich auf mich wütend, aber auf der anderen Seite kann ich es bald nicht mehr verstehen. Als der Prüfer sagte, dass er mir jetzt doch leider mitteilen müsse, dass ich es nicht geschafft habe, da es noch einige Kleinigkeiten gäbe, die sich aber summieren würden, dachte ich, dass ich in einem schlechten Traum gefangen sein muss. Am liebsten würde ich dieses verdammte Fahrschulauto gegen den Baum fahren oder an einer Leitplanke so sehr verschrammen, dass es Schrott wäre, dann würde ich meinen ehemaligen Fahrlehrer aufsuchen, der alles für viel Geld bei mir verkorkst hat und ihn über den Haufen fahren, anschließend käme dann noch der Prüfer dran, dem würde ich dann drohen, ihn umzufahren, wenn er mir nicht auf der Stelle meine Papiere gibt. Ich hasse es einfach bloß, ich hasse es so abgrundtief, dass es sich wohl kaum einer vorstellen kann, wie man das Autofahren hassen kann. Ich könnte heulen, verzweifeln, schreien, fast jedes Mal nach einer Fahrstunde komme ich deprimiert nach Hause und bin derart geladen, dass ich die gesamte Küche oder das Wohnzimmer mit all seinen Gegenständen zusammenschlagen könnte. Anstatt dessen versuche ich ruhig zu bleiben, mir irgendwie klar zu machen, dass es schon klappen wird, selbst wenn ich mittlerweile keine Lust mehr habe und wirklich der Meinung bin, dass man mich auf die Straße lassen könnte. Habe ich schon erwähnt, dass ich es hasse?
Zudem habe ich seit drei Monaten Husten, dieser schlimme, sich dahinschleichende Husten will einfach nicht verschwinden, ich habe schon unendlich viel dagegen unternommen, doch nichts scheint zu helfen oder richtig zu wirken. Diese böse Infektion hat mich sehr mitgenommen, sogar meine Augen haben fast drei Monate durchwegs leicht geeitert. Was soll ich denn nur machen? Was? Ich habe bald keine Kraft mehr, ich liege doch schon am Boden, ich bin bereits durch den Boden gebrochen, dann gefallen und gefallen, wieder irgendwo aufgekommen, an einem Ort, an dem es dunkel und finster war, versuchte wieder das Tageslicht zu erreichen und kurz vor dem Ziel brach wieder der Erdboden entzwei. Jetzt habe ich auch noch Magen-Darm-Grippe bekommen. Schrecklich ist es, zum Verzweifeln, alles zehrt an mir und nagt, die Schmerzen sind seit fast einem Jahr ein Teil von mir. Ich plage mich von einer Infektion in die nächste, wenn ich das nicht habe, dann bekomme ich im Sommer Atemnot wegen dem Blütenstaub und kann kaum einschlafen, dann im Herbst wieder eine Infektion, aber keine wie die letzen beiden, sondern eine viel, viel schlimmere und nun, wie bestellt für den Jahreswechsel, die Magen-Darm-Grippe. Ich habe die ganze Nacht gebrochen, konnte bis um halb vier kein Auge zutun, mir war nicht nur schlecht und schwindelig, ich fühlte mich so erbärmlich, dass mir nach Ohnmacht zumute war. Danach hatte ich Krämpfe im Magen und Darm, sodass ich mich zusammenkrümmen musste und nicht mehr aufrecht gehen konnte. Ich bin froh, wenn ich zwei Brote am Tag hinunter bekomme, alles andere ist zu viel für meinen Magen. Gott sei Dank, dass nach dieser einen, schrecklichen Nacht und dem nächsten Morgen, als der Zwieback nicht drinbleiben wollte, alles wieder verdaut wurde. Es hätte ja noch schlimmer sein können, ja, gewiss, das weiß ich auch, aber so ist es schon schlimm genug. Jetzt geht es wieder aufwärts und ich kann wieder schreiben, gerade laufen und einige Arbeiten machen.
Weihnachten war zu meinem Erstaunen ganz in Ordnung. Es war zwar langweilig, aber friedlich und meine Ma riss sich wohl am Riemen und blies kein Trübsal. Die Tage danach fuhren wir zu meiner Oma nach K., sie war über Weihnachten im Krankenhaus gelegen, weil sie Diabetes hat mit einem extrem schlechten Blutwert. Sie hatte so hohen Zucker, dass sie fast ins Koma gefallen wäre. Tja, sie bewegt sich nicht, sie trank immer viel zu viel Alkohol und aß Plätzchen und Kuchen, Pralinen und Sonstiges en Masse, daher war es kein Wunder. Meine Ma und ich waren stinksauer auf sie, da sie zuvor nie auf uns gehört hatte und sich nicht einmal zusammennehmen konnte. Nein, sie konnte es nicht lassen, wollte sich auch nicht bewegen, ist immer dicker geworden und jetzt so etwas. Als wir ankamen und ich sie nach einiger Zeit wieder sah, kam sie mir so alt und zusammengefallen vor wie noch nie. Sie hatte abgenommen, war wieder ein Stückchen kleiner geworden, aber der gleiche Sturkopf wie vorher. Es war ein Desaster in K. Meine Oma verdarb uns allen die Laune und ein Bekannter wollte uns nach vielen Jahren wieder einmal sehen und kam vorbei und redete und redete und redete. Er erzählte Geschichten aus seinem Leben, die sehr turbulent und rasant waren, jedoch nicht gerade löblich. Er hatte mit der Waffenmafia im Nahen Osten zu tun gehabt, jedoch mehr zufällig als geplant, ging seiner Frau oft fremd, die sich dann auch von ihm scheiden ließ und entkam oft knapp dem Tod. Nun ja, es war teilweise interessant, aber nach fünf Stunden, in denen nur er das Wort hatte, war mir nach durchdrehen oder eine rauchen zumute. Meiner Ma ging es auch nicht besser, vielleicht sogar noch schlechter als mir. Oma redete ständig nur davon, dass sie ein Pflegefall wird und dann zu uns kommt und über Krankheit und wie es im Krankenhaus war und eigentlich ausschließlich von Themen, die einen noch mehr runterbrachten, als aufbauten. Wir waren sehr froh, als wir wieder zu Hause ankamen, doch dann folgte sogleich die nächste Misere, nämlich meine Krankheit. Oma hatte uns anscheinend von ihrem Krankenhaus her angesteckt, besonders mich. Mama geht es auch nicht so gut, aber bei weitem nicht so schlecht, wie es mir erging. Warum ich? Wieso trifft es immer mich so schlimm?
Alles in allem kann ich feststellen, dass das vergangene Jahr ein Jahr der Krankheit und des Abschieds war. Der Abschied fiel schwer, er war hart, aber es war gut so, es hätte gar nicht anders sein sollen, zudem ist es nun über ein Jahr her, dass der Teufel des Hauses gegangen ist. Aber ich muss auch Gutes erwähnen. Ich liebe meine neue Schule und meine neuen Freundinnen sind alle so lieb und lustig. Bei uns ist es immer fröhlich, wir lachen so viel und lassen uns immer wieder neue Dinge einfallen, sodass es wirklich schon einmalig ist.
Tagebuch vom 04.02.2007
Ich kann nicht mehr, ich bin am Ende, ich hasse alles um mich herum und trage Tag für Tag den Hass und Schmerz in mir, den ich nicht loswerden kann. Natürlich kann ich mir immer einreden, dass es besser geworden ist, es ist die Wahrheit, aber sie verdrängt nicht die Tatsache, dass immer wieder neue Probleme kommen. Ich bin erneut rückfällig geworden, kaum waren die letzen Wunden meiner Seele verheilt, kam etwas Neues auf mich zu, Verzweiflung, die ich nicht zu bewältigen vermag und Hass, den ich nicht von mir abwerfen kann. Es tut gut, immer wieder tut es gut, obwohl ich weiß, dass es schlecht ist, es ist falsch und keine Lösung. Ich weiß es und mache es dennoch. Es ist so viel Pech und Schlechtes in meinem Leben, als ob ich verflucht wäre und nichts dagegen machen könnte. Das Schicksal meint es nicht gut mit mir, überrennt mich mit immer schwierigeren Aufgaben und treibt mich in den Abgrund. Es fällt mir schwer, über ein großes Problem zu schreiben, es ist eines, das sehr an mir zehrt und Kraft braucht, all meine Energien förmlich verschlingt und das Tag für Tag. Es geht dabei um meine Mutter. Ich komme nicht mit ihr zurecht, es geht nicht mit uns, es ist furchtbar, die Hölle für mich. In den Ferien fängt sie schon morgens an zu trinken und ist bis zum Mittag betrunken. Nach dem Mittagessen legt sie sich hin, schläft ihren Rausch wieder aus, um dann wieder zum Alkohol zu greifen und bis zum Abend erneut betrunken zu sein. In den Ferien war es besonders schlimm. Aber nicht nur das. Sobald wir längere Zeit zusammen sind, mache ich alles falsch, alles. Es gibt nichts, das ich hinbekomme, rein gar nichts. Ich bin grundsätzlich an allem schuld, kümmere mich um nichts und bekomme auch nichts auf die Reihe. Sich das den ganzen Tag anhören zu müssen und wirklich nichts anderes außer Klagen, Schimpfen, Hass und Zorn. Ich bekomme alles ab, wirklich alles, sie lässt alles an mir aus. Sie sieht mich nicht einmal mehr, sie sitzt am Tisch, starrt vor sich hin und zuckt mit ihrem Gesicht, die Mundwinkel gehen voller Hass und Wut zur Seite und bewegen sich nach oben oder unten, als ob sie mit geschlossenem Mund reden würde. Sie beachtet mich nicht und hört mittlerweile des Öfteren nicht hin, wenn ich etwas sage. Sie freut sich kein bisschen über meine guten Schulleistungen, es zählt für sie nicht, dass ich nur Einser und Zweier schreibe. Sie sieht mich morgens, wenn ich zur Tür hereinkomme, schon mit einem wütenden Blick an, gibt mir auf die neutralsten Fragen kurze und knappe Antworten und interessiert sich kein bisschen für mich. Sie bindet mich immer in alles ein, sodass ich am Wochenende nicht einmal mehr weg kann und falls ich es doch wage, mich mit jemandem zu verabreden und Spaß zu haben, dann ist sie so beleidigt, als ob ich ihre beste Uhr oder ihr schönstes Schmuckstück verschenkt hätte. Sie sitzt dann im Auto und sagt nichts, schaut mich kaum noch an, wohl um mir zu zeigen, dass ich ihr gleichgültig bin, dass ich ihre Blicke, ihre Aufmerksamkeit oder gar eine kleine, neutrale Geste nicht verdient habe. Sie lässt mich jetzt schon seit Wochen Tag für Tag, Minute für Minute spüren, dass ich nichts wert bin, dass ich auch nichts mehr machen kann, was sie zufrieden stimmen würde, rein gar nichts. Sie hasst mich dafür, dass mein Vater ihr Ex-Ehemann ist und ihr so viel Schlimmes angetan hat, sie wirft es mir innerlich vor, Spaß zu haben, und sie sagt sich wahrscheinlich, dass ich nicht berechtigt bin, aus dieser dunklen Höhle hervorzukriechen, wenn sie es selbst nicht kann. Sie hat mir bisher nicht ein Mal dafür gedankt, was ich für sie in der Vergangenheit alles getan habe und was für Anstrengungen ich auf mich nehmen musste, ist bei ihr anscheinend auch völlig untergegangen. Was ich geleistet habe, zählt nicht, das hat es noch nie, sie ist nicht stolz auf mich, lobt mich nie, gibt mir für so ziemlich alles die Schuld. Durch meine starke Infektion waren auch meine Augen betroffen und haben geeitert. Jetzt endlich ist es weg, nach fast einem halben Jahr, ich konnte daher auch kaum Kontaktlinsen tragen und musste notgedrungen meine Brille aufsetzen. Ich hatte große Angst, dass mich die Menschen wieder anders behandeln würden, so wie es früher war, als ich in der Realschule noch eine Brille trug. Aber Gott sei Dank reagierten alle sehr positiv darauf, ich bekam sogar gesagt, dass sie mir gut stehen würde und sie nicht verstehen könnten, dass es Menschen gibt, die sich derartig verhalten und einen wegen einer Brille diskriminieren und minderwertig behandeln. Ich liebe meine Klasse und meine Schule, das kann ich jeden Tag aufs Neue sagen, ich habe dort so viel Freude und bin da eigentlich immer gut gelaunt. Aber es gab dennoch jemanden, der mich deswegen bemängelte, meine eigene Mutter. Oft kamen von ihr Sprüche und Aussagen, die mich sehr verletzten. „Warum hast du denn deine Kontaktlinsen nicht angezogen?“ „Die Brille macht dich viel älter und strenger.“ „Das gibt es ja nicht, andere laufen ja auch mit Kontaktlinsen herum.“ „Du musst dich jetzt auch mal daran gewöhnen. Mit der Brille, das ist ja kein Zustand.“ Solche und ähnliche Dinge durfte ich mir sagen lassen. Sie wusste genau, dass meine Augen noch krank waren, sie wusste auch, dass es mir vom Arzt untersagt worden war, meine Linsen zu tragen und sie wusste ebenfalls, dass ich mich ohnehin mit der Brille unwohl fühlte, weil ich mir früher oft Sticheleien gefallen lassen musste. Die eigene Mutter macht einen fertig, verachtet einen, wendet sich von einem ab. Was soll ich jetzt nur dazu sagen. Ich habe meinen Vater verloren, das heißt, ich hatte noch nie einen und meine Mutter auch. Ja, es ist so, ich brauche mir nichts vorzumachen oder versuchen, Erklärungen zu finden. Es gibt natürlich Gründe, ja, die gibt es immer und wird es immer geben, aber ich denke, dass diese keine Rechtfertigung dafür sind, dass man mich so behandelt, als ob ich der schlechteste Mensch auf Erden wäre. Momentan ist es wieder sehr schwer für uns, besonders für sie, und ich versuche Verständnis zu haben und gebe mir Mühe, sie aufzuheitern, sie wenigstens ab und an zum Lachen zu bringen und nicht den ganzen Tag deprimiert dazusitzen, vor mich hinzustarren und nur noch darüber zu klagen, wie schlecht und ungerecht das Leben ist. Andererseits frage ich mich, warum ich das überhaupt noch tue, ich gehe ja schließlich daran zu Grunde. Es ist meine Mutter und ich liebe sie nun mal, ich kann nichts daran ändern und würde sogar für sie sterben, darum tue ich es wahrscheinlich. Liebe zu geben und keine zu bekommen, das ist hart, bitter und ich befürchte, dass es mein Todesurteil ist. Jeden Tag denke ich an den Tod, die Sehnsucht nach etwas Neuem, etwas Befreiendem, der Erleichterung, dem Aufatmen ist immer ein Teil von mir, begleitet mich, ist fest in meinen Geist eingebrannt und lässt sich nicht mehr entfernen. Meine Ma macht jetzt wenigstens eine Fortbildung und das tut ihr sehr gut. Sie lernt dadurch neue Menschen, bzw. Frauen kennen, die auch keine Arbeit finden, die auch ohne Mann dastehen und für sich selbst sorgen müssen. Jetzt muss sie ein Praktikum machen, doch bisher hat sie keinen Praktikumsplatz gefunden, im Gegensatz zu den anderen Teilnehmerinnen. Sie bemüht sich auch schon eine ganze Weile um eine Arbeitsstelle, bewirbt sich und bewirbt sich, doch bekommt sie immer eine Absage. Außerdem haben mein Vater und sein lieber Herr Anwalt wieder einen wichtigen Gerichtstermin verlegt, bei dem es um die Konten ging und damit um das Geld, das uns zusteht. Die Begründung war, dass sein Anwalt sich zwei lächerliche Tage Urlaub nimmt und natürlich genau an dem Tag, an dem die Gerichtsverhandlung hätte stattfinden sollen. Außerdem ist es jetzt schon bald zwei Jahre her, dass dieses Monster von Mensch versucht hat, meine Ma in der Badewanne zu ertränken, doch es passiert nichts, denn es ist immer noch keine Verhandlung diesbezüglich festgesetzt worden und wir wundern uns immer wieder aufs Neue, wie es sein kann, dass ein derart gewalttätiger Mensch noch frei herumläuft und nicht einmal etwas dagegen unternommen wird. Mit meinem Sorgerecht passiert ebenfalls nichts, keinen Mucks macht das Gericht, keinen einzigen, so als ob es zum großen Stillstand gekommen wäre, verhalten sie sich. Kein Fortschritt, kein Termin, kein Erfolg, nichts, gar nichts und unser Geld wird immer knapper, obwohl wir schon sehr viel sparen. Aber als ob das nicht genügen würde, haben wir wieder Ärger mit meiner Fahrschule und das nicht zu wenig. Vor meiner dritten Fahrprüfung wurde uns eine Rechnung gestellt, die doppelt so hoch war, wie angemessen und auf der Beträge unübersichtlich und wahllos addiert wurden. Ich versuchte daraufhin natürlich, die Leiterin der Fahrschule zu erreichen, doch nur die Mailbox ging dran. Zwei Tage später war meine Prüfung und ich hatte bis dahin immer noch nicht diese Frau S. erreicht. Ich kam also beim TÜV an und war mir dieses Mal sicher, dass ich es schaffen würde: Ich war guter Laune, bester Gesundheit und zuversichtlich. Aber dann teilte mir mein Fahrlehrer mit, dass ich nicht zur Prüfung zugelassen wäre, da ich das Geld nicht dabei hätte, so wäre es ihm ausdrücklich von seiner Chefin gesagt worden. Ich stand völlig fassungslos neben dem Auto, mit meinem Ausweis in der Hand und mir war nur noch zum Schreien zumute. Ich versuchte ihm erneut zu erklären, dass die Rechnung von oben bis unten nicht korrekt ist und ich deshalb auch kein Geld dabei hätte. Dann zog er sein Handy raus, wählte eine Nummer und fragte, ob Frau S. denn zu sprechen wäre. Nein, sie war nicht zu sprechen, denn sie war ja schließlich in London. Kein Wunder also, dass ich sie nicht erreichen konnte. Er drückte mir dann plötzlich das Handy in die Hand und meinte: „Hier, damit du es persönlich erfährst.“ Bevor ich überhaupt einen Satz sagen konnte, brüllte mir eine Frau einige recht heftige Beschuldigungen ins Ohr: „Du bist zu mehreren Fahrstunden bei dem B. nicht gekommen und wir haben sie dir sogar noch gutgeschrieben, was ja sowieso nicht selbstverständlich ist!“
Ich erwiderte daraufhin: „Nein, das stimmt doch gar nicht. Der B. steht neben mir und kann sicherlich bestätigen, dass es nicht so war. Ich bin zu allen Fahrstunden gekommen und habe nie gefehlt.“
„Doch, natürlich stimmt das und drei Leute haben deine Rechnung geprüft, das ist alles richtig. Mit so einem derart hohen Betrag, der schon so lange aussteht, können wir dich nicht fahren lassen!“
„Die Rechnung ist aber nicht richtig. Ich hatte nur drei Fahrstunden und keine zehn und weshalb ist drei Mal die TÜV-Gebühr berechnet, die wir schon bezahlt haben?“
„Die Rechnung ist richtig! Wir haben dir ja sogar noch was gutgeschrieben!“
„Nein, noch mal, ich war bei den Fahrstunden anwesend!“
Also gab ich dem Fahrlehrer wieder sein Handy, damit er das auf der Stelle berichtigen konnte. Aber was tat er? Ich traute meinen Augen nicht, er nahm das Handy, zuckte bloß mit den Schultern, meinte, er wüsste es nicht und sagte dann zu dieser völlig hysterisch klingenden Frau: „Ja, okay, gut, ich wollte, dass sie es jetzt noch mal persönlich gesagt bekommt, okay, Ciao.“
Ich glaube, wenn ich in diesem Moment eine Waffe gehabt hätte, ich hätte sie alle abgeschossen, den Fahrlehrer, den Prüfling, der vor mir an der Reihe war, den Prüfer und alle Mitarbeiter beim TÜV. Ich war mit meinen Nerven am Ende, verstand die Welt nicht mehr und dachte nur noch an den Tod. „Bring dich einfach um, tu es, los, es hat sowieso alles keinen Sinn mehr“, so sprach es aus meinem Kopf und das immer und immer wieder. Ich konnte nichts mehr sagen, stand regungslos da und verstand auch nicht, weshalb mein Fahrlehrer mir nicht bestätigen konnte, dass ich immer, zu jeder verdammten Stunde erschienen bin. Er fuhr mich und den anderen Prüfling dann nach Hause und sagte kein Wort mehr zu mir. Ich stieg aus und war zu Hause und durfte diese Blamage meiner Mutter erklären, die sowieso schon völlig am Ende war. Sie reagierte zum Glück sehr gut darauf und war nicht böse auf mich. Der Witz an der Sache war, dass die Rechnung erst nach dem Tag der Prüfung ausgestellt wurde, so bestätigte es zumindest das Datum darauf. Meine Ma redete am Telefon noch ein ernsthaftes Wörtchen mit meinem Fahrlehrer, der dann plötzlich doch bestätigen konnte, dass ich nie fehlte und anscheinend vor lauter Angst vor seiner Chefin beinahe zu weinen anfing und zwischendurch zwei Mal auflegte, da er nicht sagen wollte, wer diese eine Frau am Handy war, die mich so grundlos anging. Es ist der pure Wahnsinn. Meine Ma kündigt jetzt dort, da diese Fahrschule nur Ärger macht. Jetzt muss ich zu einer anderen gehen und mich dort wieder an ein anderes Auto gewöhnen. Mich wunderte es nur, dass ich noch keinen Vorwurf gemacht bekommen habe, dass ich auf einmal nicht an etwas schuld war, aber das kam noch und zwar heute. Meine Ma sagte mir nämlich, dass das alles nicht passiert wäre, wenn ich mich bei der zweiten Prüfung mehr angestrengt hätte und es zum Kotzen sei, dass mir alles am Arsch vorbei gehen würde und ich alles auf die leichte Schulter nehmen würde. Natürlich, dachte ich mir, ich mache das alles zum Scherz und bin froh, wenn wir viel Geld an diese Lügner bezahlen, außerdem finde ich es sehr prickelnd, aus dem Auto zu steigen und gesagt zu bekommen, dass ich die Prüfung nicht bestanden habe. Es baut mich rundum sogar so sehr auf, dass ich mich wieder ritze und jeden Tag ein bisschen mehr daran kaputtgehe. Aber es ist ja egal, unwichtig, es geht nur um mich, ihre Tochter, die alles für sie machen würde und sich schon ihr ganzes Leben lang quält und anstrengt, damit sie sich freut oder irgendetwas ihr Leben erleichtert. Es spielt keine Rolle, ich spiele keine Rolle. Ich bin Abschaum, Dreck, ein Mensch, der in die Welt gesetzt wurde, um gehasst und gedemütigt zu werden und sonst nichts. Wer weiß, irgendwann vergeht die Neugierde aufs Leben, was als Nächstes passieren könnte und wie es denn weitergeht, ob es vielleicht doch alles gut wird, sich einrenkt und die Gerechtigkeit am Schluss doch siegt. Irgendwann ist es einem egal, mehr als egal, weil man von der Vergangenheit ausgehen kann, dass es eben doch nicht gut wird und einem weder die Angst noch die Hoffnung etwas bringen.
Der Hass
Der Hass ist ein schlechtes Wort,
Er zieht sich durch deine Adern fort,
Er beißt sich in deinen Geist und Körper,
Du wirst durch ihn zum Selbstmörder,
Er durchtränkt deine Augen mit schwarzem Blut,
Lässt dich auf deiner Haut spüren eine heiße Glut,
Als ob jemand seine spitzen Nägel in dich gräbt,
Und nur noch eine schwarze, einsame Krähe nach dir kräht,
Er ist bitter und kalt,
Die gellende Furcht, die durch deine Gedanken hallt,
Der Hass bringt dich nicht zur Ruh,
Er flüstert dir die Ängste immer zu,
Eines Tages tropft Blut aus deinem Herzen,
Der Hass lässt dich schreien vor Schmerzen,
Aus deinen Armen und Beinen rinnt es herunter,
Nichts macht dich jetzt mehr munter,
Die Augen werden schwarz und leer,
Du wirst ertränkt in einem blutigen Meer,
Der Atem erstickt und ist gelähmt für immer,
Da sitzt du eingesperrt in deinem düsteren Zimmer,
Nur der Hass ist jetzt da,
Siehst ihn ganz klar und nah,
Er blickt in dich hinein,
zerfrisst dich und deinen Glauben vom Sein,
Durch die Adern fließen jetzt dunkle Splitter,
Deine Haut wird zu einem stählernen Gitter,
Das Herz hat aufgehört zu schlagen,
Jetzt müssen dich die Sorgen wenigstens nicht mehr plagen.
Tagebuch vom 18.03.2007
Ich sitze hier in meinem Bett und weine. Warum? Ich bin verliebt, ich liebe ihn und hasse ihn zugleich. Max. Zwischen uns lief es die letzten Monate so gut, wir verstanden uns wunderbar und die Art, wie er mich ansah, veränderte sich. Seine Augen schienen zu strahlen und unsere Gespräche waren so lang und schön, wie ich es nie zu träumen gewagt hätte. Es fing schon in der 10. Klasse an, aber ich zweifelte und zweifelte immerzu und manchmal hasste ich ihn dafür, dass er meine Liebe nicht erwiderte, doch in letzter Zeit änderte sich alles. Wir telefonierten sehr oft und sehr lange. Er sagte bezaubernde und aufmunternde Dinge zu mir, wir flirteten und lachten, wir unterhielten uns ernsthaft und wenn er mich ansah, tat er das mit einer einfühlsamen Sanftheit, die mich umschlang und mir im Kopf blieb, bis heute. Seine schmeichelnden Worte umgarnten meine Seele und hüllten sie in zarte Seide, doch heute sagte er mir am Telefon, dass er schwul sei. Ich bin anscheinend die Erste, die es weiß. Es fiel ihm sehr schwer, das zu sagen, doch mir, die eine der wichtigsten Menschen für ihn ist, kann man es ja anvertrauen. Ich reagierte mit Freude, Verständnis und bot meine Hilfe an, so wie man es wohl von mir erwartete. Er war erleichtert und schien richtig glücklich. Nach dem Gespräch fiel alles zusammen. Meine kleine Welt, in der ich mir ein hübsches Luftschlösschen gebaut habe und das Wort Hoffnung ganz groß geschrieben war, zersprang und die Splitter trafen mich mehr, als ich dachte. Warum ich? Ich kann es nicht verstehen, war es nur Einbildung, Täuschung? War die rosarote Brille denn wirklich die ganze, verdammte Zeit auf meiner Nase? Gott, er ist so wunderbar, intelligent, elegant und humorvoll, aber er liebt mich nicht, hat nicht einmal Interesse an mir, nichts. Alle Blicke, Worte und Berührungen waren mit Hoffnung verbunden, aber die ist jetzt endgültig in der Dunkelheit verschwunden. Ich weine, weine und weine, es tut so weh, ich kann es nicht beschreiben. Alles ist leer und kalt. Bin ich tot? Mein Leben ist und bleibt schrecklich schwer, ich habe nur Sorgen und Ängste und kann kämpfen und kämpfen, nur nicht aufgeben. Aber nach einigen Jahren hat man es satt, in meinem ganzen bisherigen Leben ging es so, ich kenne schon gar nichts anderes mehr, das Glück scheint mir verwehrt und sobald ich es habe, wird es mir wieder weggenommen und das, bevor ich es überhaupt richtig genießen durfte. Und jetzt? Wieder Schmerz anstelle des Glücksgefühls. So wandelt sich alles um. Mein Leben hat keinen Sinn mehr, ich hasse die Menschen, die mir so viel Leid zugefügt haben und mich enttäuschten und mein Vertrauen missbrauchten und nicht einmal daraus lernten. Ich frage mich, warum ich noch lebe. Die Antwort darauf ist meine Mutter. Und sie lebt für mich. Wir hoffen, dass alles gut und die Zukunft schön sein wird. Langsam glaube ich nicht mehr daran, denn so etwas liest man in Büchern oder sieht es in Filmen, dieses so genannte Happy End. Nein, für mich gibt es das nicht. Falls wir unser Geld bekommen sollten, wird er durchdrehen und ihr was antun und ich werde nicht da sein. Danach, nun, was wird danach wohl sein? Wenn sie tot ist, bin ich es auch. Wahrscheinlich bin ich es jetzt schon, nur nicht rein medizinisch. Ich habe es satt, ständig hinzufallen, ich habe es satt, mich alleine zu fühlen und immer in Angst zu leben. Was soll ich sagen? „Auf Wiedersehen, mach es gut, liebe, treue und sanftmütige Natur“? Oder vielleicht: „Fahrt doch alle zur Hölle, ich werde euch nicht vermissen“? Ja, noch lebe ich, aber was ist das hier schon? Nichts, gar nichts, Leere, Dunkelheit und Depression. Zielloses herumirren in einem Strudel, aus dem es sowieso kein Entkommen gibt. Und Max? Ich hasse und liebe ihn, bin wütend und traurig. Ich würde ihm am liebsten völlig verheult sagen, dass ich es einmal wieder geschafft habe, mich richtig zu verlieben, aber es nicht verkrafte, an seinem Anblick zugrunde gehe und ihn nur küssen will, berühren, streicheln und den Duft seiner zarten Haut riechen, weil er so einzigartig und kostbar für mich ist. Aber all das ist nun bedeutungslos und hilft keinem mehr. Und nun? Ein Wunder? Oh bitte, das wäre schön, zu schön um wahr zu sein. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll, ich weiß es nicht und habe nur schreckliche Zukunftsängste. Jeden Tag Sorgen, Sorgen, Sorgen und Schmerzen, die mich wohl schon zerfressen haben. Ich bin kaputt, selbst wenn es gut werden würde, wäre ich derart depressiv und hätte so viele schlimme Erinnerungen, Erfahrungen, Erlebnisse und Bilder, die ich nicht mehr aus meinem Kopf bekomme. Es ist vorbei, ich bin abgeschlossen. Zu. Tot.
Wie eine Schneeflocke auf dem kalten, dunklen Asphalt zergeht, so tut es auch ein Menschenleben, dessen Körper auf dem Boden aufprallt, wenn es sich aus der Höhe herabstürzt, in der Hoffnung, etwas Neues zu beginnen und das Alte, Vergangene auf dem schnellsten Weg verblassen zu lassen.
Tagebuch vom 27.04.2007
So, nun ist mir gerade über eine Seite, die ich geschrieben habe, einfach verloren gegangen, tja, die liebe Technik, auf die man sich leider nicht verlassen kann. Jetzt ärgere ich mich wie der Teufel und könnte geradewegs den ganzen Bildschirm an die Wand werfen, aber nachdem ich den Computer angeschrien habe und auf den Tisch schlug, geht es mir jetzt wieder besser. Also noch mal von vorne.
Gestern war ein sehr wichtiger Termin, es ging sowohl um den Unterhalt, als auch um das Sorgerecht. Da ich die Sache mit dem Sorgerecht nicht auf mir sitzen ließ und da sich mein Vater nicht an das Protokoll hielt, schrieb ich persönlich einen Brief an den Richter, in dem ich nochmals alle Punkte aufzählte und betonte, dass es sehr widersprüchlich sei, dass so jemand noch ein Recht auf elterliche Sorge hat. Der Richter ließ sich daraufhin wohl die Strafakte meines Vaters kommen, was wohl kein gutes Licht auf ihn geworfen haben dürfte. Eine Woche zuvor war ich allerdings zum vierten Mal beim Jugendamt und durfte mich wieder mit dem netten Herren unterhalten, den man meiner Meinung nach eher bei Verhören bei Staatsspitzeln einsetzen sollte, als ihn auf arme Jugendliche anzusetzen. Jedenfalls erklärte er mir, dass zwar wieder betont werde, dass das Sorgerecht, wenn es denn vom Gericht aus übertragen werde, auf die Mutter übertragen werden sollte und dass sich an dem Verhältnis zwischen meinem Vater und mir nichts geändert hätte, er jedoch auch schreiben müsse, dass es momentan keinen dringenden Grund für eine Übertragung gäbe. Erst war ich wieder wie gelähmt und völlig verständnislos dagesessen, habe ihn wohl mit großen Augen angeschaut und fühlte mich ungerecht behandelt. Doch dann erwähnte er leicht am Rande und hat sich dabei sehr dezent ausgedrückt, dass ihm mein Vater anscheinend gesagt habe, dass er bis in alle Instanzen geht, was dieses Recht angeht. Das hieße für meine Mutter und mich, dass wir wieder in das geliebte Oberlandesgericht gehen dürften, erneut stundenlang ein moralisch nicht tragbares Sorgerecht bestreiten dürften, was uns zur Krönung auch noch etwas kosten dürfte, geschweige denn von den Nerven, die uns die ganze Angelegenheit kostet. Ich begriff es, war aber nicht sonderlich glücklich darüber und fest stand, dass sich das Gericht doch eigentlich daran halten müsste, wenn in einem Protokoll niedergeschrieben ist, dass ihm sein ach so wichtiges Recht sofort entzogen wird, wenn er gegen einen der Punkte verstößt. Tut es aber doch nicht, aus den oben genannten Gründen. Was soll ich dazu noch sagen, bzw. schreiben? Glück? Schicksal? Gut ist es, dass der Herr Richter sich die Strafakte kommen ließ, selbst wenn es auch sonst nicht viel gebracht hat. Nach dem Termin beim Jugendamt ging es mir zugegeben sehr schlecht, der Termin rückte immer näher und somit auch der Anblick meines Vaters, der ein ganzes Gebäude mit Hass und Aggression füllt, sodass man schreien könnte. Ich bekam wieder Probleme mit meinem Auge, doch zum Glück eiterte es nicht. Ich war nervös und innerlich völlig aufgewühlt, schlecht gelaunt und so weiter und so fort.
Der Tag war also gekommen, doch ich stand mit Zuversicht auf. Erst wurde die Sache mit dem Sorgerecht behandelt, die sowieso alleine vom Richter entschieden wurde. Ich ging ursprünglich mit, damit ich mich mit dem Richter, falls nötig, unterhalten könnte, obgleich ich auch nicht geladen war. Ich wollte eigentlich bei dieser Verhandlung auch dabei sein, doch das wurde mir aus rechtlichen Gründen verwehrt. Ich wartete also draußen vor der Tür, an einem runden, weißen Tisch mit blauen Stühlen, die silberne Metallbeine hatten und starrte auf zwei sehr düstere Bilder, die nach Zerstörung, Blut und Hass aussahen. Ob ich im Saal geblieben wäre oder nicht, wäre im Prinzip egal gewesen, die Türen von den Gerichten sind so dünn und bestehen aus altem, dünnen Holz, sodass man die Hälfte, wenn man denn aufmerksam zuhört, sowieso versteht. Mein Vater sagte, er könne sein Sorgerecht nicht abgeben, es wäre ihm viel zu wichtig. Er meinte, dass ich an meiner jetzigen Schule fehl am Platz wäre und er hätte sich erkundigt, dass dort nur zehn Prozent durchkommen würden, außerdem möchte er darüber entscheiden, was ich in Zukunft mache und da meine Mutter sowieso dumm wäre, könnte sie das nie und nimmer richtig entscheiden. Es war wieder einmal eine einzige Lüge und mehr nicht, es wurde auch sehr laut, vor allem mein Vater erhob oft die Stimme. Er wollte auch nicht ewig für mich Unterhalt zahlen und ihm würde das Haus gehören. Es zog sich fast eine Stunde hin und entschieden wurde, dass er zwar das Sorgerecht behalten darf, meine Mutter sich jedoch um alle schulischen Belange zu kümmern hat und er dazu rein gar nichts sagen darf. Ansonsten hätte er mich sofort von der Schule genommen und mich zum Arbeiten geschickt. Zu der zweiten Verhandlung war ich dann zugelassen, da diese öffentlich war. Der Richter wollte das wohl erst nicht so recht, da er mich vor den Streitigkeiten meiner Eltern „verschonen“ wollte. Doch da ich diese schon gewohnt war, konnte ich auch das verkraften. Ich konnte also meinen Vater wieder einmal, nach einem Jahr, so erleben, wie ich ihn in Erinnerung hatte, böse, aggressiv, frauenfeindlich, herablassend und selbstverständlich verlogen. Er war jedoch alt geworden, sehr alt und klein, ein armer, zorniger, geisteskranker Mann, der nach einem seiner vielen Urlaube, die er jeden zweiten Monat macht, aussah, wie eine eingetrocknete, ungenießbare Banane, die in der Sonne einsam und alleine herumliegt und immer mehr zusammenschrumpelt. Es war deutlich zu erkennen, vor allem für mich, die im Hintergrund saß und sich jede Bewegung und Reaktion genau ansah, dass sein Anwalt sich für ihn schämte, sogar sehr. Grund dazu gab es allerhand. Er beschimpfte den Anwalt meiner Mutter und sagte: „Mit Ihnen möchte ich gar nicht auf einer Wellenlänge sein, Sie können auch nie meine erreichen und verstehen werden Sie mich sowieso nie, das möchte ich auch gar nicht. Sie haben sowieso keine Ahnung von nichts, Sie sind gar nicht im Thema drin.“ Oder auch: „Ich warne Sie, ich sag es Ihnen, ich warne Sie, irgendwann komme ich mal in Ihre Kanzlei und dann …!“, dann zögerte er für ein paar Sekunden und meinte weiter: „Von Ihnen habe ich mir schon zu viel gefallen lassen, Sie verbreiten nur Lügen, Lügen, die ich nicht mehr akzeptieren kann, ich habe es Ihnen schon einmal gesagt dass Sie sich zurückhalten sollen!“ Außerdem ging er dann noch gewaltig auf meine Ma los und wurde, wie es ihm ähnlich sieht, frauenfeindlich. „Wer Arbeit finden will, der wird auch Arbeit finden. Beweg endlich mal deinen faulen Arsch und mach was. Du hast ja noch nie gearbeitet und wirst es auch nie, ach, dazu bist du ja gar nicht fähig.“ Und: „Ob man jetzt eine Blondine aus dem Westen hernimmt, oder eine Blondine aus dem Osten ist völlig egal, die Sprachkenntnisse sind eben anders und die Bezahlung …!“, dann griff der Richter ein und meinte, dass er jetzt einmal auf dem Teppich bleiben solle. Als er wieder davon anfing, dass es ja nie Gewalt gegeben hätte und dass wir ihn aus dem Haus geekelt hätten und es regelrecht provoziert hätten, dass er ginge, wurde ich wohl am wütendsten. „Ach, das was mir da an den Kopf geschmissen wird, mit der Badewanne, das ist ja ein Hirngespinst, das ist ja nicht wahr, tse, also so was, bescheuert, aber wirklich!“ In dem Moment bekam ich Tränen in die Augen und schüttelte fassungslos und enttäuscht den Kopf. Er stand zwischendurch immer wieder auf, gab dem Richter kleine Zettelchen und Belege für alles Mögliche und Unmögliche. Der Richter war jedoch sehr gut, nahm vieles mit Humor und Ironie und durchschaute, dass mein Vater über 700 000 Euro einfach unter den Tisch kehrte und auf Biegen und Brechen keinen Unterhalt zahlen wollte.
Der lustigste Moment war, als er plötzlich aufstand, sich zu unserem Rechtsanwalt drehte, ein kleines, silbernes Glöckchen aus seiner grauen Jackettasche herauszog, den Arm ausstreckte und es vor das Gesicht unseres Anwaltes hielt, damit klingelte und lachend sagte: „Folgen sie dem Klingeln des Glöckchens, dann werden sie auch das Geld finden.“ Unser Anwalt lachte darüber erstaunlicherweise, denn ich fand es einfach nur äußerst peinlich und krank. Aber als Außenstehender kann man das wohl mit Humor sehen, wahrscheinlich gerade, weil es ja so abartig ist. Fast drei Stunden, nachdem die Gegenpartei, wie ich sie einmal so nett bezeichnen möchte, alle Belege, worunter mindestens drei gefälscht waren, ungefähr fünf mal erklärt hatte, kam der geduldige Richter endlich zum Ende und beschloss zum Glück, dass meine Ma und ich jetzt endlich Geld bekommen, nach fast zwei Jahren und mein Herr Vater natürlich einiges an Geld nachzahlen muss. Dazu meinte er übrigens: „Tse, das ist doch bescheuert, völlig absurd, von was soll ich denn bitte noch leben? Da kann ich mir doch gleich die Kugel geben.“ Am liebsten hätte ich gesagt, dass er das doch dann bitte auch tun soll. Er war gereizt und aufgebracht, hatte doch tatsächlich die Hoffnung, dass er rein gar nichts zahlen müsste.
Meine Mutter, unser Anwalt und auch ich waren danach sehr erleichtert, jedoch wird es in dieser Sache erneut zu einer Verhandlung kommen. Ehrlich gesagt, verstehe ich auch nicht genau, warum alles immer doppelt und dreifach regelrecht ausdiskutiert und bis zum Erbrechen behandelt werden muss und nach dem Verfahren, das dann eben wieder kommen wird, ist er wiederum in der Lage, Widerspruch einzulegen. Ich möchte nicht sagen, dass sich alles im Kreis dreht, aber das Ende ist wahrhaft weit entfernt, aber immerhin in Sicht. Ich habe auch gemerkt, dass ich zwar noch große Angst vor ihm habe und alleine schon von seiner Anwesenheit einen Koller bekommen könnte und mich schwer zusammenreißen muss, um ihn nicht anzuschreien, doch es ist besser geworden. Ich stehe über ihm, ich bin moderner und ethisch und moralisch sowieso völlig anders eingestellt. Er ist einfach dumm, arrogant und falsch, doch die Aufrichtigkeit eines Menschen und die Liebe zur Gerechtigkeit sollte ein wichtiger Teil eines Menschen sein und wenn er das nicht im mindesten hat, dann ist das auf geistige Verwirrtheit zurückzuführen und vielleicht sogar auf einen Mangel an Intelligenz.
Als wir zu Hause waren, konnten wir uns erleichtert, aber noch leicht angespannt hinsetzen, allerdings musste ich noch lernen, da wir am folgenden Tag eine Schulaufgabe schreiben mussten, aber nun ja, auch das ist zu bewältigen. Abends jedoch, als ich mit meiner Freundin Ina redete und ihr alles am Telefon erzählte, war plötzlich die Verbindung weg und die Leitung schien wie tot. Ich fragte mich, ob ich etwas falsch gemacht hatte, vielleicht eine Taste aus Versehen betätigt, aber dem war nicht so. Im Keller hörte ich einen lauten Piepton, der aus dem Büro kam, meine Ma war auch schon dort und ich lief schnell zu ihr. Was war passiert? Ausgerechnet heute? Wie war das, er könnte sich ja gleich die Kugel geben, oder doch eher uns? Unten waren alle Kameras ausgefallen und die Sicherung dafür auch herausgesprungen. Alle anderen komischerweise nicht und das Telefon hing doch auch nicht damit zusammen, oder? Meine Mutter zitterte ein wenig und sah mich eindringlich an: „Lena, ich glaube nicht an Zufälle!“ Ich fragte sofort, ob draußen das Licht an war und, ja, dem war so. Jetzt wurde es noch beängstigender. Schnell holten wir Mamas Handy und gingen wieder in den Keller. Die Kameras hatten anscheinend einen Teil doch noch auf die Festplatte abspeichern können, also sahen wir uns das an, nachdem wir endlich die Sicherung wieder in Ordnung gebracht hatten. Ich schaltete den Fernseher aus und horchte, konnte aber kein Geräusch vernehmen. Wir sahen uns also die Aufnahme bis zu dem Kurzschluss, oder was auch immer es war, an. Richtig, das Licht war an, aber es war nichts zu sehen, keine Katze, kein Marder oder sonst ein Tier, doch eine Kamera bewegte sich ein wenig. Ich versuchte logisch zu denken und ruhig zu bleiben und sagte dann zu meiner Ma: „Überleg doch mal, bis zu dem Zeitpunkt, als es den Kurzschluss gab, konnte die Kamera noch alles aufnehmen und hätte daher auch denjenigen aufnehmen müssen, der eventuell etwas an der Kamera gemacht haben könnte, aber dort war ja niemand. Vielleicht war es einfach ein Vogel, der sich auf die längliche Kamera gesetzt hat und mit seiner Kralle an eines der Kabel gekommen ist und außerdem ist doch auch das Telefon an der Steckdose mit den Kameras verbunden, oder?“ Meine Ma sah mich zwar nicht gerade überzeugt an, war aber etwas beruhigter. Seltsam war jedoch wirklich, dass dies alles an dem Abend passierte. Wir schlossen also den ganzen Keller ab, schlossen uns selbst so gut es ging ein, versicherten uns, dass die Garage auch abgeschlossen war und nahmen unsere Handys mit ans Bett. Die Nacht verlief zum Glück ganz ruhig und wir waren wohl auch so erschöpft von der ganzen Aufregung, dass wir ganz gut schlafen konnten.
Aber jetzt zu anderen Dingen, es ist schließlich noch viel mehr passiert, obwohl ich wirklich gestehen muss, dass mein Leben ruhiger geworden ist, aber das meine ich natürlich nicht negativ. Ich hatte keine besonders gute Phase vor der ganzen Geschichte und die nächsten Termine stehen auch schon fest, in zwei Wochen geht es noch mal um richtig viel Geld. Ich bin wieder rückfällig geworden und vor den Osterferien habe ich auch ganz schön viele Schmerztabletten geschluckt, um wieder auf den Boden zu kommen, mich zu beruhigen, die Nervosität hat mich teilweise verrückt gemacht. Doch dann merkte ich, dass es ganz schön auf meinen Kreislauf schlug, mir war jeden Tag schwindelig, mir wurde schwarz vor Augen und ich fühlte mich andauernd so, als ob ich gleich zusammenbrechen müsste. Auf die Dauer kein wirklich schönes Gefühl. Erst dachte ich nicht an die vielen Nebenwirkungen der harten Schmerztabletten, doch als ich meiner Freundin Nena davon erzählte, fragte sie mich unter anderem, ob ich denn momentan irgendwelche Tabletten nehmen würde. Natürlich lag es daran, an was auch sonst, vielleicht wollte ich es einfach nicht wahrhaben und dachte deswegen nicht darüber nach. Jedenfalls habe ich das jetzt aufgehört, auf die Dauer bringen diese Tabletten einen um. Und zu der anderen Sache, nun, was soll ich dazu noch schreiben? Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass ich es überwunden habe, eigentlich, doch manchmal kommen Phasen, starke und schlimme Depressionen, Bilder und Emotionen kommen hoch, alles dreht sich und ist furchtbar zu ertragen, es gibt kaum einen anderen Ausweg. Ja, es gibt einen, es einfach zu lassen, das ist mir bewusst, nur nicht in diesen Momenten. Ich drehe durch, habe keine Kontrolle mehr, denke nur noch an den Schmerz, den Tod und an all meine Aggressionen und den Hass, der mich immer noch zerfrisst. Ich sollte eine Therapie machen, nicht weil ich verrückt bin, sondern einfach weil ich in gewisser Weise doch krank bin und diese Krankheit nicht einfach mit Medikamenten zu behandeln ist. Ich schiebe es jedoch immer vor mich hin, nehme es mir vor, glaube an einen Erfolg und könnte schwören, dass ich mich sofort am nächsten Tag darum kümmern werde, doch sobald es mir besser geht, ich mich wieder gefangen habe und das Leben wieder seinen Lauf nimmt, finde ich keine Zeit, habe Angst, diesen Schritt zu machen und denke, dass ich wahrscheinlich wieder an so einen Menschen geraten werde, der mir nicht gut tut, da dies schon so oft der Fall war. Ich habe Angst, so wie immer und in der Depression ist mir alles so egal, dass ich es tatsächlich wagen könnte, doch danach stelle ich mich wieder wie ein Feigling an.
Max, dieses Thema, hat mir wohl vor einigen Wochen den Rest gegeben, ich war verletzt, so unendlich verletzt und enttäuscht, aber auch das habe ich irgendwie in den Griff bekommen. Jetzt telefonieren wir sehr oft, ich bin zu seiner besten Freundin geworden und ich merke richtig, dass er anhänglich ist, was mich wiederum ehrt und mir in gewisser Hinsicht doch viel zurückgibt. Leicht ist es nicht, aber es wird besser und ich bin ganz zufrieden, dass ich ihm jetzt noch viel näher stehen kann, als je zuvor. Ich liebe ihn, er ist so ein wunderbarer Mensch und ich weiß, dass er in manchen Situationen weiß, dass es bei mir immer noch mehr als Freundschaft sein könnte und trotzdem macht er weiter. Diesen Punkt verstehe ich zwar noch nicht so ganz, aber vielleicht hat es ja im Nachhinein irgendeinen tieferen Sinn. In den Ferien kam er mich besuchen und ich habe schon eine Woche zuvor angefangen zu putzen, ja, ich weiß, es ist albern, aber ich musste es einfach tun. Ich wollte, dass alles perfekt für ihn ist, dass er alles rundum bewundert und aus dem Staunen nicht mehr herauskommt, dass er begeistert ist und mich lobt. Ich rannte also am Tag zuvor und an dem Morgen wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Wohnung, räumte auf, putzte und deckte unten den Tisch fürs Mittagessen sehr edel und schön, wie gesagt, es sollte alles perfekt sein. Plötzlich rief es an und er war an der anderen Leitung, meinte, dass er eine Stunde später käme. Jetzt war ich enttäuscht, wahrscheinlich, weil ich mich extra beeilt hatte. Später, als er da war, lief mein Gesicht knallrot an und ich war aufgedreht, völlig stressgeladen und ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Ma das gemerkt hatte und nicht sonderlich begeistert davon war, da sie wusste, dass er nun einmal schwul ist. Jedenfalls aßen wir alle zusammen und natürlich lief alles ganz anders, als ich es geplant hatte. Er war ganz still und sagte kaum ein Wort, die Stimmung war nicht direkt angespannt, aber eben nicht locker und lustig, so wie ich es mir doch gewünscht hatte. Viel Lob bekam ich auch nicht zu hören, eher etwas anderes. Er hätte sich das alles ja noch viel größer vorgestellt, mein Schlafzimmer war ihm zu verspielt, mein Wohnzimmer zu leer und die Straße, in der wir wohnen, war auch nicht nach seinem Geschmack, er dachte, es wäre hier alles viel „reicher“ und „mehr Villen“. Auf die Frage, ob er denn mal wiederkommen wolle, meinte er nur: „Hmm, joa, vielleicht“, und ich stand am Ende des Tages alleine in meiner wunderschönen Wohnung, die aufgeräumt war, glänzte und funkelte, zudem noch gut roch und war trotzdem nicht zufrieden. Und warum? Weil er es nicht war! Zugegeben, danach war ich etwas beleidigt und wir telefonierten auch nicht mehr so oft miteinander und er merkte es sogar, dass ich, aus unverständlichen Gründen, irgendwie distanziert war. Nun ja, das ging selbstverständlich nicht lange und nun ist alles wieder in Butter. War ja auch lächerlich von mir. Aber aus so etwas lernt man einfach nur.
Meinen Führerschein habe ich jetzt auch seit einigen Wochen und bin schon fast 1000 Kilometer gefahren und alles lief gut. Mit der ersten Fahrschule haben wir noch ganz schön Ärger. Die werte Leiterin, dieses Miststück, glaubt doch tatsächlich, dass sie mit gefälschten Rechnungen und aufgelisteten Fahrstunden, die ich nicht einmal unterschrieben und auch nicht genommen habe, durchkommt. Wieso gerate ich eigentlich immer genau an diese Sorte von menschlichem Leben, das nur darauf aus ist, dich zu verarschen, zu betrügen und zu hintergehen? Jedenfalls wehren wir uns dagegen. Nur weil wir ein großes Haus haben, heißt das noch lange nicht, dass wir uns von vorne bis hinten bescheißen lassen. Soviel dazu. Gerechtigkeit muss einfach erzwungen werden in dieser Welt, ein Grundsatz scheint diese nicht mehr, oder besser gesagt, immer noch nicht zu sein. Es ist furchtbar, furchtbar ungerecht.
Meine Oma, bei der wir auch in den Osterferien waren, hat einen Tumor in der Brust. Ob er gefährlich ist oder nicht, das können die Ärzte anscheinend schlecht beurteilen und nun muss sie ihn selbst beobachten, ob er größer wird, jedoch empfehlen sie ihr, ihn zu operieren. Auch kein Spaziergang mit über achtzig Jahren. Hoffentlich geht alles gut, ich bete dafür.
Mit meiner Gesundheit geht es momentan, ich hatte schon lange keine Infektion mehr, jedoch immer irgendwelche kleinen Dinge, die wohl von der Psyche kommen, wie zum Beispiel Augenzucken, das sich über Stunden hinzieht und wirklich nur lästig ist, oder zu viel Magensäure, die dann dazu führt, dass mir ab und an ziemlich schlecht wird und ich denke, gleich auf die Toilette flüchten zu müssen. Aber es geht schon, es könnte schlimmer sein.
Somit beende ich meinen Eintrag und hoffe, dass wir auch in Zukunft keine unerwünschten Menschen auf unserem Grundstück oder in unserer Nähe haben.
Tagebuch vom 19.05.2007
Wieder ist eine Verhandlung geschafft. Es ging um die Konten, von denen mein Herr Vater alles abgehoben hat. Das heißt, es ging eigentlich nicht um mein Geld, sondern um das der Mama. Ich hatte immer große Angst davor, sehr große. Falls meine Ma tatsächlich das ganze Geld bekommen würde, das sie eingeklagt hatte, wären das genau 310 000 Euro gewesen. Eine Menge Geld. Er wäre daraufhin mit Sicherheit ausgeflippt und hätte ihr, oder sogar uns beiden etwas angetan. Ein schrecklicher Gedanke. Ich zerbrach mir den Kopf und fand eigentlich keine gute Lösung, also hatte ich Tag um Tag mehr Angst, denn der Gerichtstermin rückte schließlich näher. Was wäre, wenn sie mich eines Tages nicht mehr am Bahnhof abholen würde, ich würde warten und warten, versuchen sie zu erreichen, doch niemand würde abnehmen, schließlich würde ich den Bus nehmen und ein Stückchen nach Hause laufen, am Haus angekommen würde ich ein zerschlagenes Fenster sehen, mein Atem würde stocken, ich würde wie angewurzelt dastehen, mich letztendlich doch überwinden, um in das Haus zu gelangen und dort würde ich sie dann finden, auf dem kalten Fußboden mit Blut überströmt und kein Lebensfunke wäre mehr zu sehen. Und dann? Was dann? Würde ich ihn dann so lange suchen, bis ich ihn gefunden hätte und ihn auch kaltblütig ermorden oder würde ich mich sofort von irgendeiner Brücke stürzen? Würde mich der Anblick vielleicht so traumatisieren, dass ich ein Leben lang nichts mehr sagen würde und man mich einweisen müsste? Ich weiß es nicht und das ist auch gut so.
Der Tag der Verhandlung war also gekommen und leider durfte ich dieses Mal nicht mit hinein, da ich als Zeugin hätte aufgerufen werden können. Ab und zu gingen beide Parteien hinaus und berieten sich, dadurch konnte ich immer erfahren, was gerade geschehen war und vor allem, ob etwas entschieden wurde. Die Richterin war erstaunlich jung und bisher hatten wir noch nie eine Frau. Sie schien sehr nett und verständnisvoll zu sein und hatte auch gerade eine Scheidung hinter sich, konnte daher vielleicht sogar besser mitfühlen. Sie lief zwischen den Parteien, die auf dem langen Gang standen, immer hin und her und vermittelte außerhalb des Verhandlungssaals, wirklich außergewöhnlich. Man einigte sich dann nach über einer Stunde, was für uns eher kurz ist, auf einen Betrag von 160 000 Euro. Er verpflichtete sich, das Geld sehr bald zu zahlen, um sicherzugehen, dass er es nicht doch nach einiger Zeit verschwinden ließ. Die Entscheidung hatte sehr viele Vorteile, wir bekommen nun schnell Geld, er kann keinen Einspruch einlegen, weil er dem definitiv zustimmte und der Beschluss feststand, so mussten wir also nicht schon wieder an ein Oberlandesgericht, außerdem hätte das Oberlandesgericht uns wieder sehr viel gekostet und ob er bis dahin nicht das Geld weggeschafft hätte ist auch noch ein Punkt. Es war zwar „nur“ die Hälfte, aber immerhin stimmte er zu und das ist ein gutes Zeichen, denn dann kann ich beruhigt sein, dass er nicht durchdreht und meine Horrorvorstellungen wahr werden. Ich war überglücklich, es war zwar ein Kompromiss, aber immerhin ersparten wir uns dadurch sehr viele Probleme. Ich wurde zudem nicht einmal angehört, weil die Richterin nicht noch ein größeres Drama daraus machen wollte. Ich war zufrieden und meine Gebete am Vortag sind erhört worden. Ich betete, dass ich leben will und dass ich vor allem will, dass meine Mutter lebt, ich will nicht mehr leiden und Angst haben, denn wenn das sogenannte Leben damit erfüllt ist, dann ist es kein Leben mehr, sondern die schlimmste Vorstellung vom Tod. Das Schicksal hat es also tatsächlich hinbekommen, dass es zu einem Kompromiss kommen konnte. Ich war erleichtert, unser Anwalt war äußerst zufrieden, die Richterin war froh, aber die einzige Person, der es danach tagelang schlecht ging, war meine Mutter. Sie wollte mindestens 200 000 haben, wenn nicht noch mehr, aber die Richterin, unser Anwalt und auch ich redeten auf sie ein, dass es das Beste wäre und schließlich gab sie dann auch nach. Danach jedoch war sie traurig und wütend, unzufrieden und weinte den nächsten Tag fast den ganzen Nachmittag bis in den Abend hinein. Sie trank wieder und war deprimiert, fand es im Nachhinein völlig falsch, so zu handeln und auf uns gehört zu haben. Ich konnte nicht mehr, als ich sie so dasitzen sah. Ich konnte und wollte sie nicht verstehen, ich hatte es satt. Sie benimmt sich wie ein kleines Kind und macht mich wahnsinnig wütend. Ich kann nicht mehr, ich kann mich nicht noch um sie kümmern und sie immer trösten, es ist zu viel für mich, denn ich brauche selbst soviel Energie und Kraft um weiterzumachen, nicht aufzugeben, jeden Tag zu lernen, meine Hausaufgaben zu machen, mich nicht gehen zu lassen und irgendwelche Sachen machen, die ich hinterher bereuen würde, obwohl ich das schon des Öfteren gemacht habe. Es ist alles so schwer und ich platze manchmal vor Wut und Verzweiflung. Ich war zufrieden, man könnte sagen, richtig glücklich und das war ein Riesenbrocken, der vor allem für meine Ma belastend war, doch sie ist überhaupt nicht zufrieden, kein bisschen, keine Erleichterung, nichts, nein, sondern Depressionen. Warum hört sie damit nicht auf, warum? Muss ich das verstehen? Muss ich immer Verständnis zeigen? Ein paar Tage vor der Verhandlung sagte sie zu mir, dass mich die ganze Sache ja nichts anginge und überhaupt nichts mit mir zu tun habe, ich hätte ein so schönes und unbeschwertes Leben, alles wäre bei mir doch in bester Ordnung und ich bräuchte mich auch um nichts zu kümmern. Daraufhin stand ich absolut fassungslos im Wohnzimmer und sah sie ziemlich entsetzt an. Ich meinte daraufhin: „Ja, natürlich, mich geht ja nichts was an. Ich bin nicht mir euch verwandt und lebe irgendwo abgeschottet, ganz weit weg in einem anderen Dorf!“ Sie sagte dann noch irgendetwas, aber ich weiß nicht mehr genau, was es war, jedenfalls ging ich dann hoch, setzte mich auf meine Couch und starrte einfach so vor mich hin und hätte am liebsten wieder …!
Ich weiß nicht, ob ich noch irgendwann einmal glücklich werden kann, ich weiß es nicht. Manchmal glaube ich, dass sie mich nicht liebt, denn sehen tut sie mich leider schon lange nicht mehr, sie will mich wahrscheinlich nicht, weil ich auch ein Teil von ihm bin und da sie mich leider jeden Tag zu Gesicht bekommt, erinnere ich sie an ihn und deshalb kann sie mich einfach nicht so akzeptieren. Sie mag es nicht, wenn ich mal meine Brille aufhabe, sie stört es, wie ich mich anziehe, sie kann es nicht haben, wenn ich mir meine Haare mal nicht so style, dass ich viele Locken habe, sie anstatt dessen glatt ziehe, weil ich manchmal eben etwas Abwechslung will. Was soll ich dazu noch sagen, oder was soll ich machen? Vielleicht ist es wirklich besser, wenn ich mich irgendwann umbringe, damit sie mich nicht mehr sehen muss. Andererseits braucht sie mich, ich merke das schon und sie sagt, dass sie mich lieb hat, aber selten von alleine, nur wenn ich sie frage. Alles kommt mir so unnötig und sinnlos vor. Ich bin nun einmal von ihr abhängig, von ihren Gefühlen, von ihrer Ausstrahlung, von ihrer Aura und auch von ihren Depressionen. Ich will das alles nicht mehr fühlen, ich will nicht, denn dadurch fühle ich mich alleine und verletzt. Ich würde sie manchmal gerne anschreien und ihr sagen: „Mich geht alles so wenig an, dass ich dadurch das Borderlinesyndrom bekommen habe!“ Sie will nicht einmal, dass ich zu einem Psychologen gehe, die wären alle bescheuert und verrückt und würden mich sowieso nicht heilen können und mich zudem nur enttäuschen. Ich bräuchte das nicht, schließlich sei ich nicht verrückt und wenn jemand dort hin müsste, dann mein Vater und ob ich denn glauben würde, dass ich verrückt sei, ob ich das tatsächlich denken würde. Es gibt hier fast keinen Ausweg, wirklich, Jahr um Jahr schließen sich die Türen und manchmal sehe ich nur noch eine einzige und wenn ich diese nehme, dann bin ich endgültig weg, zumindest von diesem Leben wäre ich dann erlöst.
Aber nun wieder zu etwas anderem. In letzter Zeit plagt mich eine Frage, ein seltsamer Gedanke. Ich fange am besten von vorne an. Früher spielte ich gerne mit meinen Barbies, ich liebte sie, sie waren vollkommen und wunderschön. Ich hatte jedoch nur zwei Männer, im Gegensatz dazu über dreißig Barbiepuppen. Und daher gab es bei mir ein Frauenpärchen, richtig, sie waren lesbisch. Obwohl ich damals noch gar nicht so richtig wusste, was das überhaupt war, kannte ich es. Außerdem hatte ich schon mindestens genauso viel mit Frauen, wie mit Männern. Jutta, eine meiner neuen Schulfreundinnen, machte mir Anfang des Jahres, so um Fasching rum, den Vorschlag, dass wir beide ja mal etwas miteinander machen könnten und spielte natürlich darauf an, etwas mit mir zu haben und da das noch nie ein Problem für mich war, tat ich es. Sie übernachtete bei mir. Wir tranken uns vorher etwas an und machten dann ziemlich heftig miteinander rum, das Ganze ging wirklich stundenlang und war, zugegeben, ganz schön heiß. Wir gingen nicht zu weit, hatten beide aber nur noch unsere Unterhöschen an. Ich hatte anschließend kein schlechtes Gewissen, aber sie anscheinend schon und danach war unsere Freundschaft nicht mehr die, die sie vorher war. Mich ärgerte das ganz schön, da sie den Vorschlag gemacht hatte und sich hinterher nicht gerade erwachsen benahm. Aber nach ein paar Wochen war es wieder wie vorher. Jetzt hat sie auch einen Freund, scheint aber nicht gerade überglücklich mit ihm zu sein, da sie selten von ihm redet und mir diese Woche angeboten hat, einmal zu ihr zu kommen, ihr Bett sei noch nicht ausprobiert worden und mit uns wäre es doch sehr schön gewesen. Ehrlich gesagt erschreckt mich das etwas und ich lehnte ab, mit der Begründung, dass sie doch einen Freund habe und außerdem hätte sie womöglich hinterher wieder Gewissensbisse. Sie reagierte ganz normal darauf und sagte ganz nüchtern, dass ich vielleicht recht hätte, dass sie dann gegenüber ihrem Freund ein schlechtes Gewissen hätte. Eine meiner besten Freundinnen, Ina, machte mir auch so ein „Angebot“, auch das erstaunte mich etwas, da sie eigentlich nicht lesbisch ist, aber es sie irgendwie doch reizt. Warum ausgerechnet ich? Sie meinen, ich wäre sexy und hätte etwas sehr Anziehendes. Auch das war wieder überraschend. Früher in meiner alten Realschule war ich das brave, liebe Mädchen, die als eher unschuldig eingestuft wurde, aber jetzt, da ich mich auch äußerlich geändert habe, mich mehr traue und auch selbstbewusster geworden bin, habe ich einen komplett anderen Ruf. Einer aus meiner Klasse scheint auch sehr interessiert an mir zu sein. Das ehrt mich sehr, obwohl er eher ein Freak ist und zudem noch ein Kind, aber sein Interesse ist wahrlich nicht zu übersehen. Er starrt mich ständig an und seine Augen leuchten, wenn ich zur Tür hereinkomme, er macht mir viele Komplimente und findet mich, wie er schon sagte, am interessantesten von allen. Nun ja, wie sich alles ändern kann. Aber zurück zu dem eigentlichen Thema. Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt noch mit einem Mann in meinem Leben auskommen kann, ob das nicht meine Vergangenheit kaputt gemacht hat. Zugegeben, ich habe einfach eine gewisse Grundangst bei Männern und traue keinem, habe Angst vor Verletzungen und auch davor, dass mir der Sex keinen Spaß machen würde, weil ich viel zu verkrampft dabei wäre, einfach aus Misstrauen. Ich weiß es nicht, vielleicht liegt es auch an den eher weniger guten Erfahrungen mit meinen Exfreunden. Mein Gedanke war, ob ich vielleicht wirklich homosexuell bin. Ich weiß es nicht. Wenn mir ein gescheiter Kerl begegnen würde, mit Intellekt, jemand, der eine gewisse Ruhe ausstrahlt, Humor hat und mich irgendwie sanft führen könnte, das wäre wunderbar. Aber gibt es so etwas überhaupt? Eher nicht. Sollte ich vielleicht in völliger Keuschheit leben und alles nach anderen Werten ausrichten? Sollte mein Verstand nicht so ausgebildet sein, dass Sex völlig unwichtig erscheint und nur noch Wissen und innere Zufriedenheit der Mittelpunkt sein sollten? Sicherlich stellen sich viele diese Frage. Es kann auch sein, dass ich noch in der Ausprobier-Phase bin. Alles ist möglich, aber ich würde es gerne mal ausprobieren, richtig mit einer Frau zusammen zu sein, einfach um zu sehen, ob es mich glücklich machen würde. Ich weiß gar nicht mehr, was ich noch denken und tun soll, alles ist seltsam und gestört in meinem Leben, aber das macht es auf eine schräge und ironische Weise auch interessant und vielleicht sogar lebenswert, zumindest ab und an.
Nächste Woche, am Montag, steht wieder eine Verhandlung an, es geht um sein Wohnrecht, das er unbedingt will. Er hat mich vergeklagt und nun stehe ich als „Beklagte“ vor Gericht. Ist das nicht auch irgendwie lustig? Wie kann man nur seine minderjährige Tochter verklagen. Obwohl, es ist mein Vater, von dem her ist alles möglich. Aber er wird es nicht bekommen, das schwöre ich bei meiner Würde. Der Richter hat meine Prozesskostenhilfe auch nur bewilligt, weil diese Sache Aussicht auf Erfolg hat und wenn er das schon schreibt, muss es doch gut gehen. Mir wurde sogar ein Rechtspfleger zugewiesen, da ich ja noch nicht volljährig bin, so sind wir in zwei Tagen also zu viert und auf der anderen Seite nur er mit seinem kleinen Anwalt, der beinahe schon aussieht wie Gollum mit seinen großen Glubschaugen und den wenigen Härchen, die im Übrigen immer weniger werden, obwohl er erst so um die 35 Jahre alt sein muss. So ist das im Leben, ein einziger Farbklecks, der sich auf einer runden Scheibe dreht und dreht, verläuft und seinen Weg einschlägt und sich trotzdem noch dreht. Aber ab und an kann man in diese eintönige Farbe ein paar bunte Kleckse hineinspritzen, die das Ganze etwas aufhellen, nach einiger Zeit jedoch wieder untergehen und so nimmt es seinen Lauf.
Tagebuch vom 01.06.2007
Ich schwimme in einem Ozean, der dunkelblau ist und in dem es nichts als Wasser gibt, ich bin alleine, keiner ist dort, der mich retten könnte, schreien kann ich schon lange nicht mehr und eigentlich will ich auch keine Hilfe mehr, ich habe mich damit abgefunden, leblos und kalt in diesem riesigen Ozean zu treiben, ohne zu wissen, wohin, ohne einen Anhaltspunkt.
Die letzte Verhandlung war sehr hart, aber was danach kam, war noch viel härter. Mein Vater verdrehte wie immer alles, meine Mutter, die nicht aussagen durfte in dieser Sache, saß hinter mir als Zuschauerin und griff mir peinlicherweise immer dann mit ihren Fingernägeln in meinen Arm, wenn ich etwas dagegen sagen sollte, obwohl der Richter erst die eine Partei und dann die andere befragte und ich gar nichts sagen durfte. Die Verhandlung war wie eine Folter für mich, in der ich schwitzte und bangte und am liebsten eine Bombe in den Raum geworfen hätte. Als nächstes sagte ich meinen Teil, der jedoch bedeutend kürzer war, als der meines Vaters, dennoch sagte ich kurz und knapp das Wichtigste und den Rest überließ ich unserem Rechtsanwalt, der sich zugegeben sehr gut schlug und nahezu perfekt argumentierte, obwohl selbst der Richter diesem verwirrenden Fall nicht ganz folgen zu können schien. Am Ende kam eigentlich gar nichts dabei heraus, denn das Urteil wurde erst zu einem späteren Zeitpunkt verkündet und damit war es beendet. Der Richter war wieder sehr jung, unerfahren und ihm war die Sache sichtlich zu viel, dennoch bemühte er sich, auch wenn er teilweise sehr hilflos und verwundert auf seinem Stuhl hinter einem langen Holztisch saß.
Ich war danach am Ende, fertig mit den Nerven und am nächsten Tag schrieben wir auch noch eine Schulaufgabe. Der erste Satz, den meine Mutter nach der Verhandlung sagte, war: „Mensch, warum hast du denn nichts gesagt?“ Unser Rechtsanwalt war der Meinung, dass es durchaus ganz gut gelaufen war. Meine Ma war auf der Rückfahrt dann wieder gut gestimmt und machte mir sogar etwas Mut und sprach mir zu. Schön, wenn das auch so geblieben wäre.
Plötzlich, als wir zu Hause waren, bekam sie einen radikalen Stimmungswandel und schrie mich nur noch an. Sie warf mir vor, dass ich nichts zu den Verträgen gesagt hätte und ob ich eigentlich bescheuert wäre, ich hätte Mitschuld, wenn das Urteil nicht gut ausfallen würde und dann könnten wir aber auch alles hinschmeißen. Außerdem bekam ich noch zu hören, dass ich völlig nutzlos wäre und sie mich in Zukunft auch nicht mehr ins Gericht mitnehmen würde, egal ob ich als Zeugin benannt wäre oder nicht, da ich sowieso immer alles vermasseln würde, ich würde mein Scheißmaul nicht aufbekommen und für was ich denn eigentlich gut wäre, dass ich unnütz bin und eine blöde Kuh, dass ich ein Scheißweib wäre und zu blöd und zu dumm für alles bin. Die Vorwürfe und Beschimpfungen nahmen fast kein Ende und zu Wort kam ich sowieso nicht, was hätte ich auch sagen sollen. Dass sie schließlich dran schuld ist, warum hat sie auch diesen Kerl geheiratet, weshalb in Gottes Namen hat sie diese vielen Verträge unterschreiben müssen? Hätte ich das sagen sollen? Sie war kurz davor, mich zu schlagen, das habe ich deutlich gemerkt. Ich ging dann hoch und konnte nicht mehr, ich hatte noch weniger Kraft als zuvor. Ich war also nutzlos, sie hasste mich, ich schien nur dazu da zu sein, um irgendwelche Aussagen zu machen, für sonst nichts. Ich wäre wertlos und mit mir hätte das schon lang keinen Sinn mehr. Wie sollte ich das verstehen? Eigentlich doch nur so, dass es besser wäre, wenn ich tot sein würde. Alle haben mich verlassen und verletzt, ich bin alleine und an dem Tag wurde mir richtig bewusst, dass ich nicht nur einfach einsam war, sondern dass ich beide Eltern verloren habe. Ich bin verlassen worden, verstoßen, er hat mich schon lange verlassen und bei ihr kam es nach und nach, es war spürbar und an diesem Tag war es nicht nur spürbar, sondern auch deutlich. Ich war also an allem schuld, an allem. Was soll ich machen, was? Ich kann es ihr nicht mehr recht machen, ich konnte es noch nie und werde es auch nie können, weil sie mich nicht mehr sieht, nicht mehr sehen will, genug von der Sache und auch von mir hat. Es ist verdammt hart, aber das ist die Wahrheit, in deren Gesicht ich direkt blicken konnte.
Ich ging also in meine Wohnung und weinte, ich weinte und weinte, ich fing an zu zittern, konnte nicht mehr stehen und sackte auf den Boden. Eine unglaubliche Wut stieg in mir auf. Ständig knallte sie unten die Türen und ich konnte deutlich hören, wie sie sich immer mehr Alkohol holte und den Korken aus der Weinflasche zog und die Flasche Sekt mit einem Knall öffnete. Es nimmt kein Ende, alles nimmt kein Ende, es hört nicht auf, die Hoffnung ist eine Art Einbildung, in den Köpfen der Menschen verankert, damit sie ihrem Selbsterhaltungstrieb nachgehen, mehr nicht. Ich wollte die ganze Wohnung kurz und klein schlagen, ich wollte alles zerstören. Ich schmiss ein paar Hefte und Stifte zornig vom Tisch und weinte weiter. Ich fühlte den Tod, er war in meinem Kopf, in meinem Körper und im Raum. Ich nahm vier Schmerztabletten und etwas, um runterzukommen in der Hoffnung, dass ich auch, bedingt durch meinen nervlichen Zustand, zusammenbrechen würde. Doch das tat ich nicht, der Drang, alles kaputt zu schlagen, ließ nach. Auf einmal hörte ich, wie meine Ma telefonierte, sie rief erst meine Oma an und erzählte ihr, wie dumm ich doch wäre und wie unfähig und so weiter, danach rief sie zwei weitere Bekannte an und erzählte denen das Gleiche über mich. Wie? Wie nur? Sie muss mich hassen, richtig hassen. Wer macht so etwas und veranstaltet einen Rundruf, nur um zu erzählen, wie schlecht und erbärmlich die eigene Tochter doch ist und wie schrecklich das alles für sie ist, aber ich bin die Böse, die, die alles zerstört und falsch macht. Ich machte mich auf und ging in den Keller, um nach Klingen zu suchen, mit denen meine Ma sich immer rasierte. Ich fand sie und hatte nur noch einen Gedanken, schneide dich auf, zerschneide dich, zerstückle dich so sehr, dass das Blut an dir hinunterläuft, sodass du in deiner Wohnung auf dem hellen Teppich ein richtiges Blutbad anrichtest. Ich schnitt in meinen Oberschenkel bestimmt zwanzig große Ritzen und es tat wahnsinnig gut, es tat in dem Moment nicht weh, mir war alles egal, alles. So heftig habe ich wohl auf einmal noch nie geschnitten. Das Blut lief herunter und kurz danach fing es an zu schmerzen und durch meine Hose durchzugehen. Ich ging also ins Bad und legte mir einen kalten Waschlappen drauf, dabei hörte ich, wie meine Mutter immer noch über mich am Telefon lästerte. Ich dachte mir, nein Tabletten bringen es nicht, das Ritzen war auch nicht das, was ich wollte, es soll Schluss sein, ganz aus, zu Ende, für immer und ewig. Ich sah mir meine Wohnung so an, meine einzige Lampe, die an der Decke hing, fiel mir ins Auge. Ich nahm einen Schal, stieg damit auf den Tisch, der unter der Lampe stand, befestigte den Schal fest an der Lampe, danach band ich ihn um meinen Hals. Ihren Gesichtsausdruck hätte ich gerne gesehen, wenn sie hochgekommen wäre und schon vom Gang aus durch die Glastür gesehen hätte, dass ich dort hänge. Würde sie sich freuen? Würde sie lachen? Würde sie vielleicht gleich alle Leute anrufen und ihnen erzählen, dass sich das Töchterlein jetzt erhängt hat, weil es so unfähig und nutzlos war? Das Problem war der große, massive Holztisch, der unter der Lampe stand, so konnte es niemals funktionieren. Ich band mich los und versuchte diesen verdammten Tisch wegzuschieben, um mich danach auf einen Stuhl zu stellen und endlich frei zu sein. Aber es ging nicht, ich schaffte es nicht, diesen beschissenen Tisch auf die Seite zu schieben, er war zu groß und ich zu schwach. Danach brach ich wieder zusammen und dachte mir nur, ja du bist wirklich zu blöd, sogar zu dumm, um dich umzubringen. Ich war schwach, so schwach, ich konnte nicht mehr, meine Augen waren völlig angeschwollen und die Tabletten machten mich total schwindelig, zeitweise bekam ich ein seltsames Kribbeln in meine Arme, die sich dann wie Gummi anfühlten, meinen Beinen ging es nicht anders, doch mein Kopf pochte und fühlte sich so an, als ob er gleich platzen würde. Als ich wieder auf die Beine kam, holte ich mir etwas Alkohol, nach ein paar Schluck wurde mir jedoch so schlecht, dass ich am Abend noch brechen musste. Kraftlos lag ich dann in meiner Wohnung, Tränen liefen mir noch das Gesicht herab. Der Horror, der reinste Horror, aber keiner war da, niemand, keiner rettete mich, keiner sah nach mir, niemand interessierte sich dafür, wie es mir ging. Die Nacht schlief ich fast nicht, weinte nur und dachte an den Tod, an den wunderschönen Tod.
Am nächsten Tag musste ich dennoch zur Schule, stellte mir sogar schon den Wecker, falls ich mit dem Bus fahren müsste und meine Ma mich nicht mehr fahren würde. Zu meinem großen Erstaunen stand sie auf, redete zwar fast nichts mit mir, aber ich konnte selbst mit ihrem Auto zum Bahnhof fahren. Jutta wartete dort schon und auch Max, sie sah mich an und fragte mich mit großen Kinderaugen, wie es denn war. Ich konnte nichts sagen, ich stand da wie gelähmt und fing wieder an zu weinen. Sie stand da, sagte nichts mehr und auch ihr rollten die Tränen aus den Augen. Alle standen stillschweigend da. Max starrte auf den Boden, eine andere Freundin, mit der ich immer ins M. gehe, kam auch dazu, wollte wissen was los war, doch keiner sagte etwas, sie wusste nicht so viel über mich, doch auch sie fand sich schließlich mit dem Schweigen ab, gab mir ein Tempo und starrte aufs Gleis. Als Nena kam und mich sah, wusste sie gleich, was los war, sie wusste es einfach, nahm mich in die erste Klasse, wo es ruhig war und wo wir ungestört reden konnten. Ich erzählte ihr alles und sie saß fassungslos da, schüttelte immer wieder den Kopf und meinte, dass sie meine Mutter einfach nicht verstehen könne, dass sie zwar ihre Aggressionen und ihre Verzweiflung verstehen könne, aber es dermaßen an mir abzulassen, sei schon verrückt und unfair.
