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Eins

"Unglücklicherweise hasst man niemanden so sehr wie denjenigen, den man einst geliebt hat." - Cassandra Clare

 

„Es ist doch immer wieder dasselbe mit euch!“ Kopf schüttelnd stützte ich die Hände in die Hüfte, um meiner Entrüstung noch mehr Ausdruck zu verleihen. Lange hielt sie jedoch nicht an. Schon nach einigen Minuten verfiel ich einen heftigen Lachanfall.

„Und du bist unmöglich“, beschwerte sich nun meine Schwester, die neben mir saß und die Augen verdrehte. „Du könntest ja wenigstens versuchen, wütend auf uns zu sein!“

„Das hab ich doch! Aber auf euch kann ich eben nicht lange wütend sein. Und das wisst ihr auch, sonst würdet ihr das nicht immer wieder machen.“ Grinsend stieß ich meine Schwester Juliette in die Seite, die mal wieder übertrieb und so tat, als ob ich sie mit einer Geschwindigkeit von hundert Kilometer die Stunde erwischt hätte.

„Ladys! Kein Wunder, dass das immer Stunden dauert, bis wir fertig sind, wenn ihr nur rumalbert!“

„John, das sagst du uns jedes Mal und es hat sich immer noch nichts geändert, oder?“ John verdrehte die Augen.

„Na gut. Dann hören wir hier auf. Ich muss eh los.“ John sah uns entschuldigend an.

„Das kannst du nicht machen. Wir sind mitten im Spiel“, beklagte sich Juliette. Sie zog einen Schmollmund, der sonst eigentlich bei John half, doch dieses Mal half es nichts. John ging zu ihr rüber und küsste sie sanft auf den Mund.

„Bis dann, Süße. Ich rufe dich an.“ Und schon war er verschwunden. Juliette sah ihm noch lange nach, während ich aufstand und das Monopoly-Spiel, dass wir vor ungefähr drei Stunden angefangen hatten.

„Wo muss John denn hin?“

„Er hat einen Arzttermin. Und seit neuestem hat er keine so große Angst mehr vor Spritzten“, erklärte Juliette grinsend. Sie stand auf und nahm die Kaffeetassen vom Tisch, stellte sie in der Küche auf die Theke. Mein Blick glitt zur Uhr. Viertel nach fünf.

„July, ich muss los. Kate kommt bald und ich muss noch mein Zimmer aufräumen, sonst kriegt Mum noch eine Macke!“ Theatralisch verdrehte ich die Augen.

Meine Schwester lachte leise. „Ohja, das kenne ich. Na dann, ich wünsche euch viel Spaß. Und kein Alkohol, verstanden?“ July bedachte mich mit einem strengen Blick. Wieder vollzogen meine Augen einen Kreis, während meine Mundwinkel nach oben zuckten. Ich zog meine Jacke an, schnappte mir meine Tasche und schlüpfte in meine Schuhe.

„Machen wir nie, Schwesterherz“, versicherte ich ihr todernst.

„Ja klar, und den Osterhasen gibt es wirklich“, sie grinste und umarmte mich. „Bestell Mum und Dad schöne Grüße, sag ihnen, dass ich sie vermisse und sie mich mal wieder besuchen kommen können. John würde sich auch freuen!“

„Alles klar, mach ich. Bis dann!“ Ich winkte noch einmal und verließ dann ihre Wohnung, die im zweiten Stock eines Wohnblockes lag. Auf dem Weg nach unten, zog ich meinen Schal enger um meinen Hals und meinen Mantel enger um mich. Ich zog mir meine schwarzen Ohrwärmer über, ehe ich nach draußen trat. Dort pfiff mir der Wind um die Ohren und somit auch der Schnee, der in feinen Flocken vom Himmel fiel. Der Boden war ebenfalls mit Schnee bedeckt, doch durch meine dicken Winterschuhe, spürte ich nur das Knirschen des Schnees.

Die Wohnung meiner Schwester und ihres Freundes lag nur wenige Straßen von der Wohnung meiner Eltern entfernt. Ich brauchte zwanzig Minuten, da ich gegen den Wind angehen musste.

 

Zuhause angekommen, huschte ich schnell ins Gebäude, klopfte mir den Schnee von den Klamotten und schüttelte ihn mir aus den Haaren. Unsere Wohnung lag direkt im ersten Stock, was mir auch recht war, denn ich hätte bestimmt keine Lust immer bis in den vierten oder fünften Stock zu gehen.

Ich schloss auf, sofort kam mir der Geruch köstlicher Eierkuchen entgegen. Genüsslich schloss ich die Augen und blieb noch eine Weile auf der Schwelle stehen.

„Schätzchen?“, rief meine Mutter aus der Küche, ihre Stimme holte mich aus meiner Trance. Ich trat ein, zog mich aus und stellte meine Tasche im Flur ab.

„Mum, du sollst uns alle doch nicht immer so verwöhnen.“

„Tut mir Leid, aber ich kann eben nicht anders.“ Sie lächelte mich an, küsste mich auf die Wange, als ich neben sie trat. „Wie war's bei Juliette? Wie geht es Ihnen denn so?“

„Wir haben Monopoly gespielt. Sie hat gesagt, dass sie euch vermisst, und ihr die Beiden mal wieder besuchen sollt. John und July würden sich sehr freuen!“

„Dein Dad und ich haben uns schon darüber unterhalten, die Beiden mal einzuladen, um einen schönen Abend zu haben.“ Sie sah mich an, während der Eierkuchenteig in der Pfanne immer leckerer wurde.

Plötzlich klingelte es. „Uh, das ist Kate. Ich geh schon“, schrie ich, als ich aus der Küche rannte, um meinen Vater davonabzuhalten, selbst an die Tür zu gehen.

Ich ließ Kate herein und fiel ihr um den Hals. „Oh mein Gott, Süße. Ich bin so froh, dich zu sehen“, begrüßte ich sie. Sie war noch nicht einmal in der Wohnung, schon lagen wir uns in den Armen.

„Es war echt schrecklich, die letzte Zeit ohne dich!“ Sie lächelte mich an, ich ließ sie in die Wohnung und schloss die Tür hinter ihr.

„Wie geht es dir denn?“

„Sehr gut. Ich fühle mich erholt und die frische Luft tut echt gut.“ Kate war die letzten zwei Wochen krank gewesen, Sie hatte eine ansteckende Krankheit, sodass ich sie nicht besuchen durfte. Doch jetzt ist durfte sie wieder raus, und wir hatten vereinbart, dass Kate mir schlief, damit wir mal wieder Zeit für uns hatten. Es war zwar Schule, aber die vorletzte Woche vor den Weihnachtsferien und es standen auch keine Klausuren an, für die wir noch lernen mussten.

„Mhm.. Riecht das gut. Ich wusste doch, warum ich unbedingt herkommen wollte!“ Sie grinste breit, ich boxte sie sanft.

