Die Menschenmasse erdrückte Tina. An ihrem gesamten Körper spürte sie diverse Arme und Beine. Die Anspannung der Menschen war zum Greifen nahe. Dennoch bewegte sich keiner von ihnen. Kein Zittern oder nervöse Bewegungen, wie von einem Bein auf das andere treten. Nur ein Murmeln, dass sich ab und zu in ihren Ohren breit machte und durch ihren Körper raste. Obwohl sie wusste, dass diese Geräusche gar nicht existieren konnten, sondern nur in ihrem Kopf. Denn jeder hatte seinen Mund fest verschlossen.
Tina hörte ein zartes Plätschern, dass in ihrem Kopf zu einem mächtigem Rauschen wurde. Die Menschen um sie herum hatten ihre Münder zu einem Schrei geöffnet. Nur wollten die Schreie nicht ihr Gehör erreichen. Stattdessen war das Gemurmel zu panisch klingenden Sätzen ausgeartet. Sie vernahm einige Gebete, Eltern, die sich um ihre Kinder sorgten, Weise die sagten, dass hätten sie schon geahnt, Menschen, die Angst um ihr Leben hatten und Ausländer, dessen Sprache sie nicht verstand, aber dessen Verzweiflung man deutlich heraus hören konnte.
Auch Tina hatte es im Fernsehen gesehen. Die schrecklichen Bilder, die nun auch sie betraf. Und geahnt hatte sie es auch, trotzdem hatte sie gehofft, es würde nie so weit kommen.
Eigentlich sollte sie wegrennen, wie jeder andere auch. Aber die Angst hielt sie mit aller Kraft fest. Sie packte Tina, sodass es fast schon schmerzte.
Jemand packte sie an die Schulter. Ruckartig wand sie sich um. Vor ihr stand ein Mann. Kurze braune Haare, etwa 30 Jahre. Sein Mund bildeten Wörter, die sie aber nicht verstand. Dennoch sagte sein Gesicht. „Flieh! Sie kommt!” Und so plötzlich er sie gewarnt hatte, so schnell war er auch schon an ihr vorbeigerauscht.
Vor ihr tauchte aus der Menge ein kleines Mädchen auf. Ihre hellblonden Locken schwangen in der Bewegung mit, als sie in Tinas Richtung rannte. Ihr Blick war nach hinten gerichtet – auf die tosenden Fluten, während sie geradeaus weiter lief. Das kleine Mädchen rannte gegen Tina, wobei sie weiter wie angewurzelt da stand. Erschrocken blickte sie nach oben und starrte in Tinas Gesicht. Dann formte ihr Mund ein Wort, dass wahrscheinlich „Entschuldigung” hieß.
Von Weiten sah sie die riesige Welle immer schneller auf sich zu kommen. Die riesige Welle aus matschbraunem Wassers. Sie wusste nicht wieso, aber aus irgendeinem Grund zog sie an dem Arm des kleinen Mädchens und rannte mit ihr los. So schnell war Tina in ihrem Leben noch nie gerannt. Sie schlängelten sich durch die hektisch hin und her rennenden Menge. Ihre Atemwege brannten wie Feuer und ihr Herz klopfte rasend gegen ihren Brustkorb, während ihre Beine immer schwerer wurden und es daher immer anstrengender wurde voran zu kommen. Sie machte zwar große Schritte aber irgendetwas verringerte ihre Schritte um die Hälfte, sodass sie alles doppelt laufen musste.
Tina drehte sich um, um zu sehen was sie so sehr nach hinten zog. Sie sah das Mädchen und erinnerte sich wieder, dass sie sie mitgezogen hatte, was sie beinahe schon wieder vergessen hatte. Ihre helle Haut im Gesicht hatte sich rot verfärbt und ihre Haare standen nach allen Seiten ab. Tina blieb abrupt stehen, was das Mädchen nicht sofort bemerkte und gegen ihren Rücken rannte. Anscheinend hatten die Kräfte des Mädchens stark nachgelassen. Sie mussten sich irgendwo in Sicherheit bringen. Irgendwas was am nahesten lag. Hektisch begutachtete sie ihre Umgebung. In ihrem Kopf hörte sie die Flutwelle direkt hinter sich und ,die erstickten Schreie, die von ihr mitgenommen wurden. Schließlich entdeckte sie eine graue Plattform, die an einem Haus befestigt war und die sie nur mit einer rostigen Leiter erreichen konnten. Sie nahm die Hand des Mädchens und stürmte los. Nebenbei hoffte sie, dass das Mädchen noch durchhalten würde.