Der Rest der Woche war ganz in Ordnung und meine Freunde heiterten mich wieder auf, sodass ich wieder etwas Lebensmut fassen konnte.
Nach dieser Sache brauchte ich eine Veränderung, da ich mich auch innerlich irgendwie verändert hatte. Ich ließ mir also meine Haare dunkelrot tönen. Meiner Ma erzählte ich natürlich vorher davon und sie war sogar einverstanden, es war ja nur eine Tönung, die sich wieder rauswaschen ließ. Ich freute mich schon auf den Friseurtermin und war mit der neuen Farbe auch richtig glücklich. Ich kam nach Hause, doch meine Mutter machte wieder alles kaputt. Sie schlug die Hände vors Gesicht, sank erst einmal zusammen, lehnte sich demonstrativ gegen die Wand und sagte: „Oh Gott, Lena, das bist nicht mehr du, nein, das ist nicht mehr die Lena, die ich kenne.“ Sie war völlig entsetzt, so als ob ich mir meine Haare hätte blau färben lassen oder mir alles kahl rasiert hätte. Als wir dann aßen, sah sie mich nicht mehr an, kein Blick, die ganze Zeit, ich fühlte mich wieder gedemütigt. Sie holte sich dann wieder Alkohol und betrank sich auf meine neue Haarfarbe hin. Ich sagte dann nur: „Es tut mir leid, wenn ich deinen Idealen nicht entspreche.“ Sie meinte nur, dass das nichts mehr mit Idealen zu tun hätte und stellte fest, dass ich eben schwarz geworden wäre. Ich stand dann auf und ging. Am nächsten Tag, es war der Freitag vor den Ferien, waren alle absolut von der Farbe begeistert, jeder, wirklich jeder sagte etwas Positives darüber. Die einzige, die es nicht akzeptieren konnte, war meine Mutter, wie hätte es auch anders sein können. Das Kind ist der Feind, und egal was es macht, sie muss es schlecht heißen.
An diesem Freitag passierte noch was. Ich war bei Ina eingeladen, wir wollten zusammen von Freitag auf Samstag in ihren Geburtstag hineinfeiern, nur wir beide. Es war wunderschön, so unendlich schön, dass es mich fast schon verrückt macht. Sie war leider ausgerechnet an diesem Tag krank, aber das war auch egal, wir hatten trotzdem unseren Spaß. Wir saßen auf ihrem Bett und kamen uns dann näher und küssten uns. Wir küssten uns an dem Tag noch sehr oft und sie bekam sogar einen Privatstrip von mir geboten, es war teilweise unheimlich heiß und wirklich erotisch und auf der anderen Seite war es sanft, liebevoll und romantisch. Da das Zimmer sehr verraucht war, gingen wir abends, als die Luft sehr klar und frisch war, auf einen Spielplatz, vielleicht kindisch, aber in der Abenddämmerung sehr romantisch. Um zehn Uhr gingen wir noch Eis essen, als ich sie einlud sah sie mir ganz tief in die Augen, lächelte leicht und sagte ganz lieb: „Danke“. Ich merkte, wie sie mir näher kam und ich ihr, wir hätten uns fast geküsst, einfach so in der Öffentlichkeit, aber gingen dann wieder zurück, als wir fast im selben Moment merkten, dass um uns herum ja überall Menschen sitzen. Jedenfalls war es ein wahnsinniger Tag und Abend. Das Problem ist, dass ich plötzlich gemerkt habe, wie ich mehr als nur Spaß empfand. Wenn ich an sie denke, werde ich heiter, dieser wunderschöne Tag macht mich so glücklich und oft wünschte ich, dass sie einfach hier wäre, damit ich einfach in ihren Armen liegen könnte und wir uns in die Augen blicken würden. Ich sagte zu ihr: „Eigentlich könnten wir doch zusammen sein, oder?“, und sie entgegnete: „Schon, aber was wäre, wenn das nicht gut ginge, dann wäre alles kaputt“, und ich meinte: „Stimmt, aber es kann doch nicht immer nicht funktionieren.“ Sie sagte dann nur: „Stimmt“, dann küssten wir uns wieder und ich bin, zugegeben, einfach völlig verwirrt. Später redete sie davon, wo wir uns in der Schule überall ungestört aufhalten könnten, sodass es keiner mitbekommen würde und als wir vom Spielplatz zurück nach Hause gingen, liefen wir über eine Wiese, das erinnerte mich an früher, als mein Ex-Freund mich einmal über ein Feld trug und das erzählte ich dann auch, weil es mir gerade einfiel. Sie meinte dann nur: „Das ist ja wirklich süß.“ und dann machte sie das Gleiche. Es gab so viele kleine Momente, die einfach unvergesslich für mich blieben und an die ich immerzu denken muss. Wie gesagt, ich bin einfach völlig verwirrt, ich weiß nicht mehr, was ich denken soll und das Chaos ist gerade sehr groß in meinem Kopf. Ich darf das doch gar nicht denken und sie ist doch eigentlich auch heterosexuell. Oh nein, nein, ich scheine mir immer Probleme zu machen, aus denen ich so schwer herauskomme. Ich mache mir viele Gedanken, aber ich kann sie doch nicht fragen, ob wir denn jetzt eine Beziehung führen, oder nicht oder ob sie es jetzt als Spaß sieht. Wahrscheinlich sieht sie es einfach als Vergnügen, ist froh, dass sie jemanden hat, mit dem sie vielleicht etwas ausprobieren kann. Und was ist mit mir? Hilfe, ich kann das nicht, es würde mir zu sehr weh tun und auf der anderen Seite kann ich auch nicht mehr so mit ihr befreundet sein, wie ich es davor war. Sprich, ich habe mir wohl gerade eine Freundschaft zerstört. Wir melden uns zwar jeden Tag beim anderen, was wir davor nicht getan haben und sagen uns auch immer, dass wir uns mögen und lieb haben, aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich das alles verstehen soll. Auf der einen Seite macht es mich fröhlich und auf der anderen Seite unheimlich traurig.
Morgen fahren wir zu meiner Oma, die die ersten Tage im Krankenhaus ganz schön schlecht gelaunt war, aber mittlerweile geht es wieder und da sie heute entlassen wurde, fahren wir gleich zu ihr. Ich brauch langsam aber sicher wirklich richtige Drogen, um das alles zu überstehen. Sie wird uns wieder völlig fertig machen, vom Tod reden, dass sie ein Pflegefall wird und so weiter. Meine Ma wird dann noch der Geduldsfaden fast reißen und ich bekomme es dann zweifach ab. Wie herrlich. Auf vier Tage voller Freude, Spaß und Harmonie!
Tagebuch vom 06.08.2007
So, nun ist es schon Wochen her, genauer gesagt, schon fast einen Monat, seit mein Vater endlich für seine Schandtaten verurteilt worden ist. Meine Mutter ist alleine schon drei Stunden angehört worden, ich eine Stunde, Günter fast eine Stunde und Katja eine dreiviertel Stunde. Sein Bruder kam natürlich auch, jedoch erst bei der zweiten Verhandlung. Seine Schwägerin sollte auch ihren Auftritt haben, meldete sich jedoch krank, genauso wie eine ehemalige Bekannte von uns, deren Mann schon seit vielen Jahren Alkoholiker ist. Er jedoch kam, erstaunlicherweise. Alle im Saal rochen seine Fahne und der Richter sprach ihn auch darauf an, er stritt allerdings ab, am heutigen Tage etwas getrunken zu haben. Was der Rechtsanwalt mich alles gefragt hat und unsere Freunde, ehrlich gesagt, das möchte ich nicht mehr wiederholen. Ich sagte so viel ich nur konnte, erzählte auch einige Vorfälle von früher. Ich möchte nicht sagen, dass es eine Tortur war, denn ich habe ja schließlich schon Schlimmeres erlebt, aber hart war es trotzdem. Mein Vater wurde zwischendurch laut und teilweise gab es ein richtiges Durcheinander. Es ist so, wie es immer ist und immer sein wird, er streitet alles ab, ist aggressiv wie eh und je und sein Anwalt ist spitzzüngig und geht gerne mal unter die Gürtellinie. Nein, so etwas gibt es nicht nur in einem spannenden, amerikanischen Gerichtsfilm, so etwas gibt es auch in Wirklichkeit, nur dass einem gewaltig die Leichtigkeit und der Humor abhanden kommen, wenn es um die Gerechtigkeit geht. Aber genug davon. Warum ich nicht mehr darüber schreibe? Keine üblen Details, nichts Außergewöhnliches, Gewöhnliches? Weil wir das Ganze noch einmal von vorne durchmachen müssen. Nach dem Urteil müsste er 5000 Euro bezahlen, bekäme neun Monate auf Bewährung und dürfte sich drei Jahre lang absolut nichts zu Schulden kommen lassen, selbst wenn es nur ein Verkehrsdelikt wäre. Weil er sonst nämlich die neun Monate absitzen müsste. Aber er legte Revision ein. Nun geht es in die nächste Instanz. Alles noch einmal von vorne, alle Zeugen, alle beschissenen Fragen, die einem beim zweiten Mal wahrscheinlich noch schlimmer vorkommen werden, die ganze Aufregung Wochen zuvor, blanke Nerven und das alles nur, weil so jemand auch noch das Recht dazu hat, in eine höhere Instanz zu gehen. Warum? Warum! Ich verstehe das nicht, manchmal verstehe ich gar nichts mehr. Alle um mich herum scheinen verrückt zu sein, ignorant und es endet einfach nicht. Eine weitere Nachricht ist, dass er nun sogar das Wohnrecht bekommt, da der Richter der Meinung war, so schrieb er es zumindest, dass Gewalt in diesem Fall keine Rolle spiele, es anscheinend auch egal ist, ob jemand schon vorbestraft ist und nebenbei bemerkt noch mächtig Kohle hat. Alles egal! Egal, egal, egal. Ich frage mich nun wieder, warum? Aber in diesem Fall gehen wir in die zweite Instanz. Ich will und kann es nicht begreifen, dass so etwas in einem Rechtsstaat überhaupt möglich ist, oder dass ein Richter, der eigentlich seine Gesetze kennen und auch über zumindest ein klein wenig gesunden Menschenverstand verfügen müsste, so urteilen kann. Aber nein, auch an dieser Stelle wird es einem wieder schwer gemacht. Ich hasse alles, ich hasse es einfach. Warum kann ihn nicht einfach jemand überfahren und fertig.
Bald bin ich achtzehn, achtzehn, natürlich wieder ein weiterer Geburtstag, wie jeder andere auch, ein Jahr ist wieder vergangen, aber dann bin ich volljährig und daher ist es vielleicht doch etwas anderes, zumindest für mich. Ich werde zurückblicken und mein Leben in Scherben sehen, eine riesige Ruine von Leben hinter mir und – leider auch eine vor mir. Bald sind es schon 18 lange Jahre, in denen ich in der Hölle lebe, keine Ruhe finde, nervlich immer mehr und mehr zugrunde gehe und es immer noch nicht zu Ende ist. Ist das zumutbar? Ist das gerechtfertigt? Ich bin alleine, ich war schon immer alleine und werde es auch immer sein. Mein Vater ist ein Psychopath und noch dazu ein äußerst krimineller, aber meine Mutter ist auch nicht die Heiligste. Wer bekommt es schon seit Jahren immer alles ab? Richtig, ich. Manchmal glaube ich, dass ich ihr ziemlich egal sein muss, so wie sie mir an fast allem die Schuld gibt, mich grundlos anschreit und mit nichts, aber rein gar nichts zufrieden ist, was ich mache. Ich bin hier gefangen, ich werde in alles eingebunden und wenn ich einmal weggehe, was wirklich in einem halben Jahr vielleicht fünf Mal der Fall ist, dann ist sie plötzlich sauer auf mich, redet kaum mit mir, so als ob ich etwas furchtbar Schlimmes tun würde, wenn ich mal Spaß hätte. Aber wenn sie keine Freude empfinden kann in ihrem Leben, dann darf ich das auch nicht. Manchmal bin ich richtig böse auf sie, wenn sie mir wieder an der Situation hier die Schuld gibt oder mich einfach für alles verantwortlich macht, dann denke ich, dass sie in gewisser Weise auch nicht so viel besser ist als er. Sie schimpft immer über ihn, redet über unmenschliche Unterdrückung, aber was macht sie? Genau das Gleiche. Er wollte sie nie rauslassen, sie macht das auch. Ich muss immer alles perfekt machen, alles sauber halten und wehe, wenn ich in meiner Wohnung nicht alles schön aufgeräumt und sauber halte, dann wird mir gleich gedroht, dass sie alles abschließt und ich sozusagen auf der Straße leben kann. Er hat mich immer wegen meinem Aussehen fertiggemacht, mich gehänselt, sodass ich früher kein Selbstbewusstsein hatte und mir noch selbst einredete, dass es wirklich so ist, dass ich sogar Essstörungen bekommen habe, weil ich immer dünner und dünner und noch einen Tick dünner sein wollte. Darüber beschwert sie sich bei mir, findet es ach so schlimm und grausam, aber sie akzeptiert mich nicht einmal mit Brille und sonst gibt es auch nur etwas zu meckern über meinen Kleidungsstil oder sonst irgendetwas. Bis man als junger Mensch dann endlich begreift, dass einem die Eltern jahrelang etwas eingeredet haben, bis man es selbst glaubte, das dauert lange, bis man zu sich selbst findet, seinen eigenen Stil durchsetzen kann, das ist dann ein weiterer Schritt und plötzlich geht man nicht mehr mit gesenktem Kopf durch die Gegend und fühlt sich hässlich und abartig, nein, dann fängt man langsam an, sich zu akzeptieren und je älter man wird, desto mehr macht es mich wütend, dass man mir so etwas überhaupt eingeredet hat und es immer noch tut. Jetzt sagen die Menschen, dass ich hübsch bin, bewundern mich, sagen, dass ich doch jeden bekommen könnte, wenn ich es nur wollen würde. So etwas habe ich früher nie zu Ohren bekommen, und warum nicht? Weil ich geglaubt habe, dass ich schlecht wäre. Es ist traurig und mir tut jeder auf der Welt leid, dem man so etwas jemals gesagt hat, doch wenn es die eigenen Eltern sind, ist es wohl noch viel schlimmer und härter zu ertragen, als wenn es außenstehende Personen sind. Die eigenen Eltern wollen einen nicht, weder der Vater noch die Mutter. Für meinen Vater war ich nur Zweck zum Mittel, das kann man klar und deutlich aus allen möglichen Verträgen sehen, ich sollte nur geboren werden, um meine Mutter an ihn zu binden und sie während ihrer Schwangerschaft dazu zu zwingen, Verträge zu unterschreiben, in denen sie auf alles verzichtet. Und für meine Mutter – ich weiß es nicht – vielleicht bin ich auch nur dazu da, um auszusagen und um die Verantwortung für das Haus zu übernehmen, zumindest vertraglich, da es ja mir gehört. Sie trinkt sehr oft, zwar nicht jeden Tag, aber beinahe jeden zweiten. Richtig unerträglich ist es dann, wenn sie schon morgens um zehn anfängt. Meistens ist das der Fall, wenn sie wieder irgendetwas für den Anwalt schreiben, durchlesen oder suchen muss und das ist leider sehr oft so. Keine Ahnung, wie es weitergehen soll, ich weiß es nicht, wie auch. Ich will einfach Spaß haben, nicht nur einen Tag, oder wenige Stunden, sondern mehrere Jahre, nach diesen beschissenen Jahren. Wann werde ich ernten? Wann endlich? Werde ich überhaupt gewinnen, oder kann ich nur verlieren? Alles ist so sinnlos und wird immer sinnloser für mich. Leben tue ich nicht mehr, das nenne ich kein Leben, das ist ein Kampf und ein Leiden, jeden Tag ist irgendetwas, jeden verdammten Tag und wenn ich Drogen zu Hause hätte, richtig harte, dann, glaube ich, würde ich sie nehmen, um nicht mehr ertragen zu müssen, wie Tag für Tag alles aufs Neue einstürzt.
Tagebuch vom 24.12.2007
Es ist erstaunlich, wie viel doch passiert ist. Es hat sich so viel geändert und es ging alles wahnsinnig schnell, so schnell, dass selbst ich es kaum begreifen kann und es vielleicht noch gar nicht richtig realisiert habe.
Ich mache jetzt eine Therapie bei einer sehr, sehr netten Frau, die mich versteht und mit der ich bis jetzt soweit gut vorankomme. Außerdem war ich bei einem Heilpraktiker, dieser Mann ist einfach nur wunderbar und verständnisvoll, zart und sanft und verletzlich. Als ich zum ersten Mal bei ihm war, dachte ich hinterher nur eines: Ich muss diesen tollen, außergewöhnlichen Mann heiraten. Leider ist er verheiratet und viel zu alt für mich, aber das macht nichts, die Hauptsache ist, dass ich überhaupt so jemanden kennen lernen durfte. Er war es, der für mich einen Termin bei der Psychologin machte, bei der ich jetzt bin, er unterhielt sich stundenlang mit mir, interessierte sich für meine Probleme, für meine Vergangenheit, für mich, so wie ich bin, wie ich war und er verstand mich. Auch er hatte eine schreckliche Kindheit, war im Heim, wurde von seiner Mutter rausgeschmissen und hat einen sehr kritischen Vater, von dem er auch nie wirklich Lob und Anerkennung bekam. Er erzählte mir das, so, als ob es ganz selbstverständlich wäre, offen über seine Vergangenheit zu sprechen und gab mir damit Sicherheit, sodass ich mich wohl fühlte und mich auch öffnen konnte. Meinem Auge geht es jetzt auch besser, die Akupunktur, die ich machen ließ, half zwar nicht so viel, doch nun habe ich mich dazu entschlossen, wieder eine Brille zu tragen und siehe da, welch Wunder, seitdem geht es auch mit meinen Augen besser. Mir ist die Meinung meiner Mutter egal, soll sie doch jeden Tag sagen, dass ich es doch wieder mit den Kontaktlinsen versuchen soll. Wenn sie mich nicht so akzeptiert, dann ist sie selbst schuld, jedenfalls ist jetzt Schluss, ich setze nicht mehr meine Gesundheit aufs Spiel, nur um meiner werten Frau Mama zu gefallen. Sie gefällt mir ja schließlich auch nicht 100 prozentig! Die Kopfschmerzen habe ich leider noch, aber auch nicht mehr so stark, ich denke, es kommt einfach auf die Tagesform und den Stress an. Ich denke, dass ich jetzt auch weiß, woher ich diese Schmerzen habe. Sie ist es, alleine sie, sie macht mich krank, sie strahlt etwas derart Schlechtes und Kaputtes aus, dass sie mich damit unterbewusst krank macht. Ich versuche damit umzugehen, aber es ist schwer.
Sie trinkt und trinkt, sogar heute an Weihnachten trinkt sie. Seit dem letzten Jahr ist es wirklich schlimm geworden. Manchmal holt sie mich sogar schon angetrunken vom Bahnhof ab und am Wochenende muss ich mit ansehen, wie morgens ein Glas mit Wein oder Sekt auf dem Tisch steht, nachdem wir gefrühstückt haben. Ja, sie ist ein großes Problem, ein schlimmes Problem, mit dem ich kaum umgehen kann. Keiner kann so richtig verstehen, weshalb ich sie nicht alleine lassen kann. Alle sagen zu mir, dass ich ausziehen soll, aber so einfach ist das nicht. Sie ist meine Mutter und ich fühle mich verantwortlich für sie und liebe sie trotz allem. Auch wenn sie eine Alkoholikerin ist und unmenschlich sein kann, so hat sie doch ihre Phasen, in denen sie lieb und nett ist und mir zeigt, dass sie mich doch mag und mich braucht und ich einfach der einzige Mensch bin, den sie hat, der ihr immer zur Seite steht. Es ist verrückt, aber wenn ich in ihrer Situation und bereits über 50 wäre, keine Arbeit finden würde und so viele schreckliche Dinge miterlebt hätte, vielleicht wäre ich dann auch Alkoholikerin oder vielleicht sogar Schlimmeres. Eigentlich sollte ich stolz auf sie sein, dass sie sich in gewisser Weise doch noch zusammenreißt, putzt, kocht, sich fleißig bewirbt, trotz der vielen Absagen, sich aufrappelt und die ganze Gerichtsscheiße noch mitmacht und einfach nicht aufgibt.
Nun komme ich allerdings wieder zu den erstaunlich positiven Dingen. Ich bekam etwas Hanf von einer meiner Freundinnen in meiner Klasse. Ich wollte es einfach mal probieren, aber richtig, nicht nur ein kleines bisschen in Schokolade eingebacken. Das Gras war in einem kleinen Beutelchen drin, zugegeben, es sah nach sehr wenig aus und ich roch etwas daran, als ich zu Hause war. Es duftete zunächst etwas seltsam, aber nach wenigen Sekunden hatte man sich an den Geruch gewöhnt und er war einem vertrauter. Alleine schon seine Duftstoffe waren angenehm und beruhigend und ich atmete noch etwas fester ein. Aus Versehen bekam ich ein kleines Stückchen in die Nase und so gelangte es wohl irgendwie in meinen Kreislauf. Jedenfalls wurde mir etwas schwummrig, dann bekam ich viele lustige Gedanken. Alles war aber relativ klar, nicht so, als ob man betrunken wäre. Ich hatte richtig Lust, Musik zu hören und das tat ich dann auch und die Töne und der Sound schienen richtig in mich einzudringen, ich konnte die Musik fühlen und empfand sie als noch schöner und intensiver. Danach bekam ich richtige Gelüste auf etwas Süßes und aß Schokolade, es war ein angenehmes Gefühl, leicht und zugleich berauschend, aber nicht extrem.
Ein paar Tage später ging es mir sehr schlecht, es war Wochenende und ich musste wieder ertragen, wie meine Mutter trank und trank und trank und immer aggressiver wurde und mich dann unnötig anging. Ich war deprimiert und ging hoch, nahm ein wenig Schokolade und mischte etwas von dem Hasch hinein, soviel, wie man ungefähr für einen halben Joint brauchen würde. Ich versuchte mich dann mit einem lustigen Film abzulenken, aber die Depression wurde nicht besser, im Gegenteil, ich bekam den Film gar nicht mehr richtig mit, ich starrte eigentlich nur noch auf den Bildschirm und konnte über nichts lachen, ich empfand die Musik nicht als schön oder erheiternd, sondern wurde immer müder und müder und schließlich legte ich mich einfach ins Bett. Das Gras wirkte, aber nicht so, wie es sollte, doch das lag wohl an meiner Grundstimmung. Ich war zwar wahnsinnig erschöpft, doch ich konnte nicht richtig einschlafen, ich lag in einem Halbschlaf, der wie ein Fieberalbtraum war und das ging fast die ganze Nacht so. Es war der Horror und ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Obwohl ich nicht richtig träumen konnte und diese Art der Gedanken schrecklich waren, fast nicht auszuhalten, wurde mir plötzlich so vieles klar. Alles war so logisch, ich schien einen richtigen Durchblick für einige Probleme gefunden zu haben. Eine große Belastung, die ich immer mit mir herumtrug, waren all meine alten Freunde, besonders meine alte Clique, die ich hasste, sie am liebsten alle zusammen über den Haufen gefahren hätte, wenn ich die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Aber in dieser Nacht wurde mir bewusst, dass ich mich wieder mit ihnen vertragen muss, anders könnte ich kein Seelenheil finden, würde immer diesen bitteren Hass mit mir herumschleppen, daran zugrunde gehen und damit auch immer mehr das Gefühl dieser hohlen Einsamkeit zulassen, das sich kaum beschreiben lässt. All diese Menschen waren eigentlich unfähig. Unfähig, eine richtige Freundschaft zu haben, unfähig, ehrlich zu sein, unfähig, sich zu entschuldigen und Schuld einzugestehen und unfähig dazu, ein kleines bisschen Verantwortung zu übernehmen. Eigentlich waren sie kleine Kinder, hilflos und machtlos, unfähig, mit sich und ihren eigenen Fähigkeiten und ihrer Moral zu handeln. Ja, gewiss, sie hatten und haben Moral und Anstand, aber anscheinend waren sie nicht in der Lage, sie zu aktivieren, sie rauszulassen, wie ein Kind, das zwar essen kann und muss, um zu überleben, aber man muss es noch füttern, damit es nicht stirbt. Anscheinend ist bei all diesen Personen diese „Freisetzung“, oder die „gewusste Anwendung“ mit dieser Moral und dem Gewissen innerlich irgendwie verkommen, zurückgeblieben, verendet, hat sich nicht weiterentwickelt. Man kann es so betrachten wie eine Wachstumsschwäche oder einen genetischen Defekt, eine Krankheit, für die sie im Prinzip nichts können, die sie aber haben und die ihnen nicht bewusst ist. Ist das nicht bemitleidenswert? Ich habe Mitleid mit ihnen, so seltsam sich das anhören mag und selbst für mich tut es das immer noch, aber diese Erkenntnis – über die ich wahrhaft froh bin – hat mich dazu gebracht, dass ich ihnen schreiben konnte. Keine großen Emotionen, kein „Oh, lass uns doch bitte, bitte wieder Freunde sein“, sondern nur eine schlichte Kontaktaufnahme, mit einem einfachen „Wie geht es dir so? Was machst du so?“, mehr nicht. Und? Es hat geklappt. Jetzt kann ich sagen, dass ich wieder ein normales Verhältnis zu Isabel, Yvonne, Clarissa, Andi, Thomas, Benni, Hanna, usw. habe. Es fühlt sich gut an, es kostet zwar Mut, aber den Hass mit sich herumzutragen und es nie begriffen zu haben, weshalb und warum, keine Antwort zu finden, sich nirgends mehr hintrauen, weil man sie ja überall treffen könnte, das ist keine Antwort und auch keine Lösung. Ich bin froh, diesen Schritt gemacht zu haben und mittlerweile ist Amelie auch wieder meine beste Freundin und wir verstehen uns richtig gut. Ich muss also dem Hanf irgendwie dankbar sein, dass er mir die Seele und den Geist geöffnet hat und mir trotz eines Horrortrips eine klare und weise Botschaft gab, die ich als eine Erleuchtung sehe.
Alles ist damit aber auch noch nicht gut. Ich muss noch viel lernen, sehr viel und ich weiß, dass ich noch nicht so stabil bin, wie ich es gerne wäre. Ich bin verletzlich und sensibel, ich habe aber in den letzen Wochen viele Momente des Glücks erlebt, ja Glück, das war ein Gefühl, so stark und befreiend, da kommen keine Tabletten, kein Ritzen, kein Alkohol und auch kein Gras gegen an. Das innere Glück ist das schönste Gefühl und lässt einen wissen, dass man lebt. Ja, ich lebe, erstaunlich, aber ich lebe, manchmal mehr, manchmal weniger.
