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Kapitel 1



Überleben.
Das war alles, was zählte.
Das erste Mal seit langer Zeit, dass sie nichts mehr begehrte.
Nur noch Überleben.
Ducken, Springen, Zuschlagen, Weiterlaufen.
Nicht verweilen.
Bloß nicht stehen bleiben.
So schnell wie möglich im Wald ankommen.
Dort konnte man es schaffen.
Dort konnte man überleben.
Das Einzige, was zählte.
Aber nicht nur für sie.
Für alle.
Alle zehn, die man ausgeschickt hatte.
Sie konnte sie hören.
Sehen nicht, aber hören.
Sie waren wirbelnde Schatten.
Sie bewegten sich, wie ein kurzer durch die Feinde fegender Orkan.
Ihren Standpunkt konnte man nur an der Linie der Verwüstung erkennen, die sie hinterließen.
Sie kannte die Anderen nicht und diese waren ihr auch egal.
Das Einzige, was sie verband, war ihre Ausbildung und ihre Grausamkeit.
Lange hatte man ihren Geist für diesen einen Moment gestählt.
Doch als sie zwischen den Feinden gelandet waren, war plötzlich nichts mehr wichtig gewesen.
Hier tötete man nicht mehr für Ruhm.
Hier galt nur noch das Überleben.
Nicht nur ihres.
Auch das des gesamten Lagers.

Trotzdem war sie seltsam unbeteiligt.
Nur ein Teil von ihr beschäftigte sich mit dem Kämpfen.
Es war der Teil, der während ihrer Ausbildung entstanden war und der seitdem die ganze Zeit die Kontrolle innehatte.
Und da dieser Teil von ihr nun endlich einmal beschäftigt war, kam ihr wahres Ich zum ersten Mal seit langem wieder hervor.
Dieses richtige Ich schien sich von ihrem Körper zu lösen und über ihr zu schweben.
Es sah ihre eigenen wirbelnden Gliedmaßen.
Beim Betrachten der zu Boden sinkenden Körper kamen die Erinnerungen zurück und zum ersten Mal seit dem Geschehen ließ sie sich ihr schwebendes Ich von ihnen überrollen.