Auf einmal spürte sie Wasser unter ihren Füßen, dass sich immer weiter zu ihren Waden kämpfte. Dann schwabte eine große Wassermasse auf die beiden Mädchen zu und tauchte sie kurz ein, was sie von oben bis unten durchnäste. Das Wasser war mittlerweile an ihren Hüften angekommen und beim kleinen Mädchen schon bei ihrem Decolleté, was es umso mühseliger machte weiter zu rennen. Ihre Beine fühlten sich an wie Bei, dass sie immer weiter nach unten zog. Aber sie kämpfte sich durch die vorbeischwimmenden Gegenstände und packte die winzige Hand des Mädchens noch fester.
Sie waren an der Leiter angekommen und ihre Begleitung versuchte sich mit gerecktem Kopf und strampelten Bewegungen oben zu halten. Da diese Bewegungen aber noch sehr ungleichmäßig aussahen, vermutete Tina, dass das Mädchen noch nicht schwimmen konnte. Sie hob das Mädchen hoch und in diesem Moment rauschte eine neue Flutwelle auf sie zu und wischte ihren Schweiß aus dem Gesicht.
Nachdem das Mädchen schon etwas weiter oben angekommen war, kletterte auch Tina hinterher. Die Plattform war ziemlich weit oben und da die Leiter auch noch nass war, rutschten sie immer wieder ab. Während sie nach oben kletterten bekam Tina immer wieder einige Tropfen des Mädchens ab und sie spürte wie das Wasser unter ihnen rasant anstieg.
Die Plattform war allerdings noch trocken und das Wasser würde wahrscheinlich auch nicht mehr weiter ansteigen. Tina stemmte das Mädchen mit ihren letzten Kräften nach oben und dann sich selbst.
Die Haare des Mädchens trieften vor Wasser und hingen leblos an ihrem Kopf herunter. Zwar kamen keine Töne aus ihrem Mund, aber man konnte klar erkennen, das sie stark hustete. Und auch Tina musste noch einige Minuten warten bis sich ihre Atmung endlich verlangsamte und ihr Herz sich beruhigte. Dennoch zitterte die beiden immer noch. Sowohl vor Kälte, als auch vor Angst.
Tinas Blick ging in die Ferne, um ihre Lage zu betrachten. Das Wasser war tatsächlich nicht mehr gestiegen und es hatte genau bei der Plattform aufgehört. Sie sah einige Menschen auf dem Bauch, das Gesicht im Wasser, vom Wasser angetrieben, vorbei ziehen. Sie hatten es nicht mehr geschafft und sogar Tiere, wie Meerschweinchen, die nicht besonders gut schwimmen konnten, sah man vorbei treiben. Dennoch hatten es auch einige andere Menschen geschafft einen sicheren Platz zu finden.
Sie spürte wie das Mädchen ihr auf den Arm tippte. Ihre kugelförmigen, blauen Augen starrten Tina an und ihr Mund formte ein Wort und die Kleine lächelte. Sie hatte wahrscheinlich: „Danke” gesagt. Daraufhin antwortete auch Tina. Nur ließ sie den Mund geschlossen und bewegte stattdessen ihre Finger und Hände. Zwar hatte sich das Mädchen erst erschrocken aber dann lächelte sie wieder. Und Tina wusste, dass sie verstanden hatte, was sie sagen wollte.
Bitte.
Das war mein Beitrag zur Gruppe "Hilfe für Hochwassergeschädigte".
Ich hatte schon einige Beträge von anderen Usern gelesen, aber hatte leider selbst keine Idee auch eine Buch zu veröffentlichen. Und dann war ich wieder mal im Zug gesessen - auf dem Weg zur Schule. Ich hatte einen Notizblock und einen Stift dabei. Meine Gedanken schweiften ab und plötzlich hatte ich diese ersten Sätze, den ersten Absatz meiner Geschichte im Kopf. So wie immer, wenn ich eine Idee für Geschichten bekomme. Die hab ich natürlich sofort aufgeschrieben und vielleicht kennt ihr das: Man kommt in einen Art Schreibewahn hinein, sobald man eine neue Idee hat und damit angefangen hat sie aufzuschreiben.
Und erst wollte ich gar nicht unbedingt die Geschichte für die Gruppe schreiben oder bzw. ich hatte diese Idee noch nicht im Kopf und dann irgendwie musste ich an Wasser denken und an die Gruppe, die Spende.
Und wem es noch nicht aufgefallen ist. Tina ist taub und somit fiel es ihr schwerer sich zu retten. Und ich habe das versucht zu verdeutlichen. Zum Glück hat sie es dennoch geschafft.
Übrigens, nebenbei, alles was kursiv ist, sollte ein normaler Mensch hören aber Tina hat diesen 3. Sinn auch diese Geräusche im Kopf wahrnehmen zu können. Wer sich gewundert hat, was das mit dieser kursiven Schrift soll. Dieses plötzliche Können von irgendwas, was man vorher nicht konnte oder weniger gut konnte, was durch einen Adrenalinstoß hervorgerufen wird.
Liebe Grüße
Bonny Preikschas
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2020
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