Tagebuch vom 14.02.2008
Mein letzter Tagebucheintrag war wahrscheinlich revolutionär und glich einem Weltwunder, zumindest für mich.
Bisher hat sich wieder viel getan, leider sehr viel Schlechtes. Aber erst einmal bin ich heilfroh, dass meine Ma jetzt endlich einen Job gefunden hat. Seit zwei, drei Wochen arbeitet sie als Chefsekretärin in einem mittelständischen Unternehmen, das alles Mögliche mit Holz macht. Ich kann gar nicht sagen, was für eine Erleichterung das war. Endlich können wir wieder unsere Rechnungen bezahlen und müssen keine allzu große Angst mehr haben, ausschließlich von dem Geld meines Vaters abhängig zu sein, das er uns sowieso nicht geben will. Allerdings trinkt sie wieder, oder besser gesagt immer noch. Wenn sie nach Hause kommt, greift sie sofort zum Alkohol, das ist traurigerweise gleich das Erste, was ihr in den Sinn kommt. Ich kann es kaum noch mit ansehen und komme mir wie ein naives, kleines Kind vor, dass immerzu daran geglaubt hatte, sie würde irgendwann aufhören oder es würde mit ihrer Arbeit alles anders werden. Aber nein, das ist es nicht und wird es wohl auch nie. Sie schreit mich weiterhin an, bekommt Wutausbrüche und behandelt mich, als ob ich ihre Sklavin wäre. In den letzten Ferien verlangte sie von mir, ihren gesamten Haushalt zu erledigen, da sie ja arbeiten musste. Vielleicht klingt „erledigen“ etwas harmlos. Ich sollte alles perfekt erledigen, von Staubsaugen bis Einkaufen, die Vögel füttern und sogar mit irgendwelchen Leuten telefonieren, mit denen sie einen Kaufvertrag abgeschlossen hatte, von dem ich die Bedingungen nicht einmal kannte, aber ich sollte diese Angelegenheit regeln. Und so gab ich jeden Tag mein Bestes, räumte auf, tätigte Telefonate, erledigte Einkäufe und so weiter und so weiter. Blieb da Zeit für mich? Nein, zumindest kaum. Die ganze Woche drehte sich alles nur um sie. Was muss ich nun tun? Was habe ich jetzt wieder zu erledigen? Ist etwa die Spülmaschine noch nicht ausgeräumt? Und das Essen muss ich ja auch noch zubereiten. Sie kam nach Hause und merkte nichts von dieser Mühe, rein gar nichts. Im Gegenteil, sie schimpfte über Kleinigkeiten, die nicht gemacht worden waren und am Wochenende drehte sie völlig durch, sie schrie mich den ganzen Tag nur an, machte mich nieder, beschimpfte mich als Schlampe und als unfähiges, blödes Etwas, gab mir an grundsätzlich allem die Schuld und betrank sich dann noch.
Vor zwei Tagen kam sie wieder nach Hause, aß, trank Alkohol und war wieder betrunken. Ich hielt es kaum noch aus, dachte gleich alles zusammenschlagen zu müssen. Als ich oben war hörte ich, wie sie in den Keller ging, eine neue Flasche holte, sie in der Küche aufmachte und sie aus Versehen umwarf. Die ganze Küche stank nach dem widerlichen Zeug und anstatt das Fenster zu öffnen, machte sie die Tür zum Gang auf und dort verbreitete sich dann auch der Geruch von Sekt. Als ich aus meinem Zimmer hinausging, roch ich es bis oben in meinem Gang. Alles stank wie in einer Schnapsbrennerei, es war übel, ich bekam von diesem Geruch Kopfweh und nicht nur das, ich weinte und lief wütend hinunter, riss die Tür auf und wusste ehrlich gesagt nicht, was ich im nächsten Moment tun würde. Ich hatte Lust, ihr eine zu verpassen oder sämtliche Flaschen Alkohol gegen die Wand zu schmeißen und zu schreien. Ich stand fassungslos da, starrte sie an und mir liefen nur Tränen hinunter. Sie fragte mich völlig alkoholisiert, was denn sei, ob es wegen eines Schreibens der Gegenseite wäre. Nein, antwortete ich. „Es ist sicherlich nicht deswegen. Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll, ich weiß es wirklich nicht. Du trinkst schon wieder. Ich möchte das einfach nicht. Du brauchst dich nicht wegen denen zu betrinken, verstehst du das nicht!“ Sie wurde daraufhin wieder aggressiv, was zu erwarten war. „Ich lasse mir nichts von dir vorschreiben. Du wirst mir ja wohl nicht verbieten können, mal ein Gläschen am Abend zu trinken. Aber arbeiten, das darf ich noch für dich, oder was? Lass mich bloß in Ruhe, du bist wie der Alte!“ Mit dem „Alten“ meinte sie meinen Vater und mir war es dann zu viel. Das war nicht nur eine Beleidigung und Beschimpfung sondern fast schon ein Verbrechen, mich mit diesem Menschen zu vergleichen. Ich knallte die Tür zu, ging wieder hoch und weinte. Ja, weinen, so wie fast jeden Scheißtag. Ich hasse sie. Warum kann oder will sie keine Verantwortung übernehmen? Warum liegt ihr nichts an mir? Und warum lebt sie dann noch?
Jetzt schütte ich ihren Alkohol teilweise aus, wenn sie nicht da ist, fülle ihn mit Leitungswasser auf, damit es nicht so auffällt und gestern und heute mischte ich etwas Schlaftropfen hinein, damit sie sich beruhigt, mich in Ruhe lässt und endlich richtig schlafen kann. Ich weiß, dass das nicht löblich ist, aber was bleibt mir anderes übrig? Vielleicht mich mit Schlaftropfen vergiften, damit ich das alles nicht mehr ertragen muss, so wie ich es auch wieder in den Ferien vorhatte? Ist es das? Ist das die Lösung? Soll es vielleicht irgendwann so kommen?
Außerdem hatten wir wieder einen Gerichtstermin in den Ferien, der mir den Rest gab. Es ging um mein Konto, das er einfach abgeräumt hat. Es kam nicht viel dabei raus. Der Richter hatte keine Lust, wollte einen Vergleich, sodass er gerade mal die Hälfte an mich zahlen müsste und wir waren damit nicht einverstanden. Er war wieder äußerst aggressiv, schlug sogar mit seiner Faust auf den Tisch, brüllte meinen Rechtsanwalt an, was ihm einfallen würde, ihn zu beschuldigen, Geld veruntreut zu haben. Er stritt wie immer alles ab, er wäre nie gewalttätig gewesen, er hätte kein Geld mehr, nur wir würden ihn immerzu verklagen und seine neueste Masche schien zu sein, jetzt auch noch vor dem Richter zu weinen.
Heute hatten wir wieder einen Termin, genau am Valentinstag. Es ging um sein bescheuertes Wohnrecht, ob er ein Recht darauf hat und wie man sich gütlich einigen könnte. Er verlangte dafür 200 000 ¤. Wir waren bereits in der zweiten Instanz, da er es in der ersten genehmigt bekam. Die Verhandlung war der Horror, ein furchtbarer Höllentrip. Ich musste mich extrem zusammenreißen, nicht zu weinen. Ich hasse ihn so sehr, ich kann seine Stimme nicht ertragen und noch weniger immer diese Lügen, die er jedes verdammte Mal von sich gibt. Der Senat in dem Oberlandesgericht war zwar auf unserer Seite, wollte aber dennoch eine Einigung. Natürlich, so weit kommt es noch, dass ich diesem Monster Geld gebe, vor allem Geld, dass ich nicht einmal besitze. Es ging hin und her, so wie immer. Mich ließ man leider nicht zu Wort kommen, da man mich anscheinend als zu jung und daher wohl auch zu dumm ansieht. So ist das leider fast jedes Mal. Aber er darf reden und hört nicht mehr auf, er ist so erbärmlich und widerlich, eine Gestalt, die beim Anblick schon nach Verwesung riecht und wie die Pest über einen herfällt. Ich persönlich fand die Verhandlung absolut irrsinnig und nicht gerade zufriedenstellend, doch mein Anwalt und meine Ma sahen das völlig anders. Sie freuten sich beide wie kleine Kinder. Ich fragte mich, ob sie vielleicht an Wahrnehmungsstörungen leiden, aber wahrscheinlich haben sie doch recht. Ich kann es zwar nicht verstehen, da er leider Gottes immer noch im Vertrag steht und er damit ständig ein Teil dieses Hauses ist, indem wir es nicht ohne ihn verkaufen können und ich bis zu seinem Tod immer im Hinterkopf behalten muss, dass dieser Unmensch auch noch Rechte an einem Gegenstand hat, der mir gehört. Aber das ist natürlich nicht der einzige Grund, weshalb ich wieder völlig am Ende bin. Ich kann einfach nicht mehr, ich kann nicht mehr. Wann hört das endlich auf? Wann? Ich fühle mich so schwach, ausgehungert, verbraucht, meine ganze Lebenskraft scheint sich davongestohlen zu haben. Jeder ist nur gemein zu mir, obwohl niemand eine Ahnung davon hat, was ich durchgemacht habe und noch durchmache. Ich hasse alles, ich hasse es, jeden Morgen aufzustehen und daran zu denken, von wem ich mir heute wieder ein paar blöde Sprüche, Kommentare oder Kritik anhören kann. Ich hasse es, meine Mutter trinken zu sehen, ich hasse es, von ihr angeschrien und verachtet zu werden, ich hasse es, nie Lob zu bekommen, ich hasse es ausgenutzt zu werden, ich hasse es, jeden Tag diesen verlogenen, heuchlerischen, komplexgeladenen Menschen ins Gesicht zu blicken, ich hasse es auf dieser Welt mit diesen Kranken und Unfähigen zu leben!
Mein Herz schmerzt jeden Tag, irgendwann bekomme ich noch einen Herzinfarkt und dann haben die Irren das, was sie wollten, meinen Untergang. Aber diesen Gefallen tue ich ihnen nicht, keinem von denen. Ich werde leben, auch wenn das kein wirkliches Leben ist, es ist eher ein unendlicher Gag durch eine schmale, dunkle Gasse und hinter jeder Ecke lauert eine weitere Person, die mir ein Messer in die Seite sticht. Die Welt ist am Ende, die Menschen sind grausam und böse, nichts anderes. Wie ich schon einmal schrieb, ist es wie eine Krankheit, eine Epidemie des Bösen. Es gibt bestimmt noch einige wahrhaft nette und liebe Menschen auf der Welt, die verständnisvoll, selbstlos und achtsam durch die Welt gehen. Aber was passiert mit ihnen? Werden sie aussterben? Die Menschheit hat es nicht anders verdient, als zu sterben. Irgendwann wird eine große Macht, von der wir alle nichts ahnen und wissen, etwas geschehen lassen und das Leben, so wie wir es kennen, wird ausgelöscht. Es gibt keine zweite Chance, dann ist es vorbei, all diese Monster werden jämmerlich sterben und ihre ganze geglaubte Macht und ihr Reichtum werden dann mit einmal Mal vergehen. Was ist Macht und Geld, warum Gewalt und Morde? Was soll das denn? Das ist Dummheit, nichts anderes. Jeder Mensch strebt nach Glück? Nein, das glaube ich nicht. Wenn das so wäre, dann würden alle ein anderes Denken haben, sie würden sich anders verhalten. Es gäbe keinen Neid, keinen Hass, kein Gefühl jemanden hintergehen zu wollen, jemandem etwas anzutun oder sein Umfeld vor lauter Ignoranz zu zerstören. Was passiert hier nur? Ich kann es nicht fassen. Ich begreife mein eigenes Leben nicht und ich begreife die Menschheit nicht. Wie sollte ich auch? Einem zu vergeben ist etwas Gutes, doch wenn sich nie etwas ändert, niemals und man immer nur verzeiht und versucht vernünftig zu sein, was dann? Passiert davon etwas? Wird es besser? Ändert sich dann der Mensch? Nein, in 90 Prozent der Fälle wohl nicht. Ich verkrafte das alles nicht mehr. Irgendwann breche ich zusammen, es wird zu viel. Mein ganzes Leben ist ein einziger Kampf. Manchmal glaube ich, dass mich niemand liebt. Mein Vater nicht, meine Mutter nicht, nicht einmal mehr meine Oma, alle Freunde haben mich bisher hintergangen, belogen und im Stich gelassen. Ich bin so alleine, einsam. Es gibt anscheinend nichts und niemanden, der meinem Leben einen neuen Sinn geben könnte, niemand, der mich richtig unterstützt. Jeden Scheiß muss ich alleine regeln, alles. Alles dauert eine Unendlichkeit und dann kommt der nächste Tag und wieder der nächste, dann vergeht ein weiteres Jahr und es geht immer weiter und weiter und weiter und es nimmt kein Ende. Ich gehöre hier nicht her, ich weiß nicht, wohin ich gehöre, aber ich weiß, dass ich hier nie Glück finden werde, hier ist alles trüb und trist, all diese Menschen gehen an mir vorüber wie schwarze Gestalten, die nicht einmal unter ihrer Oberfläche etwas Helles und Strahlendes tragen. Sie sind so kalt wie Gegenstände, so verständnislos wie Marmor, auf dem man barfuß läuft und meine Eltern sind emotional schon lange tot. Meine Psychiaterin kann ich dafür bezahlen, dass sie mich zwanzig Mal die Stunde fragt, „wie ich mich dabei fühle“, und dabei meint sie auch noch, mir geholfen zu haben. Schöne Welt. Wie ich mich fühle? Scheiße, wie der letzte Dreck und sogar auf dem trampelt man noch herum. Ich weiß nicht, was mein Leben für einen Sinn haben soll. Ich weiß es wirklich nicht. Wird es so mein ganzes Leben gehen, bis ich dann wirklich grausam zugrunde gehe und sterbe? Ist es das? Meine Wut ist so groß und ich kann eigentlich nur noch den Kopf über so ziemlich alles schütteln, was mir passiert.
Meine Oma meldet sich auch überhaupt nicht mehr. Ich schrieb ihr zu Weihnachten und Silvester und auch zu ihrem Geburtstag, aber es kam nie etwas zurück. Mit meinen ehemaligen Freunden, mit denen ich mich wieder versöhnt habe, läuft es zwar normal und neutral, aber oft frage ich mich doch, ob ich das hätte machen sollen.
Ich bin so einsam, so furchtbar einsam, meine besten Freunde scheinen Gegenstände wie mein Computer zu sein und meine Familie besteht aus Buntstiften und Spitzern, denen ich Namen gegeben habe, um mein Leben erträglicher zu machen. Was für andere lustig scheint, ist eigentlich nur erbärmlich und zeigt, dass ich einfach nur alleine bin. Ich würde so gerne jemanden kennen lernen, der mich schätzt und den ich ebenfalls schätze, der verständnisvoll ist, lieb, aufmerksam, intelligent, sinnlich, sexy, altruistisch und mich liebt, so wie ich bin, und sich auch Dinge aus meiner Vergangenheit anhören kann, ohne blöde Kommentare von sich zu geben oder sofort das Thema wechseln zu wollen, weil es ihm zu viel wird. Aber das schein es nicht zu geben. So werde ich wohl irgendwann meinen Laptop heiraten. Der kennt zumindest mein ganzes Leben, sagt nie etwas Blödes, kann zuhören bis zur Unendlichkeit und ist immer für mich da. Da wäre natürlich die Sache mit dem Sex, aber im Prinzip kann ich schließlich auch darauf verzichten. Und mich zu vermehren, habe ich auch nicht vor. Ich möchte dem armen Geschöpf nun wirklich nicht das alles antun, und da ich später sowieso an Depressionen leiden werde, kann ich das alleine schon unter diesem Aspekt nicht verantworten. Also, Computer, willst du mich heiraten, so antworte mit – ähm, nichts! Gut, dann wäre das auch geklärt, happy Valentine, my darling! I love you!
Briefwechsel zwischen Amelie und mir
16.03.2008
Na, wie geht’s? Alles klar? Triffst du dich heut oder morgen mit dem Tobias, wäre voll cool.
Was gibt’s sonst so Neues bei dir? Bei mir eigentlich nicht viel – hahaha – bin immer noch krank. Wie ist deine Mum so drauf? Wie lief die Schule heute? Bestimmt gut :-) –am I right?
HDGDL
Hey du! Na, wie geht’s dir so? Was machen der Husten und der Brechreiz?
Mit dem Tobias treffe ich mich erst diese Woche. Am Freitag hatte er nämlich keine Zeit und er meinte, dass er sich dann bei mir meldet ... juhuuuh, er hat es nicht vergessen ..., er denkt an mich!
Bei mir gibt es nicht viel Neues. Ich habe Depressionen, comme toujours, ich habe viel zu tun, auch comme toujours, sie ist grade wieder hacke, genau, auch comme toujours und gestern hat sie sogar schon um zehn Uhr morgens angefangen. Ich habe dann mit ihr geredet, als wir spazieren waren und dann ist sie sogar den restlichen Tag über halbwegs trocken geblieben. Aber heute hat sie wieder um elf Uhr angefangen und ich bin es echt leid.
Ich war bei meiner Psychologin und das war eigentlich ganz okay, auch wenn sie irgendwie etwas grob mit mir umgegangen ist. Ich weiß nicht, ob sie das muss, oder ob sie es so wollte, oder ob sie einfach nur schlechte Laune hatte.
Bald ist mein Auto bestimmt wieder repariert und dann bringe ich mal einige Sachen zu dir, natürlich nur, wenn es dir besser geht. Das können wir bestimmt auf dem Dachboden unterkriegen, oder? Meine Psychologin hat sich ziemlich gefreut, dass ich vorhabe, auszuziehen. Ich habe ihr die Geschichte mit meinem Autounfall erzählt und wie sehr meine Ma herumgebrüllt hat und na ja, was soll man dazu noch sagen?
Weißt du, irgendwie hoffe ich zwar, dass alles wieder richtig gut wird. Damit meine ich, dass mein Vater sehr bald stirbt und meine Ma von dem verdammten Alkohol wegkommt und ich den ganzen Mist einfach vergessen und hinter mir lassen kann. Aber das geht nicht und ich weiß, dass irgendwann der richtige Zeitpunkt kommen wird, an dem sie wieder völlig ausrastet, weil irgendetwas passiert ist und dann werde ich gehen.
Grade kam sie ins Zimmer und meinte, dass ich bei mir ausmisten müsste, weil bei mir ja noch so viele Sachen wären, die man in die Mülltonne werfen müsste. Bitte? Das ist nur Spielzeug von mir und vielleicht ein paar Koffer, aber das wirft man doch nicht einfach in die Mülltonne! Da ist sie wieder, die alte, böse, verbitterte Furie, die mich einfach nur in den Wahnsinn treibt.
Ich hätte schon gerne mein Geld, dann könnte ich mir zumindest eine eigene Wohnung mieten oder kaufen, aber das ist auch nicht so einfach. Man muss erst einmal eine finden und diese dann auch bekommen. Heutzutage wollen die ganzen Verkäufer und Vermieter Arbeitsverträge sehen, damit sie sicher gehen können, dass du auch flüssig genug bist, um bezahlen zu können. Jedenfalls lebe ich dann sehr wahrscheinlich einige Zeit bei euch, obwohl ich euch wirklich nicht zur Last fallen möchte und deswegen jetzt schon ein schlechtes Gewissen habe.
Ich bin es so leid, einfach alles. Mich nervt die Umgebung, die ganzen alten Menschen hier, die dazu noch unfreundlich sind und nicht zu vergessen, meine Mutter. In den Ferien kann ich wieder schön einkaufen gehen, putzen und sonstige Dinge tun, auf die ich absolut keine Lust habe. Aber solange ich hier noch lebe, muss ich das wohl oder übel tun.
Ich wünsche dir noch gute Besserung und hoffe, dass du sehr bald gesund wirst. Vielleicht klappt es dann noch mit unserem Party-Wochenende!
Liebe Grüße,
hab dich lieb!
18.03.2008
Hey,
also du hast ja Vorstellungen ... ich habe vor, bei euch einzuziehen und du denkst sofort an Zickenkrieg. An so etwas habe ich noch nicht gedacht. Eher, dass wir uns dann abends gemütlich zusammensetzen, etwas essen und über die Welt philosophieren und dabei natürlich so lachen müssen, dass wir super Bauchmuskeln bekommen. Außerdem freue ich mich, dann endlich in eine richtige Familie hineinzukommen. Mir ist schon bewusst, dass ich niemals ganz dazugehören werde, aber alleine schon bei einer zu leben, mit Mama und Papa und Geschwistern und Verwandten und Großeltern, das ist einfach etwas Schönes und Bewegendes für mich.
Meine Mutter hat neue Zahnputzgläser für mein Badezimmer bestellt, da mir beide runtergefallen sind und als Ersatz habe ich mir einfach ein normales kleines Glas hingestellt, das tut es ja schließlich auch. Gestern habe ich sie dann bei Sturm und Regen abgeholt und bin noch einkaufen gegangen. Jedenfalls habe ich sie gefragt, weshalb sie die denn bestellt hat, dass sie das doch nicht bräuchte. Die Dinger sind nämlich ziemlich teuer. Und sie maulte mich dann an: „Ja soll ich denn hier alles verkommen lassen? In ein Bad, da gehört das doch rein und außerdem hast du vor auszuziehen, oder warum sagst du, dass ich das nicht mehr bräuchte?“ Oh je, dachte ich, wenn du wüsstest. Ich glaube, sie würde mich eher in den Keller sperren und mich dort verhungern und verdursten lassen (obwohl, bei dem Alkoholbestand ...), als mich wirklich gehen zu lassen. Wenn ich dann bei euch bin, sage ich ihr erst einmal auf keinen Fall, wo ich bin, sonst kommt sie noch und schlägt euch die Tür ein, darin ist sie schon geübt, kannst du mir glauben.
Gestern habe ich mir wieder den Arsch aufgerissen für sie und bin trotz schlechtem Wetter extra zu Fuß einkaufen gegangen. Das Auto ist immer noch nicht da. Und für ihren Haushalt und das Essen habe ich dann noch mal eine gute Stunde gebraucht. Bekam ich irgendeinen Dank? Nein, so wie immer. Sie beschwerte sich sogar noch darüber, dass ich unten im Keller die Aufzeichnungen von den Kameras nicht angesehen habe.
Zum Glück kam noch eine Freundin vorbei, sonst wäre ich total eingegangen.
Später hat sie sich erneut betrunken und ich war wieder deprimiert. Morgens und mittags habe ich nicht einmal was gegessen, ich hatte gestern eigentlich auf überhaupt zu nichts Lust und hätte teilweise nur dasitzen können, um vor mich hinzustarren. Ich hasse es, ich hasse alles so sehr, das glaubst du nicht. Mich nervt hier alles so. Ich muss Dinge tun, die ich nicht tun will und fühle mich irgendwie gefangen in diesem großen Haus.
Den Termin für das Strafverfahren versucht jetzt unser Anwalt zu verschieben, da ich an dem Tag Klausur habe und das ist mir schon sehr wichtig. Apropos, ich hatte sozusagen eine Erleuchtung. Ich weiß jetzt, was ich später einmal machen möchte und welcher Beruf geeignet für mich ist. Nämlich Innenarchitektin. Ja, mir ist bewusst, dass ich kein Abitur habe, aber es gibt gute und staatlich anerkannte Fernstudien, die kosten zwar etwas, aber ein Studium kostet grundsätzlich immer etwas. Wenn ich also mein Geld in diesem Jahrhundert noch bekomme, könnte ich es mir finanzieren. Ich habe mich auch schon darüber informiert und es würde wirklich gut passen. Ich interessiere mich für Kunst und bin auch kreativ und habe ein Auge für Farben und Formen. Der Lehrplan gefällt mir auch. Weißt du, ich möchte nicht bis an mein Lebensende in einem Büro sitzen und mich jeden Tag fragen, was wäre wenn. Das ist mir zu kontraproduktiv und entspricht mir einfach nicht so ganz.
Meine Ausbildung mache ich natürlich trotzdem. Ich brauche ja auch das Geld und einfach abzusagen geht nicht. Ich weiß zwar noch nicht genau, wie und wann ich das Studium durchziehen will, aber ich will es wirklich. Endlich weiß ich, was ich machen möchte und fühle mich ein Stück glücklicher, das ist ein tolles Gefühl.
Sag deinen Pickeln einen schönen Gruß von mir und deinem Husten auch, aber sag ihnen auch, dass sie sich gefälligst verpissen sollen!
Ich wünsche dir noch gute Besserung und hoffe wirklich, dass es dir bald besser geht, du armes Würstlein!
Grüße auch an deine Eltern und an den Olli!
Hab Dich Lieb!
21.03.2008
Hallo du alter Bazillenträger ;-)!
Na, wie geht’s dir? Ich hoffe doch besser ... wehe wenn nicht, dann komme ich und treibe dir die Bakterien und Viren aus – ich sage nur Exorzismus!
Meine Ma hat jetzt frei – heute, morgen, übermorgen und am Montag. Muss ich dazu noch etwas sagen? Nein, ich denke nicht. Ob sie wieder einen sitzen hat? Ja, hat sie, aber gestern ausnahmsweise einmal nicht. Wir waren beim Anwalt und er meint den Bericht, den mir meine Psychologin ausgestellt hat, nicht verwenden zu können. Super, die ganze Mühe umsonst. Und warum? Wegen eines Satzes, in dem stand, dass ich beim Gespräch teilweise emotional stark gefärbt aufgetreten bin. Den Termin mit dem Strafverfahren konnte er anscheinend doch nicht verschieben und das heißt am 9. April ist es wieder soweit. Der Witz ist, dass er gar keine Zeugen mehr hat. Sein Bruder will wohl nicht mehr und sein seltsamer Bekannter, der letztes Mal völlig betrunken ankam, der ist ihm scheinbar doch zu peinlich. Was will der eigentlich? Ich verstehe es nicht. Er weiß doch, dass er es gemacht hat. Hoffentlich bekommt er eine noch härtere Strafe.
Ich war gestern ja bei meinem göttlichen, bezaubernden, wunderbaren Heilpraktiker und er hatte keine Brille auf – das heißt er sieht noch heißer aus – hatte sein Headset im Ohr – was auch absolut heiß ist – und sah wie immer blendend aus. Er holte den Bericht und unterhielt sich kurz mit mir und als er so im Türrahmen stand, ist er total süß umgeknickt. Keine Ahnung wieso, aber es war einfach zum Weinen schön. Oh Gott, warum muss er immer so verdammt gut aussehen und so verdammt nett sein und mich so verdammt nett und lieb anschauen? Er meinte dann, dass es diese Woche nichts mehr mit dem Pub werden würde, aber nächste Woche würde er sich auf jeden Fall melden. Dann fragte er mich, ob ich die nächste Woche noch Ferien hätte und ich habe ihn einfach nur angestarrt, nicht wirklich zugehört und geantwortet, dass ich nächste Woche schon noch Ferien hätte. Dann hat er mir die Hand gegeben – Gott hat der weiche und schöne Hände und warm waren sie auch – und ich bin gegangen.