Kapitel 2




Sie hatte damals kaum etwas begriffen.
Aber gesehen hatte sie alles.
Nicht wie die Erwachsenen, die weggesehen hatten, wo sie nur konnten.
Zuerst waren die Turrzaggs gekommen.
Sie verströmten Lautstärke, wie einen Geruch.
Überall riefen sie mit lauten Stimmen und zerstörten jegliche Ruhe.
Es waren nur Männer gewesen und sie waren brutal gewesen, hatten so mancher Frau schreckliche Dinge angetan.
Doch das war nicht das Schlimmste an ihnen gewesen.
Sie waren gekommen, um zu bleiben.
Aber mitgearbeitet hatten sie natürlich nicht.
Ihre einzige Tätigkeit hatte darin bestanden sich in der Schänke aufzuhalten und zu essen und zu saufen.
Zu allem Unglück hatten sie in diesem Sommer noch eine schlechte Ernte eingefahren.
Bald hatten sie also angefangen zu hungern, da die Vorräte viel schneller als sonst aufgebraucht gewesen waren.
Das Leben war grau geworden.
Man hatte nur noch in der Stube gesessen, vor sich hingestarrt und versucht nicht wie andere Leute zu verhungern.
Und dann in der allerschlimmsten Zeit waren die Vecons gekommen.
Eigentlich war es fast schon eine Erlösung von dem langsamen Tod, der in ihrem Dorf Einzug gehalten hatte, gewesen.
Es war gekämpft worden.
Sie hatte sich im Heuschober versteckt und alles mit angesehen.
Nachdem die Turrzaggs knapp gesiegt hatten, waren sie dann weitergezogen.
Nun könnten sie nicht mehr hierbleiben, hatten sie gesagt.
Aber alles nicht Zerstörte hatten sie mitgenommen, auch sie.
Man hatte sie ins Hauptlager gebracht.
Doch die Erinnerungen an die vielen Leichen hatten das junge Mädchen, das sie gewesen war, zerstört und lange hatte sie nichts an sich herangelassen.
Doch nach vielen Peitschenhieben hatte sie sich gebeugt.
Sie hatte sich ausbilden lassen, weil man ihr sonst zu großen Schmerz zugefügt hätte.
So hatte sie die jahrelange Ausbildung zur Soldatin begonnen, die bis heute andauerte.
Und vor zwei Monden war es dann endlich so weit gewesen.
Sie hatte ihre hart erlernte Grausamkeit unter Beweis stellen dürfen.
Denn grausam, das war sie geworden.
Man hatte ihr zwei Gefangene aus dem feindlichen Lager überlassen.
Es war ihr Auftrag gewesen möglichst viele Informationen durch möglichst viel Grausamkeit zu bekommen.
Mit Genugtuung erinnerte sie sich an die Schreie der beide.
Die Frau hatte ihr schon nach den ersten gebrochenen Knochen verraten, dass der Mann heimlich in ein Mädchen verliebt gewesen war. Dieses Mädchen war eine einfache Köchin im feindlichen Lager gewesen und ihre Entführung gehörte zu den leichtesten Aufgaben, die man haben konnte. Dank ihr hatte sie interessante Informationen von dem Mann erhalten können.
Damit hatte die letzte Phase ihrer Ausbildung begonnen.
Sie würde viele Aufträge bekommen und zum ersten Mal richtig kämpfen.
Doch dann war das Unglück über sie hereingebrochen. Die Feinde hatten einen versteckten Angriff gestartet und waren ungesehen bis zu ihrem Lager vorgedrungen, welches sie nun belagerten.
Ihr Lager war das Größte so nahe an der Grenze und sein Verlust würde sie ihre Stellung innerhalb dieser Welt kosten. Es lag wie momentan fast alle Lager im Wald. Diesem verfluchten Wald, der diese Welt bedeckte. Er war feucht und der Erdboden bestand aus Morast. In diesem Morast wuchsen verkrüppelte Bäume, die man eher Büsche nennen sollte. Aufgrund der hohen Feuchtigkeit starben sie regelmäßig ab und ihr verfaulendes Holz lag halb versunken in dem Morast. Es war fast immer dunkel oder bestenfalls nur dämmerig, denn der Himmel dieser Welt besaß keine strahlende Sonne und war fast dauernd von Wolken bedeckt. In der Luft lag fast immer ein leichter Nieselregen.
Es war ideales Gebiet zum Verstecken.
Das war auch der Gedanke bei der Errichtung des Lagers gewesen. Doch dann war ihnen dies zum Verhängnis geworden, denn auch die Feinde hatten sich bei ihrer Annäherung verstecken können. Nur die Aufmerksamkeit eines einzelnen Wachpostens hatte sie vor der sofortigen Übernahme geschützt. Sie hatten innerhalb weniger Herzschläge die Verteidigung organisiert und sich somit gerettet. Aber dann hatte die Belagerung begonnen. In der ersten Zeit war man voller Hoffnung auf Rettung von außen gewartet. Doch bald war die Stimmung umgeschlagen. Man hatte begriffen, dass niemand den Angriff mitbekommen hatte. Also wurde die Einteilung der Lebensmittel angeordnet und die Beratungen begannen. Natürlich versuchte man Nachrichten an die benachbarten Lager zu schicken, doch sie waren alle zu weit entfernt, um diese erhalten zu können.

