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Wer zum Himmel schaut, hat Hoffnung. Ein Gläubiger, der zu Gott betet; ein Spaziergänger, der sich über schönes Wetter freut; die Gastgeberin einer Grillparty, die kritisch die aufziehenden Wolken beäugt. Sie alle hoffen. Nach schweren Schicksalsschlägen blicken viele Menschen hilfesuchend zum Himmel und fragen sich: „Warum gerade ich? Was habe ich verbrochen? Wie soll ich jemals darüber hinweg kommen?“ Aber selbst in diesen verzweifelten Fragen steckt noch ein Fünkchen Hoffnung. Hoffnung auf bessere Zeiten. Hoffnung auf einen Neubeginn. Hoffnung darauf, irgendwann alles hinter sich lassen zu können.

Einen Menschen, der alle Hoffnung aufgegeben hat, erkennt man daran, dass er seinen Blick nie zum Himmel lenkt. Er durchlebt seinen eintönigen Alltag stets mit gesenktem Kopf, er hat keine Ziele, keine Träume mehr. Denn hoffen ist immer auch mit träumen verbunden. Manche Menschen träumen von einer eigenen Familie, andere von einer schicken Wohnung oder einem Haus, wieder andere von einem Beruf, der sie glücklich macht. Denn das ist es, was wir mit unseren Träumen erreichen wollen: Glück. Einige geben sich mit wenig zufrieden, andere wollen reich und berühmt werden. Letzteres ist es, was viele Menschen dazu veranlasst, nach New York City zu kommen, mitsamt ihren Hoffnungen und Träumen im Gepäck.

Es ist die Stadt, in der Träume in Erfüllung gehen. Schon vor hunderten von Jahren kamen Einwanderer hierher, um einen Neuanfang zu wagen – in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Hier findet man Menschen aus allen Teilen der Welt, es gibt wohl keine Kultur, auf die man in New York nicht treffen könnte.

Schon von weitem sieht man die Skyline, bestehend aus riesigen Wolkenkratzern, die bis in den Himmel hinein ragen. Und auch aus der Nähe betrachtet wirkt diese Stadt nicht weniger spektakulär, denn genauso vielfältig wie die Menschen ist auch das Leben hier: Es gibt jegliche Arten von Restaurants und Bars, die einem beim Betreten das Gefühl geben, in ein anderes Land verschlagen worden zu sein. Mit „China Town“ und „Little Italy“ existieren sogar ganze Städte innerhalb dieser unglaublichen Millionenstadt.



Dass New York eine der größten Städte der Welt ist, bekommt man in Straßenverkehr deutlich zu spüren, aber das nehmen die Menschen, die hier wohnen, gerne in Kauf. Immerhin bietet der „Big Apple“ ihnen dafür nicht nur Sehenswürdigkeiten, die Touristen aus der ganzen Welt anlocken, sondern auch eine Vielzahl an Parks, Museen, Clubs und Geschäften, in denen im Prinzip alles zu haben ist, was man mit Geld kaufen kann.

So wie man Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten nennt, könnte man New York wohl die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten nennen. Sie ist zwar nicht die Hauptstadt der USA, aber dafür die inoffizielle Hauptstadt aller Träumer.