So, ich habe einen neuen Plan. Wir spannen sie ihm nicht aus und wir bringen sie auch nicht dazu, ihn zu verlassen bzw. ihn sie zu verlassen, sondern – wir lassen „es“ aussehen wie einen Unfall ...! Du verstehst schon, was ich meine ...! Muhaha! Dann ist er mein, endlich! Nein? Nicht? Vergessen, meinst du? Verdrängen? Ablenken, sagst du? Ach so ... als ob du den Ludwig einfach vergessen und verdrängen könntest! Oh, genau, ich betreibe Voodoo – da gibt es viel im Internet drüber. Gut, dann schaue ich mal!
Bis bald und sag deiner Familie einen schönen Gruß, inklusive natürlich Olli,
Grüße,
und hab dich lieb!
Tagebuch vom 20. April 2008
Ich habe einen Freund. Seltsam, oder? Alles ist auf einmal anders und dann doch wieder nicht. Meine Mutter trinkt und trinkt und trinkt und hat letztens sogar davon geredet, dass sie ihre Arbeit aufgeben will. Was soll ich dazu sagen? Was soll ich überhaupt noch zu ihr sagen? Sie scheint nicht mehr ansprechbar zu sein und unsere Kommunikation beschränkt sich darauf, dass sie auf mich wütend ist oder mich anschreit und mir Vorwürfe macht. Aber immerhin habe ich wieder einen kleinen Fortschritt gemacht. Ich habe meine gesamten alten Kleidungsstücke und Schuhe in ein Hilfswerk gebracht, habe viele meiner Sachen, die mir viel bedeuten, zur Amelie auf den Dachboden gestellt und stelle mich darauf ein, dass ich schon bald ausziehen werde. Ich weiß nicht, wie ich es finanziell hinbekommen soll, mir eine Wohnung zu leisten, da ich nicht einmal ein Konto besitze und auf meine Mutter kann ich mich auch nicht mehr verlassen. Die Gerichtsverhandlungen, in denen es um mein Konto ging, liefen gar nicht gut. Bei der ersten war ich noch anwesend, bei der zweiten allerdings nicht, da ich Prüfung hatte. Jedoch wurde beim zweiten Mal meine Mutter als Zeugin aufgerufen und meinte hinterher sogar, dass es absolut gut lief und ich das Geld hundertprozentig bekommen würde. Auch unser Anwalt war der Meinung. Aber nein, daraus wurde nichts. Im Protokoll stand knallhart, dass mein Vater glaubwürdiger gewirkt hätte und dass seine Argumente überzeugender gewesen seien. Ist das nicht wieder herrlich? Jetzt können wir nur noch in die zweite Instanz gehen und hoffen, dass die drei Richter klüger sind. Wer weiß, vielleicht hat er den Richter sogar bestochen. Zutrauen würde ich es ihm und schließlich kann man nicht ausschließen, dass Richter bestechlich sind. Der Fall ist so eindeutig, wie kann man dann derartig falsch entscheiden und die von mir ersehnte Zukunft einfach ein paar Monate hinauszögern. Ich bete dafür, dass ich das Geld bekommen, das wäre meine Chance auf ein besseres, friedlicheres Leben, meine eigene Wohnung und ganz viel Ruhe. Ruhe für mich und kein Geschrei, keine Hektik, kein Lena mach dies, Lena mach das und oh Gott, wie siehst du aus und wie bist du denn überhaupt angezogen, keiner, der mich ständig kritisiert. Dann kann meine Ma sehen, wie sie zurechtkommt und sich darüber Gedanken machen, was sie an mir hatte. Ich halte es nicht mehr aus, ich hasse alles so sehr, ich drehe hier durch, ich habe keine Kraft mehr und keine Energie, ich bin völlig erschöpft und kann kaum noch weinen, weil ich keinen Funken Lebensmotivation mehr verspüre.
Eigentlich hatten wir einen weiteren Gerichtstermin, denn mein Vater hat seine Revision in der Strafsache immer noch nicht zurückgezogen. Doch zwei Tage zuvor trafen sich seine beiden Anwälte mit unserem. Und ja, er hat zwei Anwälte, bzw. sogar drei, denn für das Strafverfahren hat er sich jetzt auch noch einen besorgt. Es sollte zu einem Vergleich kommen, aber das tat es nicht. Anstatt dessen ließ er uns über seine Anwälte Drohungen ausrichten, die da lauteten: Wenn meine Mutter die Anzeigen mit der Unterschriftsfälschung nicht fallen lässt, dann wird er noch ganz große Geschütze auffahren, die wir nicht erwartet hätten und dann würden wir aber dumm dastehen. Außerdem ließ er mir ausrichten, dass er Kontakt mit mir herstellen wolle und ich solle doch bitte den ersten Schritt machen. Sonst noch Wünsche? Hält er mich immer noch für blöd? Lena, richte bitte dies und das deiner Mutter aus und Lena, in Wirklichkeit ist das so und so und Lena, lass das und mach dies und das nicht, hast du gehört. Kenne ich das nicht schon allzu gut von früher? Ändern tut sich dieser Mensch nicht, nie. Er möchte nun sogar einen Offenbarungseid leisten, denn er hat angeblich kein Geld mehr. Aber sich drei Anwälte leisten, ein Auto für 60 000 ¤ fahren und Urlaub machen. Letzte Woche gab er sogar eine Eidesstattliche Versicherung vor Zeugen im Amtsgericht ab. Dies tat er wegen des Unterhalts, den er auch nicht zahlen möchte, und jetzt, da meine Ma einen Job hat, schon mal gar nicht. Auch diese Versicherung ist falsch, da er wieder einmal Dinge angegeben hat, die ganz und gar nicht seinem Vermögen entsprechen. Auch das kann anscheinend nachgewiesen werden. Warum macht er das? Wieso kann er nicht einfach aufhören? Er macht immer weiter und weiter und weiter und begeht Straftaten. Hat er denn nicht genug? Ist er so dumm und krank in seinem Kopf, dass er es nicht einsieht?
Aber kommen wir zu meinem Freund. Ich lernte ihn durch meinen Heilpraktiker kennen. Wir waren zu dritt im Pub und tranken was. Zugegeben, ich füllte mich selbst ab, aber es hielt sich in Grenzen. Später ging dann mein Heilpraktiker nach Hause und ich blieb mit seinem Freund noch einige Zeit sitzen. Ehrlich gesagt, fand ich ihn am Anfang etwas seltsam, aber dennoch sympathisch, da er etwas sehr Zurückhaltendes und Schüchternes an sich hat und er sieht wirklich gut aus. Er ist ungefähr 1,80, hat Sommersprossen und eine wunderschöne weiche Haut, er riecht gut, ist gepflegt, hat dunkel-rot-braune Haare und war früher mal ganz hellrot. Er hat schöne Zähne, besonders seine Eckzähne gefallen mir, auch wenn sich das komisch anhört. Er hat einen wunderschönen Mund und seine Augen sind sanft und traurig, in ihnen sieht man die Einsamkeit und gleichzeitig einen tiefblauen Ton, der ihn zusammen mit seiner Augenform verletzlich und kindlich erscheinen lässt. Er ist klug, hat allerdings manchmal eine andere Art von Humor als ich und ist absolut liebenswert. Jetzt sind wir drei Wochen und einen Tag zusammen. Es ging eigentlich ziemlich schnell. Beim zweiten Treffen im M. haben wir uns dann geküsst. Da ich ihn gar nicht kannte, war ich mir nicht sicher, ob er nur mit mir Spaß haben will oder ob er es ernst meinte. Jedenfalls kamen durch ihn viele Gefühle und Stimmungen hoch, die so extrem und unkontrollierbar waren, dass ich sie fast nicht aushielt. Ich hatte Angst, verlassen und verletzt zu werden, wollte auf der anderen Seite sogar Schluss machen, bevor es zu spät sein könnte und alles drehte sich in mir. Plötzlich kamen auch noch alte Erinnerungen von früher hoch, Bilder, Emotionen, einfach alles, Wut, Hass und viel Traurigkeit. Ich hatte wieder Ärger mit meiner Mutter, da ich abermals Kratzer in mein neues Auto gefahren hatte und an diesem Tag gab mir das den Rest. Es kamen derart starke Emotionen hoch und ich fühlte mich leer, so leer, wie ich mich das letzte Mal fühlte, als ich mich erhängen wollte. Ich füllte mir eine halbe Flasche Schlaftropfen in ein Glas und war fest entschlossen, alles hinunterzukippen. Ich spürte eine derartige Leere und alles war mir egal, ich wollte mein Leben einfach nicht mehr, ich hasste es, alles, Gefühle, Bilder, ich war es leid zu leiden und meine Angst zerfraß mich so sehr, vor allem, da ich jetzt auch noch ihn kennen gelernt hatte und mir dachte, dass es gar nichts werden könnte. Ich drehte völlig durch und die Abende davor weinte ich, als ob er mich schon verlassen hätte. Ich trank also die Schlaftropfen, schnitt mich hinterher noch und war am Ende. Alles kam mir entfernt vor, leicht verschwommen, als ob ich nicht mehr in meinem Körper wäre, sondern nur noch in dem Leid, das mir einen Rausch von Ohnmächtigkeit verschaffte. Nachdem ich mich geschnitten hatte, ging es mir wieder besser und ich konnte zumindest weinen. Ich weiß nicht weshalb und wieso, doch auf einmal kam Trotz in mir auf und Hass. Ich rannte ins Bad, kniete mich vor der Toilette hin und steckte mir den Finger in den Hals, um das Schlafmittel rauszubrechen. Es gelang mir und ich fühlte mich den nächsten Tag noch etwas komisch und ging auch nicht in die Schule, sondern fuhr zu meinem Freund und blieb den Tag über bei ihm. Ob mir das etwas half? Nein, an dem Tag nicht. Ich konnte ihm noch nicht sagen, was ich getan hatte und warum. Ich traute mich nicht einmal zu fragen, ob er es ernst mit mir meinte. Ich fand mein Verhalten, meinen Kontrollverlust und diese Gefühle absolut seltsam. Auch das war ein Grund, weshalb ich die Beziehung erst beenden wollte. Ich dachte, wenn es so weitergeht, dann bringe ich mich wirklich um, weil ich diese Traurigkeit und diese Verzweiflung nicht mehr aushalten würde. Ich sprach darüber mit meiner Psychiaterin und das war auch gut so. Sie erklärte mir viel und danach fühlte ich mich nicht mehr ganz so verrückt. Ich redete auch mit meinem Freund darüber und dann passierte das Wunderschönste, etwas, das mich so berührte und überwältigte, dass ich immer noch völlig gerührt bin. Er fing an zu weinen, als ich ihm das erzählte. Jemand weinte um mich, um mich. Wie oft weine ich wegen anderen Menschen, die mich verletzen und jetzt weinte jemand für mich. Das ist unbeschreiblich.
Mittlerweile weiß ich, dass er es ernst meint und ich bin froh, ihn zu haben. Nur er, außer der Amelie, gibt mir Halt und Geborgenheit. Leider musste ich auch erfahren, dass er süchtig ist. Er kifft jeden Tag und das schon seit Jahren, anscheinend sogar mehrmals am Tag. Ich hoffe nur, dass er damit aufhört und bin darüber sehr besorgt. Ich habe auch Angst, dass er mich mit runterzieht, denn das geht bei mir leicht. Aber was soll ich anderes machen, als mit ihm reden? Seine letzte Beziehung, so meinte er, sei wohl auch daran gescheitert. Auf der anderen Seite frage ich mich, was ich mir damit antue und ob ich das schaffe, ob ich stark genug bin, auch noch ihm zu helfen. Kann ich das? Deshalb möchte ich nicht mit ihm Schluss machen, dafür ist er mir zu schade. Er ist eine sehr sensible und traurige Person, auch wenn man ihm das nicht gleich anmerkt. Er hat jahrelang viel in sich hineingefressen, in Einsamkeit gelebt und wollte mit niemandem mehr reden, hat sich kaum jemandem anvertraut und ich spüre einen festen, harten Stein in ihm, den er loswerden will, was ihm aber sehr schwer fällt. Ich hoffe, dass alles gut geht, denn wenn nicht, würde ich mich völlig aufgeben.
Tagebuch vom 02.05.2008
Ich fühle mich gespalten und traurig, einsam, erschöpft und alles in mir ist verhärtet. Ich kann nicht einmal mehr weinen, es geht nicht. Ich kann mir die traurigste Musik anhören und alles furchtbar finden, aber ich kann es nicht rauslassen. Ich verstehe mich nicht, ich verstehe meine Umwelt nicht, ich hasse alles und mich selbst auch oft genug. Mein Freund versteht mich nicht, er versteht die Probleme mit meiner Mutter nicht und meinte sogar einmal, ich wolle sie ihm vorenthalten. Sie will ihn absolut nicht sehen, fragt mich ständig, ob wir Streit hätten und hat mir auch schon vorgeschlagen, endlich Schluss zu machen. Ich hasse sie, ich hasse sie so sehr. Alles ist durcheinander, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Er glaubt mir nicht einmal so recht, dass ich ausziehe. Er meinte, er würde davon nichts merken und schließlich müsste ich einen Termin dafür festsetzen und außerdem könne das ja nicht so schwer sein, auszuziehen, bei ihm wäre es auch okay gewesen. Bei ihm? Er hat eine nette, normale Mutter, die ihn liebt, ihn umsorgt, ihn bekocht und ihn akzeptiert, er hat einen Vater, der sich um ihn kümmert und sogar aus Italien zu ihm fährt, um ihm Lebensmittel vorbeizubringen. Ich hasse es, mich rechtfertigen zu müssen, alles erklären zu müssen und mir dann auch noch so etwas anhören zu dürfen. Vielleicht hätte ich es besser meiner Wand erzählt, die hätte wenigstens ihre Klappe gehalten und mir zugehört. Ich versuche ihm, so oft es nur geht, meine Situation zu erklären, dass alles nicht einfach ist in meinem Leben und mir tut es auch furchtbar leid, dass meine Ma so bescheuert ist, aber so ist sie eben. Sie ist nicht meine Mutter, sondern einfach eine verrückte, hysterische Alkoholikerin, mit der ich zusammenlebe, mehr nicht. Mir ist es viel wichtiger, dass er meine Freunde kennen lernt. Aber versteht er das? Nein. Außerdem heult er sich ständig bei mir aus. Darüber, dass er ja so allein war, sogar über eine blöde Tussi, von der er einmal was wollte. Sie ist Model. Ach wie toll. Blöde Schlampe! Nett sei sie auch und wie nett erst und ihr Busen erst. Genau, ihre Brüste. Hallo? Wer bin ich denn? Eine außenstehende Person, die ihn jedes Mal, wenn er bei mir ist, trösten darf und oh bist du ein Armer und ja, ist gut, lass es nur raus. Habe ich bei ihm irgendwie die Möglichkeit, überhaupt schwach zu sein? Nein, eigentlich nicht und wenn ich es versuche, stoße ich auf Missverständnisse. Ist es überhaupt einmal möglich, dass mich ein Mann versteht? Wird das in diesem Leben noch passieren? Ich habe das Gefühl, dass dieser Fall nie eintrifft. Scheiße, ich habe einen Fehler begangen. Wir hätten uns erst einmal besser kennen lernen sollen, bevor wir sofort nach dem zweiten Date zusammenkommen mussten. Was mache ich denn jetzt? Einerseits glaube ich, dass ich verliebt bin, andererseits ärgere ich mich dermaßen über ihn, dass es mir so sehr weh tut, dass ich es für besser halte, es zu beenden. Super, wieder eine Beziehung dahin, wieder jemand, der mich nicht versteht, wieder Schmerzen, wieder Zerstörung und wieder Chaos. Kann es nicht einmal einfach klappen? Ich erwarte nicht, dass alles perfekt läuft, aber Verständnis ist für mich einfach wichtig. Wichtiger als Zärtlichkeiten. Jemanden zu finden, der dich stützt, der stark an deiner Seite steht und bei dem du das Gefühl hast, dich fallen lassen zu können, das ist selten. Ich habe mich schon gefragt, ob es vielleicht an mir liegt und ob ich das Problem bin, ob ich mir den Weg selbst verbaue, aber wenn man sich unwohl fühlt, fühlt man sich unwohl. Er hat nicht die Kraft und Stärke, um mich zu halten, er ist selbst so schwach und braucht jemanden, der ihn stützt. Ich tue das auch gerne, aber nicht jedes Mal. Ich finde es gut, wenn er sich öffnet und weint, aber ich darf dabei die liebe Mami spielen, die ihm zuhört und bin dabei manchmal einfach nicht mehr seine Freundin. Als er mir von diesem Mädchen erzählt hat und weinen musste, hat mir die Art und Weise, wie er über sie redete, so sehr weh getan. Wenn ich so über jemanden reden würde und mir dazu noch Tränen kämen, dann wäre das ein eindeutiges Zeichen, dass ich an dieser Person noch stark hänge. Was bin ich dann also? Eine zweite Wahl, ein Ersatz, eine Zwischenlösung vielleicht? Ich wünschte, er wäre einfach anders, ich wünschte, er würde mehr auf mich eingehen, mit mir reden, wie ich es mit ihm tue, aber ich kann es schließlich nicht erzwingen. Ja, wahrscheinlich bin ich verliebt, eigentlich wollte ich das vermeiden, aber es ist einfach so passiert. Oder nicht? Woher soll ich wissen, ob ich verliebt bin, oder nicht? Mögen tue ich ihn definitiv, aber ist da noch mehr? Ich weiß es nicht. Momentan vermisse ich ihn nicht einmal. Ich fand es furchtbar anstrengend, dass er die letzten Wochenenden immer zu mir kam. Ich muss den ganzen Haushalt meiner Mutter machen, dann meinen ganzen Haushalt und das alles am Freitag, da ich unter der Woche absolut keine Zeit dafür habe. Und was ist mit mir? Habe ich denn auch mal wieder Zeit für mich? Ich vernachlässige mich, kümmere mich nur um die Schule, meine Aufgaben, die ich hier im Haus zu erledigen habe und dann am Wochenende kann ich mich auch noch um ihn kümmern. Und wer kümmert sich um mich? Kein Vater, keine Mutter, keine Großeltern, keine Geschwister, ja nicht einmal der eigene Freund, weil der zu sehr mit sich beschäftigt ist, sodass er mich völlig zu übersehen scheint. Dieses Wochenende zieht er um, Gott sei Dank, jetzt habe ich zumindest etwas Zeit für mich, auch wenn ich dann wohl mehr mit meiner Mutter zusammen sein werde, was wohl noch mehr Hölle ist. Alles ist einfach beschissen. Ich finde keine Ruhe, kein Glück, kein Verständnis, nichts. Aber lernen kann ich bis zum Umfallen, Sachen darf ich in völliger Hektik erledigen und mich hinterher noch anbrüllen lassen und für andere da sein, das darf ich. Es muss sich was ändern, sofort. Ich gehe sonst drauf. Nicht weil ich mich umbringe, sondern vor Erschöpfung, weil alle nur fordern, fordern und nochmals fordern. Wann bekomme ich etwas? Wann? Habe ich es denn nicht auch endlich einmal verdient?
Er macht mich glücklich und wütend und traurig zugleich. Ich kann nicht genau sagen, was überwiegt. Aber der Schmerz ist prägender als das Glück. Wie gesagt, alles ist durcheinander und ich bin überfordert. Ich schreie jeden Tag innerlich um Hilfe, aber keiner hört mich, ich breche jeden Tag innerlich zusammen, aber niemand kommt und hilft mir auf, ich gebe jeden Tag 100 %, aber Lob und Anerkennung sind selten.
Dass ich hier ausziehen werde, ist schwer für mich. Ich habe hier mein ganzes Leben gelebt. Andererseits ist es auch mein altes Leben und das war nun wirklich nicht schön. Aber was soll ich danach machen? Ich werde wohl vor der Ausbildung ausziehen und bis dahin habe ich kein Geld. Ich könnte jobben, aber reicht das? Wird meine Ma dann überhaupt noch mit mir reden? Wird sie sich etwas antun? Wird es noch schlimmer mit dem Alkohol? Was ist mit den Gerichtsverhandlungen und meinem Geld, dass mir mein Vater noch zu zahlen hat? Den Anwalt werde ich nicht bezahlen können und außerdem ist er auch der meiner Mutter, die eigentlich für mich aussagen müsste. Was passiert dann? Ich habe Angst, so furchtbar Angst. Manchmal sitze ich in der Schule und denke mir, falls jetzt jemand die Klassenzimmertür aufmachen würde, hätte eine Waffe in der Hand und würde mir einen sauberen Kopfschuss verpassen, dann wäre es vorbei. Manchmal denke ich, wenn ich über die Straße gehe, warum kann nicht jemand um die Ecke geschossen kommen und mich überfahren und manchmal, wenn ich mit dem Auto fahre, stelle ich mir vor, wie jemand direkt auf mich zufährt und es dann vorbei ist. Eigentlich könnte es jeden Tag vorbei sein. Heute Morgen, als ich mit dem Zug fuhr, hatte er Verspätung, weil sich jemand vor den vorangehenden Zug geworfen hat. So einfach und schnell geht es. Du wartest ab, bis der Zug eine hohe Geschwindigkeit erreicht hat, was meistens ein paar Minuten nach den Haltestellen geschieht, dort wo viel Wald und Felder sind und dann läuft man einfach und läuft und läuft und hält an, bleibt stehen und lässt sich von der gewaltigen Kraft zerschmettern und dann liegt man zerstückelt auf den Gleisen, ohne auch nur daran gedacht zu haben, wie es jetzt wohl dem Lokführer gehen mag, dem man damit wohl das ganze Leben und die Laufbahn versaut hat. Schnell, aber irgendwie dramatisch und traurig. Ein Mensch tötet sich aus Hilflosigkeit und Verzweiflung. Wäre er zu mir gekommen, hätte ich ihm vielleicht helfen können, so absurd das klingen mag. Oder war es doch besser so? Jetzt ist er den Schmerz losgeworden, hat sich von den Fesseln befreit und einen Schritt gewagt, den man nicht mehr rückgängig machen kann. Das ist wohl die absoluteste Entscheidung, die man im Leben treffen kann, sich einfach zu töten. Mittlerweile denke ich zwar an den Tod, aber es ist nicht mehr so, dass ich richtiggehend plane, mich umzubringen, es hat sich etwas geändert. Auch wenn mein Leben mir grade sehr aussichtslos erscheint, glaube ich daran, dass es weitergeht und zumindest habe ich noch Freunde, die mir helfen.
Was ich allerdings mit meinem Freund mache, weiß ich nicht. Mit ihm zu reden, ist furchtbar schwer und das Kiffen lässt er auch nicht, wurde sogar einmal richtig aggressiv, als ich ihm sagte, dass ich ihm unter keinen Umständen Drogen geben würde. Meine Einstellung müsste man mal dringend ändern. Nein, muss man nicht und wenn er sich nicht ändert, dann kann ich auch nichts machen. Ich kann Hilfe anbieten, nur wenn er sie nicht annimmt, dann soll er es eben lassen. Und überhaupt, bietet er mir Hilfe an? Ich vermisse, dass er sagt, komm wir stehen das durch, ich bin an deiner Seite und egal wann du mich brauchst, ich bin für dich da und fange dich auf, oder dass er mich in den Arm nimmt und sagt, dass einfach alles gut wird und ich das schaffe. Nichts, ich bin für ihn da, er, er, er. Es wird wohl hart, wenn ich es beende, er ist so sensibel und wahrscheinlich noch viel verletzlicher als ich. Ich will niemandem weh tun, aber kann es immer angehen, dass ich aus Rücksicht auf andere mir selbst am meisten schade?
Tagebuch vom 16.05.2008
Ich weiß auch nicht, was mit mir ist. Alles ist verwirrend und irgendwie sehe ich keinen Ausweg. Bei meiner Freundin Amelie kann ich jetzt wohl doch nicht wohnen und genug Geld für eine eigene Wohnung aufzutreiben, ist ganz schön schwierig. Mit meiner Ma habe ich mal wieder Streit, sie redet nicht mehr mit mir, will nicht mit mir essen und besäuft sich.
Ich war für ein paar Tage bei meinem Freund, das hat ihr, denke ich, auch nicht gepasst. Ach ja, mein Freund, nein, ich konnte die Beziehung nicht beenden. Irgendwie liegt mir zu viel an ihm und das mit dem Verständnis ist sogar etwas besser geworden, zwar nicht viel, aber immerhin. Ich glaube, dass ich ihn liebe. Verdammt! Nein, das kann doch nicht sein, oder? Ich finde so viele kleine Dinge an ihm süß und bemerkenswert und er hat eine extrem starke Anziehungskraft an sich. Aber ist Liebe nur Einbildung? Gibt es das überhaupt? Ich weiß es nicht. Vielleicht definieren die Menschen Liebe falsch, vielleicht bedeutet Liebe in unserer heutigen Welt einfach nur sexuelle Anziehung und mehr nicht. Freundschaft ist Liebe oder die Liebe zu einem Tier und die Liebe zwischen Eltern und ihren Kindern. Aber alles andere sind physikalische Vorgänge im Körper, die einen unter Drogen setzen. Unter Drogen. Und kann man da eigentlich noch entscheiden, ob etwas wahr ist oder nicht? Ob Liebe dann auch Liebe ist, oder nur das Resultat der Ausschüttung von gewissen Stoffen?
Momentan habe ich verdammt große Sorgen. Ich weiß nicht mehr weiter, wirklich nicht. Ich bringe immer wieder Sachen auf den Dachboden zur Amelie, obwohl ich gar nicht weiß, wohin ich überhaupt soll. Eines Tages wird es hier wohl völlig eskalieren und dann werde ich gehen. Ich werde es hier nicht mehr lange aushalten. Ich hasse es so sehr. Dass ich für sie ständig arbeiten kann, dass ich jeden Tag angeschrien werde und einfach keine Liebe bekomme. Besser gesagt, Zuneigung, das würde mir schon reichen, oder vielleicht Sympathie. Aber nein, nichts von alldem.
Na super, grade ist mir noch mein Computer abgestürzt. Danke. Ich habe jetzt absolut keine Lust mehr, wirklich nicht. Leckt mich doch alle mal am Arsch, ich geh jetzt feiern und saufen. Gekifft habe ich ja schon und vielleicht noch ein bisschen Sex, sonst ist ja nichts mit meinem Scheißleben.
Tschüss.