Kapitel 3




Wie geplant erwachte sie in der Dämmerung.
Sie nahm die Waffen, die neben ihrem ausgebreiteten Ledercape auf dem Boden lagen. Die Messer steckte sie in den Gürtel und den Bogen hängte sie sich um. Danach hob sie das schwarze Cape auf und schüttelte die nassen, braunen Blätter davon ab. Ohne einen Laut bewegte sie sich an hunderten von schlafenden Personen vorbei. Die meisten waren einfache Soldaten, wie sie, und lagen um Feuer, die nur noch schwach glommen. Sie hatten sich zu Gruppen zusammengeschlossen, ähnlich der, in der sie geschlafen hatte. Aber nicht alle gehörten zu einer bestimmten Gesellschaft.
Sehnsüchtig blickte sie in die Schatten zwischen den Feuern. Dort erkannte man nur schemenhaft schlafende Personen. Sie lagen nicht in Haufen oder schnarchten, wie die Soldaten an den Feuern. Nein, selbst im Schlaf waren sie kampfbereit und sobald man ihnen zu nahe erwachten sie bereit sich zu verteidigen.
So würde sie auch eines Tages sein.
Eine Schattenkämpferin.
So nannte man sie jedenfalls.
Aber niemand wusste wer oder was sie wirklich waren. Sie blieben für sich und niemand kannte ihre Absichten. Sie kämpften nicht direkt für eine der beiden Seiten sondern schienen nur nach eigenem Interesse zu handeln. Man sagte ihnen sei Furchtbares angetan worden und seitdem kämpften sie für eigene "höhere" Ziele. Es kursierte das Gerücht sie würden mehr Feinde töten als die gesamte restliche Armee zusammen. Was auf jeden Fall feststand war, dass sie einzigartige Fähigkeiten besaßen und niemand sie aufhalten konnte.
In Gedanken versunken hatte sie nun schon fast die Westseite des Lagers erreicht.
Am äußeren Rand war ein Wall aus Sein, Holz und Erde aufgeschichtet, der etwa so hoch wie zwei Mann war.
Durch ihn geschützt waren die Wachen und Bogenschützen, die überall an den Rändern des Lagers patrouillierten.
Auf dem Wall ragte eine schwarze -und doch durchsichtige- Wand in die Höhe.
Sie war der eigentliche Schutz.
Sie umschloss das gesamte Gelände kugelförmig und schützte es vor dem andauernden Beschuss von außen.
Hinter diesem Wall standen Gestalten, deren Hände in Richtung der schwarzen Kuppel gehoben waren. Aus ihren Händen schien wabernder Nebel aufzusteigen, der mit dem Wall verschmolz. Die meisten der Gestalten keuchten und mussten auf dem Boden knien.
Schnellen Schrittes ging sie zu einem schwarz verhüllten Mann mit einem riesigen Schwert, der alles zu überwachen schien.
"Was hab ich heute zu tun, Meister?", sprach sie den finster aussehenden Wärter an. Er hob den Kopf und unter der Kapuze kam ein junger Bursche mit einem schmalen Gesicht und strahlend blauen Augen hervor.
"Du bist heute für die Kuppel verantwortlich und kannst gleich 713 ablösen", herrschte er sie an.
In diesem Moment ertönte ein ganz feines Sirren.
Blitzschnell sprang sie zur Seite und zog in einer fließenden Bewegung ihren Bogen. Sie sah den Angreifer sofort und bevor er einen neuen Pfeil ziehen konnte feuerte sie den ihren ab. Sie traf am Oberschenkel und der Mann brach zusammen. Der Wärter neben ihr hob sofort seine Hände und ein grollender Singsang ertönt aus seinem Mund. Als er die Hände hob schoss daraus ein schwarzes Seil hervor, welches auf den Angreifer zuschnellte und ihn blitzschnell umwickelte. Nun zerrte eine unsichtbare Macht ihn über den Wall und durch die schwarze Kuppel hindurch bis vor die Füße der beiden.
Vor ihnen im Staub lag stöhnend ein schlanker junger Mann mit feinen Gesichtszügen. Er trug schwarze Lederkleidung und hatte seinen Bogen noch fest umklammert.
'Ein einfacher Bogenschütze', dachte sie.
Aber da fiel ihr Blick auf sein Handgelenk. Es war mit Stoff umwickelt doch dieser war teilweise verrutscht und es war darunter ein schwarzes Muster in der Haut erkennbar. In diesem Moment hob der Mann den Kopf, fixierte sie und ein seltsames Funkeln erschien in ihnen.
Blitzschnell machte sie eine Drehung und schlug ihm hart gegen die Schläfe. Das Funkeln in seinen Augen erlosch und er sackte zusammen.
"Ein Magier", stellte sie trocken fest.
"Das erklärt auch, warum er den Schutzwall durchdringen konnte", stimmte der Wächter ihr zu.
Er rief eine der Patrouillen heran: “Bringt ihn in den Kerker. Vielleicht bekommen wir ein paar nützliche Informationen aus ihm heraus. Und du geh auf deinen Platz!"