„Meine Mum hat Eierkuchen gemacht. Die dürften gleich fertig sein. Du kannst deine Sachen schon mal in meine Zimmer bringen, dann kannst du in die Küche kommen. Willst du einen Kaffee haben?“

„Ohja! Du weißt ja, wie ich ihn möchte.“ Sie ging weg, nachdem sie ihre Schuhe und ihre Jacke ausgezogen hatte. Ich ging in die Küche, deckte den Tisch und setzte Kaffee auf.

„Mrs. Smith, wegen ihnen nehme ich noch zehn Kilo zu!“, begrüßte Kate meine Mutter, als sie in die Küche kam.

Meine Mum bedachte sie mit einem liebevollen Blick. Sie war schon immer freundlich gegenüber meinen Freunden gewesen, zu meinen Feinden war sie allerdings alles andere als nett oder freundlich. In der Beziehung hielten wir zusammen, wie ein Herz und eine Seele, was wir auch so schon waren. Ich hatte bisher soo gut wie keinen Streit mir meiner Mutter, dafür hatte ich aber auch eine recht friedliche Pubertät. Schließlich war ich nicht das erste Mädchen, das meine Mutter großziehen musste.

„Schätzchen, zehn Kilo mehr auf den Rippen würden dir gut tun. In den letzten zwei Wochen hast du doch bestimmt kaum was runter gekriegt, oder?“

„Stimmt, da haben sie Recht!“ Kate lächelte und setzte sich an den Tisch. Als der Kaffee durch war, füllte ich zwei Tassen damit. In meine machte ich nur Milch, bei Kate kamen noch zwei Stück Zucker hinzu.

„Vielen Dank, Süße. Ihr seit alle so liebevoll zu mir. Eigentlich müsstest ihr doch zurückweichen, immerhin hatte ich eine ansteckende Krankheit!“

„Kate.. Ich würde neben dir im Bett liegen, mit dir lachen und mit dir über diese Krankheit reden. Solange, bis es mich selbst erwischt hat.“ Ich lächelte sie an, stellte noch schnell Apfelmus, Zucker und Nutella für die Eierkuchen auf den Tisch. Meine Mum war auch schon fertig und stellte einen dampfenden Teller voller leckerer Eierkuchen in die Mitte des Tisches.

„Haut rein, Mädels!“

 

Nachdem Essen hatten wir uns mit meinen Eltern ins Wohnzimmer verdrückt, gegen viertel neun waren wir nacheinander duschen gegangen und dann hatten wir in meinem Zimmer weiter Fernseh geguckt. Unsere Wohnung war nicht gerade groß, dennoch war in meinem Zimmer Platz für ein großes Doppelbett und einen Flachbildfernseher, den ich mir selber kaufen musste.

„Alina?“

„Ja, Kate?“

„Ich habe einen Freund.“ Sie sah mich lächelnd an. Ich grinste breit.

„Wie heißt er?“

„Es ist Will. William Miller!“ Sie lachte leise. William Miller war ein Mitschüler von uns. Er war groß, muskulös und mega heiß! Außerdem war er ein guter Freund von uns, er war nett, freundlich und höflich.

„Ist nicht wahr. Seit wann das denn?“

„Seitdem er mich ins Krankenhaus gebracht hatte. Meine Mum hatte keine Zeit mich zu fahren, sie war noch auf Arbeit, sodass ich schnell Will angerufen hatte, da er in der Nähe wohnte. Wir haben auf der Hinfahrt viel geredet, unter anderem auch über seine Exfreundin. Kurz bevor wir dann ausgestiegen und reingegangen sind, hat er mich sanft geküsst und gesagt, dass er mich liebt.“

„Wie süß!“ Kate hatte schon immer Glück mit Jungs gehabt. Sie war groß, hatte strahlend blaue Augen und wunderschöne lange, leicht gewellte, braune Haare. Sie war einfach wunderschön und schon seit einer Ewigkeit in William verliebt. Im Kindergarten waren Will und ich ein Paar, damals hatten Kate und ich uns gehasst, da sie auch schon zu der Zeit in ihn verknallt war. Für mich war und wird er allerdings immer nur ein guter Freund bleiben. Genau wie John.

„Ich hoffe doch, du hast ihn nicht angesteckt!“ Ich bedachte sie mit einem wissenden Blick.

„Nein, habe ich nicht! Wir gehen am Wochenende weg. Ich hoffe doch, das ich für dich okay.“ Sie lächelte mich entschuldigend an, ich winkte nur ab. So war es immer. Sobald sie einen Freund hatte, verbrachte sie die meiste Zeit mit ihm. Ich und auch ihre anderen Freunde kamen dabei zu kurz. Doch sobald Will sagte, dass ihr Freund nerven würde, machte sie Schluss mit ihm. Sie versuchte immer, ihre Zuneigung zu ihm zu verbergen, doch anscheinend gelang es ihr nicht.

„Ich hab am Wochenende eh schon was vor!“ Ich log Kate nicht gerne an, aber ich wollte ihr kein schlechtes Gewissen machen.

„Gut.“ Damit war die Unterhaltung offenbar beendet. Eigentlich wollte ich noch etwas reden, doch Kate schlief relativ schnell ein, sodass ich den Fernseher ausschaltete und ebenfalls einschlief.

Am nächsten Morgen weckte uns mein nerviger, kleiner und piepsender Wecker. Es war halb sieben am Morgen. Kate schreckte genauso wie ich hoch. Ich schlug auf den Wecker ein, bis er endlich die Klappe hielt, dann stand ich auf.

Nach einer halben Stunde waren wir fertig mit anziehen und schminken. Kate und ich sprachen nicht viel, sie war mit ihren Gedanken woanders. Ganz weit weg, irgendwo wo es nur sie und Will gab. Nachdem wir endlich fertig waren, inklusive frühstücken und Zähne putzen, zogen wir uns an.

„Wie lange habt ihr heute?“, fragte meine Mutter, als ich mich von ihr verabschiedete.

„Lange. Ich hab dich lieb, Mum!“ „Ich dich auch, meine Süße. Bis dann, Kate!“ „Tschüss, Mrs. Smith!“

Kurz nachdem wir aus dem Haus waren, sah Kate mich grinsend an. Ich hob fragend eine Braue, da ich keine Lust hatte zu reden. Dafür war ich eben viel zu müde.

„Ich freue mich schon, Will wieder zu sehen. Wir haben uns seit zwei Wochen nicht gesehen.“

„Aber ihr habt doch bestimmt geschrieben, oder?“

„Ja, und jeden Abend telefoniert.“ Abrupt blieb ich stehen. Ich hatte keine Lust mehr mir das anzuhören. „Alina, alles in Ordnung?“ Kate sah mich fragend an. Ich antwortete ihr nicht, sondern zog einfach meine Kopfhörer aus der Jackentasche und steckte sie mir in die Ohren.

