Cover

Abschied

Noch einmal schien es als wollte die Stadt Ihn überreden zu bleiben. Obwohl das Frühjahr noch empfindlich kalten Wind um die Häuserblöcke schickte, stand die Sonne heute ohne eine Spur von Wolken. Wärme durchzog das nach Süden gelegene Zimmer des Plattenbaus. Bequem ausgestreckt lag Sven auf seiner Schlafcouch. An seine Brust geschmiegt Andrea. Während er den Himmel beobachtete, den Flugzeugen hinterher schaute, streichelte Er ihren Nacken. Sie mochte dies, strich mit ihrer Nase über seine nackte Brust. Es waren dies die schönen, ruhigen wie auch friedlichen Momente, welche Sven schon jetzt fehlten. Aber alles hin und her überlegen fand keine andere Lösung. Sie würden sich trennen. Unmöglich konnte Andrea ihn auf seinen Weg begleiten. Gerade als Er erneut darüber nachsann ob es die richtige Entscheidung war streckte sich Andrea, fuhr zufrieden ihre Krallen aus. „Lass das Andrea!“ Doch wirklich tadelnd kamen seine Worte nicht. Doch ihr Unmut als Sven sich kurz etwas wand um das Telefon zu greifen blieb unüberhörbar. Ein missbilligender Blick dem zufriedenes Schnurren folgte sobald Sven wieder auf den Rücken lag. „Du bist schon ein Schlawiner, mein Schlawiner.“ Obwohl Sven dabei lachte spürte er die Traurigkeit in sich aufsteigen.
„Hallo Schwesterherz, wollte Dich nur fragen ob es dabei bleibt. Kannst Du morgen Andrea zu Dir nehmen?“ „Sven Du nervst. Haben doch schon alles besprochen. Werde schon die paar Tage mit deiner Katze auskommen.“ „Hm, zu essen brauchst Du Ihr nichts kaufen, habe erst einmal reichlich da, auch Streu.“ „He Bruder, ist doch nicht das erste Mal, oder?“ Sven hielt kurz den Atem an. „Nein, aber diesmal…“ „Diesmal wird es auch nicht anders als sonst. Noch was? Ich muss nämlich los Geld verdienen.“ „Nein Schwesterherz, ich wollte nur…“ Kurz zögerte Sven „ich wollte mich nur verabschieden.“ „Na das hast du ja jetzt, schönen Urlaub, ich muss.“ Schon war die Verbindung unterbrochen.
Gedankenverloren noch immer das Telefon in der Hand registrierte Sven gar nicht wie sich Andrea so als habe Sie seine Worte verstanden von ihm abwand. Er tippte seine Kontakte durch, Eltern, Freunde, Andrea.
Andrea war seine Tochter. Da diese aber dank seiner Scheidung bei der Mutter geblieben war, musste das Kätzchen die Rolle und ihren Namen übernehmen.
Eines Tages, Sven wusste nicht mehr genau, Andrea musste um die fünf Jahre alt gewesen sein, wünschte Sie sich das Er ihr ein Kätzchen kauft. „Mutti würde mir nie eins kaufen, aber ich möchte so gerne eines. Und Du musst dann nicht mehr weinen wenn ich wieder zu Mutti gehe. Bin dann immer bei Dir. Papa weine nicht!“
Ja die erste Zeit war schlimm. Schon wenn seine Tochter zu Besuch kam konnte Er die Tränen kaum, unterdrücken. Oft lagen Sie abends nebeneinander, weinten gemeinsam. Es war dies für Sven die schwerste aber auch schönste Zeit seines Lebens. Auch wenn er nur aus der Ferne ihre Entwicklung beobachten durfte.
Und heute, Andrea war inzwischen 17. Sie besaß einen Freund, den Sven nicht leiden mochte. Nein noch immer lag eine große Vertrautheit zwischen ihnen, doch auch die Spuren ihres neuen Lebensabschnittes blieben nicht verborgen. Er verwarf den Gedanken Sie anzurufen.
Stattdessen griff er sich die geöffnete Flasche Wein, zog einen tiefen Schluck. Dann erhob Er sich, schlürfte in die Küche um sich eine Kippe anzuzünden. Die Luft blies Sven aus dem geöffneten Fenster. Sein Blick überflog den gegenüberliegenden Discounter. Wie Ameisen bewegten sich Alte wie Junge zu Ihm hin oder fort. Auch die kleine Vietnamesin stand wie immer ob Sommer ob Winter leicht seitlich um ihre Zigaretten an den Mann zu bringen. Wie oft konnte Sven beobachten das Sie floh wenn der Zoll um die Ecke bog. Doch immer wieder stand Sie erneut, unermüdlich an ihrer Stelle.
Seine Augen wanderten weiter nach unten, fanden was Er suchte. Noch stand die Fläche frei, welche für sein Auto reserviert war. Den Wagen hatte Sven letzte Woche verkauft. So wie die wenigen anderen Sachen von Wert. Zu Andrea war ein großes Päckchen unterwegs mit Erbstücken. Bei ihr wusste Er es in Sicherheit. Entweder Er würde es eines Tages zurück holen, oder Sie konnte es schon jetzt behalten.
Sven steckte sich noch eine an, lehrte den letzten Schluck aus der Flasche. Leicht taumelnd trat Er zurück in die Stube. Die Rollos am Fenster hinunter ziehend schweiften seine Augen noch einmal durchs Zimmer. Sie fanden Andrea auf seinem gepackten Rucksack. Dann legte Er sich schlafen.
Es war gegen 18.00 Uhr als Er erwachte. Vom Suff einen kleinem Kater habend taumelte Er ins Bad. Löste sich eine Aspirin auf, stellte sich unter die Dusche. Lange ließ er das heiße Wasser über den Kopf rinnen.