Tagebuch vom 03.06.2008
Hier sitze ich nun in meinem Bett und mir geht es beschissen. Mir geht es schon seit Wochen ziemlich schlecht, aber die letzten zwei Wochen waren besonders schlimm. Mit meinem Freund mache ich jetzt eine 2-wöchige Pause. Nächste Woche sind meine Prüfungen und ich versuche mich zu konzentrieren und vor allem mit meinen Depressionen zurechtzukommen. Ich weine fast jeden Abend, es gibt Tage dazwischen, an denen es geht, aber meistens weine ich und kann auch nicht mehr damit aufhören. Das mit meinem Freund ist anscheinend der Auslöser dafür, ob er auch der wahre Grund dafür ist, dessen bin ich mir nicht sicher. Ich bin momentan zu nichts mehr fähig, das heißt, ich zwinge mich und wundere mich selbst, dass ich es doch noch einigermaßen hinbekomme, aber an meinem Zustand, der Tag für Tag einfach da ist und sich besonders abends verschlimmert, ändert sich rein gar nichts. Ich weine und weine und wenn ich einmal angefangen habe, kann ich nicht mehr aufhören. Alles ist so furchtbar traurig und sinnlos, alles ist endlos und trüb, trist und leer. Ich fühle mich alleine, so wie schon oft und ich habe schreckliche Angst vor der Zukunft. Wenn ich mich in den Phasen, in denen es mir so extrem schlecht geht, im Spiegel ansehe, finde ich mich unglaublich hässlich, ich finde meinen Körper ekelhaft, meine roten, verheulten Augen sehen aus wie die von einer völlig Verrückten und ich sehe einfach nur verbraucht aus. Liegt es an mir, dass die Beziehung nicht funktioniert? Bin ich daran schuld? Ich habe Angst vor Gefühlen und vor Liebe, ich hasse glückliche Menschen und finde jeden langweilig und uninteressant, von dem ich denke, er hätte ein gewöhnliches Leben, ich hasse Pärchen und werde wütend wenn sie sich küssen, umarmen oder flirten. Wenn ich Familien mit kleinen Kindern sehe, versuche ich einfach wegzuschauen. Warum? Weil ich sonst wahrscheinlich in Tränen ausbrechen würde. Warum lieben mich meine Eltern nicht? Wieso? Woher soll ich wissen, was Liebe ist, wenn ich sie nie richtig erfahren habe? Keine Liebe zwischen den Eltern, keine Liebe zwischen den Eltern und ihrem Kind, nur Hass, Schmerz und Streit. Vielleicht reagiere ich auf positive Gefühle gar nicht mehr, vielleicht kann ich nur noch auf Druck, Schmerz, Stress, Ärger, Wut, Enttäuschung und Verzweiflung reagieren. Alles andere kenne ich nicht. Ich fühle mich wie ein kleines Kind, dass darauf wartet, dass seine Eltern nach Hause kommen, aber niemand kommt und so warte ich und warte und verzweifle immer mehr, aber nichts passiert.
Es ist seltsam, früher kam mein Vater am Wochenende immer nach Hause und immer war das mit negativen Gefühlen verbunden, ich wusste, dass es Streit geben würde, ich wusste, dass sie trinken würden und ich wusste, dass es jederzeit eskalieren konnte. Ich hätte mich so gerne auf jemanden gefreut, dass einmal jemand nach Hause gekommen wäre am Wochenende, der mich in den Arm nimmt, mich wirklich liebt, mit mir lacht und sich wunderbar mit meiner Ma und mir versteht. Und nun habe ich einen Freund, der immer am Wochenende zu mir kommt, so wie mein Vater damals. Er umarmt mich, isst mit mir, mag mich, lacht mit mir. Aber das Problem ist, dass er mein Freund ist und nicht mein Vater, auf den ich eigentlich schon mein ganzes Leben lang warte und eigentlich immer noch wie ein kleines Kind an der Tür stehe und nach draußen schaue, hoffe, dass jemand kommt und ich würde wissen, dass jetzt alles gut werden würde, egal was für Probleme ich hätte.
Und was mache ich mit meinem Umzug? Hilft mir dabei irgendjemand, außer Amelie, bei der ich zumindest meine Sachen unterbringen kann, bis ich etwas gefunden habe? Nein, natürlich nicht. Warum kommt niemand und hilft mir, sagt irgendetwas, was richtig ist und tut etwas, das mir wahnsinnig helfen würde. Ich kann das nicht alleine, ich habe langsam keine Kraft mehr. Ich kann meine Mutter unmöglich alleine lassen, sie schafft das alles nicht ohne mich und wenn, wäre das ein Wunder, ein äußerst unwahrscheinliches Wunder. Ich bewege mich nicht nach vorne und nicht nach hinten, ich befinde mich in einer Art Stillstand und es ist unerträglich, so jeden Tag zu leben. Es ist verrückt, ich habe keine Kraft, mich nach vorne zu bewegen, ich hänge fest, bin ohnmächtig, als ob ich in einem Koma liegen würde. Jeder Tag ist wie der andere. Der Wecker klingelt, ich bin noch völlig müde und erschöpft, meine Knochen schmerzen und am liebsten würde ich den ganzen Tag in meinem dunklen Schlafzimmer verbringen und nur für ein wenig Essen aufstehen und der Welt sagen, dass sie mich in Ruhe lassen soll. Dann stehe ich doch auf und alles, was ich mache, ist mühsam und wenn ich dann um ungefähr drei Uhr mittags nach Hause komme, darf ich Haushaltssachen erledigen, den zehntausendsten Text übersetzen und mich eigentlich nur darauf freuen, dass Abend ist und ich endlich DVDs ansehen kann. Dann kommen jedoch meine Depressionen und ehrlich gesagt, war die Stimmung vorher schon im Keller. Ich bin am Ende, absolut am Ende. Ich habe jahrelang alles gegeben und dachte oft, ich könnte nicht mehr, doch es ging immer weiter und weiter und weiter. Und jetzt? Manchmal bin ich wirklich davon überzeugt, dass ich vielleicht in eine Klinik sollte, weg von hier, weg von meiner Mutter, weg von diesem Haus und den Pflichten. Vielleicht könnte ich so wieder einigermaßen leben und hätte jeden Tag jemanden, der sich um mich kümmern würde. Lange halte ich diesen Zustand nicht mehr aus. Oft wird mir so schwindlig und es kommen derart viele Erinnerungen auf einmal hoch, dass ich glaube, im nächsten Moment umkippen zu müssen. Wenn es nicht besser wird, passiert das wahrscheinlich noch. Ich könnte mir dann wünschen, so blöd zu fallen und mir das Genick zu brechen, aber das mit dem Tod lasse ich mal lieber.
Ich habe Angst, Angst es nicht zu schaffen, wieder Tabletten zu nehmen, mich zu schneiden und absolut abzustürzen. Ich weiß, dass ich momentan eine extreme Gratwanderung mache und es nicht viel dazu braucht, bis ich alles hinschmeiße. Ich will die Prüfungen wirklich gut bestehen und habe so gute Vorarbeit geleistet. Aber was, wenn es nicht klappt, wenn alles umsonst ist? Umsonst gibt es nicht? Doch, ich denke schon. Ich zerfresse mich selbst, weil mein Leben mich zerfrisst und vielleicht falle ich, vielleicht auch nicht. Ich weiß nicht, was passieren wird, alles ist unsicher und ich könnte durchdrehen, mir die Haare ausreißen, schreien, alles kaputtschlagen und meine beiden Erzeuger in die Luft jagen. Und was wird aus meiner Beziehung? Ich weiß es nicht, ich weiß momentan gar nichts mehr, nur dass es so, wie es gerade ist, nicht weitergehen kann.
Briefe an Holger
Hey,
ich denke, ich schreibe dir besser all meine Gedanken auf, die mich beschäftigen, als mit dir darüber am Telefon zu reden, was dann letztendlich zu doch nichts führt.
Wie ich dir bereits sagte, ich liebe dich und das meine ich auch so. Du bist ein toller Mensch und ich mag unheimlich viele kleine Dinge an dir, die dich zu einer bemerkenswerten Persönlichkeit machen. Du bist wahrhaft wie eine weiße Rose, die irgendwo zwischen vielen Gräsern steht und dort irgendwann einmal ausgesetzt wurde, doch kaum einer ist bisher an ihr stehen geblieben und hat sie sich genau angesehen. Das Verletzliche an dir finde ich anziehend und es macht dich interessant, leider bin ich auch sehr verletzlich und wenn sich zwei verletzliche Menschen begegnen und eine Beziehung führen, dann kann das schwer werden.
Ich weiß, was du durchlebt hast, vielleicht kann ich mich sogar noch viel mehr in dich hineinfühlen, als du es für möglich hältst und vielleicht sehe ich auch noch andere Seiten an dir, von denen du gar nicht ahnst, dass ich sie bemerkt hätte. Ich kann mich manchmal so sehr in die hineinfühlen, dass es fast schon weh tut und ich würde dir gerne all deinen Schmerz nehmen, den du noch von deiner Vergangenheit in dir trägst und ich will, dass es dir gut geht und du glücklich bist. Ich weiß natürlich, dass es dir nicht unbedingt schlecht geht, aber ich denke, dass du noch viel mit dir selbst zu tun hast. Dinge, die du verarbeiten musst, Geschehnisse, über die du noch nachdenkst und den einen oder anderen Weg, den du noch zu dir selbst finden musst.
Das Gleiche gilt natürlich auch für mich, nur bin ich dann doch nicht genauso wie du. Ich fühle anders, denke anders und nicht immer, wenn es dir gut geht durch unsere Beziehung oder durch etwas anderes, geht es mir auch gut. Manchmal denke ich, dass du das vielleicht meinst oder zumindest gerne so hättest. Es ist schön, dass du möchtest, dass es mir gut geht, aber du bist selbst noch nicht so gefestigt in deiner Person, dass du mich mit stützen kannst. Das ist kein Vorwurf oder ein Grund, die Beziehung zu beenden, aber eine Tatsache, die für mich in meiner Lebenslage problematisch ist. Ich kann dich auch nicht immer absolut stützen, denke ich, dafür bin ich noch viel zu beschäftigt mit mir selbst.
Mein Leben ist schwer und früher war es noch viel schwerer, nur heute habe ich das Gefühl, dass ich mich um immer und immer mehr kümmern muss und ich bleibe manchmal auf der Strecke. Das merke ich daran, dass ich dann abends so schwach und erschöpft bin, dass ich einfach weinen muss, niemanden mehr sehen und hören will und mir oft denke, weshalb und warum das alles passiert. Es ist schade, dass du mich noch nicht sehr lange kennst und auf einige Situationen oder Gefühlslagen nicht richtig reagierst, oder reagieren kannst. Andererseits kann ich dir nicht andauernd sagen, bitte sag jetzt dies und mach jetzt das und wenn das passiert, dann wäre es angebracht, dies oder das zu sagen. Entweder du tust es, oder nicht. Ich kann dir einiges erzählen über meine Vergangenheit und meine Gefühle, aber ich weiß nicht, ob dir das weiterhilft oder du damit etwas anfangen kannst. Ehrlich gesagt habe ich eher den Eindruck, dass ich dich damit runterziehe und du verzweifelt nach irgendwelchen Ratschlägen oder Ablenkung in dem Moment suchst und nicht wirklich weißt, was du jetzt machen sollst.
Jeden Tag kann sich alles ändern bei mir, grundlegend oder auch nicht. Jeden Tag passiert etwas Schlechtes und es gibt auch jeden Tag schöne Dinge, doch die schlechten sind es, die leider jahrelang bei mir überwiegen und mich geprägt haben. Ich bin es gewohnt alleine zu sein, aber nicht in dem Sinne, in dem du es kennst, sondern einfach keine Eltern zu haben, keiner lobt einen, keiner ist für einen da und zwar niemals. Es wäre in Ordnung, wenn es nur eine Zeit lang so gegangen wäre, ist es aber nicht, bei mir ist es in dieser Hinsicht aus und vorbei. Deshalb ist alles doppelt so anstrengend für mich. Mich selbst am Leben zu halten, meine Mutter sozusagen am Leben zu halten und es wie jeden Tag allen recht zu machen. Und natürlich will ich es auch dir immer recht machen und versuche mich oft einfach zurückzuhalten, wenn ich am liebsten sagen würde, nein, das will ich nicht oder dies und das kann ich jetzt eigentlich nicht, weil ich einfach psychisch nicht in der Lage dazu bin. Dann würdest du wahrscheinlich sagen, na ja, ok, aber innerlich denken, oh mein Gott, was soll das denn jetzt.
Ja, ich habe starke Gefühlsschwankungen, ja, ich bin manchmal einfach auch bei Kleinigkeiten überfordert und ja, ich bin eben nicht das normale Mädchen, dass sich ein Mann wünschen würde und einfach bin ich bestimmt nicht. Die Frage ist nur, hält mein Leben eine Beziehung aus, bzw. hältst du das aus und wenn ja, wie lange.
Du bist wunderbar und intelligent und ich schätze dich sehr, aber tust du das auch? Magst du mich wegen meines Charakters und weil ich einfach so bin, wie ich bin, oder weil ich dir optisch gefalle und wahrscheinlich etwas drauf haben könnte, weil ich gute Noten habe? Ich weiß, was ich kann und was ich wert bin, auch wenn man Tage hat, an denen man daran zweifelt. Doch siehst du den Wert genau so, wie du ihn sehen solltest, dass ich ein Mensch bin, einer unter vielen, der aber immer noch lebt und es geschafft hat, sich irgendwie unter all diesen grauenhaften und bösen Menschen über Wasser zu halten.
Das mit dem Kiffen ist wieder ein anderer Punkt, zu dem ich einfach noch gerne etwas schreiben würde. Die Diskussion mit dem Tim hat mir schon weh getan, vor allem weil er meinte, dass alle, die kiffen, einen weiteren Horizont hätten, niemand ohne das Kiffen kreativ oder überhaupt richtig intelligent sein könnte und dass jeder, der nicht kiffen würde, einfach nur zu einfach gestrickt sei und sich zu wenig Gedenken über das Leben mache. Das tat weh, richtig weg und du bist daneben gesessen und hast dem mit dem Satz: „Wie kann man diesen Argumenten widersprechen?“, noch zugestimmt. Bin ich dann nicht auf einer Wellenlänge? Kann ich dann nicht kreativ sein? Kann ich dann nicht auch Außergewöhnliches auf meine Art und Weise leisten? Nein, der Meinung bin ich nicht, absolut nicht und ich kann dir garantieren, dass es Menschen auf der Welt gibt die toll und einzigartig sind, auch ohne kiffen und auch ohne, dass sie Einstein geheißen haben. Warum sich Tims Frau darüber aufregt, sind nicht nur die Gründe, die ich euch gesagt habe, welche ja angeblich keine waren, sondern auch die Tatsache, dass sie sich wohl jeden Tag fragen muss, warum macht er das schon wieder, er hat mich und seine Kinder und wir alle lieben ihn und dann ist er trotzdem noch so unglücklich, dass er Drogen nehmen muss. Also genügt ihm das Glück, das wir haben, wohl nicht. Ich reiche nicht aus, seine Gefühle für mich sind dann doch so schwach gegenüber dem Kiffen, dass er das braucht. Und das, Holger, tut weh, jeden Tag. Verstehe es, oder nicht, ich will dich nicht ändern, nur glücklicher machen, genauso, wie du mich glücklicher sehen willst.
Antworte bitte nicht darauf, lies es dir durch, lass es dir durch den Kopf gehen oder lass es im Raum stehen. Das sind alles Dinge, die ich dir schreiben wollte, da ich darauf eigentlich keine Antwort haben möchte, nicht mal auf meine Fragen. Beantworte sie dir selbst und sei ganz ehrlich und was dabei rauskommt, dass werde ich dann sehen, bzw. spüren.
Ich liebe dich und jeden Morgen, wenn ich aufwache, denke ich, dass du neben mir liegen müsstest, aber leider ist es nicht so, trotzdem stelle ich es mir vor und werde traurig, ich vermisse dich, einfach deine Augen, wie du mich ansiehst, deine Art, wie du ständig singen musst und wie du manchmal einfach absolut verletzlich und wunderschön vor mir stehst und so nah und doch so fern bist.
Hey,
ich dachte erst, es wäre zu Ende mit uns, da du dich nicht gemeldet hattest. Ich bin davon ausgegangen, dass du wohl darüber nachgedacht hast und es vielleicht für besser gehalten hast, dich nicht mehr zu melden, weil du daraufhin verletzt warst. Daher habe ich dann auch fast den ganzen Tag geweint und versucht, über dich hinweg zu kommen. Ich wollte lernen, es ging nicht, ich habe alles Mögliche angefangen und musste immer wieder weinen. Ich habe sogar versucht, fröhliche Musik zu hören und sogar dabei sind mir die Tränen geflossen. Ich habe die Nacht dann kaum geschlafen und bin am nächsten Morgen früh aufgestanden und musste mich sogar am Freitag ziemlich zusammenreißen, um irgendwie zu lernen, aufzuräumen und die üblichen Dinge im Haushalt zu erledigen, die ich sonst eben immer mache. Nachmittags ging es mir dann einigermaßen und erst wollte ich auch gar nicht in die Disko gehen. Bis du dann doch angerufen hast.
Mit deiner Reaktion hätte ich nicht mehr gerechnet. Du hast eigentlich so getan, als ob gar nichts gewesen wäre, deshalb fragte ich dich auch, ob du die E-Mail überhaupt gelesen hattest. Mir ging es dann äußerst seltsam und verwirrt bin ich immer noch ein bisschen. Das ist fast so, als ob jemand stirbt und zwei Tage später doch wieder quicklebendig vor deiner Tür steht.
Meinst du wirklich, dass wir zusammenpassen? Ich denke, dass wir festgefahren sind, vor allem geht es mir so mit meinen Gefühlen und Gedanken. Ich weiß, dass mir viel an dir liegt und hätte nicht gedacht, einmal so viel wegen dir zu weinen, aber es ist passiert. Das hat auch mir gezeigt, dass es noch tiefer ging. Aber macht mir unsere Beziehung mein Leben einfacher? Das sollte der Fall sein, aber in letzter Zeit war sie keine Stütze, eher eine Belastung. Ich schaffe dieses hin und her meiner Gefühlswelt nicht, ich komme damit nicht mehr zurecht, ich bin mir nicht sicher, ob ich ohne dich kann, oder nicht und diese Frage hat mich dazu gebracht zu sagen, dass wir uns dieses Wochenende nicht sehen sollten. Und dich scheint meine E-Mail vielleicht doch nicht so sehr zum Nachdenken angeregt zu haben, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich will dir keine Vorwürfe machen, aber ich sehe immer und immer wieder, dass es einfach nicht so funktioniert, wie es sollte, absolut nicht.
Ich weiß nicht was ich machen soll, aber spüre, dass meine Gedanken klarer werden und wohin die Richtung geht, kannst du wohl aus meiner E-Mail entnehmen. Ich will dich nicht verletzen, aber du hast mich bereits sehr verletzt, auch wenn das unabsichtlich war und das war sehr schlimm für mich. Wenn man sich bereits mit der Tatsache einer Trennung abgefunden hat und den Schmerz durchlebt hat, aber hinterher soll alles wieder gut sein, dann wirft einen das aus der Bahn und momentan ist alles durcheinander.
Wenn du die Beziehung retten willst, dann tu’s. Was du tun musst, das musst du wissen und wann der Zeitpunkt dafür gekommen ist, und wenn nicht, dann weiß ich auch nicht mehr weiter.
Tagebuch vom 24.06.2008
Ich habe unsere Beziehung beendet, ich hatte furchtbare Depressionen und kam damit nicht mehr klar, also musste sich etwas ändern und ich wusste eigentlich auch genau was. Er akzeptierte mich nicht so, wie ich war und ich ihn auch nicht so wie er es war. Der Unterschied war nur, dass er mir das direkt immer sagte und mich damit verletzte und ich einfach still war und alles hinnahm. Alles wurde mir zu viel, jeder Tag war die Hölle und ich fragte mich, wann es aufhört. Nachdem ich es beendet hatte, redeten wir noch einmal miteinander, dieses Gespräch war furchtbar. Die erste Stunde davon machte er mich völlig fertig, gab mir an allem die Schuld und kritisierte meinen Charakter bis ins Unendliche. Irgendwann wurde ich dann wütend und habe ihm gesagt, dass ich seine Freunde nicht mag, finde, dass er eine Heulsuse ist und immer nur darauf wartet, dass jemand kommt, der mit ihm zusammen ist und alles plötzlich gut wird. Dann hat er sich kurz beruhigt und wir sind durch die Stadt gelaufen. Er wollte sich sogar noch mit mir betrinken, aber ich fand das in dem Moment ziemlich daneben. Jedenfalls liefen wir irgendwann zurück zu seinem Auto und umarmten uns und umarmten uns und umarmten uns und ich glaube, das ging so bestimmt eine Stunde lang. Er machte mir zum Schluss sogar Komplimente und wurde richtig nett, fing natürlich wieder an zu weinen, aber es war aus. Er meinte, dass er sich in zwei Wochen bei mir melden würde, dann könnten wir ja etwas „machen“ und ja, damit war Sex gemeint. Innerlich war ich verletzt und geschockt, aber ich selbst hatte das einmal nach der Trennung gekonnt. Ich musste nur lachen und hätte ihm eigentlich am liebsten in die Eier getreten. Als ich dann zu Hause war, bekam ich Nasenbluten, ich hatte schon seit ungefähr 10 Jahren kein Nasenbluten mehr. Die Tage danach war mir wahnsinnig schwindelig und schlecht. Ich hatte Darmkrämpfe, und immer wenn ich etwas aß, tat mir mein Magen weh. Am Tag nach unserer Aussprache hatte ich dann während des Spazierengehens wieder Nasenbluten, das fast nicht enden wollte. Ich fühlte mich so schwach und krank und war kurz davor, zusammenzubrechen. Selbst meiner Ma fiel auf, dass ich aussah wie eine Leiche und kaum noch gerade laufen konnte. Dann hatte ich noch einen Migräneanfall und musste so auch eine meiner Prüfungen schreiben. Die Tage, an denen ich dann meine schriftlichen Prüfungen hatte, ging es mir auch nicht gerade gut, vor allem war mir immer noch extrem schwindlig und kaum war ich aufgestanden, hätte ich mich wieder hinlegen können. Aber ich überstand es und ich hoffe, dass meine Noten ganz gut sind, allerdings denke ich, dass ich die eine Prüfung versaut habe, da meine Kopfschmerzen dermaßen schlimm waren und jedes Geräusch und das Tageslicht so weh taten, dass ich mich kaum noch konzentrieren konnte. Die Depressionen gingen zum Glück weg und jetzt geht es mir auch körperlich wieder besser.
Nach nicht mal einer Woche hat er sich gemeldet. Er rief an, doch ich ging nicht ran. Ich war so wütend und verärgert. War er schon über mich hinweg und wollte mir das sagen? Ich hätte ihm das zugetraut. Doch ich vermisste ihn irgendwie. Ich glaube nicht, dass es Liebe ist, aber ich habe niemanden, der sich so freut, wenn er mich sieht und einfach liebevoll mit mir umgeht. Also schrieb ich ihm. Daraufhin schrieb er zurück und fragte mich, ob wir uns nicht am Wochenende treffen wollen. Irgendwie wusste ich schon, auf was das alles hinauslief. Von Freitag auf Samstag war ich bei der Amelie und kam am Samstag erst mittags nach Hause, war ziemlich müde und erschöpft und hatte keine Kraft, mich mit ihm zu treffen. Zudem war ich mir zwischendurch nicht sicher, ob ich ihn schon wieder sehen kann. Am Sonntag ging es mir dann nicht gerade gut und als meine Ma nach dem Mittagessen noch damit begann, von früher zu reden, wie sie meinen Vater kennen lernte und was sonst noch damals passiert ist, musste ich einfach anfangen zu weinen und stellte ihr die Frage, weshalb ich eigentlich auf der Welt bin. Daraufhin bekam sie anscheinend Mitleid und schrie mich nicht an, wie sie es sonst eigentlich immer tat. Sie fragte mich, was ich jetzt am liebsten machen würde. Ob ich jetzt gerne verreisen würde, auswandern oder was auch immer. Und dann war der Zeitpunkt gekommen und ich sagte ihr, dass ich ausziehen will. Sie reagierte gefasst, fragte mich, wie ich das finanzieren wolle und meinte, wir hätten es hier doch so schön. Dann stand sie auf, räumte hektisch den Tisch ab, ging kurz in den Garten, um dort das Wasser für unseren Teich abzudrehen, kam wieder, setzte sich hin und schwieg. Man sah ihr an, dass sie einen großen Brocken hinunterschluckte und sich unter keinen Umständen anmerken lassen wollte, dass es ihr etwas ausmacht. Damit war die Sache dann vom Tisch. Auch für mich war das ein großer und nicht einfacher Schritt und ich musste mich erst einmal auf meine Couch in meiner Wohnung setzen und nachdenken. Dann schrieb er mir, dass er jetzt Zeit hätte und ich schrieb erst einmal eine halbe Stunde nicht zurück, weil mir einfach alles zu viel wurde in dem Moment. Doch dann trafen wir uns, er holte mich mit seinem Auto bei der Post ab und wir fuhren einfach ins Grüne. Ich kannte ein schönes Waldstück, wo Schatten war, da die Sonne schien und es extrem heiß war an dem Tag. Wir fuhren also dort hin, stiegen aus und er fragte, ob er eine Decke mitnehmen soll. Ich wusste jetzt ganz genau, auf was es hinauslaufen würde, wenn ich ja sagte. Ich sagte ja. Der Tag war wunderschön, der Wald und die Wiesen rochen unheimlich gut, es war sonst keiner dort, außer uns. Wir hatten unsere Ruhe, ja Ruhe. Ich liebe die Ruhe und die Weite der Landschaft. Am Abend fuhren wir wieder zurück, aßen noch ein Eis, verabschiedeten uns. Kein „ich liebe dich“ oder „ich habe dich lieb“, kein Händchenhalten, aber wir verabredeten uns fürs nächste Wochenende und er sagte, dass er sich melden würde.
Es ist besser so, auch wenn es komisch ist. Ich muss nicht mit ihm zu seiner Mutter essen gehen, ich muss mich nicht mit seinen Freunden verstehen und was mit ihnen unternehmen, wir müssen nicht albern Händchen halten und wenn er etwas sagt, das mir nicht passt, dann ist es mir egal. Er kann kiffen und zocken soviel er will und ich werde ihm nichts vorschreiben oder mir Sorgen machen, als ob er mein kleiner Sohn wäre, auf den ich aufpassen müsste. Und ja, ich vermisse ihn, und ja, ich mag ihn sehr gerne und ja, ich denke sehr oft an ihn und bin manchmal traurig, dass er nicht da ist, aber ich glaube nicht, dass ich ihn liebe.
Ich kann keine Beziehung führen mit jemandem, den ich nicht wirklich und absolut liebe. Mir ist das zu viel, aber ich bin froh ihn zu haben, jemanden zu haben, der zu einem kommt und dir einfach Zuneigung entgegenbringt, das ist einfach und trotzdem wunderschön für mich.