„Ali, Es tut mir Leid!“ Mein Blick fiel auf meine beste Freundin, die mich entschuldigend ansah. Ich beachtete sie nicht weiter, machte Musik an und ging weiter. Die ganze Zeit sah ich auf den Boden. Kate und ich hatten nie telefoniert, während sie krank war. Ich hatte es immer wieder versucht, aber entweder hatte sie mich wegdrückt oder es war besetzt oder sie hatte gesagt, dass sie keine Zeit hätte.

An der Schule angekommen, warteten schon Will und John auf uns. John war zwar schon neunzehn, aber hatte ein Jahr wiederholt, sodass er mit uns allen im Abschlussjahr war.

Ich lächelte die Beiden kurz an, umarmte sie und ging dann ohne ein Wort rein. Auf den Weg nach drinnen, schaltete ich meine Musik aus, zog mir die Kopfhörer aus den Ohren und steckte sie in meine Jackentasche zurück.

Wir hatten jetzt Englisch, mein absolutes Lieblingsfach, also setzte ich mich in die zweite Reihe, zwischen Will und Kate. Na das konnte ja heiter werden. Hinter mir saß John, wenigstens er hatte noch Verständnis für mich, hoffte ich zumindestens.

Will und Kate kamen ganz verliebt in den Raum, gerade als es klingelte und Mrs. Turner mit dem Unterricht anfing.

 

„Nein, Kate! Ich habe darauf keinen Bock mehr. Wir sind beste Freundinnen, und doch habe ich ständig das Gefühl, nur die zweite Wahl zu sein!“

„Die zweite Wahl? Du spinnst ja wohl. Es tut mir Leid, dass ich sehr gerne Zeit mit meinem Freund verbringen würde. Wir sehen uns doch eh jeden Tag, also beschwer dich nicht!“

„Du siehst Will auch jeden Tag und anscheinend warst du ja doch nicht so krank, wie du gesagt hast, um mit ihm zu telefonieren, und anscheinend warst du nicht so schwach, um zu Simsen!“

„Ach, darum geht es dir also. Ich wollte eben nicht mit dir reden und dich mit meinen Sorgen belasten. Entschuldige, dass du mir etwas bedeutest.“

„Genau dafür bin ich doch da. Um mir deine Sorgen anzuhören und dir zu helfen. Manchmal hab ich echt das Gefühl, dass ich nur da bin, damit du jemanden hast, den du ausnutzen kannst! Und sobald du einen neuen Freund hast, bin ich abgeschrieben, solange bis Will sagt, dass du Schluss machen sollst!“

„Will hat nie gesagt, ich solle mit irgendjemanden Schluss machen. Das war immer meine Entscheidung. Und wenn du das nicht so siehst, hast du Pech gehabt. Du gehst mir langsam auf die Nerven. Jetzt weiß ich wieder, warum ich dich im Kindergarten so gehasst habe.“

„Du hast mich gehasst, weil ich mit Will 'zusammen' war. Du bist seit dem Kindergarten in ihn verknallt und wenn Will sagt, dass dein Freund nervt, hast du mit ihm Schluss gemacht. Wenn Will etwas sagt, dann springst du sofort. Aber du merkst das anscheinend nicht, oder?“

„Du bist neidisch, weißt du das?“

„Genau das habe ich gemeint. Du machst das was er sagt, egal was es ist.“

„Und ich sage, du bist neidisch. Neidisch auf das, was du nicht hast. Neidisch auf mich! So ist das schon immer gewesen. Langsam bist du echt nur ein kleines nerviges Bündel, Alina!“

„Ein nerviges, kleines Bündel?! Wer kommt denn immer wieder zu mir, wenn mit einem Jungen Schluss ist?!“

„Alina, lass mich in Ruhe. Du kannst es eben nur nicht sehen, wenn ich glücklich bin, du aber niemanden hast!“

„Ich dachte immer, ich hätte Dich! Aber da habe ich mich wohl geirrt. Ich kann dich nicht mehr leiden, Kate. Ich bin immer die Dumme, die zusehen muss, wo sie bleibt, wenn du mich im Stich gelassen hast. Ich kann das nicht mehr, Kate. Und langsam will ich das auch nicht mehr. Es tut mir Leid, aber ich glaube es ist besser, wenn wir unsere Freundschaft auf Eis legen, du Zeit mit Will verbringst und ich meine Wege gehe!“ „Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, oder?“

„Doch, ist es!“ Mit alle Wucht knallte ich meinen Spint zu, funkelte Kate an, drehte mich um und ging zum Schuleingang. John kam gerade herein, da es gleich zum Unterricht klingeln würde, und fing mich ab.

„Nicht so schnell, Alina. Wo willst du hin?“

„Weg.“

„Du siehst scheiße aus. Was ist passiert?“

„Kate ist passiert. Sie tut so, als ob ich nur ein Anhängsel wäre. Ich kann das nicht mehr, John! Könntest du den Lehrern sagen, ich hätte einen wichtigen Termin?“

„Klar, wenn du deiner Schwester sagst, dass ich eh keine Chance hatte, das zu verneinen.“ Ich grinste, er ebenso. „Mach ich!“ Ich küsste ihn auf die Wange und ging dann raus, bevor mich irgendein Lehrer erwischen konnte.

Mein Weg führte mich zu einem Spielplatz, weit entfernt von der Schule und der Stadtmitte. Obwohl Schnee lag, war auf den Schaukeln und allen anderen Spielzeugen keine einzige Schneeflocke zu sehen. Ich setzte mich auf eine Schaukel und fing an zu schaukeln. Mit meinen Gedanken war ich ganz weit weg, in meiner eigenen kleinen fantasievollen Welt. In einer Welt, in der alles viel besser war und in der ich mich nicht so allein fühlte.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen, oder wie viel Schnee in der Zeit gefallen war, als ich meinen Blick hob, um zum Himmel zu sehen. Ich fühlte mich elend, verraten und alles andere als quietschfidel. Ich wollte eigentlich nur wegrennen, irgendwohin, wo ich nicht so mies behandelt wurde und wo man Verständnis für mich hatte.

Am liebsten würde ich die Zeit zurückspulen und Kate daran hindern, dass sie sich in Will verliebte, oder besser noch, dass wir beste Freundinnen wurde, sodass keiner von uns verletzt werden konnte. Seufzend begann ich wieder zu schaukeln, mir war gar nicht aufgefallen, dass ich damit aufgehört hatte.

Das leise Quietschen der Schaukel beruhigte mich etwas, wenn auch nicht ganz, aber das hatte etwas Normales an sich, etwas, was schon immer so war und wahrscheinlich auch immer so sein wird.

 

Als ich das nächste Mal aufsah, war es schon Nachmittag, da sich viele kleine Kinder auf dem Spielplatz aufhielten und in dem Schnee spielten. Doch ich beachtete sie kaum. Ich hatte keine Lust mir fröhliche Kinder anzusehen, um daran erinnert zu werden, dass ich selbst traurig und voller Kummer war.