Kurz darauf aber steckte Er in frischen Kleidern, stand in der Küche, ließ sich einen starken Kaffe durch den Automaten. Ein Blick in den Kühlschrank verriet ihn dass nichts mehr zu holen sei. Noch einmal wollte Er nach Mitte fahren. Ein letztes Mal die Kollegen besuchen, denen Er die letzten zehn Jahre vorgestanden hatte. Schnell füllte Er Andreas Napf auf, stellte frisches Wasser hin. Eigentlich alles wie immer ging es Ihm durch den Kopf. Auch wie immer streifte Andrea um seine Beine wenn Er ging.
Das der Sommer noch ein Stück in der Ferne lag spürte Sven als er den Block verließ. Zwischen den Hohen Neubaublöcken pfiff der Wind nur so. Müllsäcke und anderer Unrat wehte Er über Stock und Stein. Von der Sonne war nichts mehr zu sehen. Schwere Regenwolken hingen über der Stadt. Den Kragen nach oben ziehend gab Sven Gas. Er wollte trockenen Fußes die Station der S-Bahn erreichen. Wo würde Er morgen um diese Zeit wohl stecken? Auf keinen Fall mehr in Berlin. Berlin, die Stadt die Viele so Sexy fanden. Die Stadt, in der Er selbst nie heimisch werden konnte. Einzig die Arbeit hatte Spaß gemacht, riesigen Spaß. Aber sonst?
Die S-Bahn war noch ziemlich leer. Unter der Woche fuhren am Abend kaum Menschen in die City. Was man brauchte gab es auch hier draußen zu genüge. Marzahn beherbergte so viele Menschen wie manch Kleinstadt. Beherbergte? Nein, 15 Jahre hatte Sven gehaust. Schaute Er aus dem Fenster, Beton. Egal wo und wie. Einen Kiez für sich stellte dieser Stadtteil dar.
Versonnen flog sein Blick mit der Geschwindigkeit der Bahn durchs Fenster. Die Stadt rann in ihrer ganzen Hässlichkeit an ihm vorbei. Nein, hier besaß Berlin so gar keinen Charme, dafür hatte der Sozialismus schon gesorgt. Aber was sollte es, die Stunden waren gezählt.

Als Sven die Bar betrat, diesmal als Gast, zeigte diese sich schon gut gefüllt. Vor zwölf Jahren hatte Er hier begonnen als Kellner. Sich hoch gearbeitet zum Barkeeper und die Bar als Leiter übernommen. Es war ein seltsames Gefühl jetzt auf den altehrwürdigen Dielen zu stehen, in die Runde zu blicken. Die dunkel vertäfelte Wand mit großen Fotos von den berühmten Bars dieser Welt darauf. Legender auch die Bilder mit Hemingway in Havanna, oder Humphrey Bogart in Casablanca. Bilder, welche von jeher Svens Sehnsucht erweckten.
Ja die Bar, seine Bar, zeigte sich zum grasen Gegenbild dem neuen Berlin gegenüber. Eine Tradition für die Sven stets gekämpft hatte. Qualität und Flair, was konnte es besseres geben? Und das Konzept hielt. Die Jugend blieb weitestgehend außen vor. Kapital herrschte in der Klientele. Showgrößen, auch Politiker gesellten sich gerne hier ein. Natürlich fehlten die passenden Damen nicht. Aber auch diese besaßen das nötige Niveau. Kamen aus gehobenen Kreisen. Journalisten, welche die Bar kannten, hielten sich zurück. Was auch immer in diesen Raum passierte, nichts drang nach außen. Einzig die Paparazzi vor der Tür stellten eine gewisse Gefahr dar, aber auch nur dann, wenn ein Gast vergaß den Ausgang über das Hotel zu nehmen. Fotografieren war streng verboten. Gefangen in seinen Gedanken hätte Sven zu jeder Ecke dieser Bar eine passende Geschichte parat. Doch diese Preis zu geben entsprach nicht seinem Naturell. Unzählige Anekdoten während die Bar öffentlich zugänglich war, aber noch pikantere bei geschlossenen Veranstaltungen. Doch alle blieben eingefangen in dem Dunkel der verblichenen Holzwände, im Dämmerlicht des fensterlosen Raumes.
Nach und nach erst drangen die altvertrauten Piano klänge zu Sven durch. So spielte doch nur der alte Paul? Doch diesen zu entdecken gelang Sven noch nicht. Die Sicht in dem Teil der Bar wo das Piano stand war nicht frei. Einzig die roten Spots welche in dessen Richtung von der Decke zeigten, ließen eine Vermutung aufkommen. Seine Augen begannen zu wandern, richteten sich jetzt auf das anwesende Publikum. Erst verschwommen, aber immer deutlicher werdend mit zunehmender Konzentration erkannte Er die vielen vertrauten Gesichter. Die Bar stand voll mit Kollegen, Stammgästen, Freunden. Und schon schwoll es an im Chor der Besucher, erst langsam, fast schüchtern getrieben vom Piano. „Casablanca“ Gabi kam auf ihn zu, schön wie immer, anmutig wie eine Schlange. Lächelnd näherten sich ihre Lippen seinem Ohr. „Nur für Dich du Streuner,“ und laut in den Raum „Spiels noch einmal Paul!“ Erneut sich zu Sven drehend schmiegte Sie sich an Ihn wog ganz leicht die Hüften im Rhythmus zum Lied. Singen konnte Gabi nicht, fast kein Ton des mit gehauchten Textes traf. Doch die allzu vertrauten Bewegungen ihres anschmiegsamen Körpers erkannte Sven genau. Er konnte nicht anders als unterm Beifall der anderen in diese einzustimmen. In diesem Moment schaltete Er ab. Noch einmal durchlebte Er in Gedanken die sinnlichen Momente mit dieser Frau. Sah ihre Brüste vor seinen Augen, ihre mal anmutigen, mal wilden Bewegungen. Im Bett war sie eine Kanone.
Auch wenn Sven genau wusste das dies nicht nur Er hier im Raum bestätigen konnte. Doch war es Ihr immer gelungen die Achtung der anderen zu wahren. Gabi war edel, keine der leichten Mädchen, welche es hier zu genüge gab. Verschwiegen, vertrauensvoll und einfach nur Hammerhart.