Brief an Amelie vom 08.08.2008
Oh Mann, die Wohnung hier vom Holger ist eine richtige Männerbude. Kein Staub gewischt, nicht gesaugt, der Tisch ist total verschmiert und die Küche lässt auch zu wünschen übrig. Moment, da ist es wieder, juhuuu, ich beschwere mich. Gott sei Dank, ich dachte schon, mit mir würde etwas nicht stimmen. So von wegen glücklich und so, iiigggittt, neee! Und mir ist echt superlangweilig hier. Und der Herr will unbedingt am Wochenende an einen See fahren. Tja, wer hat keine Badesachen dabei? Und wer ist auch nicht so scharf darauf, seinen halbnackten Körper zur Schau zu stellen? Und ja, ich habe Komplexe, na und.
Ich habe grade so „zufällig“ was in der Schublade vom Holger gefunden ... Kondome mit Ring dran, für längere Liebe! Ich pack es nicht mehr, ich muss grade so lachen ... Der arme Kerl, doch gut, dass ich kein Mann bin.
Ich glaube du hast Recht, ich bin so hoffnungslos und sollte mich wirklich erst auf mich selbst konzentrieren und wenn ich nicht so eine sexbesessene, total widersprüchliche Person wäre, dann wäre ich auch vernünftiger, aber ich kann nicht. Im Prinzip ändert sich zwar viel und es hat sich ja vieles verbessert, aber es wird eben nicht, weißt du was ich meine?
So, jetzt habe ich Kopfweh und will eine rauchen, ach ja und ich habe die „Räucherstäbchen“ gefunden ...
Brief vom 24.08.2008
Hallo Holger,
es tut mir leid, dass ich dich heute einfach weggeschickt habe. Ich konnte dir auch irgendwie gar nicht sagen, weshalb genau. Manchmal würde ich dir gerne so viel sagen und bekomme es nicht über die Lippen. Ich kann mir das bis heute auch nicht erklären. Ich weiß genau, was ich sagen will und habe plötzlich eine Blockade. Ich will dich nicht verletzen und trotzdem passiert es und du willst mich natürlich auch nicht verletzen, das weiß ich und es passiert. Gestern und heute war eigentlich nichts Schlimmes. In der Nacht stand ich einmal auf und war für über eine Stunde im Wohnzimmer und du hast es nicht gemerkt, aber ich kann dir nicht vorwerfen, dass du nicht immer alles sofort bemerkst. Aber es hat mich etwas traurig gemacht. Ich habe also Musik gehört und kam in eine schlechte Stimmung und musste erst weinen. Ich dachte daran, mich zu schneiden, mir Alkohol von unten zu holen, Schmerztabletten zu nehmen und zu kiffen, aber im Prinzip hilft das alles nur kurzfristig und löst keine Probleme. Es stellt mich vielleicht ruhig oder ich kann Druck abbauen, aber ein paar Stunden später ist mein Leben sowieso wieder wie vorher. Und dann wurde ich auf einmal richtig glücklich. Ich dachte an viele schöne Momente in meinem Leben, an Afrika, an England und an meine lieben Freunde und dann musste ich vor Glück weinen. Ich bemerkte, dass ich leben will, einfach bloß für diese Stunden, Minuten und Tage, die einfach schön sind, selbst wenn sie vom Rest meines Lebens überschattet werden. Ich habe noch nie so bewusst gedacht und auch richtig gefühlt, dass ich leben will. Ich blicke aus dem Fenster und sehe die Natur, wie der Wind durch die Bäume weht und wie harmonisch alles sein kann, auch wenn die Menschen anscheinend jeden Tag versuchen, diese Harmonie zu zerstören. Traurig und zugleich wunderschön ist das Leben. Mir geht es jetzt zwar nicht besser und alles ist noch so seltsam wie vorher, aber ich will aufhören, alles am Schmerz zu bemessen, das ist falsch und kann nicht so weitergehen.
Ich werde dir jetzt etwas schreiben, was dich sehr verletzen wird, aber ich finde, dass ich dir die Wahrheit schuldig bin. Es tut mir unendlich leid, dass ich mit dem Tobias in London etwas hatte und wie du weißt, war ich betrunken und so unglücklich darüber, dass wir leider sehr wenig Kontakt hatten. Dazu musste ich dann noch jeden Tag mit ansehen, wie gut es zwischen der Georgina und ihrem Freund klappt und das machte mich noch viel mehr fertig. Ich fühlte mich alleine und dachte, dass ich dir wohl nicht wichtig genug sei. Dann kam die Sache mit dem Poster in deinem Schlafzimmer, die mich sehr getroffen hat. Dass ich gleich einen Nervenzusammenbruch bekommen habe, tut mir auch leid. Im Gegensatz zu dem, was ich gemacht habe, war das wohl kaum schlimm. Aber ich stecke nun einmal in mir drin und kann nicht alles objektiv betrachten. Der Punkt war, dass ich mir das schon gedacht habe, dass es deine ehemalige Flamme ist und dann noch in der Pose, das hat mir erst einmal die Füße unterm Boden weggezogen. Ich komme immer noch nicht damit klar und das Wochenende im Allgemeinen hängt mir noch nach. Ein weiterer Schock war, dass ich dann geblutet habe und bei dir nichts mehr ging. Alles in allem war ein ganz schönes Auf und Ab. Ich bin auch kurz davor gewesen, meine Sachen zu packen und nach Hause zu fahren und im Nachhinein wäre das eigentlich das Vernünftigste gewesen und so ging es einfach weiter und dein Spruch ganz zum Schluss war noch das Tüpfelchen auf dem i.
Ich mag deine Wohnung einfach überhaupt nicht. Ich freue mich, dich zu sehen, aber lebe praktisch immer mit der Angst, dass wieder irgendetwas ist und ich völlig am Boden zerstört bin. Ich komme mir in deiner Wohnung alleine vor, obwohl du da bist, alles ist für mich kalt und abweisend. Ich kann dir nicht genau sagen, ob es daran liegt, dass sie deine Aura hat oder noch nicht ganz eingerichtet ist, oder so viele Kabel und Computer herumstehen, dass es auf mich ungemütlich wirkt. Ich empfinde es jedenfalls so und vielleicht magst du meine Wohnung auch nicht so gerne. Ich mag meine und du deine und keiner von uns sollte sich wegen dem anderen ändern, weder stilmäßig noch charakterlich. Ich bin, wie ich bin und kann nichts für deine Ecken und Kanten und umgekehrt ist es das Gleiche. Ich gebe zu, dass ich versuche, dich zu verändern, damit du es mir recht machst. Das ist eigentlich nicht fair und egoistisch und wenn ich dich nicht genau so akzeptiere, wie du bist, dann ist das schade, aber man kann daran nichts ändern.
Deine Freunde sind dir sehr wichtig, das weiß ich und auch das tut mir leid, dass ich sie einfach nicht sehen will. Es ist gar nicht, weil ich sie unsympathisch finde, sondern weil ich Angst habe, dass ich mich dann noch einsamer fühle bei dir und mich in der Ecke stehen gelassen fühle. Das sollte auch anders sein. Aber ich kann es nicht, weil ich mich absolut fehl am Platz fühle und wenn dann deine Freunde noch dabei sind, denke ich immer mehr, dass ich nicht zu dir passe. Wie gesagt, es sollte anders laufen, aber was ich nicht will, will ich nicht und daran lässt sich kaum etwas ändern.
Der Freund, der am Dienstag bei mir war, war der Tobias. Ich konnte dir das davor nicht sagen, weil ich Angst hatte, dass du dann beleidigt bist. Danach hatte ich fest vor, es dir zu sagen, aber konnte es noch weniger, weil ich dir dann alles hätte erzählen müssen. Das werde ich jetzt schreiben und dich damit verletzen und wenn du mich danach hasst, ist es okay, ich kann es nachvollziehen. Er wollte nicht gehen und es wurde zehn Uhr, dann elf Uhr und wir saßen auf dem Boden, lehnten uns an dem Sessel bei der Stereoanlage an und er legte den Arm um mich und fragte sogar noch, ob das in Ordnung wäre. Ich wusste schon, auf was es hinauslaufen würde, wenn ich ja sage und dennoch sagte ich nicht nein. Wir umarmten uns oft und küssten uns dann drei oder vier Mal, mehr nicht. Jedenfalls wurde es dann zwölf Uhr und später und er wollte nicht gehen, also übernachtete er bei mir. Er schlief bei mir im Bett und am nächsten Morgen ist er gegangen. Mehr außer kuscheln und was ich dir oben geschrieben habe, lief nicht. Jetzt fragst du dich sicherlich, warum ich das mache. Auch ich stellte mir die Frage. Ich habe das wohl gemacht, weil ich mir so gewünscht hätte, dass du da wärst, wir einfach nur glücklich sind, ohne wenn und aber und weil ich mich einfach einsam und alleine gefühlt habe. Dass es mir leid tut und ich ein schlechtes Gewissen hatte, glaubst du mir wahrscheinlich nicht mehr, würde ich mir auch nicht glauben. Das Schlimme ist, ich würde es wieder tun, weil ich einfach nicht richtig glücklich mit dir bin. Ich liebe nur dich und keinen anderen, aber das heißt für mich nicht, dass ich glücklich und mit allem zufrieden bin oder alles wunderbar und toll finde.
Es tut mir leid, alles tut mir leid, aber ich kann nichts rückgängig machen und du auch nicht. Manchmal bist du mir zu anstrengend, deshalb wollte ich heute auch, dass du gehst. Ich schaffe es einfach nicht, ich habe keine Nerven, vor allem, wenn ich fast die ganze Nacht nicht geschlafen habe. Ich habe das Gefühl, dich hochziehen zu müssen, dabei brauche ich jemanden, der mich hochzieht und vielleicht empfindest du das überhaupt nicht so und denkst, dass du ein einfacher Mensch bist, aber das bist du nicht, nicht für mich. Du bist innerlich sehr unruhig und das spüre ich oft, das beruhigt mich nicht gerade. Du brauchst jemanden, der innerlich so ruhig und ausgelastet ist, dass derjenige dich noch mittragen kann. Ich kann es versuchen, natürlich, aber das geht nach hinten los.
Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll und ich weiß natürlich auch nicht, wie du auf meine E-Mail reagierst.
Ich schätze dich sehr und halte wirklich viel von dir, glaub mir das. Ich will nicht mehr, dass du wegen mir leidest, ich leide schon genug unter mir selbst und ich will auch nicht, dass du weinst und völlig fertig bist, aber es wird wohl nicht anders sein. Ich will dich auf der einen Seite nicht verlieren, weil du mir so unendlich viel bedeutest und ich es mir nicht vorstellen kann, dich gar nicht mehr zu sehen, aber auf der anderen Seite weiß ich auch nicht, wie das alles noch enden soll. Ich liebe dich wirklich und muss jetzt sogar selbst weinen, weil ich es dir auch nicht leicht mache und das hast du nicht verdient, tut mir leid, tut mir so schrecklich leid.
Ich habe so viele Probleme, auch mit mir selbst. Ich hasse mich manchmal so sehr, für das, was ich bin und wie ich bin. Mein ganzes Leben ist wie ein Teller, der auf einem Streichholz balanciert wird. Das mit meiner Mutter wird nie wieder gut, wenn ich realistisch bin und auf der anderen Seite brauche ich sie und sie mich noch mehr. Ob wir das Haus behalten, ist auch nicht sicher und ob ich eines Tages nicht doch völlig durchdrehe und alles beende, das kann ich auch nicht garantieren. Es geht auf und ab, aber meistens ab. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch schaffe. Meine Gesundheit macht das nicht mehr mit und meine Seele auch nicht. Es scheint, als ob ich nie Ruhe finde, aber einfach aufgeben, das kann ich auch nicht. Wenn die ganzen Gerichtstermine doch aufhören würden, aber nein, auch das nimmt kein Ende. Ich bin so verzweifelt und alles ist festgefahren und düster. Ich weiß gar nicht mehr, was ich noch schreiben soll. Von dir zu erwarten, dass du mich irgendwie verstehst, das ist fast unmöglich. Und da mir jetzt die Worte fehlen, beende ich meinen Brief an dich.
Bye.
Tagebuch vom 20.09.2008
Alles ist so trübselig, mein Leben, meine Arbeit, meine Beziehung, einfach alles. Ich bin unzufrieden mit allem. Meine Lehre ist hart, ich konnte in den ersten Wochen gleich die Frühschicht übernehmen, die um halb fünf anfängt und letzte Woche kam es noch schlimmer. Ich hatte die große Ehre, die Nachtschicht zu machen, die um 1 Uhr nachts beginnt. Die Arbeit strengt einen geistig kaum an, aber körperlich bin ich so am Ende, dass mir alle Knochen weh tun und ich Fieber habe.
Mit meiner Ma habe ich natürlich auch wieder Streit und mit meinem Freund läuft es so wie immer, wir streiten uns, vertragen uns, streiten uns und so weiter.
Die erste Woche in der Arbeit war so furchtbar, dass ich jeden Tag nach Hause kam und weinen musste. Am Wochenende drauf hatte mein Freund dann auch noch kaum Zeit für mich und ich durfte mich vor seiner Mutter rechtfertigen, weshalb ich diese Ausbildung mache und bekam noch gesagt, dass das alles so nicht geht und ich etwas anderes machen soll und man mir das auch gesagt hätte. Es war also wahnsinnig aufbauend.
Jedenfalls ging es mir so schlecht, dass ich wieder ernsthaft an Selbstmord dachte. Nachdem mich mein Freund zu der neuen Wohnung seiner Mutter bestellt hatte und ich dort auch hinlief, durfte ich mir, wie gesagt, erst einmal Kritik anhören und dann konnte ich auch wieder gehen, denn die Herrschaften waren mit dem Umzug noch nicht ganz fertig. Ganz toll. Ein Wochenende davor, welches das letzte vor der Ausbildung war, hatte mein werter Herr Freund auch keine Zeit, obwohl ich ihn an diesem Wochenende besonders gebraucht hätte. Aber nein, er musste da etwas machen, hier etwas erledigen, nebenbei gesagt, er fuhr lieber zu einem Freund, der ihn mit Gras versorgte, als mich zu besuchen.
Mir reichte es, alles. Mein Leben, mein Freund, meine Arbeit. Ich betrank mich das erste Wochenende nach Beginn meiner Lehre, nahm Tabletten, rauchte ein paar Zigaretten, aber das war noch nicht alles. Als mein unsensibler Freund dann wieder keine Zeit für mich hatte und seine Mutter, die er über alles liebt, auch noch die passenden Worte für mich fand, ging ich unter Tränen nach Hause und wollte einfach weg. Weg von allem. Also nahm ich nichts mit, außer meinem Hausschlüssel und ging spazieren. Ich weinte und weinte und je mehr ich überlegte, desto sinnloser schien mir mein Leben. Ich fing an zu rennen und rannte und rannte und dachte mir, dass ich so lange laufe, bis ich ohnmächtig werde. Ich rannte sehr lange und bekam wirklich kaum noch Luft. Ich spürte meine Beine schon gar nicht mehr, aber ich lief einfach weiter. Irgendwann kam ich an einer Bank vorbei und meine Beine wollten dann endgültig nicht mehr. Ich lag dann förmlich auf dieser Bank, konnte eigentlich gar nicht mehr sitzen, rang nach Luft und starrte vor mich hin. Ich starrte lange vor mich hin und Leute kamen an mir vorbei und versuchten, mich nicht anzustarren. Irgendwann lief ich nach Hause und meine Beine taten so weh, dass ich nur kleine Schritte machen konnte. Als ich zu Hause war ging es mir auch nicht besser. Dann fing ich an, noch mehr zu trinken, Schmerztabletten zu nehmen und zu rauchen. Geholfen hat es nicht, es hat mich nur betäubt.
Er rief mich dann irgendwann am Abend an. Ich ging nicht ran. Er schrieb mir SMS. Ich antwortete nicht. Er kam sogar vorbei und klingelte. Ich machte nicht auf. Ich konnte nicht, ich war am Ende, traurig, wütend und schwach.
Am nächsten Tag war er dann wütend und wir telefonierten am Abend. Ich machte Schluss, aber wir hatten danach noch Kontakt. So begann das nächste Wochenende und er kam mich besuchen. Dass das eigentlich nicht vernünftig war und ist, das weiß ich selbst. Wir kamen also wieder zusammen. Sprachen nicht über das, was geschehen war, lebten den Moment und hatten wunderschönen Sex, den besten, den wir je hatten.
Aber wie soll das weitergehen? Den Moment kann ich genießen, aber sobald ich an die Zukunft denke … ja, was ist dann? Dann sehe ich keine.
Vorgestern haben wir wieder schrecklich gestritten und so geht es einfach nicht. Auf der einen Seite verachte ich ihn sogar, ich kann ihn nicht leiden und wünsche ihm, dass ihm mal etwas richtig Schlechtes passiert, damit er weiß, wie es mir geht.
Er hat alles. Er verdient viel, er kann sich fast alles leisten und kaufen, was er will. Er hat Eltern, die zwar geschieden sind, aber sich um ihn liebevoll kümmern und viel für ihn tun. Er ist intelligent, er weiß viel mehr als ich und das merkt man. Ich hasse ihn dafür. Es ist mies und schlecht, dass ich so etwas denke, aber er steht über mir und weiß es. Er zeigt mir eigentlich jeden Tag, was ich nicht habe und das tut mir so weh. Er zeigt mir jeden Tag, dass ich eigentlich nichts bin, dass ich klein bin, nichts kann und irgendwo aus einem Graben hoch zu ihm blicke, dort, wo er grünen Rasen unter seinen Füßen hat und dort, wo die Sonne scheint.
Dass ich das schon von mir denke, das reicht, aber dass ich dann noch einen Freund habe, der mir zusätzlich dieses Gefühl gibt, das ist zu viel. Es ist meine Sache, das weiß ich. Aber ich komme damit nicht klar. Ich habe jeden Tag so panisch Angst, mein ganzes Wissen von meiner Sprachenschule zu verlieren, da die Arbeit mich nicht fördert, dass ich wie besessen im Internet surfe, mir Artikel auf Französisch und Englisch durchlese, Zeitung lese und mir ein Buch zur Allgemeinbildung bestellt habe. Ich wache jeden Tag auf und denke, ich verpasse etwas. Die Welt zieht an mir vorbei und ich merke es nicht, weil ich in dieser Scheißfirma bin und den ganzen Tag einsortiere und nochmals sortiere und einscanne und dies überprüfe und wieder einsortiere.
Ich spüre mich manchmal nicht mehr, ich denke mir, bist du das noch, oder ist es jemand anders? Wo bist du, Lena, wo? Wo sind die Tage, an denen es immer so viel zu lachen gab, dass dir der Bauch weh tat, dass mir der Schädel vor lauter Übersetzen fast explodiert wäre? Dahin sind sie und ich vermisse meine alte Schule, meine Freunde, meine Lachanfälle.
Als ich in meine neue Berufsschule kam, kam sie mir wie meine Realschule vor und ich fühle mich auf einmal leer und zurückversetzt. Ich erinnerte mich an meine alte Schule, wie froh ich war, dort wegzukommen und wie traurig ich bin, weil ich sie vermisse. Ich saß in meiner neuen Schule und fing fast an zu weinen. Ich bekam Tränen in die Augen und mir war das wahnsinnig peinlich.
Was habe ich für eine Zukunft? Wie soll es weitergehen? Gar nicht? Ich habe mir schon ernsthaft überlegt, ob ich nicht alles hinschmeißen soll. Um mich bei einer neuen Schule anzumelden, dafür ist es zu spät und welche Schule überhaupt? Würde mir eine neue Schule denn gefallen, oder gefällt mir eigentlich gar nichts mehr?
Ich gefalle mir nicht mehr. Ich sehe in den Spiegel und sehe alt aus, spießig, hässlich, unattraktiv, leblos, ohne Feuer, blass, kalt und traurig. Ich sehne mich nach etwas, dass mir wieder meine Freude zurückbringt, ein Komet der bei mir einschlägt, ein Ereignis, dass mich wieder leben lässt.
Ich werde bald 19. Oh Gott. Eigentlich ist das noch kein Alter, aber ich fühle mich schon wie eine alte Frau, die keine Kraft zum Leben mehr hat.
Ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll. Mein Buch ist meine große Liebe, ich hänge daran und klammere mich so sehr daran fest, dass ich jeden Tag aufstehe. Meine Malerei und Fotografie sind mir ebenfalls wichtig und ich hoffe, dass die Webseite dafür zustande kommt. Sie ist schon so lange in Planung, fast drei Monate schon und es steht noch nichts. Ich habe Angst, dass ich es ohne meinen Freund nicht schaffe, dass irgendwann wieder etwas kommt und ich mir denke, jetzt hast du nicht einmal mehr ihn, du bist alleine, ganz alleine.
Auf der anderen Seite bin ich jetzt schon alleine. Unterstützt er mich seelisch? Nein. Ich bin jeden Abend alleine und seit kurzem übernachtet er nicht einmal mehr bei mir, weil ich nicht neben ihm schlafen kann. Er ist so unruhig und schnarcht die ganze Nacht, sodass ich kein Auge zu bekomme. Wenn er dann mal hier war, muss er morgens immer auf die Uhr schauen, um ja rechtzeitig zu seiner „Mutti“ zu kommen, denn bei „Mutti“ muss er ja zu Mittag essen. Das ist meine Beziehung. Immer andere Menschen, die reingeschoben werden.
Tagebuch vom 15.10.2008
Es hat sich wieder einmal viel getan. Ich habe meine Ausbildung gekündigt und arbeite jetzt als Nachhilfelehrerin. Nebenbei bewerbe ich mich als Fremdsprachenkorrespondentin und hoffe sehr, dass ich etwas Geeignetes finden werde, um mir mein eigenes Leben aufzubauen, mit meiner eigenen Wohnung.
Mit meiner Ma ist alles so, wie immer. Wir verstehen uns vielleicht ein paar Tage, aber dann rastet sie wieder aus. Fest steht, dass ich hier weg muss und das auch will. Leider dauert alles immer unendlich lange, aber ich bin davon überzeugt, dass ich es hinbekomme.
Seit einiger Zeit habe ich mich nicht mehr geschnitten, oder Tabletten genommen oder mich vollaufen lassen oder sonst irgendwas. Ich versuche sozusagen clean zu bleiben. Manchmal ist es schwer, aber zugegeben, es war schon schlimmer. Warum? Weil ich jetzt das mache, was ich will, was ich bin und nichts anderes. Ich lasse mir von niemandem mehr vorschreiben, was ich zu sein habe oder was ich doch lieber tun sollte. Nein, jetzt reicht es. Andere haben mich so unglücklich gemacht, also warum immer auf Gott und die Welt hören, wenn man es selbst eigentlich am besten weiß, was gut für einen ist.
Immer eingeschränkt zu leben, weil gerade dies oder jenes ist, wegen meiner Mutter, wegen meinem Vater, weil andere irgendwelche Vorstellungen von mir haben, was ich doch machen soll, das alles hat keinen Sinn.
Ich bewerbe mich jetzt für das, was mir Spaß macht und wo ich die Möglichkeit habe, endlich aus dieser ganzen Sache rauszukommen. Ich mache zusammen mit meinem Freund meine Webseite, auf der meine Zeichnungen und Fotografien erscheinen und versuche zu leben, richtig zu leben.
Meinen Freund habe ich immer noch. Ob ich ihn liebe, weiß ich nicht. Manchmal schon, manchmal nicht. Nebenher läuft noch was mit meinem ehemaligen Schulkameraden, aber als Affäre würde ich das nicht bezeichnen. Wir schlafen schließlich nicht miteinander und küssen tun wir uns auch nicht. Er ist eben manchmal auf eine Art und Weise für mich da, wie es mein Freund nicht sein kann. Fest steht, dass Holger nicht der Mann ist, mit dem ich alt werden will.
Ich sehe meine Zukunft, ich sehe zwar nicht den Weg und vielleicht nicht das Ziel, aber ich sehe Ausschnitte, sie sind in meinen Gedanken, Visionen, die wie kurze Fotos sind. Und ich möchte nicht aufschreiben, was ich sehe, denn vielleicht würde das Unglück bringen, aber immerhin sehe ich eine Zukunft, eine, auf die ich mich freuen kann.
Selbst wenn es noch dauern wird, bis alles so wird, wie ich es mir wünsche, mache ich weiter. Ich habe mein ganzes Leben lang gekämpft, Tag für Tag, und hart gearbeitet und ich merke, wie ich müde werde, doch ich stehe jeden Tag aufs Neue auf und kämpfe mich hindurch.
Ich sehe Licht am Ende dieses langen, dunklen Weges, aber das Licht kommt nicht von irgendwo her, es scheint aus mir, als ob ich etwas durchbrochen hätte und nun den Weg viel klarer sehen könnte.
Die Vergangenheit werde ich wohl nie vergessen, niemals. Wie auch. Es hat mich geprägt, so sehr, dass ich eine Borderline-Störung habe. Aber man sollte mich nicht dadurch definieren und ich mich selbst auch nicht. Ich werde immer ein bisschen anders sein und vielleicht auch immer ein Leben führen, das auf und ab geht und werde innerlich die stärksten Gefühle haben, von Hass bis hin zu Freude. So stark, wie es viele Menschen gar nie empfinden können. Ich dachte immer, dass etwas von außen passieren müsste, um all dem radikal ein Ende zu setzen, aber ich bin es, die es tut und weiterhin tun muss. Es ist schwer und ich kann nicht erwarten, von heute auf morgen permanent glücklich zu sein.
Ich riskiere es. Ich riskiere mein Leben, aber auf eine völlig neue Art und Weise. Ich habe eigentlich nichts mehr zu verlieren. Wenn alles in Scherben liegt, dann kann man nicht mehr viel kaputt machen. Man kann sich an den Scherben schneiden und darüber weinen, dass alles zerstört wurde, oder man lässt den Haufen einfach liegen, geht und macht etwas völlig Neues.
Ausgezogen bin ich noch nicht. Ich habe bisher auch keine Arbeit gefunden und meine Webseite ist auch noch nicht fertig, aber immerhin habe ich es angefangen und werde es auch fortsetzen. Etwas anders will ich nicht. Ich gebe mich nicht mehr mit etwas zufrieden, das mir schadet, mir keinen Spaß macht. Ich habe genug in meinem Leben hingenommen und geschluckt, einfach durchgestanden, weil es eben sein musste.
Ich finde keine letzten Worte, das werde ich wohl nie. Es wird immer weitergehen und es wird immer etwas passieren. Es hört nicht plötzlich auf, gar nichts hört auf und für mich – für mich fängt es gerade erst an, mein Leben.
Tag der Veröffentlichung: 07.08.2010
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