Die Zeit verging so rasend schnell, ich fühlte die Kälte kaum und auch der Wind war mir egal. Eigentlich half es mir dabei, an einen anderen Ort zu denken, an einen Ort, der völlig anders war als dieser.

Und so verging weiter die Zeit. Ich beobachtete die Kinder, manche von ihnen brachten mich zum Lachen, andere sahen mich einfach verwirrt oder komisch an. Als es langsam dunkel wurde, und zu dieser Jahreszeit wurde es relativ schnell dunkel, wurde es auf dem Spielplatz langsam leer, bis nur noch ich übrig blieb und von der Dunkelheit langsam eingeschlossen wurde.

„Ist es nicht ein wenig zu spät, um noch hier draußen zu sein?“ Die sanfte Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Erschrocken sah ich auf und blickte in leuchtend grüne Augen. Der Junge setzte sich auf die Schaukel neben mich. Er sah mich lächelnd an.

„Es ist nie zu spät, um die Natur zu beobachten“, konterte ich, um etwas glücklicherer zu wirken.

„Du siehst aber nicht so aus, als ob du die Natur beobachten würdest!“ Der Junge sah mich mit einem mitfühlenden Blick an.

„Gut beobachtet, Sherlock!“ Ich lächelte leicht.

„Chase reicht vollkommen“, stellte er sich vor. Chase hat nicht nur sanfte, grüne Augen, sondern auch schwarze Haare, die leicht sein Gesicht umrahmten, und seine Augen zum Leuchten brachten. Er wirkte irgendwie geheimnisvoll und düster, aber auch freundlich und nett.

„Okay, Chase. Ist es denn nicht ein wenig zu spät, um fremde und hilflose Mädchen anzusprechen?“

„Ich denke nicht, dass du hilflos bist,…“ Er sah mich erwartungsvoll an.

„Nein, ich verrate dir meinen Namen nicht!“ Ich lächelte ihn an. Mein Blick fiel zum Himmel. Es war schon dunkel, aber ich wusste, dass es nicht so spät sein konnte. Trotz alledem, was passiert war, wollte ich nach Hause, die Situation war mir ein wenig unheimlich.

„Es hat mich gefreut dich kennenzulernen, Chase. Aber ich werde jetzt gehen. Ich muss nach Hause!“

„Kann ich dich bis nach Hause begleiten? Wer weiß, was alles um diese Uhrzeit rumläuft.“

„Vielleicht jemand, der hilflose Mädchen anspricht und mit ihnen flirtet?“ Ich hob eine Braue, stand auf und schulterte meinen Rucksack. Ich spürte, dass Chase ebenfalls aufstand. Er gesellte sich zu mir.

„Ich begleite dich!“ Er sagte es in einem Ton, der keine Widerrede zuließ. Ich verdrehte auf meine typische Art die Augen, während der Schnee weiter von Himmel fiel und uns immer noch durchnässte.

Ohne ihn zu beachten, ging ich einfach los, Richtung zu Hause. Chase lief schweigend neben mir her, hatte immer die Umgebung im Blick. Er ging mir auf die Nerven, und machte mir auch ein wenig Angst. Irgendwann reichte es mir und ich blieb stehen.

„Chase, ich komme ganz gut, alleine zurecht. Ich wohne nicht weit entfernt von hier. Das letzte Stück schaffe ich auch alleine!“

„Gut, wie du meinst. Ich bin eh gleich zu Hause!“ Damit verschwand er in die Nacht, und ich blieb zurück. Ehrlich gesagt, blieb ich ratlos zurück, denn ich hatte ihn belogen. Ich wusste nicht, wo ich hier gelandet war. Ich wollte ihn loswerden und war einfach irgendwo hingegangen, ganz weit weg von meinem zu Hause.

Ich ging einfach weiter, mein Handyakku war bereits leer, und meine Eltern würden mich nicht so schnell suchen, denn ich war schon öfters davongelaufen und so waren sie das gewohnt

Nach einer weiteren Stunde gab ich auf und kehrte an den Ort zurück, an dem Chase und ich auseinander gegangen waren. In dieser Umgebung gab es wenige Häuser, eher mehr Fabriken oder Läden. Das konnte ich schlecht erkennen. Ich schlenderte an den Häusern vorbei, in der Hoffnung, ich würde auf Chase treffen, und ich hatte Glück! In einem Fenster, das im Erdgeschoss eines einfachen Hauses lag, konnte ich Chase erkennen. Ich ging auf das Haus zu. Anhand der Klingelschilder konnte ich erkennen, dass es nur zwei Mieter gab. Ich drückte auf die Klingel. Sofort wurde mir geöffnet.

Als ich das Haus betrat, stand ich in einem kleinen Flur, in dem es keine Treppe gab, sondern nur zwei Türen. Die eine Tür stand offen und ein älterer Mann stand in der Tür. Da hatte ich wohl an die falsche Klingel gedrückt. Der Mann runzelte die Stirn und schloss seine Tür wieder. Ich nahm meinen Mut zusammen und klopfte an der zweiten Tür.

Chase öffnete mir die Tür und blieb abrupt stehen. Er starrte mich an, als wäre ich gerade gestorben und wieder zurückgekehrt. Ich lächelte ihn schüchtern an.

„Verlaufen?“, war seine einzige Frage.

„Ja“, gab ich kleinlaut zu. Er trat zur Seite und ließ mich hinein. Seine Wohnung sah von außen ziemlich klein aus, aber der Flur war ja schon riesig. Ich zog meine Schuhe aus und stellte erstaunt fest, dass er alleine wohnte. Die Wände waren kahl und in einem ziemlich neutralen Ton gestrichen. Chase schloss hinter mir die Tür. Er trug eine locker sitzende Jogginghose und ein bequemes Shirt. Er führte mich in ein großes, geräumiges Wohnzimmer, dass mit vielen modernen, und auch teuren, technischen Geräten bestückt war. Meinen Mantel legte ich über die Sofalehne und meine Tasche stellte ich daneben, bevor ich mich aufs Sofa setzte. Chase setzte sich neben mich.

„Ich denke, du wohnst in der Gegend?“

„Ich hab dich belogen. Hier war ich noch nie und ich weiß auch nicht, wie ich nach Hause komme!“

„Ruf deine Eltern an. Ich sage dir die Straße, in der sie dich abholen sollen“, bot er an, doch ich winkte ab. Ich wusste, dass Kate noch da war und so tat, als wäre alles quietschfidel. Ich kannte sie und ja, sie war so gemein.

„Nein, das will ich nicht. Außerdem ist mein Akku alle!“

„Gut, dann fahre ich dich!“

Skeptisch hob ich eine Braue. „Willst du mich loswerden?“

„Nein, ich hab nur keine Lust auf Ärger mit der Polizei.“ Sein Tonfall war ernst. Er sagte offenbar die Wahrheit.

