Mit nahezu langweiliger Geschmeidigkeit glitt die kalte Klinge durch das warme Fleisch.
Der Wind der vollmondlosen Nacht vermochte die schweren Stoffvorhänge nur zu sanften
Bewegungen zu animieren. Die leichte Brise beruhigte Scarry Skeech, der seine Aufgabe mit der ihm eigenen
Präzission ausführte. Er durfte sich keinen Fehler erlauben, musste Kitty Shurts, das Dienstmädchen
der alten Gräfin, absolut lautlos töten.
Eine pulsierende Fontäne der roten Flüssigkeit spritzte ihm ins Gesicht und hinterließ einen roten Gruß auf dem edlen Perser im Zimmer des Mädchens.
Mit dem Ärmel der messerfreien Hand wischte er sich den nach warmen Metall riechenden
Lebenssaft von den Augen. Sein Plan schien perfekt. Sollte es ihm gelingen, seine heimliche Geliebte auszuschalten, konnte er mit der Kohle machen was er wollte. Kein Mensch wusste von seiner kurzen und heimlichen Affäre mit Kitty Shurts, die ihm während einer verhängnisvollen Liebesnacht das Versteck der Juwelen der sonderbaren Gräfin verraten hatte. Mit seinen treuen Augen und seinem umwerfenden
Charme hatte er Kitty überzeugen können, gemeinsam ein neues Leben aufzubauen. Dabei hatte Scarry Skeech ganz andere Pläne. Violett Indigo, seine wahre große Liebe, hatte bereits ihre Koffer gepackt.
Es wurde still in dem dunklen Zimmer. Scarry schlich leise und behende wie eine jagende Katze in den angrenzenden Raum. Zielsicher und mit dem omnipotenten Gefühl eines Siegers betätigte er den geheimen Mechanismus des alten Sekretärs.
Mit einem leisen Klicken öffnete sich das versteckte Geheimfach und offenbahrte sein gutgehütetes Geheimnis.
*
Die Ermittlungsgruppe um Steven Steam stand kurz vor dem Durchbruch. Menschen waren verschwunden.
Wie vom Erdboden verschluckt. Wenn diese wieder auftauchten und sie tauchten alle nach geraumer Zeit wieder auf, waren auffallende Wesensveränderungen und Einbußen ihrer Intelligenz zu beobachten. Bei Recherchen im World Wide Web war Carmen Bitbreaker, die herausragende Kapazität in Steams Team, auf eine Geheimgesellschaft, die sich hinter dem Namen Human Eternity Net verbarg, gestoßen. Sie konnte die ausgefuchsten Sicherheitsvorkehrungen der Loge nur bedingt infiltrieren, fand jedoch heraus, dass der Server sich innerhalb des Anwesens der Gräfin befinden musste. Außerdem fraß die Villa ein Maß an Energie, wie ein Moloch nach einer Fastenkur.
In wenigen Minuten würden sie die Villa stürmen und die grausamen Experimente beenden.
*
Skeech lag am sonnigen Strand. Er genoß sein ausschweifendes Leben mit Violett und gedachte mit lendenlodernden Kribbeln an die wilde Party
der vergangenen Nacht. Das begleitende Unvermögen, sich an sein Leben vor dem Raub seines Lebens erinnern zu können, vermochte seine Freude kaum zu trüben. Die Erinnerungen seiner Kindheit und Jugend, selbst die Anschrift seiner letzten Wohnung waren
in einem schwarzen Loch des Vergessens verschwunden, doch sein derzeitiges Leben war einfach zu schön, um diese Empfindung mit seiner Unfähigkeit seine frühereren Erinnerungen hervorzurufen, zu belasten.
Er badete gerade mit Violett und zwei anderen nackten Schönheiten im Pool, als die Welt in ihren Grundfesten erschüttert wurde und mit einem Ruck verschwand.
Beißende Kopfschmerzen sprangen ihn an, als ob sie jahrhundertelang auf ihre Chance gewartet hätten, dann spürte er den Tod mit Eisesfüßen auf ihn zueilen.