Eine solche Träumerin betritt gerade eine der vielen Agenturen in der Stadt. Was ihr Traum ist, fragt man sie dort. „Berühmt zu sein.“ Was sie genau machen will, weiß sie nicht, es ist ihr eigentlich auch egal, Hauptsache, sie kommt ins Fernsehen. Sie könnte singen, sagt sie. Oder schauspielern. Oder moderieren. Oder sie wird Model bei der New York Fashion Week. Das Aussehen und die Figur dazu hätte sie und das unterstreicht sie mit ihrem Outfit, bestehend aus Minirock, engem Tank-Top und High Heels. Das in Kombination mit ihren platinblonden, langen Haaren ist der Auslöser dafür, dass die Agentur beschließt, sie in ihre Kartei aufzunehmen. Nicht, dass sie besonders talentiert wäre, aber darauf kommt es ja auch nicht an. Die Agentur hat schon ganz andere Leute zu Stars gemacht. Es rechnet ihr zwar niemand ernsthafte Chancen auf eine große Karriere aus - dafür gibt es dann doch zu viele gut aussehende und talentierte Mädchen - aber vielleicht lässt sich ja doch ein bisschen Geld mit ihr verdienen. Das sagt ihr natürlich niemand, man lässt sie einfach in dem Glauben, dass ihr ein Dasein als Weltstar bevorstehe. Davon ist sie felsenfest überzeugt. Sie sieht schon die gigantischen Plakate am Times Square mit ihrem Gesicht darauf. Ihre Freudentränen verwischen ihr viel zu dick aufgetragenes Make-up, als sie die Agentur verlässt, durch den vollen Wartesaal, vorbei an unzähligen anderen Mädchen, die darauf warten, dass sich ihr Traum erfüllt.

Draußen auf der Straße herrscht wie immer reges Treiben. „Very important“ aussehende Menschen in teuren Anzügen drängen sich aneinander vorbei, um als erste ein Taxi herbeizuwinken. Sie haben es geschafft! Sie haben sich ihren Traum von Reichtum und Macht erfüllt. Die Aktentasche in der Hand, das Handy am Ohr, um der Frau zuhause mitzuteilen, dass es heute Abend mal wieder später wird, es steht noch ein wichtiges Meeting an. Kaum ist der Anruf getätigt, wird schon ein neuer entgegengenommen, das Mobiltelefon klingelt ununterbrochen. Alle haben es furchtbar eilig, keiner nimmt sich einen Moment Zeit, kurz innezuhalten und zum Himmel hinaufzublicken.

Und keiner nimmt sich einen Moment Zeit, um der Sängerin zuzuhören, die mit ihrer Gitarre am Straßenrand spielt. Dabei hat sie doch so eine wunderschöne Stimme, kräftig und sanft zugleich. Sie singt eines ihrer selbst komponierten Lieder, das jeder Radiosender ohne Weiteres sofort spielen würde, wenn die Sängerin des Songs so aussehen würde wie das Mädchen vorhin in der Agentur. Das tut sie aber nicht. Und das hat sie oft genug zu spüren bekommen, denn auch sie war schon bei etlichen Castings, auch sie hatte einen Traum, aber ihrer hat sich nie erfüllt. Stattdessen steht sie hier in der Kälte, vor ihr ein leerer Hut. Für sie ist es die Stadt, in der Träume zerstört werden.

Aus dem Gebäude, neben dem sie steht, eine der zahlreichen Agenturen, bei der auch sie sich beworben hat, tritt ein blondes Mädchen. Obwohl ihr Make-up ganz verschmiert ist, drehen sich reihenweise Männer nach ihr um. Nach dem Mädchen am Straßenrand hat sich noch nie jemand umgedreht. So geht auch das Mädchen mit dem hübschen Gesicht und der tollen Figur achtlos an ihr vorbei. Trotzdem singt sie weiter, sie hält daran fest, gibt nicht auf, noch nicht.

Nur für einen kurzen Augenblick hält sie inne, vergisst ihren grauen Alltag und schaut zum Himmel. Aber sie kann ihn nicht sehen. Sie sieht nur Wolkenkratzer um sich herum, die irgendwo da oben zusammenzulaufen scheinen, gesäumt von dichtem, weißem Nebel. Aber kein Himmel. Trotzdem ist er da irgendwo, daran glaubt sie ganz fest.


Hätten wir Zuhause bleiben sollen, um an hier zu denken?
(Elizabeth Bishop)

Du siehst nicht weiter als bis zu deinen Scheinwerfern, aber du kannst damit die ganze Reise schaffen.
(E. L. Doctorow)

Das echte Leben ist oft das, was man nicht führt.
(Oscar Wilde)

Im tiefsten Winter begriff ich endlich, dass ich den unbesiegbaren Sommer in mir trug.
(Albert Camus)


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.04.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Danke an alle, die mich ab und zu die Gesetze der Aerodynamik vergessen lassen.

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