„Kriegst du nicht. Ich bin schon öfter abgehauen und meine Eltern machen sich keine Sorgen. So hilflos bin ich dann doch nicht.“ Ich lächelte leicht, als ich mich an vorhin erinnerte, und entlockte auch ihm ein kleines Lächeln.

„Gut, du kannst hier bleiben.“ Er sah sich um, als suchte er was. „Macht es dir was aus, mit in meinem Bett zu schlafen?“

„Oh, ich kann auch die Couch nehmen!“, meine Antwort kam anscheinend viel zu schnell.

„Keine Sorge, ich tue nichts. Du willst nur nicht auf der Couch schlafen, glaub mir. In der Beziehung ist sie völlig unbequem.“ Er stand auf und ging in die angrenzende Küche, die durch einen Bogen vom Wohnzimmer getrennt war. „Kaffee?“

„Ohja, gerne!“ Ich sah mich im Wohnzimmer um. Es gab nur wenige Bilder, aber dafür hatte er eine große Sammlung von Büchern, die alle schon benutzt aussahen. Meine Neugierde packte mich und so stand ich auf.

„Du hast ganz schön viele Bücher“, bemerkte ich nach einer Weile, in der wir schwiegen. Plötzlich tauchte er neben mir auf, riss mich aus meinen Gedanken, und ließ mich zusammenzucken.

„Ich lese gern!“ Er hielt mir eine Tasse hin, die ich nur zu gern ergriff. Mir war gar nicht aufgefallen, dass mir so kalt war.

„Warum wolltest du mich vorhin loswerden?“, fragte er mich während er Feuer in einem ziemlich altmodischen, aber wunderschönem Kamin machte und ich mich auf die Couch setzte.

„Du warst mir unheimlich. Immerhin war es schon dunkel und du hast mich einfach angesprochen und mit mir geflirtet!“

„So jemanden wie dich kann man nur ansprechen“, meinte er mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen, als er sich zu mir setzte.

„Du tust es schon wieder, Chase.“

„Ja, und dabei kenne ich noch nicht einmal deinen Namen.“ Ich lächelte leicht. Ich wusste nicht, ob ich ihm sagen sollte, wie ich hieß, da ich nicht wusste, was genau er damit anstellen würde. Schließlich seufzte ich. „Alina. Meine Name ist Alina!“

„Ein sehr schöner Name. Er passt zu dir.“ Während er das sagte, sah er mir in die Augen und in seinen blitzte etwas für den Bruchteil einer Sekunde auf. Ich wusste nicht ganz was es war, aber es war faszinierend.

„Danke. Deiner passt auch zu dir.“ Jetzt grinste er und stand auf. Seine Tasse hatte er auf den Tisch gestellt.

„Komm mit. Ich zeige dir, wo das Bad ist und wo du schläfst.“ Er führte mich zu einem hochmodernen Bad. Ich musste mir merken, ihn zu fragen, ob er reich war oder nur eine Bank ausgeraubt hatte. Dieser Gedanke entlockte mir en Lächeln, das er zum Glück nicht bemerkte.

Sein Schlafzimmer war in einem dunkleren Ton gestrichen. Es war groß und ein riesiges Bett nahm viel Platz ein. Vorsichtig setzte ich mich darauf, man war das weich! Am liebsten würde ich jetzt sofort einschlafen, doch vorher wollte ich Chase noch ein paar Fragen stellen.

„Müde?“ Chase setzte sich neben mich. Ich nickte schläfrig. „Dann, schlaf!“ Ich schüttelte den Kopf und stand auf, ging ins Wohnzimmer zurück. Ich nippte an meinem Kaffee.

„Bist du zufällig reich oder hast du nur eine Bank ausgeraubt?“, fragte ich vorsichtig.

„Hast du deswegen vorhin gelächelt?“ Mist, es war ihm also doch aufgefallen. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Ja, ich bin reich.“

„Und warum wohnst du dann in so einer abgeschiedenen Gegend, wo dich jeder leichter überfallen könnte, als in der Stadt?“

„Hier ist es viel ruhiger als in der Stadt, und hier begegne ich auch nicht einer Familie!“

„Ah, okay..“ Ich wollte mich da nicht reinhängen und fragte deshalb auch nicht nach.

„Und vorhin wolltest du nichts schlimmes von mir?“, traute ich mich nun endlich zu fragen. Amüsiert schüttelte er den Kopf.

„Nein, ich finde dich hübsch und außerdem hat es mich neugierig gemacht, warum du so alleine bist...“ Wieder sah er mich erwartungsvoll an.

„Ich habe nur ein wenig Stress im Moment. Das ist alles.“ Ich senkte den Blick.

„Mit deinem Freund?“ Mein Kopf schoss in die Höhe und ich wurde purpurrot.

„Nein. Ich habe keinen Freund. Ich habe Zoff mit meiner besten Freundin und keiner versteht mich in der Sache.“

„Erzähl mir davon!“ Skeptisch runzelte ich die Stirn und hob eine Braue.

„Ich kenne dich nicht.“

„Mein Name ist Chase Trevane. Ich bin zwanzig Jahre alt und liebe Bücher und Computerspiele etc. Außerdem mag ich Tiere, insbesondere Hunde. Ja, das war’s.“ Er zuckte lässig mit den Schultern. Gut, er hatte mich überzeugt und so fing ich an die Geschichte zu erzählen.

 

„Wow, das ist echt scheiße“, sagte Chase, als ich fertig und mein Kaffee alle war. Daraufhin nickte ich nur.

„Und jetzt Du!“ Chase erzählte mir, dass seine Familie reich war, und obwohl sie Zoff hatten, hatte er eine beachtliche Summe geerbt, als seine Großeltern starben. Außerdem haute er mit sechzehn ab, suchte sich einen Job, in dem er übrigens megaerfolgreich ist, und seit zwei Jahren wohnte er in dieser Wohnung. Chase sprach in einem ernsten Tonfall, und doch war seine Stimme weich und sanft. Ich hörte ihm gerne zu, auch wenn ich ihn eben erst kennengelernt hatte.

„So schlecht klingt dein Leben gar nicht, Chase“, sagte ich lächelnd. Auch er lächelte.

„Nun ja, es ist nicht schlecht. Immerhin hab ich Geld, aber…“

„Aber was?“ Jetzt war ich neugierig.

„Aber wenig Freunde und keine Freundin!“

„Nun ja, manchmal sind Freunde schon sehr anstrengend, wie man an meinem Beispiel sieht.“ Ich grinste und sah ihm in die Augen.

„Du hast ein wunderschönes Lächeln, Alina.“

„Chase, du tust es schon wieder“, sagte ich augenverdrehend und grinste danach.