*
"Bist du verrückt oder was?", schrie der schweißgebadete Victor Vulgaris den Chefentwickler der Crimestation 7 an, "ich war gerade dabei meinen verdienten Luxus zu genießen und mich mit drei
nackten Weibern auf einmal zu vergnügen!" "Hey Vic, jetzt halt mal den Ball flach",
erwiderte Professor Storm, der Chefentwickler, "oder würdest du lieber irreparable Schäden an deinem Gehirn vorziehen? Wir müssen die Empfindungsamplitute entschärfen, sonst drehen uns die Kids reihenweise durch.", sagte Professor Storm wichtigtuerisch und mit sorgengefalteter Stirn. "Setz mir den Transformatorhelm wieder auf", schrie Victor mit Panik in der Stimme und einem irrem Blick in seinen Augen, "los schnell, ich will wieder zurück ins Spiel, die Bullen hab ich auf ne ganz falsche Fährte gelockt, die stürmen gleich die sprengstoffverseuchte
Villa der Gräfin!", forderte der einst so schüchterne Victor in einem aggressiven Ton, den er gar nicht von sich kannte. Aber die eben gemachte Erfahrung war einfach umwerfend gewesen. So wie Scarry Skeech hatte er immer sein wollen und sein früheres Leben als schüchterner, pickliger Einzelgänger, der in der Schule immer den Blick auf den Boden gerichtet hielt, besonders wenn Mädchen in seiner Nähe waren, kam ihm nun noch erbärmlicher vor. Er musste diese Crimestation 7 unbedingt haben, auch wenn sie noch im Entwicklungsstadium war. Diese entschärfte Version, die diese Schisser auf den Markt bringen wollten, war etwas für Feiglinge und nicht für ihn, den hartgessottenen, über Leichen gehenden Typen der immer mehr in ihm selbst Gestalt anzunehmen schien. Diese zielgerichtete, kriminelle Kraft verspürte er langsam und unaufhaltbar in sich wachsen und er wusste auch schon wie er sich den Prototypen der Konsole besorgen konnte. Jetzt sollte endlich Schluß sein, mit den ewigen Hänseleien. Er gierte förmlich danach, wieder in seiner Welt, die eigens für ihn geschaffen schien, einzutauchen.
*
Mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht, rieb sich Professor Storm die Hände. Es lief noch besser als er gedacht hatte. Die neue Crimestation 7 erzeugte ein so hohes Maß an Suchtpotential, dass alle anderen Anbieter einpacken konnten. Von entscheidender Wichtigkeit war, Victor in dem Glauben zu lassen, er würde eigenständig handeln, wenn er, wie Storm vorhersehen konnte, nachts in das Labor einbrechen würde. Denn nur so konnte die Datenübermittlung krimineller, unverfälschter Gedanken von statten gehen und die Figuren sich optimal entfalten können. Victor war ein Glücksgriff, denn mit seiner Phantasie, die Storm gnadenlos angezapft und auf den Biochips seiner Neuentwicklung gespeichert hatte, gewannen die virtuellen Figuren in seinem Internetspiel immer mehr an Kontur. Noch ein oder zwei Durchgänge und alles war perfekt. Der Körper des naiven Victors würde zwar hinterher aussehehen wie ein ausgewrungener, verdorrter Schwamm in der Wüste und er könnte womöglich dabei draufgehen, doch nicht umsonst hatte sich Storm diesen phantasiebegabten Waisenjungen, den keiner vermissen würde, ausgesucht. Storm wartete geduldig in seinem Versteck, als Victor leise und sich vorsichtig umblickend ins Labor trat. Die Veränderung, die Victor durchgemacht hatte, war nicht zu übersehen. Anfangs stärkte Storms Behandlung den Charakter seines Probanten, das lag an der Identifikation mit Scarry Skeech, Victors Avatar in dem Spiel. Der Körper wurde jedoch von mal zu mal schwächer, was sich bereits an dem eingefallenem Gesicht und dem schleppenden Gang Victors abzeichnete. Victor hatte seine Haare zu Stacheln gegelt, die man eher in den Weiten des Meeres anzutreffen gedachte, als auf dem Kopf dieses einst so schüchternen Halbstarken."Cleveres Kerlchen", dachte der Professor, "das Gel wird die Leitfähigkeit seiner Kopfhaut enorm verstärken." Als Victor sich eingelockt hatte, stellte Storm die Verbindung zwischen dem Opfer und seiner phantasieaufsaugenden Konsole her, griff nach seinem eigenen Transformatorhelm, um als Kommisar Steam die Entwicklung der verschiedenen Figuren mitgestalten zu können. Ausserdem hatte er nicht die geringste Lust, bei der Stürmung der Villa in Stücke gerissen zu werden. Er ließ zittrig seinen rechten Zeigefinger über dem Startknopf kreisen und verwarf jeden Gedanken daran, dass er sich ebenso wie Victor, durch das Anzapfen seiner Phantasie, sein eigenes Hirn verbrennen würde. In erwartungsvoller Wiedersehensfreude auf Carmen Bitbreaker,
die ihm gehörig den Kopf verdreht hatte, startete er erneut seine geniale Erfindung.
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Mit nahezu langweiliger Geschmeidigkeit glitt die kalte Klinge durch das warme Fleisch.....
Tag der Veröffentlichung: 09.11.2009
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