Prolog.
„Müssen wir uns wirklich immer so eine Scheiße angucken?“, fragte ich genervt und fuhr mir durch die Haare. Ich wusste nicht warum aber hasste ich Actionfilme mehr als bestimmte andere Dinge. Diese Filme waren wirklich alle gleich und spannend waren die auch nicht.
„Ja, müssen wir Vivi“, lachte er leise und schob sich wieder Chips in den Mund.
Ganz kleine Krümmel fielen in Sekundenschnelle auf die Decke und das Schmatzen aus seinem Mund ließ meine Nackenhaare aufstellen.
„Kannst du auch essen ohne die Hälfte auf dem Bett zu zerstreuen?“, fragte ich bissig und nahm ihm die Chipsschüssel weg.
„Natürlich. Doch finde ich es besser, wenn du dich aufregst“, kicherte er und sah mich mit großen Augen an.
„Idiot. Warum das denn?“.
„Weil du unheimlich süß aussiehst, wenn du sauer bist“, hauchte er und rückte zu mir.
Die Schüssel hatte ich auf den Boden gestellt und war jetzt vollkommen seinem Charme unterlegen.
Diese Augen ließen mich noch immer nicht kalt.
„Phil, du bist einfach gemein“, warf ich ihm vor und spürte seinen heißen Atem auf meinem Gesicht.
Die kleinen winzigen Haare auf meinen Armen stellten sich auf und eine ekelhafte Gänsehaut zog sich über meinen Rücken.
„Warum das denn?“, fragte er im Flüsterton und kam meinen Lippen immer näher.
Mit einem mal ließ ich mich auf den Rücken fallen und Phil beugte sich über mich. Seine Hände lagen seitlich an meinem Kopf, sodass er mich nicht erdrücken konnte. Mein Atem ging Stoßweise. Seine grünen Augen sahen mich liebevoll an.
Mit einem leidenschaftlichen Kuss wühlte ich meine Hand in seine Haare und zog sein Gesicht noch näher zu meinem. Mit der andere Hand fuhr ich seinen Rücken auf und ab. Diese muskulösen Schulter...
Immer leidenschaftlicher und wilder wurde unser Kuss.
Ich wusste, dass mein Zimmer nicht gerade der bester Ort dafür war doch konnte ich mich nicht weiter von ihm fernhalten.
In der Schule taten wir schon so, als seinen wir nicht zusammen und hier Zuhause musste ich das gleiche machen.
Gerade rechtzeitig lösten wir uns keuchend von einander als mein Vater die Tür aufstieß und wütend hinein guckte.
„Dad!“, schrie ich und stieß Phil von mir weg. Schnell setzte ich mich auf und ballte die Hände zu Fäusten. Mein Vater konnte es echt nicht lassen. „Kannst du nicht anklopfen?“, fragte ich scharf und spürte Phils Hand an meinem Po. Kurz rollte ich die Augen bevor ich aufstand und zu meinem Vater stampfte.
„Ihr ward so leise, da dachte ich mir, dass ich lieber mal nach gucke was ihr so macht“, gab er zurück und musterte mich streng.
„Es ist alles gut. Wir haben nur ein wenig...“, schnell suchte ich nach dem passendem Wort. „...herumgealbert“.
„Genau!“, warf Phil dazwischen. Sofort strafte ich ihn mit meinem bösen Blick. Er sollte einfach seine Klappe halten, wenn mein Vater da war.
Dad hatte ich wohl gesagt, dass nichts mehr mit Leon lief. Doch hatte ich ihm verschwiegen, dass ich jetzt mit Phil zusammen war. Ich hatte einfach Angst wie er reagieren würde. Denn schließlich kannte er Phil schon seit Geburt an und das kam mir einfach komisch vor.
In der Schule hielten wir unsere Gefühle ebenfalls geheim. Das wollte auch ich.
Phil hätte nichts dagegen gehabt doch wollte ich kein Aufsehen in der Schule erregen.
Wir hatten schließlich nur noch zwei Monat Schule und so lange konnten wir auch auf Freunde tun.
Was uns aber nicht immer so gelang.
„Kannst du jetzt wieder gehen? Ich will den Film gucken“, sagte ich schlaff und stemmte meine Hände gegen die Brust meines Vaters.
Leicht drückte ich gegen ihn doch brauchte ich es eigentlich nicht machen, da mein Vater ergeben seufze und das Zimmer verließ.
Als die Tür zu war atmete ich tief durch und ließ mich wieder neben Phil nieder.
„Denkst du wirklich, dass dein Vater so dumm ist?“, hakte er nach und fuhr mit dem Zeigefinger meinen Arm auf und ab.
Man!
Ich konnte mich wirklich nicht konzentrieren, wenn er so etwas machte.
„Ich hoffe es doch“, hauchte ich, nahm die Fernbedienung und schaltete den Film an. Mit der Titelmusik lehnte ich mich gegen Phil und legte den Kopf an seine Schulter.
Immer mal wieder durchfuhr mich ein angenehmer Schauer wenn er mich berührte.
Es war lange Still. Wir sahen einfach den Film.
Ich kam mir echt doof vor. Ich, Vivi, hatte eine stinknormale Beziehung. Na ja, so normal war sie auch wieder nicht. Ich war schließlich mit meinem besten Freund zusammen und hielt es vor den Meisten, eigentlich Allen, geheim.
Angst beschrieb das Gefühl gut was ich empfand. Ich wollte nicht, dass Jemand irgendetwas sagte.
Langsam wandte ich mein Gesicht zu Phil und gähnte leise. Ich war schrecklich müde. Mein Blick glitt zu meinem Wecker.
Zweiundzwanzig Uhr.
Zeit zum schlafen!
Ich erhob mich und schlenderte zu meinem Schrank, kramte eine kurze Shorts hervor und ein viel zu großes Shirt, zog beides an und schlurfte zurück zu meinem Bett.
Erschöpft ließ ich mich in Phils Arme fallen. Er lag schon unter der Decke und sah mich erwartungsvoll an. Liebevoll deckte er uns Beiden zu und gab mir einen Kuss auf die Schläfe.
Morgen würde ich achtzehn sein.
VOLLJÄHRIG!
Verdammte Scheiße.
Schnell schloss ich meine Augen und drückte mich noch enger an den warmen und muskulösen Körper von meinem Freund.
Bei diesem Gedanken wurde mir noch immer ein wenig schlecht. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass ich mit Phil zusammen war. Mit dem Jungen der mich nackt gesehen hatte als ich klein war. Und der Junge von dem ich dachte, er sei ein Arschloch.
Ein Brennen durchzog meinen Körper als ich Phils Lippen auf meinen Haar spürte. Mein Herz setzte kurz aus, bevor es wieder anfing das dickflüssige dunkelrote Blut weiter zu pumpen.
Willkommen zurück in meinem Kopf.
Heute war der Tag aller Tage.
Ich war jetzt offiziell achtzehn und damit so alt wie Phil. Na gut, nicht mehr lange. Da der Kleine nur ein paar Wochen nach mir Geburtstag hatte und so dann wiederum neunzehn wäre und ich noch süße achtzehn.
Aber egal.
Ich würde jetzt erwachsen sein. Meine eigenen Wege gehen und bald auch noch mit der Schule fertig sein.
Als ich meine Augen aufschlug und die Decke von mir strampelt hatte lag niemand mehr neben mir. Müde grapschte ich nach rechts wo eigentlich Phil lag doch war alles leer.
Verwirrt richtete ich mich auf und sah mich um. Meine Sicht war noch verschwommen.
Kurz rubbelte ich mit meinen Händen meine Augen frisch und schwang meine Beine vom Bett.
Als ich schließlich mit wackeligen Beinen stand, kratze ich mich an der Hüfte und fuhr mir durch die offenen Haare, die bestimmt in jede Richtung ab standen.
Langsam schlurft ich zur Küche, dabei sah ich in jede Tür die mir bot. Doch nirgends war er.
Mit vorgeschobener Unterlippe betrat ich den kleinen Raum und blickte in zwei Augenpaare die mich erwartungsvoll ansahen.
Mit einem kurzem Schrei hielt ich mir die Augen zu um mich vor den Blicken der Beiden zu verstecken.
Und schon der erste Blitz.
Genervt ließ ich die Luft zwischen meinen Lippen entweichen und stampfte mit dem Fuß auf.
„Man Dad, keine Fotos am Morgen und was soll das eigentlich?“, fragte ich bissig mit den Händen vor den Augen.
Immer wieder kamen helle Blitze und ließen mich automatisch zusammenzucken.
„Schatz, du bist nun achtzehn. Das ist etwas besonders. Schau dir mal deinen Kuchen an“, trällerte mein Vater und kam auf mich zu. Seine großen warmen Hände legten sich auf meine und zogen sie zaghaft von meinem Gesicht weg.
Mit großen Augen sah ich mir den leckeren Schokokuchen an der auf dem Tisch stand und wo mit pinker Schrift dick und fett „Happy Birthday“ drauf stand.
„Wow, der sieht toll aus“, stammelte ich und fuhr mir durch die Haare. Ich biss mir wie verrückt auf der Unterlippe herum als ich Phil an der Anrichte gelehnt sah.
Er war göttlich und er gehörte MIR!
Muhahahahaha!
Ähmm....
Er trug eine dunkelblaue Jeans die ziemlich eng war, aber am Po ein wenig runter gezogen war. Dazu trug er ein graues Langarmshirt mit einem V-Ausschnitt wo er die Ärmel nach oben gezogen hatte.
Ein kleines Söhnen entfuhr mir als ich den Blick über ihn schweifen ließ.
„Ist alles okay Vivi? Willst du gar nicht deine Geschenke sehen?“, fragte mich mein Vater und riss mich so von Phil los. Leise lachte dieser und strich sich durch seine Haare.
„Klar“, sagte ich schnell und lief zum Tisch. Dort pustete ich die Kerzen aus und riss drei der fünf Geschenke auf.
Letztes Jahr hatte ich von meinem Vater ein rosa Pony-Pullover bekommen und ich hatte schon Befürchtungen das ich dieses Jahr wieder so etwas bekam. Doch nein.
Ich hatte eine Spiegelreflexkamera bekommen, ein Gutschein und ein Buch. Die anderen beiden Geschenke musste ich wohl oder übel später öffnen, da die Uhr schon eine Uhrzeit anzeigte die mich unruhig werden ließ.
Schnell rannte ich ins Bad und machte mich fertig, zog mich um und probierte meine Haare irgendwie zu bändigen. Als ich schließlich wieder in die Küche kam standen die Beiden noch immer an ihren Plätzen und schwiegen. Seit den letzten Wochen hatten die Beiden ein eigenartiges Verhältnis miteinander. So angespannt.
Mein Vater strafte Phil des öfteren mit tödlichen Blicken die er freundlich ignorierte.
Mit einem kleinem letzten Schritt ging ich auf mein Vater zu und umarmte ihn wobei ich Phil dick angrinste.
„Danke Dad. Die Geschenke sind echt klasse und den Kuchen essen wir ihn heute Nachmittag?“, fragte ich nach und drückte ihm ein Kuss auf die Wange.
Kurz wurde mein, sonst so cooler, Vater rot und hielt mich eine Armlänge von sich entfernt.
„Gern geschehen, natürlich“, hauchte er und sah mich von oben bis unten an. Man sah den Stolz in seinen Augen auf funkeln.
„Und Phil hast du auch ein Geschenk für Vivi?“, hakte er spitzbübisch nach und drehte sich zu Phil um. Dieser stand noch immer an der Anrichte lehnte und hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
„Natürlich“, gab er gelassen zurück und kam auf mich zu.
Ich hielt die Luft an. In Gedanken schrie ich ihm zu, dass er bloß nichts unüberlegtes tun sollte. Ich wusste, dass er es nicht hören würde doch hoffte ich es zu tiefst.
Er blieb nur wenige Zentimeter vor mir stehen, lächelte mich an und drehte mich so um, sodass ich mit dem Rücken zu ihm stand.
Seine großen Hände streiften kurz meinen Hals als er mein Haar zur Seite schob und schließlich ein Schritt von mir zurück ging. Sofort spürte ich etwas brennendes auf meiner Haut. Ein Gegenstand brannte sich in meinen Brustkorb. Wie eine Zigarette durch Papier.
Langsam sah ich an mir hinunter und erblickte eine wunderschöne Kette.
Sie war schlicht in Silber aber hing an ihr ein wunderschöner Anhänger. Es war ein Medaillon in Herzform, dass man öffnen und ein Bild befestigen konnte. Es war atemberaubend schön und einfach perfekt.
Wenn man genau hinsah war auf der Rückseite ein großes elegantes P eingraviert.
Leise seufze ich und drehte mich zu ihm um. Phil stand vor mir und lächelte einfach aller liebst.
Ich wollte mich gerade zu ihm strecken und ein Kuss auf seinen Lippen drücken als er mir seine Wange hinhielt und sich kichernd von mir löste.
Erst war ich verwirrt gewesen als ich dann aber den Blick meines Vaters sah fiel mir alles wieder ein.
Noch einmal nahm ich meinen Vater in die Arme, gab ihm einen Kuss und nahm meinen Rucksack. Diesen schwang ich mir auf den Rücken und verließ mit Phil das Haus um mich auf dem Weg zur Schule zu machen.
Unsicher und mit schwitzigen Händen stand ich vor dem großen Schultor. Phil neben mir und unsere Hände berührten sich des Öfteren ganz „zufällig“.
Ich wusste, dass es das Beste war nur auf Freude zu tun doch war es für Phil wirklich in Ordnung?
Es war bestimmt nicht schön eine Beziehung zu leugnen aber hatte ich wohl das größte Problem damit. Ich war ja nicht diejenige die jede zwei Sekunden von irgendeinem Mädel angemacht wurde.
„Warum so nervös?“, riss mich Phil aus meinen Gedanken. Kurz schüttelte ich meinen Kopf und fuhr mir durch meine dunkelbraunen Haare.
„Ich mag es einfach nicht wenn ich Geburtstag habe. Es ist wohl schön und gut jetzt achtzehn zu sein aber dieses ganze Tamtam darum ist überflüssig. Dazu kommt auch noch das jedes Jahr irgendetwas schlimmes passiert und das wird dieses Jahr auch passieren“, erklärte ich und stellte mich vor meinem Riesen.
Phils frühlingsgrünen Augen funkelten als er einen Schritt auf mich zu machte und mir eine Strähne hinters Ohr strich.
„Nein. Dieses Jahr wird alles perfekt sein und weißt du warum?“, fragte er leise.
Als Antwort sah ich ihn einfach nur fragend an.
„Weil wir jetzt zusammen sind, Sauergürkchen“.
Schnell verzog ich das Gesicht und schlug ihm mit voller Kraft gegen den Oberarm. Nicht einmal ein Zucken erkannte man bei ihm. Ich sollte wirklich wieder anfangen Karate zu machen.
Mit einem Seufzer drehte ich mich um und lief durch das Schultor. Ich hatte mich schon darauf eingestellt das ich angeglotzt werde würde aber so schlimm hatte ich es nicht erwartet.
Ivy, Paul, Marcel und noch viele andere Leute kamen auf mich zu gerannt und sprachen alle durcheinander. Hart schluckte ich und probierte irgendwie zu lächeln, obwohl mir grade zum Kotzen war.
Ich hasste Aufmerksamkeit.
„Mein Gott, alles Gute meine Süße!“, kreischte Ivy und schlang ihre Arme um mich.
Für einen so kleine Person hatte sie enorme Kräfte. Halb erdrückt und von allen angeglotzt probierte ich irgendetwas zu sagen.
„Ich, Luft, Danke“, stammelte ich und wurde endlich los gelassen. Bevor ich wieder atmen konnte spürte ich schon die nächste Umarmung und das ging dann knapp zehn Minuten so.
Ich hatte nicht viele Freunde doch die ich hatte, musste mich natürlich mit Liebe überschütten.
Marcel hatte mich innig umarmt und mir ein Kuss auf die Wange gedrückt und dann kam Paul.
Er stand die ganze Zeit außerhalb und sah nur manchmal zu mir doch als er schließlich an der Reihe war, sah man ihm an das er sich unwohl fühlte.
Ich wusste nicht ob Phil und er alles geklärt hatten aber ich glaubte es nicht. Und ob ich noch sauer auf diesen Idioten war stand auch noch in den Sternen.
„Happy Birthday!“, flüsterte er und schenkte mir ein kurzes Lächeln.
Mit einem Nicken und ein ebenso kleinem Lächeln wandte ich mich Ivy zu und sah sie mit großen Augen an.
Ihr Bauch hatte sich noch nicht so viel verändert aber wenn man genau hinsah und den Kopf ein wenig schief legte konnte man eine winzige Wölbung an ihrem Unterleib erkennen.
Der Gedanke daran, dass sie, meinen beste Freundin, schwanger war und ein Kind erwartete macht mich noch immer ganz hibbelig.
„Wollen wir in den Unterricht gehen?“, hakte sie nach und lächelte bis über beide Ohren.
„Klar“, entgegnete ich und sah ein letztes mal über meinen Schulter zu Phil.
Er war die ganze Zeit, wie Paul, außerhalb gewesen und hatte nichts gesagt. Ich musste zugeben, er konnte das extrem gut. So zu tun als seien wir nur Freunde.
Mit langsamen und kleinen Schritten schlurften Ivy und ich den Schulhof entlang. Doch blieb das Ziehen in meinem Bauch gleich. Egal wie tief ich durchatmete und die Augen für ein paar Sekunden schloss, es ging einfach nicht weg.
Es gab zwei Dinge die das Ziehen daran hinderten zu verschwinden.
Erstens: Alle Mädchen machten sich noch immer an Phil ran und das brachte mich zur Weißglut. Es überraschte mich wohl, dass Rony die Finger von meinem Mann ließ doch hatte sie wohl ordentlich die Schnauze voll von ihm.
Und zweitens:
Weil ich Geburtstag hatte und dieser Tag schon seit wie vielen Jahren verflucht war. Jedes Jahr, aber wirklich jedes Jahr geschah etwas das mein Leben auf den Kopf stellte.
Sei es, dass mein Hamster, Horst, starb oder das ich mein Bein brach.
All das hatte ich schon erlebt und ich wusste das dieses Jahr auch so einen Scheiße passieren würde.
Mit dem lauten Schulklingeln betrat ich das Klassenzimmer und setzte mich auf meinen gewohnten Platz.
Die Hitze überkam mich als ich den leichten Luftstrom und das Gekreische von meinen Mitschülerinnen hörte.
Phil is in the House.
Mit einem leisen, fast nicht hörbaren, Seufzer drehte ich mich zu ihm und zog die Stirn in Falten. Seine Haaren waren durcheinander und fielen nicht wie gewohnt in sein Augen.
„Was ist mit deinen Haaren los?“, fragte ich trocken und sah ihn fest an.
Nach kurzem Luftholen und ein Schwung mit dem Kopf, damit seine Haare wieder richtig lagen, antwortete er mir.
„Tascha...“, hauchte er als Antwort und sah mich bittend an.
Wut. Hass. Todesgedanken.
Tascha war einer der wunden Punkte bei mir.
Sie, diese Tusse, konnte es einfach nicht lassen und machte sich noch immer an Phil ran. Natürlich wusste sie nicht, dass ich mit Phil zusammen war aber das wäre ihr auch egal gewesen. Seit ich denken konnte wollte sie schon etwas von ihm und machte deswegen vor nichts Halt.
Diese kleine miese...
„Vivi, bitte werde nicht wütend“, flehte Phil mich an und legte mir einen Hand auf die Schulter.
„Ich und wütend. Nein“.
Mit diesen Worten drehte ich mich wieder um und starrte vor mich hin. Ich knirschte so laut mit den Zähnen, dass es in meinen Ohren schon schmerzte.
Ich hasste dieses Mädchen. Sie war Nummer drei auf meiner Hassliste.
Wo Rony ganz an zweiter Stelle stand.
Ganz oben auf dem ersten Platz stand dann meinen Mutter. Ja ich hatte eine Hassliste und da waren viele Punkte drauf.
Die ganz besonderen waren in Rot geschrieben.
Die Tür sprang auf und unsere Mathelehrerin betrat den Raum. Frau Müller hatte schon diesen komischen Gesichtsausdruck der nur Böses verhieß.
„Guten Morgen Schüler, holt eure Stift raus wir schreiben jetzt einen kleinen Test!“, trällerte sie und warf einen dicken Stapel Papiere auf ihr Pult.
Ein dicker Klos bildete sich in meinem Hals und der Druck in meinem Kopf nahm zu.
Warum, um alles auf der Welt, sollte man zwei Monate vor Schulende ein Test schreiben?
Genervt stieß ich die Luft zwischen den Lippen hervor und verschränkte die Arme vor der Brust. Als die dünne alte Frau an meinem Tisch vorbei kam und gerade ein Zettel darauf legen wollte, verweilte sie in ihrer Bewegung.
„Vivian, was ist los?“, fragte sie zuckersüß und strahlte über das ganze Gesicht.
Ach ja, diese Frau war auch auf meiner Hassliste. Achter Platz wenn ich mich nicht irrte.
„Nichts ist los. Außer das ich diesen doofen Test nicht schreiben werde“, meckerte ich und warf ihr einen bösen Blick zu.
Einen kurzen Moment lang herrschte pure Stille. Nicht mal das Atmen von meinen anderen 24 Mitschülern war zu hören.
„Warum das denn?“, fragte sie nach und festigte ihren Griff um das Papier.
„Weil ich es einfach nicht einsehe. Ich habe dazu kein Bock“, zischte ich und stand auf.
Frau Müller war ein paar Zentimeter größer als ich aber auch nur, weil sie Absätze trug.
Ihre braunen Augen, die glasig waren, sahen mich nun hasserfüllt an.
„Na gut, dann kannst du so lange zum Rektor gehen“, sagte sie und machte eine kurze Kopfbewegung in Richtung Tür hin.
„Schön!“, gab ich schnippisch zurück und wandte mich zum gehen. Doch bevor ich überhaupt drei Schritte gegangen war standen Ivy und Marcel auf.
Sie sahen sich kurze Zeit an, bevor Marcel begann zu sprechen.
„Frau Müller, Vivi hat heute Geburtstag und könnten Sie deswegen das alles nicht so ernst sehen?“, fragte er und streifte sich schnell seinen graue Mütze vom Kopf.
„Genau, sie wird heute achtzehn und weiß nicht was sie sagt“, rief Ivy und sah mich streng an.
Müllerchen stand mit den Zetteln in den Händen und einem kleinen Strich als Mund hinter mir.
Sie sah zwischen Ivy, Marcel und mir hin und her. Als sie schließlich seufze und mich rief wusste ich, dass sie aufgegeben hatte.
„Na schön, Vivian bleib hier. Aber du schreibst diesen Test mit“, flüsterte sie streng und legte mir ein Zettel auf den Tisch. Als ich an ihr vorbei ging, sah sie mich verstört an und nuschelte ein „Alles Gute“.
Mit hängendem Kopf und ordentlich Wut im Bauch nahm ich wieder Platz und fing an die doofen Matheaufgaben zu lösen.
Nach ein paar Minuten war ich fertig und lehnte mich nach hinten.
Mein Blick flog im Klassenraum umher. Marcel saß drei Reihen vor mir, neben Olga. Er hatte die eine Hand in seinen blonden Haare vergruben und schlug mit seinem Stift immer wieder auf seinen Fingernagel.
Ich wusste das er nicht der Beste in Mathe war und eigentlich hätte ich Mitleid mit ihm gehabt doch jetzt gerade war ich sauer auf ihn. Er hatte verhindert das ich zum Rektor musste und damit sein eigenes Wohl aufs Spiel gesetzt genau so wie Ivy.
Mein Blick flog zu ihr.
Sie saß eine Reihe vor mir und flüsterte gerade mit Paul der neben ihr saß.
Warum hatten die Beiden das getan?
Ich verstand das einfach nicht. Ich war schon seit heute Morgen ein wenig durch den Wind.
Aber jetzt...
„So seit ihr fertig?“, rief Frau Müller in die Klasse und entwirrte ihre langen dünnen Beinchen. Ein lautes Stöhnen ging durch die Klasse und schon waren alle Blätter verschwunden.
Die restliche Stunde über erklärte uns Frau Müller noch die Hausaufgaben und ein paar andere Dinge. Als dann schließlich die Schulklinge läutete sprang ich auf und packte meine Sachen ein. Mit schnellen Schritten verließ ich wütend den Klassenraum.
Ich wusste nicht woher diese enorme Wut kam aber eins war klar, sie würde nicht so schnell verschwinden.
Gerade lief ich den Schulgang entlang als mich Jemand packte und in einen Seitengang zog.
Alles war so schnell passiert, dass ich es gar nicht richtig mitbekommen hatte.
„Hey!“, brüllte ich aufgebracht und probierte etwas zu erkennen da es stockdunkel in diesem kleinem Gang war.
Moment mal.
Wer zog mich bitteschön in einen kleinen Gand?
Schnell wurde mir eine Hand auf den Mund gedrückt und das Licht angeschaltet. Ich befand mich nicht in einem Gang sondern in einer Kammer. Um genau zu sein in einer Besenkammer.
Und vor mir, in voller Pracht, stand Phil.
Seine Augen leuchteten und schienen nur für mich gemacht zu sein.
„Wirst du mir versprechen nicht zu schreien oder so etwas?“, fragte er leise und löste die Hand von meinem Mund als ich nickte.
„Was soll das Phil?“, fragte ich nach und merkte erst wie klein diese Kammer wirklich war. Sie war so winzig, dass ich Körper an Körper mit ihm stand.
Wirklich alles berührte sich.
Mir stieg die Röte ins Gesicht als ich merkte, dass wir so nah beieinander standen.
Bevor ich den Blick senken konnte spürte ich schon seine große Hand unter meinem Kinn und seine Lippen auf meinen.
Meine Augen schlossen sich und ich gab mich meinen Gefühlen hin. All die Wut die noch eben in meinem Bauch gewesen war, war verschwunden.
Sie war wie weggeblasen.
Als ich merkte das sich Phil von mir lösen wollte, krallte ich meine Hand in seine Haare und stellte mich auf die Zehnspitzen.
Um nichts auf der Welt wollte ich ihn jetzt gehen lassen.
„Vivi...“, stieß er an meinen Lippen und verdrehte mir so noch mehr den Kopf.
Sein süßer Atem blies mir genau in den Mund und dieses unglaubliche Aroma zog sich fest und tief in meine Geschmacksknospen.
„Ja?“, fragte ich leise nach und löste mich widerwillig von ihm.
„Ist deine Wut weg?“.
„Noch nicht ganz“, kicherte ich und drückte meinen Lippen wieder auf seine.
Juhuuu!
Ich hatte den Schultag überlebt sogar ohne Kratzer.
Ja okay, ich gebe es zu. Ich hatte ein wenig Kopfschmerzen von der Streiterei in der Pause die ich mit Ivy und Marcel hatte. Aber es ging mir gut und jetzt gerade lief ich händchenhaltend mit Phil nach Hause.
Schon den ganzen Weg über hatte er kein Wort gesagt und auch jetzt war er still. Er sah einfach zu Boden oder lächelte mich doof an.
„Phil?“, fragte ich und sah zu ihm hoch.
„Vivi?“.
Ein Lächeln umspielte meine Lippen.
„Was ist los mit dir? Du bist so ruhig. Nein, du bist still“, seufze ich und strich mir mit der freien Hand durch die Haare.
„Es ist nichts...“,hauchte er.
Mit hoch gezogenen Brauen sah ich ihn misstrauisch an. Ich merkte das mein Lieber etwas hatte.
„Mach mir nichts vor. Ich kenne dich Phil“.
„Na gut, du hast mich. Ich finde es doof, dass du keine Party willst. Deswegen habe ich eine Bedingung“, sagte er streng und blieb stehen.
Er stellte sich vor mich und nahm mein Gesicht in die Hände. Fest sah er mir in die Augen und strich mit dem Daumen meine Wange auf und ab.
„Und die wären?“, hakte ich nach und befürchtete das Schlimmste. Ein so breites Grinsen lag auf seinen Lippen, dass dies nur Schlechtes verhieß.
Er grinste mich einfach an und hielt mein Gesicht weiter in seinen Händen.
„Phil? Kannst bitte etwas anderes machen außer so dumm zu grinsen. Was sind denn jetzt die Bedingungen?“.
„Du kommst heute Abend zu mir und wir machen uns ein schönen Abend. In Ordnung?“.
Kräftig biss ich mir auf die Unterlippe und zog diese zurück, ließ sie los und sah Phil weich an.
„In Ordnung, Hase“, witzelte ich und stellte mich auf die Fußspitzen. Bevor ich auch nur in die Nähe seiner Lippen kam, legte er mir einen Finger auf den Mund und schüttelte den Kopf.
„Na na, sonst denkt noch Jemand das wir zusammen sind“, kicherte er und nahm meine Hand in seine.
Wir liefen weiter und kamen schließlich bei mir zu Hause an. Ein letztes mal drehte ich mich zu ihm und drückte ihm ein Kuss auf die Wange.
„Wann soll ich kommen?“, fragte ich nach und blickte in die wunderschönen grasgrünen Augen die nur mich ansahen.
„So gegen sechs wäre mir recht“, flüsterte er und kam meinen Lippen gefährlich nahe. Er streifte meine kurz mit seinen und entzog sich schnell meinen Hände, die ich um seinen Nacken gelegt hatte.
Enttäuscht stieß ich die Luft durch die Nase hervor und probierte ein kleines Lächeln auf meinen Lippen zu bekommen.
„Dann sehen wir uns heute Abend“, seufze ich und schloss die Tür hinter mir auf.
„Bis heute Abend“, gab Phil zurück und drehte sich um und verschwand.
Ich schaute Phil noch eine ganze Weile hinterher, bis er so weit weg war, dass ich ihn nicht mehr sehen konnte.
Mit hängenden Schultern betrat ich das Haus und spürte sofort die Leere und Einsamkeit.
Selbst an meinem Geburtstag musste mein Vater arbeiten, was ich jetzt nicht besonders schlimm fand aber ich war halt nicht so gerne allein.
Denn jetzt konnte ich mir genug Gedanken darüber machen, was ich heute Abend anziehen konnte.
Ich wusste das ich für meine siebzehn...
Pardon 18 Jahren, relativ spät dran war. Ich hatte schon oft genug geküsst und das auch meist mit Leuten die ich nicht küssen wollte doch Sex ?!
Nein, ich war noch Jungfrau und ich war so altmodisch und wollte damit auch so lange warten bis ich den Richtigen gefunden hatte.
Klar, ich würde nicht so lange warten bis ich verheiratet wäre (das auch ziemlich dumm wäre, da ich das nie vor hatte) aber ich war mir auch sicher, dass Phil der Richtige war.
Ich kannte ihn schon mein Leben lang und war mir sicher, dass er mich nicht einfach verletzten würde.
Er kannte mich besser als ich mich selbst und das war schon erschreckend.
Ich hatte Vertrauen in ihm und er würde es auch nicht missbrauchen.
Mit einem so lauten Seufzer, der im Haus widerhallte, trat ich in die Küche und nahm mir eine Banane.
Langsam zog ich die Schale von der Frucht und biss genüsslich hinein. Ich kaute den Bissen lange und schließlich schluckte ich ihn hinunter.
Eine Banane ähnelte schon ein wenig dem männlichen Geschlechtsteil.
Es war lang, hing an etwas hinunter und war das wichtigste am Baum.
In Ordnung, jetzt war mir eindeutig der Appetit auf Banane vergangen.
Schnell packte ich die angebissene Banane weg und sah mich in der Küche um. Ich hatte mich an die Anrichte gelehnt.
Mein Blick blieb am Küchentisch stehen. Er war noch genau so wie heute Morgen.Voll gestellt und und unordentlich, schließlich war ich nicht die begabteste wenn es darum ging Geschenke auszupacken. Selbst als kleines Kind hatte ich die Verpackung nur so weggerissen. Als ich an die Vergangenheit dachte, an die Tage zurück die noch einfach gewesen waren, huschte ein kleines Lächeln über meine Lippen.
Schon fast automatisch führten mich meine Beine zum Küchentisch. Dort griff ich nach den Geschenken die ich noch nicht ausgepackte hatte und riss diese auf.
Es war ein sehr flaches Geschenke das auch nicht viel wog, doch waren nicht dies meist die Geschenke die am schönsten waren?
Schnell riss ich es auf und machte große Augen als ich sah was es war.
Es war ein Bild. Ein Bild das ich noch nie gesehen hatte. Auf diesem Bild waren ich und Phil zu sehen da waren wir vielleicht um die vier Jahre alt und saßen im Sandkasten.
Ich aß gerade vom Sandkuchen und Phil hatte in der Hand Regenwürmer die sich allen Anschein noch bewegten.
Ich konnte nicht anders und fing an zu kichern. Ich konnte mich daran noch erinnern.
Mich daran erinnern, wie ich aufschrie als mir ein Regenwurm auf den Kopf fiel und einfach nicht aus meine Haare wollte und wie Phil mich auslachte.
Langsam drehte ich das Bild um und entdeckte einen kurzen, aber wahren, Text auf der Rückseite.
Auch wenn die Freundschaft vergeht, die gemeinsame Erinnerung bleibt.
Ich wusste nicht, dass mein Vater so sentimental war. Ob er vielleicht wusste...?
Nein, das konnte nicht sein.
Ich drehte das Bild wieder um und strich mit den Finger über Phils Gesicht. Es sah immer noch so aus wie früher. Doch war er auch anders. Er sah erwachsener aus und hatte markantere Gesichtszüge aber waren seine Haare schon immer strubbelige gewesen und seine Augen so grün wie heute.
Ich legte die Karte weg und nahm das andere Geschenk in die Hand. Es war eine kleine Schachtel die mit einer roten Schleife versehen war.
Kurz rollte ich die Augen, bevor ich die Schleife löste und den Deckel von dem Kästchen abnahm
Ihr Inhalt war genau so kitschig wie die Schleife.
Es war mein Schnuller. Mein aller erster Schnuller den ich hatte.
Ich presste meine Lippen aufeinander um nicht anzufangen zu lachen. Behielt mein Vater alles von mir? Auch eine volle Pampas?
Nachdem ich den Schnuller in alle erdenklichen Richtungen gedreht hatte und feststellte, dass es tatsächlich mein Schnuller war legte ich ihn wieder weg und stahl mir einen kleinen Finger voll Schokolade vom Kuchen.
Ich lutschte eine ganze Weile an meinem Finger herum, bis der ganze Geschmack verschwunden war.
Was für ein Jammer, dass mein Vater erst später, in knapp zwei Stunden, kommen würde.
Ich wollte den Kuchen nicht vorher anschneiden. Das wäre doof gewesen.
Gerade ertappte ich mich dabei den Finger erneut in die Schokoglasur zu stecken, als es an der Tür klingelte.
Schnell fuhr mein Kopf herum und Falten bildeten sich auf meiner Stirn.
Wer war das?
Dad würde doch erst später kommen oder hatte er sich frei genommen?
Mit kleinen Schritten ging ich in den Flur und blieb vor der Haustür stehen. Atmete tief durch und schwang erwartungsvoll die Tür auf. Mein Mund klappte auf und meine Augen waren so weit aufgerissen, dass sie schon anfingen zu brennen.
„Hallo Vivi“, begrüßte mich die Person vor der Tür.
„Alexandra“, zischte ich und sah mir die Frau an die mir gegenüber stand.
Ihre schwarzen Haare die sie zu einem Pferdeschwanz trug waren so pechschwarz wie in meinen Erinnerungen. Ihr Gesicht, schmal und für die Meisten perfekt, schien kaum gealtert zu sein.
Botox sei Dank!
Ihre stahlblauen Augen, die mich erzittern ließen, sahen mich freundlich an. Sie waren eiskalt und unerbittlich. Ihre Pupille waren so winzig als sei die auf Drogen.
Was mich bei der Frau auch nicht wundern würde.
Ihre Kleidung war mehr als unangemessen. Der kurze Rock, der ihr gerade mal so über den Po ging, und das knallenge Top, dass einen größeren Ausschnitt hatte als üblich, ließen sie lächerlich aussehen. Doch gefiel es ihrem Lover anscheinend der hinter ihr stand.
Er war so wie ich ihn mir vorgestellt hatte.
Groß, braungebrannt und breitschultrig. Er sah nett aus doch war er das bestimmt nicht.
Entweder war der dumm wie Stroh oder ein Sexmonster der nur auf das Eine stand und da war diese Frau das Richtige für ihn.
„Begrüßt man so seine Mutter?“, fragte sie aufgesetzt und kam auf mich zu.
Ohne mich zu fragen nahm sich mich kurz in den Arm und drückte mir jeweils auf jede Wange einen kurzen Kuss.
Wut stieg in mir auf.
Mit voller Kraft drückte ich sie von mir weg und funkelte sie wütend an.
„Was willst du hier?“, zischte ich und stemmte die Hände in die Hüfte dabei waren sie zu Fäusten geballt.
„Ich wollte dir alles Gute zum Geburtstag wünschen, Vivian“, sagte sie und sah mich unschuldig an.
„Gut das hast du jetzt. Dann kannst du auch wieder verschwinden“, brummte ich und spuckte ihr die Wörter förmlich ins Gesicht.
Sofort verzog sie das Gesicht und setzte den Hundeblick auf.
Was um alles auf der Welt wollte die Frau von mir?
Sie hatte sich ganze 13 Jahre nicht gemeldet und jetzt auf einmal stand sie vor mir und dachte ich würde sie mit offenen Armen begrüßen? Hatte die Frau überhaupt ein Gehirn?
Genervt seufze ich und starrte sie wutentbrannt an.
„Vivian, so kannst du echt nicht mit deiner Mutter reden“, meldete sich ihr Schosshund zu Wort und sah mich durch seine braunen Augen an.
Vergnügt schüttelte ich den Kopf und grinste über das ganze Gesicht.
„Sag du mir nicht was ich zu tun habe. Du bist vielleicht gerade mal drei Jahre älter als ich“, sagte ich amüsiert und sah mir den Muskelprotz an.
Aufgebracht richtete er sich auf und sah panisch von meiner Mutter zu mir und wieder zurück.
„Vivian, wärst du denn so lieb uns rein zu lassen?“, fragte Alexandra und klimperte mit ihren gefärbten Wimpern.
„Mhm, lass mich über legen. Nein!“.
Ich war gerade dabei ihr die Tür ins Gesicht zu schlagen als sich ein schwarzer Pump in die Türschwelle quetschte.
Ich sah durch den Spalt hindurch und blickte in wütende blaue Augen.
„Lass mich rein Vivian, du bist meine Tochter“, rief sie und knurrte kaum merklich.
„Meine Mutter? Das ich nicht lache. Du hast dich verdammte 13 Jahre nicht gemeldet und lieber mit Typen rumgemacht die gerade mal an die 20 grenzen. Ich habe vor einem Jahr keine Mutter gebraucht dann brauche ich sie jetzt auch nicht!“, schrie ich sie an und drückte fester gegen die Tür.
Mit vollem Gewicht stemmte ich mich gegen die Tür und schaffte es sogar, dass der Fuß meiner Mutter knackte.
Schnell zog sie diesen heraus und fing an zu schluchzen, sei es jetzt aus Schmerz oder wegen dem was ich ihr gesagt hatte.
Siegessicher lächelte ich und schloss die Tür. Gerade als sie in das Schloss fiel und ein angenehmes Klick ertönte, drang die Stimme meiner „Mutter“ noch einmal zu mir durch.
„Vivan du bist echt verzogen. Ich bin echt froh, dass ich eine solche Blage nicht 13 Jahre lang bei mir hatte. Du bist eine echte Schande!“, schimpfte sie und stiftelte geräuschvoll vom Damme.
Erleichtert seufze ich und kniff mir in den Nasenrücken.