„Du bist die Erste, die das nicht mag.“

„Wie kommst du darauf, dass ich das nicht mag?“

„Du weist mich daraufhin und du machst nicht mit, Alina. Deswegen!“

„Ich werde jetzt ins Bett gehen, Chase. Gute Nacht!“ Ich stand lächelnd auf und ging ins Schlafzimmer. Da gab es nur noch ein Problem: Ich hatte keine Schlafsachen.

„Du kannst ein Shirt von mir haben!“ Ich zuckte zusammen und drehte mich zu Chase um. Er lehnte am Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt.

„Danke“, murmelte ich. Er bewegte sich geschmeidig zum Schrank und holte ein schwarzes Shirt heraus, das er mir zuwarf. Ich lächelte ihn dankbar an, doch er wollte einfach nicht gehen. Deswegen schob ich ihn aus dem Zimmer und lehnte die Tür hinter ihm leicht an.

Ich zog mich bis auf Unterwäsche aus und dann das T-Shirt über. Ich legte mich ins Bett, kuschelte mich in die Decke und schlief schnell ein. Ich war wirklich sehr müde.

Ich wurde wach, als sich die Matratze senkte und sich jemand über mich beugte. Ich wagte es nicht, meine Augen zu öffnen. Chase küsste sanft meine Wange.

„Gute Nacht, Alina“, murmelte er und legte sich dann hin. Ich lächelte, öffnete die Augen und sah zu ihm hinüber. Ich beugte mich über ihn und küsste ihn. Kurz und sanft.

„Gute Nacht!“ Dann drehte ich mich wieder um und schlief ein.

 

Als ich das nächste Mal wach wurde, schien bereits die Sonne, sofern ich das beurteilen konnte. Eigentlich musste ich ja in die Schule, aber ich hatte keine Lust. Also kuschelte ich mich wieder in die weiche Decke und das Kissen, als ich bemerkte, dass Chase seinen Arm um mich gelegt hatte. Ich verharrte.

„Chase?“, raunte ich. Zunächst kam nichts, doch dann hörte ich ein leises „Mhm“ aus seiner Richtung.

„Chase!“, flüsterte ich wieder, doch dieses Mal ein wenig lauter. Alles was er tat war, sich umzudrehen und weiterzuschlafen. Eigentlich hatte ich das ja auch vor, doch ich konnte nicht mehr, also stand ich auf und ging in die Küche. Ich hatte vollkommen vergessen, was ich anhatte, da es sich im Moment sehr bequem anfühlte.

In der Küche machte ich Kaffee, ich fand sogar Brötchen zum aufbacken, von denen ich gleich mehrere in den Ofen schob. Doch langsam war es zu ruhig. Also schaltete ich das Radio an, drehte es leise und schenkte mir Kaffee ein und Milch. In dem Moment spürte ich Chase‘ warmen Atmen im Nacken und versteifte mich.

„Chase!“, raunte ich und schon war er weg. Beruhigt drehte ich mich um. Doch er stand immer noch da. „Chase, was wird das?“, fragte ich ihn ernst, aber er sah mich nur an. Ich hob eine Braue.

„Was war das gestern Abend?“, konterte er mit einer Gegenfrage und zunächst wusste ich nicht, was er meinte. Als es mir langsam dämmerte, lief ich tiefrot an.

„Ich habe mich bloß dafür bedankt, dass ich hier schlafen durfte und du für mich da warst!“ Mutig sah ich ihm in die Augen und erkannte darin, dass er mir nicht glaubte. Ein bisschen sagte ich ja auch die Wahrheit, aber den größten Teil verschwieg ich ihm. Er schüttelte leicht den Kopf und nahm sich ebenfalls eine Tasse Kaffee. Ich beobachtete ihn von der Seite und lächelte etwas traurig, dennoch schwieg ich. Ich stellte den Kaffee auf den Tisch, holte die Brötchen aus dem Ofen und stellte sie zusammen mit Tellern, Messern, und allem was ich zum Bestreichen fand, ebenfalls auf den Tisch. Jetzt hob Chase eine Braue.

„Du hast Frühstück gemacht?“

„Klar, ich muss mich doch bei dir bedanken!“

„Hast du das nicht gestern Abend schon?“

Ich wurde wieder rot, und schwieg. Ich setzte mich an den Tisch und fing an zu essen. Grinsend setzte sich Chase mir gegenüber und tat es mir gleich.

Als ich fertig war, räumte ich ab, auch Chase‘ Zeug. So konnte ich mich wenigstens ablenken. Nachdem dies erledigt war, setzte ich mich im Wohnzimmer auf die Couch und nippte an dem Rest des Kaffees. Chase setzte sich neben mich. Man, der hatte ja Nerven! Das musste ich ihm lassen.

Ich schaltete den Fernseher ein und das Radio aus, warf einen Seitenblick auf den grünäugigen Jungen. Dieser lächelte und sah mich an.

„Gib’s zu!“

Verwirrt sah ich ihn an. „Was?“ „Du weißt, was ich meine! Also, gib es zu!“ „Ich weiß nicht, was du meinst!“

„Doch, du tust es. Also?!“

„Chase, hör auf mit dem Scheiß und sag mir was du willst!“

„Ich will, dass du es zu gibst!“

„Ja, was denn?“ Mit einem Mal beugte er sich rüber und küsste mich sanft. „Dass du mich magst“, flüsterte er lächelnd. Grinsend stieß ich ihn die Rippen, wobei mir auffiel, dass er nur eine Jogginghose trug und mein Blick wohl etwas zu lange an seinem Sixpack hängen blieb. Er kniff mich in die Seite, ich wiederrum boxte ihn in die Rippen, sprang auf und rannte ins Schlafzimmer. Grinsend schloss ich ab und zog mich an. Chase hämmerte von draußen gegen die Tür.

„Alina, mach auf!“ Ich hörte, dass er grinste. Also tat ich ihm den Gefallen, machte auf und ging in den Flur.

„Was hast du vor?“

„Ich will nach draußen“, antwortete ich grinsend.

„Warte einen Moment auf mich!“ Er verschwand im Schlafzimmer und ich zog mich komplett an, als ich mein Handy auf einem Schrank neben der Tür entdeckte. Es steckte an einem Ladegerät. Ich zog es ab und steckte es ein.

„Du hast mein Handy geladen?“

„Ja, ich habe es gestern Abend gefunden und du hattest erwähnt, dass es leer wäre.“

„Oh, Danke!“ Ich lächelte ihn an und öffnete die Tür. Sie war erstaunlicherweise nicht abgeschlossen, also ging ich raus und wartete dort auf ihn. Er trug einen dicken Mantel, Handschuhe, Schal, Mütze und eine einfache Jeans.

„Wohin?“, fragte er, während er abschloss.

