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Angst.
Sie umklammert mich.
Sie erstickt alles.
Bis nur sie übrig bleibt.
Sie haben mir Techniken beigebracht, um die Angst zu besiegen.
Aber auch sie verschwinden im schwarzen Abgrund.
Und auch ich schwanke und drohe hineinzustürzen.
Ich will schreien.
Doch die Schwärze schluckt alle Töne.
Da!!!
Ein rettender Gedanke.
Wie ein Seil umschlingt er mich.
Noch hänge ich über dem Abgrund, aber solange ich nicht loslasse werde ich nicht fallen.
Das Seil besteht aus einer Erinnerung.

Der alte Herr auf seinem roten Stuhl vor dem großen Tisch.
Er ist mein Psychiater und einer der Wenigen, der weiß wer ich bin.
Es ist Dezember und trotzdem sind draußen mindestens 10° C. Doch mir kommt es vor wie Hochsommer.
Meine Hände schwitzen und das T-Shirt klebt mir am Rücken.
"Wovor haben sie Angst?"
Es ist nur eine einzige Frage, die er stellt, doch sie ist ein heimtückisches Tier und droht mich zu zerreißen.
Die Stille kreischt in meinen Ohren.
Er lehnt sich zurück.
"Ich sage es ihnen.
Sie haben vor sich selber Angst.
Vor dem wozu sie fähig sind.
Die Welt in die sie geboren wurden hat ihnen viele grausame Dinge beigebracht und ich weiß, dass sie sie nicht vergessen haben.
Und sie haben Angst in ihre Kindheit zurückkehren und all diese Dinge anwenden zu müssen.
Meine Aufgabe ist es, ihnen beizubringen, wie sie mit ihrer Angst fertig werden.
Aber eigentlich ist meine Arbeit sinnlos.
Ich bin der Meinung, dass sie die Angst verspüren müssen. Sie müssen in Panik verfallen und sich wünschen, sie würden sterben. Und irgendwann wird die Angst vergehen und dann werden sie feststellen, dass sich nichts verändert hat. Die Angst hat ihr Problem weder gelöst, noch ihnen sonst irgendwie geholfen. Sie werden einsehen, dass die Angst sinnlos ist und sie nicht weiterbringt.
Und das ist der einzige Weg sie zu besiegen!"
Er seufzt: "Leider darf ich das nicht mit ihnen machen. Und deshalb werde ich ihnen wie so vielen Anderen vor ihnen zeigen wie sie die Angst unterdrücken. Sie werden bei mir lernen ihr aus dem Weg zu gehen!
Aber merken sie sich eins: Es ist wie im Krieg. Wenn sie der feindlichen Armee aus dem Weg gehen und sie vergessen, kann sie sich ungehindert vergrößern. Und dann müssen sie sich einem noch mächtigeren Feind entgegenstellen.
Wissen sie, ich habe meine Meinung schon Hunderten von Patienten mitgeteilt und alle konnten meine Gedanken nachvollziehen. Doch nie hat es jemand geschafft sich seiner Angst zu stellen. Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben und deshalb frage ich auch sie:
Sind sie bereit sich ihrer Angst zu stellen oder muss ich ihnen zeigen, wie sie sie unterdrücken?“
Was er sagt leuchtet mir ein, aber bei dem Gedanken, dass er verlangt, dass ich, ich mich meiner Angst, stelle wird mir schlecht.
Ich schweige.
„Ich sehe schon, dass sie meinen Vorschlag nicht annehmen wollen. Nun dann werde ich ihnen die offiziellen Tipps beibringen.
Als Erstes ist es wichtig, dass sie immer einen Merkzettel mit sich rumtragen. Das klingt kindisch, doch meist kommt die Angst, wenn sie allein sind und dann ist niemand da, der ihnen sagt, dass sie tief durchatmen sollen. Deshalb der Zettel. Wenn sie also in Panik verfallen, dann müssen sie bloß noch eins schaffen: Sie müssen sich an den Zettel erinnern.
Alles Weitere wird darauf stehen. Sie müssen bloß noch in der Lage sein zu lesen. Deshalb ist es wichtig, dass sie in ihrer eigenen Handschrift schreiben…


DER ZETTEL!
Dieser Gedanke durchfuhr mich wie ein Stromschlag.
Seitdem trage ich ihn immer bei mir.
Oft hat er mir geholfen und ich muss darauf vertrauen, dass er es wieder tut. Hastig krame ich in meinen Taschen. In der hinteren Hosentasche steckt das Stück Papier. Es ist zerknittert und grau von all der Zeit, aber die Buchstaben sind klar und deutlich. Ich starre sie an. Die Panik lässt sie verschwimmen und wild durcheinander tanzen. Doch langsam ordnen sie sich und ich lese die einfachen, aber so bedeutenden Anweisungen:
Tief durchatmen!
Such dir einen Punkt und konzentriere dich darauf!
Du heißt Steffen Berger!
Wenn dein Puls wieder ruhiger wird, sieh dich um!
Wo bist du?
Was wolltest du als nächstes tun?


Langsam werde ich ruhiger und die Außenwelt dringt wieder zu mir. Zuerst höre ich Autos, dann spüre ich Nässe. Schließlich werden die Umrisse meiner Umgebung scharf. Ich schaue mich um. Es ist dunkel, ich kann keine Farben erkennen. Ich lehne an einer Mülltonne, die mit zwei weiteren in einer Toreinfahrt steht. Die Straße davor ist leer. Sie wird von Mehrfamilienhäusern gesäumt und auf dem Fußweg stehen PKWs.
Eine normale Wohngegend, doch wo genau ich mich befinde weiß ich nicht. Also erstmal zur nächsten Frage:
Was will ich hier?
Ich weiß es nicht.
Langsam trete ich auf die Straße hinaus. Sie ist immer noch leer, aber ganz in der Nähe müssen Leute sein. Ich höre Stimmen und Lachen. Die Autogeräusche sind etwas weiter entfernt. Eine Querstraße weiter ertönen plötzlich Schritte. Instinktiv weiche ich in den Schatten der Einfahrt zurück. Eine junge Frau biegt um die Ecke und kommt genau auf mich zu. Ich weiß nicht warum, aber ich will nicht, dass sie mich sieht. Als sie zwei Häuser vor meinem notdürftigen Versteck einen Schlüssel aus ihrer Tasche zieht und in ein Haus verschwindet, atme ich erleichtert auf.
Und da weiß ich es wieder!
Ich bin auf der Flucht!
Auf der Flucht vor den Freunden meines Vaters. Die Erinnerungen an den heutigen Tag sind mit einem Mal wieder da. Ich erinnere mich, wie ich morgens aus dem Fenster sah. Eine schwarze Limousine stand vor dem Haus. Wie ich in Sekundenschnelle registrierte, dass sie mich wiedergefunden hatten. Dass ich wieder werde von vorne beginnen müssen. Natürlich nur, wenn ich es erneut schaffe zu entkommen. Wie ich hastig ein paar Sachen zusammenpackte und mich durch den Garten nach draußen schlich, während zwei unauffällige Männer an der Tür des Hauses klingelten, dass ich solange mein Zuhause genannt habe. Wie ich alles zurückließ.
Zwei weitere Männer, die plötzlich aus den Hauseingängen traten. Wie ich rannte, in Busse sprang und immer verzwicktere Wege nahm. Die Männer, die meine Spur wiederfanden und immer wieder erneut auftauchten. Wie ich wieder rannte und mich versteckte. Wie meine Kräfte langsam schwanden. Mein Herz, das immer schneller schlug. Die Angst, ich würde sie nie abschütteln. Und dann die Panik, die mich überfiel, als ich an einer Mülltonne Atem schöpfte.
Und hier bin ich nun.
Was tue ich bloß?
Es beginnt wieder zu regnen, ganz leise und sanft schweben die Tropfen zu Boden. Es hat schon den ganzen Tag geregnet, denn obwohl ich unter dem Torbogen im Trockenen stehe, sind meine Klamotten unangenehm kalt und klamm. Ich trete auf die Straße und wende mich in die Richtung, aus der der Straßenlärm kommt. Ich muss eine Polizeistation finden.
Die Polizei hat mich damals aus den Fängen meines Vaters befreit. Sie hat mich versteckt und mir die Identität von Steffen Berger verschafft, mit der ich solange geschützt gelebt habe. Sie wird mir wieder helfen und mich erneut beschützen. Ich klammere mich an diese Hoffnung und verdränge den Gedanken, dass mein Vater alles weiß und vor jeder Polizei stets Wachen stehen.


Impressum

Texte: Alle Rechte am Text liegen bei mir.
Bildmaterialien: Das Coverbild: http://daisy73389.deviantart.com/art/Just-another-shot-of-the-moon-285954736?q=in%3Aphotography%2Fnature%20sort%3Atime&qo=262 und http://browse.deviantart.com/?q=slum%20night&order=9&offset=0#/dbsu3i.
Tag der Veröffentlichung: 18.05.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich allen, die sich trauen Fragen zu stellen.

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