Es ist still, kein Ton ist zu hören. Nicht mal das Dröhnen eines Autos auf dem Asphalt draußen oder Vogelgezwitscher.
Gestern hatte es geregnet und der Wind hatte die Regentropfen hart gegen die Fenster geschleudert. Aber heute nicht.
Es ist einfach nur still, fast unheimlich, bedrückend.
Er könnte Musik anmachen. Der Gedanke kommt ihm für einen kurzen Augenblick in den Sinn, doch er verwirft ihn gleich wieder, steht einfach nur da, schlank, blass. Die langen blonden Haare fallen ihm über die Schultern auf den Rücken und er sieht vor sich aus dem Fenster ins Leere.
Dichter Nebel macht die Sicht in die Ferne unmöglich. Grau, wie seine Augen.
Normalerweise reicht sein Blick von hier aus weit über die Häuser der Stadt, aber nicht heute. Heute nicht.
Er versucht sich auf seinen Herzschlag zu konzentrieren, langsam, ruhig.
Das Chaos in seinem Kopf zu ordnen, einen klaren Gedanken zu fassen und ihm weiter nachzugehen, gelingt ihm nicht.
Das Telefon klingelt. Es dröhnt in die Stille hinein. Er bleibt regungslos stehen, wartet ab.
Der Anrufbeantworter springt an. Der altbekannte Spruch, immer noch derselbe, schon tausendmal abgespielt und gehört. Diesmal spricht niemand drauf. Es wird später sicherlich erneut klingeln.
Alles wiederholt sich, beinahe wie eine Schallplatte die einen Sprung hat. Die Nadel rutscht immer wieder zu einem Anfangston zurück und spielt die Stelle wieder und wieder, bis jemand sie unterbricht, sie ausschaltet oder eine neue Platte auflegt.
Eine neue Platte. Etwas neues. Was ist neu, anders als sonst? Was ist heute anders als gestern oder den Tag der Woche davor?
Sein Herz schlägt laut vernehmbar und ruhig, dennoch tonlos.
Es ist ein perfekter Moment. Ein Augenblick indem alles stimmt. Nichts ist verkehrt und nichts verändert sich grade jetzt.
Er öffnet das Fenster. Die klare, kalte Luft strömt in den Raum hinein. Immer noch ist alles still. Die Straßen liegen wie ausgestorben da. Vielleicht verschluckt der Nebel auch nur jedes Geräusch.
Alles ist so friedlich, so perfekt.
Keine Sorgen.
Er steigt auf das Fensterbrett, um noch ein Stückchen höher zu sein, noch weniger zu sehen, ohne den Wunsch zu springen. Alles ist perfekt, ruhig, gelassen.
Sein Herz schlägt langsam, sein Blick schweift irgendwo ins Nichts, als könnte er durch den Nebel hindurchgucken, als würde er sich lichten, einfach so. Es ist das Ungewisse, das, was man nicht sieht.
Keine Sorgen bedeutet nicht, dass sich nicht jemand sorgt, keinen Wunsch zu haben bedeutet nicht, dass man nicht an Wünsche denkt.
Wann ist eine Melodie tonlos, ein Leben ungelebt?
Das Fenster schlägt zu und tatsächlich durchbricht das laute klingeln des Telefons erneut die Stille. Derselbe Spruch, immer wieder und dann, aus der Ferne heult die Sirene eines Krankenwagens durch die noch leeren Straßen.
Alles ist perfekt, alles ist ruhig.
Die Gedanken sind nicht mehr verwirrt, kein Chaos mehr.
Draußen in einem Baum fängt ein Vogel an zu zwitschern und die ersten Sonnenstrahlen durchbrechen den kühlen Nebel.
Das Telefon klingelt, derselbe Spruch, immer noch mal und später sicherlich wieder.
Tag der Veröffentlichung: 07.01.2009
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