Kapitel 4



Es war das Horn, welches sie aus ihrer Trance weckte. Es war der einzige Laut in dem sonst totenstillen Lager. Ja, totenstill traf es genau, denn inzwischen streckte der Tod die Finger immer näher und so passierte es immer häufiger, dass jemand einfach nicht mehr aufstand. Der Dienst war das Einzige, was sie von ihren Lagern holte. Denn wer sich weigerte den Dienst zu tun dem wurden die, ohnehin schon an nichts grenzenden, Mahlzeiten entzogen. Als ob das noch einen Unterschied machen würde. Früher oder später würden sie sowieso alle sterben. Und wenn es so weiterging würde es eher früher sein.
Die Einzigen, die das noch bestritten waren die Offiziere. Sie hielten jeden Tag eine große Rede und versuchten zu überspielen, dass sie hilflos waren. Schon seit zwei Monden war es das gleiche sinnlose Geschwafel und die Vorstellung gleich schon wieder dasselbe erleben zu müssen hob ihre Stimmung nicht gerade.
Sie stand auf und ging mit gemächlichen Schritten zur Lagermitte, wo neben dem Versammlungspatz der Übungsplatz lag. Vor der Essensausgabe hatte sich eine Schlange gebildet. Seufzend reihte sie sich ein. Sie sah in müde, zerfurchte Gesichter unter schwarzen Kapuzen. Die Einzigen, denen der Hunger anscheinend nichts anhaben konnte, waren die Schattenkämpfer. Natürlich wurden auch sei dünner, aber ihre ausdruckslosen Gesichter zeigten auch jetzt keine Regung.
Während sie in der Schlange langsam nach vorne rutschte, trat der zweite Offizier auf die Bühne.
"Es ist wieder ein neuer Tag angebrochen und noch immer haben die Feinde uns nicht bezwungen“, begann er seine Rede. "Und es wird noch eine unendlich lange Zeit vergehen und sie werden uns nicht besiegen können. Denn wir haben einen heiligen Auftrag: Wir werden die Welt von ihresgleichen reinigen. Sie wollen die Herrschaft über alle Welten und sie missbrauchen ihre Macht. Und wir sind die Einzigen, die sie aufhalten können. Wir haben viele Opfer gebracht, doch wir geben nicht auf. Niemand in diesem Lager wird die Hoffnung aufgeben. Und erst recht nicht wird jemand es wagen seinen Dienst zu verweigern. Denn hiermit erlasse ich eine neue Regelung: Die Verweigerung des Dienstes wird unverzüglich mit dem Tod bestraft. Und da unsere Lebensmittelvorräte zur Neige gehen werden getötete Verräter für die Überlebenden als Nahrung dienen."
Er machte eine drohende Pause und sah sich um. Die Vorstellung nach dem Tod verspeist zu werden war den Meisten nicht sehr geheuer, aber gleichzeitig machte die Aussicht Fleisch zu bekommen begierig darauf Verräter zu entlarven.
Der Offizier sprach nun einfach weiter als hätte er vorher nur über das Wetter gesprochen: "Der Dienst bleibt weiterhin wie gewohnt verteilt. Außerdem werden sich heute beim Sonnenuntergang alle Rekruten auf dem Trainingsplatz einfinden." Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ den Platz.