Was war das gewesen? Und sollte ich Dad davon erzählen?
Noch einmal atmete ich tief durch, bevor ich zum Wohnzimmer lief und mich erschöpft auf das Sofa fallen ließ.
„Bin da Vivi!“, rief mein Vater laut als er das Haut betrat und seine Jacke aufhing. Mit kleinen Schritten lief ich auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Er konnte sich gerade so festhalten und verhindern das er fiel.
Unkontrolliert drückte ich ihn so fest an mich wie es mir gestattet war. Die ganze Sache mit meiner Mutter hatte mich aufgewühlt und durcheinander gebracht.
Ich drückte mein Gesicht in seine Halsbeuge und holte immer wieder tief Luft.
Vorsichtig legte er mir eine Hand aufs Haar und streichelte es, die andere Hand hatte er schlaff an meinem Rücken liegen.
„Was ist los mit dir ?“, fragte er besorgt und strahlte dabei eine unheimliche Wärme aus.
Ich probierte etwas zu sagen doch bekam ich beim besten Willen nichts heraus. Vielleicht ein Stottern doch hätte das auch nicht viel gebracht.
„Na komm, vielleicht kannst du es mir bei einem Stück Kuchen erzählen?“, fragte er nach und ich merkte, wie er ein warmes Lächeln auf die Lippen bekam.
Laut schniefte ich und lehnte mich von ihm weg. Außer ein bloßes Kopfnicken bekam ich nichts hin. So gingen wir Beide in die Küche und setzten uns gemütlich hin.
Mein Vater hatte mir noch vorher einen Kakao und Teller mitgebracht. Schließlich saß er vor mir und legte mir ein großes Stück Schokokuchen auf den Teller.
Mit einem kleinem Lächeln sah ich ihn an. Ich wusste nicht wie ich anfangen sollte.
Sollte ich sofort auf Alexandra zu sprechen kommen oder doch lieber von hinten heran gehen?
Schließlich entschied ich mich dafür erst einmal ein großen Happen Schokokuchen zu essen. Währenddessen sah mich mein Vater noch immer mit großen Augen an.
„Vivi, ist etwas mit Phil und dir passiert? Habt ihr euch gestritten?“, hakte er nach und sah mir fest in die Augen.
Fast hätte ich mich an meinem Bissen verschluckt. Was hatte da gerade mein Vater gesagt?
Phil und ich, Streit?
Nach dreifachen räuspern konnte ich endlich etwas sagen.
„Wie kommst du da drauf? Und warum sollte ich mich mit Phil streiten?“.
„Nun ich dachte mir, da ihr ja jetzt zusammen seid...“, fing er an und sein Blick wurde immer weicher. Schnell unterbrach ich ihn.
„Du weißt das ich und Phil zusammen sind?“, fragte ich empört und probierte meinen Mund zu zu behalten.
„Denkst du ich bin wirklich so doof, Vivi? Ich merke doch was ihr Abends in deinem Zimmer macht. Natürlich gefällt es mir nicht besonders aber kann es ich auch nicht ändern“, seufze er und blickte endlich mal von mir weg.
Schnell fuhr ich mir durch die Haare und schluckte hart.
„Wie lange schon? Wie lange weißt du es schon? Und warum findest du es nicht oke?“, stammelte ich verwirrt.
Ich war nicht böse auf mein Vater, ganz im Gegenteil.
Er erleichterte mir das alles, denn irgendwann wäre es so gewesen, dass ich es ihm hätte sagen müssen und dann wäre es doof gewesen, wenn ich gesagt hätte, dass ich schon Ewigkeiten mit Phil zusammen war.
„Schon die ganze Zeit. Seit dem Tag als du still und heimlich in dein Zimmer verschwunden warst. Und warum ich es nicht so sonderlich gut finde liegt daran, dass Phil wie mein eigener Sohn ist“, erklärte er und blickte auf den dunkelbraunen Kuchen der vor mir lag.
Erneut stopfte ich mir eine Gabel davon in den Mund und nahm danach einen großen Schluck Kakao.
„Aber so lange er dich nicht verletzt ist alles in Ordnung“, seufze mein Vater und legte die Hände gefaltet auf den Tisch.
Als ich den saftigen und sehr leckeren Kuchen hinunter geschluckte hatte sah ich meinen Vater in die Augen.
Ich konzentrierte mich nur auf das was ich sagen wollte.
Auf Alexandra.
„Dad?“, fragte ich leise nach und legte die Gabel zur Seite.
„Ja Vivi?“.
„Also weißt du, als ich heute Mittag nach Hause kam und mein Rucksack in die Ecke gepfeffert habe, ein wenig vom Kuchen geklaut und schließlich noch meine Geschenke ausgepackt habe... Apropos wie kommst du darauf mir meinen alten Schnuller zu schenken?“, zählte ich alles langsam auf und sah bei jedem neuen Wort die Mundwinkel meines Vaters sinken.
„Vivian! Bring es auf den Punkt“, motze er und sah mich mit hochgezogenen Braunen an
„Alexandra war hier“, seufze ich ergeben und blickte zum Tisch.
Einige dunkle Kuchenkrümmel lagen vor mir die wegwehten als ich sanft durch meine Lippen seufze.
„Deine Mutter?“, hakte mein Vater fassungslos nach und klag eindeutig verwirrt.
„Nenne dieses Geschöpf nicht meine Mutter. Sie ist eine Frau wie jede andere. Sie ist nicht meine Mutter nur weil sie mich zur Welt gebracht hat“.
„Ich weiß doch Vivi aber was wollte sie denn?“, mein Vater hatte sich langsam nach vorne gelehnt aber blickte irgendwie panisch im Raum umher. Als würde er wissen, dass er gleich erschreckt werden würde.
„Sie wollte hinein kommen und hat mir alles Gute zum Geburtstag gewünscht“, presste ich zwischen zusammengedrückten Zähnen hervor.
„Und?“.
„Was und?“, fragte ich zurück und blickte meinem Vater in die Augen als er endlich wieder entspannter wirkte.
„Hast du sie rein gelassen und so etwas halt. Vivi du musst es mir erzählen!“, zischte mein Vater und griff nach meiner Hand die auf dem Tisch lag.
Er ergriff sie und hielt sie sicher geschlossen in seiner. Seine Finger waren warm und leicht schwitzig, er zitterte...
war es jetzt aus Wut oder wegen einem anderen Grund?
„Na ja, ich habe ihr gesagt, dass ich sie nicht brauche und sie hat mir natürlich wieder Sachen gegen den Kopf geworfen. Aber Dad, dachtest du wirklich ich lasse sie und ihren Lover herein?“, fragte ich nach und zog dabei eine Braue hoch.
Ich hatte noch immer Blickkontakt mit meinem Dad doch seufze dieser und erhob sich. Er wirkte zusammen gedrückt, so niedergeschlagen.
„Dad?“, hauchte ich und strich mir durch die Haare.I ch folgte ihn mit meinen Augen wie er mit hängenden Schultern und einem kurzen Blick zu mir durch die Tür verschwand.
Ein ungutes Gefühl grollte sich in meiner Magengrube zusammen. Warum reagierte er so auf Alexandra? Warum brachte ihn diese Nachricht so aus der Fassung?!
Mein Blick flog durch den Raum, blieb an der Uhr hängen und mein Herz setzte aus.
Es war schon fünf Uhr und in einer Stunde würde Phil kommen und mich abholen!
Schnell rappelte ich mich auf, ließ den Kuchen und Kakao stehen und raste in mein Zimmer. Dort schwang ich meine Schranktüren auf und sah mir panisch meine Kleider an.
Ich hatte mir extra etwas ganz besonders für heute gekauft.
Für diesen Abend.
Mit ein paar Griffen in den Schrank, lief ich ins Bad und zog mich dort um. Als ich mir sicher war, dass ich kein Kuchen zwischen den Zähnen und mich umgezogen hatte, war ich fertig.
Mit Pfefferminze im Mund und wunderschönen Wellen in den Haaren stolzierte ich aus mein Zimmer heraus.
Es war abnormal für mich, mich auf zu brezeln.
Doch wollte ich alles perfekt haben. Es sollte kein Fehler passieren.
Das schwarze, knielange Kleid stand mir ungewöhnlich gut. Die schwarze Schminke nervte wohl ein wenig doch war das eins der wenigen Dinge die wirklich schlimm waren.
Als ich am Wohnzimmer vorbei kam spähte ich kurz hinein. Der Anblick meines Vaters brachte mich zum schlucken.
Er saß im Sessel, leblos und halb tot.
Ich blieb stehen und wollte zu ihm gehen. Ihn in den Arm nehmen und einen Witz reißen doch sah er wirklich deprimiert aus.
Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe, drehte mich um und nahm meine Jacke. Gerade wollte ich meinen Schlüssel nehmen als es an der Tür klingelte.
Schnell hetze ich zur dieser, riss sie auf und fiel der Person davor in die Arme.
Erst hatte ich Angst, dass es jemand anders war als Phil doch als das raue Lachen in mein Ohr drang war alles gut.
Ich hatte die Arme um seine Mitte geschlungen und legte den Kopf seitlich auf seine Brust.
Das starke und gleichmäßige Pochen war mir vertraut.
Es war das Pochen was ich hörte als ich einschlief und was ich hörte als ich neben ihm aufwachte.
„Vivi“, hauchte Phil kichernd und legte die Arme auch um mich. Seine Lippen näherten sich meinen Ohren als er sein Kopf senkte.
„Ist dein Vater hier in der Nähe?“,f ragte er ganz leise und berührte mein Ohrläppchen sanft.
Ohne ein Wort zu sagen schüttelte ich den Kopf und sah zu ihm hoch.
Seine grünen Augen fingen wieder einmal an zu funkeln, so wie die Sterne am Himmel, als er mich erblickte und nach Luft schnappte.
Sofort hielt er mich eine Armlänge von sich weg, musterte mich und fuhr sich mit der Zunge über die Lippe.
Die verdammte Röte stieg mir natürlich ins Gesicht.
„Vivian...“, hauchte er erneut und sah mich fassungslos und mit einer bestimmten Gier im Blick an.
Ich wollte den Mund öffnen und etwas sagen als er mich zu sich zog und seine Lippen auf meine drückte. Es war ein brennender und leidenschaftlicher Kuss der immer inniger wurde je länger er anhielt.
Gerade wollte sich seine Zunge durch meine Lippen zwängen als hohle Schritte ertönten. So schnell, dass ich Sterne sah, wirbelte mich Phil herum und hielt die Luft an.
„Ben!“, quiekte er ungewöhnlich hoch.
Er hatte eindeutig Panik, dass konnte ich spüren.
Mein Vater stand vor uns und sah uns mit ausdruckslos an. Seine einzige Reaktion auf das, was er gerade gesehen hatte, war ein kurzes Grinsen.
Da Phil noch immer total panisch war und jetzt auch noch probierte die Situation aufzuklären, half ich ihm.
„Also Ben, ich und Vivi, also, ich, wir beide, lange Geschichte, ähm?!“, stammelte er und fuhr sich durch die Haare.
„Phil?“, flüsterte ich und drehte mich zu ihm um.
„Warte Vivi, ich schaffe das“, sagte er entschlossen und trat einen Schritt nach vorne.
Nun regte sich doch etwas bei meinem Vater. Er verschränkte die Arme vor der Brust und setzte eine wütende Miene auf. Dabei lehnte er sich an den Türrahmen der Toilette und sah Phil argwöhnisch an.
Kurz schlug ich mir mit der flachen Hand auf die Stirn. Das würde was geben.
„Also Ben, ich weiß nicht wie ich es dir sagen soll aber...“, fing Phil an und blieb ungefähr ein Meter vor Dad stehen.
„Ja Phil Maximilian?“, fragte mein Vater und sah einen kurzen Moment zu mir. Mit gespitzten Lippen schüttelte ich meinen Kopf und ging auf die Beiden zu.
Phil würde sich jetzt eh nicht mehr abbringen lassen Dad alles zu erklären.
„Wir, also Vivi und ich“, probierte Phil es weiter und brach erneut ab.
„Ihr habt euch geküsst und es sah liebevoll aus also Phil, wie willst du das erklären?“, fragte mein Vater hart und richtete sich vor dem Riesen auf.
Mein Vater war wohl ein wenig kleiner, und normaler Weise bemerkte man dies nicht, doch jetzt sah man es extrem.
„Ich kann das erklären!“, stotterte Phil und sah kurz zur mir, unsere Blicke trafen sich und ich probierte so nett und warm zu gucken wie es nur ging.
Ich hasste mein Vater. Wie konnte er nur so etwas Phil antun?
„Dad, Phil“, sagte ich doch wurde mir das Wort zischend abgeschnitten.
„Vivi, lass es! Ich kann Ben alles erklären. Es ist so, Vivi und ich sind zusammen wir...“.
„Sag mir nicht was ich machen soll. Dad hör auf mit der Scheiße! Phil? Mein Vater weiß das wir zusammen sind und jetzt lass es gut sein“, sagte ich brummig und packte ihn am Arm, drehte ihn zu mir herum und sah ihm fest in die Augen.
„Ben, weiß Bescheid?“, hakte er nach und sah über seine Schulter.
„Es tut mir Leid, Phil. Das musste einfach sein“, mit diesen Worten drehte mein Vater uns den Rücken zu und verschwand ins Wohnzimmer.
Leise seufze mein Freund und ließ den Kopf hängen, legte ihn auf meine Schulter und stieß mir sein warmen Atem in den Nacken.
„Sry, aber du weißt wie Dad ist“, sagte ich und streichelte durch sein Haare. Kurz nickte Phil und sah mich strahlend an.
Er grinste und das...
gefiel mir gar nicht.
„Halb so schlimm, aber jetzt lass uns los zu mir. Ich habe schon Popcorn gemacht“, trällerte er und drückte mir ein letztes mal ein Kuss auf die Lippen.
Dann drehte er sich um und sein „Ich-habe-etwas-gemacht-und-sage-es-dir-nicht-Lächeln“ war aus meiner Sichtweite.
Er griff nach meiner Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. Dann öffnete er die Tür und schloss sie hinter uns als wir draußen waren.
Wir waren jetzt genau drei Schritte von Phils Haus entfernt und unsere Finger waren noch immer ineinander verschränkt. Die kühle Abendluft wehte sachte durch meine Haare und die Dunkelheit umgab uns.
„Was für einen Film wollen wir gucken?“, fragte ich nach und schaute zu ihm hoch als wir auf der Veranda stehen blieben.
„Kannst du entscheiden“, sagte er und steckte den Schlüssel in das Schlüsselloch. Langsam drehte er das Metall im Loch um und ein leises Klicken ertönte. Die Tür sprang ein Spalt auf und auch im Haus war es stockdunkel.
Mit einer kurzen Bewegung war die Tür sperrangelweit offen und es herrschte absolute Stille.
Ich spürte den Blick von Phil auf mir ruhen, er war schwer und ruhig.
„Willst du nicht hinein gehen?“, fragte ich leise nach und zog eine Braue nach oben und die Andere nach unten.
„Klar, aber Ladys first“, sagte er und machte ein elegante Handbewegung.
Noch einmal atmete ich tief ein. Meine Lunge füllte sich mit der kalten Abendluft und dann trat ich ein.
Ich wusste nicht warum aber hatte ich dabei ein komisches Gefühl.
Mein Magen zog sich unsanft zusammen und dehnte sich dann wieder in voller Pracht aus. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und noch immer herrschte es Stille. Es war vollkommen dunkel.
Unsicher tappte ich nach hinten und stieß gegen Phil, krallte mich in sein Shirt und atmete Stoßweise.
Seit ich denken konnte hatte ich Angst im Dunkel, seit...
Das Licht wurde angeschaltet und ich kniff meine Augen zusammen. Ein Schock durchfuhr mich und ein Kälteschauer lief mir über den Rücken.
„HAPPY BRITHDAY!“, schrie eine ganze Meute von Menschen und lautes Geknalle ertönte.
Unweigerlich zuckte ich bei jeden Schuss zusammen und schon fiel unzähliges Konfetti auf mich nieder.
Ich hatte meine Augen fest aufeinander gepresst und löste sie nun langsam voneinander. Als ich endlich wieder etwas sah, drehte ich mich um und wurde von knapp fünfzig Menschen angestarrt.
Viele hatten kleine Partyhüte auf dem Kopf und mit einem mal wurde laute Musik eingeschaltet.
Verwirrt wirbelte ich herum und sah Phil in die Augen.
Er lächelte und wirkte glücklich.
„Was?“, stammelte ich und sah wieder auf die Menge vor mich.
„Eine Überraschungsparty!“, schrie Phil um die laute Musik zu übertönen.
Schon kamen all meine Freunde auf mich zu was so viel bedeutete wie Ivy, Marcel und Paul.
Obwohl Paul nicht wirklicher mehr ein Freund von mir war.
Bestimmt waren die meisten Jugendlichen hier um Alkohol zu trinken oder einmal ordentlich ihr Gehirn heraus gebumst zu bekommen.
Leise seufze ich und wurde von Jedem kurz in den Arm genommen. Als Marcel mich an sich drückte legte er eine Hand auf meine Hüfte da die Andere belegt war mit einem Drink der in einem roten Plastikbecher war. Er roch männlich und ein wenig nach Aftershave. Tief zog ich sein Geruch ein und schloss kurz die Augen.
Als ich sie wieder öffnete war es nicht mehr die Hand von Marcel die auf meiner Hüfte lag sondern Phils.
Laut stieß ich die Luft aus und strich mir durch die Haare.
Wir standen in einem Kreis, vor der Tür, und sahen einander an.
„Ich habe doch gesagt, dass ich keine Party will“, motze ich streng und stemmte die eine Hand in die Hüfte dabei schob ich Phils weg.
Ivy kam zu mir und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Sie sah heute unheimlich hübsch aus. Sie trug ein Kleid in dunkelblau und dazu eine schwarze Perlenkette. Sie knuffte mir in die Seite und umarmte mich herzlich.
„Das musst du jetzt leider über die ergehen lassen, schließlich bist du jetzt achtzehn“, brüllte sie und drückte mir erneut einen Kuss auf die Wange.
Mit einem „Du-kommst-schon-zurecht-Lächeln“ kehrte sie mir den Rücken und stiefelte davon.
Nur noch Marcel und Paul standen vor uns und einer der Beiden durchbohrte mich regelrecht mit seinem Blick.
Mir war klar, dass Paul wusste das Phil und ich ein Paar waren. Er musste schließlich nur eins zu eins zählen.
Mit einem leisen Räuspern kehrte auch er uns den Rücken und verschwand in der Menschenmenge. Alle tanzten wild durcheinander und tranken ihre Drinks.
Marcel musterte mich mit einem zaghaften Lächeln.
„Das Geburtstagskind sieht heute wirklich hübsch aus“, sagte er und zwinkerte mir zu.
„Dankeschön, aber das kann ich nur zurück geben“, kicherte ich und schaute mir Marcel ganz genau an.
Er trug eine dunkle Jeans die eng saß und ein kariertes Hemd. Es war schmal geschnitten und zeigte all seine Vorteile.
„Willst du etwas trinken?“, brummte Phil leicht angesäuert in mein Ohr und strich mir eine Strähne hinters Ohr.
„Klar“, brüllte ich zurück und schaute wieder zu Marcel, dieser lächelte noch immer und hielt mir die Hand hin.
„Wollen sie tanzen, Madam?“.
Mit einem kurzem Nicken nahm ich seine Hand in meine und folgte ihm. Wir blieben auf der Tanzfläche stehen und fingen an zu tanzen.
Die Musik dröhnte ohne Erbarmen in meine Ohren und alles um uns herum vibrierte.
Ob Phils Nachbarn damit wirklich einverstanden waren?
Gerade beugte sich Marcel zu mir, um mir etwas ins Ohr zu flüstern, als ich an der Schulter an getippt wurde. Schnell wirbelte ich herum und blickte in die warmen grünen Augen die ich so sehr liebte. Ein Lächeln huschte mir über die Lippen.
Mit einem abweisenden Blick über meine Schulter, der wohl Marcel galt, drückte Phil mir den roten Plastikbecher in die Hand und machte eine bedeutungsvolle Kopfbewegung.
„Marcel wir sehen uns“, schrie ich und drückte ihm ein Kuss auf die Wange .Schon wurde ich an der Hand gepackt und weg geschleift.
Als Phil endlich zum stehen kam waren wir draußen im Garten, wo die Musik nicht mehr all zu laut war.
Völlig außer Atem und verwirrt, musterte ich meinen (überhaupt nicht eifersüchtigen) Freund.
„Was sollte das?“, zischte ich und fuhr mir durch die Haare.
„Was sollte was?“, hakte Phil nach und sah sich beiläufig um.
„Na das gerade. Ich dachte Marcel ist dein bester Freund. Warum reagierst du dann so?“.
„Ich dachte nur, dass wir diesen Abend miteinander verbringen“, nuschelte Phil vor sich hin und senkte den Blick.
„Miteinander verbringen?!“, wiederholte ich seine Worte argwöhnisch. Er sagte nichts, sah einfach zu Boden und nippte ein paar mal an seinem Drink.
„Das hättest du dir auch vorher überlegen können. Eine Party ist echt nicht der richtige Ort um ´alleine´ zu sein“, sagte ich wütend, ohne an die Meute im Haus zu denken, legte ich zwei Finger unter sein Kinn und hob es an.
„Ich weiß ja, aber...“.
„Kein Aber, du hast mich hierher geschleppt und jetzt lass uns auch wieder rein gehen. Es ist schließlich eine Party wegen mir“, mit diesen Worten drehte ich mich um und blickte durch die Glastür hindurch.
Alle lachten und schienen Spaß zu haben.
Und warum war ich dann jetzt so angepisst?
Vielleicht lag es daran, dass ich mich auf eine schöne Nacht zu zweit gefreut hatte?
Auf mein Erstes Mal?
„Vivi....“, hauchte Phil erneut und nahm mich bei der Hand. Schnell wirbelte ich mich wieder herum und sah mir fest in die Augen.
Seine Unterlippe war ein Stück vorgeschoben und wirkte so unglaublich verführerisch.
Um den Willen zu widerstehen biss ich mir selbst auf die Lippen so lange bis sie schon zu schmerzen begannen. Meine Hände glitten schon ganz alleine zu seinem Nacken und als ich das nächste mal zwinkerte lagen meine Lippen schon auf seinen.
Ich erforschte ihn. Meine Zunge kreiste durch seinen ganzen Mund, unsere Zungen liebkosten sich und meine Augen fingen unter den Lidern an zu wackeln.
Er war ein Gott im Küssen.
Immer wieder vergaß ich die Welt um mich herum. Ich wollte dann immer nur noch ihn. Ich wollte ihn spüren, ihn fühlen und lieben.
Und dieser Drang wurde immer größer und größer. Ich war alt genug dafür, alt genug um meine Neugierde nach zu gehen. Ich wollte wissen wie Phil schmeckte und sich auf eine ganz gewisse Art und Weise anfühlte.
Keuchend lösten wir uns voneinander und sahen uns in die Augen. Das Funkeln war wieder zurückgekehrt und schien gar nicht mehr aufzuhören. Ich konnte aus seinen wunderschönen Augen lesen, erkennen was er wollte.
Und das, was er jetzt wollte war:
Ich!
Ich konnte es ihm nicht verübeln, denn auch ich wollte nur Ihn. Ich wollte ihn schon seit ich denken konnte, wenn es jetzt auch nicht auf diese Art war.
Doch seit ein paar Monaten, oder doch vielleicht schon seit ich 14 war, wollte ich nur Phil.
Ich hatte mich schon immer zu ihm hingezogen gefühlt und hatte ihn wie mein Revier verteidigt.
Eigentlich war er meins seit er seine erste Freundin hatte.
Angela!
Vier Jahre zuvor.
„Phil du bist so komisch. Was ist los?“, fragte ich ihn leise und hoffte das die alte Frau Klauer mich nicht hörte.
Sie war tatsächlich die schlimmste Lehrerin der Welt. Wir waren gerade mal ein paar Jahre auf dieser Schule und ich hasste diese Frau schon so sehr wie meine eigene Mutter.
„Es ist wirklich nichts Vivi“, flüsterte Phil zurück und sah mich mit kleinen Augen an.
Sie schienen matt und er sah eindeutig müde aus, so als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen.
„Ach scheiße Phil! Ich weiß das du etwas hast. Ich merke das“, sagte ich schon etwas genervt und tratt ihn unter dem Tisch.
„Vivi“.
„Phil!“, äffte ich ihn nach.
„Na gut, du kennst doch Angela oder?“, fragte er ganz leise. Ihren Namen sagte er noch leiser und wirkte dabei irgendwie nervös.
„Ja, was ist mit ihr?“.
„Wir haben gestern etwas herum gehangen und wir haben uns geküsst“, sagte er und schaute dabei ausdruckslos nach vorne auf die Tafel.
„Wie ihr habt euch geküsst? So richtig?“.
„Irgendwie schon, sie und ich...ich weiß nicht“, er schien eindeutig durcheinander.
Aber was sollte ich schon sagen?
Es war das erste mal, dass Phil ein Mädchen freiwillig geküsst hatte und das erste mal, dass er...
„Ich glaube ich mag sie“, seufze er und strich sich durch die Haare.
Wouhh!
Moment mal, er „mag“ sie?
„Was meinst du mit mögen?“, hakte ich so beiläufig nach wie es ging.
„Na ja, ich habe ein bestimmtes Kribbeln im Bauch. Sie ist total hübsch und auch noch beliebt. Alle Jungs die ich kenne wollen etwas von ihr“, erzählte er und schweifte dabei völlig vom Thema ab.
„Phil! Liebst du sie?“, fragte ich leicht aggressiv und sah ihn streng an.
Ja, ich war eindeutig wütend.
Wie konnte er bloß ein anderes Mädchen mögen außer mich natürlich?
Er war mein bester Freund und das würde auch immer so bleiben, da könnte auch eine doofe Angela Cortney nichts ändern. Sie war wirklich eine der beliebtesten Schülerinnen, beliebt und begehrt. Aber trotzdem hasste ich dieses kleine Miststück.
Und warum?
Ganz einfach. Ich kannte sie seit ich sechs war und seit diesem Zeitpunkt, seit unserer ersten Begegnung, machte sie mich fertig.
Sie hänselte und beleidigte mich, schmierte mir Kleber in die Haare und zerschnitt meine Klamotten.
Also darf ich mit Recht und Fug behaupten, dass dieses Mädchen ein Miststück ist.
„Das kann ich noch nicht sagen“, seufze Phil neben mir und holte mich so zurück in die Realität, die sich Unterricht nannte.
„Schön, ich hoffe doch das sie sich beim küssen verschluckt und stirbt“, nuschelte ich leise und lehnte mich schlampig auf mein Handballen.
Noch immer sahen wir uns in die Augen, die Leidenschaft und das unendliche Verlangen war aus seinen Augen nicht verschwunden.
Er hielt meine Hände in seine und atmete unregelmäßig.
Ich wusste was er in diesem Moment von mir wollte und wahrscheinlich wusste er auch,dass ich es auch wollte.
Aber war ich mir definitiv sicher,dass dies hier nicht der richtige Ort dazu war.
Kurz schloss ich meine Augen und ließ mein schnell schlagendes Herz alles übermannen
Als ich sie wieder öffnete sah mich Phil mit geweitete Pupillen an, seine Wangen waren leicht rot gefärbt und seine Haare durcheinander.
Hatte ich meine Hände in die vergruben?
Schnell wich ich einen Schritt von ihm zurück und fuhr mir nervös durch die Haare.
Panisch blickte ich um mich und schaute nach Personen Ausschau die vielleicht etwas von dem hier gesehen hatten.
„Vivi was ist los?“,fragte Phil außer Atem und kam einen Schritt auf mich zu.
„Nichts, nichts!“,sagte ich schnell und wich wieder einen Schritt nach hinten.
All das durfte gar nicht passieren, wie konnte ich nur so unvorsichtig sein?
„Ich gehe lieber rein,bestimmt sucht mich Ivy schon“,stammelte ich und drehte mich um.
Ohne ein letztes mal nach hinten zu sehen, ging ich davon und betrat das Haus wieder.
Als ich durch die Tür trat und mein Fuß auf das Paket stellte, dröhnte mir auch schon wieder die Musik in den Ohren.
Alle tanzten noch immer und redeten gegen die Musik an.
Suchend sah ich mich um, wo war Ivy?
Mein Blick glitt über all die Köpfe, biss ich einen kurzen braunen Schopf entdeckte.Mit schnellen Schritten ging ich auf ihn zu und tippte Ivy an der Schulter.
Sie unterhielt sich gerade mit einem Jungen, der einiges größer war als sie.
Langsam drehte sie sich zu mir und lächelte mir zu.
„Vivi!“,brüllte sie laut, was wiederum doch leise war.
„Das ist Maik“,sagte sie und guckte neben sich.Der große blonde Junge war also Maik, er lächelte und entblößte so eine Reihe perfekt weiße Zähne.
„Hi, lange nicht mehr gesehen Vivi.Du hast dich ziemlich verändert“.
„Hey, kann ich nur zurück geben.Wie fühlt es sich so an, als werdender Vater?“,fragte ich und blickte an die Beiden hinunter.
Maik hatte einen Arm um Ivys Hüfte gelegt und sie tat das selbe,also waren sie jetzt endlich zusammen.
Ivy hatte mir fast tagelang die Ohren voll geheult wegen Maik,sie wollte es ihm nicht sagen,dass sie schwanger ist.Doch sah es jetzt danach aus,als seien sie glücklich.
„Ich kann mich nicht beklagen“,sagte er und drückte Ivy einen Kuss auf die Lippen.
Sie schlossen für einen kurzen Moment die Augen und versanken ganz in ihrer Liebe,Übelkeit stieg in mir auf.
Meinen Blick wandte ich ab, sollte ich nicht eigentlich glücklich für die beiden sein?
Sollte ich nicht glücklich sein, da ich jetzt mit Phil zusammen war?!
Die Musik wechselte abrupt, was mich mehr als nur wunderte, von schnell und rockig kam etwas langsames und natürlich ein Liebeslied.
Ähm... Hallo?
Das ist mein Geburtstag, warum wird da ein Liebeslied gespielt?
Genervt verdrehte ich die Augen und seufze laut aus.
Ich kannte das Lied.
The Script - Man Who Can't Be Moved
„Alles gut, Vivi?“,fragte Ivy und lächelte mir zu.
„Ja,ja alles gut.Ich werde glaube ich ein wenig Luft schnappen gehen“,stammelte ich und drehte mich perplex von meiner besten Freundin weg.
„Vivi!“,hörte ich sie noch brüllen, doch war ich schon mehrere Meter von ihr entfernt.
War das alles ein Zufall?
Ich wusste echt nicht was mit mir los war, ich war vollkommen durcheinander.Ich war mir sicher, dass ich Phil über alles liebte doch war ich wirklich schon bereit?
Bereit mich fallen zu lassen?
Irgendwie war es schon komisch unsere Beziehung, wir waren zusammen, doch auch wiederum nicht.
Ich hatte ständig Angst um uns, er war schon immer ein kleiner Macho gewesen und ich konnte einfach nicht glauben,dass er es einfach ablegen konnte.
Bestimmt würde ich ihn irgendwann knutschend mit einer anderen finden, er würde mir vorwerfen, dass ich unsere Beziehung nicht öffentlich machte.
Das ich nicht zu ihm stehen würde oder so etwas.
Ich legte meine Hand auf die Klinke und war drauf und dran sie hinunter zu drücken, als ein schmerzender Stich mir ins Herz stoß.
Heftig schnappte ich nach Luft und riss die Augen auf.
War das ein Zeichen?
Ich wusste wirklich nicht warum ich mich so verhielt und warum ich überhaupt solche Gedanken hatte.Lag es daran,dass all meine Gefühle durch meine Mutter durcheinander geworfen wurden?
Das mein ganzer Kopf einfach verkehrt herum war und ich einfach nicht sehen wollte wie viel Glück ich mit Phil hatte?
Etwas schweres und glühendes lag auf meinem Brustkorb,meine Hand schnellte zu meinem Schlüsselbein.
Die Kette.
Das kalte Silber war glatt und eigentlich leicht, doch wog die Kette gerade mehrere Kilo.Leise seufze ich und ließ das Herz in meinem Fingern kreisen.
Ich stand noch immer vor der Haustür und starrte das weiße Holz an.
Tief atmete ich durch und ließ meine Lunge sich mit der stickigen Luft füllen.Winzige Staubpartikel flogen wie ein kleiner Wasserstrudel um mich herum, das gedämpfte Licht machte die ganze Party recht gemütlich.
Heftig biss ich mir auf die Unterlippe und drehte mich um.All meine Muskeln waren angespannt,sie zitterten schon.
Mit schnellen und festen Schritten bahnte ich mir einen Weg durch die tanzende Menge,dabei wurde ich von allen Seiten begrüßt.
Gut so!
Immer schneller wurde ich und blieb schließlich mitten im Raum stehen.
Ich schaute mich schnell um, fand ihn und rannte förmlich auf ihn zu.
„
PHIL
!“,schrie ich und flog gerade rechtzeitig in seine Arme.Er hatte sich genau im passenden Moment umgedreht und so mich nun geschockt an.
Er hielt unsicher seine Arme um mich und atmete mehr als nur schnell.
Mit Tränen in den Augen löste ich mich von seiner Brust und blickte in seine Augen.
Pardon!
In
meine
Augen.
Er sah fassungslos und verwirrt aus,ratlos und eindeutig nicht imstande etwas zu sagen.
„Es tut mir leid“,schluchze ich kaum hörbar und stellte mich auf die Zehnspitzen.
Mit voller Kraft drückte ich meine Lippen auf seine und floss mal wieder in meine eigene Welt.
Wäre der Lautstärkepegel nicht so extrem angestiegen und die Musik verstummt, hätte ich nicht mitbekommen, dass alle uns ansahen und anfingen zu klatschen.
Sie schrien und manche machten auch Bemerkungen, die aber positiv waren als negativ.
Immer fester küsste ich ihn, bis ich schließlich nach Luft schnappen musste.
„Für was ist das?“,fragte er nuschelnd unter meinen Lippen.
Dabei hauchte er mir sein Atem in den Mund und ließ mich erst recht verrückt werden.
„Klappe!“,zischte ich und griff in seine Haare,zog sein Gesicht noch näher zu meines und ließ meiner Zunge freien Lauf.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals und die tausenden von Schmetterlingen konnten die Wahrheit auch nicht leugnen:
Ich liebte den Macho der mein bester Freund war und daran konnten meine doofen Gedanken auch nichts ändern.
„Ich hatte schon immer gewusst,dass aus euch beiden etwas wird.Ihr passt einfach so gut zusammen“,kicherte Ivy neben mir und warf mir einen vielsagenden Blick zu.
„Ist schon klar, nach dem hundertsten mal habe ich es auch verstanden“,brummte Phil und tippte vom einen Fuß auf den anderen.
Er wirkte nervös, war es ihm jetzt doch unangenehm das jeder es wusste?
Es war unglaublich, dieses Hochgefühl, ich hatte mich endlich getraut.Nun wusste wirklich jeder das ich mit Phil zusammen war,zu mindestens hatte jeder gesehen wie wir uns küssten.
Was sie jetzt darunter verstanden, war aber eine andere Sache.
Irgendwie hatte ich mir den ganzen Ablauf anders vorgestellt, ich würde es klammheimlich Ivy erzählen und sie würde mich hassen, ignorieren oder vielleicht auch hauen.Schließlich war sie meine beste Freundin und ihr hatte ich nicht gesagt,dass ich mit Phil,meinen ehemaligen besten Freund und jetzt festen Freund,zusammen war.
Doch das sie mit Glückstränen und einem breiten Grinsen neben mir stand, hätte ich nie gedacht.
„Wie dem auch sei, wie lange geht das schon zwischen euch beiden?“,fragte sie neugierig und nippte an ihrem roten Plastikbecher.
Wir hatten uns in eine Ecke zurück gezogen und wollten ein wenig reden, na gut Ivy wollte reden aber das schuldete ich ihr.
„Eigentlich noch gar nicht so lange“,nuschelte ich und wurde prompt rot.
Hatte ich wirklich vergessen welcher Tag es war?
Ich wusste was an diesem Tag passiert war – was ja auch nicht schwer war – aber das exakte Datum, damit konnte ich nicht dienen.
Hilflos sah ich zu Phil hoch und entdeckte bei ihm den gleichen Gesichtsausdruck wie bei mir.
Schnell verkniff ich mir ein Kichern und lächelte entschuldigend zu meiner besten Freundin, die noch immer stillschweigend vor uns stand.
„Ihr wisst nicht euren Tag?“,hackte sie empört nach und stemmte die Hände in die Hüfte.
„Nein, muss man das den wissen?“,fragte ich zurück und blickte sie mit großen Augen an.
„Natürlich,dass ist das Wichtigste in einer Beziehung“.
„In keiner meiner Beziehungen war dieser Tag wichtig“,mischte sich Phil ein und wurde sofort von Ivy mit Blicken gestraft.
Sie war eindeutig stinkig und das war nie gut bei ihr.
„Ist ja auch klar, mein Lieber.Du hattest doch jeden zweiten Tag eine neue kleine Tusse“,zischte sie und sah mich wieder an.
Phil rührte sich nicht mehr neben mir, das letzte mal als sich die beiden gestritten hatten, war in der fünften Klasse gewesen.Und dieser Streit hatte mit einer Schlägerei und abgeschnittenen Haaren geendet ( und das für beide)!
„Ich geh lieber mal“,seufze Phil und drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange,danach strich er mir übers Haar und verschwand.
Lange sah ich ihm noch nach ,bis Ivy meine Hand nahm und anfing zu kichern.
„Gehts dir gut?“,fragte ich verwirrt nach und zog die Brauen zusammen.
„Ja, aber habt ihr schon...?! Du weißt schon“,kicherte sie und pickte mir in die Hüfte.Schnell brachte ich meine Hüften in Sicherheit und sah ihr fest in die Augen.
„Nein, ich hatte es vor ,doch ihr musstet mir ja eine Überraschungsparty geben“,brummte ich gespielt sauer und fing an laut los zu lachen.
Auch Ivy konnte sich nicht mehr halten und fing lauthals an zu lachen.
Ich liebe Ivy!
„Aber du kannst es doch noch immer..“,fing sie an und sah spitzbübisch zu mir rüber, als wir uns einigermaßen wieder beruhigt hatten.
„Ivy! Ich werde nicht mein erstes Mal auf einer Party haben, wer bin ich den?“,rief ich dazwischen und funkelte sie an.
Ehrlich gesagt hatte ich keine Lust auf so ein Gespräch, es war doch wirklich meine Sache,wann ich mit Phil schlafe.
Klar, Freundinnen sprachen darüber, aber nicht ich.
„Ist schon gut, ich hole mir noch ein Saft“,brumme sie und verschwand.Mit den Augen folgte ich ihre Bewegungen und sah auch ihre schlaffen Schultern.
Ich hatte eindeutig zu grob reagiert.
Klar,jetzt hatte ich wieder ein schlechtes Gewissen.
Langsam ließ ich den Kopf hängen und legte mir eine Hand in den Nacken, fest drückte ich dort die Muskeln zusammen und ließ sie wieder locker.
Man, war ich verspannt!
„Na kleiner Engel“,hauchte mir jemand ins Ohr und ließ mich zusammenzucken.
Erschrocken sah ich hoch und schnappte nach Luft.
„Leon?“,quiekte ich und trat einen Schritt nach hinten.
„Hallo Vivi“,hauchte er und lehnte sich gegen die Wand,er sah lässig aus und wie immer verdammt heiß!
„Was machst du den hier?“,stammelte ich und fuhr mir nervös durch die Haare.