Als das Lied endete öffnete sich eine Schneise hin zur Bühne mit dem Piano. Tatsächlich saß der alte Paul an diesem. Paul, welcher sich vor drei Jahren zur Ruhe gesetzt hatte. Ein Verlust der nur schwer für die Bar zu kompensieren war. Niemand konnte so wie Er in die Tasten hauen, gefühlvoll die Töne streicheln. Dazu sein Repertuar an Klassikern, dargeboten mit seiner sanften, dunklen Stimme. Wie viele bekannte Showgrößen standen schon neben Ihn, spielten mit Ihm zusammen. Unzählige Angebote lehnte Er ab. Angebote bei Aufnahmen zu Schallplatten mit zu wirken. Eine einzige Ausnahme gab es, und diese war auch für Sven einer der größten Momente in seinem Leben. Damals war sie nur absoluten Insidern bekannt. Eines Tages ging die Tür auf und Amy betrat den Saal. Keiner kannte Sie. Doch da Sie in Begleitung von Roger kam, einen absoluten Talentescout, stellte keiner Fragen. Als sei es das selbstverständlichste der Welt, betrat Sie die Bühne, stellte sich zu Paul. Sie reichte Ihn die Noten, und als habe Er nie etwas anderes gespielt ließ Er sich auf Amy ein. Gänsehaut überkam einen beim Klang ihrer rauchigen, souligen Stimme. Dies war das einzige mal das Paul in ein Studio ging. Und es waren nur erste Probeaufnahmen. Davon gab es nur eine begrenzte Anzahl von CDs. Eine durfte Sven die seine nennen. Damals flog Paul extra nach London. Heute würde sich Amy sicher nicht an diese für Sven so legendäre Nacht erinnern. Wenig Zeit ging damals ins Land und schon erstrahlte ihre Musik den gesamten Erdball. Hit auf Hit, gefolgt von Drogen und Alkoholexzessen gaben ihrer Erscheinung etwas von einem Mythos. Nichts erinnerte an diese junge, fast schüchterne Frau, welche damals neben Paul ins Mikrophon hauchte. Kam Sie später zu seltenen Besuchen nach Berlin, stellte Sie sich zur Enttäuschung Pauls wie Svens nie mehr in der Bar ein. Nun residierte sie im Adlon.
Wenige Tage waren erst ins Land gegangen seit dem man sie Tod in ihrer Wohnung fand. Paul saß heute und jetzt an seinem Piano. Wie immer gekleidet in seinem schwarzen Frag, am Arm eine schwarze Trauerbinde. Sven wusste auch ohne mit Ihm gesprochen zu haben, wessen Menschen sie galt.
„Sven!“ Der Hotelmanager räusperte sich, wartend bis Ruhe herrschte. „Lieber Sven,…ich habe im Namen der Kollegen und der Hotelleitung die angenehme Aufgabe, Dir zu danken. Dich zu verabschieden.“ Noch einmal hielt Er inne, spähte über seine Brille hinweg in den Raum. Seine Augen auf Sven richtend, fuhr Er fort. „Was ich hier in der Hand halte“, dabei wedelte Er mit einem Hefter in der Luft, „was ich hier halte ist nicht der Text dieser Rede.“ Allgemeines Lachen. „Nein es ist vielmehr deine Personalakte. …Liebe Kollegen, wie verabschieden heute einen Mitarbeiter, der es sage und schreibe in fünfzehn Jahren geschafft hat, Null Tage krank zu sein. Null Tage, damit schlägt Er sogar mich.“ Jubel. „Dazu nahm Sven ganze einhundert achtundzwanzig Tage nur Urlaub. Dies dürfte Rekord sein, zumindest in diesem Haus. Sven, ich, nein wir wollen dir danken. Du hast einen besonderen Verdienst daran, dass diese Bar ist was sie ist, eine Perle in Berlin. Deinem Engagement verdanken wir das Überleben auf der stürmischen See dieses Marktes. Dies im einzelnem zu würdigen fehlt hier die Zeit. Uns allen, so glaube ich sagen zu dürfen, gefällt dein Weggang nicht. Wisse, hier steht immer ein Koffer für Dich. Also, ich mache es Kurz, sollte deine Reise zurück nach Berlin führen, unsere Türen stehen Dir offen. Applaus für unseren Sven!!!“ Dieser brande heftig auf. Sven ertappte sich, beschwichtigend die Hände hebend, bei dem Gedanken, wie viele wohl froh waren das er ging. Wusste Er doch selber das er nicht immer einfach war. Sein Hang zu absoluten Perfektion hatten ihn nicht nur Freunde beschert. „Komm bitte zu mir Sven.“ Der Manager stand noch immer neben dem Piano. Paul ließ die Liebligsklänge Svens erklingen. Von den Beatles, living and die. „Lieber Sven, deine Kollegen haben zusammengelegt, lange überlegt, das Hotel noch etwas drauf gelegt. Niemand weiß was du geplant hast, oder wenn Er es weiß, verrät Er es uns nicht. Unser Geschenk an dich ist eine kleine Geldcard, möge Sie Dir den Start in dein neues Leben erleichtern.“ Erneut wurde es laut im Saal. Leise flüsterte der Manager Sven ins Ohr das die Card aufs Hotel laufe, er sich also keine Sorgen zu machen habe. Wusste Er doch das Sven nicht wenig an Alimenten zu zahlen hatte. Laut jedoch „und nun bitte ich noch einmal kurz um ihre Aufmerksamkeit. Da Sven auch gegen meine Meinung oft richtig gelegen hat mit seinem Riecher, folge ich seinem Rat hier gerne. Begrüßen Sie mit mir den neuen Abteilungsleiter für die Bar, Mark Blome.“ Nun war es an Sven sich aufrichtig zu freuen. War die Direktion seiner Empfehlung trotz aller Bedenken doch gefolgt. Er wusste das Mark es schaffen würde die Bar im ruhigen Fahrwasser zu halten. Auch wenn Er hier und da etwas schlaksig auftrat. Mark konnte sehr gut organisieren und für Ordnung sorgen.
„Ein letztes Mal nun möchte ich die Feierstimmung unterbrechen.“ Noch einmal hatte Rudolf, der Hotelmanger das Mikro in die Hand genommen. „Wenn Mark dann so weit ist und zu uns auf die Bühne kommen würde… Um zu beweisen das wir mit unserer Entscheidung richtig liegen, hier deine erste Aufgabe. Du kennst Sven wie kein anderer, zaubere doch mal kurz eine kleine Laudatio auf deinen früheren Chef.“ Und an die anwesenden gewandt. „Geben wir Mark zwei Minuten um sich vorzubereiten. In dieser Zeit lasst uns auf Beide anstoßen. Heute sind es ausnahmsweise einmal Damen welche die Drinks reichen werden. Und seid Euch sicher, es ist kein Hotelwhiskey.“ Erneutes Lachen bei jenen die wussten was damit gemeint war. Hinter der Bar standen immer Flaschen mit gefärbtem Wasser. Gab ein Gast der Belegschaft einen aus, so trank man von diesem. Alkohol war während der Arbeitszeit ein absolutes No-go.
Was folgte war noch eine typische Rede Marks. Anekdoten und Witze, freiwilliger wie unfreiwilliger Art, brachen zu Belustigung der Versammelten ihre Bahn. Endeten in einer herzlichen Umarmung der Freunde. Auch Sven sah sich gezwungen ein paar Dankesworte aufzutragen. Dies allerdings ging recht schnell, ein großer Redner war Er nie. Bevor Er jedoch von der Bühne stieg, wissend das eine Menge Umarmungen, wie auch Worte folgen würden, gesellte Er sich noch einmal zu Paul. „Schön das du gekommen bist.“
„Deinen Abschied verpassen mein Jung?“ Die gespielte Überraschung war unübersehbar. „Weißt Du schon wohin der Wind Dich treiben wird?“ Seine Hand legte sich auf Svens Schulter. "Ich denke gen Süden." "Wie weit genau liegt Süden?"
„Ich sende Dir ne Karte, mindestens eine. Und wenn ich es schaffe, dann besuchst Du mich.Versprochen?"
"Das werde ich."
Weiterer Worte bedurfte es nicht zwischen den Beiden. Sie verstanden sich von Anfang an, besaßen dieselbe Wellenlänge. So wie Wahrheit in dem Worten „mein Jung“ an Sven gerichtet lag, gab Paul für diesen immer einen väterlichen Freund. Es waren die wenig gesprochenen Worte zwischen den Beiden, dies unvergleichliche Verständnis, die Herzlichkeit, es war heute Abend das erste Mal das Sven Tränen in die Augen traten. Doch auch Paul konnte seine Rührung nur schlecht unterdrücken. Sich in die Arme schließend, vergaßen sie für einen Moment, ergaben sich ihrer Gefühle.
Sven blieb nur so lange wie des der Anstand verlangte. Bald hatte Er jedem die Hand gegeben, unzählige Umarmungen und Küsschen empfangen, sogar ab und an ein Tänzchen gewagt. Und dies, obwohl Er über absolut keine Ambitionen als Tänzer in sich hegte. Paul war auch schon gegangen. Noch einmal zog Er sich mit Mark in einen kleinen Raum hinter der Bar zurück. Ein letztes Mal klönten Sie miteinander. Beiden war klar das es eine Weile dauern konnte, bis wieder voneinander hören würden. Mark gehörte zu den zwei Eingeweihten. Er wusste um Svens Plan, träumte selbst davon Sven zu folgen. Mark schaffte es immer wieder Sven aus traurigen Gedanken zu reisen. Genau das was Er im Moment gut brauchte. Immer deutlicher zeichnete sich vor seinen Augen das endliche des bisherigen Lebens. Der Schnitt rückte unaufhaltsam näher. Sven war sich längst nicht mehr sicher ob es sich bei seinen Gefühlen nur um Wehmut handelte. Fast meinte Er etwas Angst auszumachen.
Später stand Er auf der Strasse, zog tief die kühle Nachtluft ein. Gedankenverloren sich eine Zigarette anbrennend, lauschte Er auf die ganz gedämpften, leisen klänge, welche sich aus der Bar auf die Strasse verirrten. Drinnen war die Party noch im vollen Gange.
„Eigentlich müsste ich nun schmollen. So ganz ohne Verabschiedung sich raus zu schleichen.“ Sven brauchte sich nicht umzudrehen um zu erraten von wem die in seinen Nacken gehauchten Vorwürfe kamen.
„Ich weiß nicht.“ Er zog tief ein.
„Ging Dir näher als gedacht.“ Inzwischen schiegte sich Gabi an seinen Rücken. „Wie sieht es aus du Streuner, kommst Du noch einmal mit rauf?“ Ihre Einladung untermauernd, streichelten ihre Hände um Ihn geschwungen, dem Bauch hinunter zur Hose. „Ob dies so eine gute Idee ist? Bin nicht sicher ob ich in Stimmung bin.“ „Lass mich machen!“ Auch diese Worte waren mehr gehaucht. Achselzuckend drehte Sven sich um, folgte Gabi über den Hoteleingang.
Sie bewohnte seit einigen Jahren eine der oberen Suiten. War Erbin eines schweren Vermögens, welches ihr sehr früh verstorbener Mann Ihr hinterlassen hatte. Gabi war zwar schon achtundvierzig, doch wirkte Sie mehr als zehn Jahre jünger. Ihr langes pechschwarzes Haar zeigte nicht ein Graues, keine Falte durchzog ihr Gesicht. Sie lebte ausgesprochen gesund. Auch wenn Sie jeden Abend in der Bar zubrachte, Gabi trank nie viel. Hielt sich an ein, zwei Gässchen Sekt auf, liebte viel mehr die ruhige Geselligkeit. Wurde es zu heftig in der Bar, verließ sie diese auf leisen Sohlen.