„Zum Spielplatz?“ Er nickte, dann führte er mich dorthin, da ich keinen Plan hatte, wie ich dorthin gekommen war. Ich wusste noch nicht einmal ansatzweise, in welcher Richtung der Spielplatz lag. Dort angekommen, setzten wir uns auf die Schaukel und schwiegen. Nach einer Weile zog ich mein Handy heraus und rief John an. Es war zwar gegen zwölf Uhr am Morgen, aber ich wusste, dass er gerade Freistunde hatte.

„Hey, Kleines“, meldete er sich fröhlich.

„Hey. Wie geht es dir?“

„Eigentlich sollte ich dich das fragen. Du bist immer noch nicht aufgetaucht. Aber, mir geht es gut!“

„Ich brauche Zeit für mich. Und keine Sorge mir geht es gut“, ich warf einen Blick auf Chase, der mich ansah, und lächelte, „Mir geht es Bestens, John!“

„Das hoffe ich doch. Kate wohnt immer noch bei deinen Eltern.“

„Das war mir klar. Die wird sich nicht so leicht vertreiben lassen.“

„Ich habe July gesagt, was vorgefallen ist. Sie will dich sehen!“ Ein Lächeln trat auf meine Lippen.

„Ich komme bald nach Hause. Nur keine Sorge.“

„Bei wem bist du denn überhaupt untergekommen?“

„Das werde ich dir nicht verraten. Ich weiß, dass du mich suchen würdest. Und das will ich nicht! Aber, ich danke dir.“ „Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Ich danke dir dafür, dass du mich nicht komplett verraten hast. Ich hab dich lieb.“

„Ich dich auch, aber ich muss jetzt auflegen. Ruf mich heute Abend noch einmal an, okay? Bis dann!“ Und schon hatte er aufgelegt. Ich sah zu Chase.

„Wer ist John?“, fragte er sanft, aber brachte mich dennoch zum Grinsen.

„Der Freund meiner Schwester. Eifersüchtig?“

„Nein, nur neugierig“, entgegnete er grinsend und sah zum Himmel. Ich folgte seinem Blick. Es schneite immer noch. Wie lange es wohl noch schneien würde. Auf einmal stand er auf und kam zu mir rüber. „Dir geht es also Bestens?“ Ich nickte eifrig. Er hielt mir seine Hand hin, die ich mit klopfendem Herzen ergriff, und zog mich hoch. Lachend drehte er mich im Kreis, sodass meine Wangen rot wurden vor Kälte. Ich küsste ihn sanft. Danach sah ich ihm lächelnd in die Augen.

„Du hast da eine Schneeflocke auf der Wimper, wisperte er und küsste sie sanft weg, als ich meine Augen schloss.

„Meine kleine Snowflake“, murmelte er lächelnd und küsste mich wieder.

„Es wird kalt“, entgegnete ich grinsend und löste mich aus seiner Umarmung. Grinsend ging ich zu seiner Wohnung. Er folgte mir und trat neben mich, nahm meine Hand.

Als wir seine Wohnung betraten, klingelte mein Handy. Es war Kate. Ich zögerte, doch dann nahm mir Chase die Entscheidung ab, nahm mir das Handy aus der Hand und ging ran.

„Alina kann gerade nicht reden. Wenn du dich bei ihr entschuldigen willst, musst du wohl warten, bis sie wieder da ist. Und ich würde dir raten, dich zu entschuldigen, sonst kriegst du es mit mir zu tun!“ Damit legte er auf und ich konnte ihn nur fassungslos anstarren.

„Wieso?“

„Weil sie das verdient hat und du ein zu gutes Mädchen bist, Alina. Du würdest ihr einfach so verzeihen und sie würde dich wieder verletzten!“ Ich war den Tränen nahe. Er hatte so Recht und zog mich in eine Umarmung. Chase war gute eins fünfundachtzig groß, wobei ich eher klein war. Ich fühlte mich bei ihm sicher.

„Vergiss sie für ein paar Tage, okay?“ Ich nickte. „Willst du duschen gehen?“ Wieder nickte ich. Er ließ mich los und legte mir alles zurecht. Ich zog meine Jacke, meine Schuhe und meine Handschuhe aus. Dann ging ich ins Bad und küsste ihn auf die Wange. Er drehte sich zu mir und küsste mich leidenschaftlich. Ich biss ihm sanft auf die Lippe.

„Raus“, flüsterte ich grinsend und schloss die Badezimmertür hinter ihm.

 

Als ich fertig war mit duschen, ich hatte mir sehr viele Gedanken gemacht, darüber wie es weiter gehen sollte, gesellte ich mich zu Chase. Er saß in seinem Arbeitszimmer. Es war in einem schlichten weiß gestrichen und es gab dort eine Fotos aus seiner Kindheit.

„Chase?“ Er sah von seinem Laptop auf und zog mich auf seinen Schoß.

„Das ging aber schnell!“

„Ja, ich brauche bei so etwas nicht solange.“ Er fummelte an meinem Dutt rum, den ich mir kurzerhand gemacht hatte und öffnete ihn.

„Mit offenen Haaren siehst du viel schöner aus.“

„Ja, aber die sind nass, Chase“, beschwerte ich mich mit einem Schmollmund.

„Das ist egal.“ Er lächelte und küsste mich auf die Wange.

„Was machst du da?“, fragte ich und warf einen Blick auf seinen Laptop.

„Arbeiten. Ich muss noch ein paar Berichte für meinen Chef schreiben.“

„Gut. Dann mache ich uns etwas zu essen. Ich hoffe du stehst auf Nudeln“, sagte ich grinsend und ging in die Küche. Also, das könnte ich echt den ganzen Tag machen. Und es würde mir sehr viel Spaß machen.

 

„Komm schon, Süße! Für mich.“

„Na gut. Aber, wenn ich beschimpft werde, schiebe ich es auf dich!“ Triumphierend umarmte Chase mich. Es waren zwei weitere Tage vergangen, seit ich John angerufen hatte. Seitdem hatte ich nicht mehr mit ihm gesprochen und Chase fand, dass es an der Zeit war, wieder nach Hause zu gehen.

„Und du willst mich echt nicht loswerden?“

„Nein, Alina, will ich nicht.“ Er grinste frech und schulterte seinen Rucksack. Ich hatte darauf bestanden, dass er wenigstens mitkam und ein paar Nächte bei mir verbrachte, denn er hatte mir versichert, dass er von zu Hause aus arbeitete und so nur selten zu seinem Chef musste.

„Bereit?“

„Klar, Prinzessin!“ Er hielt seinen Autoschlüssel hoch, nur hatte ich sein Auto noch nie gesehen. Ich ging mit ihm raus und folgte ihm dann zu der Garage, die hinter dem Haus lag. Dort standen zwei Autos: Ein alter VW und ein moderner Dodge.

„Ich schätze der VW gehört deinem Nachbarn“, stellte ich fest.

„Bingo! Der Wagen von mir hat mehr PS!“ Er grinste und stieg ein. Ich ließ mich neben ihn auf den Sitz sinken und sagte ihm, wo er hinfahren musste.

„Also, Alina. Wie alt bist du nochmal?“

„Siebzehn!“ Ich grinste breit.

„Kannst du schon Auto fahren?“ Er hob eine Braue und grinste leicht.

„Ja, aber ich schätze, du würdest mich nicht mit deinem Auto fahren lassen, Schatz!“ Ich lachte leise. Ich konnte nicht wirklich gut fahren, aber immerhin noch so gut, dass ich sicher durch den Verkehr kam.

Als wir vor der Wohnung meiner Eltern hielten, sah ich Chase an.

„Sie werden uns Fragen stellen.“

„Ja, das weiß ich.“

„Sie werden dir sagen, dass du mich hättest zurückbringen müssen.“

„Ja, das weiß ich.“

„Gut, bist du dann bereit, oder wollen wir lieber wieder fahren?“

„Ich bin bereit.“ Chase sah völlig lässig und locker aus. Ich war angespannt. Schlimm genug, dass ich mich nicht gemeldet hatte, ich brachte auch noch einen Wildfremden mit nach Hause.

Wir stiegen aus, Chase schloss den Wagen ab, und dann gingen wir hoch. Als ich die Wohnung betrat, kam meine Mum um die Ecke und umarmte mich fest.

„Oh, Schatz. Wie schön, dass du wieder da bist.“

„Ich hab dich auch vermisst, Mum.“ Ich erwiderte ihre Umarmung. Danach warf sie einen misstrauischen Blick auf Chase.

„Mum, das ist Chase. Mein Freund. Chase, das ist meine liebenswerte Mum!“ Ich lächelte, während die Beiden sich die Hände gaben.

„Alina!“ Meine Schwester kam angerannt und umarmte mich ebenso sehr wie zuvor meine Mutter. Wieder erwiderte ich die Umarmung.

„Warum hast du dich denn nicht gemeldet? Wir haben uns Sorgen gemacht, Süße.“

„Du meinst wohl, Du hast dir Sorgen gemacht, Schatz“, erwiderte John, der July auf die Wange küsste und einen Arm um ihre Schulter legte. Dann sahen sie zu Chase.

„John, July, das ist Chase. Und das sind meine Schwester July und ihr Freund John.“

„Hi Chase. Komm doch rein“, begrüßte ihn meine Schwester und winkte ihn herein. Ich schloss hinter Chase die Tür.

„Wo ist Dad?“, fragte ich nun.

„Arbeiten. Er hat diese Woche Montage, obwohl er sich freut, dich endlich wiederzusehen.“ Ich nahm Chase die Jacke ab, während meine Mutter mit mir redete und hängte sie im Flur auf. Dann nahm ich seine Hand und ging mit ihm ins Wohnzimmer. Dort saßen auch noch William und Kate. Die zwei hatten mir gerade noch gefehlt!

William sprang direkt auf und umarmte mich stürmisch. „Mensch, Süße. Warum rennst du denn immer weg? Wir haben uns solche Sorgen gemacht, dass dir was passiert sein könnte. Wir wollten sogar die Polizei rufen, aber dann hast du dich ja gemeldet!“ Er löste sich von mir und küsste mich auf die Wange, sodass ich rosa anlief. William warf einen Blick auf Chase. „Und wer ist DAS?“

„Das ist Chase. Mein Freund. Chase, das ist William, ein Kumpel von mir.“

„Und ich schätze die reizende Dame, die noch fehlt ist Kate“, sagte Chase eiskalt und ignorierte William vollkommen. Kate stand auf und kam zu uns.

„Alina. Du darfst nie wieder davonlaufen, hörst du?“

„Du hast mir gar nichts zu sagen, Kate. Du bist nicht meine Mutter.“

„Ach Alina…“ Sie sah zu William und flüsterte ihm etwas ins Ohr. „Ach, das ist der Kerl, der dich so angepöbelt hat?“, knurrte William. Ich runzelte die Stirn, doch bevor ich realisieren konnte, was danach passieren würde, schlug Will auch schon zu. Man, hatte der einen Beschützerinstinkt, wenn man bedachte, wen er beschützte.

Chase bekam einen Schlag in den Magen ab, doch den nächsten Schlag fing er ab und drehte seinen Arm auf seinen Rücken.

„Ich habe sie nicht angepöbelt, Kumpel. Ich habe ihr gesagt, was ich von ihr halte“, knurrte Chase. Ich berührte sanft seinen Arm.

„Chase. Lass ihn los. Er hat nicht die geringste Ahnung, Schatz“, murmelte ich. Er sah mich kurz einen Moment zögernd an, doch dann ließ er ihn los. Ich lächelte und zog ihn mit auf die Couch. Dort setzten wir uns.

„Also, Kate. Hast du was zu sagen?“, wandte sich Chase mit seinem eiskalten Ton an Kate. Diese sah kleinlaut drein.

„Ja, also… Gut. Alina, es tut mir Leid. Ich wollte das alles nicht. Glaub mir.“ Unsicher sah ich zu Chase. Er stieß mich sanft in die Seite und nickte.

Ich sah zu Kate. „Okay, Entschuldigung angenommen. Ich will aber immer noch Abstand, also nur normalen Freundinnenstatus.“

„Geht klar. Ich will das auch nur!“ Sie lächelte und setzte sich mit Will aufs Sofa. John grinste.

„Gut, wie wäre es mit einer Runde Monopoly?“, fragte er frech und breit grinsend. July und ich lachten leise, aber immerhin stand sie auf und holte das Spiel heraus.

„Also, Chase. Wie alt sind Sie denn?“, fragte meine Mutter.

„Zwanzig, Ma’am. Im November werde ich einundzwanzig.“ Meine Mutter sah mich kurz an.

„Sie wissen aber, dass Alina erst siebzehn ist?“

„Ja, das weiß er Mum, aber nicht mehr lange.“ Ich grinste.

„Wann hast du Geburtstag?“, fragte mich Chase und mit meinen Lippen formte ich lautlos das Wort Januar. Er nickte und küsste mich sanft.

In der Zeit hatte John alles aufgebaut. Also fingen wir, nach einer Diskussion, wer welche Spielfigur bekommt, an.

 

 

Zwei Wochen später:

„Also, los geht’s!“ Ich lachte, während Chase losfuhr, gefolgt von Will, Kate, July, John und meinen Eltern. Heute war unser letzter Schultag und jetzt gab es erst einmal Weihnachtsferien. Und da ich in den letzten Wochen so lieb war, durfte ich aussuchen, wo wir heute hinfahren würden. Ich hatte mich für Bowling entschieden. Und der Höhepunkt war ja noch, dass Chase uns alle einlud.

So konnten die Ferien doch beginnen.

Impressum

Texte: @ Lea Vanessa L.
Bildmaterialien: @ Lea Vanessa L.
Tag der Veröffentlichung: 20.04.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Familie!

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