Wir hielten Blickkontakt und ich spürte die sofortige Spannung zwischen uns beiden.
„Ich wollte dich sehen, ist schon eine kleine Ewigkeit her, oder?“.
„Ja, aber wie kommst du hier rein? Also, das ist eine geschlossene Party“,mir fiel nicht ein was ich sagen sollte.
„Na und? Ich wollte dich sehen und da du nie an dein Handy gehst..“,fing er an und stoppte,er kam ein Schritt auf mich zu und blieb genau vor mir stehen.
Jetzt gerade bereute ich es,dass ich noch immer in der Ecke stand
„Leon...“,stieß ich schwer hervor und probierte so viel Platz zwischen uns zu lassen wie es nur ging.
Doch klappte es nicht...
Kurze Zeit später war ich schon an seine Brust gedrückt und hörte sein Herzschlag,sein Atem streifte meine Haut und mein ganzer Körper reagierte ganz empfindlich auf ihn.
„Vivi,ich habe dich so vermisst.Dein Lachen,deine Augen...“,raunte er verführerisch.
Die Musik und all die anderen Geräusche wurden zur Hintergrundmusik.
„Ich kann nicht ohne dich...“.
Ich schloss die Augen und atmete tief durch,wünschte die Kraft zu haben Leon weg zustoßen und zu Phil zu rennen.
Aber...
„Leon,ich kann das nicht!“,sagte ich bestimmt und riss die Augen auf,mein Verstand war wieder klar und der dichte Nebel hatte sich verzogen.
Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken,streckte ich die Arme aus und drückte sie gegen Leons Brustkorb,stieß ihn weg und probierte wieder gleichmäßig zu atmen.
„Vivi, ich merke doch das du es auch willst“,hauchte Leon und sah mich mit seinen großen grauen Augen an, seine schwarzen Haare waren ein Stück kürzer, als beim letzten mal.
„Nein, ich will das nicht!“,brüllte ich und ballte die Händen zu Fäusten, „du bist krank Leon, du bist ein Psychopath“.
Stille.
„Vivi? Leon?“.
Schnell wirbelte ich herum und sah zwei grüne Augen die absolut fassungslos guckten.
„Phil...“,mir fehlten mal wieder die Worte.
„Leon,was machst du hier? Wie bist du überhaupt hier rein gekommen?“,schrie Phil aufgebracht und kam auf uns zugestampft, er drückte mich unsanft zur Seite und baute sich vor Leon auf.
Bedrohlich sahen sich die beiden gegenseitig in die Augen, sie boten sich ein wahres Duell.
„Es war echt einfach auf deine Loser-Party zu kommen,schließlich war die Tür nicht verschlossen“,lachte Leon und trat einen Schritt nach vorne.Phil reagierte aggressiv und stieß Leon von sich weg,alles geschah so schnell.
Die Spannung zwischen den Beiden explodierte in Sekunden und schon lagen sie aufeinander.
Sie schlugen,brüllten und Blut floss.
„Verdammt nochmal ,hört auf!“,schrie ich aufgebracht und probierte Phil von Leon zu bekommen,der gerade oben war.
Mit einer gewaltigen Wucht wurde ich zu Boden geworfen und sah hilflos zu wie Phil auf Leon einschlug.Immer und immer wieder traf Phil Faust Leons Gesicht.
„AUFHÖREN!“,schrie ich ein letztes mal und fing an zu zittern.
Nach und nach bekam jeder auf der Party mit,dass sich zwei Personen schlugen,alle stellten sich um uns herum und feuerten die beiden an.
Und keiner beachtete mich...
Wut,unendliche Wut stieg in mir auf.
Ich rappelte mich auf,schubste alle vor mir weg und bahnte mir einen Weg durch die Menge,die noch immer jubelte.
Als ich endlich die Beiden wieder sah,holte ich noch ein letztes mal tief Luft,krempelte die Ärmel hoch und stürmte auf die Beiden zu.
Ich packte Phil an den Schultern und zog ihn mit voller Kraft von Leon, ich hätte es nicht gedacht, doch schaffte ich es tatsächlich.
Völlig außer Atem probierte ich Phil hinter mir zu halten,als dieser stand.
Er probierte an mir vorbei zu kommen und war richtig hibbelig. Leon kam gerade auf die Beine und sah mit blutverschmierten Gesicht zu mir, seine Augen loderten.
„Hört auf mit so einer Scheiße“,sagte ich ruhig und blickte hinter mich zu Phil.
„Er war es doch der...“,setzte Phil an und strich sich mit dem Ärmel übers Gesicht.
„Klappe! Haltet einfach eure Klappe“,schrie ich giftig und wandte mich Leon zu.
„Und du“,setzte ich an und sah kurz um mich , „du verschwindest jetzt hier“.
„Du hast mir gar nichts zu sage Vivi“,gab Leon brummig zurück und fuhr sich durch die Haare, sein Shirt war jetzt bestimmt zwei Nummern größer und um einige Farbe reicher.
„Doch das habe ich und jetzt verschwinde, ich will dich nie wieder in meinem Leben sehen“,brüllte ich und hielt Phils Hand fest,meine Knöchel stachen schon weiß hervor, solche Kraft setzte ich ein.
Abfällig schnalzte Leon mit der Zunge, drehte sich um und wurde mit Buh-Rufen verabschiedet.
Als eine erdrückende Stille entstand und noch immer alle um uns herum standen,fing ich wieder an zu zittern.
„Und ihr schaut nicht so dumm, entweder geht wieder tanzen oder verschwindet“,keifte ich und blickte jeden einzelnen kurz wütend in die Augen.
Nach und nach löste sich die Gruppe um uns auf und nuschelten aufgebracht miteinander.
Entnervt seufze ich und ließ mich gegen die Wand fallen, mein ganzer Körper zitterte und meine Hände waren zu Fäusten geballt ,die sich einfach nicht wieder lockern wollten.
Das war ja eine super Party.
„Vivi...“,hauchte Phil und kam auf mich zu, er griff nach meinen Händen und strich mir mit dem Daumen über den Handrücken.
Müde blickte ich in seine jagdgrünen Augen ,seufze und ließ den Kopf hängen.
Ohne ein weiteres Wort,legten sich Arme um mich und hielten mich sicher.Ich fing an zu schluchzen und konnte meine Tränen nicht länger zurück halten, sie liefen ungehindert an meinen Wangen hinunter.Mit voller Kraft legte ich meine Arme um Phils Mitte und presste mich an ihn,mein Gesicht vergrub ich in seiner Brust.
Ich zog seinen Duft ein und ließ mich vollkommen davon benebeln.
Lippen legten sich auf mein Haar und Hitze durchströmte meinen Körper.
„Vivi,ruhig“,flüsterte Phil in mein Ohr und strahlte eine unglaubliche Wärme aus.
Ich wollte etwas sagen,sagen dass es mir gut ginge und so etwas, aber ging es nicht.
Ich weinte wie ein kleines Kind an Phils Brust, probierte nicht einmal mehr das Schluchzen zu unterdrücken.
Manchmal war es einfach besser seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.
Nach einiger Zeit löste sich Phil langsam von mir und hielt mich eine Armlänge weit weg von sich, die Musik war wieder an und alle taten so,als sei nichts passiert.
Das konnten wir echt gut, keine Generation konnte so gut alles abstreiten und vertuschen wie wir.
„Geht es wieder?“,fragte er fürsorglich nach und strich mir eine Strähne hinters Ohr.
Stumm nickte ich und sah ihn einfach an, seine grasgrünen Augen funkelten und das Blut das ihm an der Schläfe hinunter lief trocknete langsam.
Moment!
Blut!
„Scheiße, Phil du blutest“,brachte ich laut heraus und streckte die Hand aus, leicht berührte ich die Wunde an seinem Kopf.
„Ach,dass geht schon.Mach dir darüber keinen Kopf,soll ich dich nach Hause bringen?“.
Er schaute hoch auf meinen Finger der noch immer an seinem Kopf war,mein Blick lag ebenfalls auf der Wunde.
„Nach Hause?“,wiederholte ich seine Worte und ließ meine Hand endlich sinken.
„Ja“.
„Aber die Party...“,probierte ich zu widersprechen, doch ging Phil schnell dazwischen.
„Die ist egal, na komm!“,schon wurde ich von ihm an der Hand weg geschleppt.Ich stolperte durch die Räume und stand schließlich vor Phils Auto.
„Aber...“,setzte ich erneut an.
„Kein Aber, ich bringe dich jetzt nach Hause“,sagte er streng und hielt mir die Tür auf.
Ich hatte nicht vor einzusteigen schließlich war dies mein Party und ich konnte nicht einfach nach Hause fahren.
Zu mindestens müsste ich Ivy Bescheid geben,den sie würde sauer auf mich sein wenn ich einfach gehe.
„Ich will aber nicht nach Hause“,gab ich pampig zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Vivi, was ist mit dir los? Du bist von einem Moment auf den anderen ganz anderes, erst traurig dann sauer,erst glücklich dann traurig...“,Phil schaute mir in die Augen und schüttelte verständnislos langsam den Kopf, „ich verstehe dich nicht mehr...“.
Ungläubig starrte ich Phil an, ich hatte mich doch nicht verändert.
In Ordnung ,meine Stimmung wechselte sehr oft und ziemlich schnell, aber das tat sie schon immer.Mit mir war alles gut,Phil war doch derjenige gewesen der Leon geschlagen hatte und der in mir diese Zweifel auslöste.
Er war der ehemalige Macho...
„Und wenn auch, Phil du bist nicht besser“,gab ich zickig zurück.
Seine Brauen sprangen nach oben und sein Mund klappte ein paar Zentimeter auf.
„Wie bitte?“.
„Du bist wirklich nicht besser Phil, du hast Leon geschlagen und mit allem angefangen“,fing ich an und schaute zu Boden.
Ich wollte nicht in Phils Augen blicken, ich wusste was für ein Ausdruck nun in ihnen liegen würde. Ein Räuspern ertönte und eine Tür wurde zu geschlagen,als ich aufblickte und das Feuer in Phils Augen sah bekam ich Angst.
„Phil?“,fragte ich vorsichtig nach.
„Vivian!“brüllte er und blitze mich an, „Ich habe Leon geschlagen,weil er dich angemacht hat und weil er einfach mein Haus betreten hat,weil er ein Arsch ist und weil er nur Scheiße redet.Ich könnte noch viel mehr Gründe auflisten“.
So sauer hatte ich Phil lange nicht mehr gesehen, er war wütend,verletzt und fassungslos zugleich.
Ich legte meine kühle Hand an meinen Kopf und schloss die Augen.Mein Kopf pochte vor Schmerzen und ein Piepen hing in meinen Ohren.
Warum hatte ich das überhaupt gesagt, ich merkte doch wie ich alles nur noch schwerer machte und trotzdem sagte ich immer wieder so ein Schwachsinn.
Laut seufze ich.
„Es tut mir Leid Phil, so meinte ich das gar nicht. Ich bin einfach nur verwirrt,durcheinander,nicht ich selbst“,nuschelte ich leise und traute nicht in seine Augen zu gucken.
„Und warum?“,hackte er nach.
„Ist doch egal...“.
„Vivi!“,ermahnte Phil mich.
„Weil ich Angst habe,dass du dich in eine andere verliebst oder mich für eine tolle Blondine sitzen lässt“.
Schüchtern schaute ich auf und unsere Blicke trafen sich,auf seinem Gesicht spiegelte sich nichts wieder.Nicht rührte sich.
„Alles in Ordnung?“,hackte ich vorsichtig nach und trat einen Schritt auf die Statur meine Freundes zu.
Er sah abweisend und absolut regungslos aus,bis er begann zu lachen.Er fing lauthals an zu lachen und stütze sich an seinem Auto ab.
„Phil ist alles okey?“.
Nichts, er lachte einfach weiter und würde sich bestimmt auf dem Boden kugeln, wenn er nicht seine Klamotten dabei dreckig machen würde.
Leicht angesäuert über sein Verhalten,schob ich die Unterlippe vor und tippte mit der Fußspitze auf den Boden.
„Hallo?“,stieß ich genervt hervor, „Phil, kannst du mir bitte sagen was so lustig ist?“.
So schnell das es unnatürlich war,hörte er auf zu lachen und sah mich ernst an.Er kam einen Schritt auf mich zu und legte mir beide Hände ans Gesicht, ich saß in der Falle, ich musste in seine Augen gucken.
„Vivi, du hast Angst das ich dich sitzen lasse oder betrüge?“,hackte er nach und hauchte mir sein Atem ins Gesicht.
„Ja“.
„Bist du den vollkommen bescheuert, ich habe mich für dich entschieden.Ich Liebe Dich Vivi“,beteuerte er und wirkte auf einmal unendlich traurig.
„Ich weiß,.aber...“,fing ich an und suchte nach Worten.
„Ich liebe dich und werde das auch immer, mein ganzes Leben lang schon liebe ich dich.Du musst schon ziemlich bescheuert sein,wenn du glaubst das ich dich für ein dahergelaufenes Mädchen sitzen lasse“.
Darauf konnte ich nichts antworten,eine Welle voller Gefühle schwappte in mir über.
Phil hatte mir seine Liebe gestanden ,obwohl ich ein dummes,komisches Mädchen war und bin.
Meine Mundwinkel zogen sich nach oben ,meine Augen brannten und schon fast von selbst legten sich meine Hände in Phils Nacken.
Wir sahen einander an und die Welt blieb stehen.
„Ich Liebe Dich auch“,hauchte ich zittrig und legte meine Lippen auf seine,meine Augen schlossen sich und willenlos gab ich mich dahin.
Wie oft musste ich noch in eine solche Situation geraten bis ich verstanden habe,dass Phil mich liebt?.
Phil machte einen Schritt nach vorne und lehnte mich so gegen den Wagen,seine Hände wanderten hinunter zu meiner Hüfte.
Ich hatte keinen blassen Schimmer warum ich immer so war,so anderes.Manchmal kam ich mir selber fremd vor,als sei ich eine andere Person.
Ob mich das Glück mit Phil so verrückt machte oder war es die Tatsache,dass ich all dies gar nicht kannte?
Langsam löste er sich von mir und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
„Ich stehe gar nicht auf Blondinen“,raunte er in mein Ohr und biss in mein Ohrläppchen.Ich legte den Kopf in den Nacken und ließ jeden einzelne Kuss von Phil auf meinem Hals einbrennen.
Genoss das Gefühl,dass er mich begehrte und liebte.
„Da wird Tascha aber sehr traurig sein“,kicherte ich und öffnete ein wenig mein rechtes Auge,sofort blickte Phil mich an und lächelte schief.
„Ich werde dich aber trotzdem nach Hause bringen,du siehst müde aus“,hauchte er verführerisch und legte ein letztes mal seine Lippen auf meine.
Da konnte ich nicht mehr widersprechen.
Als er sich vollkommen von mir entfernte und mir wieder einmal die Tür aufhielt, stieg ich ein und schnallte mich an.Die Tür wurde zugeschlagen und wenige Atemzüge später saß Phil neben mir.
Er ließ den Motor aufheulen und fuhr los, die Fahrt über, die nicht gerade lange dauerte,war still.Die Musik aus dem Radio war mindestens aus den achtzigern und der Sternenhimmel war nicht mal einer, da er keine Sterne hatte.
Mit einem Ruckeln blieb der Wagen stehen und Phil ließ die Hände vom Lenkrad sinken.
„Da sind wir“.
„Jop,da sind wir“,seufze ich und blickte zu meiner Rechten, wo sich unser Haus auftat.
„Ben schläft bestimmt schon“,sagte Phil, ich spürte seinen Blick auf mir ruhen.
„Höchstwahrscheinlich,also kommst du mir rein?“,fragte ich nach und schaute Phil an.
„Nein,ich muss mein Haus beschützen sonst bringen mich meine Eltern noch um“.
Langsam nickte ich und strich mir durch die Haare, eigentlich hatte ich keine große Lust Phil jetzt zu verlassen, doch würde ich jetzt lieber nach Hause gehen als wieder mit Phil zu „streiten“.
Ich legte die Hand auf den Türgriff und wollte gerade aussteigen,als ich am Arm gepackte und nach links gezogen wurde.Leise schrie ich überrascht auf, doch wurde dieser Schrei von Lippen gestoppt.
Phils Hand glitt in meine Haare und schon saß ich breitbeinig auf seinem Schoss.Am liebsten hätte ich mich meinen Gefühlen hingegeben und ihn jetzt und hier vernascht...
Doch ein Auto war absolut nicht der richtige Ort und vor allem nicht vor meinem Zuhause und in der Öffentlichkeit.
Leise seufze ich Phil in den Mund und lehnte mich nach hinten,Phils Hände waren gewandert und nun an meinem Po.
„Ich geh jetzt lieber“,hauchte ich und strich meine Zunge über meine Lippen.
„Okey...“.
Phil öffnete die Tür und ich schwang mich von ihm runter,blieb vor dem Auto stehen und beugte mich noch einmal zu ihm.
„Ich liebe dich“,sagte ich als ich wieder aufrecht stand und zog meine Jacke bis obenhin zu.
„Ich dich auch!“,gab er zurück und lächelte das süßeste Lächeln der Welt.
Ich wollte gerade die Tür zuschlagen als mir ein Gedanke durch den Kopf hüpfte.
„Ivy! Phil,kannst du Ivy sagen,dass...“,fing ich an, doch unterbrach er mich.
„Klar, mach ich.Schlaf schön“.
Kurz lächelte ich,bevor ich die Tür zuwarf und zur Haustür schlenderte, dort drehte ich mich um und winkte Phil zu, als dieser wegfuhr.
Als ich das Haus betreten hatte, brummte mir der Kopf,meine Glieder waren steif und mein Herz raste.
Alles was heute passiert war,ging ich noch einmal im Kopf durch.Was ich gesagt hatte, was Phil gesagt hatte und wie alles aus den Fugen geraten war.
Wie ich fast einen Streit mit Phil hatte und ich fast am scheitern gewesen war.
Partys waren absolut nicht mein Ding!
Müde schleppte ich mich ins Bad, dort duschte ich knapp eine halbe Stunde und zog mir meinen Schlafanzug an, der aus einer Hotpants und Shirt bestand.
Mit halb geschlossenen Augen saß ich auf meinem Bett und starrte zu Boden, bestimmt würde ich einfach gleich umfallen und einschlafen.
Ich würde vielleicht alles vergessen was ich gesagt hatte?
Mein Kopf fiel nach vorne,die Augen nun vollkommen geschlossen,ich atmete gleichmäßig und ließ den Schlaf über mich kommen.
Ich wollte schlafen, obwohl ich es ein wenig doof fand,dass ich nicht mehr auf der Party war.
Ivy würde mich umbringen,schließlich war es meine Party.
Ich war gerade drauf und dran mich endgültig schlafen zu legen ,oder mich einfach nach vorne fallen zu lassen und auf dem Boden das Nickerchen zuhalten,doch machte mich ein Krachen hellwach.
Wie ein Zäpfchen sprang ich auf und riss die Augenlider weit auseinander.
Ich lauschte und hielt den Atem an, das Blut rauschte mir in den Ohren.
Da mein Vater schlief konnte er es nicht sein und noch jemand lebte nicht hier,außer manchmal die Nachbar Katze Josh, aber das war eine andere Geschichte.
Noch immer lauschte ich und war bedacht darauf so flach wie möglich zu atmen.Wenn es ein Einbrecher war,dass müsste er in Kürze hier hinten sein ,da wir in der Küche und Wohnzimmer keine Wertgegenstände hatten.
Schnell blickte ich mich im Raum um, als noch einmal ein lautes Geräusch ertönte.Ich bewaffnete mich mit einem dicken Buch und hielt es vor mich,ich öffnete leise meine Zimmertür und tappte in die Dunkelheit hinein.Der Flur war stockdunkel und ich hörte nun eindeutig Stimmen, war es ein Fluchen das ich da hörte?
Immer vorsichtiger näherte ich mich der Küche, dort heraus kamen die Geräusche, sie konnten nur daher kommen da ich am Wohnzimmer vorbei war.
Schnell holte ich ein letztes mal tief Luft,bevor ich in den Raum sprang und das Licht einschaltete.
„Hab ich euch doch!“,schrie ich und hielt das Buch wie eine Waffe hoch.
Als sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten sah ich wer da „eingebrochen“ war.Dort stand er,mit dem Rücken zu mir und nun völlig erstarrte,und sie vor ihm, die Beine um seine Hüfte.
Ekel stieg in mir auf.
„Dad? Was machst du da und was macht du da überhaupt mit Alexandra?“,fragte ich verstört und ließ das Buch durch meine Hände gleiten, es fiel mit einem lauten Knall zu Boden und blieb dort liegen.
Keiner sagte etwas, meine „Eltern“ standen einfach vor mir, noch ineinander, und rührten sich kein Stück.
„Vivian“,setzte Alexandra an und blickte über Dads Schulter hinweg.
Schnell wandte ich mein Gesicht ab, ich wollte sie nicht sehen, allein die Vorstellung sie würde mit Dad...
„Bahhh“,brachte ich würgend hervor und hielt mir die Hände vor die Augen und den Mund.
Bloß nicht übergeben!
„Ich kann dir das erklären, also...“,redete sie weiter und klang ein klein wenig peinlich überrascht.
„Ich will das gar nicht wissen!“,brüllte ich und drehte mich mit dem Rücken zu ihnen.
„Vivi...“,das war nun mein Vater, er klang eher bedrückt als überrascht.
„Ist schon gut!Deine Sache ,wenn du mit der Schlampe schläfst doch heul mir dann nicht wieder die Ohren voll,wenn sie dich wieder für einen Jüngeren sitzen lässt“,gab ich zurück und probierte den Ekel hinunter zu schlucken, doch machte das alles nur noch schlimmer.
Ich merkte wie meine Magensäure in mir brodelte und unbedingt nach oben kommen wollte, an die frische Luft.
Sie kroch den Weg nach oben hoch und ich lief gerade noch rechtzeitig ins Bad, den als ich das Klo betrat war ich auch schon am brechen.
Ich probierte mir so gut es ging die Haare zurück zu halten, doch fielen sie immer wieder nach vorne.Das dritte mal gab ich mich nun lautstark der Toilette hin und ich war mir sicher,dass dies nicht mein letztes mal war.
Vollkommen ausgelaugt lehnte ich mich nach hinten und wusch mir meinen Mund am Handrücken ab.
Der schreckliche Geschmack brannte auf meiner Zunge und der Geruch wollte einfach aus meiner Nase verschwinden.Müde drückte ich den Abzug der Toilette und sah meinem Mageninhalt dabei zu ,wie er der Kanalisation immer näher kam.
„Verdammte Scheiße...“,seufze ich vor mich hin und schüttelte ungläubig den Kopf.Ich saß bestimmt wie ein Penner hier, im Bad,und sah bestimmt auch so aus.
Die Übelkeit war noch immer nicht verflogen und das würde sie auch erst mal nicht.
Ich konnte es einfach nicht glauben,mein Vater und Alexandra?
Alleine bei diesem Gedanken kam es mir wieder hoch,deshalb dachte ich auch nicht weiter.
Den das würde alles nur noch schlimmer machen!
„Vivi“,hauchte mein Dad hinter mir und kam auf mich zu, er setzte sich auf den Badewannenrand und strich mir die Haare nach hinten.
Ich hoffte inständig das an ihnen mein Erbrohendes klebte,damit er sich auch übergeben konnte.
Damit er empfand was ich gerade über ihn dachte, was ich wegen ihm durchmachte.
Wut könnte nicht einmal annähernd das Wort beschreiben,was ich für meinen Vater empfand.
„Wieso nur Dad? Warum sie?“,fragte ich abfällig und sprach extra laut damit es die Schlange auch hörte.
So wie ich es erwartet hatte ,kam ein schnippisches Zischen aus der Küche.
Mit einem unschuldigen Blick auf dem Gesicht antwortete mir mein Vater: „ Ich weiß nicht warum Vivi, aber bin ich immer wieder von ihr angetan.Ihre Ausstrahlung,ihr Lachen,ihre Art...“,schwärmte er wie ein Teenager.
„Dad“, unterbrach ich ihn, „Diese ´wunderbare´ Frau hat dich, keine Ahnung wie oft ,für einen Anderen sitzen gelassen.Sie nutzt dich nur aus, hast du den vollkommen vergessen wie du gelitten hast?“.
Er zog die Stirn in Falten und sah tatsächlich danach aus, als würde er über meine Worte nachdenken.
„Du hast recht...“,gab er schließlich zu und blickte mich wieder an.Seine Augen wanderten über mein ganzes Gesicht ,blieben an meinen Lippen und Augen hängen.
„Doch kann ich es nicht einfach abstellen,Süße.Jedem Tag an dem ich dich sehe, denk ich an Alexandra...“,sprach er weiter und stoppte wieder. „Du erinnerst mich an sie“.
Was?
Ohne auch nur ein Wort zu erwidern ,lehnte ich mich über die Kloschüssel und gab das Letzte aus mir heraus.
Mein Vater hielt mir die Haare zurück und strich mir ein paar mal den Schweiß von der Stirn.
Dad wollte mich doch verarschen, oder?
Er konnte doch nicht wirklich denken,dass ich Ähnlichkeit mit der Frau hatte die uns verließ.
Die immer wieder aufs Neue das Herz meines Vaters brach und mein ganzen Vertrauen und meine Liebe.
Für mich gab es keine Mutter, ich hatte keine.Alexandra war ein lästiger Anhang in meinem Leben,den ich am liebsten abschneiden würde.Oder zerquetschen,das was mehr weh tat.
Sie sollte nicht in meinem Leben sein, schließlich hatte sie es noch nie interessiert wie es mir oder Dad ging und das sie jetzt auf einmal hier war und sich in unser Leben drängte, machte mich rasend.
„Also ist es meine Schuld,dass du sie nicht vergessen kannst?“,brüllte ich wütend, als ich wieder sprechen konnte.
Mein Vater machte große Augen und senkte seinen Blick.
„Nein,nein,nein! So meinte ich das nicht...“.
„Und wie sonst?“,hackte ich nach und funkelte ihn an.
„Ich weiß es nicht“.
Tief holte ich Luft und sah meinem Vater in die Augen.
„Und was ist mit ihrem Lover?“,hackte ich nach und hob eine Braue.
Bevor Dad antworten konnte,mischte sich Miss Oberschön ein.
„Den habe ich abgeschossen, er war einfach nicht der Richtige...“,piepste sie von der Küche aus und warf bestimmt ihr Haar über die Schulter.
Genervt rollte ich die Augen,atmete tief ein und erhob mich.Mein Vater, so lieb wie er war,half mir auf und hielt dann noch knapp dreißig Sekunden an den Armen.
Ob er Angst hatte,dass ich wieder brechen würde und er mich dann über die Toilette werfen könnte?
Mein Blick glitt an meinen Armen hinunter, dort lagen sie.
Seine Hände!
Die Hände, die gerade noch an meiner Mutter waren, an ihrem Hinterteil,an ihren Brüsten.
Am liebsten hätte ich mich jetzt übergeben,doch hatte ich nichts mehr im Magen.So drehte ich mich blitzschnell von meinem Vater weg und senkte den Blick,dabei probierte ich die Wuttränen aus den Augen zu kriegen.
„Fass mich bloß nicht mehr an“,brüllte ich aufgebracht und ballte die Hände zu Fäusten, ich hielt sie schützend hoch und fing an zu zittern.
Schlimmer konnte dieser Tag nicht mehr werde.
„Vivi,bitte“,bat er schon fast flehend und kam einen Schritt auf mich zu.Mein Kopf setzte aus,mit voller Kraft drückte ich Dad von mir weg und lief aus dem Bad heraus.Ich wollte in mein Zimmer rennen und in das tiefste Loch versinken,doch wurde ich grob am Arm gepackt und herumgewirbelt.
Als ich aufblickte ,konnte ich es gerade noch so unterdrücken nicht in ihr Gesicht zu spucken.
„Vivian!“,hauchte Alexandra und funkelte mich mit einem gewissen Ausdruck an den ich nicht deuten konnte.
Es war ihr Lächeln,dass mich voller Wut dazu brachte ihr tatsächlich ins Gesicht zu spucken...
Nun gut, es war der Boden aber gespuckt habe ich trotzdem.
Empört sah sie mich an.
Ich riss mich aus ihrem Griff und biss mir auf die Lippe, suchte nach Wörtern und fand sie schließlich.
„Willkommen zurück Schlampe!“,schnauzte ich abfällig und lief in mein Zimmer.
Wäre nicht Schule gewesen dann wäre ich gar nicht mehr aufgestanden, ich hätte nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet.Doch hatte ich Schule und sie würde auch nicht einfach verschwinden,egal wie oft und doll ich es mir wünschte.
So früh wie möglich war ich aus dem Haus verschwunden,dass so viel hieß wie fünf Uhr Morgens.
Ich hatte absolut keine Lust dazu meinen Dad zu sehen, alleine den Gedanken an ihn ließ mich würgen.
Was dachte er sich überhaupt dabei,schlimm genug das er die Frau, die leider meine `Mutter` war, wieder durchnahm das er aber auch noch sagte ich sei daran schuld,dass er sie nie vergessen konnte...
dass brachte das Fass zum überlaufen.
Schnell wusch ich mir die aufkommenden Tränen weg und zog die Ärmel meiner Jacke länger, so früh Morgens war es echt noch rattenkalt.
Ich saß an der Bushaltestelle und sah jede zehn Minuten den Bus davon fahren,langsam merkte der Busfahrer dass ich noch immer hier saß und nicht einstieg.
Doch das war mir egal, ich wollte einen freien Kopf bekommen und am liebsten meine Wut auslassen,aber dies wollte ich auch keinem antun.
Leise seufze ich und ließ den Kopf hängen,meine langen Haare fielen mir über die Schultern und mein Atem war deutlich als kleine weiße Wolken zu sehen.
Wann würden wohl die ersten meiner Mitschüler hier sein?
Nicht einmal alte Omas liefen um die Uhrzeit herum,die saßen noch immer zu Hause und tranken ihren Kaffee.
„Vivi?“,fragte eine Stimme schüchtern nach mir.
Sofort blickte ich auf und probierte das Taubheitsgefühl in meinen Fingern zu ignorieren.Der Wind peitschte mir ins Gesicht und endlich sah ich die Person die meinen Namen kannte.
„Marcel? Was machst du den hier?“,fragte ich leicht verwirrt nach und sah zu wie Phils bester Freund neben mir auf der Bank platz nahm.
Er blickte sich um und rieb dabei seine Hände einander.
„Ich bin ein wenig joggen gewesen“,hauchte er.
„Nicht wirklich oder?“.
„Nein, aber das wollte ich schon immer sagen“,kicherte Marcel und als er sich zu mir wandte trafen sich unsere Blicke.
„Idiot“,murmelte ich kichernd und senkte meinen Blick, meine Füße waren genauso taub, wie meine Finger.
„Und was machst du hier so früh?“,hackte er nach,doch klang er dabei nicht neugierig.Eher so als sei es ganz normal das man um halb sechs Morgens an einer Bushaltestelle saß.
„Ach ich...“,fing ich an und stoppte, „ich hatte ein paar Probleme Zuhause und wollte meinem Vater aus dem Weg gehen“.
Stille.
Das war natürlich logisch gewesen, wann hatte den die sonst so gelassenen Vivi mal Probleme?
Und das auch noch mit ihrem coolen Vater Ben?
Als kleine Info,all meine männlichen Freunde liebten meinen Vater!
„Was ist den passiert?“,nuschelte Marcel ein wenig später nach und sah mich mit großen Augen an.
Seine blonden Haare guckten ein wenig unter seiner Mütze hervor, die er immer trug,und seine Wangen waren leicht Rot vom eiskalten Wind.
„Nichts besonderes, außer das meine Mutter wieder da ist“.
Wieder Stille.
So wie jeder wusste,dass ich Senf hasste ,so wusste auch jeder ,dass ich meine Mutter hasste.
„Genau so habe ich auch reagiert,als sie vor mir stand“,seufze ich niedergeschlagen und probierte etwas in Marcels dunkelblaue Augen zu sehen.
Schwer schluckte dieser und rückte seine Mütze zurecht,kratze sich an der Schläfe und stieß die Luft hervor.
„Das ist...“,setzte er an und suchte nach Worten,er war wohl genau so überrascht wie ich darüber.
„überraschend? Eigenartig? Verrückt?“, gab ich Vorschläge vor und ließ meinen Kopf fallen. Seitlich lag nun mein Kopf auf seiner Schulte und ruhte dort,ich atmete immer wieder tief ein und versuchte mit aller Macht die Bilder von gestern Nacht aus dem Kopf zu bekommen.
Marcel sagte nichts mehr und blieb still sitzen,so als wolle er nicht das ich verletzt werde wenn er sich bewegte.
Gerade fing ich an,an der Ruhe Gefallen zu finden, als mein Handy laut anfing zu läuten.
Ich setzte mich aufrecht und kramte das kleine Dinge hervor,drückte auf den Annahme-Kopf und erstarrte.
„Vivian Charlotte Isabella!“,schrie Dad aufgebracht.
Schnell hielt ich mir mein Handy mehrere Zentimeter vom Ohr weg und blickte Marcel verwirrt an.
„Wo um alles auf der Welt bist du? Gerade bin ich in dein Zimmer gekommen und finde dich dort nicht vor.Also...?“,brüllte er weiter und schnappte nach Luft.
„Chill mal!“,gab ich locker zurück,als mein Vater nichts mehr sagte und ich mir ziemlich dumm vorkam.
Warum sollte ich überhaupt mit ihm reden? Schließlich war er derjenige der mich hintergangen hatte und für alles schuldig machte.
„Chill mal? Du bist doch verrückt Vivi, du kommst jetzt sofort nach Hause und dann werden...“.
„Was wirst du dann? Wirst du dann mit Alexandra auf Familie tun und mir Hausarrest geben,gepoppt hast du sie schließlich ja schon“,unterbrach ich ihn in einen ebenso wütenden Ton und legte auf.Als ich mit zittriger Hand das Handy umklammerte und probierte die unendliche Wut und die Tränen hinunter zu schlucken, legten sich Arme um mich.
Ich hatte vollkommen vergessen das Marcel noch neben mir war, dass er alles gehört hatte und nun alles wusste.
Ich konnte es nicht mehr unterdrücken und fing an zu weinen,normalerweise schluchze ich dabei doch jetzt war ich vollkommen still.
Ich weinte einfach nur.
Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb und das Blut rauschte mir in den Ohren,wären nicht Marcels Arme um mich gewesen die mich an ihn zogen, hätte ich gedacht,dass ich vollkommen taub sei.In einem Traum.
„Vivi...“,hauchte er leise, mein Kopf lag beinah auf seiner Brust und ich hörte die einzigen Wörter in seinem Brustkorb vibrieren.
Sie hallten in ihm wieder und ließen sie dunkel erklingen.
Ich wusch mir die Tränen aus den Augen und schnappte nach Luft, setzte mich auf und blickte mich um.
„Sorry, normalerweise bin ich nicht so eine Heulsuse“.
„Kein Ding, ich meine nur...“,setzte er an, doch unterbrach ich ihn indem ich aufstand und meine Jacke zurecht zog.
Verwundert sah er mich von der Bank aus an und zog die Stirn in Falten.
„Ich werde jetzt gehen...“,tief blickte ich in seine Augen,so dunkel wie das tiefste Meer.
Ohne auf seine Antwort zu warten ,drehte ich mich um und setzte die Füße voreinander, genau fünf Schritt schaffte ich bevor ich an der Hand zurück gezogen wurde.
Schnell wurde ich leichtfüßig herumgewirbelt und gerade gestellt.
„Warte!“,stieß er hervor und kam einen Schritt auf mich zu.
Marcel blieb knapp dreißig Zentimeter vor mir stehen,also musste ich zu ihm aufschauen,den auch er war nicht gerade klein.
Hart schluckte ich,strich mir durch die Haare und atmete stoßweise.
„Der Bus kommt gleich“,war das einzige was er sagte und ein Lächeln auf meine Lippen zauberte.
Stillschweigend saßen wir nun nebeneinander und sahen aus dem Fenster.Wie sollte ich mich auch verhalten, schließlich hatte ich gerade geweint und Marcel wusste alles.
Wirklich Alles!( auch wenn es unbewusst passiert war)
Immer wieder probierte ich so unauffällig wie möglich zu Marcel zu blicken und zu schauen ob er mich argwöhnisch ansah, aber war dies nie der Fall.Entweder starrte er in die Gegend oder spielte mit seinem Handy herum.
Gerade hatte ich es wieder gewagt und sah ihn an,als er seinen Kopf zu mir wandte und mich freundlich anlächelte.
„Was ist eigentlich mit diesem Leon, hab gehört er hat sich mit Phil auf der Party geschlagen...“,sagte er und schaute mir tief in die Augen , „warum warst du heute schon so früh wach und wie...?“.
„Lange Geschichte“,gab ich knapp zurück und strich mir die Haare nach hinten.Wir saßen ganz hinten im Bus,auf dem Motor und gleichzeitig am höchsten Punkt.Die Scheibe hinter uns war verdunkelt und sonst war der Bus auch leer.
„Wir haben Zeit“,hauchte Marcel und streckte sich.Mit den Augen verfolgte ich jede kleine Bewegung von ihm,wie sich seine Muskeln anspannten und wieder lockerte,wie er den Mund aufriss und gähnte,wie seine Haare unter der Mütze wackelten und seine tief blauen Augen.
„Na ja, Leon kam plötzlich und dann haben sich die beiden auch schon geschlagen.Ich konnte nichts machen,alle haben sich um sie gestellt und haben sie angefeuert,als ich sie dann doch auseinander bekommen habe war ich sauer.Ich weiß auch nicht warum,zu mindestens ist es fast so weit gekommen das wir uns stritten.Phil hat mich nach Hause gefahren und da habe ich dann meinen Dad mit Alexandra erwischt“,erzählte ich und schüttelte leicht den Kopf.
„Wow,das ist echt nicht cool“.
„Nein,das ist es nicht.Am meisten hat mich aber aufgeregt ,dass mein Vater meinte,dass ich daran Schuld sei ,dass er Alexandra nicht vergessen konnte“,brummte ich aufgebracht und ballte die Hände.Wieder kam diese Wut in mir auf.Jetzt gerade wüsste ich wirklich nicht was ich machen würde,wenn ich Alexandra heute Mittag bei mir zu Hause sehen würde.
„Krass...“,seufze er neben mir und senkte den Blick.
Ich wusste gar nicht,dass Marcel so gut zuhören konnte.
„Aber eigentlich müsstest du das doch wissen,also das mit Phil und Leon“.
Schnell sah er mich an und kratze sich am Hinterkopf.
„Nein, ich war nur kurz da,auf der Party“,stammelte er und biss sich auf die Unterlippe.Er zog sie zu sich und ließ sie dann wieder schwungvoll los.
„Äh? Wie?“,hackte ich mit offenen Mund nach und kam mir gerade ziemlich doof vor.
„Lange Geschichte“,gab er zurück und strich immer wieder mit seiner Fußspitze den Boden entlang,sein rechtes Knie zitterte und seine Hände hatte er auf deinen Oberschenkeln liegen.
„Wir haben genug Zeit“,kicherte ich und stieß ihn von der Seite an.
Nächste Durchsage:
Schlossstraße
Genau noch fünf Bushaltestellen,die jeweils fünf bis zehn Minuten voneinander entfernt waren.
Also wirklich noch genug Zeit um den Grund zu erfahren,warum Marcel nur kurz bei meiner Party war.
„Und?“,hackte ich nach und lächelte ihn schüchtern an, ich wollte nicht neugierig wirken,doch war fragen besser als still nebeneinander zu sitzen.
Mit einem Räuspern und nervösen um herschauen,wandte sich Marcel schließlich seinen Händen zu die er eindringlich betrachtete,als er begann zu erzählen.
„Eigentlich wollte ich auf der Party bleiben und ein wenig Spaß haben...“,fing er an und befeuchtete sich die Lippen, „doch hatte mein Bruder angerufen“.
Ich blieb still und ließ ihm die Zeit die er brauchte,er sah aus als würde es ihm schwer fallen mir die Geschichte zu erzählen.
„Ich war total verstört,weil er ja in England war wegen dem Studium“,erklärte er und blickte für einen kurzen Moment zu mir.
Marcels Bruder,Henry,war nach England um dort zu studieren für seine Familie war das nicht so einfach gewesen,da alle an ihm hingen doch hatten sie es alle überlebt.Ich hatte Henry nur ein paar mal gesehen doch war er ein netter Kerl,immer am lachen und total lustig.
„Er war total aufgelöst und wirkte deprimiert,er brachte fast nichts raus.Als ich raus gegangen war und endlich etwas verstand,erklärte er mir das meine Mutter gestorben sei.Ich dachte das er mich verarschen wollte,doch klang er so ernst und schließlich fing er an zu schluchzen.Ohne ein weiteres Wort legte ich auf und die ganze Nacht über bin ich in der Gegend umherirrt,ich habe nicht geschlafen und...“,seine Stimme wurde immer leiser und schließlich brach sie.Marcel hatte seinen Kopf hängen gelassen und krallte seine Hände in seine Oberschenkel.Vorsichtig und bedacht legte ich meine Hand auf seine,seine Haut färbte sich schon weiß an den Knöchel.
„Wie ist das passiert?“,fragte ich vorsichtig nach und konnte spüren wie er sich noch mehr verkrampfte,als meine Finger seine berührten.
„Ich weiß es nicht...“,hauchte er und blickte mich endlich an,seine Augen glitzerten und unter ihnen lag ein dunkler Schatten.
„Es tut mir so leid“,es war das einzige was ich hervorbringen konnte,es waren die einzigen Wörter die mir einfielen.
Als sich unsere Blicke trafen war ich mir sicher,dass ich seinen ganzen Schmerz spüren konnte.Er drückte mich nieder und zog mich in ein schwarzes und tiefes Loch,aus dem es keinen Ausweg mehr geben würde.
Auch mir kamen die Tränen,ungewollt fing ich an zu schluchzen und schloss Marcel in meine Arme.Er legte seine Arme um mich und entspannte sich allmählich,er weinte nicht so wie ich doch war er erschöpft,ich probierte mir die Gedanken aus den Kopf zu schlagen wie es wäre wenn mein Dad einfach tot wäre,wenn er einfach gegangen wäre.Obwohl ich auf ihn sauer war brachte mich dieser Gedanken nur noch tiefer,er ließ mich erzittern.
Marcel und ich umarmten uns eine ganze Weile,als er sich schließlich mit einem Nasenhochziehen von mir löste und sich unsicher auf die Unterlippe biss,fing ich an zu kichern.
„Man bin ich eine Heulsuse,sonst bin ich doch auch nicht so“.
„Vivi...“,setzte er an und sah mich eindringlich an.
Mit einem lächeln erwiderte ich seinen Blick und strich mir dabei unter den Augen herum meine Schminke weg.
„Danke!“.
„Für was?“,hackte ich nach und konnte es nicht gerade verstehen warum er sich bei mir bedankte.
„Dafür das du mir zugehört hast,wärst du so nett und erzählst es niemand anderem?“,fragte er nach und sah mich bittend an.
„Klar“,wieder probierte ich zu lächeln,doch schaffte ich es dieses mal nicht so gut.Das schwarze Loch hatte mich noch immer in sich gefangen,der Gedanke das mein Vater einfach sterben könnte,machte mich nachdenklich.
Marcles Mutter war gesund und noch junge gewesen,sie hatte so weit ich wusste keine Krankheit und warum war sie dann gestorben?
„Wirst du heute noch nach Hause gehen?“.
Schnell hob er seinen Blick und sah mich wieder an,seine dunkelblauen Augen schienen jetzt wieder matt und klar.
„Ich glaube schon,Henry hatte mich ja von Zuhause angerufen,also muss er da sein.Ich habe nur...“,sagte er mit zittriger Stimme und blickte durch die Scheibe hinter mich,er fixierte etwas mit den Augen, „...Angst“.
Schweigend nickte ich und rückte zu ihm,legte meinen Kopf auf seine Schulter und dachte über das nach was er mir gerade erzählt hatte,was passiert war und wie er damit umging.Würde ich erfahren das mein Vater gestorben sei,würde ich nicht zur Schule gehen,ich würde mich in eine Ecke verziehen und weinen,schreien.
„Marcel?“,wisperte ich und legte meine Hand wieder auf seine.Es war eigenartig welche Verbindung Marcel und ich gerade hatten,was für eine innige Vertrautheit.
„Mhm?“.
„Nichts“,ich wusste nicht warum,doch schien mir die Frage dumm warum er zur Schule ging und so tat als sei alles normal.Wollte er so alles „rückgängig“ machen oder alles vertuschen?
Wollte er vielleicht sogar alles gar nicht an sich heranlassen?
Leise seufze ich,die Schwere in meinem Brustkorb war noch immer nicht entwichen und meine Augen brannten noch immer. Ich müsste mir in meinem Tagebuch ein dickes,rotes Kreuz machen,ich hatte zwei mal geweint und das auch noch vor Marcel,den besten Freund von Phil...
vor meinem Freund.
„Privatschule Höchstenkamp“.
„Wir müssen“,flüsterte er und erhob sich langsam,mit einem Lächeln auf dem Gesicht hielt Marcel mir die Hand hin und half mir auf.Mit einem gewaltigen Wackeln,stoppte der Bus und wir stiegen aus.Es war ein wenig wärmer geworden und die Sonne schien sogar,der Tag war viel zu schön für diese Nachricht.
Mit einem Blick auf mein Handy,stellte ich mich Marcel gegenüber und kniff ein Auge zu.Die Sonne stach richtig in den Augen.
„Wir haben noch ein wenig Zeit,was willst du jetzt machen?“,fragte ich nach und stellte mich so hin,dass die Sonne hinter Marcel verschwand.
„Ich weiß nicht,wollen wir noch ein wenig reden?“.
„Gut,aber wenn ich wieder anfange zu weinen ist es deine Schule“,gab ich locker zurück und knuffte ihn in die Seite.Nebeneinander liefen wir durch das Schultor und setzten uns unter die Bäume.Sie Sonne schien auf uns hinab und der Wind wurde immer wärmer,ich hatte so das Gefühl,dass es heute noch verdammt warm werden könnte.Im Allgemeinem hatte ich jetzt schon die Befürchtung als würde dieser Tag grauenhaft werden,erst das mit meinem Dad und Alexandra und jetzt auch noch Marcels Unglück.
„Wie läuft es eigentlich bei dir und Phil so?“,brach Marcel die Stille und sah mich lächelnd an.
Kurze Zeit grübelte ich nach,es war eigenartig mit Phils besten Freund über unsere Beziehung zu sprechen.
„Ganz gut,jetzt weiß es zu mindestens jeder.Es war schrecklich jedem zu verheimlichen das wir zusammen sind“,erzählte ich und konnte mich nur zu gut an die Situationen erinnern an denen wir fast aufgeflogen wären,nur weil wir uns nicht beherrschen konnten.
„Ich hatte es irgendwie schon geahnt,eure Blicke waren schon Grund genug um es zu behaupten,aber ich freue mich für euch.Phil hat endlich mal eine Freundin die sich nicht auf der Nase herumspielen lässt“.
Leise fing ich an zu kichern.
„Das stimmt und wie ist es bei dir in Sache Liebe?“,fragte ich vorsichtig nach und senkte meinen Blick,ich kratze unruhig mit meiner Fußspitze auf dem Boden herum.Kleine Steinchen drückten sich in die Rillen meines Profiles an meinen Schuhen und blieben dort stecken.
„Seit mich Nicki verlassen hat,oder eher gesagt,seit wir uns auseinandergelebt haben,wollte ich keine Beziehung mehr.Manchmal ist es auch ganz gut einfach Single zu sein“.
Wieder entstand Stille,ich hatte nie viel über Marcel gewusst,doch das ich heute so viel Informationen aus seinem Leben erfahren würde...
hätte ich nie gedacht.
Nicki kannte ich nur flüchtig,sie war auf unserer Schule gewesen doch war sie vor zwei Jahren abgegangen,sie war älter als Marcel und sie kannten sich noch nicht lange als sie zusammen kamen.Doch war ich mir schon früher immer sicher,das die Beiden sich über alles lieben...
zu mindestens von Phils Erzählungen her.
Es war für mich ein regelrechter Schock gewesen,als ich erfuhr das die Beiden nicht mehr zusammen waren.
„Wie ist das wenn man sich auseinanderlebt?“,tastete ich mich langsam hervor und traute mich nicht aufzuschauen.
Ich hätte erwartete,dass Marcel lange über meine Frage nachdenken müsste,doch antwortete er wie aus der Pistole.
„Es ist schrecklich,erst merkst du gar nicht wie alles in die Brüche geht.Man schreitet sich viel mehr und ist immer anderer Meinung,du hast das Gefühl eine andere Person wäre mit dir zusammen.Nicki hatte sich total verändert,sie mochte auf einmal Dinge die sie früher gehasst hatte,ihr Kleidungsstil änderte sich und auf einmal war ich mir nicht mehr sicher ob ich überhaupt noch für sie Gefühle hatte.Meist ist es bei uns so weit gegangen,dass ich die Fehler immer bei ihr sah und sie bei mir.Es war furchtbar...“,erzählte er und reckte sich ein wenig.Als er seine Arme in die Luft schwang und seinen Kopf kreisen ließ,knackte sein Genick und er seufze leise.
„Denkst du...“,setzte ich an und strich mir durch die Haare, „denkst du,dass das auch bei mir und Phil passieren kann?“.
„Das kann bei jedem Paar passieren,doch ist es bei dir und Phil eher unwahrscheinlich.Ihr kennt euch schon euer Leben lang und seit erst seit kurzer Zeit zusammen.Es wäre jetzt schlimmer,wenn ihr euch Tag und Nacht streiten würdet“.
Ein Stich in die Brust.
„Phil und ich streiten uns zur Zeit schon oft,aber ich glaube das liegt eher an mir.Ich bin irgendwie verwirrt und weiß nie so recht was ich von der jeweiligen Situation halten soll“,probierte ich zu erklären und scheiterte völlig dabei.
„Okay...“.
„Ich rege mich immer über Kleinigkeiten auf und weiß nie so recht warum ich überhaupt darüber nachdenke.Ich bin einfach doof,vielleicht bin ich einfach nicht für eine Beziehung geschafft?“,traurig ließ ich die Schultern hängen und ließ mich gegen Marcel fallen,er legte einen Arm um mich und strich mit den Arm auf und ab.
„Hey,das wird schon wieder.Du und Phil,ihr seit einfach füreinander bestimmt und das sage ich,ein Junge“,witzelte Marcel und legte sein Kinn auf mein Kopf.
„Da hast du recht,ihr Jungs habt eigentlich keinen Schimmer von der Liebe“,lachte ich und rappelte mich auf.
Lange Zeit sahen Marcel und ich uns einfach in die Augen,ich hatte nie bemerkt wie tiefgründig seine waren,was für Geheimnisse sie verbergen.
„Danke!“,hauchte ich schwerfällig und lächelte ihn warm an.
„Kein Ding“,entgegnete der blonde Junge mit der grauen Mütze und schenkte mir ein ebenso warmes Lächeln.
Ich war mich absolut sicher,dass ich in Marcel einen neuen und guten Freund gefunden hatte.
„Guten Morgen Schüler“,begrüßte uns Herr Schlanke und nahm vorne in der Klasse platz.
Marcel und ich hatten noch knapp eine halbe Stunde über Gott und die Welt geredet,wir verstanden uns super und haben auch viel gelacht obwohl dieser Tag nicht zum lachen war.
Es war von Minute zu Minute immer wärmer geworden und jetzt lag die Temperatur schon bei schönen 25 Grad.
„Wir haben vor drei Wochen einen Test geschrieben und nun bekommt ihr ihn zurück,ich muss sagen das einige Leute es noch einmal überlegen sollten,als was sie in die Berufswelt gehen wollen.Den die meisten von euch haben eine schlechtere Note als eine drei.Der Durchschnitt liegt bei 3,6“,brüllte Herr Schlanke und begann die Test zu verteilen.Eine ungewollte Übelkeit stieg in mir auf,ich musste eine Drei haben sonst würde ich in Politik jetzt mit einer Vier dastehen und ich wollte nicht wissen was mein Dad machen würde,wenn er die ausreichend auf meinen Zeugnis sieht.
Herr Schlanke kam endlich in die dritte Reihe,also eine Reihe vor mir, und teilte dort die Zettel aus.Als er bei Tascha ankam und ihr den Zettel mit einem fassungslosem Kopfschütteln überreichte,konnte sich klein Barbie nicht halten.Sie erblickte die wunderschöne 6 in rote geschrieben und erhob sich,warf ihr Haar über die Schulter und funkelte Herr Schlanke an,der ihr gegenüberstand.
„Denken Sie wirklich,dass Sie mir eine 6 geben können?Ich habe alles richtige Antworten,ich muss eine Eins haben.Ich habe nicht einmal Rechtschreibfehler,was denken Sie er Sie sind?“,keifte sie und stemmte sie nach vorne auf die Tischplatte.Die ganze Klasse war verstummt und alle sahen sich das Schauspiel an,dass Tascha heute mal wieder bot.
Mein Blick flog nach hinten wo Phil saß und zur Seite wo Ivy und Marcel hockten,sie alle hatten ein Lächeln auf den Lippen und waren drauf und dran loszuprusten.
„Wie bitte Natascha?“,fragte Schlanke höflich nach und klimperte verdutzt mit seinen Wimpern.
„Sie haben mich schon verstanden,ich habe alle verdammten Aufgaben richtig gelöst und Sie geben mir eine Sechs! Hat Ihre Frau Sie nicht dran gelassen oder was?“.
Jetzt fing das kichern und das geschockte Gucken durch die Klasse,jeder wusste das Tascha ausrasten konnte,wenn sie nicht bekam was sie wollte und jetzt war dies der Fall.
„Du hast alle Antworten bei Fred abgeschrieben,ihr habt exakt die gleichen Wörter benutzt“,probierte sich Herr Schlanke völlig verstört zu rechtfertigen.
„Das stimmt nicht,Fred hat alles für mich geschrieben,Sie Horst!“,brüllte Tascha und warf erneut ihr Haar nach hinten,ihre beiden Klone saßen geschockt neben ihr und versanken gerade elendiglich im Boden.
„Wie hast du mich gerade genannt? Das reicht Natascha,du wirst jetzt sofort zum Direktor gehen und dort die ganze restliche Stunde bleiben“,schrie Schlanke und streckte den Arm Richtung Tür aus,er wurde immer roter und hatte schließlich die Farbe einer überreifen Tomate angenommen.
„Das hat gesessen“,flüsterte Phil hinter mir und fing an zu kichern.
Noch immer war aufgeregtes Tuscheln in der ganzen Klasse verbreitet,anbetungswürdig packte Tascha ihre Klamotten ein und verließ uns mit einem atemberaubend Auftritt.
Als sie die Tür hinter sich zuwarf und diese ins Schloss fiel,setzte sich Herr Schlanke erschöpft in sein Stuhl und legte sich eine Hand an die Stirn,er vergaß anscheinend das hier noch dreiundzwanzig andere Schüler saßen,die alles mitbekommen hatten.
Langsam blickte er auf und und schnappte nach Luft,er wurde langsam wieder normal farbig im Gesicht und zog scharf die Luft ein.
„Hasan bitte verteile die restlichen Tests“,bat er leise und gab dem türkischen Player und unserer Klasse die Zettel,dieser erhob sich und gab die restlichen Tests aus.
Erwartungsvoll hielt ich die drei Zettel in den Händen und traute mich nicht sie auf die richtige Seite zur drehen,tief atmete ich durch und drehte den Test in Zeitlupe um.
Weiß,weiß,weiß,die ersten Wörter,Wörter,ROT!
„Yeahhh!“,schrie ich freudig und sprang dabei auf,mein Stuhl fiel lautstark nach hinten um und meine Hände waren zu Fäusten geballte die nun in der Luft hingen.
Sofort hatte ich alle Blicke auf mich gezogen und jeder war verstummt.
Unsicher sah ich mich um,das war doof gelaufen!
„Darf man sich nicht über eine drei freuen?“,fragte ich nach und setzte mich vorsichtig hin,als der Stuhl wieder stand.Nach kurzer Stille fingen alle wieder an zu quatschen und Herr Schlanke lehnte noch immer völlig perplex in seinem Lehrerstuhl.
Mit einem lauten Stöhnen und einem sicheren Lächeln auf den Lippen wurde ich an der Schulter angetippt.
„Ja?“,fragte ich nach und drehte mich schnell um,verführerisch und mit einem Glitzern in den Augen sah mich Phil an.
„Wie geht’s dir?“,hackte er nach und lehnte sich leicht über den Tisch.Ich war mit dem Stuhl nach hinten gerutscht und war nur noch ein paar Zentimeter von ihm entfernt.
„Gut,ich habe nicht viel geschlafen aber gut“,entgegnete ich und kam seinem Gesicht immer näher.Der Drang war einfach zu groß,meine Lippen auf seine zu legen.
Kurz vor den geschwungenen und perfekten Lippen wurde ich scharf zurück gerissen.Als erstes erblickte ich Herr Schlankes Gestalt,der noch immer auf seinem Stuhl saß und den Schock hinter sich brachte und dann Rony die absolut sauer vor mir stand.Sie hatte die Hände in die Hüfte gestemmt und lächelte boshaft.
„Ähmm?“,stammelte ich und blickte meinen „Zwilling“ an.
„Wusste ich es doch!“,quiekte sie und hielt ihren Kopf so hochnäsig hoch,dass man in ihre Nasenlöcher sehen konnte.
„Was wusstest du?“.
„Das mit dir und meinen Phil! Ich war mir von Anfang an sicher,dass du eine kleine Schlampe bist“,meckerte Rony und brachte mich so zur Weißglut.
Angespannt und dazu bereit ihr eine zu klatschen,stand ich auf und blickte ihr warnend in die Augen.
„Deinem Phil? Mädel hast du überhaupt realisiert das du keinen Anspruch auf Phil hast,überhaupt niemals hattest?“,brachte ich zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor und ballte die Hände um auszuschlagen.Doch bevor es überhaupt so weit kam,stellte sich Phil zwischen uns und sah mich eindringlich an.
„Vivi,lass dich nicht auf ihr Niveau herab,bitte...“,bat er und würdigte Rony nur mit einem abfälligen Blick.
„In Ordnung...“,zischte ich und warf ihr einen letzten Blick zu,dann griff ich an Phils Pullikragen und zog ihn zu mir,drückte ihm meine Lippen auf seine und vergrub eine Hand in seine Haare.All meine Wut steckte ich in diesen Kuss und wandelte sie in Leidenschaft um,es wunderte mich das Phil sich so gut zügeln konnte da seine Hand von meinen Rücken immer tiefer ging und schließlich bei meinem Po zum stehen kam.
Ich merkte wie Rony wutentbrannt aufstampfte und sich wieder verzog,meine Mundwinkel schnellten nach oben und der Kampf war gewonnen.
Und das ganz ohne Worte und Taten.
„Wo warst du heute Morgen? Ben sagte du seist einfach gegangen“,murmelte Phil vor sich hin,als wir auf dem Schulhof auf einer Bank saßen.
Uns gegenüber Ivy und Marcel die aufgeregt miteinander sprachen.
„Ähmm..“,fing ich an und suchte nach Worten, „ich hatte Stress mit Dad und bin so früh wie möglich abgehauen“.
„Was ist den passiert?“,hackte er nach und drückte meine Hand,wir hatten unsere Finger miteinander verschränkt und blickten uns in die Augen.
Unsicher sah ich mich um und entgegnete den Blick von Marcel,er schaute mich für einen kurzen Moment an,nickte und wandte sich wieder Ivy zu.
„Ach nichts besonderes,ist alles wieder gut“.
„Wirklich,das wirkt aber nicht so“,grübelte er und zog die Stirn in Falten.
„Doch,doch,alles wieder gut“,beteuerte ich so gut wie möglich und lehnte mich zu Phil.Langsam legte ich meine Lippen auf seine und brachte ihn so von dem Gedanken ab,dass etwas nicht mit mir stimmte.Wie ich es erwartete hatte war sein Drang nach mir zu groß,er legte mir die andere Hand ans Kinn und zog mich zu sich.Immer leidenschaftlicher küssten wir uns und vergasen alles um uns herum.
Keuchend lösten wir uns nach einiger Zeit voneinander und sahen uns an.
„Kann ich heute Nachmittag mit zu dir? Ben ist arbeiten und ich will nicht alleine herum hängen“,fragte ich lieb nach und klimperte mit den Augen.
Kurz biss sich Phil auf die Unterlippe und fing an zu lächeln.
Wie ich es liebte,wenn sich Jungs auf die Unterlippe bissen...
„Klar“,gab er locker zurück und gab mir einen Kuss,als ich meine Augen wieder öffnete und zu Ivy blickte seufze sie und verdrehte die Augen.
„Seit jeder weiß,dass ich zusammen seit könnt ihr echt nicht die Hände von einander lassen“,kicherte sie und strich sich die Haare aus dem Gesicht, „wie habt ihr das bloß die ganze Zeit davor geschafft?“.
„Das war verdammt schwer“,Phil warf mir einen vielsagenden Blick zu und alle fingen an zu kichern.
Es war einfacher seit jeder wusste das wir zusammen waren,seit jeder wusste das uns niemand mehr auseinander bringen konnte.
Auch keine Rony,Tascha oder wie sie sonst hießen.
„Das kann ich mir vorstellen“,witzelte Ivy weiter und hielt sich die Hand auf den Bauch,automatisch glitt mein Blick nach unten.Es war komisch,dass meine beste Freundin schwanger war,sie war noch so jung doch hatte sie sich für das Kleine entschieden.Jeder war andere Meinung darüber,ob das nun gut sei,dass Ivy Mutter wurde oder nicht.Ich fand es eigenartig aber gut,erstens weil Ivy meine beste Freundin war und zweitens,weil ich wusste das sie eine gute Mama sein würde.
Die laute und damit Freiheitsraubende Schulklinge ertönte und wir alle erhoben uns in Schneckentempo,schlurften zurück in den Unterricht und nahmen unserem Umwelt gar nicht richtig wahr.
Ich freute mich schon mehr als nur genug auf die Zeit nach der Schule,klar ich würde mein Abi machen aber da war Schule etwas anderes...oder?
Noch immer mit Phil verschränkt,verabschiedeten wir uns leidenschaftlich vor dem Bioraum und winkten einander zu als er um die Ecke bog.Jetzt musste ich eine ganze Stunde ohne ihn aushalten,warum hatte der Idiot auch kein Biologie gewählt?
Mit hängenden Schultern betrat ich den Klassenraum und setzt mich in die zweite Reihe,einen Vorteil hatte es ja doch Bio gewählt zu haben.
Tascha und Rony waren beide nicht da!
Ich probierte es mir so gut wie möglich auf dem ollen Holzstuhl bequem zu machen und fand schließlich die richtige Position.Leise seufze ich und wartete endlich auf die Ankunft von Herr Gabriel.
Er war einer dieser Lehrer der auf sich Stunden warten ließ,er mussten noch seinen Kaffee zu ende trinken oder sein Brot aufessen.
Genervt kratze ich mich am Hinterkopf und schaute mir meine Mitschüler an,sie erinnerten mich immer wieder an Affen.An wild gewordene Affen,die eigentlich in den Zoo gehörten.Alleine wie die „ober Coolen“ dort auf den Tischen saßen und sich gegenseitig die neusten Pornos von Handy zu Handy schickten,oder die Zicken die nochmal ihre Lippen nachziehen musste.Meine Generation war so was von runtergekommen,entweder nichts im Kopf oder was im Kopf und dann ein Fall für die Klapse.
Wirklich traurig.
Die Tür sprang geräuschvoll auf und jeder hatte damit gerechnet,dass Herr Gabriel herein gestürmt kam,doch als sich Marcels Gestalt in den Raum quetschte,kam nur ein genervtes Seufzen von meinen Mitschülern.
Mit rot gefärbten Wangen und noch immer der grauen Mütze auf dem Kopf,kam Marcel auf mich zu geschlendert und nahm neben mir platz.Er warf regelrecht seine Klamotten auf den Tisch und schenkte mir ein leicht verwirrtes Lächeln.
„Hi“,brachte ich gerade so heraus und sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.
„Hey“,entgegnete er und zog eilig seine Jacke aus,legte sie über den Stuhl und bemerkte gar nicht wie sie hinunter auf den Boden rutschte.
„Was ist los?“,fragte ich nach,als er einigermaßen ruhig auf dem Stuhl saß.
„Nichts,ich dachte nur Gabriel ist schon da...“,sagte er völlig außer Puste und drehte sich mit dem Oberkörper zu mir, „aber das ist er ja nicht“.
Wortlos schüttelte ich meinen Kopf und presste die Lippen aufeinander,irgendetwas hatte Marcel.Nicht ohne Grund würde er halbtot in die Klasse gerannt kommen.
Schnell beugte ich mich nach vorne und hob die schwarze Jacke von Marcel auf,hielt ihm sie vor die Nase und sah ihn erwartungsvoll an.
„Sie ist runter gefallen“.
„Oh,Danke!“,brabbelte er und hing sie ordentlich über seinen Stuhl,setzte sich gerade und faltete seine Hände auf dem Tisch.
Misstrauisch sah ich ihn an,Marcel wollte mir also nicht sagen was los sei,gut das konnte ich auch.
Leicht beleidigt schob ich die Unterlippe vor und drehte mich ebenfalls nach vorne,genau im passenden Moment sprang erneut die Tür auf und dieses mal trat tatsächlich Herr Gabriel ein.
Seine runder Körperbau und das dünne,weiße Haar ließ schon auf seine Unsportlichkeit und sein Alter schließen.Voller Mühe schleppte er sich auf seinen Platz und hatte dabei seine Tasche unter den Arm geklemmt,die Kaffeetasse in der Hand und das Brot noch im Mund.
Als er endlich seinen Stuhl erreicht hatte und das Brot runter geschluckt,wandte er sich der Klasse zu und begrüßte uns mit einem flüchtigen Kopfnicken.
Ein gelangweiltes und müdes „Guten Morgen!“,ging in der Klasse durch,alle setzten sich hin und nahmen ihr Biologiebuch heraus.
„Schön das Sie alle so zahlreich erschienen sind,wir fangen nun auch an dazu schlagt bitte die Bücher auf Seite 308 auf“,begann der dicke Mann sein Unterricht und schläferte damit die halbe Klasse ein.
Die ersten dreißig Minuten gingen wie in Zeitlupe um,es war wie bei einem schlechten Film.Man sah ihn an aber die Minuten verstrichen nur sehr,sehr langsam.
„...wenn man aber ganz genau hinsieht,erkennt man sogar die Amöbe.Obwohl sie die größte der drei genannten Einzeller ist,ist sie wiederum sehr klein.0,05 Millimeter,Jasmin,mit was kann man dies vergleichen?“.
Erschrocken schnappte das schwarzhaarige Mädchen hinter mir nach Luft und sah sich panisch um,als alle Blicke auf ihr lagen.
„Ähm,ist ein Angelhaken auch so dick?“,stammelte sie hilflos und zog die Schultern hoch.
Mit einem hoffnungslosen Blick auf Jasmin,drehte sie Gabriel wieder dem Projektor zu und redete einfach weiter.
Leicht wurde ich von links angestoßen,mein Kopf fuhr herum und dunkelblaue Augen grinsten mich regelrecht an.
„Was?“,zischte ich und rieb mir den Oberarm.
„Warum hast du Phil nicht gesagt,was bei dir Zuhause los ist?“,fragte Marcel nach und probierte dabei so leise zu sein wie es nur ging,doch war seine tiefe Bass-Stimme da nicht gerade von Vorteil.
„Keine Ahnung,ich...“,probierte ich mein Haben zu erklären,doch wusste ich selber nicht so ganz warum ich Phil angelogen hatte.
„Du weißt es also nicht?“,brachte er es auf den Punkt und warf mir eine amüsierten Blick zu,wir waren zusammen gerückt und hatten unsere Kopfe zusammen gesteckt,immer mal wieder schaute ich zu Gabriel doch war dieser vollkommen den Band der Amöbe verfallen.
„Könnte man so sagen,ich will einfach nicht das er sich Sorgen macht.Ich kann das nicht ab haben,wenn mich jemand wie ein Baby behandelt“.
„Mhm,gut zu wissen.Dann werde ich nicht mehr nachgeben,wenn du mich mit großen Augen ansiehst“,gab Marcel todernst zurück und schaute noch vorne auf das Bild an der Wand.
Hart schluckte ich und sah ihn fassungslos an,meine Augen fingen schon an zu brennen soweit hatte ich sie aufgerissen.Als er sich wieder zu mir drehte und mich sah fing er an zu kichern.
„Süß...“,kicherte er und konnte sich gerade noch zügeln nicht laut weiter zu lachen.
„Was ist jetzt schon wieder süß?“,hackte ich wütend nach und schob die Unterlippe vor.
„Du“.
„Ich?“.
„Ja,Du!“.
„Idiot!“,damit war das Thema gegessen,leicht beleidigt aber nicht wirklich sauer,drehte ich mich nach vorne und probierte zu verstehen,wie man so für ein Einzeller schwärmen konnte wie Gabriel.
Gelangweilt lümmelte ich mich auf meine Hand und zählte jede verstrichene Sekunde.
„Wenn man bedankt,wie atemberaubend die Amöbe ist,ist es schon ein Wunder wie wenig Aufmerksamkeit sie von der heutigen Jugend oder allgemein der Menschheit bekommt“,faselte mein „so geliebter“ Lehrer weiter und interessierte sich nicht dafür,dass dreiviertel der Klasse am einschlafen oder schon ganz am schlafen war.
„Ja, atemberaubend und einschläfernd“,knurrte Kevin von ganz hinten und klang eindeutig gelangweilt.
„Nein mein lieber Kevin,so großartig ist die Amöbe dann doch nicht...“,rief Gabriel voller Faszination in die Klasse und drückte den Knopf am Projektor aus,stand auf und blickte auf seine Armbanduhr.
„So,die Stunde ist genau jetzt“,es klingelte schrill und laut, „vorbei.Wir sehen uns dann in zwei Tagen wieder“.
Laut gähnte ich und packte meine Sachen ein,stellte mich an den Türrahmen und sah Marcel zu wie er ebenso langsam,wie alle anderen,seine Sachen einpackte und sich zu mir begab.
„Du gehst jetzt also mit zu Phil?“,fragte er und ging mit mir nach draußen.
„Ja,sieht wohl so aus“.
Langsam öffnete sich die Schultür vor uns und frische Luft umwehte uns,Sonnenstrahlen streiften meine Haut und meine Augen kniff ich von ganz alleine zusammen.
„Vivi,Marcel!“,rief uns Jemand und wurde immer lauter.Als sich meine Augen endlich an das neugewonnene Licht gewöhnt hatten,konnte ich auch Phil erkenne.Mit einem kurzen Kuss begrüßte ich ihn und stellte mich Marcel gegenüber.
„Wir sehen uns Morgen“,wieder Hand in Hand,stellte ich mich auf die Zehnspitzen und drückte Marcel einen Kuss auf die Wange,drehte mich um und winkte ihm beim weggehen.
Langsam durchquerten wir das Schultor und liefen die Straße entlang,der Verkehr war hier in den Nebenstraßen gerade noch auszuhalten,auf den Hauptstraßen sah das schon ganz anders aus.
„Seit wann bist du eigentlich so dicke mit Marcel?“,fragte Phil leise nach und traute sich anscheinend mich nicht an zugucken.Wir liefen gerade an einem Spielplatz vorbei und Vögel sangen ihre Lieder,die Sonne schien ohne Erbarmen auf uns nieder und Phil fragte allen Ernstes warum ich mich mit seinem besten Freund gut verstand?!
„Ich weiß nicht,aber was ist daran so schlimm?“,fragte ich zurück und ließ seine Hand los.Verwirrt sah mich Phil an und probierte anscheinend mein Verhalten zu verstehen.
Mit einer geschickten Bewegung streifte ich meinen Rucksack von meinem Rücke und ließ ihn zu Boden fallen,zog mir meinen Pulli vom Körper und stand in einem großen T-Shirt vor Phil.
Meine Haare natürlich total verwuschelt.
„Nein,natürlich nicht,es wundert mir nur ein wenig“,stammelte er vor sich hin,als ich ihn mit dem grauen riesigen Pulli in der Hand ansah.
„Dann ist ja gut“,ich hievte mir den Rucksack zurück auf den Rücken und griff wieder nach Phil Hand,verschränkte meine Finger mit ihm und lief,ohne auf ihn zu achten,weiter.
„Bin wieder da“,brummte ich und warf meinen Schlüssel auf den Küchentisch,ich hatte nicht erwartet das mir jemand antwortete doch war ich auch nicht froh,als ich eine Antwort bekam.
„Vivian,kommst du bitte mal ins Wohnzimmer?“.
Voller Ekel und Abscheu schlich ich mit kleinen Schritten ins Wohnzimmer und rieb meine Hände aneinander.
„Ja?“.
Ich hatte schon geahnt was ich da sah,doch das es nun Wirklichkeit war,ließ mich noch immer nicht kalt.Mein Vater saß ,mit dem Arm um Alexandra,auf dem Sofa und hielt in der anderen Hand ihre,alleine dieser Anblick brachte mich wieder zum würgen.
„Wir müssen reden“,sagte mein Vater streng und verzog dabei keine Miene.Widerwillig setzte ich mich auf den Hocker und starrte die Beiden an.Das siegerhafte Lächeln und die zu kurzen Klamotten meiner „Mutter“,machten mich wütend und das sie sich auch noch an meinen Vater kuschelte,brachte das Fass zum überlaufen.
„Über was den? Über dieses Monster,dass du jetzt wieder liebevoll im Arm hältst?“,gab ich zickig zurück und konnte es nicht über mich bringen Alexandra anzugucken.
„Du meinst wohl deine Mutter“,korrigierte mich Dad.
„Nein,ich meine das Monster!“.
Kurz entstand eine knisternde Stille,man spürte förmlich die Anspannung in der Luft.
„Wie dem auch sei,ich bin jetzt wieder mit deinem Vater zusammen ob es dir passt oder nicht.Ich werde hier wieder wohnen und du wirst mich bitte als deine Mutter ansehen“,fing der schäbbige Abklatsch von Megan Fox an.
„Noch ein paar Wünsche?“,fragte ich sarkastisch nach und probierte meine Empörung unter Kontrolle zu kriegen.Als keiner der Beiden etwas sagte,konnte ich nicht anderes und stand auf.
„Das soll doch ein Witz sein oder? Dad,diese Frau“,ich zeigte auf Alexandra , „hat dein ganzes Leben versaut.Sie hat dich in Depressionen gezogen und bei lebendigen Leibe zerfleischt,sie hat dich und mich alleine gelassen“.
Ich war den Tränen nah,nicht weil ich traurig war,nein,weil ich sauer war.Wie konnte sich mein Vater nur auf Alexandra einlassen?
Auf das Monster,dass mich mit fünf Jahren allein gelassen hat,die mein Vater immer wieder das Herz zerriss.
„Nein Vivi,das ist mein voller Ernst“,beteuerte Dad und klammerte sich regelrecht an Alexandra.Ohne ein weiteres Wort,ohne ein weiteren Blick stampft ich an den Beiden vorbei hoch in mein Zimmer und warf mich dort auf mein Bett.
Tränen liefen mir die Wangen hinab und ein Schrei blieb mir in der Kehle stecken,wie ich mein Leben hasste.
„Verdammt,wie,nein,das geht doch nicht“,schluchze ich tonlos vor mir her und drückte mein Gesicht immer fester in das Kissen.Ich wollte nicht weinen,nicht schon wieder,doch konnte ich nicht anderes.Es war einfach zum weinen,mein Vater ließ sich wieder auf die Frau ein,die dafür bekannt war zu betrügen,die nur dafür lebte.
Ob Liebe also doch blind machte?
Ich wusste nicht wie lange ich dort lag und probierte meine Tränen zurück zuhalten,doch als es leicht an der Tür klopfte und ich meinen Kopf für einen kurzen Moment hob,war es dunkel vor meinem Fenster.
„Kann ich rein kommen?“.
„Nein!“,blaffte ich und setzte mich langsam auf,mit steifen Gliedern saß ich auf meinem Bett und drückte mir mein Winnie Pooh-Kissen an die Brust.
„Wir müssen aber mal darüber reden...“,seufze meine „Mutter“ vor der Tür und klang nicht annähernd bedrückt.Sie war noch nie eine gute Schauspielerin gewesen.
„Das müssen wir nicht,ich weiß alles was ich wissen muss.Du hast Dad wieder um den kleinen Finger gewickelt und nistest dich bei uns ein,doch das machst du natürlich nicht ohne Grund.Also,was willst du wirklich?“,ich kam mir schon ein wenig doof vor da ich mit einer Tür sprach oder besser gesagt,da ich eine Tür anschrie.
„Wenn ich reinkomme,können wir ja darüber reden“.
Ich ließ das Kissen aus meinen Armen gleiten und stand auf,stampfte zur Tür und schloss diese auf.Bevor Alexandra auch nur ein Fuß in mein Zimmer setzten konnte,saß ich wieder auf mein Bett und verschränkte die Arme demonstrativ vor der Brust.
Unschuldig wie sie war,kam sie hinein in mein Zimmer geschlichen und lächelte mich schüchtern an.Ihre schwarzen Haare trug sie heute offen und ihre Lippen waren von einem so auffälligen Rot,dass es mich fast zum würgen brachte.
„Hi“,stammelte sie und kam auf mich zu,sie setzte sich auf meine Bettkante und strich sich durch die Haare,ihr ekelhaftes Parfüm streifte mich gerade und die Übelkeit kam noch ein Stück höher.
„Ich weiß,dass dies alles für dich ziemlich viel ist aber du kannst nichts gegen wahre Liebe machen“,fing sie an und schaute auf ihre Hände und begutachtete die billige Maniküre.
„Wahre Liebe?“,spottete ich.
„Ja, wahre Liebe.Du musst damit klar kommen,dass ich jetzt wieder die Frau an der Seite deines Vaters bin“.
„Du bist gar nichts,du hast dich dreizehn Jahre nicht um mich und mein Vater gekümmert,du hast nur junge Männer gebumbst die zwanzig Jahre jünger sind und du bist einfach eine Schlamp...“,zischte ich und war aufgesprungen,allein die enorme Wut die ich meiner Mutter gegenüber empfand würde reichen für ein kleines Dorf von tausend Menschen.
„Nenne mich nicht so Fräulein,dein Vater ist doch selber Schuld wenn er sich wieder auf mich einlässt.Er liebt mich und das hat er die ganzen dreizehn Jahre über getan.Denkst du wirklich,dass du seine Gefühle beeinflussen kannst? Vivian du bist keine zehn mehr mit großen Kulleraugen,du bist erwachsen und dein Vater kann dich jede Minute hier rausschmeißen“,sagte Alexandra im bestimmten Tonfall und stand ebenfalls auf.Ihre Augen loderten und das Lächeln auf ihre Lippen war wieder gekehrt.
Krampfhaft ballte ich meine Hände zu Fäusten und schluckte hart.
„Aber..“,setzte ich an und war gerade das erste mal machtlos gegen die Frau die mich geboren hatte.