Nun folgte Sven ihr. Hindurch durch die Hotellobby, vorbei an der Rezeption. Auch hier gab es keine zweideutige Blicke der Belegschaft. Gabi war voll akzeptiert, regelrecht beliebt. Sie nahm alles so wie es war, besaß für jeden ein warmes, herzliches Wort. Und verirrte sich wirklich ab und an ein männlicher Gast auf ihre Zimmer, gönnte man ihr das.
Oben angekommen öffnete Gabi, entschwand ins Bad. Sven, sich selbst überlassen, schaute sich in der vertrauten Umgebung um. Er mochte den Stil mit dem die Zimmer eingerichtet standen. Helle Möbel, die Sitzgelegenheiten mit Leder überzogen. Einfach geschmackvoll, wärme ausstrahlend, einladend. Im Vergleich sein Schließfach?
Nach der Scheidung zog Sven nach Berlin. Mietete sich eine Einzimmerwohnung und hauste dort die ganze Zeit. Das Wort Hausen traf es auf den Punkt. Niemand wusste wo Er wohnt. Geschäftliche Post oder andere gingen auf ein Postschließfach in Mitte. Selbst Mark, den Er von Kindheit her kannte, welchen Er nach Berlin gelobt und im Hotel untergebracht hatte, kannte seine Bleibe nicht. Und dies war gut so. Wie viel Scham verträgt ein Mensch, welcher keine Ansprüche weiter stellt? Nur weil Er denkt das es keinen Sinn macht.
„Du hättest es mir nie verraten, wärst ohne ein Wort aus der Tür der Bar in ein anderes Leben.“ Die Worte kamen nicht vorwerfend, mehr feststellend. Sven nickte. Ihm wurde Bewusst das kein Wort zwischen Ihnen gefallen war, seit dem Sie zurück ins Hotel getreten, zu Ihr hinauf in die Suite gefahren. Sven stand noch immer an der geöffneten Terrassentür, starrte in die Nacht. „Komm rein und mach bitte zu!“ Gabi schlenderte hinüber in ihre kleine Wohnküche entnahm den Regal eine Flasche Rotwein. Sie war umgezogen. Ihr Abendkleid gegen einen Morgenrock ausgetauscht stand Sie da, hielt Sven die Flasche hin um sich zu vergewissern. „Gern.“
Er hätte jetzt zu Ihr rüber gehen können, galant die Flasche öffnen. Doch wusste er das Gabi darauf nicht stand. Es machte ihr nichts aus selbst Hand anzulegen. Sven verfolgte Ihr handeln mit einer gewissen Beklemmung. Müsste Er nicht eigentlich nach Hause? War da überhaupt Lust auf Sex? Klar, mit Gabi konnte man immer schlafen, keine Frage. Aber morgen in aller Früh wollte Er an den Autohof stehen. Sehen das Er einen Kraftfahrer findet, welcher Ihn gen Süden mitnimmt. Und zuhause war noch nicht alles fertig. Was wenn seine Schwester kam und sein Rucksack noch stand?
Unsicher schielte Er zu Gabi hinüber, welche schon zu übergegangen war einzuschenken.
„Was ist mit Dir Sven? Du magst gehen wollen?“ Sie wartete gar nicht erst auf die Antwort. „Schade, eigentlich habe ich gehofft Dir doch wenigstens ein wenig bedeutet zu haben.“
„Dem ist auch so.“ Eifrig suchte Sven zu wiedersprechen.
„Darum auch den Versuch auf leisen Sohlen.“ Gabi kam auf ihn zu, lächelte. Aber ihre Augen lächelten nicht mit Ihr. Sie drückten Betrübnis aus. „Willst Du nicht ablegen? Oder wird es wirklich nur ein kurzes Anstoßen und Auf wiedersehn?“
„Sorry, war wohl in Gedanken.“ Sven schlenderte zur Garderobe, vorbei an Gabi. Nahm mit beiden Händen ihr Gesicht und zauberte einen flüchtigen Kuss auf ihre Stirn.
„Ich bin dann schon drüben die Beine hoch legen.“ Auch diese Worte kamen Gabi nicht in der gewohnten Leichtigkeit über die Lippen.
Sven folgte bin Schlafzimmer. Die Flasche und die Gläser standen auf dem Betttisch. Dieser faszinierte Sven seit dem Er diesen das erste Mal gesehen. Zog er sich doch der gesamten Bettbreite entlang, stand auf Rädern und lies sich von den Füßen hoch in Richtung Kopf rollen.
Überhaupt war dieses Komfortbett eine Wucht. Mit weisem Leder umzogen, eleganter schnittiger Form, am Kopfende mit Lehnen versehen. Dazu konnte man alle möglichen gewollten Einstellungen elektrisch vornehmen. Wie auch den besagten Tisch weiter zu sich ran oder weg fahren, oder in der Höhe verstellen. Dies war schon edel.
Gabi lag auf ihrer bevorzugten Seite auf der Tagesdecke. Es störte Sven das Sie ihn so unverblümt ansah. Sonst waren Sie sich immer im Wohnzimmer näher gekommen, entledigten sich dort gemeinsam ihrer Kleider. Aber jetzt, Sven wusste Sie wollte das er sich neben Sie gesellt. Genauso wie auch, dass Er sich seiner Hose vorher zu entledigen hatte. Fast besaß es etwas Schamhaftes als er diese öffnete und langsam auszog. Das Gabi ihn bei ansah, aber kein Wort zur Auflockerung sprach machte Ihn nervös. Und so legte Er sich unbeholfen neben Gabi. Zeit verging, lange Zeit. Keiner sprach ein Wort, beide lagen reglos nebeneinander, besser lehnten am Kopfende. Sven räusperte leise. „Soll ich doch besser gehen?“
Doch anstatt zu antworten steuerte Gabi den Tisch etwas zu sich, nahm beide Gläser. Eines Sven reichend stießen Sie leicht an. Längst waren Sie wieder abgestellt. Schweigsam nippte ein jeder nur ganz wenig.
„Erinnerst Du dich noch daran wie Du das erste Mal mit rauf kamst?“ Nun lehnte Gabi ihren Kopf an seine Schulter, begann mit den Fingern zwischen Svens Knopfleisten im Hemd die Brust zu streicheln. „Wie lange kannten wir uns schon?… Zwei Jahre.“ Jetzt lächelte Sie. „Ich wusste was Du wolltest, Du wusstest dass ich es weiß. War schon eine ziemlich ähnliche Situation.“
„Wobei ich heute nicht sicher bin das ich will.“ Sven suchte nach den richtigen Worten, wollte Gabi nicht verletzen. Auch Er streichelte Sie inzwischen.
„Ich weiß. Genau so weiß ich das es nichts mit mir zu tun hat. Bin mir selber ja nicht sicher.“
„Dies überrascht mich jetzt.“ Svens Verblüffung war nicht gespielt. „Du wolltest doch das ich…“
„Ja dies wollte ich. Ich wollte Abschied nehmen von Dir. Mir selbst klar machen das ich einen mir teuren Freund verliere. Und dies so intensiv wie nur möglich. Aber nun….? Wissend Dich nicht halten zu können, möchte ich nicht das Du gehst.“ Nun rannen Tränen ihre Wange herunter. Sven ertappte sich erwischt. Ja Er mochte Gabi, konnte sich immer sehr gut mit Ihr austauschen, empfand sogar tiefe Anteilnahme an Ihr, doch das Gabi so dachte, dies wusste Er nicht. Da waren eindeutig tiefere Gefühle bei.
„Gabi,“ verzweifelt nach Worten wringend kam Er doch nicht weiter. Sich über Ihr Gesicht beugend, versuchte Er ihre Tränen weg zu küssen. Salziger Geschmack traf seine Lippen. „Weine nicht, dies bin ich nicht wert.“ Er flüsterte.
„Kannst Du mich nicht einfach nur halten?“
Resignierend griff Sven noch einmal zum Glas, nippte. Reichte es Gabi. Dann legten Sie sich nieder. Gabi schiegte sich an seinen Bauch, den Kopf auf seinen Arm. Er streichelte mit der freien Hand ihren Nacken, die Schultern.
Unzählig oft hatten beide schon so gelegen. Doch immer erst nach dem Sex. Aus Anstand und um das erlebte abklingen zu lassen. Nie war Sven geblieben. Aber so hier und jetzt, innere Unruhe nahm Sven in Besitz. Die Zeit rann. Warum nur war Er ihr hier hoch gefolgt. Es gab noch wichtiges zu erledigen. Sie tat Ihm leid ja, aber dies passte Ihm zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Aber konnte Er ihr dies sagen? Jetzt wo Er deutlich ihr schluchzen vernahm? Nein, es blieb Ihn nichts anderes übrig, verkrampft streichelte Er sie weiter.
„Wann wolltest Du los?“
„Dies spielt keine Rolle“, log Sven.
Es hatte erneut begonnen zu regnen. Leise klopften Regentropfen von außen ans Fenster. Monoton, ermüdend.
Er musste eingeschlafen sein. Auf den Rücken liegend spürte Er Gabis weiche Lippen auf seiner Brust. Ihre rechte Hand glitt sanft in seinen Slip. „Wird mein Tiger wach?“ Sein Hemd war längst geöffnet, noch nicht ganz bei sich griff Sven in ihr Haar. Aber jemand anderes erwachte sofort. Bei ihren ersten Berührungen versteifte sich sein Penis, schwoll an. „Da scheint ja doch einer Lust zu haben.“ Verzückt glitten ihre Lippen tiefer. Sven wusste um deren Ziel, ließ es sich gefallen. Es war eine Freude Sie zu beobachten während ihre Lippen seinen heißen Schwanz umspielten. Der Gürtel von Gabis Morgenmantel war geöffnet. Deutlich sichtbar ihre kleinen festen Brüste, wie sie spitz nach unten hingen. Sven mochte diese. Er wusste sie würden bald über Ihn schweben, leicht auf und ab wippend, wenn Gabi Ihn ritt. Doch dies hatte noch Zeit.

Lang und innig nahmen Beide voneinander Abschied. Am Ende ohne große Worte, ohne Tränen. Es war schon fast vier Uhr als Sven ging. Keine Versprechungen, kein Auf Wiedersehen. Einzig ihre Bitte „schreibst Du mir eine Karte, will wissen wenn Du es geschafft hast.“ Dies versicherte Sven noch, dann war Er fort.
Fast rannte Er, wenn Er sich beeilte konnte Er doch noch heute los. Voller Ungeduld die S-Bahn erwartend stand Er auf den Bahnsteig. Sein Hunger setzte wieder ein. Noch immer hatte Er seit gestern Mittag nichts gegessen. Doch alle Läden standen noch geschlossen. Um den Hunger zu entfliehen steckte Er sich eine Zigarette an. Durfte diese sogleich wegschmeißen da eine Bahn einfuhr. Die Abteile lagen leer. Nur ganz vereinzelt saßen Leute. Es wird wohl dies die letzte Fahrt mit mulmigem Gefühl sein, dachte Er bei sich. Oft fuhren Betrunkene oder Raufbolde mit. Sven war zwar all den Jahren nichts passiert, doch sicherer fühlte Er sich dadurch nicht. Wann immer er nachts fuhr, suchte Er den ersten Wagon, den wo auch der Zugführer drinnen saß. Angekommen in der Wallenbergstrasse, sprang Er aus der Bahn, hastete die zweihundert Meter nach Hause. Entlang den Graffiti beschmierten Eingängen, an denen sich Rechte und Linke Parolen die Hand gaben. Müll und Unrat zierten den weg. Aus irgendeinem Fenster schalte das schimpfen einer Frau auf ihren besoffenen Kerl durch die Blöcke. Sven hasste Marzahn.
Endlich in der Wohnung angekommen, schauten Ihn zwei liebevoll blickende grüne Augen entgegen. Sven ging rüber zu Andrea, begrüßte Sie. Doch diesmal nur kurz, sofort sich Kaffee ansetzend, verschwandt Er im Bad zum duschen. Dann ab in die schon bereit gelegten Klamotten. Schnell war auch die Tasse mit Kaffee gefüllt. Nun saß Sven am Tisch und schrieb ein paar Zeilen an seine Schwester.

Liebe Anne,
danke das Du Andrea zu Dir nimmst. Ich werde nicht zurück kommen. Also, wenn Du Sie nicht behalten kannst, frage doch bitte bei meiner Tochter nach.
Ich möchte Dich bitten die Wohnung aufzulösen. Gekündigt und beglichen ist alles. Nimm an Möbeln oder was Du brauchen kannst für Dich oder Moritz.
Die Wohnung muss in vier Wochen leer sein, dann kommen die Maler. Habe alles organisiert.
Das Geld ist für deinen Aufwand. Was übrig ist, behalte.
Ich weiß nicht wann und ob ich mich melde. Aber irgendwann sicher.
Sei galant wenn Du dich mit den Eltern in Verbindung setzt, sind nicht eingeweiht. Auch meine Tochter weiß es noch nicht.
Alles Gute Dir, deiner Familie,
dein Bruder.



So, der erste Brief war geschafft. Andrea schien dies zu begreifen. Mit einem Satz sprang Sie auf den Tisch, rutschte mit dem Papier, fast wieder runter. Sven vermochte es gerade noch zu halten. „Nicht jetzt Herzdame!“ Mit einer Handbewegung förderte Sven die Katze vom Tisch.
Magenschmerzen breiteten sich aus. Wie immer wenn Sven nervlich angespannt Probleme zu lösen hatte. Und so war es nun. Der zweite Brief schien weit schwieriger. Was und wie schreibe ich es meiner Tochter. Warum fand Er nicht den Mut es Ihr zu sagen? Rational kennte Er für viele Gründe. So würde Sie sofort seine Eltern verständigen. Allein dies schon wollte Er nicht. War ihm doch die mangelnde Akzeptanz bewusst. Aber emotional, einfach so verschwinden? Andrea hang an Ihm wie Er an Ihr.
Noch einmal verschwand Er in der Küche, blies den Rauch einer Zigarette aus dem geöffneten Fenster. Nicht viel schlauer trat er wenig später zurück an den Tisch. Setzte sich, nahm ein Blatt.


Meine Große,

wenn Du diese Zeilen liest, bin ich schon unterwegs. Wohin kann ich noch nicht sagen. Ich will einfach nicht mehr so weiterleben. Keine Angst, Papa wird sich nichts antun. Er will nur aussteigen, ein anderes Leben führen.
Du bist alt genug, hast die Schritte in ein selbstständiges Leben längst eingeschlagen.
Meine Andrea, ich werde nicht aus der Welt sein. Gebe mir einfach etwas Zeit. Zeit mich selbst zu finden, zurück ….
Dein Kätzchen ist bei meiner Schwester. Vielleicht tauscht Ihr euch aus. Auch wenn ich nicht glaube das Du etwas von meinen Sachen hier gebrauchen kannst.
Ich weiß nicht was ich Dir hier schreiben kann. Bauend auf dein Verständnis möchte ich Dir sagen, ich habe Dich sehr lieb.
Ich werde mich melden. Und wenn ich angekommen bin am Ziel, dann sehen wir uns wieder.

Eine dicke Umarmung, ein dicker Kuss,
Papa.



Tränen standen in seinen Augen. Die Buchstaben tanzten undeutlich auf dem Blatt hin und her. Sven versuchte sich zu beruhigen. Noch konnte Er alles rückgängig machen, ein verlockender Versuch. Nein, dass ziehe ich nun durch! Sich selbst Mut machend griff Sven zum Weinbrand. Stellte die Flasche jedoch wieder ab.
Es wurde Zeit. Ein Blick auf die Uhr verriet kurz vor 7:00 Uhr. Ab 8 konnte Er mit seine Anna rechnen. Sie würde gleich nach Dienstschluss nach Berlin kommen, um die Katze zu holen. Da wollte Er weg sein.
Obwohl längst alles geordnet stand, der Rucksack gepackt, hunderte Male auf Vollständigkeit untersucht wurde, kontrollierte Sven diesen ein weiteres mal. Leichte Trekkingwäsche, den Laptop, Ladegeräte, Zelt, Schlafsack, Schuhe, alles war wie es sollte.
Auch griff Er sich noch einmal die bereit gelegten Papiere. Pass, Impfausweis, Geldkarten, Fahrerlaubnis. Ob er diese brauchen würde? Ihn fiel der Umschlag ein. Noch hatte Er keinen Blick hinein geworfen. Doch als Er sich umsah, in die Jacke griff, war da nichts. „Mist.“ Im selben Moment erinnerte Er sich daran diesen bei Gabi auf den Wohnzimmertisch abgelegt zu haben. An diesen musste Er noch ran. Sein finanzielles Polster war eh nicht für Luftsprünge geeignet. Mit dem Verkauf des Auto und was sonst noch Geld brachte, kam er einschließlich des gesparten auf knapp 30.000 ¤. Geld, welches Er für seinen Traum, eine Bar in Marokko sicher Cent für Cent gebrauchen konnte.
Die Zeit rann davon. Längst wollte Er an dem Rastplatz Potsdamer Chaussee/ A115 stehen, angeblich einen idealen Ort, um als Anhalter weg zu kommen.
Stattdessen stand Er noch immer in der Wohnung. Gabi wird sicher noch nicht wach sein.
Und ein Blick zur Uhr verriet, auch seine Schwester konnte jeden Moment in der Türe stehen. Unkoordiniert griff Sven seine Sachen, hob Andrea noch einmal in die Höhe. „Machs gut meine Kleine, verzeih mir!“ Drückte sie an sich, schaute noch einmal in die Wohnung. Adieu Tristesse.
Zum letzten Male verschloss Sven die Wohnungstür. Den Schlüssel würde Er auf den Weg in den Briefkasten Der Wohnungsbaugesellschafft einwerfen.

Sein Schreiten zur S-Bahn glich einer Flucht. Hastig, sich nicht umschauend, eilte Er zur Station. Immer ein Auge auf die Strasse gerichtet, sollte Anne um die Ecke kommen.
Erst am Bahngleis beruhigte sich sein Herz. Seine Nerven dagegen nicht. Sven war schlecht. Sodbrennen durchzog seinen gesamten Verdauungstrakt. Wie weiter? Sich diese Frage stellend, sah Er die Bahn auf sich zukommen. Erst als Er einen freien Platz gefunden hatte, um diese Zeit war die Bahn sehr voll, gelang es Ihn Gedanken zu fassen. Sven rechnete, in einer halben Stunde würde Er in Mitte sein. Da konnte Er aussteigen und im Hotel anrufen. Die Durchwahl zu Gabi war Ihm bekannt. Selbst noch einmal hin zu gehen ins Hotel, nein dies wollte Er auf alle Fälle vermeiden.
Noch immer nicht ruhiger, verfolgte er das am Fenster vorbei fliegende Berlin. Auch zum letzten Male.

Am Alexanderplatz ausgestiegen setzte Sven sich in ein Café. Er bestellte ein Frühstück, wählte Gabis Nummer. „Guten Morgen, ich wollte Dich nicht wecken.“
„Selber guten Morgen, hasst was liegen gelassen.“
„Darum rufe ich an.“
„Und nun?“ Gabi klang belustigt. „Musst Du wohl noch mal kommen.“
„Ich möchte nicht noch einmal ins Hotel. Können wir uns treffen? Ich sitze gerade in einem Café am Alex.“
„Du willst mich zum Frühstück einladen? Dies finde eine tolle Idee, wo?“
Sein kleines stöhnen ware wohl kaum zu überhören.
„Geld oder Zeitmangel?“ Beides wollte Sven erwiedern, beherschte sich jedoch. „Letzteres.“
„Gut, gib mir ne viertel Stunde. Wo bist Du genau?“
Sven schaute sich um, fand wonach Er suchte. „Feinbäcker steht in gelber Schrift an dem Laden.“
„Ok, warte dort.“ Schon war die Verbindung unterbrochen.
Sven bestellte sich Rührei, Kaffee und noch Würstchen. Es überraschte Ihn wie viele Menschen schon jetzt unterwegs waren. Noch hatten die meisten Geschäfte geschlossen. Der Alexanderplatz zeigte sich im Besitz der Tauben. Strassenreiniger fuhren über den Platz, genässten diesen. Nicht einmal die Spritzer des Wassers störten die Tiere wirklich. Kurz sprangen Sie zur Seite, kamen sogleich zurück. Den Tankwagen folgte eine Kehrmaschine. Arbeiter in gelben Westen leerten die Abfallbehälter. Sonst schien auch jede Spezies Mensch dieses Planeten hier vertreten zu sein. Verhangene Frauen, andere in Businesskleidern, manche im wörtlich letzten Hemd. Nichts was es nicht zu geben schien. Dasselbe bei den Männern. Für einen Moment vermisste Sven seine Kamera. Unvergleichliche Momentaufnahmen wären hier und jetzt gelungen.
„Hallo Du Weltreisender.“ Sven zuckte leicht zusammen, erhob sich aber sogleich um Gabi zu begrüßen. „Schön das Du kommen konntest.“

„Für ein Frühstück mit Dir, gerne.“ Gabi strahlte, reichte Sven den Briefumschlag. Er besiegte die Versuchung diesen sogleich zu öffnen.
„Willst Du nicht nachschauen?“ Gabi schaute ungläubig. „Später.“
„Da weiß ich ja gar nicht ob es sich gelohnt hat.“ Schmollend schob sie die Lippen nach vorn. Um abzulenken fragte Sven was Sie essen wolle. Doch Gabi lächelte nur, rief die Bedienung und bestellte sich einen Orangensaft und ein Croissant. Dann richtete Sie sich erneut an Sven. „Weit bist Du ja noch nicht gekommen.“ „Hm, wenn es weiter so gut geht…“ Sven verstummte als sein Gedeck gebracht wurde. Gabis Saft und Croissant folgten umgehend. „Henkersmahlzeit?“ Sie musste lachen als sie die beiden vollen Teller sah.
„Man weiß ja nie“, dankbar griff Sven den Einwurf auf. Dann herrschte Schweigen. Beide konzentrierten sich auf ihr Frühstück. Wissend Gabi etwas schuldig zu sein öffnete Er nach diesem den Umschlag. Unwillkürlich brach Sven in Lachen aus. Diesen Brief konnte nur der alte Paulig aufgesetzt haben. Der Buchhalter des Hotels. Fein säuberlich standen da aufgelistet, Prämien, Urlaubsgeld und das gesammelte Geld der Kollegen, fünfundvierzigtausend Euro. Sven verschlug es den Atem. So viel Geld mit einem Male. Natürlich wusste Er das Ihn noch Geld zustand, hatte Er sich doch nie die Prämien auszahlen oder groß vom Urlaubsgeld in Anspruch genommen. Aber diese Summe…
„Scheint sich gelohnt zu haben.“ Gabi nickte neugierig zu dem Brief hinüber. Sven reichte ihr diesen. „Wahrlich nicht schlecht“, gestand Sie Sven gegenüber ein.
„Ich muss nun trotzdem los.“ Was sollte Er zu sagen? Eigentlich konnte dies ja nur ein Taschengeld für Gabi darstellen. Für Ihn war es ein Vermögen.
„Du hast Recht, wir sollten aufbrechen.“
„Wir?“ Überrascht schaute Er sie an.
„Ja, soll ich etwa hier sitzen bleiben? Habe eine bessere Idee. Wo wolltest du um diese Zeit sein?“
„Am besten in einem Truck Richtung Süden.“ Als Sven sah das sie nicht verstand, klärte Er sie auf. „Rastplatz Potsdamer Chaussee, an der A115 Richtung Süden. Dort wollte ich mit dem Trampen beginnen.“
„OK, ich bringe Dich schnell hin.“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.08.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /