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Einziges Kapitel

Ich liebe die Einsamkeit. Menschen sind.. einfach nicht mein Ding. Immer wieder habe ich in den Jahren, in denen ich erwachsen wurde, versucht ihnen eine neue Chance zu geben, was letztlich, jedes verdammte Mal, in einer Enttäuschung endete. Wenn ich durch die Strassen meiner Heimat gehe, begegne ich anderen lediglich mit Desinteresse und Genervtheit. Ich habe sie alle so satt. Ihre kleinen Dramen und ihr lächerliches Geplapper, über immer dieselbe unwichtige Scheisse, ist für mich pure Folter. Es gibt einige, wenige Menschen mit denen ich mich gelegentlich umgebe. In den letzten Monaten, haben aber auch diese Treffen stark abgenommen und ich bleibe meistens zu Hause. Ich lese, schreibe Geschichten, ziehe mir Filme rein, besaufe mich oder zocke stundenlang Games aus meiner Kindheit, bis mir die Augen zufallen. Die Nostalgie wirkt tröstend auf mein Gemüt. Vor Kurzem habe ich auf Youtube ein Video gesehen, indem ein Typ mit einem Metallsuchgerät, alte Schotterpfade abgesucht hat. Das hat mich direkt interessiert und ich dachte "Was soll's?", kaufst du dir so ein Ding und probierst es mal aus. Es schien perfekt für mich: Ich komme raus, tue etwas für meinen Körper und kann allein die Ruhe der Natur, die meinen Wohnort umgibt, geniessen. Eine Woche nachdem ich mir das Gerät bestellt hatte, stand das Packet auch schon vor meiner Tür. Es hatte stark geregnet und so verbrachte ich den restlichen Tag damit, mich über mein neues Hobby zu informieren. Nach einer letzten Runde Goldeneye auf meinem Nintendo 64 ging ich schlafen.

 

Die warmen Sonnenstrahlen, die am nächsten morgen durch das Fenster meines Zimmers schienen, streichelten mein Gesicht und weckten mich sanft aus meinem Schlaf. Es ging mir ziemlich gut für meine Verhältnisse und ich machte mich am Nachmittag gespannt auf den Weg in das nahe gelegene Waldstück. So ein Gefühl hatte ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr. Ihr kennt es, da bin ich mir sicher. Diesen Nervenkitzel, wie bei einer Schatzsuche als wir noch Kinder waren. Das habe ich vermisst. Im Allgemeinen, war es schön mal etwas anderes als Wut, Trauer, Verwirrtheit und Pessimismus zu fühlen. Ich folgte einem, von Gestrüpp und allerlei Gewächsen umgebenen Pfad durch die Bäume, blieb dann auf einer kleinen Lichtung stehen und horchte der Ruhe. Ich empfand es immer so, als würde sie sich wie eine gemütliche Decke um mich legen und mich willkommen heissen. Als würde sie sprechen und sagen: »Schön dass du wieder da bist.«


»Hey du! Was machst du da?!«, ertönte eine gehässige Stimme, ein paar Meter hinter mir. Ich schloss für einen Augenblick genervt meine Augen und drehte mich zu dem Störenfried um. Vor mir stand ein älterer Mann, so um die 60 Jahre alt. Er hatte einen jungen Dackel an der Leine und lehnte herausfordernd, mit verschränkten Armen, an einer schmalen Birke. Man musste kein Sherlock Holmes sein, um zu erkennen, dass er in Kürze einen Versuch startet, mich zu belehren. Ich versuchte höflich zu bleiben und fragte mit Ausdruckslosem Gesicht: »Ja? Was möchten Sie von mir?« Selbstgefällig gab er einen Lacher von sich. Er verwechselte wohl meine Höflichkeit, einem älteren Menschen gegenüber, mit Unterwürfigkeit, wodurch sich sein Ego im Glauben bestärkt fühlte, mir überlegen zu sein.

»Das ist ein Metallsuchgerät, nicht? Hast du eine Lizenz dafür? Ausserdem gehört dieser Wald Mr. James! Hast du ihn gefragt ob du seinen Grund und Boden absuchen darfst?« Es fiel mir schwer nicht einfach wegzulaufen. Wenn ich etwas mehr hasse als jemanden, der mich von der Seite anquatscht, dann ist es definitiv, mich vor diesem Jemand auch noch rechtfertigen zu müssen. Abermals blieb ich gelassen: »Weder habe ich eine Lizenz, noch habe ich ihn gefragt.«

»Aha, aha! Wenigstens bist du ehrlich. Ich lasse dich dieses Mal laufen, aber wenn ich dich hier nochmal ohne Lizenz oder Erlaubnis antreffe gibt es Ärger, Junge. Verstanden?«

»Auf jeden Fall, Sir!«, bejahte ich laut. Ich hoffte, er würde den sarkastischen Unterton bemerken und sich fürchterlich darüber aufregen wenn er wieder geht. Futter für seinen Verstand. Etwas misstrauisch, verabschiedete er sich von mir und lief in die entgegengesetzte Richtung auf den Waldrand zu. Wütend darüber, in meiner Ruhe gestört worden zu sein, blickte ich ihm hinterher. Die nächsten Minuten, bemühte ich mich damit, meine Innere Stimme im Zaum zu halten und doch schaffte es dieser Typ, dass ich mich weiter und weiter in den Wald begab, um unter keinen Umständen wieder auf Menschen zu treffen, die mir meinen Tag versauen wollen.


Endlich war ich wieder allein. Keine Seele weit und breit. Ich konzentrierte mich wieder auf mein neues Spielzeug und drückte gespannt den "Power-Knopf".. Nichts.

»Verdammt, was ist denn jetzt?« Ach ja, ich hatte ganz vergessen die Batterien einzusetzen. Zum Glück habe ich sie in meinen Rucksack gepackt. Ich schwang ihn von meinem Rücken und setzte ihn auf den, von brüchigen Blättern und Ästen übersähten, Waldboden. Einen Moment später war die Metallsonde funktionstüchtig und ich setzte die billigen Kopfhörer auf, die mitgeliefert wurden. Stolz belächelte ich das Geräusch, dass das Gerät von sich gab, als es hochfuhr. Endlich konnte ich beginnen. Mit Freude machte ich die ersten Schritte. Ich horchte auf ein Fund-Geräusch, während ich den Boden absuchte. Ich schwenkte die Sonde über einen kleinen Bereich, nahe einer Feuerstelle und bemerkte wie auf dem Display, das Raster "Rings" immer wieder aufleuchtete. Hastig kramte ich eine kleine Schaufel aus meinem Rucksack und fing an ein Loch auszuheben. Schritt für Schritt suchte ich eine Handvoll Erde nach dem Fund ab und dann fand ich es. Es war.. Ein altes, gelbliches Kügelchen Alufolie.. Feuerstellen eignen sich wohl nicht so gut als potenzielle Fundorte. Naja, was soll's? Das ist sicher normal, dass man auch viel Müll findet. Ich steckte es trotzdem ein. Wenn ich schon keine Erlaubnis habe, kann ich wenigstens etwas für den Wald tun. Ein gutes Argument für die nächste humanoide Störung, dachte ich. Frohen Mutes packte ich mein Zeug zusammen und entfernte mich von dem abgesuchten Bereich. Es dauerte nicht lange bis ich auf ein neues Gebiet traf, das geeignet schien und machte mich ans Werk. Ich ging hin und her, blieb dann vor einem Hügel, aufgestapelter Holzstücke stehen und stutzte. Die Metallsonde schlug wie wild aus.

 

»Was zum? Das Teil muss ja riesig sein.«, bemerkte ich verwundert und packte eifrig, einige der Holzstücke beiseite, die auf einem Teil der angezeigten Fläche ruhten. Ich hob gefühlte 10 Minuten lang eine riesen Grube aus und kam mir dabei vor, wie die Leute in den Filmen, die ihr eigenes Grab schaufeln. Völlig verschwitzt und ausser Atem betrachtete ich eine massive Metall-Luke, ca. 60 cm unter der Oberfläche. Sprachlos schaute ich umher. Es klingt so gar nicht nach mir, aber ich hätte mir schon fast gewünscht, dass jemand in meiner Nähe wäre, um zu sehen, was ich gerade gefunden hatte. Ich überlegte einen Augenblick, starrte auf die Luke und umschloss dann den Griff mit beiden Händen. Mit einem lästigen Quietschen, öffnete sie sich gegen oben hinweg, riss winzige Wurzeln und Erde mit sich und offenbarte eine rostige Treppe. Sollte ich es wagen? Zuerst jemandem davon erzählen? Vielleicht war ja, der alte Knacker noch in der Nähe.

»Ach scheiss drauf, die würden mir nur alles wieder kaputt machen!«, zeterte ich und stieg die Stufen hinab. In dem Bunker war es, wie man erwarten würde, sehr dunkel. Nicht so dunkel, dass ich nichts mehr erkennen konnte, denn das Tageslicht schien ja noch durch die Öffnung. Begleitet von Stille und leichtem Unbehagen, machte ich einige Schritte.

 

»Oh mein.. Gott..« Mein Blick fiel auf die Umrisse eines rundlichen Tisches, auf dem Spielkarten verstreut waren. In der Mitte lag ein Stein, der ein seltsam rötliches Licht absonderte und genug hell war, um das umliegende Gelände zu beleuchten. Auf den beiden Stühlen unweit vom Tisch entfernt, sassen in unnatürlicher Haltung.. zwei vermoderte Personen. Stellen ihrer Haut offenbarten bereits die Knochen. Ihre Kleidung, dreckig und verwittert, erinnerte mich an Videos, die ich über das frühe 20. Jahrhundert gesehen hatte.

 

Diese Leichen mussten Jahrzehnte hier unten verweilt haben. Etwas angeekelt und verstört näherte ich mich ihnen vorsichtig. Dieser Stein.. Ich wollte ihn mir genauer ansehen und nahm ihn in meine zittrige Hand. Er fühlte sich sehr angenehm an und es wirkte fast so, als würde das Ding aus einem nicht-festen Material bestehen. Mit funkelnden Augen und wie in Trance begutachtete ich ihn eingehend. Dann hörte ich etwas. Ein leises Flüstern, das den dunklen Raum erfüllte. Verängstigt legte ich den Stein vorerst zurück, doch das Geräusch blieb bestehen. Ich untersuchte weiter den Tisch. Vor der einen Leiche befand sich ein Zettel und ich konnte den Text in dem schwachen Schein des Steins entziffern.

»Lieber Leser. Wenn du das liest, werden ich und Colin kein schöner Anblick mehr sein. Ich.. Ich werde schwächer. Und ich weiss ich werde sterben, während ich diese Zeilen schreibe. Wir haben uns hier eingeschlossen, in der Hoffnung versteckt zu bleiben so lange es geht. Wie können es nicht zerstören.. Es töten. Ich will nur das es aufhört! Es ist in mir.. In uns.. Wahnsinnig macht es mich und ich kann.. Es kann die Zeit verändern, die Umgebung beeinflussen.. Ich weiss nicht mehr, was.. Es ernährt sich. Der Tag, er.. Er wiederholt sich! Immer wieder. Immer wieder, wieder und wieder. Bin so verwirrt, verwirrt.. Bitte, du musst.. Verlasse diesen Ort und sorge dafür, dass ihn niemals jemand findet. Höre mir genau zu, es geht um dein Leben. Erstens: Fass den Stein nicht an! Zweitens: Wenn du das schon getan hast, hast du 4 oder 5 Minuten um den Wald zu verlassen! Es darf dich nicht kriegen oder.. gefangen.. Zeit.. Ewigkeit.. musst sterben.. befreit. Sag Linda.. ich liebe.. mir so Leid..«

 

Der letzte Teil des Textes war extrem unleserlich und brach dann einfach ab. Vier Worte zogen alle meine Aufmerksamkeit auf sich. Den Stein nicht berühren.. Ich.. Ich musste weg! Schnell! Von Panik ergriffen wirbelte ich herum und wollte zum Ausgang eilen, doch stattdessen blieb ich erstarrt stehen. Etwas.. Hielt mich fest. Das Flüstern in der Finsternis wurde lauter. Es dröhnte in meinem Schädel und ich presste meine Handflächen so stark auf die Ohren wie ich nur konnte. Die Atmosphäre fing an zu flimmern, ich konnte mich nicht mehr halten. Mit einem lauten Knall, knickte ich ein und schlug mit meinem Kopf auf dem kalten Kellerboden auf. Meine Sicht wurde langsam trübe und ich trieb, schwer atmend, ab. Ein plötzliches Krachen – Ich fuhr hoch und schaute im Raum umher. Pure Dunkelheit um mich herum. Die Luke stand noch offen und nur ein schwacher Mondschein, beleuchtete allein die Treppe. Nervös tastete ich meine Hose nach meinem Feuerzeug ab und entfachte die Flamme. Leise, abrupte Geräusche und stöhnen liessen mich immer wieder zusammenzucken. Ich erkannte den Tisch wieder und auch der Stein war noch da, der seine Leuchtkraft gänzlich verloren hatte. Die Stühle.. die Stühle waren umgekippt und.. die Leichen lagen reglos vor ihnen. Entsetzen breitete sich in meinem Körper aus, als sich eine von ihnen zu bewegen begann, mir ihren herunterhängenden Kiefer entgegenstreckte und mich aus leeren, blutenden Augenhöhlen heraus anstarrte. Ich wich ein paar Schritte zurück, stolperte beinahe über meine eigenen Füsse und sprintete zum Ausgang der Luke.

»Fuck, fuck, fuck! Was passiert hier?!«, fluchte ich ungezügelt, während die schwere Luke mit einem Knall zuklappte und das Knacken und Stöhnen der Toten unter sich begrub. Ich blickte mich hilflos um. Der Wald.. er schien.. anders. Kein Lüftchen, keine Eulen oder zirpende Grillen. Der Stapel Holzstücke, meine Metallsonde, mein Rucksack - alles weg. Auch die Bäume an sich waren falsch. Es waren alle dieselben, als hätte man sie in die Welt hineinkopiert. Ausserdem befanden sich alle in exakt gleichem Abstand zu einander. Sie zogen sich endlos weiter, ich konnte kein Ende erkennen.

 

Verzweifelt stellte ich fest, wie das leise Flüstern zurück kam und die absolute Stille unterbrach. Zwischen den Stämmen schien nun ein leicht rötliches Licht hindurch und bewegte sich, schwebend, in meine Richtung. Hypnotisiert beobachtete ich das Phänomen, bevor es hinter einem der Bäume stehen blieb. Mein Mund öffnete sich leicht und meine Augen weiteten sich, als ich mit Grauen, der hässlichen, blutigen Fratze entgegenblickte, die allmählich hinter dem Stamm hervorragte und mich aus unheimlich schimmernden, runden Augen anglotzte. Es öffnete seinen entstellten Schlund, stiess ein lautes Stöhnen aus, das meine Gefühle konfus durcheinanderwirbelte und mich dazu bewegte, schreiend das weite zu suchen. Aber wo sollte ich hin!? Überall waren nichts als Bäume! Ich rannte und rannte, verfolgt von einem geisterhaften, roten Schleier, der mich umkreiste, wie ein Jäger, der mit seiner Beute spielt. Schliesslich hielt es meine Raucherlunge nicht mehr aus und ich musste stehen bleiben. Machtlos und am Ende, sah ich dem Licht zu, wie es näher und näher kam. Es schoss durch mich hindurch und ich fiel benommen auf den Rücken. Der Geist kreischte und drückte mich nach unten, während ich versuchte mich zu befreien. Ich hatte keine Chance. Sein mit Schleim und Blut verschmiertes Gesicht näherte sich und seine Augen fingen an sich zu verdrehen, als würde es unerträgliche Qualen erleiden. Ich schrie ein letztes Mal bekümmert auf, bis eine rauchige, pechschwarze Fontäne, aus seinem Rachen, in meinen schoss, mein Inneres erfüllte und tollwütig an meinen Eingeweiden zehrte. Unter furchtbaren Schmerzen verlor ich erneut das Bewusstsein.

 

Die warmen Sonnenstrahlen, die am nächsten morgen durch das Fenster meines Zimmers schienen, streichelten mein Gesicht und weckten mich sanft aus meinem Schlaf. Es ging mir ziemlich gut für.. für.. Irgendetwas war anders.. Ich.. fühlte mich, als wäre ich schon.. Naja egal, ist sicher nur eine Verstimmung. Jedenfalls machte ich mich am Nachmittag, gespannt auf den Weg in das nahe gelegene Waldstück.

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Tag der Veröffentlichung: 01.08.2019

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