„Ich brauche nicht mehr lange und dann bist du nur noch Luft für Ben,dann werde ich die einzige Frau in seinem Leben sein“,flüsterte sie und kam zwei Schritte auf mich zu.Augenblicklich erstarrte ich und schnappte kaum merklich nach Luft.
Sie hatte sich seitlich zu mir gestellt und beugte sich zu mir,ihre Lippen lagen beinah an meinem Ohr.
„Du wirst schon sehen,ich werde das Spiel gewinnen ob es dir passt oder nicht“,mit diesen Worten verließ sie mein Zimmer,sie schloss die Tür in normaler Lautstärker und lief in die Küche.Ihre Pumps machten bei jedem noch so kleinen Schritt ein Geräusch und schließlich verstummten sie.
Wutentbrannt war ich nach draußen gelaufen. Ben wollte mich aufhalten doch hatte ich seine Hände von mir geschlagen. Ich war volljährig und konnte machen was ich wollte, dann konnte ich auch um Mitternacht nach draußen laufen und seelenruhig alleine herumirren.
Was interessierte es schon meinem Vater ob ich weg war?
Die Laternen die jeweils jede zehn Meter voneinander weg standen erhellten die Straßen, sie ließen sie nicht so unheimlich und dunkel erscheinen.
Es beruhigte einen komischerweise draußen an der frischen Luft spazieren zu gehen, sich alles durch den Kopf gehen zu lassen und niemand um sich herum zu haben.
Schwerfällig seufze ich und blieb stehen, meine Beine fühlten sich schwer an, wie Blei. Ich ließ meinen Kopf nach vorne fallen und ballte meine Hände zu Fäusten.
Ich konnte meinen Vater nicht verstehen, wie konnte er sich wieder auf die Frau einlassen die ihn weggestoßen hatte, immer und immer wieder?
Glaubte er tatsächlich an das Gute in dieser Frau, hatte er sie schon immer geliebt und nie damit aufgehört?
Würde Phil mich jetzt verlassen oder betrügen, würde ich ihn weiterhin lieben. Denn Liebe kann man nicht einfach abstellen, es ist ein mächtiges Gefühl und dieses wird auch nicht einfach verschwinden.
Erschrocken darüber, dass ich meinen Vater verstand riss ich die Augen auf.
Konnte ich wirklich sein Handeln nachvollziehen?
Krampfhaft probierte ich gleichmäßig zu atmen, meine Augen offen zu behalten und nicht wieder zu weinen. Ich war zu einer wahren Heulsuse mutiert, noch nie in meinem Leben hatte ich so viel geweint.
Unsanft biss ich mir auf die Zunge und schaute auf, ein kalter Wind wehte und meine Haare flogen nach vorne, sodass sie mir meine Sicht nahmen. Langsam strich ich mir die einzelnen Strähnen aus dem Gesicht und dachte darüber nach was ich jetzt tun könnte.
Ich wollte nicht nach Hause, nicht jetzt. Zu Phil konnte ich auch nicht, er wusste von all dem nichts. Vor ihm tat ich als sei nichts passiert, als sei alles normal.
Erneut seufze ich und steckte meine Hände in meine Hosentaschen, ich war alleine.
Ich fühlte mich alleine. Wie oft hatte ich mir gewünscht ein ganz normales Leben zu haben?
Eine Mutter die mich liebte und mich nie verlassen würde, ein Vater der ebenso liebevoll ist wie meine Mutter und vielleicht sogar ein kleines Geschwisterchen.
Doch das hatte ich nicht wirklich eine Sache davon, natürlich war Ben ein super Vater doch hatte ich nie das Gefühl als seien wir eine vollkommene Familie.
Als seien wir ganz...
Mein Handy vibrierte neben meiner Hand und riss mich zurück in das Hier und Jetzt. Schnell zog ich es hervor und hielt es mir ans Ohr.
„Ja?“, fragte ich schwach nach und kniff mir mit der anderen Hand in den Nasenrücken.
„Vivi, es tut mir leid“, flüsterte eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung.
Verwirrt runzelte ich die Stirn und stemmte eine Hand in die Hüfte, zum Glück wärmte der dicke Pulli genug.
„Vivi?“.
„Ähm, ja wer ist den da?“, hackte ich nach.
„Dein Vater, ich...“, fing er an und klang bedrückt, „...Moment mal, hast du was getrunken?“.
„Nein!“, quiekte ich empört, traute mir jetzt auch noch mein Vater zu mich alleine in der Nacht zu besaufen?
„Aber...“, fing er wieder an doch unterbrach ich ihn.
„Dad ist es nicht schon ein wenig spät? Geh lieber ins Bett zu Alexandra und hab Spaß mit ihr, ich werde schon nicht entführt“, ohne auf seine Reaktion zu warten legte ich auf und steckte das Handy zurück in meine Tasche, atmete tief durch und lief los.
Eigentlich hatte ich kein Ziel gehabt, ich wollte einfach laufen (das hatte schließlich schon mal geholfen).
Doch als ich dann vor der Wohnung von Marcel stand und sogar geklingelt hatte, war ich mehr als nur geschockt gewesen.
Nach knapp fünf Minuten des Wartens war ich drauf und dran mich umzudrehen und zu gehen, doch ging genau in diesem Moment die Tür ganz langsam auf und ein halbnackter junger Mann stand vor mir.
Leicht verstört kratze er sich am Dreitagesbart und kniff ein Auge zusammen.
„Kann ich dir helfen?“, brummte er müde und probierte anscheinend nicht umzufallen.
„Es tut mir leid, wohnt Marcel nicht hier?“, fragte ich nach und spähte in die Wohnung hinein, sie war vollkommen dunkel...was natürlich auch klar war am frühen Morgen.
„Ja, schon...“, stammelte er weiter und musterte mich von oben bis unten, „komm rein!“.
Langsam öffnete er die Tür vollkommen und machte eine einladende Geste mit der Hand, gähnte und schloss die Tür wieder als ich drinnen war.
„Und wer bist du?“, hackte der Typ nach und lief an mir vorbei, er ging in einen kleinen Flur und sah mich septisch an.
„Freundin von Marcel“, stotterte ich vor mich her und könnte mir dafür gegen den Kopf schlagen, ich war es absolut nicht gewohnt ein halbnackten und dazu noch gutaussehenden Mann vor mir zu haben. (Phil war da jetzt mal eine Ausnahme)
„Schön“, hauchte er und hob die Hand, schlug gegen eine Tür und gähnte erneut , „Marcel deine Freundin ist da, ich geh wieder pennen“.
Augenblicklich wurde ich rot, räusperte mich und verabschiedete den Typen (der wohl Henry war).
Nur ein paar Atemzüge später ging Marcels Zimmertür auf und er kam hinaus geschlichen, ebenfalls nur in Boxershorts.
„Henry, ich habe keine...“, fing Marcel müde an zu widersprechen, da erblickte er mich und erstarrte.
„Hey“, begrüßte ich ihn und hob schüchtern die Hand.
„Hallo?“.
„Wie geht’s so?“, fragte ich nach und wusste nicht so ganz was ich sagen sollte, schließlich stand Marcel halbnackt vor mir und ich hatte ihn einfach aus dem Schlaf gerissen.
„Gut, aber was machst du hier?“, fragte er zurück und zog die Stirn in Falten.
Langsam glitt mein Blick von seinem Gesicht tiefer.
Sein Körper war durch und durch gut trainiert, ich wusste nicht das er Sport trieb doch anscheinend tat er das ja. Da es so dunkel war und nur ein wenig Licht aus seinem Zimmer drang, erkannte ich sonst nicht viel von ihm.
„Wollen wir in dein Zimmer?“, fragte ich nach und kam auf ihn zu, ging an ihm vorbei und schlich in sein Zimmer. Es war klein und unordentlich aber man sah das Bett und das reichte mir, müde ließ ich mich auf dieses fallen und schaute zu wie Marcel die Tür hinter sich schloss und auf mich zukam.
„Und?“, hackte er nach.
„Ich musste mit jemanden reden, es tut mir leid. Es war eine doofe Idee hierher zu kommen, ich habe dich und Henry aus dem Schlaf gerissen und...“.
„Schon in Ordnung, was ist den passiert Vivi?“, unterbrach er mich und setzte sich zu mir.
„Alexandra und mein Dad sind wieder zusammen, sie zieht sogar bei uns ein“, erklärte ich notdürftig und konnte es nicht lassen meine Augen bei mir zu behalten.
„Oh“, das war das Einzige was er sagte, klar es war auch eine doofe Situation für ihn.
Marcel hatte gerade noch vor zwei Minuten geschlafen und jetzt bombardierte ich ihn mit meinen Sorgen.
„Na ja, ist jetzt auch egal. Ich sollte lieber gehen, wie komme ich überhaupt auf die Idee Nachts“, mein Blick glitt auf einen kleinen Wecker neben dem Bett. „ Morgens zu dir zu kommen und dich hier voll zu quatschen?“.
Leise seufze ich und erhob mich, ich war völlig verwirrt. Wo sollte ich jetzt hin?
Was sollte ich jetzt machen?
Mit dem Rücken zu Marcel verließ ich sein Zimmer, ich war genau drei Schritte gegangen als mich er mich an die Hand nahm und zu sich zog. Mit voller Wucht kam ich neben ihm zu liegen und atmete mindestens doppelt so schnell.
Wir sahen einander in die Augen und ich hätte wetten können, dass er ein Stick grün in seinem dunkelblauen Augen hatte.
„Du bleibst hier. Es ist spät und ich habe nicht wirklich Lust dich nach Hause zu bringen und außerdem bin ich davon überzeugt das du keine Lust hast nach Hause zu gehen. Ergebnis: du schläfst hier bei mir und ich kann auch weiter schlafen“.
Kurz war ich sprachlos, soviel und dazu auch noch so überzeugt hatte Marcel seit langem nicht mehr an einem Stück geredet.
„Ähm, in Ordnung und wo möchtest du schlafen? Auf dem Boden?“, hackte ich nach und starrte ihm noch immer in die Augen.
„Ach also möchtest du das Bett haben?“, lachte er und schüttelt amüsiert den Kopf.
„Wenn du mich schon so fragst, ja“.
„Wie sie wollen Madam, du schläfst auf dem Bett und ich nehme mir eine Decke und lege mich ins Wohnzimmer“, beschloss Marcel und stütze sich auf seine Ellbogen.
„Ich soll alleine hier schlafen?“, vorwurfsvoll sah ich ihn an, seine Schultern und sein ganzer Rücken war glatt und man sah die einzelnen Muskeln, die sich anspannten und wieder lockerten.
„Ja oder hast du alleine im Dunklen Angst?“, schnell streckte er sich nach hinten und grinste mich frech an.
„Nein, natürlich nicht, nein!“, stammelte ich und stieß ihn locker an. „Ich, nein“.
„Gut, dann sehen wir uns Morgen früh wieder“, mit einem Lächeln auf den Lippen, erhob sich Marcel und ging zur Tür. Kurz bevor er vollkommen verschwand blieb die Tür ein Spalt offen und Marcel steckte seinen Kopf hindurch.
„Gute Nacht und ähm, lass dich nicht von den Monstern im Schrank auffressen“.
Belustigt ließ ich Luft zwischen meinen Lippen entweichen und schüttelte den Kopf.
„Dir auch gute Nacht“, schon schloss sich die Tür und Marcel war verschwunden. Langsam hievte ich mich hoch und streunte in seinem Zimmer umher. Er war wirklich ein typischer Junge, überall Klamotten und Dinge die wirklich nicht auf den Boden gehörten. Schließlich blieb ich bei seinem Schreibtisch stehen und musterte ihn aufmerksam.
Bücher, Zettel, Stifte und Zigaretten.
Marcel rauchte?
Was man nicht alles über einen erfuhr, wenn man schnüffelte.
Mit einem letzten Seufzen ließ ich mich auf sein Bett fallen und drehte mich zur Wand, schloss die Augen und hoffte auf schnellen Schlaf.
Nach und nach verstrichen die Minuten und ich konnte einfach nicht einschlafen, ich war vollkommen unruhig und warf mich von der einen Seite zur anderen.
Obwohl ich eine gewissen Müdigkeit empfand und mir meine Augen fast zu fielen, wollte ich einfach nicht einschlafen
Leise stöhnte ich auf und schwang mich kraftvoll vom Bett, mit winzigen Schritten tappte ich durch das dunkle Zimmer, blieb an der Tür stehen und öffnete sie.
Der Flur war genau so in Dunkelheit gelegt wie die restliche Wohnung. Doch war der schmale Flur ohne Möbel bestückt und so hatte ich das Glück nicht, so tollpatschig wie ich war, geräuschvoll gegen eine Kommode zu laufen.
Meine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit und schließlich stand ich auch schon im Wohnzimmer.
Ich wusste, dass das hier eine doofe Idee war aber ich war müde und konnte einfach nicht einschlafen.
Vorsichtig beugte ich mich zum Sofa hinunter und sah Marcel an. Seine Augen waren geschlossen und sein Mund ein Stück offen.
Langsam streckte ich meine Hand aus und legte sie an seine Schulter, wackelte und wartete auf seine Reaktion.
„Mm...“, brummte er und ließ die Augen geschlossen.
„Marcel, ich kann nicht schlafen!“, flüsterte ich leise und ging um das Sofa herum.
Er rührte sich nicht einmal, war er wieder eingeschlafen?
„Marcel?“.
Wieder machte er nichts, schlief einfach weiter.
Trotzig schob ich die Unterlippe vor, hob seine Decke an und legte mich zu ihm. Da das Sofa ausgeklappt war, war genug Platz für uns Beide da.
Gemütlich murmelte ich mich ein und legte die Decke über mich.
„Vivi, was machst du da?“, nuschelte er müde und sah mich scharf an als ich mich zu ihm drehte.
„Na ja, ich kann nicht schlafen und früher bin ich dann immer zu Phil gegangen aber jetzt...“, erklärte ich und sah ihn bittend an.
„Aber“, setzte Marcel an doch unterbrach ich ihn.
„Kein Aber, Bitte?“.
Kurz grübelte er, seufze schließlich und fing an zu lächeln.
„Okay, überredet“.
Zufrieden drehte ich mich auf die andere Seite, zog die Decke bis zur Nase und schloss die Augen. Kraftvoll warf sich Marcel ebenfalls auf die andere Seite und zog die Decke ein Stück zu sich.
Ich dachte eigentlich, dass das Sofa breit genug sei. Doch lagen wir jetzt Rücken an Rücken und spürten jede Bewegung des Anderen.
So dauerte es ewig bis ich einigermaßen zu Ruhe kam. Gerade fiel ich tatsächlich in einen leichten Schlaf, als sich Marcel stöhnend auf den Rücken legte und einen Arm hinter seinen Kopf legte.
Leicht verdrehte ich die Augen und drehte mich zu ihm, starrte ihn wütend an und stütze mich auf den Ellbogen.
„Was ist?“, hackte er nach und spähte zu mir hinunter.
„Du hast dich bewegt“.
„Das tut man(n) halt mal!“, brummte er etwas zu unfreundlich und schaute an die Decke. Leise seufze ich und rückte ein Stück näher zu ihm, setzte mich so auf sodass ich in seine Augen sehen konnte und ihm die Sicht auf die Decke nahm
„Wenn ich nerve dann sag es, ich gehe!“, flüsterte ich ernst und probierte in seinen Augen etwas zu lesen.
„Vivi, das ist es nicht“, erwiderte Marcel bedrückt.
„Und was ist es dann?“.
„Ich weiß es nicht, ich bin einfach müde“, immer kleiner wurden seine Augen.
„Gut!“, langsam rutschte ich tiefer, legte meinen Kopf auf seine Brust und schloss wieder meine Augen.
Ich hatte gemerkt wie er leicht zusammengezuckt war und die Luft anhielt doch war mir das egal.
„Gute Nacht“, hauchte ich und merkte wie ich immer müder wurde.
Marcels Herzschlag war gleichmäßig und wie ein altes, schönes Schlaflied.
„Gute Nacht“, es war kaum mehr als ein Hauchen gewesen.
Phils Sicht.
„Entschuldige Phil, es ist alles ein wenig durcheinander“, stammelte Ben unsicher herum und probierte mir so wenig Einblick in die Wohnung zu lassen wie es nur ging.
„Kein Ding Ben, kann ich aber zu Vivi?“, fragte ich nach und sah ihn neugierig an. Wie jeden Morgen wollte ich auch heute Vivi abholen, heute sogar drei Minuten später als sonst.
„Ähm, puh“, Ben strich sich durch die Haare und warf der Frau hinter sich einen vielsagenden Blick zu. „Die ist gar nicht da. Sie ist gestern Abend abgehauen und nicht mehr wieder gekommen“.
Fassungslos starrte ich den halbnackten Mann vor mir an, bis sich eine schwarzhaarige Frau an ihm vorbei drängelte und mich skeptisch musterte.
„Vivian ist gegangen und wenn du sie findest kannst du ihr sagen, dass sie auch nicht mehr wieder kommen brauch. Sie hat uns völlig geschockt. Wie kommt sie bloß auf die Idee einfach abzuhauen?“.
Ohne etwas zu erwidern wurde mir die Tür vor der Nase zu geschlagen und der morgendlicher Geruch von „alten“ Menschen blieb bei mir. Kurz rümpfte ich die Nase bevor ich mich umdrehte und in die völlig falsche Richtung lief.
Zur Schule musste ich nach links abbiegen doch hatte ich das komische Verlangen nach rechts zu gehen, so als ob dort Vivi wäre.
Immer schneller und schneller lief ich die Straßen entlang. Mein Herz schlug um das doppelte in meiner Brust und meine Beine fingen an zu schmerzen. All die Passanten sahen mich schon komisch an als sei ich verrückt. Als ich nach einem Dauermarsch von knapp zehn Minuten stehen blieb war ich selbst über mich verwundert. Ich stand vor der Wohnung von Marcel und von hier unten aus konnte man sehen, dass die ganze Wohnung noch in völliger Dunkelheit lag.
Schnell rannte ich die vielen Treppen hoch und blieb oben vor der Haustür stehen, klopfte mit voller Kraft gegen das alte Holz und lauschte ob sich im Inneren etwas regte. Mein Herz schlug so schnell in meiner Brust das es fast alles überdeckte, ich hörte mich nicht mal selber atmen.
„Ich komme ja schon“, brummte Jemand hinter der verschlossenen Tür und öffnete diese energisch.
Mit aufgerissenen Augen starrte ich Henry an der mich ebenso verwirrt ansah.
„Henry, was machst du denn hier?“, hauchte ich leise und bekam meinen Mund einfach nicht zu.
„Ich, also, das ist so“, fing er an zu stammeln und konnte gerade noch so die Kaffeetasse in der Hand behalten. Er war wohl genau so geschockt mich zu sehen wie ich ihn. „Dich auch lange nicht mehr gesehen, mir geht’s gut und dir?“.
Kurz verdrehte ich die Augen, nahm meinen alten Freund in die Arme und ließ ihn dann wieder los.
„Ich will zu Marcel, ist er da?“.
„Ja schon, aber er hat „Besuch“, wenn du verstehst was ich meine“, kicherte er und stieß mich locker an. Mit einem breiten Lächeln trat ich in die Wohnung ein und schloss die Tür hinter mir.
„Was machst du denn jetzt hier wieder? Ich dachte du bist in England“, hackte ich nach und lief den kleinen Flur entlang zum Wohnzimmer.
„Familienprobleme“, gab Henry kurz angebunden zurück und ging in die Küche, stellte seine Tasse ab und kam auch nicht mehr wieder. „Sie sind auf der Couch!“.
Lächelnd und recht amüsiert lief ich zu dem ausgeklappten Sofa und erblickte Marcels schlafende Gestalt.
„So wie immer“, nuschelte ich vor mich her und packte ihn an der Schulter. „Marcel, Alter!“.
Müde und total verwirrt öffnete mein bester Freund seine Augen, sah mich und sprang regelrecht von dem Sofa auf.
„Man erschreck mich doch nicht so“, brüllte er wütend und brachte mich so dazu meine Hände zu heben um ihn zu beschwichtigen. Total panisch legte er sich eine Hand auf die Brust und atmete tief durch. Leise und sodass er es nicht merkte fing ich an in mich hinein zu lachen.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte nur deine neue Freundin kennenlernen“, erwiderte ich und probierte nicht laut loszulachen.
„Meine neue Was?“.
„Tu nicht so auf dumm, ich weiß das du eine Freundin hast. Henry hat gesagt...“, fing ich an und klopfte Marcel auf die Schulter.
„Scheiße Henry, was hast du gesagt?“, schrie Marcel wutentbrannte und rannte fast in die Küche.
„Ich habe nur das gesagt, was ich gesehen habe“.
„Henry, du bist ein solcher Idiot“, zischte er und kam langsam wieder zu mir gelaufen.
„Und wo ist sie jetzt?“, fragte ich neugierig und suchte nach einem Mädchen Ausschau doch sah ich nirgends eins.
„Also Phil, dass ist so...“, Marcel suchte nach Worten und kratze sich am Hinterkopf, biss sich wie verrückt auf der Unterlippe herum und fuhr mit seinen Fingern seinen Bauch entlang.
„Ja? Ich höre“.
„Marcel hast du auch anderes Shampoo da?“.
Wie erstarrt schaute ich zu der Tür die sich im selben Moment öffnet hatte und ein Mädchen nur in Top und Boxershorts herauskam. Ihre langen dunkelbraunen Haare waren offen und standen ihr in jede Himmelsrichtung ab, ihre Augen waren von einem so wunderschönen grün-blau und ihr Lächeln das in dem Moment verschwand als sie mich erblickte, ließ mich schmerzhaft zusammenzucken.
„Vivi?“, war das Einzige das ich heraus brachte. Das einzige kleine Wort.
In meinem Kopf passierte gerade so vieles auf einmal, dass ich gar nicht realisierte, dass Marcel mir eine Hand auf die Schulter gelegt hatte.
„Phil, was machst du hier?“, quiekte Vivi verwirrt und ließ die Shampooflasche aus der Hand gleiten. Mit den Augen verfolgte ich sie. In Zeitlupe fiel sie auf den Boden, schlug auf und blieb dort still liegen.
Es war so, als sei diese Flasche mein Leben das in diesem Moment zerbrach.
„Warum?“, flüsterte ich und schaute Vivi todernst an. „Warum?“.
Ich war normalerweise nicht der Typ Junge der anfing zu heulen und vor allem nicht wenn eine Beziehung in die Brüche ging doch bei Vivi war das etwas anderes. Sie war meine beste Freundin und ich vertraute ihr aber das, das hätte ich nie von ihr gedacht.
„Phil es ist nicht so wie du denkst“, wehrte sie schnell ab und kam auf mich zugelaufen. Sie legte ihre kleinen Hände an mein Gesicht und brachte mich so dazu sie anzusehen.
„Ich hatte nichts mit Marcel“.
„Natürlich nicht. Henry sagt Marcel hat „Besuch“, dann sehe ich dich und das kann natürlich nur heißen das ihr...wie kannst du nur? Das ist abartig!“.
Ruckartig löste ich mich aus ihrem Griff und sah ein letztes mal zu ihr, ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt und wurden langsam rot. Marcel sah mich entgeistert an, er war eindeutig überfordert und wusste nicht was er machen sollte. Also nahm ich ihm die Entscheidung ab.
Mit drei Schritten war ich genau vor ihm, sah ihm bedrohlich in die Augen und holte aus. Mit voller Wucht schlug ich meine Faust in sein Gesicht und brachte ihn so dazu zusammen zu brechen. Er fiel zu Boden und hielt sich schmerzend seine Nase.
„Und so etwas nennt man besten Freund!“, zischte ich und ging zur Tür. Ich schaute nicht zurück als ich sie öffnete und mit unendlicher Wut und Trauer im Bauch verschwand.
Vivis Sicht.
Ich hätte nie im Leben gedacht, dass Phil so reagieren würde. Das er seinen besten Freund schlagen würde. Das wollte einfach nicht in mein Kopf rein.
Vorsichtig drückte ich Marcel das Tuch gegen die Nase. Sie hatte noch immer nicht aufgehört zu bluten und war jetzt schon um das doppelte gewachsen. Wenn ich richtig gehört hatte, gab sie sogar ein leises Knacken von sich wenn man sie nur berührte.
Der Schlag von Phil war direkt und hart gewesen. Ich glaubte mehr, dass nicht der Schlag sondern das Gefühl was Marcel gerade empfand schlimmer war. Die Einsicht, dass er seinen besten Freund verletzt hatte.
Leise seufze ich und schaute in die dunkelblauen Augen vor mir. Sie konzentrierten sich voll auf mich und ließen mich keine Sekunde unbeobachtet.
„Es tut mir leid“, flüsterte Marcel leise und zuckte zusammen als ich aus Versehen zu viel Druck ausübte.
Unsicher wich ich dem Blick von ihm aus und hauchte nur, „Das brauch es dir nicht. Es ist alles meine Schuld“.
„Nein Vivi, wenn ich...“.
„Marcel, wenn ich nicht Phil meine Probleme verheimlichen würde, dann wäre es nie dazu gekommen, dass ich zu dir gegangen wäre. Ich würde jetzt bei Phil sein und mit ihm über meine dumme Mutter reden. Alles wäre gut und jeder glücklich. Es ist alles meine Schuld. Ich bin zu dir auf das Sofa gegangen, ich bin ins Bad gegangen und im falschen Moment zurück gekommen“.
Heftig und mit all meiner Kraft schüttelte ich den Kopf und probierte die Tränen zurückzuhalten. Mein Kopf schien bald zu platzen. Immer mehr und mehr Druck sammelte sich im ihm.
„Ich werde einfach mit Phil darüber reden und es wäre am besten, wenn wir uns nicht mehr treffen. Nicht mehr in der Schule und nicht mehr Privat“, sagte ich entschlossen und drückte Marcel das rot gewordene Tuch in die Hand und erhob mich. Meine Glieder schmerzten und schienen vollkommen übersäuert zu sein.
„Vivi...“.
Krampfhaft ballte ich meine Hände zu Fäusten und rannte aus seinem Zimmer heraus, durch das Wohnzimmer und direkt an Henry vorbei der mir verwundert nachsah und etwas wie „Willst du schon gehen?“, brummte.
Laut ließ ich die Tür zuknallen und stolperte die vielen Treppen nach unten. Die frische Morgenluft wehte mir um den Kopf und löste die schlechten und guten Gedanken voneinander. Wie sehr wünschte ich mir gerade, dass der Wind all die schlechten Erinnerungen und Taten von mir wegfegte. Mich von ihnen löste und sie alle weit, weit weg trug.
Mein Herz schlug unregelmäßig in meiner Brust, das Loch in ihr wurde auch von jeder Sekunde größer.
Ich hatte alles kaputt gemacht. Phil würde mir nie glauben. Er würde immer daran glauben, dass ich ihn mit Marcel betrogen hatte. Davon war ich überzeugt.
Ich war mir bewusst, dass ich vielleicht nie mehr mit Phil zusammen sein könnte und mir war auch bewusst, dass wir jetzt gerade eindeutig getrennt waren. Allein seine Blicke hatten mir gezeigt, dass er Schluss gemacht hat. Dieser tiefe und verletzte Blick.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte Jemand neben mir und stellte sich genau vor mich. Erschrocken zuckte ich zusammen und sah hoch. Eine alte Dame mit tausenden von Falten im Gesicht sah mich besorgt mit ihren großen braunen Augen an.
Schnell schüttelte ich den Kopf und strich mir die hinunter laufenden Tränen weg.
„Nein, nein. Alles in Ordnung“, stammelte ich verwirrt und drehte mich einfach um. Ohne weiter auf die alte Dame zu achten lief ich die Straße hinab. Ich hatte kein Ziel, ich lief einfach.
Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so leer gefühlt.
Es sollte verboten zu sein, so dumm zu sein wie ich. Ich hatte gehandelt ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Ich hatte gemacht aber nicht gedacht und das hatte mein ganzes Leben ins Verderben gerissen.
Was war jetzt noch an meinem Leben lebenswert?
Ich hatte keine Familie mehr, keinen Freund mehr und auch keine Person mehr mit der ich sprechen konnte.
Voller Schreck sprang ich einen ganzen Satz nach vorne als mein Handy anfing zu klingeln. Schnell fuhr meine Hand in die Tasche und holte das kleine schwarze Ding hervor.
„Hallo?“, fragte ich tonlos und blieb stehen. Leute liefen hektisch an mir vorbei und rempelten mich an, beleidigten mich leise und gingen weiter.
„Vivi? Wo bist du, bist du krank?“, fragte Ivy am anderen Ende der Leitung. Leblos starrte ich vor mich her und hoffte, dass der Bode unter mehr nachgeben und verschwinden würde. Das ich einfach fallen würde und damit frei wäre. „Vivi?“.
„Ich komme heute nicht“, krächze ich undeutlich und legte auf. Ohne einmal zu zwinkern steckte ich mein Handy zurück und setzte mich wieder in Bewegung.
Erst jetzt spürte ich den enormen Schreck. Ich realisierte erst jetzt ganz genau was passiert war.
„Wie konnte ich nur so dumm sein?“, fragte ich mich selber leise und schlurfte nach Hause. Ich hatte keine Kraft um in die Schule zu gehen. Ich hatte für nichts mehr Kraft. Eine Puppe war lebendiger als ich in diesem Moment.
Kräftig schluckte ich und atmete danach tief durch. Meine Lunge füllte sich mit der stickigen Luft, die aus fünfzig Prozent Abgasen bestand und bestimmt nicht gesund für den menschlichen Körper war.
Ich hatte nie verstanden, warum im Fernsehen Trennungen immer so dramatisch dargestellt wurden. Warum die Protagonistin meist weinend zusammenbrach und sich umbringen wollte doch jetzt verstand ich es. Minimal vielleicht, aber ich verstand es.
Um den lauten Lärm um mich herum nicht hören zu müssen, nahm ich mir meine Ohrstöpsel von meinem Handy und ließ die Bässe der Musik durch meinen Körper gleiten. Die Texte waren aggressiv und leidend. Meist handelten sie von gebrochenen Herzen oder Tod. Also ganz normale Musik, die Jugendliche hörten.
Die Leere die sich in einem aufstaute drückte einem innerlich nieder und schnürte die Lunge zu. Man wollte schreien, den Druck wegbekommen, doch ging es nicht. Egal wie sehr man es versuchen würde, würde nichts passieren. Der Zustand blieb der gleiche.
Müde sah ich auf und blieb stehen. Langsam drehte ich meinen Kopf nach rechts und musterte das letzte Geschäft der Einkaufsstraße. Es war ein Pralinengeschäft, das die besten und köstlichsten Schokoladensünden im Schaufenster darbot. Ich hatte mir spaßeshalber mal fünf Pralinen gekauft. Sie waren ekelhaft gewesen. Süß und klebrig. Nicht so mein Geschmack.
Doch waren es nicht die Süßigkeiten die meine Aufmerksamkeit bekamen, sondern das rosarote Schild, dass an der Fensterscheibe befestigt war.
In einer schnörkeligen Schrift, die meist für Hochzeitskarten benutzt wurde, stand dort in schwarzer Farbe geschrieben, dass am vierzehnten Februar Valentinstag war. Abgebildet waren mehrere Herzen und natürlich eine große Schachtel Pralinen die eher aussahen, wie kleine Hundehaufen.
Bald würde schon der Tag der Liebe sein und ich würde ohne Phil dastehen. Es wäre auch zu schön gewesen, einmal in meinem Leben glücklich einen Valentinstag zu feiern obwohl es nicht mein Ding war. Dieses Jahr würde sich nichts ändern. Ich würde, wie immer, mutterseelenallein durch die Straßen irren und verliebte Paare sehen. In der Schule würde ich als Einzige keine Rose geschenkt bekommen und mit leeren Händen dastehen.
Laut seufzend wandte ich mich von dem Schaufenster ab und lief weiter nach Hause. Es waren nur noch ein paar hundert Meter und dann wäre ich endlich alleine bei mir Zuhause.
Mein Vater war auf der Arbeit und ich glaubte nicht, dass Alexandra bei uns herum hing und nichts tat. Obwohl mich das auch nichts schocken würde.
Nachdem ich über mehrere Hundehaufen und Vogelkacke hinweg gestiegen war, kam ich endlich an. Unser kleines Haus stach nicht gerade aus den anderen Häusern hervor. Es war eins von vielen.
Antriebslos schloss ich die Tür auf und warf den Schlüssel auf die Kommode, schloss die Tür hinter mir und fuhr mir durch die Haare, die von der warmen Luft in allen Richtungen ab standen.
Normalerweise wäre ich froh gewesen, wenn ich alleine hier zu Hause sein würde doch jetzt gefiel es mir gar nicht. Alles erschien mir so kalt und kahl. So als sei hier seit mehreren Jahren niemand mehr gewesen.
Ich wusste gar nicht so richtig, was ich nun mit mir anfangen sollte. Wie eine Leiche, die wieder erwacht war, schleppte ich mich in mein Zimmer. Die Musik dröhnte mir noch immer in den Ohren und die wenigen Wörter der extremen Texte schwirrten mir im Kopf umher.
„All I want is a place to call my own,
And mend the hearts of everyone who feels alone“.
Nachdem ich mir beim gehen die Schuhe von den Füßen gestreift hatte, legte ich meine Hand auf die Klinke meiner Zimmertür und drücke diese hinunter. Mit voller Kraft warf ich sie zurück, sodass sie gegen die Wand knallte und leicht zurückprallte. Wie versteinert blieb ich stehen als ich Alexandras nackte Brust sah, wie sie hoch und runter sprang und der Schwerkraft ausgeliefert war.
Mit offenem Mund und einem kurzem Aussetzer meiner Atmung konnte ich meinen Augen nicht glauben, was sie mir da gerade zeigten.
„Nicht schon wieder“, seufze ich schwerfällig und löste meinen Blick von der Brust meiner Mutter und sah ihr in die Augen. „Warum in meinem Zimmer?“.
Völlig verwirrt und voller Scharm sah mich meine Mutter an und konnte selbst nicht glauben, dass ich sie zum zweiten mal erwischt hatte. Es wäre ihr bestimmt nicht peinlich gewesen, wenn es mein Vater gewesen wäre den sie da gerade anderes herum ritt und wenn ich sie nicht in meinem Zimmer erwischt hätte.
„Vivian!“, hörte ich sie durch die Musik hindurch sagen und bekam einen eigenartigen Geschmack auf der Zunge. All mein Speichel war mit einem mal verschwunden und absoluter Ekel war nur noch da. Am liebsten hätte ich mir den Finger in den Hals gesteckt um diese Übelkeit loszuwerden.
Nachdem sie mich noch knapp zehn Sekunden angestarrte hatte, nahm sie meine Kuscheldecke und hielt sich diese vor ihren nackten Körper.
Ich wusste, dass es am höflichsten gewesen wäre einfach wegzugucken doch war es wie bei einem schlimmen Unfall. Man wollte nicht hinsehen doch man konnte nicht anderes. Vorsichtig sah sie über ihre Schulter und stammelte etwas, was ich wegen der lauten Musik in meinen Ohren nicht verstand. Danach erblickte ich das Gesicht was zu dem Liebhaber meiner Mutter gehörter.
Ich war nicht schockiert darüber, dass meine Mutter meinen Vater mal wieder verarschte hatte. Ganz im Gegenteil, ich war davon überzeugt gewesen. Doch das dieser Mensch, der gerade noch in meiner Mutter war, der Grund war warum meinem Vater erneut das Herz gebrochen werden würde, brachte mich zur Weißglut.
„Leon!“, zischte ich und sah ganz genau die Verzweiflung und den Schock in seinen grauen Augen. Seine schwarzen Haare waren nass vor Schweiß und völlig durcheinander, seine Gesichtszüge entwichen ihm vollkommen und als er wirklich verstand, dass ich da vor ihm stand und ihn mit meiner Mutter erwischt hatte, wurde er hektisch.
Er schubste Alexandra beinah von sich hinunter und hielt sich meine Bettdecke vor den Unterleib, kam auf mich zu und zog mir die Stöpsel aus den Ohren.
„Vivi, ich kann dir das erklären“, stammelte er und sah mir fest in die Augen. Seine Wangen waren errötet und langsam lief ihm eine Schweißperle die Schläfe abwärts. Unter der Decke konnte man ganz genau sehen, wie seine Erektion langsam verschwand.
„Das brauchst du nicht. Ich weiß auch so, was du mit meiner Mutter getrieben hast“, gab ich nüchtern zurück und ließ mein Blick über seinen Körper wandern.
Er sah noch besser aus als früher. Irgendwie erwachsener. Von seinem Bauchnabel abwärts wuchsen kleine Haare die einen kleinen Strich darstellten.
„Vivian, du kennst Leon?“, meldete sich Alexandra zu Wort und lag noch immer auf meinem Bett und bedeckte ihren Körper mit meiner Decke.
Super, die müsste ich also auch verbrennen.
„Ähm, ja?“, fassungslos spähte ich an Leon vorbei. „Er ist mein Ex-Freund. Der Typ, der mir vor ein paar Tagen noch seine Liebe gestanden hat und mich wieder haben wollte und nun mit meiner jahrelangen verschollenen Mutter schläft und das vor meinen Augen“.
„Vivi...“, seufze er wieder und wollte meine Hände in seine nehmen und ließ es dann doch, da er merkte, dass eine Decke nur hielt, wenn man sie festhielt.
„Kein verdammtes Vivi“, keifte ich und war trotzdem beherrscht. In Gedanken klopfte ich mir auf die Schulter. Es war ein Wunder, dass ich so ruhig war. „Leon du bist ein Arschloch und schläfst mit meiner Mutter. Auch wenn du es nicht wusstest ist es schon ein wenig abartig, dass du mit einer solch alten Frau etwas anfängst. Und jetzt zu dir Mutter. Du hast meinem Vater geschworen, dass du ihn liebst und jetzt anderes sein wirst. Aber du hältst es nicht mal eine Woche lang aus. Nein, du schläfst mit meinem Ex-Freund und das in meinem Bett. Wie kannst du nur ein solches Monster sein? Mir war schon klar, dass du eine Schlampe bist aber solch eine?!“, hielt ich den beiden eine Standpauke und war dafür relativ ruhig. Eigentlich hätte ich vor Wut überkochen müssen doch war der Schock von heute Morgen noch zu tief in meinen Knochen.
Dazu konnten die Beiden nichts mehr sagen. Sie schweigen einfach.
„Was sag ich da eigentlich? Natürlich wusstest du, dass Alexandra zu mindestens die neue Freundin meines Vaters sein könnte da sie hier wohnt. Oder dachtest du, dass sie einfach mal bei Fremden einbricht und sich dort durch vögeln lässt?“, sagte ich an Leon gewandt und biss mir auf die Lippe.
Mir kam das alles einfach nur wie ein schlechter Albtraum vor.
„Nein, natürlich nicht. Aber sie meinte, dass sie deine Halbschwester ist“, probierte Leon sein Haben zu rechtfertigen.
„Meine Halbschwester?“, stieß ich amüsiert hervor und konnte das beschämte Lächeln von Alexandra deutlich spüren. „Sie ist dreifach so alt wie ich und tackert sich ihre Falten nach hinten, lässt sich Fett absaugen und kleistert sich mit Make-up voll. Wie dumm bist du eigentlich Leon?“.
„Vivian, das habe ich nur einmal gemacht“, brummte meine Mutter vom Bett aus und setzte sich langsam auf. Ihre schwarzen Haare klebten ihr im Nacken und an der Stirn fest, ihr roter Lippenstift war verschmiert und ihre halbe Brust bot sich mir.
Angewidert zog ich die Nase kraus und schaute wieder zu Leon.
„Ich hätte wirklich erwartet, dass du nicht so Einer bist“, gab ich enttäuscht zu und macht auf dem Absatz kehrt.
Schnellen Schrittes probierte ich mich aus dem Staub zu machen. Einfach zu verschwinden oder zu beten, dass ich mich in Rauch auflösen würde. Doch kam ich nicht besonderes weit. Schon auf halben Weg stolperte ich über meine eigenen Füße und fiel zu Boden. Erst jetzt schlichen sich meine verdammten Tränen die Wangen hinab und das Pochen in meinem Kopf wurde schlimmer. Würde ich meinen körperlichen und seelischen Stand in einer Tabelle von eins bis zehn darstellen müssen und wäre zehn das Beste, wäre mein Stand bei minus hundert.
Ich war davon überzeugt, dass das Leben nicht beschissener verlaufen könnte. Ich hatte so viel Unglück wie sonst kein Mensch auf der Welt.
„Vivi, warte ich helfe dir auf“, brüllte Leon und kam neben mir zu stehen. Mit großen, ausdruckslosen Augen packte er mich am Arm und half mir hoch. Eigentlich hätte ich seine Hände von mir schlagen müssen, doch hatte ich zu nichts mehr Kraft.
„Warum hast du das getan?“, fragte ich ihn schließlich als ich aufrecht ihm gegenüber stand und er die Hände von meinen Armen nahm. Eine Kälteschauer überlief mich und ließ mich frösteln. Die Tränen tropften mir aufs Shirt und mein Herz war gebrochen. Das Einzige was ich jetzt wollte, war Ehrlichkeit.
„Ich weiß es nicht“, gab er zu und senkte den Kopf. Seine schwarzen Haare waren ein Stück länger geworden, sodass sie ihm in die Augen fielen. „Vielleicht suchte ich einfach die Nähe zu dir“.
Verwundert zog ich die Stirn in Falten. „Das ist keine Nähe zu mir Leon. Ich hasse meine Mutter, ich sehe sie nicht einmal als meine Mutter an. Wäre es nicht strafbar, würde ich sie umbringen. Und wenn ich ehrlich bin, ist es nicht einmal die Tatsache an sich, dass du mit meiner Mutter geschlafen hast, die mich verletzt. Es ist die Tatsache, dass du mir vor ein paar Tagen noch gesagt hast, dass du mich liebst“.
„Ich liebe dich doch auch, aber du bist lieber mit deinem besten Freund zusammen. Der Typ, der jahrelang nicht gesehen hat, dass du in ihn verknallt warst“, entgegnete Leon und starrte mir in die Augen. Ich spürte wie er innerlich zu kochen begann. Gut, sollte er. Ich war auch sauer und hatte sogar einen triftigen Grund dafür.
„Ich wusste es doch selber nicht. Denkst du wirklich, dass ich mit dir eine Beziehung eingegangen wäre, wenn ich gewusst hätte, dass ich Phil liebe?“, zischte ich und stemmte meine Hände in die Hüfte, stellte mich leicht auf die Zehnspitzen um Leon besser anzusehen. „Und übrigens, bin ich auch nicht mehr mit Phil zusammen. Er hat mich verlassen. Bist du jetzt zufrieden?“.
Langsam fingen meine Hände wieder an zu zittern und das Blut gefror mir in den Adern. Allein wenn ich Phils Namen aussprach,war das schon ein direkter Stoß ins Herz. Was tat er wohl gerade?
„Was soll das heißen?“.
„Na, dass Phil und ich kein Paar mehr sind. Ich glaube, dass hatte alles kein Sinn. Beste Freunde können einfach kein Paar sein oder werden. Das geht einfach nicht“.
Ohne einen weiteres mal Leon anzugucken wirbelte ich herum und steuerte auf die Haustür zu. Vielleicht würde dieser Nebel in meinem Kopf ja verschwinden, wenn ich an der frischen Luft wäre? Ich merkte, wie meine Beine immer instabiler wurden und wie ich dem Boden näher kam. Wäre Leon nicht dagewesen, der mich noch gerade auffing und an sich drückte, wäre ich zu Boden geglitten. Das Zittern war nun schon in meinem ganzen Körper und schüttelte mich regelrecht durch, die Tränen brannten mir auf meiner Haut und das Piepen in meinen Ohren übermannte alles.
„Vivi?“, fragte Leon nach und klang hysterisch. Mit flatternden Lidern probierte ich seinen Blick entgegen zu treten, doch wollten meine Augen immer wieder zu fallen. „Vivi?“.
„Phil hat mich verlassen. Er ist einfach gegangen“, brabbelte ich und schloss meine Augen vollkommen.
„Wie ist das bloß passiert? Das kann doch nicht ohne Grund passieren oder?“, fragte eine männliche Stimme wütend und besorgt zugleich. Alles um mich herum war schwarz und ich wusste auch warum. Ich hatte meine Augen geschlossen und wollte sie auch erst einmal nicht öffnen. All meine Glieder schmerzten und in meiner Brust war ein klaffendes Loch, dass alles in sich hinein zog.
„Natürlich hat das einen Grund. Der junge Mann hatte gesagt, dass ihr Freund mit ihr Schluss gemacht hat“, entgegnete eine weibliche Stimme die sich wie Milchschaum anhörte. Weich und flauschig.
„Aber das passiert doch andauernd, warum also ist sie zusammen gebrochen. Vivi ist sonst eine sehr starke Persönlichkeit“.
Obwohl ich nichts sah, wusste ich wer hier miteinander sprach und über was sie sprachen. Ich hatte eigentlich gehofft, dass alles nur ein schlechter Albtraum gewesen war, doch war es dies anscheinend doch nicht.
„Ähm...“, stammelte die Frau hilflos und hantierte mit Blätter herum. „Fragen sie da doch mal den jungen Mann selber“.
Schon hörte man hohe Absätze auf dem Boden klacken und ich spürte den Luftzug der Tür. Als diese wieder ins Schloss viel, wölbte sich die Matratze ein Stück nach unten und eine heiße Hand legte sich auf meine.
„Vivia, was ist bloß passiert? Wenn dieser Arsch dich wirklich verlassen oder auf irgendeine andere Art verletzt hat, dann werde ich ihn mir vornehmen. Er hat mir versprochen, dass er dich nicht verletzten wird“. Weinend streichelte mir mein Dad die Hand und atmete tief durch. War es jetzt der richtige Moment um mich zu melden? Ihm zu sagen, dass ich an allem schuld war und Phil daran keine Schuld hatte?
Wieder sprang die Tür auf und erneut hörte ich Absätze die auf dem Boden auftreten. Regungslos spitze ich meine Ohren und hatte eigentlich gedacht, dass sich wieder die samtweiche Stimme melden würde, doch wurde mein Hoffen wie eine Seifenblase zerstochen.
„Ben, ich kann es noch immer nicht glauben!“. Immer langsamer wurde das Geräusch der hohen Schuhe und ich spürte die Anwesenheit der neu dazugekommenen Person neben mir.
„Alexandra, ich auch nicht“, seufze Dad. „Ich auch nicht“.
„Ich wäre doch für unsere Tochter dagewesen. Doch als sie mich sah, ist sie aus dem Zimmer gestürmt und ist auf dem Weg zusammen gebrochen. Wir könne von Glück reden, dass Leon in diesem Moment kam und Vivian so schnell fand“, säuselte meine Mutter und legte wahrscheinlich eine Hand auf die Schulter von Dad, da dieser leise seufze und mir die Wange streichelte.
Am liebsten hätte ich meine Hände zu Fäusten geballt und angefangen zu schreien, doch hätte das meine ganze Tarnung auffliegen lassen. Was log sich da Alexandra vor? Wollte sie meinem Vater wirklich verschweigen, dass sie mit Leon geschlafen hatte?
„Leon? Ihr nennt euch bei Vornamen?“, hakte mein Vater misstrauisch nach. Ich konnte nur noch hoffen, dass er selber auf die Idee kommen würde. Aber die Chancen standen nicht gerade gut, da Alexandra eine Meisterin darin war sich aus Situation heraus zureden. „Wie dem auch sei, ich bin froh, dass Vivi alles überstehen wird. Aber wir müssen gucken, in welchem psychischen Zustand sie sich befindet. Wir dürfen ihr keinen weiteren Stress machen und am besten nehmen wir sie einige Zeit von der Schule“.
„Wir sollen sie von der Schule nehmen? Aber was ist mit ihrem Abschluss?“.
Leicht kräuselte ich die Oberlippe und biss mit auf die Zunge. Ich musste mich zügeln, nicht meinen Mund weit auf zu reißen und Alexandra anzufallen. Jetzt auf einmal, ganz plötzlich, tat sie auf besorgte Mami aber was hatte sie über die vielen Jahre denn getan? Nichts. Sie hat sich durch die Weltgeschichte gebumst. Und wenn ich den Gerüchten Glauben schenkte, die ich gehört hatte, dann hatte sie sogar schon mit Pete Doherty geschlafen, als dieser hier in unserer Stadt zu Besuch war. Aber wie gesagt, waren das nur Gerüchte. Obwohl ich es meiner Mutter zutrauen würde mit einem Star zu schlafen der Drogenabhängig war.
„Was ist denn wohl wichtiger? Ihr Abschluss oder die Gesundheit von Vivian?“, hakte mein Vater etwas wütend nach und erhob sich. Ich hörte wie er sich umdrehte und Alexandra in den Arm nahm, wie er leise seufze und ihr einen Kuss auf den Mund gab.
Übelkeit stieg in mir auf. Wie konnte sie nur so kalt sein? Vor ein paar Stunden hatte sie noch mit meinem Ex-Freund geschlafen und jetzt konnte sie liebevoll den Kuss von Dad erwidern? Monster!
„Ich gehe mir einen Kaffee holen. Möchtest du auch einen oder ein Croissant?“.
„Nein, danke. Ich werde bei Vivian bleiben“. Schon hörte ich die Schritte meines Vaters und die Tür die wieder ins Schloss fiel, als er weg war.
Mit einem lauten Stöhnen, das wohl eher ein Seufzer sein sollte, blieb Alexandra genau vor mir stehen und musterte mich misstrauisch.
„Vivian, ich weiß, dass du wach bist“, hauchte sie und ertappte mich damit auf frischer Tat. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und wünschte mir zu tiefst, dass ich es nicht getan hätte. Der starre Blick und die Visage meiner Mutter waren schon so schwer genug anzusehen, doch sie jetzt auch noch nackt vor meinem inneren Auge zu sehen, machte es doppelt so schwer.
„Schön für dich. Dann weißt du ja auch, dass ich all deine Lügen mitbekommen habe“, zischte ich zurück und wandte meinen Blick demonstrativ von ihr ab und schaute mir die eigenartigen Geräte an, die neben meinem Bett und an mir befestigt waren. Ich hatte einen Schlauch in der Nase und auch einem im Arm. Neben meinem Bett stand ein Gerät, dass meinen Puls maß und immer wieder ein Piepen von sich gab. Ein Tropfen war nur wenigen Zentimeter von meinem Kopf entfernt und brachte mich langsam um den Verstand. Es war andauernd nur das gleiche, regelmäßige Tropfen was von dem Beutel über mir kam. Eine durchsichtige Flüssigkeit befand sich darin und lief in einem dünnen Schlauch in meinen Arm.
Verdutzt musterte ich die gefährlich aussehenden Geräte und setzte mich langsam auf. Ich war doch nicht gestorben. Warum also, hatte ich so viele Dinge an mir befestigt die vollkommen unnötig waren?
„Das weiß ich, aber Vivian es ist …“, fing Alexandra an und sah mich flehend an. Ich konnte ihren schweren Blick auf mir spüren, wie er sich in mich eindrückte und mich noch fester in mein Bett drückte.
„Sag mir jetzt nicht, dass es ein Versehen war oder ein Ausrutscher. Denn das glaube ich dir nicht mehr. Du kannst Dad nicht noch einmal das Herz brechen. Das geht einfach nicht. Wie würdest du dich fühlen, wenn dir immer wieder das Herz gebrochen wird und das immer von der gleichen Person. Von der Person die du schon seit einer Ewigkeit geliebt hast“. Noch nie hatte ich mit meiner Mutter so geredet. Eigentlich hatte ich in jedem Satz den ich ihr entgegenbrachte immer eine Anstachelung oder eine Beleidigung parat, aber war dieses Thema ernst und sie sollte es ebenfalls ernst nehmen und nicht wieder mit einem Lächeln abtun.
„Also, wirst du ihm nichts sagen?“, fragte sie vorsichtig nach und fing jetzt schon an zu lächeln. Nachdenklich zog ich die Stirn in Falten und schob den Mund vor. War es wirklich die beste Idee meinem Vater nichts zu sagen und Alexandra ihrem Schicksal zu überlassen oder sollte ich sie verpetzen und damit meinem Vater das Herz brechen. All seine Hoffnungen zerstören und der Buhmann sein?
„Nein, ich werde ihm nichts sagen. Aber ich will, dass du es ihm sagst. Mir egal wann, aber sag es ihm irgendwann“.
„Wirklich? Oh, danke schön, Vivian! Vielen Dank, ich werde es Ben sagen … vielleicht nicht sofort, aber ich verspreche dir, dass ich es ihm sage und dass ich Leon ...“, trällerte sie und klatschte freudig in die Hände wie eine Fünfjährige. Kleine Schweißperlen liefen ihr die Schläfe hinab und verschmierte ihre gesamte Kunst von Make-up-Schichten die sich auf ihr Gesicht geklatscht hatte.
„Nein, du wirst Leon nichts sagen. Ich will mit ihm reden. Überlasse das einfach mir, in Ordnung?“, unterbrach ich sie schnell und deutlich und hoffte, dass sie in ihrem Glückszustand gerade überhaupt noch verstand was ich sagte.
Eifrig nickte sie und schenkte mit ein letztes glückliches Lächeln, drehte sich um und verschwand schnellen Schrittes das Zimmer. Ich hörte noch, wie sie freudig auf dem Gang ein Freudenschrei von sich ließ und wie sie zu Ruhe gepfiffen wurde.
Ich hatte es wirklich zugelassen. Doch war es besser als wenn mein Vater jetzt völlig am Boden zerstört wäre oder? Vielleicht war es doch nur ein Ausrutscher gewesen?
Schnell schüttelte ich meinen Kopf von der einen zur anderen Seite und probierte mir den Schlauch aus der Nase zu ziehen und danach irgendwie aufzustehen. Meine Beine fühlten sich noch ein wenig taub an und ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt schon stehen konnte. Ich würde es spätestens dann sehen, wenn ich mit dem Gesicht auf dem Boden liegen würde.
„Denkst du wirklich, dass es das Beste ist wenn wir es verheimlichen?“, fragte eine männliche Stimme vor meinem Zimmer und klang eindeutig nach Leon.
Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Obwohl ich damit einverstanden war und ich mit Leon oder das Geschehene reden wollte, wurde mir allein bei seiner bloßen Stimme schlecht.
„Wir verheimlichen es und Basta. Ich habe Vivian versprochen, dass ich es Ben irgendwann beichte und das tue ich auch … vielleicht“, erwiderte meine Mutter und kicherte in sich hinein.
Leise seufze ich und probierte ohne weitere unnötige Schmerzen mir die Braunüle aus der Hand zu ziehen und danach die leichte Blutung zu stoppen. Ich hoffte inständig, dass die Ärzte mir kein blutverdünnendes Mittel gegeben hatten, sonst könnte das Loch in meiner Hand noch ein wenig länger bluten. Mit vorsichtigen Schritten ging ich zu der Tür und legte mein rechtes Ohr an das Holz. Mein Herz schlug wie verrückt gegen meinen Brustkorb und wollte anscheinend mit voller Kraft aus mir heraus springen und seine Freude über mein Ohnmächtig werden demonstrieren. Neben der Übelkeit die ich empfand und das Taubheitsgefühl in meinen Beinen, brummte mir mein Kopf auch noch. Es war so, als würde ein Bauarbeiter mit einem Presslufthammer auf meinen Schädel herum hämmern.
„Ich hoffe du tust es … “, bevor ich den Mut packen und die Tür aufreißen konnte, hallten schon die hohen Absätze meiner Mutter im Krankenhausflur wider. Sie wurden immer leiser bis sie schließlich ganz verstarben.
Einige Minuten lauschte ich ruhig und probierte über mein Herzschlag hinweg etwas zu hören, dass zu meiner Mutter oder irgendjemand anderem passte. Doch hatte ich Glück. Es regte sich nichts mehr vor meinem Zimmer und damit hatte ich die perfekte Chance um mich aus dem Staub zu machen. Wenn es etwas gab, was ich mehr hasste als Alexandra oder mich im Moment, dann waren es Krankenhäuser. Ich konnte mich noch haargenau daran erinnern, als ich das erste Mal in dem großen, weißen Gebäude war und den schrecklichsten Arzt der Welt kennenlernte.
Es war vor vor zehn Jahren gewesen. Ich war mit Phil auf dem Spielplatz und wir hatten Räuber und Gendarm gespielt. Ich liebte diese Spiele bei den ich meistens in der Ecke stand und dringend auf die Toilette musste vor Aufregung. Phil hatte mich immer wieder ausgelacht, als ich schreiend aus meinem Versteck gesprungen und ins Haus gerannt war um meine Blase zu leeren. Und dieses mal war es wieder so. Ich stand in meinem perfekten Versteck in dem mich mein bester Freund nie gefunden hätte, wäre da nicht mein doofer Körper gewesen. Ich hüpfte ungeduldig vom einem Bein auf das Andere und presste die Zähne aufeinander. Ich wollte dieses mal gewinnen. Jedes mal gewann der Rotschopf ich war immer die, die ausgelacht wurde. Doch dieses mal, hatte ich mir geschworen, würde es anderes herum sein. Mit schließlich verschränkten Beinen stand ich unter dem Balkon der von großen Tannen umgeben war und damit so sicher war wie ein Bunker. Ich hörte eine Katze die nur ein paar Hause weiter entfernt miaute und Vögel die gerade über mir ein Nest bauten. Man hätte selbst den kleinsten Ast zerbrechen hören. Gespannt hatte ich Phils Gestalt verfolgte die sich langsam vor den Tannen herumschlich. Er hatte keine Ahnung wo ich mich befand und lief verwirrt durch die Gegend. Gerade war er an mir vollkommen vorbei gelaufen, als ich spürte wie alles in sich mich krümmte. Würde ich noch eine Minute länger warten, würde ich mich in die Hose machen. Das war mir klar. So beschloss ich also, dass ich leise und natürlich sehr vorsichtig aus meinem Versteck gehen und das Spiel gewinnen würde. Ich müsste nur bis zu diesem dummen Baum kommen und ihn abschlagen, dann hätte ich zum aller ersten Mal gewonnen.
Mit zittrigen Händen drückte ich die dicken Äste nach unten um mir Platz zu machen und quetschte mich durch die kleinen Lücken. Mich pickten die harten Spitzen in die Rippen und raubten mir für einen kurzen Moment den Atem. Bestimmt würde ich heute Abend grün und blau nach Hause kommen. Mit gespitzten Ohren schob ich den letzten Ast zur Seite und erblickte den Baum der den Sieg für mich bedeutete. So leise wie eine Maus trabte ich über die große Wiese und wurde bei jedem Schritt schneller. Und so tollpatschig wie ich war stolperte ich kurz vor der großen Eiche und fiel mit der Nase voran in den Dreck. Wie es mein Vater mir beigebracht hatte, wollte ich mich noch mit meinen Händen abstützen, so wie man es beim Inline Skaten machte, und schaffte es auch aber hatte ich nicht die kleine Scherbe gesehen die im Gras gelegen hatte. Mit einem hohen Schrei schlitze ich mir die Handfläche auf blieb schluchzend am Boden liegen. Was danach passierte konnte ich gar nicht genau sagen. Es geschah alles so schnell. Nachdem mich Phil gehört hatte, kam er zu mir gerannt und auch mein Vater war aus dem Haus gerannt gekommen, dass nur paar Meter von unserem Spielgebiet entfernt war. Sie redeten auf mich ein und probierten den Dreck aus der großen Schnittwunde zu kriegen. Das Blut lief und lief und schließlich wurde mir auch beinah schwarz vor Augen. Mit hoch rotem Kopf waren wir zu dritt ins Krankenhaus gefahren. Es war schon Mittags und daher war das Krankenhaus auch relativ gut besucht. Dennoch brauchten wir nicht lange warten. In der Notaufnahme saßen wir nicht all zu lange. Nach knapp zehn Minute hatte uns eine pummelige alte Frau mit dunkelgrauen Haaren ins Behandlungszimmer gerufen und mich mit einem wütenden Gesichtsausdruck angesehen. Mir war es eiskalt den Rücken hinunter gelaufen. Doch war das alles halb so schlimm gewesen, da Phil mich an die Hand genommen und mir aufmunternd zugelächelt hatte. Ich fühlte mich einfach besser, wenn er bei mir war.
Wieder nach einer kurzen Wartezeit, sprang die Tür dies Zimmers auf, indem mehr gruselige Sachen lagen, als in einem Horrorfilm zu sehen waren, und ein dickbäuchiger Mann trat ein. Er hatte kaum noch Haare auf dem Kopf gehabt aber dafür wuchsen sie an seiner Oberlippe um so prächtiger weiter. Sein Schnauzer war solch einer wie von einem Professor. Die Enden waren zusammen gedreht und nach oben gebogen. Ich hätte angefangen zu kichern, wenn da nicht die runde Brille und der schielende Blick gewesen wäre, der mich vollkommen eingeschüchtert hatte. Obwohl ich wusste, dass dieser Mann Medizin studiert haben musste, wollte ich mich nicht von ihm anfassen lassen.
„Das schaffst du schon“, sprach mir Phil gut zu und zwinkerte mit dem rechten Auge. Ob er gemerkt hatte, wie nass meine Hände gewesen waren?
Nachdem der Arzt meine Wunde begutachtet hatte, holte er eine Spritze. Ohne mich vorher zu fragen, ob ich bereit sei, rammte er mir die Spitze in den Arm und drückte den Noppen nach unten. Binnen ein paar Minuten spürte ich nichts mehr von meinem Arm. Er war schlicht und einfach nicht mehr da. Mit keinerlei Regung in seinem dicken Gesicht, holte der alte Mann Faden und Nadel. Zu mindestens sah es für mich danach aus. Während der nicht gerade gesprächige Arzt mir immer wieder die Nadel in die Hand stach, hielt ich mit Phil Augenkontakt. Ich wusste nicht so recht, ob er die Tränen in meinen Augen sehen konnte oder nicht. Aber wenn er es getan hatte, dann ließ er sich nichts anmerken. Mit einem Seufzer hatte der Arzt Nadel und Faden beiseite gelegt und erhob sich. Mit einem letzten Blick, der mehr gesagt hatte als tausend Worte, drehte er sich um zu seiner Assistentin die vollkommen still gewesen war und ich sie gar nicht richtig bemerkt hatte, und sprach zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte.
„Bringen Sie dem Mädchen einen Lollipop und Sie“, er drehte sich um zu meinem Vater. „Passen Sie mal besser auf ihre Kinder auf. Ich habe Wichtigeres zu tun, als kleine Schnittwunden zu nähen“. Mit diesen Worten verließ Doktor Schlechtgelaunt das Zimmer und hinterließ unangenehmes Schweigen.
Von einer lauten und durchdringenden Stimme wurde ich wieder in mein echtes Leben zurück gerissen. Es war hart und echt. Nicht wie meine Erinnerungen aus meiner Kindheit.
„Du sollst verschwinden habe ich gesagt! Du hast ihr schon genug Leid angetan. Wegen dir liegt sie doch überhaupt hier!“, es war mein Dad der dort sprach. Dann meldete sich noch eine männliche Stimme die mich erneut zum würgen brachte.
„Da bin ich der gleichen Meinung. Sie war völlig fertig und jetzt traust du dich wirklich hier hin? Du bist das aller Letzte. Denkst du wirklich, sie will dich sehen? Das kann ich mir nicht vorstellen“.
Nachdem keiner mehr etwas sagte, holte ich tief Luft und probierte mir diese heftige Auseinandersetzung zu erklären. Warum reagierten Dad und Leon so extrem? Wer war da gerade gekommen? Hatte Alexandra sich doch verplappert und wurde jetzt von den Beiden zur Sau gemacht? Nein, dann würde Dad auch Leon anschreien. Aber waren die beiden auf einer Seite. Sie waren tatsächlich der gleichen Meinung, also war …
„Könnten Sie vielleicht ein wenig leiser sein? Einige Patienten würden gerne in ruhe ihren Kranhausaufenthalt genießen“, meldete sich eine ruhige und zierliche Stimme die ich nur schlecht verstand.
„Genießen? Das ist wohl eindeutig das falsche Wort“, zischte mein Vater.
Krampfhaft ballte ich die Hände zu Fäusten. Es konnte nur an ihm liegen. Er war der Grund warum mein Vater eine harmlose, hilflose Krankenschwester anschrie ohne jeglichen Grund.
Entschlossen biss ich die Zähne aufeinander und löste mein Ohr von der Tür, legte meine klitschnasse Hand auf die Klinke und drückte die sie hinunter. Ich weiß, dass ich die Situation jetzt nur noch mehr behindern würde, doch war es besser als ihn meinen Vater auszuliefern.
Schnurstracks lief ich den Gang entlang der mit keinerlei Dekoration ausgestattet war. Es hing nur ein einfacheres schwarz-weiß Bild an der Wand. Man konnte je nachdem etwas anderes erkennen. Entweder ein Hund der an einer Blume roch oder Armeisen, Vögel oder ein Strand. Es gab der Fantasie freien Lauf.
Ich spürte die fragenden Blicke auf mir ruhen, die mir die Krankenschwestern zuwarfen aber würden sie nicht das Gleiche an meiner Stelle tun?
Bevor ich ihn überhaupt sehen konnte, hörte ich ihn schon. Seine Stimme. Monoton und gleichgültig.
„Ich wollte sie gar nicht sehen. Ich möchte nur wissen, wie es ihr geht“. Ein direkter Stich ins Herz. Er wollte mich gar nicht sehen. Hätte ich ihrer Streiterei nicht gehört, hätte ich dann überhaupt dann erfahren das er gekommen war?
„Wie soll es Vivi schon gehen, wenn sie im Krankenhaus liegt am Tropf. Sie ist zusammengebrochen, weil du mit ihr Schluss gemacht hast“, warf ihm meinem Dad vor und schnaubte wütend. Ich konnte ihn mir bildlich vorstellen, wie er mit einem hochrotem Kopf, der eine überreifen Tomate glich, vor ihm stand und ihm gefährlich in die Augen sah.
„Jetzt bin daran also Schuld?! Was kann ich denn dafür, wenn Vivi mit Marcel geschlafen hat und anlügt? Ich habe ihr vertraut, sie ist diejenige die alles zerstört hat“.
Abrupt blieb ich stehen und fasste mir an die Brust. Es fühlte sich an, als würde mein Herz in der Mitte zerreißen. Als sei es aus Glas und würde jetzt vollkommen zerspringen.
Mit Tränen in den Augen, atmete ich tief durch, streckte die Brust raus und bog um die Ecke. Ich hatte keine Ahnung ob Leon, mein Dad oder Alexandra, die auf einem Stuhl saß und aus dem Fenster sah, mich bemerkt hatte. Doch war eines klar. Er hatte mich bemerkt. Augenblicklich verkrampfte er sich und ballte die schon so angespannten Hände zu Fäusten, biss die Zähne aufeinander und zog die Brauen zusammen, sodass zwei kleine Falten zwischen seinen Brauen entstand.
„Hallo Phil“, hauchte ich und musterte sein schönes Gesicht, das wütend und verletzt zugleich aussah.
Es war erschreckend zu sehen, wie ein schlichtes Hallo jeden zum staunen brachte. Es waren nur zwei einfache Wörter gewesen, die gesagt hatte und doch, brachten sie meine Familie zum schweigen. Sie hielten alle inne und starrten mich entgeistert an, so, als ob ich eigentlich nicht hier sein dürfte und es ein Wunder war, dass ich überhaupt noch gehen konnte.
„Warum schaut ihr denn alle so?“, fragte ich nach, als ich die Last ihrer Blicke nicht mehr auf mir tragen konnte. Ich hatte das Gefühl, als würden meine Beine nachgeben und ich würde jeden Moment zusammenbrechen.
„Vivi, was machst du hier?“, fragte mein Vater schroff und schrie noch immer. Leicht zuckte ich zusammen, als ich realisierte, dass er seine Stimme selbst mir gegenüber nicht senkte. Er musste wahrscheinlich noch in voller Rasche sein.
„Ich habe euch gehört und … “, fing ich an, doch wurde mir das Wort streng abgeschnitten. Selbst Alexandra hatte sich mittlerweile von dem Fenster weggedreht und beobachtete die Situation stillschweigend. Ich konnte nur ahnen, was für eine Genugtuung das alles für sie war. Schließlich hatte sie sich all das hier doch so sehr gewünscht.
„Es ist mir verdammt nochmal egal, warum du hier bist. Du gehst jetzt sofort wieder in dein Zimmer!“, brüllte er aufgebracht und wurde bei jeden Wort roter im Gesicht. Ein letzte Mal sah ich meinen Dad an, wie er mich an funkelte und die Lippen kräuselte, als mein Blick schließlich zu Phil glitt, der mich ausdruckslos anstarrte. Seine grünen Augen waren nur auf mich gerichtet. Ganz kurz – so kurz, dass ich es fast nicht gesehen hätte – hatte sich sein Mund geöffnet und dann wieder geschlossen. Er wollte mir etwas sagen. Aber er tat es nicht.
„Nein“, gab ich tonlos zurück und konnte meinen Blick nicht von Phil lösen. Es war wie ein Unfall. Man sollte nicht zu dem Unglück gucken, doch tat man es einfach automatisch.
„Wie bitte? Vivian, geh in dein Zimmer zurück. Sofort!“.
Langsam schüttelte ich meinen Kopf von der einen zur anderen Seite und probierte dabei unauffällig die aufkommenden Tränen zu verdrängen.
„Vivi, du musst wirklich zurück in dein Bett. Du bist noch völlig entkräftet“, sagte Leon viel sanfter als mein Vater und kam auf mich zu. Er lächelte und stellte sich mir in den Weg. Er nahm mir die Sicht auf Phil, so dass ich nicht sehen konnte, was für ein Ausdruck sein Gesicht annahm, als ich weitersprach.
„Bin ich nicht. Ich will mit Phil reden“.
Leon packte meinen rechten Schulter und sah mich eindringlich an. Seine Hand glitt von meinem Arm abwärts zu meiner Hand, bis er leise aufschrie und seine Finger von mir löste. Völlig perplex starrte er auf seine linke Hand und musterte die rote Flüssigkeit, die an seinem Daumen, Zeige – und Ringfinger klebte. „Du blutest“.
Er klang monoton, so, als hätte er es noch gar nicht verstanden, dass ich eine blutige Spur hinter mir herzog und das mein rechter Arm völlig blutverschmiert war.
„Oh, ja. Kann sein“, gab ich zurück und schaute auf mich hinab. Das Blut hatte sich schlangenartig um meinem Arm herum gewickelt und lief an meinem Fingerkuppen zusammen, um von dort aus, auf den Boden zu tropfen. „Ich habe mir diesen Schlauch aus dem Arm gerissen“.
„Das sieht man. Bist du von allen guten Geistern verlassen oder was ist hier los?“, schrie mein Dad und warf mir einen wütenden Blick zu. „Vivian?!“.
Langsam schüttelte ich den Kopf und hob meinen Blick um den verwirrten Blick von Phil gegenüberzutreten. Ich musste mich nur ein klein wenig nach rechts oder links lehnen, und ich sah sein Gesicht wieder.
Ich hatte keine Ahnung, warum ich auf einmal – völlig unerwartet – so eigenartig war. Ich fühlte mich benommen. Auf Drogen. Hatten mir die Ärzte etwa in den Tropf noch ein paar extra Arztnein getan?
Für kurze Zeit, sagte niemand etwas. Ich lauschte dem Blut in meinem Ohren und starrte dabei wie versteinert zu Phil, dessen Mimik ich nicht deuten konnte. Nach einer kleinen Ewigkeit regte sich etwas in seinem Gesicht. Es war eine kurze Bewegung, doch sah ich sie genau. Sein Mund hatte sich geöffnet und wieder geschlossen, als er den Blick kurz von mir nahm und meinen Vater ansah. Erst viel später hörte ich die Worte, die aus seinem Mund gekommen waren. Erst, als zwei Hände sich um meine Oberarme schlossen und mich wegzogen. Erst so viel später.
„So viel Blut zu verlieren, ist bestimmt nicht gut“.
Seine Worte waren so kalt und glatt gewesen, dass ich daran abprallte. Es wurde mir mit einem Schlag klar. So, als würde ich von einem Blitz getroffen werden.
Der schlimmste Weg zu fühlen, dass man jemand verliert ist, wenn man an seiner Seite steht und erkennen muss, dass derjenige einem niemals gehören wird …
Mit dem Kopf nach hinten gedreht, lief ich mit Leon mit, der mich an beiden Armen gepackt hatte und immer wieder gut auf mich einredete. Ich würde alles mit mir machen lassen. Alles. Es würde mir sowieso nichts bringen mich dagegen zu wehren, denn Phil liebte mich nicht mehr. Ich konnte blutend vor ihm stehen und ihn ansehen – ihm würde es nicht interessieren. Doch warum war er dann überhaupt ins Krankenhaus gekommen? Um zu fragen, wie es mit ging? Nein, dass konnte nicht sein Grund gewesen sein. Es war eine Lüge. Es konnte nur eine Lüge sein!
„Es war alles eine Lüge“, stammelte ich und wandte meinen Blick Leon zu, der mich mit seinem grauen Augen ansah, die mir eigenartig vertraut waren, obwohl er so lange nicht mehr bei mir gewesen war.
„Vivi?“, fragte er noch, als ich die Augen verdrehte und alles um mich herum schwarz wurde.
Schnell atmend, schlug ich meine Auge auf und starrte an die weiße Zimmerdecke des Krankenhauses. Es war der stechende Geruch nach Putzmitteln und Arztnein, die mir verrieten, dass ich noch immer in der Hölle gefangen war. Doch neben dem Stechen in meinem Arm, spürte ich nun auch noch das Ziehen an meinen Hand – und Fußgelenken.
Vorsichtig reckte ich meinen Hals und schaute auf mich hinab. Meine Hände und Füße waren an dem Bett gefesselt. Weiches Verbandszeugs wurde sorgfältig um meine Gelenkte gebunden und dann unter dem Bett befestigt. Es war vollkommen unmöglich sich ohne Hilfe los zu machen.
Plötzlich packte mich die Panik. Ich probierte mich hektisch von meinen Fesseln zu lösen und fuchtelte unkontrolliert mit meinem Gliedern herum. Als ich langsam einsah, dass ich mich nicht befreien konnte, fing ich an zu schluchzen.
Sie hielten mich wie eine Verrückte gefangen. Ich war mir nicht sicher, ob die Ärzte mir auch Beruhigungsmittel gegeben hatten, doch wenn sie es getan hatten, dann brachte es nichts. Ich war seelisch ausgelaugt. Ich hatte keine Kraft mehr zu weinen. Am liebsten wäre ich wieder eingeschlafen, in die Tiefe gefallen und nie wieder zurückgekommen. Wenn sie mich schon wie ein Tier hielten, dann sollten sie mir auch irgendwann den Gnadenschuss setzten.
Mich hätte es normalerweise nachdenklich gemacht, warum ich auf einmal so abgebaut hatte, doch schob ich es auf Phils Anblick. Allein seine smaragdgrünen Augen gesehen zu haben, hatte mich beinah umgebracht. Aber auch noch seinen Hass, den er mir gegenüber empfand, gespürt zu haben, hatte mich vollkommen aus der Bahn geworfen. Ebenso war es für mich ein Rätsel, dass die Ärzte mich so lange hier behielten. Sie hätten mich auch nach Hause schicken können, doch dafür glaubte ich den Grund zu kennen. Alexandra und ihr Geld. Über die Jahre, hatte meine Mutter viel Geld gemacht mit ihren Liebeleien. Alle Männer, die sie je gehabt hatte, bis auf meinem Vater, waren reiche Schnösel gewesen. Ich glaubte, dass meine Mutter eine Art Nase dafür hatte, selbst die best versteckten Typen, als Millionär zu entlarven.
Schleifend ließ ich meinen Blick über meinen Körper wandern. Mein rechter Arm war vollkommen angeschwollen und hatte sich blau verfärbt. Anstatt der durchsichtigen Flüssigkeit, hing nun ein Beutel mit roter Flüssigkeit neben meinem Bett und lief mir direkt in den linken Arm. Ich verstand erst knapp fünf Sekunden später, dass das rote Etwas Blut war, das mein Körper anscheinend brauchte, weil er so viel verloren hatte.
Ich verstand meine Eltern nicht. Oder ich wollte sie einfach nicht verstehen. Mir ging es gut. In Ordnung, ich gab zu, ich hatte ein paar kleine Zwischenfälle, doch waren sie keine Gründe um mich gefesselt ans Bett zu legen und mich wie ein Vogel in diesem Krankenhaus verrecken zu lassen.
„Verdammte Scheiße!“, fluchte ich leise und kniff die Augen zusammen. Mein Dad wusste, wie sehr ich es hasste, wenn ich gegen meinen Willen festgehalten wurde. Aber machte ihm das anscheinend nichts aus, wenn es um mein Wohl ging. Normalerweise, war mein Vater ein lockerer Typ, der nie wirklich ernst wurde, doch gestern – oder war es auch schon länger her? - hatte er zum ersten Mal seine ernste und väterliche Seite heraushängen lassen, die mir Angst gemacht hatte. Ich kannte meinen Vater einfach nicht so, deswegen war es für mich beängstigten zu sehen, wie er sich um mich Sorgen machte, obwohl dazu keinen Grund bestand.
Vielleicht war ich wirklich ein wenig aus dem Fugen geraten. Aber hatte mich das alles so mitgenommen. Alexandras Auftauchen, die Tatsache, dass sie hier blieb, Marcel, dem ich mein Leben anvertraut hatte, Phil, der im falschen Moment am falschen Ort gewesen war, wieder Alexandra und natürlich die Trennung. Sie hatte mich hauptsächlich zerstört. Phil und ich hatten uns erst gefunden und das nach so vielen Jahren, dass es mir nun doppelt so weh tat, dass er mit mir Schluss gemacht hatte. Er hatte die Worte nicht einmal in den Mund genommen, doch war ich mir sicher, dass wir kein Paar mehr waren. Wie sollten wir auch? Seiner Meinung nach, hatte ich ihn mit seinem besten Freund betrogen. Das war unentschuldbar. Doch hätte ich nur einmal die Chance ihm zu erklären, wie alles gekommen war, dann wüsste er auch, dass ich nicht mit Marcel geschlafen hatte. Wir hatten nebeneinander gelegen, so wie Phil und ich es viele Jahre vor unserer Beziehung auch getan hatten. Es war nichts dabei gewesen. Rein gar nichts. Ich fühlte nicht einmal Marcel gegenüber romantische Gefühle. Er war ein Freund der im richtigen Moment dagewesen war. Er war die stützende Schulter gewesen, die ich gebraucht hatte. Nicht weniger und nicht mehr. Er war ein Freund.
„Marcel war doch nur ein Freund“, seufze ich geistesabwesend und löste meinen Körper von der Spannung, die sich aufgebaut hatte, als ich realisiert hatte, dass ich gefesselt war. „Nur ein Freund. Ich liebe ihn nicht“. Mir war bewusst, dass mich keiner hören konnte. Doch war es auf einer gewisse Art und Weise befreiend, diese Worte laut zu hören.
Ich war alleine in meinem kalkweißen Zimmer. Ob jemand davor stand und auf mich aufpasste, bezweifelte ich. Selbst wenn ich Muskeln gehabt hätte, würden sie es nicht schaffen, mich von diesen Verbänden zu befreien.
„Ob sie wieder wach ist?“.
Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich die Stimme meiner besten Freundin erkannte. Sie war durchdringend und doch so leicht, dass ich eine Gänsehaut auf den Armen bekam. Bevor ich mir ihr Gesicht vorstellen konnte, sprang die Tür leise auf und sie drängte sich durch einen kleinen Spalt zu mir durch. Ihre Maske war hart. Keinerlei Gefühlsregung war bei Ivy zu erkennen, als sie sich neben mich setzte und mir den Handrücken streichelte.
Ihren Kopf hatte sie gesenkte, so dass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte, als sie schweigend meine Hand auf und ab strich.
„Hi“, hauchte ich und musterte sie neugierig.
„Hi?“, entgegnete sie und klang weinerlich. Ich wusste, dass ihr schon jetzt die Tränen die Wangen hinab liefen, doch wollte ich es nicht wahr haben. Ivy sollte nicht wegen mir weinen. „Ein einfaches Hi? Bist du eigentlich noch ganz dicht?“. Ihre Stimme wirkte wie eine Seifenblase. Sie konnte sich ausdehnen aber irgendwann würde sie zerplatzen.
„Was soll ich denn sonst sagen?“, fragte ich nach und probierte ihre Augen zuerkennen, doch waren ihre braunen Haare mir im Weg.
„Wie wäre es mit gar nichts?“, zischte meine beste Freundin und ließ ruckartig von mir los, um sich über die Augen zu streichen. „Du bist in einem verdammten Krankenhaus, Vivi. Sie haben dich festgebunden, damit du dich nicht selber verletzt. Weißt du, wie lange du weg warst?“.
Verständnislos starrte ich sie an. Ich hatte gehört was Ivy gesagt hatte, doch hatte ich den Sinn ihrer Worte nicht verstanden.
„Wie meinst du da?“.
„Als du ohnmächtig geworden bist, hast du dich in einer Art Koma befanden. Schon eine verdammte Woche liegst du hier im Krankenhaus. Du hast begonnen im Schlaf um dich zu schlagen und irgendwie hast du es geschafft die Schläuche heraus zuziehen“, sie machte eine Pause um tief Luft zu holen. „Du hast so viel Blut verloren. Die Ärzte pumpen dich mit Beruhigungsmittel voll, aber bin ich mir nicht sicher, ob das was bringt. Sieh dir doch nur deine Handgelenke an“. Demonstrativ strich Ivy mit ihrem schmalen Zeigefinder über mein Gelenk, dass eigenartig spitz hervor stach. Unter dem weißen Verband konnte man ganz deutlich die rot-blauen Striemen erkennen, die nur durch bloße Gewalt entstanden waren, die ich aufgebracht haben musste, um mich zu befreien.
Kurz schloss ich die Augen um sie nur erneut aufzuschlagen und Ivys feuchtes Gesicht zu betrachten. Unter ihren Augen hatte sich dunkle Ringe gebildet, ihre Lippen waren aufgeplatzt und selbst ihr Gesicht schien so blass, als sei sie tot.
„Es tut mir leid“, flüsterte ich monoton und befeuchtete mir die Lippen.
„Für was entschuldigst du dich bitte? Dafür, dass du innerlich ein Frack bist? Oder dafür, dass du am Boden zerstört bist und trotzdem auf stark tust?“.
„Für beides“.
Es gefiel mir nicht, wie alles seinen Lauf genommen hatte. Als ich das erste mal hier im Krankenhaus aufgewacht war, war ich mir sicher, dass ich bald wieder hinaus könnte. Schon am gleichen Tag. Doch nun lag ich schon eine gesamte Woche und war seelisch am Tiefpunkt angelangt. Es war nur eine normale Trennung gewesen. Etwas ganz Normales. Warum war ich dennoch darunter zerbrochen? Weil Phil mein bester Freund war? Weil er mir vorwarf, dass ich mit seinem besten Freund geschlafen hatte, obwohl ich noch immer Jungfrau war? Oder war es die verdammte Gesamtsituation? Alexandra, Dad, Ivy, Leon, Marcel, Phil … ?
„War er hier?“. Es war kaum mehr, als ein Hauchen gewesen doch war ich mir sicher, dass Ivy mich verstanden hatte. Bevor sich den Kopf senkte und erneut anfing zu schluchzen, schüttelte sie kaum merklich den Kopf.
„Ach so“.
Es erschreckte mich, dass ich es so gelassen nahm, dass mein Ex-Freund sich ein Dreck um mich scherte. Das es ihm anscheinend egal war, dass ich am Ende war. Oder wollte er es einfach nicht wahr haben?
„Gehst du bitte?“, fragte ich mit fester Stimme und ließ meinen Kopf zur Seite fallen. Ich wollte niemanden mehr sehen. Nicht meinen Vater und auch nicht meine beste Freundin. Ich wollte nur noch in mein Loch zurück.
„Klar“, erwiderte Ivy noch immer schluchzend und hievte sich auf. Vorsichtig beugte sie sich über mich und drückte mir ihre Lippen auf die Stirn. Es war ein Kuss gewesen. Ich hatte ihn gesehen, obwohl ich meine Augen geschlossen hielt, doch hatte ich nichts gespürt. Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt noch etwas spüren konnte. Das Pochen in meinem Körper war verschwunden, ebenso jegliches unangenehmes Gefühl in meiner Brust oder irgendeinem anderen Körperteil. Vielleicht hatten mir die Ärzte auch noch Schmerzmittel gegeben?
„Ich komme morgen wieder. Versprochen“, mit diesen Worten schloss Ivy die Tür hinter sich und war verschwunden.
Leise, so leise, dass es keiner außer mir hören konnte, flüsterte ich, dass Ivy nicht zurück kommen sollte. Sie wollten mich alle in Ruhe lassen. War es nicht schon genug, dass ich gegen meinen Willen im Krankenhaus lag und gefesselt war? Das ich ein seelisches Frack war?
Leicht zog ich die Schultern hoch und rutschte ein Stück tiefer ins Bett. Ich probierte in meinem Selbstmitleid zu ertrinken. Konnte ich nicht, wie ein ganz normales Mädchen sein und Zuhause weinen und mir die Haare raufen, dass ich etwas so Dummes getan habe und damit meinem Freund verloren habe? Könnte ich nicht einfach die Zeit zurückstellen?
„Und wie geht es ihr, Ivy?“, fragte mein Vater neugierig nach und klang eigenartig fest. Ich hatte damit gerechnet, dass er ebenso weinerlich sein würde, wie Ivy. Aber das war nicht der Fall. Er klang so hart und entschlossen, wie vor einer Woche, als ich Phil das letzte Mal gesehen hatte.
„Schlecht. Sie ist fertig. Ich kann es nicht genau sagen, aber scheint sie mir völlig abwesend. So, als sei sie nicht mehr in ihrem Körper und dort im Zimmer, würde nur noch eine leblose Hülle von ihr herumliegen“, probierte Ivy ihre Gefühle zu schildern und schaffte es perfekt meinen jetzigen Zustand zu beschreiben.
„Das liegt vielleicht an den Medikamenten?“, probierte sich Alexandra die Situation zu erklären.
„Nein, dass liegt leider nicht an den Medikamenten. Ihre Tochter scheint an dem Burnout-Syndrom zu leiden“, gab eine Männerstimme zurück, die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte.
„Burnout-Syndrom? Was ist das?“, fragte Ivy und schnäuzte laut.
„Das Burnout-Syndrom, was man aber auch Ausgebranntsein nennt, ist ein Zustand ausgesprochener emotionaler Erschöpfung. Es kann zu Desillusionierung, psychosomatischen Erkrankung, Depressionen und Aggressivität führen“.
„Also, leidet unsere Tochter daran. Aber was kann man dagegen tun? Wir können sie doch nicht einfach dahinvegetieren lassen“. Leicht zuckte ich zusammen. Es machte mich nachdenklich, warum sich Alexandra überhaupt um mich scherte. Vielleicht wollte sie vor Dad einen guten Eindruck machen? Oder war der Arzt, mit dem sie gerade sprach, attraktiv?
„Es ist erst einmal nicht wichtig, was man gegen dieses Syndrom machen kann, sondern was der Auslöser dafür gewesen ist“.
Allein von der Stimme her, konnte ich mir den Arzt vorstellen, der mit einem Klemmbrett in der Hand meinen Eltern gegenüber stand und prüfend die beiden musterte. Ivy war bestimmt schon gegangen oder hatte sich zurückgezogen. Sie wusste, wann sie gebraucht wird oder nicht.
„Das war natürlich die Trennung von ihrem Freund. Wissen Sie, meine Tochter und er, waren schon von klein auf beste Freund und schließlich haben sie Gefühle füreinander entwickelt. Ich wusste ja schon immer, dass beste Freunde keine Beziehung haben können, aber es hat keiner auf mich gehört. Wahrscheinlich hat sie das alles ziemlich mitgenommen“, erklärte Alexandra die ganze Situation fachmännisch und merkte bestimmt nicht, wie mein Vater ihr einen verständnislosen Blick zuwarf.
„Das ist bestimmt nur ein kleines Puzzleteil des Ganzen. Es muss mehrere Gründe haben, warum ihre Tochter so … leer ist“, erwiderte Doktor Ich-weiß-alles.
„Da bin ich überfragt. Ich wüsste nicht, was meine Tochter derart aufgeregt haben kann, dass sie ausgebrannt ist. Sie hat sich zu mindestens nie beschwert“.
Abfällig stieß ich Luft zwischen meinen Lippen. Das war so typisch. Alexandra stellte sich selbst in den schlimmsten Situationen als lieben Engel da. Mir war klar, dass mein Vater nichts sagte. Er würde ihr nie in den Rücken fallen. Keiner würde das tun.
„Moment mal, dass stimmt wohl nicht so ganz. Obwohl ich vor kurzem nicht einmal wusste, dass sie“, Ivy machte eine Pause. „da sind, habe ich gewusst, dass Vivi ausgerastet wäre, wenn sie wieder da wären. Sie hasst sie! Und das sie jetzt wieder mit ihrem Vater zusammen sind, machte das alles bestimmt nicht leichter“.
Stolz darüber, dass meine beste Freundin genau das gesagt hatte, was ich auch in diesem Moment von mir gelassen hätte, atmete ich tief durch und probierte meine Mundwinkel wieder nach unten zuziehen.
„Das stimmt doch gar nicht!“, protestierte meine Mutter lautstark und knickte mir ihrer Stimme ein. Das war eine Bloßstellung, die sie sich wohl bestimmt nicht bieten lassen würde.
„Doch! Vivi, hat mir so oft erzählt, dass sie den Tag verfluchen würde, wenn sie zurückkommen würden. Das war natürlich dann auch nur noch eine Frage der Zeit. Ihr achtzehnter Geburtstag … wie erbärmlich sind sie überhaupt?!“.
Es verschlug mir sie Sprache. Ich hatte Ivy noch nie in meinem Leben so für mich kämpfen hören. Obwohl ich gerade noch zu ihr gemein und abweisend gewesen war, kämpfte sie jetzt für mich. Sie probierte meine Mutter in den Boden zu stampfen und schaffte es allen Anschein auch.
„Wer glaubst du, bist du überhaupt, du kleinen schwangeres Mädchen?“, zischte Alexandra zurück und warf ihr schwarzes Haar bestimmt in diesem Moment über ihre Schulter.
„Ich bin Vivian's beste Freundin!“, brüllte die kleine Person zurück und hatte damit den Schlagabtausch gewonnen. Es herrschte vollkommene Stille danach. Keiner war mehr in der Lage etwas hinzuzufügen oder etwas zu dementieren. Denn es wurde alles gesagt, was hätte gesagt werden müssen.
„Puh!“, meldete sich jetzt wieder der junge Mann zu Wort und klang etwas überrascht. „Wie dem auch sei, ich werde nun zu Vivian gehen und mit ihr reden. Vielleicht sieht sie das ja auch, wie ihre Freundin“.
Bevor jemand etwas dazu sagen konnte, fügte der Doktor etwas hinzu. „Ich werde alleine zu ihrer Tochter gehen und ich möchte, dass sie jetzt nach Hause gehen. Vivian braucht Ruhe und da kann sie keine Streithähne gebrauchen, die lautstark ihr ihre Meinung um die Ohren pfeffern“.
Kleinlaut hörte ich die Absätze von verschiedenen Schuhen auf dem Boden klacken, das Seufzen und die Streitereien, die an den Aufzügen weiter gingen. Jeder gab jeden die Schuld. Selbst Dad hatte sich jetzt wieder zu Wort gemeldet und fügte hier und da etwas hinzu.
Bevor ich die Tür aufgehen hörte, spürte ich schon die Anwesenheit des Arztes neben mir. Es schien so, als würde mein Gehirn zu langsam arbeiten.
„Hallo Vivian“, begrüßte mich die Männerstimme sanft, und klang so nah und ohne eine Tür dazwischen, noch netter. „Guck mich doch bitte an“.
Vorsichtig drehte ich meinen Kopf gerade und öffnete die Augen. Für einen kurzen Moment erkannte ich nichts als weißes Licht, das mir in den Augen stach. Ich musste ein paar Mal blinzeln, um den großgewachsenen Mann vor mir zuerkennen.
„Hallo“, sagte ich tonlos und befeuchtete mir die Lippen. Sie waren ebenso kaputt, wie die von Ivy und schmeckte nach Blut.
„Ich bin Doktor Bloom“, stellte er sich vor und lächelte mir zu. Er entblößte eine Reihe perfekt weiße Zähne die glänzten und zu seinem Gesamtbild passten. Doktor Bloom war um die ein Meter neunzig groß, hatte wirres dunkelbraunes Haar und eine Brille, die ihm jeden Moment von der Nase rutschen konnte. Ich schätze ihn auf Anfang dreißig, doch da konnte ich mich auch täuschen. Ich war noch nie besonders gut darin gewesen, Menschen nach ihrem Aussehen zu beurteilen.
„Und was wollen Sie?“, fragte ich nach und wandte meinen Blick nicht von ihm ab. Bloom hatte sich auf den Stuhl links neben mir gesetzt und hatte die Hände gefaltet auf seinem Schoss liegen. Auf eine gewisse Art und Weise, konnte ich mir diesen Mann als grausamen Mörder vorstellen. Wie er dabei lachte, Menschen zu verstümmeln.
„Ich möchte gerne mit dir reden. Mich würde es interessieren, wie alles bei dir Zuhause abläuft, was mit deinen Freunden ist und warum du und dein Freund kein Paar mehr seit“.
„Das sind aber viele Sache die Sie wissen wollen“, entgegnete ich und presste meine Lippen aufeinander. Ich hatte nicht vor, ihm all diese Dinge aus meinem Privatleben zu erzählen. Und was würde es ändern? Ich wäre dann noch immer an einem Bett gefesselt und würde wie eine Verrückte im Krankenhaus gehalten werden.
„Ich weiß, aber vielleicht bist du so nett und erzählst du sie mir?“. Freundlich zog er seine buschigen Brauen hoch und legte den Kopf ein klein wenig schief. Irgendetwas mochte ich an seinen braunen Augen. Sie waren nicht besonders einzigartig oder besonders, aber hatten sie einen ganzen bestimmten Charme dem Alexandra bestimmt verfallen war.
„Aber nur unter ein paar Bedingungen!“, zischte ich und verengte die Augen. Wenn ich schon etwas über mich erzählen sollte, dann wollte ich auch etwas dafür haben. Da ich nicht glaubte, dass sie mich frei ließen, entschied ich mich für einfachere Dinge.
„Du möchtest einen Deal machen?“, hakte Doktor Bloom nach und konnte seinen erstaunten Unterton nicht verbergen. „Du bist gewitzter, als all die anderen Mädchen mit denen ich gesprochen habe. Was sind denn deine Bedingungen, Vivian?“.
Tief atmete ich durch, schaute mich im Raum um und blieb an den Fesseln um meine Gelenkte stehen. „Ich möchte mich wieder bewegen können, außerdem will ich nicht diese Schläuche in meinem Körper stecken haben und es soll keiner mehr in mein Zimmer kommen können. Nur das Krankenhauspersonal, aber niemand von meinen Freunden oder meiner Familie … dann erzähle ich Ihnen alles was Sie wollen“.
„Einverstanden. Ich werde dich losbinden und die Anordnung geben, dass du keinen Besuch mehr empfangen darfst. Aber was die Schläuche angeht, sind mir die Hände gebunden, Vivian. Du brauchst die Schmerz – und Beruhigungsmittel“, sagte er sanft und knöpfte sich seinen weißen Kittel auf dem eine kleine Tasche an der Brust aufgenäht war.
„In Ordnung“, seufze ich ergeben und beobachtete Doktor Bloom dabei, wie er die weißen Verbände um meine Hand – und Fußgelenke löste und damit die dunkelblauen - und lilafarbenen Striemen freilegte die sich unter den Fesseln gebildet hatten.
„So, wie fühlst du dich?“.
Einen kurzen Moment überlegte ich, was ich antworten sollte. Streckte meine Finger, setzte mich auf, hob meine Arme in die Luft und gähnte geräuschvoll. „Gut. Frei“.
„Schön. Dann erzähl mir doch bitte mal deine Situation Zuhause. Wie ist das Zusammenleben so, die Bindung zu deinen Freunden und zu einem besten Freund?“, hakte der Doktor nach und rückte ein Stück näher. Er war nur noch knapp eine Armlänge von mir entfernt und lehnte sich entspannt in seinen Stuhl zurück. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Holzstuhl auf irgendeine Weise bequem war, aber das sollte mich nicht weiter stören. Schließlich war ich nicht Bloom's Wirbelsäule.
„Wo soll ich denn da anfangen?“, fragte ich mich selber und ging meine gesamte Lebensgeschichte im Kopf durch, bis ich an bestimmte Punkte kam, bei denen ich nicht wusste, ob ich es Doktor Bloom erzählen konnte, ohne, dass er sie weitererzählte. „Haben Sie eigentlich diese ärztliche Schweigepflicht?“.
Langsam nickte Bloom und überschlug seine Beine, zog seine Krawatte locker und strich sich durch das wirre Haare, das danach noch unordentlicher aussah.
Bevor ich anfing mein Leben dem Mann mir gegenüber preiszugeben, atmete ich tief durch, setzte mich noch einmal aufrecht auf und fing an.
Ich erzählte Doktor Bloom alles. Wie mein Leben anfing den Bach hinab zu laufen. Den Anfang machte Alexandra. Damit, dass sie mich und meinen Vater verlassen hatte. Ging dann über Alexandra zu meinem Vater und so weiter. Ich kämpfte mich durch bis hin zu Phil, der meine letzte Person gewesen war. Jeden noch so kleinen Moment der von Bedeutung war erzählte ich. Auch wenn es nur der Kuss war, den Phil und ich ausgetauscht hatten, wenn wir uns verabschiedeten. Einige Male musste ich aufhören und einfach nur vor mich hinstarren, damit mir die Tränen nicht über die Wangen liefen. Doktor Bloom war die ganze Zeit über still gewesen, hatte nichts gesagt. Nur manchmal, hatte er nachgefragt, wie es dazu kam. Zum Beispiel bei der Geschichte von Ivy und mir. Warum wir auf einmal Freunde waren und uns nicht gegenseitig hassten. Darauf hatte ich wohl keine Antwort gehabt, doch hatte ich das Gefühl gehabt, als ob Doktor Bloom mich verstand hätte.
Nachdem ich fertig gewesen war, hielt ich inne. Es war erschreckend zuhören, wie mein Leben wirklich war. Was es für ein Drama voll Leid, Hass, Liebe, Freundschaft und Lügen war.
Hörbar schluckte ich und schaute wieder auf in die braunen Augen meines Arztes.
„Das war eine ganze Menge“, hauchte er geschafft und setzte sich langsam aufrecht. Sein Glieder knackten, als er seine Beine streckte und die Hände ballte.
„Ich weiß“.
„Und wie fühlst du dich jetzt?“, brüllte mich mein Vater an und starrte auf die Fahrbahn. Seine Hände lagen verkrampft um das Lenkrad.
„Ich weiß nicht“, gab ich zu und traute mich nicht so ganz aufzusehen. Obwohl mein Vater wie versteinert durch die Windschutzscheibe vor uns starrte, fühlte ich trotzdem den Druck, den man spürte wenn man von jemanden angestarrt wurde.
„Ich hoffe doch gut, Vivi“, schnaufte er und schaute für einen kurzen Moment zu mir. „Du hast mich schließlich aus deinem Zimmer verbannt. Wie kamst du überhaupt auf diese banale Idee, mir den Zutritt zu dir zu verbieten? Bist du nun vollkommen von allen guten Geistern verlassen?“.
„Nein, aber … “, probierte ich mich zu rechtfertigen und irgendwie diese ganze Situation zu erklären, doch ließ mich mein Vater nicht.
„Ach Vivi, weißt du überhaupt wie ich mich gefühlt habe? Keiner durfte auf einmal mehr zu dir. Wir alle standen vor deinem Zimmer und haben probiert die Krankenschwestern und Ärzte zu überreden, aber es hat nichts gebracht. Ich bin wirklich enttäuscht von dir, Vivian“.
Ich hätte eigentlich etwas erwidern müssen, doch hätte das wahrscheinlich eh nichts gebracht. Mein Vater war so sauer und wütend auf mich, dass er mich eh nicht hätte aussprechen lassen. Doch war es wirklich so schwer meine Handlung nachzuvollziehen? Ich wollte alleine sein und nicht andauernd Vorwürfe hören oder bemuttert werden.
Lange Zeit schweigen wir einfach nur. Ich genoss die Ruhe und probierte ein wenig zu schlafen, aber war das ständige Ruckeln des Wagens und die Musik, die durch das Radio drang, so störend für mich, dass es mir allein schon schwer fiel meine Augen geschlossen zu halten.
Nach einer knappen halben Stunden hielt der Wagen und wir waren Zuhause. Es hatte sich nichts über die paar Tage verändert. Alles war noch beim alten.
„Da sind wir“, murmelte Dad und zog den Schlüssel aus der Zündung. „Willst du mit rein kommen und mit mir ein Stück Kuchen essen oder dich lieber gleich in dein Zimmer verschanzen?“.
Wütend schaute ich zu ihm und probierte das immer stärker werdende Stechen in meiner linken Brustseite zu ignorieren. Ich hatte nicht gewusst, dass mein Vater so gemein sein konnte. Oder war ich einfach über die ganzen Tage „weich“ geworden?
„Option zwei“, zischte ich und stieg aus. Lautstark warf ich die Autotür zu und stampfte zur Haustür, wartete bis mein Vater diese aufgeschlossen hatte und lief in mein Zimmer. Gerade vor meiner Zimmertür rief mir mein Vater noch etwas hinterher und klapperte mit einem Teller. „Denk an deine Tabletten!“.
Mit Tränen in den Augen schlug ich meine Tür zu und ließ mich kraftlos auf mein Bett fallen. Ich ließ die Taubheit meinen Körper überkommen und hoffte inständig, dass auch die innerlichen Schmerzen bald vergehen würden.
Mit dem Gesicht in die Matratze gedrückt, ließ ich die letzten Tage Revue passieren. Alexandra hatte mit Leon geschlafen, Phil dachte, ich hätte ihn mit Marcel betrogen, mein Vater wusste nichts von Alexandras Seitensprung, ich hatte mein gesamtes Leben einem Arzt anvertraut und ich war über eine Woche im Krankenhaus gewesen, weil ich instabil gewesen war. Das war doch ein großartiger Rückblick!
Mit einem schlaffen Seufzer, drehte ich mich auf den Rücken und starrte die Decke an. Ich fühlte mich eigenartige dreckig und müde. So, als hätte ich stundenlang Sport getrieben.
Vorsichtig setzte ich mich auf und ging zu meinem Rucksack, der auf dem Boden stand, und holte eine kleine zylinderförmige Packung hervor, in der mehrere Tabletten waren. Es waren normale weiße Dragees, die vollkommen gewöhnlich aussahen. Doch waren sie dies nicht. Solch welche Tabletten bekam man nicht in jeder gewöhnlichen Apotheke. Sie wurden nur von Ärzten verschrieben. Antidepressiva.
Schnell nahm ich mir eine heraus und legte sie mir auf die Zunge, nahm ein Schluck Wasser und schluckte sie hinunter. Es war für mich schon zur Gewohnheit geworden Tabletten zu nehmen. Im Krankenhaus hatten sie mir wohl eher alles in Flüssigkeit eingeflößt, doch trotzdem war ich mit dem Umgang mit festen Stoffen vertraut.
Nachdem ich sichergestellt hatte, das die Packung wieder zu war, machte ich mich auf zum Bad. Ich schälte mich mühsam aus meinen Klamotten und stellte mich unter die Dusche. Eine knappe halbe Stunde ließ ich mich von dem heißen Wasser beplätschern und vergaß vollkommen die Welt um mich herum. Ich hatte wohl auch ein Dusche im Krankenhaus gehabt, doch war es etwas anders Zuhause, in den eigenen vier Wänden, zu duschen.
Vorsichtig, da meine nackte Haut nass war und es schnell passieren konnte, dass ich auf den glatten, weißen Fliesen ausrutschen konnte, stieg ich aus der Badewanne und band mir ein flauschiges Handtuch um den Körper. Meine Muskeln hatten sich gelockert und das Pochen in meinem Körper hatte aufgehört. Wenn ich jetzt meine Augen schließen und auf meinen Bett liegen würde, würde ich sofort einschlafen.
Obwohl ich den Stoff der Antidepressiva in meinem Blutkreislauf hatte, machte mir die ganze Situation noch zu schaffen. Ich hatte keine Ahnung, wie man in so kurzer Zeit so tief sinken konnte wie ich. Ich war zusammengebrochen, weil mein Freund mich verlassen hatte? Das war wirklich erbärmlich. Vielleicht wäre ich nicht eingeliefert geworden, wenn Phil nicht so einen falschen Eindruck von mir gehabt hätte. Schließlich hatte ich rein gar nichts mit Marcel gehabt … außer man sah nebeneinander schlafen, als Betrug an. Neben diesen Aspekt gab es da dann auch noch Leon und Alexandra. Wahrscheinlich wäre mir Alexandras Seitensprung relativ egal gewesen, wenn es mit irgendeinem dahergelaufenen Typen gewesen wäre, doch das dieser Typ dann ausgerechnet Leon sein musste, hatte mir dann wohl den Rest gegeben. Trotz all dem fand ich es immer noch lächerlich, dass ich zusammengebrochen war und deswegen im Krankenhaus lag. Na ja, und in dieser Zeit habe ich mich dann auch noch wirklich in einen Freak verwandelt. Schon schlimm genug, dass sie mich dort so lange bei sich hielten, in dieser Zeit wurde ich auch noch depressiv und irgendwie verrückt. Schließlich hatte ich mir immer wieder die Schläuche aus dem Körper gerissen und es so weit gebracht, dass sie mir die Hände und Füße ans Bett gefesselt hatten. Wahrscheinlich war das für das Personal des Krankenhauses vollkommen normal oder zu mindestens ein Bild, das sie einmal im Monat sahen, doch für mich war es eine völlig andere Vivian. Ein Mädchen, das ich nicht kannte. Aber zum Glück hatte ich jetzt die Tabletten, die mich ein wenig zügelten und wieder normal erscheinen ließen. Und in spätesten zwei Tagen konnte ich auch wieder zur Schule. Doktor Bloom hatte gemeint, dass ich schon bereit sei um nach Hause zu gehen aber noch warten sollte mit der Schule. Ich solle mich erst einmal wieder an meine Heimat gewöhnen und dann wieder ins Schulleben finden. Er hätte da keine Bedenken …
Vorsichtig streckte ich meine Hand aus um den Dampf, der sich auf den Spiegel gelegt hatte, wegzuwischen, als ich erschrocken nach Luft schnappte. Die Gestalt, die mich dort aus dem Spiegel hervor anstarrte, war abartig. Ein Monster! Ihre Wangenknochen stachen spitz hervor und auch ihre Augen schienen vorzustehen. Der Schulterbereich war ebenso, wie das Gesicht, abgemagert. Man sah ganz deutlich das Schlüsselbein und die einzelnen Muskel, die sich anspannten, als sie sich ein Stück drehte, damit ich mir den Rücken ansehen konnte. Ich konnte jeden einzelnen Wirbel sehen, der sich gegen die dünne Haut drückte.
Ohne es kontrollieren zu könne, streckte ich erneut meine Hand aus. Meine Fingerkuppen berührten gerade das kalte, glatte Glas als mir klar wurde, dass ich diejenige war, die ich dort im Spiegel sah. Ich war dieses abgemagerte Mädchen, welches aussah wie eine Leiche. Noch nie in meinem Leben war ich so dünn geworden. Ich war immer diejenige gewesen, die ein klein wenig zu dick war, doch jetzt …
„DAD?“, schrie ich laut und deutlich und begann zu zittern. Ich konnte meinen Blick nicht von diesem Mädchen abwenden. Ich wollte nicht glauben, dass ich das war.
Erneut schrie ich nach meinem Vater und bekam erst viel zu spät mit, dass er schon in der Badezimmertür stand und mich mit großen Augen ansah. Ich hatte mich über diese ganze Woche nicht einmal im Spiegel gesehen. Nur meine Handgelenke, die mir schon verdächtig spitz vorgekommen waren, hatte ich gesehen. Na gut, meine Beine waren ein wenig dünner geworden, aber das war mir nicht wirklich aufgefallen. Und jetzt schien es ganz so, als hätte mich mein Vater auch das erste mal so gesehen. Seine Pupillen weiteten sich und er schien für einen kurzen Moment zu vergessen, was um ihn herum geschah. Er fasste sich jedoch schnell wieder und lockerte seine Haltung.
„Was ist passiert, Vivi?“, hakte er nach und klang nicht mehr annähernd so hart und kalt, wie vor ein paar Minuten noch, als er mich nach Hause gefahren hatte.
Beinah fünf Minuten sah ich ihn einfach nur an und probierte herauszufinden, ob er auch dieses Monster sah, das bei jedem Windhauch umkippen würde. Als er schließlich meinen abstoßenden Blick erwiderte, senkte ich meinen Kopf und probierte die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.
„Was ist mit mir passiert?“, hauchte ich kaum hörbar.
„Was genau?“.
„Was genau?“, stieß ich hervor und schaute ruckartig auf. Mein nasses Haar schlug mir ins Gesicht, als ich mit lodernden Augen meinen Vater ansah. „Ich sehe aus wie ein Modell, das sich in den Tod hungern will. Warum bin ich so dünn?“.
Ich kannte bereits die Antwort auf meine Frage, doch musste ich sie von jemand anderen hören. Ich musste sie von meinem Dad hören damit ich wusste, dass ich all dies nicht geträumt hatte.
„Du … na ja … es ist so … “, er suchte angestrengt nach den richtigen Worten, doch schien er es einfach nicht zu schaffen, mir die harte Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Wieder herrschte ein paar Augenblicke Schweigen, bis ich einen Schritt auf Dad zu machte und ihm noch direkter in die Augen sah.
„Dad“.
„Du warst in dieser Art Koma, da konnten dich die Ärzte nur künstlich ernähren. Du warst öfter mal wach, doch hast du immer das Essen verweigert. Das ist ganz normal, Vivi. Du wirst in ein paar Tagen oder Wochen wieder ganz die Alte sein“.
Verächtlich zog ich die Brauen hoch. „Die Alte, Dad?“.
Stumm nickte er und senkte zum ersten mal seinen Blick. Ich wusste, wie schwer mein Vater es mit mir hatte. Ich war wirklich nicht einfach.
„Ich hoffe es“, flüsterte er und sah auf. Ein letztes Mal musterte er mich, bevor er sich umdrehte und das Bad verließ. Ich blieb zurück und überließ mich der Wut, Angst und Panik, die in mir aufstieg. Ich hatte schon vorher Angst gehabt vor der Schule, da ich nicht wusste, wie meine Mitschüler und Freunde reagieren würden und vor allem Phil. Doch jetzt hatte ich noch mehr Angst. Sie alle würden mich anstarren. Da war ich mir sicher.
Die letzten beiden Tage waren der Horror gewesen. Ich war so angeekelt von mir selbst gewesen, dass ich all die Spiegel in meinem Zimmer zu gehangen hatte. Es durchzuckte mich noch immer die Angst, wenn ich mich nach der Dusche an mir hinab blickte und einen für mich abgemagerten Körper sah. Es war alles andere als erholend gewesen, zwei Tage in meinem Zimmer zu hocken, mich vollzustopfen mir Kalorien vollen Dingen und die Predigen von meinem Vater über mich ergehen zulassen. Er hatte wohl immer wieder gesagt, dass alles besser werden würde. Aber war ich davon nicht wirklich überzeugt. Von daher verspürte ich auch nicht die große Freude, als Dad heute morgen in mein Zimmer gekommen war und mich wachgerüttelt hatte. Am liebsten wäre ich liegen geblieben, doch hatte es mein Vater geschafft, dass ich jetzt vor der Tür stand und mit meinem inneren Schweinehund kämpfte. Ich hatte Angst davor, wie all meine Mitschüler auf mich reagieren würden. Es hatte sich bestimmt schon herumgesprochen. Was würden die Leute wohl über mich sagen? Wie würden meine Freunde reagieren? Und was war wohl mit Phil? Wahrscheinlich hatte sich sofort jedes Mädchen an seinen Hals geworfen. Schließlich waren wir nicht mehr zusammen und ich war über ein anderthalb Wochen nicht in der Schule gewesen. Es war die perfekte Chance für Rony und Tascha gewesen.
Obwohl sich alles in mir sträubte nun die Tür zu öffnen und zur Schule zugehen, tat ich es dennoch. Vielleicht war es ja doch ganz gut, wieder in die Normalität zurückzugelangen? Zuhause war es wie in einem Film gewesen. Alexandra war nicht mehr dagewesen, wenn ich unten gewesen war, obwohl ich mir ziemlich sich war, dass sie abends immer mit meinem Dad ihren Lüsten nachging. Schließlich waren unsere Wände nicht aus Stahl. Doch das ich sie einmal zu Gesicht bekam war nicht vorgekommen. Normalerweise legte ich darauf auch kein Wert, doch belastete es mich noch immer, dass sie Dad mit Leon betrogen hatte. Sie hatte mir im Krankenhaus versprochen, dass sie es ihm beichten würde, aber ob sie das wirklich machen würde, stand noch in den Sternen. Ich glaubte es zu mindestens nicht.
Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich es geschafft hatte die Tür zu öffnen und dann sogar bis zum Gartentor zu gelangen, ohne wieder umzudrehen und mich in mein Bett zulegen, doch als ich um die Ecke bog und vom weiten eine kleine Gestalt ausmachen konnte, die nur Ivy sein konnte, da sie mich morgens angerufen hatte und wollte, dass wir gemeinsam zur Schule gehen, obwohl es ein Umweg für sie war, wurde mir schlagartig klar, dass es nun kein Zurück mehr gab. Ivy war solch eine Person, die etwas am Schopf packte und nicht mehr los ließ. Egal wie sehr ich auch flehen würde, und das konnte ich meiner Meinung nach sehr gut, sie würde mich nicht zurückkehren lassen. Wahrscheinlich würde sie alles erdenkliche tun um mich dazu zubringen, weiterzumachen und nicht umzudrehen. Sie war eben eine Kämpferin und nicht solch eine, die sofort aufgab.
„Hey“, begrüßte sie mich und umarmte mich herzlich, als ich bei ihr ankam und ihr Lächeln schwach erwiderte. Ivy musterte mich einen kurzen Moment, doch verzog dabei keine Miene, was mich, wenn ich ehrlich war, schon etwas stutzig machte. Sah sie denn nicht, dass ich viel dünner war als sonst? Oder hatte sie sich schon daran gewöhnt?
„Wie geht’s dir?“, fragte sie nach einigen Minuten nach, in denen wir schweigend nebeneinander hergelaufen waren.
„Eigentlich ganz gut“, erwiderte ich und wich ihrem Blick aus. Sie schaute zur mir und schien noch immer zu lächeln, doch wollte ich sie nicht ansehen. Sie würde wahrscheinlich hinter meine Fassade schauen können und würde sehen, dass ich panische Angst davor hatte in die Schule zugehen und mich all meinen Mitschülern und insbesondere Phil zustellen. „Die Tabletten, die mir Dr. Bloom verschrieben hat, sind wirklich gut“.
„Das ist doch toll“, sagte sie und wandte endlich ihren niederdrückenden Blick ab. „doch jetzt ganz ehrlich, Vivi. Wie geht’s dir? Wir haben im Krankenhaus nur einmal miteinander geredet und dann hast du uns alle aus deinem Zimmer verbannt. Und in den letzten drei Tagen, in denen du Zuhause warst, haben wir auch nur kurz miteinander am Telefon gesprochen. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass es dir nach dem was passiert ist, gut geht“.
Ich wusste nicht so recht, wie ich darauf reagieren sollte. Wahrscheinlich hätten mich ihre Worte schocken sollen, doch taten sie es nicht. Ivy hatte ja schließlich recht und natürlich hatte sie hinter meine Maske aus einem Lächeln geschaut. Sie hatte gemerkt, dass es mir nicht gut ging und ich am liebsten im Erdboden versinken würde. Sie war eben meine beste Freundin.
Leise seufze ich ergeben und sah sie für einen kurzen Moment an, dabei achtete ich nicht mehr darauf, wie und wo lang ich lief und kam prompt ins straucheln. „Du lässt dir echt nichts vor machen, mhm?“, fragte ich nach und probierte wieder sicheren Halt unter die Füße zu bekommen.
„Du kennst mich“, gab sie mit ernster Miene wieder und packte mich am Arm damit ich nicht erneut stolperte.
„Na gut, mir geht’s scheiße“, gab ich schließlich nach langem Zögern zu und schaute demonstrativ zu Boden. „Ich möchte am liebsten in meinem Bett liegen blieben und nie wieder raus kommen. Ich habe wirklich alles verloren, Ivy“.
Völlig unerwartet blieb Ivy stehen und wirbelte mich dabei mit herum. Sie stand genau vor mir und sah mich fest an. In ihren braunen Augen schwang ein Hauch Verzweiflung mit, doch wurde der Großteil von dieser enormen Wut unterdrückt. „Du hast doch nicht alles verloren!“, rief sie aus und nahm meine beiden Hände in ihre. Ich spürte, wie sie leicht zusammenzuckte, als sie bemerkte, wie kalte meine Finger waren. Ihre waren im Gegensatz zu meinen heiß. „Du hast mich und Ben. Wir sind für dich da. Ich bin für dich da, Vivi. Ich werde immer für dich da sein. Wir sind beste Freundin, ich werde dich nie im Stich lassen“. Die enorme Kraft und Nachdruck ihrer Worte preschten auf mich ein und raubten mir einen kurzen Moment den Atem. Als ich schließlich stumm nickte und nach Worten rang, nickte auch sie und drückte mich an sich. Wir beide waren ungefähr gleichgroß, was eine Umarmung um einiges leichter machte.
„Ich weiß, Ivy“, hauchte ich ihre ins Haar. „ich weiß. Doch habe ich Phil verloren und auch Marcel. Und mein Dad? Da bin ich mir auch recht sicher, dass ich auch ihn verloren hab. Zu mindestens spätestens wenn raus kommt, dass Alexandra ihn mit Leon betrogen hat und ich davon weiß. Das wird er mir nie verzeihen“. So überraschend, wie Ivy mich in den Arm genommen hatte, so plötzlich ließ sie auch wieder von mir los und sah mich mit großen Augen an. Ihr Mund stand ein Stück weit offen.
„Was?“, quiekte sie und festigte den Griff um meine Arme ein wenig. „Leon und deine Mom?“.
„Hatte ich das noch nicht erzählt?“.
Leicht angenervt, schaute mich meine Freundin von unten hervor an und schnaufte leise. „Wann denn bitteschön?“, seufze sie und strich sich danach durchs Haar. „Wie kam's? Also, das mit deiner Mom und deinem Ex-Freund?“.
„Ich weiß nicht“, stammelte ich und biss mir auf die Unterlippe herum. „Können wir weitergehen? Ich will nicht unbedingt auch noch zu spät kommen“. Für einen kurzen Moment blickte Ivy in Richtung Schule und schien wohl grob zu schätzen, wie lange wir noch brauchen würde bis dahin, dann nickte sie und setze sich wieder in Bewegung. Als ich nicht von alleine wieder mit dem Thema Sex mit dem Ex anfing, was schon irgendwie eigenartig war, weil es eigentlich etwas anderes bedeute und doch in diesem Fall passte, hakte sie nochmal neugierig nach.
„Es war an dem gleichen Tag, an dem das auch mit Phil und Marcel passiert war, hatte ich dir denn schon das erzählt?“, ich hielt inne und sah Ivy an, die mich mit neugierigen Blick ansah und schlicht nickte. „Ach so. Nun ja, als ich Zuhause ankam und in mein Zimmer wollte, erblickte ich nicht mein übliches Chaos wie sonst, sondern meine Mutter, nur so nebenbei erwähnt nackt, die gerade ihr Vergnügen mit einem jungen Mann hatte, der sich dann kurze Zeit später als Leon herausstellte. Frag mich nicht, wie die beiden im Bett gelandet sind – ich weiß es nicht. Leon hat wohl irgendetwas mit Sehnsucht und so etwas gefaselt, doch kauf ich ihm davon nichts ab“.
„Krank“, war das Einzige, was Ivy dazusagte. Sie sagte danach eine ganze Zeit nichts mehr. Erst als wir noch zwei Straßen von der Schule entfernt waren und mir immer schlechter wurde je näher wir ihr kamen, hob sie ihren Blick von der Straße und blieb neben mir stehen. Da ich nicht alleine in die Sichtweite der Schule gehen wollte, blieb auch ich stehen und blickte zurück zu ihr.
„Er hat wirklich mit deiner Mutter geschlafen? Was dachte er sich dabei? Na gut, ihr seit nicht mehr zusammen, aber mit deiner Mutter zu schlafen ist schon echt ein Ding. Das ist abartig“, zischte sie und sah mich fassungslos an.
Gleichgültig zog ich die Schultern hoch und legte den Kopf ein Stück schief. „Das hab ich auch gesagt. Und ganz ehrlich? Am Anfang hat es mich wirklich aufgeregt, doch jetzt, wenn ich so darüber nachdenke, ist es mir eigentlich egal. Ich will einfach nur, dass Alexandra mit meinem Dad darüber spricht und fertig. Leon ist für mich gestorben auch wenn er jetzt durch die Trennung mit Phil denkt, dass wir vielleicht eine Chance haben könnten oder was auch immer. Er meint, dass er mich nun beschützen muss und hat schon mehrere Male angerufen“.
„Krank!“, sagte sie wieder und kam schnellen Schrittes auf mich zu. „Das ist alles einfach nur krank. Gut, ich kannte Leon jetzt nicht wirklich gut, aber da er Meikes Bruder ist, dachte ich zu mindestens, er hat Anstand, aber das sieht danach nicht aus“.
„Hm“. Es war das Schulgebäude, das mich plötzlich maultot werden ließ. Es streckte sich unerwartet bizarr und Übelkeit erregend vor mir und rief das Verlangen in mir hoch, wegzurennen und mich in die dunkelste Ecke zu verkriechen. Als Ivy das merkte, nahm sie mich an der Hand und drückte mir aufmunternd die Finger. Sie wusste wahrscheinlich, was für Horrorszenarios sich gerade in meinem Kopf abspielten. Zu mindestens glaubte ich das.
Ich wusste nicht genau, was ich erwartet hatte, doch nicht, dass ich den Schulhof betreten würde und mich keiner beachten würde. Ich hatte damit gerechnet, dass mich ein paar Schüler mustern würden, weil sie von meinem Zusammenbruch gehört hatten oder irgendjemand Lügengeschichten in die Welt gesetzt hatte. Doch nichts. Keiner meiner hundert Mitschüler drehte sich zu mir um oder fing an zu flüstern, als Ivy und ich, Hand in Hand, an ihnen vorbei gingen. Vielleicht sahen mich ein paar jüngere Schüler an, doch das taten sie eben, weil es nun mal so war. Was aber wirklich überraschend war, dass nicht sofort Tascha oder Rony auf mich zugelaufen kamen und mir unter die Nase rieben, dass sie schon mit Phil zusammen sein.
„Guck nicht so niedergeschlagen und ängstlich“, flüsterte Ivy, als wir an einer Gruppen Jungen vorbeigingen, die eine Jahrgangsstufe unter uns waren. „Ich bin bei dir und gib dir Rückendeckung“. Langsam schlich sich ein Lächeln auf meine harte Miene und brachte sie zum brechen. Ivy hatte recht. Es würde schon nichts passieren. Wenn mich bis jetzt schon niemand dumm angemacht hatte, würde es bestimmt auch keiner mehr machen. Obwohl ich es ja schon verwirrend fand, dass keiner bemerkte, wie dünn ich war aber vielleicht hatten die letzten zwei Tage, in denen ich alles in mich hineingestopft hatte, ja doch etwas gebracht.
„Ich weiß doch, aber ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll wenn … “, fing ich an und stoppte, als ich Tascha und Rony entdeckte, die etwas weiter entfernt zusammenstanden und tuschelten. Sofort klickte ein Schalter in meinem Kopf um und eine kleine Stimme, die immer lauter wurde, fing an zuschreien. Sie schrie, dass sie über mich redeten. Dass sie nur gewartet hatten und nun jeden erzählen würden, was vorgefallen war. Sie würden mich binnen Sekunden zum Mittelpunkt all dieser Jugendlichen hier werden lassen.
Auch Ivy hatte die beiden Mädchen entdeckt, die umringt von anderen wurden und verkrampfte sich, wie ich, auch ein wenig. Sie behielt trotzdem das Lächeln bei, welches sie im Gesicht hatte und stellte sich mit mir nahe des Haupteinganges hin. Da ich eigentlich erwartet hatte, dass wir sofort in die Klasse gehen würden, stutze ich und zog die Stirn in Falten.
„Wollen wir nicht rein?“, hakte ich nach und deutete ins Gebäude. Schnell schüttelte Ivy den Kopf und löste dabei unsere Finger, die ineinander verschränkt gewesen waren.
„Du musst dich ihnen stellen“, sagte sie und spähte zu den beiden hinüber und legte den Kopf kurz schräg, als sie beobachtete, wie Tascha ihren Oberkörper vorbeugte um anscheinend zu demonstrieren, dass sie so einen optisch größeren Busen hatte. „auch wenn es danach aussieht, als wüssten sie von nichts, musst du es tun. Für dich“.
Kleinlaut nickte ich und atmete tief durch. Tascha und Rony waren eine Sache, Phil aber war eine andere. Ihm konnte ich mich nicht einfach 'stellen'. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung, was ich gleich in der Klasse machen würde. Würde ich mich wie immer neben ihn setzten oder doch von Anfang an zu Ivy gehen? Würde Phil mich überhaupt beachten oder ignorieren? Mir schwirrten so viele Fragen darüber, wie Phil reagieren mochte oder was er über mich dachte, dass ich nicht einmal richtig mitbekam, wie er den Schulhof betrat und ganz alleine über ihn schlich. So, als würde er die andere Hälfte eines Magneten sein, folgten meine Augen jede Bewegung von ihm. Wie er die Hände lässig in den Taschen hatte, wie er mit leicht gekrümmten Rücken ging, damit er kleiner wirkte, und wie er schließlich wortlos an Marcel vorbei ging und ihn keines Blickes würdigte. Und genau in diesem Moment, wurde mir klar, dass ich eine der tiefsten und besten Freundschaften binnen Sekunden zerstört hatte. Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter und die Übelkeit, die ich empfunden hatte, als ich den Schulhof näher gekommen war, überkam mich erneut.
Ich konnte die Gefühle, die über Marcels Gesicht in diesem Moment gehuscht waren, nicht genau deuten, doch lag eine ordentliche Menge Verwirrung und Sehnsucht darin. Er verstand wahrscheinlich noch immer nicht, wie alles so schrecklich schief gegangen sein konnte. Wie seine jahrelange Freundschaft wegen einem Missverständnis zerstört werden sein konnte. Ich verstand es ja auch nicht.
„Die beiden haben noch kein einziges Mal miteinander geredet“, klärte mich Ivy auf und sah mich sorgenvoll an. Sie konnte eins und eins zusammenzählen und wusste, dass ich gerade an das Geschehene dachte und mir Gedanken über die beiden machte. „Marcel hat es schon öfter probiert, doch blockt Phil immer wieder ab. Wie bei jedem anderen auch“.
„Bei jedem?“, hakte ich argwöhnisch nach und beobachtete, wie Phil schließlich bei meinen so geliebten Mitschülerinnen stehen blieb und sie alle liebevoll in den Arm nahm. Ohne das ich es kontrollieren konnte, flammte die Eifersucht und der pure Hass in mir auf. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, als Phil mit allen Mädchen durch war und sich lächelnd Rony und Tascha gegenüber stellte. Sie fingen an über etwas zu lachen und genau in diesem Moment, legte sich Phils Hand um die Hüfte Taschas und das war der Moment, in dem meine Welt, die eh schon in Scherben lag, platt getrampelt wurde. Ich fühlte mich, als hätte man mir direkt in den Magen geboxt. Mir blieb die Luft weg, der Schweiß stand mir auf der Stirn und das schwarze Loch, welches eigentlich von den Tabletten gestopft wurde, platze auf.
„Na ja“, murmelte Ivy und hüpfte unbehaglich vom einen Fuß auf den anderen. „anscheinend doch nicht alle“.
Was danach passierte ging wie in einem Zeitraffer einfach an mir vorbei. Ivy schleifte mich ins Klassenzimmer als es geklingelt hatte, setzte mich neben sich auf den Platz und schreckte mich immer wieder aus meiner Starre hervor, wenn der Lehrer zu mir blickte. Es war die erste Hälfte der Stunde vergangen, als ich schließlich leise seufze und meinen Kopf nach vorne fallen ließ, so dass mir das Haar ins Gesicht hing.
„Er ist mit Tascha zusammen?“, hauchte ich kaum hörbar und krallte meine Finger in die Knie um so das Zittern zu unterdrücken.
Ebenfalls seufzend schaute Ivy von der Tafel zu mir und legte mir beschwichtigend eine Hand auf meine. Sie strich mir liebevoll den Handrücken auf und ab als sie zusprechen begann. „Ich weiß es nicht, schließlich redet er mit mir auch nicht mehr, aber eins kann ich dir sagen, Vivi“, sie hielt inne, da der Blick des Lehrer auf uns gefallen war und wir damit die erste Verwarnung bekamen. „gestern und die Woche davor, saß er meist die ganze Zeit alleine auf dem Schulhof herum und sprach mit niemanden. Erst heute hat er wieder von sich aus mit jemanden gesprochen und es überrascht mich nicht, dass es Tascha und Rony sind“.
„Wirklich?“, hysterisch und verzweifelt kicherte ich leise und schüttelte ungläubig den Kopf. „Warum das denn?“.
„Nun, ich glaube, er will dich eifersüchtig machen“, erklärte sie und brachte mich damit aufzuschauen. Ich musste mich wirklich beherrschen um nicht anzufangen zu lachen. Das war absurd. Einfach lächerlich.
„Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen, Ivy“.
„Ich mir schon“, flüsterte sie und fing an zu schreiben. Wahrscheinlich hatte der Lehrer von uns verlangt das abzuschreiben, was an der Tafel stand, deswegen fing ich ebenfalls ans zu schreiben, jedoch schrieb ich das, was Ivy in ihr Heft schrieb. „Du musst nur das große Ganze betrachten. Er spricht über eine Woche fast mit niemanden und genau an dem Tag, an dem du wiederkommst – und ich bin mir sicher, er wusste das – redet er von sich aus und das dann ausgerechnet auch noch mit Tascha und Rony, weil er ja so viel Kontakt mit den beiden hat? Er hätte sich schließlich auch mit einen von seinen männlichen Freunden unterhalten können. Er wusste doch, dass du dich nicht mit den beiden verstehst. Denkst du also, es ist wirklich reiner Zufall, dass er mit den beiden Tussen spricht?“.
„Okay“, flüsterte ich zurück und wagte einen kurzen Blick zu Phil, der ebenso wie wir beide schrieb und natürlich Tascha neben sich sitzen hatte. Rony war genau eine Reihe vor den beiden, was mich noch wütender machte. „vielleicht hast du in ein paar Dingen davon recht, aber ich würde keinen Sinn darin sehen, dass er mich eifersüchtig machen will, schließlich habe ich ihn doch 'betrogen'. Ich möchte ja mit ihm zusammen sein. Er ist derjenige, der nicht will“.
„Ach, Vivi. Jetzt tu schon nicht so dumm. Genau deswegen tut er es ja. Da du ihn ja angeblich mit Marcel betrogen hast, will er dir zeigen, dass er es auch kann. Er möchte einfach sein Ego puschen wie jeder Junge“. Fast automatisch glitt mein Blick von Phil zu Marcel, der drei Reihen vor uns saß und gerade sein Stift weglegte. Erschöpft strich er sich durchs Haar und verfluchte es höchstwahrscheinlich in diesem Moment, dass er nicht seine graue Mütze tragen dufte.
Ganz unauffällig, so wie ein Mädchen, dass verknallt war, spähte er zu Phil herüber und beobachtete ihn für mehrere Minuten. Als sich sein ehemaliger bester Freund wieder vom Schreiben aufrichtete und zu Tascha wandte, seufze er und senkte seinen Blick. Selbst aus dieser Entfernung und als Mädchen, konnte ich Marcels Gedanken in diesem Moment erraten. Er fragte sich genau wie ich, warum Phil auf einmal so war und warum sie beide nicht einfach reden konnten. Ich würde es schon verstehen, wenn Marcel mich dafür hassen würde - schließlich war es meine Schuld.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich das sage, aber ich muss mit Phil reden“, sagte ich entschlossen und drehte mich zu Ivy. Ihre braunen Augen begannen kurz zu leuchten, als ich sie erregt ansah und meine Lippen befeuchtete. Jedoch konnte ich ihren Zweifel sehen, der sich auf ihren Zügen niederlegte. „Warum der plötzliche Sinneswandel? Ich dachte, du könntest das nicht“.
„Ehrlich gesagt, weiß ich noch immer nicht, ob ich es schaffe, aber ich muss es versuchen … für Marcel. Auch wenn ich nicht wieder mit Phil zusammenkomme und für immer meinen besten Freund verliere, will ich, dass Marcel ihn nicht auch verliert. Nur wegen mir sind die beiden zerstritten. Es ist meine Aufgabe, dass die beiden wieder Freunde werden oder zu mindestens miteinander sprechen können.
„Und du denkst, du schaffst das?“, hakte sie ungläubig nach und zog die Brauen hoch.
Wild entschlossen nickte ich und ballte eine Hand zur Faust. Ich merkte, wie mir das Adrenalin durch den Körper schoss und ihn zum zitter brachte. „Ich muss es zu mindestens versuchen. Ich werde mit Phil reden. Jetzt gleich in der Pause“.
Und so sollte es auch geschehen. Ich brachte den restlichen Unterricht hinter mich, doch wenn ich ehrlich war, ich hatte nicht zugehört. Meine volle Konzentration setzte ich dafür ein, mir zu überlegen, was ich Phil sagen würde und als mir schließlich nichts einfiel, bemerkte ich, dass es ein noch viel größeres Problem gab. Es war nicht das Gespräch an sich, was schwer sein würde, sondern Phil überhaupt dazu zubringen, mit mir zureden. Wahrscheinlich wird er mich ignorieren oder mir nur irgendwelche Beleidigungen an den Kopf werfen.
Die Schulklingel war schrill, laut und war gleichzeitig auch mein Startschuss. Wir hatten nach der ersten Stunde Biologie gehabt, was soviel hieß wie, dass wir nahe des Schulhofes waren, auf den nun alle Schüler gehen würde.
So schnell ich konnte, stopfte ich mein Heft und Buch in meinem Rucksack, warf ihn mir über die Schulter und preschte vor. Da Phil zufälligerweise auch noch den Platz an der Tür hatte, war er als Erster draußen gewesen und damit schon längst aus meiner Sichtweite. Ich probierte mich an meine Mitschüler vorbei zu quetschen und sie weg zustoßen, doch da die meisten knapp zwei Köpfe größer und mindestens zehn bis zwanzig Kilo schwerer als ich waren, gelang es mir nicht wirklich. Also musste ich mich gedulden, bis sich alle restlichen fünfundzwanzig Schüler aus dem Klassenraum geschoben hatten. Als ich den ersten Fuß auf den Flur setzte und schon den kühlen Windstoß um meinem Kopf spürte, der durch die Eingangstür herein wehte, schaute ich nach Phil Ausschau. Ich reckte mich und stellte mich auf die Zehnspitzen, doch konnte ich ihn nicht ausmachen. Er musste wahrscheinlich schon auf dem Schulhof sein, so dass ich mir das ganze Gedränge eigentlich hätte gleich sparen können.
Etwas frustriert, aber dennoch schnellen Schrittes, lief ich den Flur entlang und ignorierte es schlichtweg, dass mich alle anstarren, als sei ich verrückt. Vielleicht war ich es ja sogar? Wer konnte das schon sagen?
Je näher ich dem Eingang kam, desto schlechter wurde mir. Meine Hände fingen an zu schwitzen und meine Knie wurden weich. Ich hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt und musste mir immer wieder selbst ins Gedächtnis rufen, dass es nur Phil war, mit dem ich gleich sprechen musste. Dennoch, was war mit mir los? Warum um alles auf der Welt, hatte ich solch eine Panik mit Phil zureden? Vor ein paar Wochen hatte ich damit noch keine Probleme gehabt. Ich hatte nie damit Probleme gehabt! Und jetzt auf einmal, wegen solch einem Dilemma hatte ich tatsächlich Bammel davor.
Ich konnte Phil im selben Moment, an dem ich auch die Tür erreichte, auf dem Schulhof ausmachen, als mich etwas zurückzog. Es war nicht mein innerer Schweinehund, der sich heute morgen schon so freundlich bei mir gemeldet hatte, sondern eine Person, die mich stur am Arm gepackt hatte und zurückhielt. Verwirrt drehte ich meinen Oberkörper nach dieser Person um und hätte am liebsten seine Hand weg geschlagen, als ich erstarrte. Dieser Jemand, der mich anscheinend nicht auf den Schulhof lassen wollte, war kein anderer als Marcel. Es war wie ein direkter Schlag ins Gesicht ihn vor mir zusehen. Diese Augen, welche ich immer, wie die von Phil beneidet hatte, die so voller Leid getränkt waren. Es war nichts vorwurfsvolles in seinem Blick, doch wusste ich, dass er mir einiges von dem was passiert war in die Schuhe schob, was natürlich auch sein Recht war.
Seine Finger waren fest geschlossen um meinem Unterarm und schienen noch etwas mehr zu verkrampfen, als ich seinem Blick nicht auswich. Er war es schließlich, der sich räusperte und seinen Blick sinken ließ, als keiner von uns beiden etwas sagte und uns diese Situation zu dumm vorkam. Mit leicht geröteten Wangen ließ er mich los und strich mir unbeholfen mein Shirt zurecht, welches er mit seinem etwas groben Griff faltig gemacht hatte.
„Entschuldige“, nuschelte er undeutlich und sah wieder auf. Mir war nicht entgangen, dass er seine Haare, die ihm vorher in die Augen gefallen waren, kurz geschnitten hatte und es damit keine Härchen gab, die unter seiner Mütze hervorlugten. „Hab ich dir weh getan?“.
„Nein, nein“, wehrte ich schnell ab und tätschelte mir beiläufig die Stelle und machte dann eine wegwerfende Geste. Es war, wie ich schon vermutet hatte, ziemlich eigenartig mit Marcel zureden. Als wir das letzte Mal ein Gespräch geführt hatten, hatte ich ihm gesagt, dass wir lieber nie wieder Kontakt haben mehr sollten. „Alles in Ordnung. Aber warum hast du mich aufgehalten?“.
„Weil ich nicht will, dass du mit Phil sprichst … ich meine, zu mindestens nicht über ihn und mich. Ivy hat mir gesagt, was du vor hast und ich bin der Meinung, dass es keine gute Idee ist“.
„Ach und warum?“, hakte ich angesäuert nach und stemmte die Hände in die Hüfte. Marcel nagte sich auf der Unterlippe herum und schaute hinab auf seine Füße. Am liebsten hätte ich in seine tiefen blauen Augen geguckt, damit ich so einigermaßen gewusst hätte, was in ihm vorging, doch tat er mir nicht den Gefallen.
„Keine Ahnung“, sagte er schließlich und blickte entschlossen auf. „Ich möchte einfach nicht, dass du dich mit ihm streitest. Du bist noch schwach sagte Ivy und ich habe keine Lust, dass du deswegen“, es überraschte mich, wie er dieses Wort betonte und musste schlucken. „zusammenbrichst. Phil bleibt sowieso stur und denkt weiterhin, dass wir miteinander geschlafen haben. Da bin ich mir sicher“.
„Ich muss es aber versuchen, Marcel“, hauchte ich eindringlich und trat einen Schritt näher an ihn heran. Ihn erschreckte meine Nähe nicht, oder ließ es sich zu mindestens nicht anmerken, und sie schien ihm auch nicht unangenehm, was ich als ein positives Zeichen abtat. Vielleicht hatte ich Marcel ja doch nicht verloren. Natürlich wollte ich wieder mit Phil zusammen sein, deswegen musste ich ja auch mit ihm sprechen, doch wollte ich auch die Freundschaft zu Marcel haben. Es war egoistisch von mir. Doch musste man das nicht mal sein? Ich liebte sie beide auf eine ganz gewisse Art und es hatte mir das Herz zerrissen, als ich Marcel die Freundschaft gekündigt hatte. „Ich liebe Phil und ich will ihn nicht verlieren … und dich, will ich auch nicht verlieren. Ich weiß, was ich gesagt habe und es tut mir leid. Es war ein Fehler. Egal was vorgefallen ist, ich hätte nicht sagen brauchen, dass wir uns nicht mehr treffen sollten. Es würde eh nichts bringen“.
„Ich möchte dich auch nicht verlieren“. Es war einer von diesen Momenten, in dem ein kleiner Hoffnungsschimmer auf funkelte. Ohne groß darüber nachzudenken fiel ich Marcel um den Hals und drückte ihn fest an mich. Er erwiderte meine Umarmung, was mich auf seufzen ließ. Ich hatte Marcel schon eine Ewigkeit gekannt, doch wurden wir erst richtige Freunde, als wir beide am Boden zerstört waren. Ich war mir sicher, dass ich in ihm einen Freund gefunden hatte, der an den früheren Phil heranreichen könnte. Natürlich wollte ich keinen Ersatz, doch glaubte ich, dass mir ein Freund gut tun würde.
„Du willst noch immer mit Phil sprechen oder?“, hakte er nach einiger Zeit nach und löste sich von mir. Auch hier dachte ich nicht viel nach und begann zu nicken.
„Natürlich“, sagte ich hochtrabend und warf einen kurzen Blick über meine Schulter. Phil stand noch immer dort auf dem Schulhof und unterhielt sich mit Tascha. Er kam ihr wohl nicht mehr annähernd so nah wie heute Morgen, doch allein die Tatsache, dass er mit ihr sprach machte mich eifersüchtig. Erst war es Rony gewesen und jetzt Barbie. Na ja, zu mindestens war er nicht zurück zu Rony gekrochen, was hundert prozentig Probleme mit sich gebracht hätte. „Wie gesagt, ich liebe ihn und muss versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass ich ihn nicht mit dir betrogen hab“.
„Ich hoffe du schaffst es“, raunte er und steckte seine Hände in die Hosentasche. „Und deswegen helfe ich dir dabei“.
„Wie?“.
„Wir werden zusammen mit ihm sprechen“, klärte mich Marcel auf und zwinkerte mir zu. „So kann ich sicher gehen, dass du nicht zusammenklappst und vielleicht sogar noch die Sache mit ihm ins Reine bringen. Eigentlich wollte Ivy ja mitkommen, doch schien ihr dann eingefallen zu sein, dass ich dafür viel besser geeignet sei“.
„Gut“, beschloss ich. „dann werden wir heute nach der Schule Phil abfangen und mit ihm sprechen. Ob er nun will oder nicht!“.
Wir standen auf dem Schulparkplatz und starrten beide auf das Tor. Es waren mindestens schon zehn Minuten vergangen und Phil war noch immer nicht an uns vorbei gelaufen.
„Haben wir ihn verpasst?“, fragte ich nach und lugte um die Ecke.
„Nein“, erwiderte Marcel und trat einen Stein vor seinen Füßen weg. „Er hatte Sport in der letzten Stunde. Vielleicht hat er geduscht“.
„Mhm“.
„Er wird schon kommen … schließlich ist das Tor doch die einzige Möglichkeit um nach Hause zukommen oder nicht?“, er probierte mich mit einem Lächeln zu besänftigen, doch wenn ich ehrlich war brachte es nicht wirklich viel. Mir war immer noch flau im Magen und meine Hände schwitzen. Klar, ich wollte mit Phil reden und probieren so alles zu retten, doch was, wenn es gar nichts mehr zu retten gab? Was, wenn Phil so dickköpfig war, dass er uns gar nicht anhörte?
„Da ist er!“, rief Marcel aus und stieß mich an. Wie ein kleiner Welpe, der den ersten Schritt tat, taumelte ich voraus und war doch hinter Marcel, als er Phil zurief und ihn sogar dazu brachte stehenzubleiben. Entnervt drehte er sich zu uns und verdrehte dabei seine smaragdgrünen Augen.
„Was?“, brummte er und festigte den Griff um seine Sporttasche, die mindestens so viel wog wie ich.
„Wir wollen mit dir reden“, ergriff Marcel das Wort und sah ihm fest in die Augen. Ich bewunderte seine Stärke. Marcel war furchtlos und machte sich nicht beinahe in die Hose so wie ich. Er starrte Phil einfach entgegen und schien überhaupt keine Angst zuhaben.
„Ach ja?“, sagte er und sah zu mir. „Du etwa auch?“.
Vorsichtig hob ich meinen Blick und schaute sofort wieder auf den Boden. Phil durchbohrte mich regelrecht. „Ja, wir wollen beide mit dir reden“.
„Schön und über was? Wollte ihr mir etwas erzählen, dass ihr jetzt zusammen seid und vielleicht sogar schon nächstes Jahr heiraten wollt? Oder warte, bist du schwanger, Vivi?“. Obwohl Phil schon öfter in meinem Leben gemein zu mir gewesen war, hatten mich seine Worte dennoch noch nie mit solch einer Wut getroffen wie gerade eben. Egal wie viel Angst ich vor ein paar Sekunden noch gehabt haben mochte, sie war wie weg gepustet. Ohne auf Marcel zu achten, der schon Einwende erheben wollte, richtete ich mich auf, strafte die Schultern, schob meine Brust vor und stellte mich auf Zehnspitzen damit ich Phil besser in die Augen sehen konnte.
„Phil, ich wollte mit dir ganz normal über alles reden, doch wenn du so schon anfängst hab ich dazu überhaupt kein Bock. Ich habe nicht mit Marcel geschlafen! Ich habe bei ihm übernachtet, weil mein Vater wieder mit meiner Mutter zusammen ist und alles bei mir in die Brüche geht. Marcel ging es zu der Zeit auch nicht gut, weil seine Mutter gestorben ist und ich fühlte mich einfach wohl bei ihm. Deswegen bin ich zu ihm gegangen. Ich habe nur bei ihm geschlafen und nicht mit ihm, Phil. Ich liebe dich und nicht Marcel. Und weißt du was? Am Anfang und sogar noch vor ein paar Stunden hat es mich wirklich fertig gemacht, dass du mir nicht glaubst, doch jetzt ist es mir egal. Wenn du wirklich von mir denkst, dass ich dich mit deinem besten Freund betrogen habe – schön. Doch ich bin nicht irgendeine dahergelaufene Schlampe, die es mit jedem treibt. Mein Leben ist schon so scheiße genug, da brauch ich nicht auch noch ein Drama mit dir“. Ich machte auf den Absatz kehrt und sah nicht einmal mehr zurück. Ich merkte, dass Marcel noch einige Moment völlig verwirrt bei Phil stehen blieb, sich jedoch fing und mir hinterherlief. Ich war gerade an der Ampel, als er mich einholte und zu lachen begann.
„Wow“, sagte er schlicht und schnaufte. „Ich dachte, du wolltest mit ihm reden und keine Standpauke halten“.
„Es war die Wahrheit“, gab ich knapp zurück und merkte, wie das Adrenalin, welches während meine Rede in meinen Körper geschossen war, zurückging. „Und wenn er noch immer glaubt, dass ich mit dir geschlafen hab dann soll er das eben weiterhin glauben. Ich will ihn zurückhaben, doch nicht um jeden Preis. Phil muss mir vertrauen können und wenn er das nicht tut … dann ist es eben endgültig vorbei“. Wir liefen schweigend nebeneinanderher bis ich vor meiner Tür stehenblieb und Marcel in die Augen sah.
„Geht's dir gut?“, fragte er nach und strich mir meinen Arm.
„Ja, ich hatte gedacht, dass es mir jetzt schlecht gehen würde, doch mir geht’s gut“. Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm ich meinen Freund in den Arm und drückte ihn an mich. Seine Wärme schloss mich vollkommen ein um nur wieder zu verschwinden, als er mich los ließ und die drei Stufen hinunter ging.
„Soll ich wirklich nicht hier bleiben? Wir könnten etwas kochen, ein Film ansehen“.
„Hört sich sehr verlockend an“, kicherte ich und drehte den Schlüssel in meinen Fingern hin und her. „aber ich muss noch mit meiner Mutter was besprechen. Vielleicht morgen?“.
„Klar“. Mit einem Augenzwinkern kehrte mir Marcel den Rücken und verschwand. Ich wartete nicht lange, wie ich es eigentlich am liebsten getan hätte, damit das Gespräch mit Alexandra so lange wie möglich vor mir herschieben konnte, sondern schloss sofort die Tür auf und wurde nicht von dem typischen Essensgeruch begrüßt, der mich sonst immer empfing nach der Schule. Auch sonst wirkte das Haus ein wenig leer.
„Dad?“, rief ich laut und warf meinen Rucksack achtlos auf den Boden. „Alexandra?“. Ich horchte einige Sekunden jedoch war nichts zu hören. Waren die beiden weg?
Ohne eine Suche nach den beiden zu starten, die wahrscheinlich durch das ganze Haus gegangen wäre, marschierte ich in die Küche und fand dort auf dem Esstisch einen kleinen Zettel vor. Die Schrift war geschwungen und konnte daher nur von Alexandra sein.
„Vivian, dein Vater und ich sind Essen. Wenn du Hunger bekommst, wir haben dir Geld dagelassen. Bestell' dir eine Pizza. Wir sind so gegen fünf zurück“.
Mit einem tiefen Seufzer zerknüllte ich den Zettel und warf ihn zurück auf den Tisch. Wenn mein Dad und Alexandra Essen waren konnte das nur zwei Dinge heißen. Entweder mein Vater machte ihr einen Heiratsantrag oder Alexandra beichte meinen Vater, dass sie mit Leon geschlafen hatte. Beide Optionen waren sehr unwahrscheinlich, was mich stutzig werden ließ.
Meine Gedanken kreisten um die Frage, was wohl meinen Eltern in einem Restaurant taten, als ich das Telefon nahm und das Adressbuch durchging. Ich hatte erst gestern Pizza gehabt von daher entschied ich mich für etwas exotischeres.
„Hey“, sagte ich, als am anderen Ende der Leitung abgenommen wurde. Es dauerte etwas bis sich mein Gesprächspartner meldete.
„Hi“.
„Wie geht’s dir so?“, fragte ich nach und warf mich auf die Couch. Ich zog die Beine an um mein Kinn darauf zu betten.
„Gut und dir?“.
„Gut, gut“, brabbelte ich. „Ich weiß, dass ich gesagt hatte, dass ich etwas mit meiner Mutter besprechen müsste und das stimmt auch, aber meine Eltern sind Essen und deswegen wollte ich dich fragen, ob dein Angebot noch steht?“. Anstatt eine Antwort zu bekommen, fing Marcel herzlich an zu lachen. Ich konnte mir schon vorstellen, wie seine Augen feucht wurden und kurze Zeit später Tränen seine Wangen hinab liefen. „Was ist so lustig?“.
„Nichts“, gab er zurück und atmete tief durch. „Überhaupt nichts, Vivi. Wann soll ich kommen?“.
„Am besten so schnell wie möglich. Ich habe nämlich einen Mordshunger“.
„Ok, dann bin ich in zehn Minuten bei dir“, kicherte er und war einem Lachanfall wieder nahe. „Ach und Vivi, nächstes Mal kannst du auch einfach sagen, dass du nicht kochen kannst und ich dir helfen soll“. Bevor ich etwas antworten konnte brach die Leitung ab und Marcel hatte aufgelegt.
„Arschloch“, zischte ich mit einem Lächeln auf den Lippen und schmiss das Telefon neben mir auf das Sofa. Langsam schloss ich meine Augen und erblickte das Gesicht von Phil. Er lachte und sah nur mich an. Seine Augen trieften vor Glück und Liebe. Schmerzlich zuckte ich in mich zusammen und krallte meine Finger in die Knie. Obwohl ich wusste, dass es das Richtige gewesen war so mit Phil zu reden, schmerzte es doch. Er war mein bester Freund gewesen und ich hatte panische Angst davor, dass unsere jahrelange Freundschaft sich einfach so in nichts auflösen konnte. Konnte er denn nicht sehen, wie sehr ich ihn liebte? Konnte er es nicht in meinen Augen sehen, wenn ich ihn anblickte? War er wirklich so blind?
Ich liebte ihn und war mir absolut sicher, dass ich nur ihn haben wollte. Doch wenn er wirklich glaubte, dass ich ihn mit seinem ehemaligen besten Freund betrogen hatte, wusste ich nicht, ob ich ihn dann noch überhaupt als meinen besten Freund haben wollte. Schließlich brauchte man doch eine Person, die einen blind vertraut oder nicht?
Es war einfach zum verrückt werden. Der innere Konflikt in mir machte mir wirklich zu schaffen. Ich würde nur all zu gerne jetzt Phil anrufen und ihm sagen, dass mir all das was ich gesagt hatte leid tat und das ich ihn liebte. Doch auf der anderen Seite tat es mir überhaupt nicht leid. Es war ja die Wahrheit gewesen …
Das Klingeln der Tür riss mich aus meinen Gedanken hoch. So schnell ich konnte rappelte ich mich vom Sofa auf und stolperte dabei beinahe über meine eigenen Füße. Ich stoppte abrupt vor der Haustür und schwang sie mit einem breiten Grinsen auf.
„Hallo“, sagte ich freudestrahlend und packte nach Marcels Arm. „Komm rein“. Ohne darauf zu achten, ob Marcel nun ohne Verletzungen über die Türschwelle gekommen ist, schleifte ich ihn in die Küche und stellte ihn dort vor dem Herd ab.
„Hi, Vivi“, begrüßte er mich und sah mich amüsiert an. „Hunger?“.
„Und was für einen“, gab ich zurück und ging an ihm vorbei, kramte zwei Töpfe hervor und stellte sie anschließend auf den Herd.
„Was sollen wir denn kochen? Irgendwelche Wünsche?“.
„Nicht wirklich“, nuschelte ich und drehte mich zu Marcel um, der zwei Schritte nach hinten gegangen war um mir Platz zumachen. „Such dir was aus“.
„In Ordnung“, sagte er und näherte sich dem Herd. „Hast du Reis, Hähnchenbrust, Lauchzwiebeln, Chilischoten, Eier, Petersilie und Sojasauce da?“.
„Wahrscheinlich“, brummte ich musste erst einmal schlucken. Mein Dad und ich hatten nun schon mehrere Jahre lang von Lieferdiensten und Nudeln gelebt, von daher hatte ich nicht wirklich erwartet, dass Marcel wirklich kochen konnte. Für Jugendliche allgemein galt eigentlich, dass sie eher faul waren was kochen anging und lieber andere für sich kochen ließen.
„Wahrscheinlich, Vivi?“, hakte er lächelnd nach und schob mich liebevoll zur Seite, knuffte mir in die Taille, stellte einen Topf zurück und holte dafür eine Pfanne hervor. So, als wohnte er hier schon jahrelang griff er gekonnt in die Schränke und holte die Sachen hervor die er brachte und ich stand nutzlos in der Ecke und starrte meinen Mitschüler mit offenem Mund an. Wenn ich es nicht bester gewusst hätte, würde ich sagen, dass Marcel Koch werden wollte.
Ich stand noch einige Minuten still herum und beobachtete ihn dabei, wie er den Reis in Salzwasser tat und anfing das Fleisch, die Zwiebeln und Chilischoten zuschneiden. Erst als er Öl in die Pfanne tat und sie anstellte, sah er über seine Schulter zurück und lächelte mir zu. „Willst du mich die ganze Arbeit machen lassen?“, fragte er nach und deutete mit einer kurzen Kopfbewegung zu sich.
„Ähm … nein, nur dachte ich nicht, dass du kochen kannst“, stammelte ich hilflos und ging auf ihn zu, stellte mich neben ihn und musste achtgeben nicht von Ölspritzer getroffen zu werden.
„Warum?“, fragte er schmunzelnd. „Weil ich ein Junge bin?“.
„Nein, deswegen nicht“, erwiderte ich schlaff und begann ohne das es einen Nutzen hatte, in dem Reiswasser herum zu rühren. Marcel brauchte ja nicht wissen, dass ich selbst als Kochhilfe eine absolute Null war. „Ich habe nur nicht gedacht, dass du kochen kannst“.
„Wieso?“, hakte er nach und briet das Fleisch in der nun heißen Pfanne an. Es brutzelte laut vor sich her, so dass meine Antwort Marcel ein wenig zu leise war obwohl er direkt neben mir stand. Weshalb ich sie etwas lauter wiederholte.
„Ich dachte nur nicht, dass du selber kochst. Du kamst mir eher wie der Typ Junge rüber, der lieber den Lieferdienst anruft als selber zu kochen“.
„So wie du?“, witzelte er und stieß mich wieder an. Ich stimmte in sein Gekicher ein obwohl ich etwas gekränkt war. Wenn ich kochen könnte, würde ich es ja tun, da ich aber das Talent des Kochens von meiner Mutter geerbt bekommen hatte, sah es schlecht damit aus.
„Na ja“, fing er erneut an, aber nun mit ernstere Stimme. „meine Mutter konnte auch nicht besonders kochen, deswegen musste ich es lernen. Erst hat es immer mein Bruder gemacht, doch irgendwann hatte er keine Lust mehr dazu gehabt“.
„Ach so“, hauchte ich bedrückt und ließ den Löffel, mit dem ich das gesalzene Wasser umgerührt hatte, los.
„Wenn du willst, kann ich dir ein wenig was zeigen?“.
„Das wäre super“, rief ich aus und strahlte Marcel an. Vielleicht würde ich mit seiner Hilfe ja doch noch eine Superköchin werden.
(Fortsetzung folgt....)
Texte: Buch 2
Tag der Veröffentlichung: 10.10.2010
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