Als sie endlich vorne in der Reihe angekommen war, legte ein Junge ihr einen Apfel und eine Kartoffel in die Hände. In die Lederflasche, die sie ihm hinhielt füllte er etwa zwei Schluck Wasser. Sie war entsetzt: Die Rationen waren noch kleiner geworden. Aber kein Wort er Beschwerde kam über ihre Lippen. Sie wusste, wenn sie etwas sagen würde stünde ihr der Tod bevor. Sie würde es sich gut aufteilen und bis zur nächsten Essensausgabe am nächsten Morgen durchhalten. Sie steckte die drei Dinge in einen Beutel, den sie am Gürtel trug und begab sich zur Wache auf den Wall.
Am Abend kam sie völlig erschöpft und ausgehungert zum Trainingsplatz. Bis zum Sonnenuntergang hatten sich alle, die ihre Ausbildung noch nicht beendet hatten, dort eingefunden.
Rund um den Platz hatten sich alle Offiziere eingefunden und sie fragte sich misstrauisch was das bedeuten konnte. In diesem Moment hob einer von ihnen die Hand. Alle schauten ihn erwartungsvoll an.
"Auch in schweren Zeiten wie diesen dürfen wir den Mut nicht verlieren. Damit dies nicht geschieht wird ab heute wieder trainiert. Es gilt jeder gegen jeden und alles ist erlaub. Es kann jede Waffe genutzt werden, aber Tote sollten vermieden werden. Der Platz wird bis zum Endsignal nicht verlassen. Beginnt jetzt!!!"
Rasch sah sie sich um und bemerkte, dass viele der Novizen an den Rand flohen, da sie natürlich keinerlei Waffen und Schutzvorrichtungen bei sich trugen. Verächtlich schürzte sie die Lippen und schlug einem in Panik fliehendem Mädchen hart gegen die Schläfe. Als es zusammensank fing sie es auf und legte es vorsichtig ab.
Wieder sah sie ich um. Das Feld wurde von außen durch die Beobachter abgegrenzt, die alles genau protokollierten. Die meisten Rekruten waren von dem Training vollkommen überrascht und es herrschte ein heilloses Durcheinander. Den Wenigsten kam es in den Sinn sich zu schützen oder gar anzugreifen. Dass auch der eigene Körper eine Waffe sein konnte, schien ihnen entfallen zu sein. Einige Wenige jedoch hatten sich sofort besonnen und um sie herum fielen die Fliehenden wie Marionetten deren Fäden man durchgeschnitten hatte zu Boden.
Sie wusste sofort, dass es Sinn der Aktion gewesen war, diejenigen, die einen kühlen Kopf bewahrten, herauszufiltern. Und sie wusste dass sie dazugehörte, denn sie wirbelte durch die Luft und erfreute sich an der Geschwindigkeit mit der ihre Glieder sich perfekt abgestimmt bewegten.
Da ertönte das Endsignal.
Ihre einzige Verletzung war ein leichter Schnitt am Arm. Sie drehte sich um und ging mit schnellen, federnden Schritten zu ihrem Lager.
Dort angekommen untersuchte sie die Wunde vorsichtig und verband sie sorgfältig.
Dann hüllte sie sich in ihren Umhang und legte sich hin. Ihr Messer lag griffbereit neben ihr.
Ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen war: "Immer zu Angriff oder Verteidigung bereit sein!"
Aber gleichzeitig stellte sich ihr die Frage: "Warum dieses Training? Eigentlich verbraucht es doch nur Energie und wenn sie uns trainieren lassen haben sie also doch einen Plan. Und der hat etwas mit Kämpfen zu tun."
Dann schlief sie ein.

Kapitel 5




Am nächsten Morgen erwachte sie früh, da der Hunger sie plagte. Aber ihre Gedanken weilten beim letzten Tag.
Jahrelang war sie nun schon in der Ausbildung und schon nach kürzester Zeit hatte sie festgestellt, dass Können einem nur schadete.
Wer gut war wurde sofort ins Heer kommandiert oder bekam einen Sonderauftrag. In beiden Fällen war man ziemlich schnell tot.
Also hatte sie immer nur mittelmäßig gekämpft. Sie hatte die Ausbildung langsam und gründlich durchlaufen und hatte strikt darauf geachtet nicht aufzufallen. Doch während sie immer besser wurde sahen alle Anderen nur ein unbegabtes, ängstliches Mädchen. Es war die perfekte Tarnung gewesen.
Bis gestern.
Sie hatte sich nicht beherrschen können.
Denn sie dürstete nach Anerkennung.
Doch dieser Fehler konnte sie das Leben kosten.
Auf jeden Fall musste sie mitspielen, denn sonst würde man sie töten.
Doch später würde sie entscheiden müssen, ob sie den Auftrag ausführen würde. Denn dass sie einen Sonderauftrag bekommen würde, das war ihr inzwischen klar. Entweder sie würde es tun und in der Hierarchie der Armee aufsteigen oder sie würde fliehen und sich allein durchschlagen. Doch zuerst musste sie ihren Fehler ausbaden ohne dabei draufzugehen.
Auf jeden Fall würde sie nicht hierbleiben.
Ihre Ausbildung war gestern zu ihrem Ende gekommen. Der zweite Teil ihres Lebens war angebrochen.
Mit zügigen, geordneten Bewegungen suchte sie ihre Sachen zusammen. Das Messer steckte sie in ihren Gürtel. Die anderen Waffen verstaute sie an verschiedenen Stellen ihrer Kleidung. Ihren Umhang warf sie sich über nachdem sie ihn von losen Blättern befreit hatte. Ihren Bogen hängte sie sich um.
Sie wusste, dass die Tage, in denen sie im Teil der einfachen Rekruten ihr Lager hatte, vorbei waren.
Mit knurrendem Magen machte sie sich auf zur morgendlichen Essensausgabe. Desto näher sie zur Lagermitte kann desto stärker blies ihr der Wind entgegen, als wollte er sie aufhalten. Er fuhr durch ihre Kleider und wehte ihr einzelne Strähnen ihres langen, schwarzen Haares ins Gesicht. Gebeugte Personen kamen ihr entgegen, sowohl Rekruten als auch Soldaten jedes Ranges. Sie sahen müde und ausgezehrt aus. Als sie den Blick in Richtung Himmel schweifen ließ wurde er von der schwarzen Kuppel begrenzt. Dahinter konnte man den wie immer bewölkten Himmel erkennen. Sie hatte schon seit Monaten die Sonne nicht mehr gesehen.
Neben der Essensausgabe stand ein mürrischer Junge mit einer langen Liste. Sie nannte ihm ihre Nummer. Er schien leicht überrascht und starrte sie neugierig an. „Eure Anwesenheit vor dem Kommandozelt wird erwünscht. Doch bitte stärkt euch vorher noch.“ Sie nahm die Nachricht mit einem Nicken zur Kenntnis.
Dann nahm sie ihre, wie immer spärlich ausfallende, Ration an sich. Ohne zu essen begab sie sich zum Kommandozelt und meldete sich bei der Wache. Ihr Hauptmann sah sie grinsend an: „Ah, das Frischfleisch. Obwohl sie viel zu schön dafür ist. Mit ihr könnte man viel schönere Dinge anfangen, findet ihr nicht auch, Jungs?“ Die anderen Wachen grinsten anzüglich. Der Hauptmann wandte sich, immer noch grinsend, wieder ihr zu. Sie sah in kalt und unbewegt an. Sichtlich überrascht von ihrer Reaktion räusperte er sich schnell und meinte bloß: „Wartet hier!“
Sie setzte sich auf den kalten Boden und wartete reglos. Nach einiger Zeit trafen weitere Männer und Frauen allen Alters ein. Einige waren sichtlich nervös, andere unterhielten sich entspannt und einige setzten sich, wie sie, reglos auf den Boden und warteten einfach. Erst als manche schon fast eingeschlafen waren, öffnete sich das Zelt. Die Wachen nahmen Haltung an und bedeuteten ihnen schnell aufzustehen. Aus dem Zelteingang trat ein dünner, ängstlich aussehender Junge. Er winkte sie hektisch herein.
Nacheinander betraten sie das riesige Zelt. Ein riesiger Sessel stand an der hinteren Wand. Dort saß der erste Offizier. Mit einer wohlwollenden Geste deutete er auf den Boden vor sich. Sie ließen sich vor ihm nieder, sodass er weit über ihnen trohnte. Als sie sich gesetzt hatten, wurde es totenstill. Der Offizier sah sie an und lächelte, dann hob er eine Hand.
Der dünne Junge, der neben ihm stand zuckte sofort zusammen, drehte sich um und verschwand durch einen Hinterausgang des Zeltes. Nur ein paar Augenblicke später kam er wieder herein.
Doch nun trug er ein Tablett vor sich, das mit allen möglichen Kostbarkeiten beladen war. Alle starrten es wie gebannt an, als er es vorsichtig dem Offizier reichte.
Es war voll mit süßen Früchten aus den verschiedensten Welten, verschiedenstem Gebäck und mitten zwischen all der Nahrung stand eine riesige Glaskaraffe mit klarstem Wasser. Der Offizier betrachtete sie grausam lächelnd, dann griff er nach der Karaffe und neigte sie ganz langsam über dem staubigen Boden, sodass das kostbare Wasser in den Staub floss und langsam darin versickerte.
Dabei sah beobachtete er sie weiter lauernd und betrachtete ihre entsetzten Gesichter: „Wir werden alle sterben.
Ihr wisst das.
Unsere Feinde sind zu stark und zu zahlreich und wir können keine Hilfe holen.
Es ist vollkommen egal, ob ich dieses Wasser ausgieße, denn früher oder später sind wir sowieso tot.“

Impressum

Texte: Alle Rechte an der Geschichte liegen bei mir. Die Rechte der Zitate liegen bei ihrem Urheber.
Tag der Veröffentlichung: 24.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch meiner Freundin in der Hoffnung, dass sie es schafft mal nicht das Ende zuerst zu lesen.

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