Cover

Kapitel 1



Der Zug fuhr mit gleichmäßiger Geschwindigkeit durch die mit Büschen und Bäumen bewachsene Landschaft. Ab und an waren abgelegene Häuser und Bauernhöfe zu sehen. Auf den Wiesen grasten Kühe und die Mohnblumen leuchteten in ihrem kräftigen Rot.
Es war warm im Abteil. Trotz meiner ärmellosen, leichten Bluse, spürte ich die Schweißperlen auf meiner Haut. Ich mochte den Sommer gerne, doch zu große Hitze machte mir zu schaffen.
Ich lehnte meinen Kopf gegen die Scheibe des Zuges und spürte das monotone Summen und Rattern in meinem Ohr. Aus den Augenwinkeln sah ich zu meiner Mutter hinüber, die sich mit überschlagenen Beinen und einer Mode-Zeitschrift auf dem Sitz gegenüber räkelte.
Was das Aussehen anging, hatte ich nur wenig von ihr. Mit ihrem vollen, blonden Haaren, den hellbraunen Augen und der schlanken Figur war sie das genaue Gegenteil von mir. Meine schlichten braunen Haare, meine pummelige Figur und meine mausgrauen Augen waren genauso langweilig wie mein Name: Alexandra. Welches 14 jährige Kind möchte denn bitte heute noch Alexandra heißen?

"Alex?" So nannte meine Mutter mich, wenn sie gut drauf war.
"Ja?" erwiderte ich träge.
"Sieh mal, in diesem Magazin, haben sie deinen Rock, den du letzte Woche gekauft hast und doch so gerne anziehst. Wie wäre es wenn du ihn am ersten Schultag anziehen würdest?"
"Hmm" machte ich nur. "Mal sehen."
Meine Mutter hatte Recht, ich mochte den Rock einmal. Nun haste ich ihn jedoch. Auf meiner alten Schule wurden mir ständig Beleidigungen hinterher gerufen. Das ist auch kein Wunder, ich sehe nicht besonders gut aus, habe nur gute Noten und bin auch ansonsten ziemlich unbeliebt. Freunde hatte ich keine.
Da gab es diese Gruppe von Menschen in meiner Klasse. Sie bestand aus sechs einigermaßen hübschen, talentierten und beliebten Mädchen. Die Anführerin der Clique war Hannah, die Schönste von allen. Sie hatte einen Freund, Patrick, 16 Jahre alt.
Die Wahrheit war: Ich war in Patrick verliebt!
Immer wieder versuchte ich mit ihm Blickkontakt zu halten, ohne das es auffiel, doch er bemerkte mich nicht.
Eines Tages dann, kaufte ich mir diesen Rock, von dem meine Mutter nun sprach. Es war ein kurzer blauer mit verschiedenfarbigen Hawaiiblumen drauf. Damit wollte ich Patrick imponieren.
Ich zog den Rock also zur Schule an und war schon ganz gespannt auf die bewundernden Blicke meiner Mitschüler und auf die Reaktion von Patrick. Doch es gab keine bewundernden Blicke. Dafür aber Reaktionen, auf die ich ganz und gar nicht vorbereitet war. Schon als ich in die Klasse kam, rief mir Hannah und ihre Schar von Bewunderinnen Sprüche zu wie: "Uh, schöner Rock, hatte der Secondhandshop mal wieder Ausverkauf?" und "Denkst du wirklich du wirst beliebter, wenn du Sachen von deiner Großmutter trägst?"
Doch die schlimmste Reaktion zeigte Patrick. Er stand einfach da, lachte mich aus und schüttelte verspottend den Kopf.
Seit dem habe ich den Rock nie wieder angezogen. Ich war einfach zu verletzt.


Kapitel 2


Und nun zog ich zu meinem Vater. Meine Eltern waren geschieden. Ich lebte bis jetzt bei meiner Mutter in einer kleinen Stadt in Niedersachsen, doch sie wollte auf Reisen gehen um ihre Sprachkenntnisse zu erweitern. Da ich zur Schule musste, konnte ich nicht länger bei ihr bleiben. Ich mochte meine Mutter sehr gerne, doch im Grunde genommen störte mich der Umzug nicht. Ich ging gerne weg, fort von dieser Schule, in der ich nur gequält und verspottet wurde. Einen Neuanfang wagen.
Für den Rest der Fahrt schwiegen wir. Meine Mutter las weiter ihre Zeitschriften und ich holte meinen MP3 Player heraus und hörte Musik von Eminem. Besonders die etwas traurigen Lieder wie Mockingbird und Love the way you lie gefielen mir.
Nach dreieinhalb Stunden fuhr der Zug endlich in den Bahnhof ein.
Ich stieg aus dem Waggon und die gleißende Sonne schien auf mich herab.
Hinter mir stieg meine Mutter aus. Suchend sah ich mich auf dem Bahnsteig nach meinem Vater um. Da entdeckte ich hin, wie er auf uns zugelaufen kam, seine Arme lässig schlenkernd. Nacheinander nahm er erst mich und dann meine Mutter in den Arm und ich konnte bei der Umarmung einen schalen Geruch nach Bier an ihm riechen. Ich wusste, dass er trank, auch früher schon. Das und die Tatsache, dass er fremdgegangen war, hatten meine Mutter dazu gebracht, sich von ihm scheiden zu lassen.
"Wie geht es euch, Barbara und Alex? Seid ihr gut angekommen?" wandte sich mein Vater an meine Mutter.
"Ja, die Fahrt verlief gut, aber Alex sah aus, als wäre ihr ein wenig schlecht und sie war sehr schweigsam. Du wirst dir einige Mühe geben müssen, Torsten, um deine Tochter glücklich zu machen, nicht so wie damals, als du versagt hast."
mein Vater zuckte nervös zusammen. Die Scheidung machte ihm immer noch zu schaffen.
"Komm her, ich helfe eure Koffer zu tragen." beendete mein Vater das Thema und hob zwei der Koffer hoch. In gemäßigten Gang gingen wir die Allee hinunter, zu der Wohnung meines Vaters. Meine Eltern unterhielten sich über alltägliche Sachen und über mich, wie ich seufzend registrierte, während ich mit Kopfhörern auf und gesenktem Kopf hinter ihnen lief.
Sie denken, sie kennen mich, das ist einer der Dinge, die mich am meisten an meinen Eltern störte. Immer meinen sie zu wissen, was gut für mich ist, was ich brauche und was ich möchte. Dabei haben sie in Wirklichkeit keine Ahnung. Aber beschweren wollte ich mich auch nicht, das würde doch nur in Streit ausarten und den konnte ich nicht gebrauchen.

Kapitel 3


Als wir endlich an dem leicht verfallenen, mit Graffiti besprayten Wohnblock ankamen, war ich schon ziemlich aus der Puste. Denn trotz der Hilfe von meinem Vater, musste ich noch meinen riesigen Koffer mit weiterer Kleidung tragen. Dabei war das nicht mal dir Hälfte des Inhalts meines Kleiderschranks, den ich zu Hause hatte.
Ich musste viele Dinge zurücklassen, da das Gepäck sonst zu schwer wäre. Meine Mutter hatte gesagt, ich könnte mir neue Kleidung in der Stadt, hier bei meinem Vater, kaufen, sie würde mir Geld dafür hierlassen.
Vor der Haustür wandte sich meine Mutter mir zu: "Alex, mein Schatz, ich gehe nun zu einer Freundin, die eine Straße weiter wohnt, danach mit dem Zug zu einem Termin mit einem Fotographen und anschließend wieder nach Hause. Ich hoffe du hast eine schöne Zeit bei Torsten. Sei bitte nicht zu kompliziert, träge oder zickig. Versuche einfach, so gut es geht, dich einzufügen."
Unbeholfen umarmte sie mich und meinen Vater zum Abschied.
Ich war ein wenig enttäuscht. Meine Mutter würde mich für längere Zeit nicht sehen. Waren da ein Kuss oder ein paar Worte wie "Ich hab dich lieb" zu viel verlangt von ihr?
Ehe ich mich versah, war meine Mutter auch schon gegangen und ich stand allein mit meinem Vater vor der Tür seinen Wohnblockes. Nervös und verlegen sahen wir uns an, keiner traute sich, zuerst ein Wort zu sagen.
"Komm mit in meine Wohnung. Du kannst dich erstmal einrichten und danach essen wir Pommes mit Schnitzel. Das hast du doch früher imer so geliebt. Na, was hälst du von meiner Idee?" fragte mich mein Vater, glücklich endlich ein Gesprächsthema gefunden tu haben.
"Klar, Dad. Wieso nicht." antwortete ich mit schwacher Stimme. Ich hasste Pommes mit Steak. Vor nicht alzu lange Zeit war es wirklich mein Lieblingsessen gewesen. Doch seit ich gesehen hatte, wie dünn viele Mädchen im Gegensatz zu mir waren, versuchts ich verzweifelt, meinen Mund von Fastfood fernzuhalten. Aber ich wollte nicht schon am ersten tag mit meinem Vater schlechte Laune verbreiten. Um ihn nicht zu enttäuschen, musste ich den Fraß wohl oder übel ertragen. Dafür schwor ich mir am nächsten tag zu fasten. Momentan wiegte ich 60 Kilo. Zehn Kilo sollten mindestens noch runter, sonst konnte ich mich diesen Sommer ja nicht in Bikini sehen lassen. Wahrscheinlich würden die Schwimmhallenbesucher schreiend vor mir wegrennen und schreien "Hilfe, ein riesiger Fleischklops kommt auf uns zugerollt!". Oder nein. "Bösartiger, monströser Königberger Klopse" hört sich doch viel dramatischer an.
Seufzend gingen mein Vater und ich in seine Wohnung.
Er stieß die Tür neben dem Wohnzimmer auf und wies mit einer einladenden Handbewegung hinein. "Das hier ist dein neues Zuhause, dein eigenes privates Reich. Ich habe die Möbel schon für dich ausgesucht, du brauchst das Zimmer nur noch mit Kleidung, Büchern und anderen Dingen zu füllen."
"Ähm... Danke, Dad. Das ist lieb von dir." stieß ich mühsam heraus, als ich in das Zimmer trat. Und wie mein Vater die Möbel ausgesucht hatte! Kein Möbelstück hatte die gleiche holzfarbe wie das andere. Im Zimmer standen ein schmales Bett, eine Limodenkiste als Nachtisch, ein alter Schreibtisch aus Ebenholz und ein Kleiderschrank in den nicht einmal die Hälfte meiner Kleidung reinpassen würde. Das kleine Fenster bot den Ausblick auf die gegenüberliegende Hauswand.
"Dad, ich bin begeistert. Danke schön. Ich werde mich hier gut einrichten." log ich wieder, um meinen Vater nicht zu enttäuschen.
Nachdem mein Vater gegangen war und ich meine Koffer ausgepackt hatte, legte ich mich aufs Bett. Tränen stiegen mir in die Augen. Wo war ich hier bloß reingeraten? Ich hatte gehofft, in ein schönes Haus ziehen zu können. Das Mein Dad sich vielleicht ein Hund angeschafft hätte, mit dem ich spielen konnte. Und sicher würde ich morgen, am ersten Schultag, nicht einen Freund finden.

Kapitel 4


Es klopfte an der Tür. Schnell wischte ich die Tränen und die negativen Gedanken fort, räusperte mich und sagte "Herein".
Mein Vater lugte vorsichtig durch die sich öffnende Tür und fragte: "Es wird langsam Abend. Wollen wir denn jetzt esen?"
"Können wir machen" antwortete ich so fröhlich wie mglich. Ich wuchtete mich vom Bett hoch und ging meinem Vater hinterher in die Küche. Wir setzten uns an den Tisch und füllten unsere Teller. Ich tat mir so wenig wie mgölich auf. Mein Vater bemerkte es, sah mich kurz fragend an, doch äußerte sich nicht weiter dazu.
Mein Vater war noch mitten beim Essen, als ich schon fertig war und fragte "Hast du etwas zu trinken im Haus?"
"Klar" sagte mein Vater. "Im Kühlschrank findest du Cola, Fanta, Eistee und Bier. Such dir was aus"
"Hast du nichts wo weniger Zucker drin ist?" fragte ich erschrocken. Denn diese zuckerhaltigen Getränke konnte ich unmöglich trinken, wenn ich abnehmen wollte!
"Nein, sowas schmeckt doch nicht!" lachte mein Vater.
"Du kannst gern in dein Zimmer gehen, wenn du möchtest. Du musst nicht darauf warten, dass ich zu Ende gegessen habe. Du brauchst sicher ein wenig Zeit für dich allein."
"Danke." sagte ich kurz und verschwand schon in meinem Bett.
'Mama, hol mich hier raus!' dachte ich.
An diesem Abend passierte nichts besonderes mehr. Nur einmal kam mein Vater rein, um mir eine gute Nacht zu wünschen.
Als es 22.00 Uhr wurde, ging auch ich schlafen.
In dieser Nacht träumte ich nichts, warf mich jedoch im Schlaf immer wieder von einer Seite auf die andere.
Am nächsten Morgen riss mich der Wecker aus dem Schlaf und gleichzeitig stürmte mein Vater rein.
"Guten Morgen! Ich habe schon frische Brötchen geholt, damit du an deinem ersten Schultag was im Magen hast!" sagte er gut gelaunt.

Impressum

Texte: Das Titelbild stammt von Google. Die Rechte an Text und Bilder im Buch gehören mir.
Tag der Veröffentlichung: 06.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /