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L3Cram


Überlege einmal, bevor du gibst,
zweimal, bevor du annimmst,
und tausendmal,
bevor du verlangst.

Marie von Ebner-Eschenbach


Bereits erschienene Bücher:
2009/Vertraute Wesen, gefährliche Liebe –Band I
www.mbverlag.com
2010/Pferdestriegel,
www.wagner-verlag.de
2011/Vertraute Wesen, gefährliche Liebe – Band II Vertrauen,
www.neuautoren-verlag.de
näheres unter: www.gerigkbuecher.de.vu


L3CRAM
Dämonenblut zerissenen von Hass und Liebe


Der Gargoyle

Am Tag verweilt der Gargoyle als Steinsäule und bei Sonnenuntergang streift er als steinerner Dämon durch die Nacht. Bevorzugter Ruheplatz der dämonisch aussehenden Wesen ist auf einem Dach.
Wenn der Gargoyle nach dem Erwachen bewegungslos da sitzt und seine Augen geschlossen hält bemerken die Menschen wahrscheinlich nicht dass der Dämon soeben erwacht ist. Ausser er achtet auf das Geräusch das einem Kieselsteines der einen Weg entlang rollt ähnelt. So in etwa klingt es wenn der Gargoyle zum Leben erwacht. Normaler Weise öffnet der Gargoyle zuerst langsam und behutsam seine Augen. Er ist vorsichtig da er ja nie weiss was ihn erwartet. Das dicke Blut fliesst durch seine steinernen aussehenden Adern. Das Herz schlägt langsam, fast zäh fliesst das Blut und der steinerne Körper wird von eigenartiger wärme durchströmt. Der Gargoyle sieht fast genauso versteinert aus wie am Tag. Regen prallt an seiner Basalthaut ab.
Sie sehen aus wie Monster der Nacht!
Die Basalthaut mit den dunklen Adern, fühlt sich seltsam dick und ledrig an. Durch die dicke, ledrige Haut ist er nicht leicht zu verletzen. Wenn er nachts durch das Dickicht streift können ihm die Sträucher nicht viel anhaben. Die feinen Narben verheilen rasch, man kann dabei schon fast zusehen. Bei grösseren Wunden braucht der Gargoyle nur einen Tag als Statue zu verweilen und wenn er dann wieder erwacht ist die Verletzung weg. Vielleicht bleibt eine Narbe zurück, vielleicht auch nicht.
Wenn die Nacht schon bald vorüber ist, sitzt der Gargoyle bei Sonnenaufgang wieder anstaltslos an seinen ausgesuchten Platz. Er blickt mit seinen dunklen Rubinroten Augen – genannt Feueraugen - dem Sonnenaufgang entgegen und spürt wie sein Herz Stück für Stück langsamer schlägt bis es völlig verstummt. Die Verwandlung ist nicht schmerzhaft. Der Gargoyle fühlt sich von Mal zu Mal schläfriger bis der kalte Stein gänzlich von ihm Besitz ergreift.
Der Tag wird zur Nacht und die Nacht zum Tag.
Wenn sich jemand die Zeit nehmen würde einen Gargoyle näher kennen zu lernen würde er bemerken dass es friedvolle Lebewesen sind. Ihr äusseres trügt und wird ihnen in keinster Weise gerecht. Es gibt Gargoyles die nach dem erwachen etwas rotstichig wirken. Andere haben einen leichten grünen schimmer und andere sehen einfach wie eine Lebendige Steinsäule aus und andere sind sogar mit etwas Mos überwachsen. Vereinzelte Gargoyles tragen kleine Flügel auf ihren Schultern.
Aber eines haben alle Gargoyles gemeinsam: Sie können mit ihren Klauen spielend an jeder Wand hinauf- sowie hinunterklettern und ihre Rubinaugen leuchten im Dunkeln ausserdem sehen sie sehr, sehr weit und scharf.
So können sie jedem Ärgernis aus dem Weg gehen wenn sie dies wollen. Denn der Gargoyle meidet normalerweise jeden Streit. Ein Gargoyle wird nie mit einem Streit beginnen wenn er anders zu lösen ist. Würden die Menschen ihre Augen öffnen könnten sie in einem Gargoyle einen wirklichen Freund finden. Dann hat der Gargoyle seine Bestimmung gefunden. Sie sind gute und loyale Wächter. Doch belüge nie einen von ihnen, denn dann hast du ihn mit Sicherheit zum letzten Mal gesehen, sie hassen Ungerechtigkeit.


Lecram

Die Sonne macht gerade Platz für die Nacht als der Dämon Lecram zum Leben erwacht. Regungslos hockt er auf dem Dachvorsprung des Hauses auf dem Weingut das seine Eltern bewirtschaften. Seine Augen hat er noch geschlossen da er vorab die Gegend abhört. Sicher ist sicher, er hat keinen Bock auf Überraschungen. Danach öffnet er langsam seine feurigen Augen. Gedankenversunken starren die Feueraugen weit in die Ferne und seine Klauen krallen sich in das Dach.
Lecram stöhnt auf da heute sein neunzehnter Geburtstag ist. Seine Gedanken schweifen darüber warum er in Gottes Namen verflucht ist als Dämon der Nacht sein Unwesen zu Treiben. Sein Zwillingsbruder Marcus – sowie seine Eltern - sind Menschen aus Fleisch und Blut. Nur ihn hat der dämliche Fluch getroffen für drei Wochen im Monat dieses steinerne verhasste Ding zu sein. Nur eine Woche ist er ein Mensch. Es schmerzt ihn Tag für Tag dieses steinerne Monster zu sein.
In seiner Familie gibt es so viele Ungereimtheiten und wenn es nach seinem Instinkt geht lügen seine Eltern wie gedruckt. Was sein Bruder darin für eine Rolle spielt weiss Lecram auch nicht so genau. Wo sind die Beweise die er braucht um das alles zu verstehen? Lecram kann das Haus durchsuchen so viel er will. Gefunden hat er noch nie etwas. Wie es seine Eltern angestellt haben das sein Bruder – und auch er wenn er mal Mensch ist – als 17 Jährige durch gehen und dies auch so auf dem Ausweis steht, ist ihm auch ein Rätsel. Auch dafür hat er nie eine plausible Erklärung erhalten.
Wie auch immer, Lecram weiss genau dass er in sein Zimmer muss um seine kleine Wenigkeit an Privaten Dingen zu packen. Wieder einmal steht ein Umzug vor der Türe. Er hat es aufgegeben zu zählen wie viele Male sie schon umgezogen sind. Seine Eltern suchen vehement nach einer Familie um ein angebliches Versprechen ein zu lösen. Also ziehen sie von einem zum nächsten Ort wenn die Zeit dafür reif ist. Es sei so eine Art Wegweiser den sie in sich tragen. Für ihn klingt es einfach nur idiotisch. Seine durch und durch menschliche Familie nimmt sein Dämonisches Aussehen einfach so hin. Ohne weitere Fragen haben sie es akzeptiert.
Grundsätzlich liebt Lecram die Schule und ginge liebend gerne Tag täglich hin um sich weiter zu bilden. Aus diesem Grund macht er freiwillig die Schulaufgaben für seinen Bruder Marcus. Marcus ist durchaus kein tüchtiger Schüler. Der hängt lieber mit seinen Kumpels ab und macht Mädchen klar. Diese banalen Dinge liegen Marcus mehr. Hätte Marcus nicht Lecram im Rücken wären seine Schulnoten wohl nicht so besonders. Durch ihr Arrangement profitieren irgendwie beide davon.
Lecram streckt sich kurz, danach klettert er spielend der Hauswand entlang bis zu seinem Zimmer, öffnet das Fenster – das immer einen Spalt offen steht - und geht hinein. Automatisch stellt er sich vor den grossen Spiegel in seinem Zimmer und rümpft dabei die Nase.
Leise spricht er zu sich selbst: „Happy Birthday Dämon.“
Lecram hasst sein Spiegelbild den Gargoyle!
Diese unmöglichen Rubinroten feurigen Augen sind für ihn das schlimmste. Und die seltsame schieferstein farbene, fast marmorartige Hautfarbe, die sich so ledrig anfühlt ist einfach nur widerlich. Als Gargoyle ist er wuchtiger da er grösser, breiter und klobiger wird. In diesem Stein Zustand ist jeder Gesichtszug einfach viel ausgeprägter. Mit seinen kräftigen Händen und Füssen mit den spitzen langen Fingernägeln – die etwas Klauenartig sind - kann er spielend alles erklimmen. Seine Wangenknochen stechen hervor und sein Gesicht sieht – für ihn - entstellt angeschwollen aus. Als hätte er eine mächtige Tracht Prügel bekommen und die getroffenen Stellen schwellen gerade eben an. Seine Ohren nehmen eine leicht spitzige Form an. Auch seine Augenbrauen sind wuchtiger und richtig buschig. Statt seiner normalen Zähne besitzt er regelrechte Reisszähne. Lediglich seine Haare sind dieselben geblieben. Die Zwillinge tragen ihr dunkelblondes, leicht gewelltes Haar auf Schulterlänge. Je nach Lichteinfall sieht es aus als hätten sie hellere Strähnen in den Haaren. Das schulterlange Haar erspart ihnen einen lästigen regelmässigen Friseur Termin und ist definitiv einfacher exakt dieselbe Frisur zu tragen.
Ja, er hasst diese Art von Dämon in sich das den Menschen auf die Seite drängt. Lecram betrachtet sich genau, hält dabei den Kopf leicht schief und fragt sich wo der der gut aussehende, etwas schlaksige jedoch sportliche junge Bursche mit den grünen Augen geblieben ist. Es ist nicht mehr viel davon übrig in dieser Gestallt! Normalerweise ist sein Lächeln überaus sympathisch und offen aber als Gargoyle gleicht es eher einer Fratze. Lecram schüttelt leicht seinen Kopf.
Sein Bruder und er teilen sich die Vorliebe für die Sportart Parkour. Ansonsten haben sie nicht viele Gemeinsamkeiten. Marcus ist sehr extravertiert und geniesst das Leben in vollen allen Zügen. Lecram hingegen wäre eher introvertiert, muss sich aber gezwungener Massen dem Lebensstil eines Bruders anpassen. Das ist ihm auch ziemlich gut gelungen, trotzdem beobachtet er vielleicht immer noch etwas mehr und etwas genauer. Die Zwillinge zur selben Zeit am selben Ort gemeinsam anzutreffen, ist scheinbar unmöglich und nicht beabsichtigt. Niemand weiss dass die Familie zwei Söhne hat, offiziell gibt es nur Marcus.
So bleibt Lecram Nacht für Nacht nichts anderes übrig als auf die eine Woche zu warten die er als Mensch hat. Die Hoffnung auf die eine Woche im Monat hält ihn sozusagen am dünnen Lebensfaden. Denn in dieser speziellen Woche tauscht Lecram mit Marcus die Schulbank. Sie tauschen sozusagen ihr Leben aus. Und Lecram geniesst jede einzelne Sekunde davon. Marcus hat dann so etwas wie Hausarrest und muss seine Eltern auf dem Weingut unterstützen während Lecram zur Schule geht. Einer der Vorteile wenn man Eineiiger Zwilling ist, man kann die anderen an der Nase rum führen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelingt ihnen das mit ihren gemogelten
17 Jahren schon einwandfrei.
Das ist sein Leben und vielleicht, aber auch nur vielleicht wird sein Weg in eine Lebenswürdige Richtung verlaufen. Bis dahin ist es für ihn mit Sicherheit ein langer, skurriler Weg. Viele Male hat sich Lecram gefragt ob er wirklich in diese Familie gehört. Doch da ist Marcus und sie gleichen sich wirklich bis in die Haarspitzen. Also muss Lecram einen Weg finden diesen Fluch zu brechen…


Familie

Aber für heute hat Lecram genug Trübsal geblasen und sein Magen macht sich auch schon bemerkbar. Der Hunger treibt ihn in die Küche hinunter. Dort trifft er auf seine gefühlskalte Mutter.
„Hallo Liv.“ Spricht er sachlich.
„Hi Lecram. Das Essen steht schon in der Mikrowelle.“
„Danke, gehst du noch aus?“ Spricht er die Frage nur aus da er sieht wie elegant gekleidet sie um diese Uhrzeit noch ist.
„Ja, dein Vater und ich besprechen die restlichen Umzugsvorbereitungen bei einem guten Essen. Marcus ist oben im Zimmer. Er hat dir seine Hausaufgaben in dein Zimmer gelegt.“
„Schon gesehen“, unterbricht er sie und ist in keinster Weise darüber erstaunt dass Liv nichts zu seinem Geburtstag sagt.
„Ach ja, noch etwas…, du musst deinen Rest einpacken. Aber das sag ich dir heute ja nicht zum ersten Mal.“
War der letzte Satz wohl als Vorwurf gedacht. Aber Lecram geht gekonnt nicht darauf ein. Daraufhin rollt sie ihre Augen leicht und Lecram mustert sie kurz weil sie heute besonders nett aussieht. Äusserlich ist sie eine hübsche grosse, sehr schlanke Frau mit wunderschönen langen Geraden schwarzem Haar das sie leider meistens zusammenbindet. Würde sie mehr lächeln und hätte ihr Herz am rechten Fleck wäre sie durchaus eine tolle Frau im besten Alter. Was soll‘s, ein Tag wie fast jeder andere, dachte Lecram und schmunzelt in sich hinein. Für gewöhnlich behielt er seine Gedanken für sich. Da seine Eltern selten grosse Notiz von ihm nehmen. Liebe hat er nie von ihnen bekommen. Aus diesem Grund kann er sie nicht Mutter und Vater nennen. Er nennt sie lediglich beim Vornamen: Liv und Adam. Etwas unpersönlich doch seine Eltern scheint es nicht zu stören. Denn sie haben sich noch nie darüber beklagt. Egal! Seine Eltern wie auch sein Bruder haben ihren ganz normalen geregelten Alltag. Schön für sie! Natürlich ist Lecram eifersüchtig auf ihr Leben. Sagt aber kein Wort. Es hat ja doch keinen Sinn.
Schlussendlich wirft Lecram die Mikrowelle an und beginnt das nicht sehr schmackhafte fertig Gericht zu essen. Nach dem Essen stapft Lecram zu seinem Bruder hinauf und wirft ein Blick in dessen Zimmer. Wie üblich sitzt Marcus vor einem Game.
„Hey…, Happy Brithday.“
Seine Stimme ist als Gargoyle etwas rauchiger und dunkler als die von dem Menschen Lecram.
„Gleichfalls. Hast du ein Geschenk für mich?“, Marcus grinst breit hält es aber nicht für nötig seinen Bruder anzusehen und spielt sein Game einfach weiter.
„Wirklich witzig.“ Rollt Lecram seine leuchtenden dunklen Rubinaugen.
„Keine Bange, ich hab auch nix für dich!“
„Das wäre nun wirklich eine Überraschung gewesen.“
„Du bist der nettere und klügere von uns beiden. Zu blöd dass dein Äusseres da bloss nicht mithalten kann. Sonst würd ich mit dir noch ausgehen. Aber so kann ich dich unmöglich vorzeigen.“
„Ha-ha…“ Lächelt Lecram aufgesetzt. Die Stimmung zwischen den beiden ist schon fast auf dem Gefrierpunkt. Darum zieht sich Lecram zurück und stapft in sein gegenüber liegendes Zimmer. Er kann seinen Bruder noch hinter ihm nachrufen hören: „Hey, um 22 Uhr kommt Michaela vorbei um Abschied von mir zu nehmen. Das könnte etwas länger dauern. Du weisst schon… Sie darf dich nicht sehen.“
„Alles klar“, ich stör euch schon nicht, unterbricht Lecram und macht eine abwertende Handbewegung. Als hat ihn das Liebesleben seines Bruder schon mal interessiert. Sein Bruder ist in seinen Augen gar nicht fähig zu lieben. Das sind alles nur oberflächliche Beziehungen. Sogar die Bezeichnung: Beziehung ist übertrieben, Affäre trifft es besser. Aber jedem das seine. Er selbst hatte noch nie die Möglichkeit eine Freundin zu haben. Auch wenn Lecram weiss er wird nie eine Beziehung führen denkt er schon ab und an mal darüber nach wie es wäre wenn…
Da sich die Brüder nicht oft über den Weg laufen sind sie sich im Grunde genommen auch irgendwie fremd. Auch sie haben nur die eine Woche zusammen. Und die Woche ist immer verdammt rasch vorbei und ziemlich ausgefüllt. Zurück in seinem Zimmer schweift sein Blick auf die Umzugskarton. Der Umzug steht gewissermassen schon vor der Tür. Schon schwer genug sich als Gargoyle durchzuschlagen. Jetzt auch noch umziehen und sein sicheres Gebiet verlassen zu müssen, ist schon etwas viel verlangt. Kaum hat er gelernt wo, wann und wohin er sich frei bewegen kann ziehen sie wieder um.
Er hat zwar davon gehört dass seine Eltern ein besseres berufliches Angebot bekommen haben. Aber dass sie es ohne Rücksprache mit ihm angenommen haben – tut weh! Sie haben das tolle Angebot bekommen ein Weingut in der Nähe von Wolfville in Schwung zu bringen und schon war die Sache beschlossen. Seine Familie lebt ihr Leben und Lecram kann schauen dass er da einfach noch reinpasst. In Sachen Umzug haben sie schon so etwas wie Routine.
Schlussendlich schliesst er Gedanken versunken seine Tür ab und macht sich an die Arbeit. Er hat nicht viele Sachen die ihm wichtig sind. Da ist rasch gepackt. Die Hausaufgaben sieht er als Belohnung getaner Arbeit an. Wenigstens etwas worauf er sich freuen kann.
Es ist bereits Frühling. Vielleicht ist es ja ein gutes Omen jetzt um zu ziehen. Vielleicht hat er diesmal Glück und sie werden sich endgültig zur Ruhe setzten. Einmal in seinem Leben möchte Lecram sagen können:
Hier bin ich zu Hause! Das ist mein zu Hause!
Lecram hofft es bei jedem Umzug.


Wolfville

Der Umzug geht wie üblich reibungslos. Seine Eltern planen überaus exakt und das zahlt sich schlussendlich auch aus. Lecram ist in dieser Zeit aus Stein und wird wie immer sehr vorsichtig behandelt. Er ist ja die Steinsäule die aus irgendeinem seltsamen Vorwand unbedingt mit muss. Nach dem Motto die Skulptur sei sehr wertvoll. Was bestimmt niemand nachvollziehen kann. Aber so lange gut dafür bezahlt wird, stellt niemand weitere Fragen.
Als Lecram im neuen Garten erwacht öffnet er nach
gründlicher Prüfung die Augen und streckt er sich. Wieder klingt es nach Kieselsteinen die einen Weg entlang rollen. Das Geräusch kennt Lecram schon so gut dass er es nicht mehr beachtet. Er stellt fest dass sie ihn wieder mal lieblos draussen, etwas abseits des Hauses auf einem Rasenabschnitt abgestellt haben. Nach kurzem Kopfschütteln beginnt er seinen Blick in die Gegend schweifen zu lassen. Der Blick auf die Gegend und das Tal gefällt ihm soweit ganz gut. Anschliessend streift er etwas durch die schönen Weinreben. Lecram liebt einfach den Duft der Natur und hält dabei seinen Kopf hoch um alle Düfte in sich aufzunehmen.
Das muss Freiheit sein!
Das Weingebiet liegt etwas oberhalb. Darum hat er eine gute Aussicht auf das darunter liegende Tal. Heute ist das Wetter klar und fast wolkenlos. Nur ein paar Quellwolken stehen am Himmel. Lecram sieht die Sterne funkeln und schmunzelt leicht. Wenigstens etwas das ihm Bekannt ist, egal wo er sich auf der Welt aufhält, anhand der Sterne kann er sich jederzeit orientieren.
Als er zurückschlendert fällt sein Blick automatisch auf das Haus. Auch das Haus sieht sehr einladend aus. Die Fassade ist in einem schlichten unauffälligen hellgelb mit dazu passenden grünen Fensterläden. Ein schlichtes Haus das auf den ersten Blick nicht umwerfend aussieht. Aber eine sehr gepflegte Erscheinung macht mit hübscher grüner Bepflanzung im Garten. Im Gegensatz zum letzten Haus ist das eine enorme Verbesserung. Das letzte war ein kühler Beton Klotz von aussen wie von innen.
Mittlerweile ist es schon spät in der Nacht als er in das Haus tritt. Alle anwesenden im Haus schlafen bereits. Das kommt ihm heute eigentlich sehr entgegen. So kann er das Haus in Ruhe besichtigen ohne einen blöden Komentar. Er braucht dazu ja nicht mal Licht, er sieht im Dunkeln sehr gut. Es stehen zwar noch einige Kartons herum die noch nicht ausgepackt sind, aber das stört ihn nicht. Er schnappt sich einen ganzen Laib Brot aus der grosszügigen offenen Wohn-Küche, beisst rein und stapft so leise wie möglich in den oberen Stock.
Im ersten Zimmer kann er zwei Menschen hören die rhythmisch ein und aus atmen. Das muss wohl das Zimmer von Liv und Adam sein. Dann kommt er zu Marcus Zimmer und schlussendlich dann sein Zimmer. Sein Zimmer erkennt er leicht anhand der Zügelkartons mit seinen Sachen die noch quer durchs Zimmer zerstreut sind. Von selbst packen die sich ja bekanntlich nicht aus. Lecram beisst noch ein Stück des Brotes ab und schüttelt leicht seinen Kopf. Die grosse Überraschung in diesem Haus ist der begehbare Kleiderschrank zwischen den beiden Kinderzimmern. Der ist tatsächlich von beiden Zimmern erreichbar. Nun um spiegelt ein freches lächeln seine Lippen bei dem Gedanken sich Marcus Kleider einfach so aneignen zu können. Eigene hat er ja keine. Für eine Woche im Monat lohnt sich das nicht so sehr. Aus diesem Grund nimmt er einfach die Klamotten seines Bruders, natürlich zu Marcus Ärgernis. Sein Zimmer ist gross und hell. Es macht einen freundlichen Eindruck. Wenn er aus dem Fenster sieht hat er einen Wunderfollen Blick auf die Weinreben und den angrenzenden Wald dahinter. Das gefällt ihm so gut dass er automatisch – zur Abwechslung – zufrieden lächelt. Das wäre ein schöner Ort um sesshaft zu werden! Eine wahre Oase um sich zu Hause fühlen zu können! Ist er zu Hause angekommen? Diese Gedanken entlocken ihm einen leisen Seufzer. Sein Bett ist natürlich noch nicht bezogen. Zumindest hat Liv ihm einen Bezug hingelegt. Wobei es keine Rolle spielt da er ja als Gargoyle auf dem Dach Platz nimmt. Langsam erkundet er den Rest des Hauses.
Nach gründlicher Inspizierung der Gegend vergehen die darauf folgenden Nächte rasch. Einen eigenen Computer zu haben ist für Lecram unerlässlich. Daa er keine Freunde besitzt braucht er kein eigenes Handy. Das von Marcus reicht bei weitem aus. Über das Internet lernt der Gargoyle seine Umgebung ziemlich genau kennen. Das gibt ihm eine gewisse Art von Sicherheit. Den Namen Wolfwille findet er irgendwie interessant. Es hat etwas Besonderes, fast etwas Mystisches. Irgendwie passt es zu ihm. Die Stadt ist nicht gross. Das macht ihm auch nichts aus. Wenn es die Zeit zulässt kann er sich ja immer noch nach Halifax durchschlagen. Das scheint die nächst grössere Stadt zu sein. Dort hat es mit Sicherheit etwas Ausgangstaugliches für Halbwüchsige Teenager. Er ist da zuversichtlich, obwohl er selten die Gelegenheit dazu hat. Aber zu wissen, er könnte wenn er wollte genügt ihm vollends.
Das Weingut liegt etwas ausserhalb Wolfville die Schulbank werden Marcus und er in Wolfville drücken. Ausserdem ist es eine kleine Stadt mit einer Vielzahl von Aktivitäten. Da gibt es den wöchentlichen Bauernmarkt und vieles mehr. An Sehenswürdigkeiten wird es ihm nicht fehlen, wenn er mal die Zeit dazu hat. Mittlerweile freut er sich auf die neue Umgebung und die neue Schule. Denn die Schulen hier haben einen ausgesprochen guten Ruf. Ja, er kann den ersten Schultag als Mensch fast nicht mehr erwarten. Das Beste an der Sache ist der Umstand dass er Glück hat und als Marcus zu allererst an die Schule kann. Genau in dieser besagten ersten Woche ist Lecram endlich der ersehnte Mensch. Also gehört die erste Schulwoche ihm und nicht seinem Bruder. Das entschädigt doch für die eine oder andere Einbusse. An diesen Gedanken geheftet lächelt Lecram breit.


Schule

Was für ein mieser, trister Tag um heute die Schule zu beginnen. Draussen ist es neblig und regnerisch, denkt sich Sarah als sie bei ihrer Schwester Gloria und ihren Halbbrüdern in den Wagen steigt.
Sahra sieht zu ihrer Schwester hinüber die gerade wieder verliebt Jonas anhimmelt. Irgendwie sind die zwei verliebten ja süss. Natürlich sorgen sie an der Schule für ein wenig Aufsehen da die zwei im Grunde genommen Geschwister sind. Was die meisten nicht bedenken ist die Tatsache dass sie nicht miteinander Verwandt sind. Das scheinen einige der Schüler nicht begreifen zu wollen. Also ist grundsätzlich nichts gegen eine solche Beziehung einzuwenden. Ihre Eltern haben ja auch keine Bedenken. Also was Solls! Irgendwelchen Klatsch und Tratsch gibt es doch immer an der Schule. Normalerweise lästern die Schüler eher über Sarah selbst da sie eine Schiene am linken Bein trägt und hinkt. Aber Sarah hat gelernt damit umzugehen und nimmt keine grosse Notiz mehr von den Sticheleien. Schliesslich ist Sarah selbstbewusst genug um über solche banalen Dinge hinwegzusehen.
Als sie in der Schule ankommen ist schon reges Treiben. Die einen schlendern, die anderen hetzen als hätten sie es unheimlich eilig. Sarah schlurft hinkend und in Gedanken versunken, zu ihrem Spind. Heute hat sie irgendwie keinen Bock auf die Schule! Heute ist sie grundlos schlecht gelaunt. Sarah hört noch wie Gloria, ihre Schwester, mitteilt sie geh noch rasch auf die Toilette. Sarah rollt ihre Augen, als interessiert sie das. Aus diesem Grund sieht Sarah kurz nach hinten und nickt Gloria aufgesetzt lächelnd zu. Ja Sarah ist heute schlecht gelaunt und das aus keinem besonderen Grund. Als Sarah wieder nach vorne blickt, stösst sie mit einem Jungen zusammen und lässt dabei ihre Tasche fallen.
„Oh…, sorry!“ entschuldigt sich Sarah automatisch und sieht zu ihrer Tasche hinunter die sie fallen lassen hat. Der Tag beginnt ja richtig gut, scheint sie zu denken. Ihr Gesichtsausdruck lässt zumindest darauf schliessen.
„Hey. Kein Ding.“ Spricht der Junge als er ihre Tasche aufnimmt und ihr sie offen lächelnd entgegen hält. Als sie die Tasche zu sich nehmen möchte berühren sich dabei ihre Hände kurz und beide bekommen einen leichten elektrischen Schlag. Daraufhin lächelte der Junge noch offener und sehr sympathisch.
„Hoppla, da sind wir wohl beide etwas statisch aufgeladen.“
„Scheint so.“ Dann sieht sie ihn fragend an: „Du bist neu hier?“
Der junge lächelt immer noch und Sarah mustert ihn kurz. Er hat auffallend hübsche grüne Augen mit langen dunklen Wimpern und volles dunkelblondes halblanges Haar das ihr gut gefällt. Sein Gesicht ist vielleicht etwas feminin aber trotzdem männlich. Auf den ersten Blick wirkt der Junge ziemlich cool in seiner Bluejeans und seinem Oliv farbenden Shirt.
Der Junge lächelte immer noch als er antwortete:
„Schuldig“ Zur Begrüssung reicht er seine Hand: „Ich bin Marcus Scherz.“
Sara nimmt seine Hand an und wieder gibt es dabei einen kleinen elektrischen Schlag, beide lächeln belustigt.
Danach erwidert Sarah nachdenklich: „Scherz…“
„Blöder Familienname, ich weiss. Ist wirklich kein Scherz!“
„Ihr seid also die Familie die das Weingut in der Nähe von Gaspereau in Schwung bringen soll.“ Stellt Sarah mal so in den Raum.
Erstaunt gibt Marcus Antwort: „Genau. Woher…“
„Stand mal in der Zeitung.“ Hat sie noch so in Erinnerung: „Na dann…, viel Glück.“
„Ähm… Danke.“ Ist Marcus erstaunt über das Mädchen das anscheinend die Zeitung liest.
Eigentlich will Sarah mit dem neuen noch etwas plaudern da er ihr sympathisch wirkt. Doch da hört sie bereits ihre Schwester rufen: „Sarah, kommst du?“
Sarah sieht nach hinten zu Gloria lächelt und sieht dann nochmal zu Marcus. Sie sieht ihm dabei direkt in die Augen und findet ihn irgendwie niedlich wie er da jetzt so unsicher vor ihr steht. Das ist wohl einer der Momente an dem man irgendwie nicht weiter weiss. Als sie Gloria nochmal eindringlich rufen hört spricht sie schmunzelnd:
„Wie du hörst rufen sie nach mir. Muss wohl los…“
„Kein Problem. Sehen uns…, Sarah“, ist seine einfache Antwort. Dass er die Begegnung nett fand lässt er weg. Schliesslich entfernt sich Sarah hinkend von ihm und schliesst sich ihrer Familie an. Insgeheim ist sie entzückt darüber dass er sich ihren Namen bereits gemerkt hat. Sie mag sogar seinen Klang der Stimme. Der Tag ist wohl doch nicht so schlecht!
Marcus bleibt stehen und sieht ihr noch etwas nach. Er staunt darüber dass jemand von der Ankunft seiner Familie Notiz genommen hat. Doch wenn er genauer darüber nachdenkt, ist das schon möglich. Nachrichten, ob gut oder schlecht, verbreiten sich rasch. Er fand das Mädchen sehr nett und sympathisch. Das kurze Pech schwarze Haar steht ihr ausgezeichnet und ihre grossen Rehbraunen Augen faszinieren ihn. Irgendwie hat sie einen melancholischen Blick, fast so als hätte sie ein Geheimnis und ihre kleine Zahnlücke zwischen den Schaufeln ist ziemlich niedlich. Himmel, wo sind seine Gedanken! Er schüttelt leicht seinen Kopf und nimmt seinen Zettel um nachzusehen in welchen Unterricht er jetzt muss. Doch insgeheim hofft er diesem Mädchen öfters zu begegnen.
Unterdessen ist Gloria natürlich neugierig und hackt bei ihrer Schwester ein: „Wer war denn das?“
Sarah kichert leise da ihrer Zwillingsschwester wohl nichts entgeht.
„Der neue.“ Gloria zieht verständnislos ihre Augen hoch und Sarah holt aus: „Du weisst schon, die Familie die das Weingut wieder auf Vordermann bringen soll...“
„Oh…, die haben einen Sohn. Der ist ja süss, hat einen knackigen Hintern und einen starken Rücken.“ Spricht Gloria ihre Gedanken gerade laut aus. Dabei sieht sie nochmal über ihre Schulter zu dem Jungen zurück.
Sarah kicher wieder auf.
„Was du alles in kürzester Zeit so siehst.“ Aber sie findet ihre Schwester hat durchaus Recht.
„In dieser Kürze nur die wichtigsten Details. Aber das nächste Mal schau ich ganz genau hin.“ Grinst Gloria nun übers ganze Gesicht.
Sarah lacht laut auf und ist froh über die heitere Stimmung. Die Schlechte Laune ist auf jeden Fall wie weggeblasen. Die Zwillingsschwestern – die sich keinster Weise gleichen – schlendern in ihre Klasse.
In den nächsten Tagen beobachtet Sarah den neuen aus der Entfernung. Ihr fällt auf das Marcus rasch Bekanntschaften schliesst. Er ist also kein Einzelgänger und scheint aufgeschlossen zu sein. Er hat sich an der Schule rasch angepasst und sorgt für kein negatives Aufsehen. Sarah geniesst es ihn zu beobachten. Genau genommen tut sie das nicht nur bei ihm. Sie beobachtet einfach gern. Ihr fällt jedoch auf dass Marcus ein gutes Selbstbewusstsein hat. Wenn er läuft sieht es natürlich aus und nicht unsicher, gestellt oder aufgesetzt. Er hat eine natürliche Coolness. Vielleicht ist er etwas zu schlaksig das aber an seinem Erscheinungsbild nichts abhaben kann. Und ja ihre Schwester hat recht er hat einen knackigen Hintern. Sie grinst leicht in sich hinein weil sie gerade an so etwas denkt.
Ab und an treffen sich Sarahs und Marcus Augen. Obwohl Sarah nicht sicher ist ob er sie nun ansieht oder nur an ihr vorbei sieht. Denn keiner von beiden sieht dabei weg oder lächelt. Mustern sie sich wirklich beide so offensichtlich? Sarah muss sich eingestehen, sein Blick mit den langen dunklen Wimpern hat was an sich das sie mitten im Bauch trifft. Doch gesprochen haben sie seit dem kleinen Zusammenstoss nicht mehr miteinander. Auch Sarahs Geschwister verstehen sich gut mit Marcus. Und Gloria macht sich jeweils einen Spass daraus Jonas, mit dem Neuen, eifersüchtig zu machen. Was ihr, zu ihrem Ärgernis, nicht unbedingt gelingt.
Jonas wie auch sein Bruder Michael sind sportliche junge Burschen, das man durchaus ihren Körpern ansieht. Jonas hat braunes leicht rötliches Haar das gut zu seinen Sommersprossen und den braunen Augen passt. Was Jonas auszeichnet ist seine Geduld und seine Gutmütigkeit. Er ist jedoch nicht so redeselig wie sein Bruder Michael und spricht nur wenn es nötig ist. Das Sprichwort: Stille Wasser sind Tief, passt wohl am besten zu ihm. Er sagt nicht viel, aber was er sagt ist hieb und stichfest.
Der Wortgewandte etwas ältere Michael ist sehr gross und kräftig gebaut. Er ist der älteste von allen Geschwistern. Hat kurzes braunes Haar und braune Augen. Auch wenn Sarah und Gloria nur seine Halbgeschwister sind wird er jederzeit für sie einstehen.
Dann ist da noch Gloria, sie hingegen zieht gerne die Aufmerksamkeit auf sich. Was bei ihrem Aussehen ja nicht schwierig ist. Sie ist schlank, hat auffälliges helles blondes (schon fast eher graues, leicht aschiges) langes Haar und wirklich schöne hellblaue Augen. Und Gloria weiss genau wie sie ihre weiblichen reize einsetzten kann. Gloria ist das pure Gegenteil von Sarah. Das einzige was sich die Zwillingsschwestern teilen ist die kleine Zahnlücke zwischen den Schaufeln. Sarah hat kurze Pech schwarze Haare und braune Augen. Man wird nicht denken dass die beiden Zwillinge sind. Sie sind so unterschiedlich wie die beiden Seiten einer Münze.
In der darauf folgenden Woche ist jedoch deutlich ernüchternd für Sarah. Marcus würdigt ihr fast keinen Blick und wenn er einen Blick in ihre Richtung macht gilt sein Blick ihrer Schwester. Neuerdings hängt er mit dem Draufgänger Leon und dem liebenswerten Chèn zusammen. Das fällt Sarah natürlich sofort auf da sie Marcus weiterhin beobachtet. Sie weiss ja dass es doof ist aber sie findet ihn irgendwie anders, verändert, kann aber nicht genau sagen an was es liegt. Oder doch nicht? Vielleicht hat auch nur sie einen schlechten Tag.
Wie sich herausstellt sitzen Marcus, Leon und Chèn in einigen Schulstunden zusammen. Alles schön und gut, Sarah versteht nur nicht ganz weshalb sich Marcus in dieser Woche so von ihrer Familie abwendet. Sie haben immer noch kein einziges Wort mit einander gewechselt seit dem kleinen Zusammenstoss. Ab und an nickt Marcus ihr und der Familie zur Begrüssung kurz zu und lächelt adrett aufgesetzt. Sarahs gute Meinung über Marcus beginnt zu bröckeln… Auch nur ein Typ wie alle anderen. Scheint so als wäre er auch nur an den hübschesten Mädchen der Schule interessiert. So eine Oberflächlichkeit mag Sarah nicht.
Das Leben in der neuen Gegend gefällt auch Marcus ausgesprochen gut. Das Weingut ist mit den modernsten Annehmlichkeiten ausgestattet und macht das Arbeiten leichter als am letzten Wohnort. Was Marcus stark entgegenkommt da er die Arbeit auf dem Weingut nicht mag. Auch gegen die Schule hat er keine Einwände, wie sollte er auch da sein Bruder seine Schulaufgaben erledigt. So kann Marcus sich auf das wesentliche konzentrieren. Und dieser Leon mit seinem blonden wirren Haaren ist vielleicht etwas verrückt aber mit diesem Jungen wird er mit Sicherheit einiges erleben. Leon ist wohl sehr Abenteuerlustig aber aus gut betuchtem Haus. Daher wird sich Marcus diesen Leon auf jeden Fall warm halten.
Der schwarzhaarige eher schmächtige Chèn ist nicht so verrückt wie Leon, scheint aber ganz in Ordnung zu sein. Für Marcus vielleicht fast etwas zu anständig aber warum auch nicht! Marcus möchte eben die Coolen angesagten Typen an der Schule kennen lernen. Dazu gehören nun mal Leon und Chèn und nicht unbedingt die Familie von Gloria. Auch wenn sein Bruder das anders sieht, aus diesem Grund sieht Marcus zu der Familie von der Lecram so geschwärmt hat.
Chèn fällt natürlich auf dass Marcus die Gruppe mit Gloria mustert und fragt deshalb nach: „Gefällt dir Gloria?“
Sofort hat Chèn, Marcus ganze Aufmerksamkeit.
„Hm…, ja“, lächelt er breit, „Ein wirklich hübsches Mädchen.“
„Vergiss es“, stupst Chèn ihn seitlich an, „Schlag sie dir aus dem Kopf. Sie und Jonas sind unzertrennlich. Da ist nichts zu machen, das haben schon andere versucht.“
„Schon, aber wie ich höre sind sie doch eigentlich Geschwister…“
Chèn lacht laut auf und holt weiter aus: „Schon. Sind aber nicht verwandt. Kinder aus jeweiligen früheren Beziehungen der Eltern. So ähnlich…“ Chèn ergänzt indem er Marcus auf die Schulter klopft: „Das nennt sich in der modernen Zeit: Patchwork Familie! Willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert.“
Marcus Blick hascht wieder zu Gloria hinüber: „Gloria ist wirklich heiss, ein sehr aussergewöhnliches Mädchen. Sarah ist sicherlich nett.“
Irgendwie muss Marcus von Chèn etwas mehr über Sarah heraus finden. Wenn sich sein Bruder für diese Familie interessiert steckt vielleicht doch mehr dahinter. Denn eines muss er seinem Bruder lassen: der hat das bessere Gespür für Menschen.
Chens Gesichtsausdruck wird ernster: „Sarah ist ein wirklich tolles Mädchen. Aber mit ihr ist es ziemlich schwierig.“
„Warum?“
„Dir ist schon aufgefallen dass sie hinkt und ab und an im Unterricht fehlt.“
„Das mit dem hinken ja, klar. Aber wie meinst du das mit dem Unterricht?“ Wie soll er auch, schliesslich steht er ja nicht auf sie.
„Hör mal, Sarah hat einen IQ von ca. 120 oder so... Das ist echt überdurchschnittlich.“ Chens Augen weiten sich bei seiner Erklärung.
„Was hat sie dann an dieser Schule zu suchen?“ Ist Marcus berechtigte Frage.
„Sie hat viel Therapie und Arzt Besuche und hier wird das irgendwie toleriert. Solange sie mit dem Unterrichts Stoff nachkommt. Und ehrlich, das ist ihr kleinstes Problem. Man munkelt dass sie die beste Schülerin sein soll.“
„Woher weisst du so viel über sie?“, hackt Marcus interessiert nach indem er jetzt Sarah mustert.
„Ich war ein knappes Jahre mit ihr zusammen.“ Da Marcus darauf nicht antwortet erklärt Chèn weiter: „Es war zu Familiär.“ Marcus schmunzelt und Chèn ergänzt: „Guck nicht so doof. Die Familie steht sich eben sehr nah. Sarah gibt es nie im einzelpack. Da ist immer jemand mit dabei.“
„Weichei“, scherzt Marcus, klopft seinem Freund dabei auf die Schulter und Chèn grinst auch. Damit scheint das Thema: Sarah, vom Tisch zu sein. Marcus fand es wirklich sehr informativ.
Nach Schulschluss trifft Marcus auf Gloria und ihren Glan. Das hat er natürlich ausnahmsweise so beabsichtigt. Sofort beginnt er mit Gloria zu schäkern. Sarah findet ihn etwas plump dass er sich so offensichtlich an Gloria heran macht. In der letzten Woche war er diskreter und hatte mehr Stil.
Wie sich herausstellt ist er auch in den nächsten Tagen nicht wirklich netter zu ihr. Wenn er sich an ihren Tisch setzt geht es dabei immer um Gloria. Auch seine Augen wirken kühler wie beim ersten kennenlernen.
Normalerweise teilt sie ihre Gedanken ihrer Zwillingsschwester mit. Doch diese behält sie lieber für sich da sie sich fast sicher ist das mit Marcus was nicht stimmt.
Natürlich besprechen die Zwillingsbrüder ihre Aktivitäten an der Schule so gut es geht. Liv und Adam sind heute weg, aus diesem Grund können die beiden ungezwungen reden. Lecram hört Marcus geduldig zu was er über Sarah heraus gefunden hat. Immer bevor sie von der Schule verschwindet hat das ganze etwas Ritual mässiges. Zuerst wird es ihr augenscheinlich schlecht, so scheint es zumindest. Doch einen Augenaufschlag später scheint es ihr schon wieder einigermassen gut zu gehen. Meistens tippt Sarah dann etwas auf ihr Handy. Kurze Zeit später wird sie von ihrem Onkel oder ihrer Mutter abgeholt. Ein wirklich seltsames Mädchen! Als Marcus seinem Bruder alles erzählt hat was ihm an Sarah aufgefallen ist zuckt Lecram kurz mit seiner Schulter.
Marcus argumentiert: „Aber hör mal. Sarahs Familie kann diejenige sein die Liv und Adam schon eine Ewigkeit suchen.“
„Wie kommst du denn darauf? Nur weil Liv mal so einen Spruch gemacht hat, hat das nichts zu bedeuten.“ Himmel muss sein Bruder denn überall die Nase rein stecken.
„Nun ja, die Sarah ist schon etwas merkwürdig.“
„Ist sie nicht. Sie hat eben ein Handicap. Dafür kann sie ja nichts.“ Motzt Lecram und will sie damit in Schutz nehmen aber Marcus holt weiter aus: „Chèn hat mir erzählt dass sie einen IQ von über 120 hat.“
„Solange die Schulnoten stimmen wird wohl niemand was dagegen haben.“ Zuckt Lecrams Schulter erneut auf.
„Das hat Chèn auch gesagt…“
„Mann, jetzt spinn nicht gleich was zusammen. Vielleicht muss sie wirklich einfach in die Therapie wegen ihres Beines.“ Scheint für Lecram die einzig logische Schlussfolgerung zu sein und hasst seinen Bruder für seine Nachforschung. „Bevor du keine Handfesten Beweise hast braust du Liv und Adam nichts davon zu erzählen. Die verbeissen sich sonst wieder in etwas. Und schwups ziehen wir schon wieder um. Darauf kann ich im Moment echt verzichten.“ Lecram ist verärgert, und hofft wirklich dass Marcus nichts von ihrem Gespräch weiter erzählt. Marcus sitzt einen Moment schweigend am Küchentisch.
Ein seltsames Bild dass die zwei Brüder da zurzeit in der Küche abgeben. Nachdem Marcus sich wohl ein Paar Gedanken zu Lecrams Worten gemacht hat erklärt er ziemlich sachlich: „Da hast du nicht mal unrecht. Schon wieder umziehen muss zurzeit echt nicht sein. Trotzdem werde ich mich etwas mehr um Sarah bemühen und noch mehr heraus finden.“ Frech grinst Marcus zu seinem Bruder hinüber, da er annimmt einen wunden Punkt getroffen zu haben.
So hat sich das Lecram wirklich nicht vorgestellt, er stöhnt auf und rollt seine Rubin Augen.
„Hey, lass sie einfach in Ruhe.“ Schliesslich ist sie ein nettes unschuldiges Mädchen, denkt er sich den Rest.
„Wir werden ja sehen.“ Sind Marcus abschliessende Worte als er aufsteht um sich in sein Zimmer zurück zu ziehen. Lecram sieht seinem Bruder nach und kneift und weiss es hat keinen Sinn weiter mit Marcus zu debattieren. Auch wenn Lecram prinzipiell der stärkere ist fühlt er sich manchmal so machtlos und ausgeliefert.
„Ich muss was essen, das lenkt ab“, spricht Lecram leise in sich hinein.
Da sich Marcus heute Abend noch mit Chèn und Leon trifft ist Lecram heute Abend alleine im Haus, hat sozusagen Sturmfrei. Wie schon des Öfteren kommt es Lecram entgegen. Wenn auch aus anderen Beweggründen als bei normalen Teenies. Er geniesst einfach die Ruhe im Haus. In seinem Zimmer studiert er in aller Ruhe die Hausaufgaben von Marcus und erledigt sie mit Leichtigkeit. Dann studiert er ihre gemeinsame Liste mit den Bekanntschaften die er und Marcus bereits gemacht haben. Diese gemeinsame Liste ist sehr wichtig. Denn in der einen Woche in der Lecram als Marcus die Gegend kennen lernen kann muss gut organisiert sein.
Auf dieser Liste stehen Namen und in welchen Beziehungen sie zu diesen Personen stehen. Beim Namen Sarah verweilt er und lächelt automatisch. Dieses Mädchen hat mit ihrem Bein auch ein Handicap. Vielleicht fühlt er sich aus diesem Grund zu ihr hingezogen.


Kennenlernen

Einmal mehr durchstreift Lecram Nachts das Weingebiet als Gargoyle. Mittlerweile kennt er fast jeden Weinstock mit Vornamen. Am liebsten sitzt er regungslos da und beobachtet das Geschehen um sich herum. Die Natur bietet viel wenn man sich nur genug Zeit nimmt um hinzusehen.
Wenn er so regungslos da sitzt stellt er wohl auch für die Tiere keine Bedrohung dar. Vielleicht sieht er für die Tiere auch wie ein unschuldiger Stein aus…, wer weiss. Wenn es im Wald raschelt braucht Lecram nur geduldig abzuwarten und die Tiere kommen zum Vorschein. Heute Abend ist es eine kleine Gruppe mit drei Wapiti die sanft durchs Dickicht streifen. Sie sind elegant und wunderschön. Als dann auch noch der Wapiti-Hirsch mit seinem grossen Geweih erscheint, weiten sich Lecrams Augen. Was für ein herrlicher Anblick! Der Hirsch ist wahrlich gross und Lecram sieht ihn ehrfürchtig an. Lecram hat schon oft daran gedacht eine Kamera mitzunehmen um Aufnahmen bei Nacht zu machen. Doch mit seinen etwas klobigen Händen ist das gar nicht so einfach. Er hat mindestens fünf Kameras geschlissen. Zu Beginn seines Gargoyle da seins war es noch recht schwierig die Kräfte richtig einzuschätzen. Aber das ist schon eine ganze Weile her. Da war er noch sehr jung und gab nicht so Rücksicht auf seine Sachen.
Als die Wapiti gruppe weiterzieht, will Lecram nach Hause gehen und freut sich bereits schon auf übermorgen. Denn ab Samstag beginnt seine ersehnte Woche die er als Marcus umher gehen kann, endlich sind die drei schrecklichen Wochen vorüber. Seine Verwandlung findet Freitag auf Samstag statt. Das bedeutet dass er sich am Freitagabend oder Samstagmorgen zum schlafen in sein Bett legt statt oben auf dem Dach sitzt. Ein Gargoyl im Bett sieht zwar absolut unmöglich und abstrakt aus ist aber für ihn notwendig. Wenn er dann am Samstag nach Sonnenaufgang als Mensch im Bett erwacht ist er überglücklich. Diese Verwandlung schmerzt ihn überhaupt nicht. Es kribbelt Lecram liedglich am ganzen Körper. Es fühlt sich an als wären seine Gliedmassen abgedrückt worden und als das Blut zu zirkulieren beginnt, beginnen seine Gliedmassen zu erwachen. Er wird von einem kurzen Schauer geschüttelt und braucht danach eine ausgiebige warme Dusche.
Umgekehrt ist die Verwandlung nicht so schmerzfrei. Die Haut beginnt zu spannen und weitet sich bevor er zu Stein wird. Man stelle sich vor man wird von einer Biene gestochen und reagiert allergisch darauf, so in etwa fühl sich Lecram für einen Bruchteil einer Minute. Und diese Minute kann einem bei diesem Vorgang überaus lange vorkommen. Dieser Übergang ins Dämonische da sein ist Lecram sehr verhasst. Es ist so unnatürlich!
Endlich ist Samstagmorgen und Lecram spielt ab nun seine Rolle als Marcus. Freitagnacht hat er sich gut auf seine Rolle vorbereitet! Wie gut er sich heute fühlt kann er nicht in Worte fassen. Es ist einzigartig! Nach der Dusche zieht er sich rasch was Frisches über. Im Haus ist es noch sehr still, alle scheinen noch zu schlafen. Also legt sich Lecram einfach wieder aufs Bett und nimmt eines seiner Lieblingsbücher in die Hand. Am liebsten liest er Lyrik. Dass es Menschen gibt die Worte so schön umschreiben können fasziniert ihn enorm. In Gedichten steckt viel Wahrheit. Und irgendwann während er liest, fallen ihm dann doch wieder die Augen zu. Auch wenn es nur für eine oder zwei Stunden sind.
Als Lecram erwacht hört er reges Treiben im Haus. Er weiss genau dass sein Bruder den Samstag noch voll ausschöpfen will bevor er seinen Eltern im Weingut mithelfen muss. Insgeheim hofft Lecram den Samstag mal für sich zu bekommen und eilt in die Küche hinunter. Dabei erwischt er seinen Bruder gerade noch in der Türe und packt ihn am Arm.
„Hey, warte. Können wir noch ein zwei Worte miteinander wechseln?“
Marcus rollt seine Augen rümpft die Nase geht aber bereitwillig mit Lecram ins Zimmer hinauf. Das ist die einzige Woche in der die Brüder einander von Mensch zu Mensch gegenüber stehen. Man kann sie wirklich nicht auseinander halten. Marcus erklärt Lecram noch mal das wichtigste in kürze. Seine engen Freunde sind Leon und Chèn, aber einmal am Tag verbringt er die Pause mit Sarah und deren Geschwister. Er hat versucht näher an die Familie heran zu kommen. Doch wie Chèn ihm schon zuvor erwähnt hat ist das gar nicht so einfach. Und Sarah ist sehr zurückhaltend. Mehr gibt es da nicht zu berichten. Dann will Marcus aber auch los, denn er hat sich heute noch mit seinen Freunden zum Bowling verabredet. Lecram gibt sich damit zufrieden und setzt sich vor die Schulaufgaben die Marcus ihm übrig gelassen hat.
Die restliche Zeit des Wochenendes muss Lecram im Haus bleiben da Marcus unterwegs ist. Doch Lecram lässt deswegen nicht seinen Kopf hängen. Er hat gelernt sich selbst zu beschäftigen. Also geht er in den nahe gelegenen Wald um etwas zu Joggen da er Bewegung braucht. Bewegung entspannt ihn sehr. Dabei kann er auch eine Strecke für die Sportart Parkour suchen. Das heisst er versucht alles was ihm im Wald im Weg steht am effizientesten zu überwinden. Die Hindernisse dürfen bei dieser Sportart nicht aus dem Weg geräumt werden und das ist im Wald auch nicht möglich. Als er sich warm gelaufen erklimmt er selbst auf dem Weingut eine Mauer und springt dann elegant hinunter. Jeder Muskel ist dabei angespannt und bereit los zu legen. In dieser Sportart gibt es fast nichts was nicht möglich ist.
Danach geht er zwar verschwitzt aber zufrieden in die Küche um nachzusehen was der Kühlschrank alles so bietet. Liv ist eine miserable Köchin daher hat Lecram sich das Kochen selbst beigebracht. Aus der Not hat er sich zwei, drei Kochbücher gekauft und ist heute ein akzeptabler Koch geworden. Ab und an zieht er auch ein Rezept aus dem Internet. Aber heute macht er sich lediglich ein grosses leckeres Sandwich und freut sich bereits schon auf den Montag. Oder freut er sich am Ende einfach auf Sarah? Himmel wo sind schon wieder seine Gedanken! Vielleicht ist es auch nur der Umstand dass Marcus im Weinbau mithelfen muss das ihm Freude bereitet. Auch das ist eine durchaus akzeptable Genugtuung. An diesen Gedanken geheftet beginnt er zu lächeln und zieht sich in sein Zimmer zurück um noch etwas zu lesen.
Pünktlich um sechs Uhr klingelt Lecrams Wecker.
„Endlich Montag“, summt Marcus am Montag-Morgen fröhlich beim aufstehen vor sich hin und zieht sich die Klamotten seines Bruders über. Gut gelaunt, bewaffnet mit Marcus Handy und dem Auto fährt Lecram zur Schule. Als er das Auto parkiert hat steigt er aus und lehnt kurz an das Fahrzeug an um die Szene auf dem Schulgelände zu begutachten. Er steht einen Moment da und nimmt die ganze Atmosphäre in sich auf.
Endlich frei! Es tut so gut wieder da zu sein.
„Willkommen im Leben“, spricht er ganz leise zu sich selbst und schmunzelt. Er schreckt auf als ihn von hinten Sarah anspricht: „Was tust du da?“
Rückartig dreht er sich in ihre Richtung und lächelt sie offen an. Gut gelaunt sieht Marcus Sarah dabei in die Augen als er einen Schritt auf sie zu geht.
„Ich geniesse den Tag in vollen Zügen.“
Und nehme mich zurück dich nicht in die Arme zu schliessen, spinnen seine Gedanken weiter.
„Spinner“, spricht Michael der jetzt auch dazu kommt und boxt ihn leicht in den Oberarm. Doch Marcus kann das praktisch nicht spüren. Durch seinen Gargoyle Anteil ist er auch als Mensch ziemlich unempfindlich und vielleicht auch etwas stärker als seine Kollegen. Kurzum beschliesst er sich der Gruppe anzuschliessen und läuft mit Sarah auf gleicher Höhe. Sarah sieht ihn dabei merkwürdig an und ihre Stirn bekommt Falten.
Er hackt nach als er ihren Gesichtsausdruck sieht: „Ist etwas? Habe ich einen Pickel oder so was in der Art?“
„Natürlich nicht, aber du bist so gut gelaunt und läufst auf gleicher Höhe mit mir. “
Was für Sarah schon seltsam genug ist.
„Warum sollte ich nicht?“ Hakt er nach.
„Normaler Weise hängst du dich an Gloria. Ich bin für dich nur Mittel zum Zweck.“
Für wie blöd er sie wohl hält…
„Oh…, das.“
Erwischt! Seufzt er und könnte seinen Bruder dafür in den Arsch treten. Er sieht Sarah an und weiss genau dass sein Bruder sich in einer solchen Situation anders verhalten wird als er. Er kann in dieser einen Woche nicht alles wieder gut machen, trotzdem holt er weiter aus:
„Also gut, hör zu. Ich bin nicht einfach. Und manchmal sind die Dinge auch für mich sehr kompliziert. Mein Leben ist sehr schwierig. Deswegen bin ich nicht immer mich selbst und benehme mich ab und an wie ein Arsch. Entschuldige.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.“ Schüttelt sie leicht ihren Kopf: „Wenn du jemanden zum reden suchst, ich bin ziemlich gut im Zuhören.“ Bietet Sarah ihm an da sie seine Ernsthaftigkeit im Gesicht lesen kann.
„Vielleicht eines Tages. Danke.“ Er sieht sie liebevoll an und muss sich zwingen ihr nicht über die Wange zu streichen. Auch wenn er ihr Angebot nicht annehmen kann ist er doch seltsam berührt über ihr Angebot. Darum ballt er seine Hand zu einer Faust. Beide spüren die seltsame Anspannung zwischen ihnen. Gefühle, welcher Art auch immer, sind schon fast greifbar.
Zum Glück rufen Sarahs Geschwister nach ihr und sie verabschiedet sich lächelnd von ihm. Er sieht ihr nach und bemerkt dass sie ein sehr zierliches Mädchen ist. Sie wirkt auf den ersten Blick zerbrechlich, er ist sich jedoch sicher dass der Schein trügt.
Sarahs Herz ist seltsam gefangen von dem Jungen mit dem ernsten Gesicht. Sie weiss nicht was heute mit ihm los ist. Doch irgendetwas sagt ihr dass Marcus gewaltige Probleme mit sich herum trägt. Er tut ihr auf unerklärliche Weise leid. Sie hat in den letzten Wochen schon bemerkt dass er sich öfters in ihrer Nähe aufhält und versucht mit ihr zu sprechen. Doch ihr Bauchgefühl riet ihr vorsichtig zu sein. Heute wirkt er so ernst und gleichzeitig ehrlich. Vielleicht ist es an der Zeit mehr aus ihm heraus zu finden.
Da heute ein strahlender sonniger Tag ist spricht sie in der Pause mit ihren Geschwistern darüber dass sie Marcus näher kennen lernen möchte was auch bedeutet dass sie mal alleine mit ihm zusammen muss. Als Sarah ihr Anliegen beendet hat ist es Michael der als erster darauf reagiert.
„Spielen deine Hormone verrückt. Du weisst genau dass das nicht möglich ist.“
„Klar geht das! Mit Chèn ging’s ja auch. Ich möchte ihn ja nicht gleich heiraten…“ Motzt sie im selben Ton so leise wie möglich zurück.
„Mit Chèn ging das gerade noch so“, stänkert Michael immer noch und Gloria versucht zu schlichten: „Michael bitte. Sarah und ich sind Zwillinge. Auch wenn wir uns äusserlich überhaupt nicht ähnlich sehen fühle ich ganz genau mit ihr. Lass uns zu Hause mit Maria und Benjamin darüber reden was sie davon halten. Okay?“
Michael nickt wiederwillig, steht auf und entfernt sich ein wenig von der Gruppe. Sarah steht ebenfalls auf und humpelt ihm nach. Dass sie endtäuscht ist dass niemand gewillt ist ihr etwas Privatsphäre zu lassen erwähnt sie nicht.
„Michael warte!“ Versteh mich doch, scheinen ihre Augen zu flehen.
„Es ist alles gesagt. Lass es gut sein.“ Schmollt er.
„Ich weiss du hast nicht unrecht. Doch lass mir zwischendurch auch mal ein bisschen Luft zum atmen.“
„Du weisst ich liebe dich und würde fast alles für dich tun.“ Michaels Blick ist leidend da er genau weiss sie wird seine Liebe nie erwidern. Automatisch fährt er mit seiner rechten Hand zärtlich über ihre Wange.
„Ja ich weiss und das macht es nicht unbedingt einfacher für mich.“ Sie sieht ihm direkt in seine grossen braunen Augen.
Michael stöhnt auf und gibt klein bei: „Marcus ist irgendwie… seltsam, aber auf verdrehte Art und Weise schwer in Ordnung. Wir kriegen das schon hin. Versprochen.“
„Danke.“ Lächelt Sarah ihren Bruder an und sie umarmen sich freundschaftlich. Michael ist ihr nicht nur ein guter Bruder sondern auch ein unentbehrlicher und ehrlicher Freund. Manchmal steht er ihr sogar näher als Gloria da er die Dinge aus einer anderen Perspektive sieht. Danach geht Michael wieder zu seinen Geschwistern und Sarah sieht ihm Gedanken versunken nach. Dabei beisst sie sich auf die Unterlippe. Sie sind schon eine zusammen gewürfelte Familie mit vielen, vielen Emotionen und Geheimnissen. In ihrer Familie geht es sehr liebevoll zu und her. Das wiederrum sehr schön doch auch anstrengend sein kann. Ehrlichkeit stet bei ihnen zu Hause ziemlich weit oben. Nur so können sie in ihrer grossen Familie bestehen. Es brauchte eine Weile bis sie dort angekommen sind wo sie jetzt stehen.
Der Nachmittags-Unterricht war kurz. Sarah hat montags jeweils noch eine Stunde für sich da ihre Geschwister den Sport Unterricht drücken müssen. Sport fällt für sie ganz weg. Mit ihrer Krankheit wird sie glücklicher weise davon ausgeschlossen. Das kommt ihr eigentlich sehr entgegen. Früher musste sie während der Stunde blöd da rum sitzen und wurde gehänselt. So ist es wesentlich einfacher. Also setzt sie sich draussen auf eine Bank und nimmt ein Buch hervor um darin zu lesen. Während sie in ihrem Buch stöbert ist die Stunde jeweils rasch um. Also beginnt sie zu lesen…
„Zweifel sind Verräter, sie rauben uns, was wir gewinnen können, wenn wir nur einen Versuch wagen.“ Zitiert Lecram und setzte sich neben ihr hin. Sarah schaut ihn erschrocken an.
„Du zitierst Shakespeare?“ Staunt sie.
„Jupp. Ich sehe du liest seine Zitate. Warum gefällt er dir?“ Möchte er genauer von ihr wissen und Sarah lächelt
verhalten: „Er war seiner Zeit voraus. Vor allem sind seine Zitate sehr zutreffend. Weshalb zitierst du ihn?“
„Aus demselben Grund wie du. Wobei ich alle Art von Lyrik gut heisse.“ Er schmunzelt leicht da ihm die Vorstellung gefällt dass sie etwas Gemeinsames haben.
Sarah schliesst ihr Buch und möchte es zurück in die Tasche legen da meint er bestürzt: „Oh…, nein leg es nicht weg.“ Ich wollte dich nicht stören, „Gehe auch gleich wieder. Bitte entschuldige.“
Um seiner Aussage Gewicht zu verleihen berührt er Sarahs Hand damit sie das Buch nicht weglegt. Wieder ein Mal gibt es bei dieser Berührung einen kleinen elektrischen Schlag. Sofort zieht er seine Hand zurück und beide sehen einander staunend an.
Sarah erklärt aufrichtig: „Du brauchst nicht zu flüchten. Wir können uns ja etwas unterhalten.“
Bleib einfach hier bei mir und lass mich etwas über dich erfahren, denkt sie sich den Rest aber spricht es nicht laut aus da sie befürchtet er geht dann gleich wieder.
„Was willst du denn wissen?“
„Was willst du denn erzählen?“, ist ihre Gegenfrage.
Schlaues Mädchen, er lächelt warm: „Nun ja, du weisst wer ich bin und wo ich wohne. Mich interessiert viel mehr wer du bist und wo du und deine Familie wohnt.“
„Oh…das ist einfach. Meine Schwester und meine Brüder kennst du ja bereits. Dann gibt es noch Maria unsere Mutter und meinen Stiefvater Benjamin…“
„Benjamin ist also der Vater von Jonas und Michael?“, unterbricht er sie kurz um zu verstehen. Sarah nickt und erzählt weiter: „Und dann gibt es da noch unseren Onkel Theo der mit uns zusammen, im gleichen Haus, lebt.“
„Ihr lebt alle unter einem Dach?“
Für ihn kaum Vorstellbar, er käme ja eigentlich auch ohne seine Eltern zurecht.
„Wir haben verschiedene Wohnungen. Wohnen aber alle im selben Haus. Das ist durchaus notwendig.“
„Warum?“ Ist er wissbegierig.
Sarah sieht ihn eingehend an und prüft ihn mit ihrem Blick. „Schon ziemlich persönlich deine Fragerei.“
„Entschuldige. Du brauchst natürlich nicht zu antworten.“
Sie hat Recht, ich bin zu forsch gesteht er sich ein.
„Warum bist du so neugierig?“
„Ihr habt einen speziellen Familienzusammenhalt. Wenn ich ehrlich sein soll war ich skeptisch ob das alles nur Fassade ist.“
„Ziemlich dreist“, aber ehrlich findet Sarah, „nein es ist keine Fassade.“
Heute wirkt Marcus ausgesprochen aufrichtig. Er berührt ihr Herz und sie ist froh dass er nach fragt. Das zeigt eine gewisse Stärke. Geduldig sitzt er da und sieht sie einfach nur an.
Darum ergänzt Sarah: „Wir sind die Familie Halbmond. Schon mal gehört?“
Nun um spiegelt ein sanftes Lächeln seine Lippen: „Ihr seid die Familie die den Tierpark unterhaltet.“
„Also schon davon gehört.“
„Nicht ganz. Eher davon im Internet gelesen. Der Tierpark gehört zu den Sehenswürdigkeiten die ich mir diese Woche ansehen möchte. Du weisst ja ausser dem Weingut und der Schule bin ich noch nicht weit umher gekommen.“
„Ach komm, mit Chèn und Leon wirst du schon umher gezogen sein.“
„Tusche!“ Pokert er, „aber Sehenswürdigkeiten gab’s da nur in flüssiger leicht alkoholischer Natur.“
Grinst er jetzt frech. Doch Sarah lacht offen und so geht er davon aus dass sie Marcus und seine Freunde auch so einschätzt. Nun schaut sie ihm direkt in die wunderschönen grünen Augen. Seine hohen Wangenknochen unterstreichen sein schmales Gesicht mit den feinen Gesichtszügen. Die Augen liegen nicht eng bei einander sondern eher weit auseinander. Sarah hat das Gefühl sie könnte ihn Stundenlang nur ansehen. Heute hat er seine Haare hinten zusammen gebunden was ihm auch gut steht. Tatsächlich geniesst sie es hier und jetzt mit ihm da zu sitzen. Das hätte sie in der letzten Woche nicht für möglich gehalten. Obwohl sie sich nicht kennen fühlt es sich sehr vertraut an neben ihm zu sitzen.
„Den Tierpark solltest du dir wirklich ansehen“, lächelt sie sanft, „Marcus, kann ich dich was fragen?“ hofft sie dass er ihr ehrlich antwortet.
„Klar“, ist seine einfache Antwort.

Sie kneift ihre Augen enger zusammen: „Weshalb schleichst du heute nicht um meine Schwester herum und machst ihr hübsche Augen? So wie sonst auch?“
Mist, denkt er kurz und seufzt ganz leise auf. Er ist nicht Marcus und wird es wohl nie hundert Prozent sein können. Dieses Mädchen scheint den Unterschied zwischen ihnen zu spüren. Was soll er auf diese Frage antworten? Er will so nah an der Wahrheit bleiben wie möglich. Also denkt er an seinen Bruder als er antwortet:
„Das kann ich immer noch, die nächsten drei Wochen. Diese Woche habe ich für dich reserviert.“
Diese blöde Antwort bringt Sarah erneut zum lächeln und ihm fällt ein Stein vom Herzen. Seine Antwort ist ja wirklich nah an der Wahrheit. Himmel, er muss vorsichtiger sein.
„Sarah kann ich dich besuchen und könntest du mir den Tierpark zeigen?“
So viel zum Thema vorsichtiger.
„Bittest du mich gerade um ein Date?“
„Ja, vielleicht kommt das einem Date nah.“
Lässt er mal so offen stehen und Sarah Mundwinkel zucken vergnügt.
„Ich bin morgen sehr wahrscheinlich nicht an der Schule. Aber komm doch am Abend vorbei. Mal sehen was sich machen lässt. Ich verspreche jedoch nichts.“
„Danke, ich komme darauf zurück.“
„Bin gespannt wie es dir gefällt...“
Bevor er die Chance hat zu antworten zuckt Sarah vor Schmerz zusammen. So sieht es zumindest für ihn aus. Sarah will aufstehen doch Lecram fängt sie gerade noch rechtzeitig auf. Dann setzt er sie wieder auf die Bank und sieht sie fragend an.
Leise wispert sie: „Bitte nimm mein Handy aus der Jackentasche und gib es mir.“
Sofort tut er worum sie ihn gebeten hat, versteht aber nicht das Geringste. Sie sieht so bleich und verletzlich aus. Ihre Haut hat keine Farbe mehr und ihre braunen Augen wirken tatsächlich fast schwarz… Für einen Sekundenschlag schien auch die weisse Augenhaut schwarz gewesen zu sein. Verwirrt schüttelt er kurz seinen Kopf und möchte im Moment nur für sie da sein.
„Kann ich dir helfen?“
Sarah atmet zwei drei Mal tief durch und sieht dankend zu ihm auf.
„Nein, geht schon wieder.“
Tatsächlich, jetzt sieht sie wesentlich besser aus wie vor kurzem. Vor einer Minute war ihre Gesichtsfarbe leicht gelblich und blass. Und nun hat sie ihre Farbe wieder als sei eben nichts vorgefallen. Selbst ihre Augen sind wieder klar. Ziemlich ratlos und verwirrt steht er da und sieht sie eingehend an während sie mit einer Hand eine Nachricht per Handy verschickt. Dabei fällt ihm auf dass sie immer noch seine Hand fest umschlungen hält. Mittlerweile sitzt auch er wieder neben ihr und sein Herz hat wieder den normalen Rhythmus. Am liebsten würde er sie in den Arm nehmen und sie an sich drücken. Er würde ihr so gerne nah sein und sie beschützen. Dieses zierliche Mädchen das mit ihren grossen Augen irgendwie Audrey Hepburn ähnelt zieht in sprichwörtlich in den Bann. Bevor Lecram zu Wort kommt, steht Michael schon da und reisst Sarah von der Bank, dabei lässt sie Lecram los. Michaels Blick geht von Sarah zu Lecram und umgekehrt. Dann spricht Michael ruppig: „Marcus, danke für dein Hilfe.“
„Kein Problem.“
Und schon sind sie weg! Lecram steht da wie bestellt und nicht abgeholt. Ratlos spricht er zu sich selbst: „Was zur Hölle…?“ Dabei zieht er seine Stirn hoch.
„Hab dir ja gesagt es ist schwierig mit der Familie“, hört Lecram jetzt Chèn hinter sich. Also dreht er sich zu Chèn und nickt ihm verwirrt aber zustimmend zu.
Chèn möchte ablenken: „Kommst du heute Abend wieder zu Leon? Wir hauen einen drauf. Leon hat wieder freie Bude.“
„Es ist erst Montag.“ Ist er entgeistert da er die Sache mit Sarah noch verarbeiten muss.
„Jetzt schau mich nicht so an. Das hat dich letzte Woche auch nicht gestört.“
Ja genau, es geht hier ja um Marcus und nicht um ihn, langsam versteht er und schlüpft in seine Rolle: „Stimmt, klasse Idee. Muss aber zuerst schauen ob ich heute auf dem Weingut gebraucht werde. Melde mich noch bei dir.“
Damit ist Chèn einverstanden und sie gehen beide ihren Weg. Lecram ist sich sicher dass er in einem Theaterkurs gut abschneiden würde. Ihr Rollentausch ist ja schon fast Oscar reif. Wobei ja eigentlich nur er Schauspielerisches Talent an den Tag legt. Marcus ist einfach nur Marcus.
Zu Hause trifft Lecram zuerst auf seinen Vater. Adam ist sehr gross, kräftig gebaut und hat harte Gesichtszüge. Als Tür Steher würde er sich sicherlich auch gut machen, lächelt Lecram bei diesem Gedanken in sich hinein. Adam besitzt kurzes schwarzes Haar mit etwas grau in den schläfen. Adam hat markante, harte Gesichtszüge. Man muss Adam schon genauer kennen um zu merken dass er ganz in Ordnung ist, so auf Anhieb wirkt er nicht Sympathisch. Adam ist ein Kopf Mensch und ist immer kühl bei der Sache. Seine Frau Liv ist ziemlich ähnlich. Liv ist auch ziemlich gross, schlank und trägt langes schwarzes Haar dass sie meistens zusammen bindet. Auch sie ist ein eher ernster Typ Mensch. Beide machen ihren Job zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk, ausser bei der Kindererziehung versagen sie vollends.
Adam sieht zu dem Jungen hinüber und stellt sachlich fest: „Da der Gargoyle nicht auf dem Dach sitzt nehme ich an du bist Lecram.“
„Wo ist Marcus?“ Nickt Lecram.
„Vermutlich oben im Zimmer. Er hängt wahrscheinlich vor dem PC. Wie immer wenn er im Haus ist.“
Das ist die Information die Lecram gebraucht hat. Also zieht er sich zurück und geht direkt zu seinem Bruder ins Zimmer.
„Schon mal was von anklopfen gehört“, motzt dieser.
„Davon gehört ja…“, setzt sich Lecram auf das Bett, „Ich hab einen Vorschlag.“
Marcus sieht interessiert vom PC auf.
Also erklärt Lecram: „Chèn hat gefragt ob du heute mit ihm bei Leon einen drauf haust.“
„Cool…, hm, es ist deine Woche.“ Ist die Begeisterung von Marcus schon wieder verflogen und er weiss nicht worauf sein Bruder hinaus möchte.
„Von mir aus geh ruhig. Ich will heute eh nicht mehr weg.“
Marcus sieht seinen Bruder schief an als würde Lecram mal über die Stränge schlagen. So was gab es ja noch nie!
Lecram sieht den Blick seines Bruders, geht darauf ein: „Dafür bist du in den nächsten Wochen etwas netter zu Sarah.“ Und lass Gloria in Ruhe.
Marcus wirkt arrogant. „Warum sollte ich.“
„Ich gehe morgen Sarah besuchen. Übrigens ist ihr Familienname Halbmond.“
„Hab ich doch schon mal gehört oder gelesen…“, beginnt Marcus nachzudenken. Lecram will ihm etwas auf die Sprünge helfen: „Die Familie mit dem Tierpark…“
Marcus klatscht in die Hände: „Stimmt... Wieso gehst du morgen da hin?“
„Ich wäre eh in den Tierpark gegangen und Sarah führt mich etwas herum.“
„Ach komm, das ist doch ein Date.“ Nimmt Marcus seinen Bruder hoch. „Und dir liegt doch was an ihr.“ Grinst Marcus über sein ganzes Gesicht. Er geniesst es im Recht zu sein.
„Nicht direkt“, ich weiss dass ich keine Freunde haben kann,
„Doch du wolltest ja die Familie unter die Lupe nehmen und ich habe Morgen die Gelegenheit dazu. Gilt unsere Abmachung.“
„Weiss noch nicht.“ Unterstreicht Marcus mit einem Achselzucken seine Worte. Lecram weiss genau dass er in diesem Moment nicht mehr aus seinem Bruder heraus bekommt. Marcus wird eh machen was er für richtig hält. Also besteht er auf keine Antwort und zieht sich in sein Zimmer zurück. Dann nimmt er die Hausaufgaben hervor und lenkt sich mit diesen etwas ab. Auch wenn er keine Aufgaben haben sollte versucht er Tag täglich für die Schule zu lernen. Es lenkt von seiner Misere ab und lässt ihn daran glauben dass auch er normal sein kann. Dass auch er ab und an normal ist.
Kurze Zeit später kann er hören wie sich sein Bruder auf den Weg macht dabei er lächelt in sich hinein. Also hat er den morgigen Abend zur freien Verfügung. Auch wenn Marcus nicht wörtlich sein O.K gegeben hat ist dies seine Art der Zustimmung.
Den seltsamen Vorfall mit Sarah hat Lecram seinem Bruder extra verschwiegen. Er sieht keine Notwendigkeit dafür. Schliesslich rennt Marcus eh nur zu seinen Eltern und das muss nicht sein. Nicht so lange er es verhindern kann. Ihm liegt etwas an Sarah. Und er will nicht wieder umziehen nur weil Marcus und seine Eltern es verpatzen. Oder sie das Gefühl haben am falschen Ort zu sein. Er möchte einfach mal irgendwo zu Hause sein.


Tierpark

Am darauf folgenden Tag ist Sarah, wie erwähnt, nicht in der Schule anzutreffen. Ihre Geschwister schon.
Ob es Sarah auch wirklich wieder gut geht, fragt sich Lecram. Irgendwie fehlt ihm ihre Anwesenheit an der Schule. Nein, er darf keine solchen Gefühle aufkommen lassen. Wer weiss wie lange er und seine Familie an diesem Ort sesshaft bleiben…
Also versucht er seinen Bruder gerecht zu werden und hängt mit Chèn und Leon ab. Die beiden sehen nicht ganz so fit aus nach dem gestrigen Abend. Das belustigt Lecram. Auch er hat seinen Bruder auf der Toilette gehört. Und das klang nicht gerade verheissungsvoll.
„Mann Marcus, wie machst du das. Man sieht dir nichts an das wir gestern über die Stränge geschlagen haben.“ Stellt Leon mit verengten Augen fest. Denn das sonnige Wetter ist für seine Augen heute wohl nicht ideal.
„Tja, gewusst wie“, protzt Lecram grinsend und geniesst das sonnige Wetter im Gegensatz zu seinen Freunden.
„Klugscheisser“, scherzt Chèn.
Die restliche Zeit muss sich Lecram anhören wie die Jungs damit prahlen wie toll es gestern Abend war. Sie haben sich angeblich über die Bar von Leons Eltern her gemacht. Nach der Aussage von Leon nahmen seine Eltern keine Notiz davon. Na, wenn das mal nicht gelogen war. Denn unter einem fadenscheinigen Vorwand kann Leon die nächsten Tagen, abends nicht mehr weg. Er habe so seine Verpflichtungen. Das sei ebenso wenn man reiche Eltern hat. Was für ein Merkwürdiger Zufall! Lecram kann das ja nur Recht sein. So hat er etwas Ruhe von den beiden Chaoten. Lecram mag Chèn eindeutig besser leiden. Chèn ist eher der Kumpel Typ mit dem man gerne abhängt. Chèn hat so was Gutmütiges in seinem Blick. Treue Augen eben. Als könnte er keiner Fliege was zu leide tun. Lecram spürt genau dass Chèn sich noch um Sarah sorgt. Denn auch Chèn hält heute nach Sarah Ausschau. Aus diesem Grund will Lecram versuchen heute ehrlich zu Chèn sein.
„Hey Mann, stört es dich wenn ich etwas Zeit mit Sarah verbringe?“
„Was willst du denn von Sarah?“
„Weiss ich noch nicht so genau. Frage ja nur.“
„Hör mal, du wechselst deine Meinung auch wie deine Unterhosen.“
„Hä?“
„Nun, letzte Woche baggerst du noch Gloria an und jetzt sagst du mir du möchtest Sarah Daten.“
Ja klar, der echte Marcus war ja viel eher hinter Gloria her. Er hätte sich diese Frage echt verkneifen sollen. Aber da er sie nun gestellt hat muss er auch antworten. So wie sein Bruder es tun würde: „Ach komm, ein bisschen Spass muss sein.“
„Hör zu. Sein nett zu Sarah, sonst sind wir keine Kumpels mehr. Verstanden?“
„Geht klar.“ Natürlich versteht er Chèn.
Damit ist das Thema vorerst vom Tisch. Gott sei Dank hat er gerade noch die Kurve gekratzt. Er ist froh den Tag so gut gemeistert zu haben. Irgendwie läuft das hier nicht so rund wie in anderen Schulen. Es gab ja noch nie irgendwelche Jungs oder Mädchen die an ihm selbst interessiert waren. Klar gab es da Mädchen die sich für Marcus interessierten und er versuchte so gut wie möglich dabei seinen Bruder zu spielen. Doch er hatte bei keinem der Mädchen dabei Gefühle entwickelt und musste aufpassen dass er seine Rolle gerecht wird. Meistens gab er vor Erkältet zu sein oder sonst was. Die Mädchen waren alle so oberflächlich wie sein Bruder.
Bei Sarah ist es anders, sie berührt ihn durch ihre Art und Weise. Ihr Interesse an der Lyrik gefällt ihm auch. Wenn er genau darüber nachdenkt ist er sich durchaus Bewusst dass er ihr zu nah kommt. Für ihn eigentlich ein absolutes Tabu. Nichts desto trotz möchte er sie näher kennen lernen, wohl bewusst dass er distanzierter sein muss. Also setzt er sich nach Schulschluss in den Wagen und fährt die Strasse entlang die zum Tierpark führen muss. Da er sich hier noch nicht auskennt ist er froh über das Navi das ihn sicher führt. Er parkiert auf dem grossen Parkplatz. So wie er sehen kann ist er heute nicht der einzige Besucher hier. Kein Wunder bei dem sonnigen Wetter. Staunend steigt er aus seinem Wagen. Und lässt das grosse, wuchtige alte Anwesen zuerst einmal auf sich wirken. Es ist ein sehr grosses Anwesen und wirkt einladend. Die weisslichen Steinmauern gefallen Lecram und er lächelt da er nicht mit einem solchen alten und doch gut erhaltenen Anwesen gerechnet hat. Klar hat er im Internet das Foto gesehen, doch in Natura sieht das Gebäude viel eindrucksvoller aus. Das war nun also die Viktorianische Architektur. Ob es sich nun um Neugotik oder Italiante-Stil handelt vermag er nicht zu sagen. Lecram geht langsam auf dem Kieselsteinweg in Richtung Haupteingang. Die Kieselsteine knirschen unter seinen Füssen. Automatisch schmunzelt er weil ihm das Geräusch so vertraut ist. Ein Stück vor dem Haupteingang, der nur für Besucher geöffnet ist, entdeckt er zwei Steinsäulen auf der Steinmauer die das Gelände umzäunt. Die Säulen sehen tatsächlich wie - zwei Dämonisch wirkende Gargoyles aus. Einer ähnelt einem Minidrachen und hat sogar kleine Flügel. Lecram studiert die Skulptur eingehend und kann sich nicht vorstellen wie man mit solchen kleinen Flügel fliegen soll. Da stimmen die Proportionen wirklich nicht. Der Steinhauer muss sich da vertan haben. Ansonsten eine schöne Arbeit bei der sicherlich viel Fantasie erfordert ist. Der andere Gargoyle besitzt eine grimmige Mimik, und hat zwei kleine Hörner auf dem Kopf. Dazwischen so etwas was man als einen Irokesen Haarschnitt bezeichnen würde. Dieser Gargoyle besitzt keine Flügel dafür auch einen kurzen Schwanz. Beide sehen sehr furchteinflössend aus. Lecram stellt fest dass er sich schon ziemlich von den beiden in Stein gemeisselten Gargoyles unterscheidet. Er besitzt keinen Schwanz und hat bedeutend mehr als drei Finger, ihre sind Klauenartig. Er lacht laut auf und tätschelt die Wand auf der die Gargoyles sitzen.
„Wie ich sehe sitzt ihr gut. Weiter so.“ Nicht dass er damit rechnet diese Gargoyles werden abends lebendig. Aber es ist trotzdem interessant mal solche Dämonen der Nacht von nahem zu sehen. Als nur solche die er im Internet Google. Dieses Anwesen ist mit eines der ältesten in der Gegend wie er im Internet nach gelesen hat. Man sieht durchaus dass es alt ist. Es hat etwas Würdevolles so dass man den einen oder anderen Riss in der Hauswand nicht gewichtet. Die Hauswand erinnert ihn etwas an ihn wenn er der Gargoyle ist. Auch er hat dunkelgraue Stellen am Körper das seinen Körper fast wie marmoriert aussehen lässt. Er steht da in Gedanken mit seinem Blick auf das Anwesen als Gloria zielstrebend auf ihn zukommt.
„Gefällt es dir?“
„Ja, es ist wunderschön.“ Wendet er seinen Blick nun zu Gloria.
„Sarah hat erwähnt dass du heute Abend eventuell auf einen Besuch kommst.“
„Ist es O.K für euch?“
„Klar, komm einfach mit. Wir sind nicht kompliziert“, ist Mandys einfache Antwort.
Es ist nichts Falsches an ihrer Art. Er fühlt sich automatisch sehr wohl. Während er ihr folgt betrachtet er sie eingehend. Sie ist schon eine hübsche Erscheinung. Obwohl ihre Augen und ihre Haare schon auffällig hell sind. Ihr Blondes Halblanges Haar geht schon fast ins graue, fast silberne hinüber. Doch der Glanz ihrer Haare ist einfach wundervoll. Gloria ist wie ihre Schwester auch sehr zierlich, hat vielleicht etwas mehr Kurven als ihre Schwester oder es ist ihre schwungvolle, leegere Gangart die es einfach so aussehen lässt. Ihre hellblauen Augen sind Kristall klar und wenn Gloria einen mit ihren klaren Augen direkt ansieht kann man sich ihrer kaum entziehen. In diesem Zustand würde man fast alles für sie tun. Lecram kommt es zuweilen manchmal so vor. Wenn Gloria rote Augen besässe ging sie doch tatsächlich auch als Albino durch. Lecram schüttelt seinen Kopf damit seine Gedanken wieder klar werden und lächelt Gloria warm an. Als ob sie gespürt hat dass er sie mustert sieht sie ebenfalls lächelnd in seine Richtung. Dann führt sie ihn links am Haupteingang vorbei. Weiter hinten in einer Nische ist ein weiterer Eingang zu sehen. Sie hält ihm die schwere Holz Türe auf die beim öffnen einen lauten quietschenden Ton von sich gibt. Gloria reckt ihr Kinn und erwidert:
„Alter vor Schönheit.“
Er geht kommentarlos hinein und spendet ihr ein verschmitztes Lächeln. Auch Gloria tritt hinein und als die schwere Tür ins Schloss fällt gibt es einen dumpfen lauten Ton.
„Anschleichen dürfte hier wohl schwierig sein!“ bemerkt Lecram.
„Geht gar nicht, haben wir schon probiert.“
Das kann sich Lecram gut vorstellen. Der Eingang ist Grosszügig angelegt. Von hier aus geht es wohl in die diversen Wohnungen im Anwesen. Marcus lässt Gloria an sich vorbei und geht ihr staunend nach. Als sie eine weitere Türe aufstösst ruft sie überraschend laut in den Raum: „Sarahs Besuch ist da!“ Dann grinst sie ihn direkt an und überlasst ihn seinem Schicksal indem sie den Gang entlang geht und in einem anderen Raum verschwindet. Dabei lässt sie ihn einfach so am Eingang stehen.
„Wie nett“, stöhnt er unsicher auf. Jetzt wissen wohl alle im Haus dass er angekommen ist. Kurz darauf kommt ein nett aussehender, etwas rundlicher Mann mit Braunem, etwas schütterem Haar, auf ihn zu und reicht ihm die Hand entgegen: „Du musst Marcus sein. Ich bin Benjamin. Nenn mich einfach Ben. Komm einfach hinein.“
„Hallo Ben, danke...“ Und Lecram tritt einen Schritt in den Gang.
Danach lässt auch Ben ihn einfach so stehen und geht hinaus. Als Ben die schwere Türe aufmacht und sie ebenfalls in das Schoss fallen lässt hört Lecram wieder diesen dumpfen dunklen Ton. Wieder steht Lecram etwas verloren im Eingang und wartet was als nächstes auf ihn zukommen mag. Irgendwie ist er amüsiert über das rege Treiben.
Nun kann er den Duft der Küche riechen und es riecht einfach sagenhaft. Sein Magen beginnt automatisch zu rumoren. Daraufhin kommt Michael die Treppe hinunter und begrüsst ihn rasch mit einem Lächeln und Kopfnicken. Dabei erzählt er Lecram dass Sarah gleich runter kommt und verschwindet ebenfalls wieder aus Lecrams Blickfeld. Lecram steckt seine Hände in die Hosentasche und lehnt leegere an der Wand an. Was soll er auch anderes machen als die ganze Familiensituation hier zu beobachten. Irgendwie amüsiert er sich immer mehr dabei. Nun kommt auch Jonas aus dem Raum der wohl die Küche sein muss da der Duft aus dieser Richtung stammt. Jonas wird von Gloria begleitet. Die beiden bleiben beim Lecram kurz stehen und Gloria schreit laut auf so dass er kurz zusammen zuckt: „Sarah…! dein Besuch ist da!“
Dann gehen die beiden grinsend die Treppen Stufen hoch. Eine sehr lebhafte Familie, denkt sich Lecram. Eigentlich kann es doch noch ganz spannend sein hier stehen zu bleiben und das Geschehen einfach zu beobachten. So als wäre er gar nicht da! Er schaut sich verstohlen etwas um. Es scheint eine sehr grosszügige Wohnung zu sein. Sogar zwei Stöckig. Die hohen Wände gefallen ihm sehr gut. Er steht so da bis eine rothaarige Frau ihren Kopf aus der Küche streckt und ihren Kopf schüttelt. Dann ruft sie so laut dass sie sicherlich alle hier hören können: „Wo bleiben denn eure Manieren. Gäste lässt man nicht einfach so im Gang rum stehen!“ Dann sieht sie zu Lecram und spricht sanfter: „Marcus, komm doch bitte in die Küche. Keine Ahnung wo ihre Manieren geblieben sind!“
Wortlos geht er zu der hübschen Frau hin. Er bewundert ihr schönes kräftiges rotes gelocktes Haar. Ihre grünen Augen strahlen ihn belustigt an. Wäre er ein paar Jahre älter hätte er sich auf Anhieb in sie verliebt. So eine positive Ausstrahlung hat er selten erlebt. Sie hat eine wahnsinnige warme Ausstrahlung. Dann nimmt sie seine Hand in die ihre und spricht fröhlich: „Hallo Marcus. Ich bin Maria. Möchtest du etwas trinken?“
„Danke Maria, ja gerne ein Glas Wasser.“
„Kein Problem, setzt dich einfach hin.“ Spricht sie gut gelaunt und zeigt ihm mit einem Handzeichen wo er sich hinsetzten kann. Sofort stellt sie ihm ein Glas Wasser hin. Lecram ist fasziniert von der Unbeschwertheit die hier gelebt wird. So viel Freundlichkeit die ihm entgegen gebracht wird. Obwohl sie ihn eigentlich ja gar nicht kennen. Er ist doch bloss ein Fremder! Irgendwie rührt ihn das schon fast etwas. Lecram sieht sich in der Küche um. Sie ist einladend gross und hell. Überall stehen hübsche Kleinigkeiten und Kräuter herum. Es duftet herrlich in der Küche. Bevor er etwas sagen kann steht Sarah dann im Türrahmen.
„Du bist schon da. Gut, wollen wir?“
Er nickt Sarah zu und steht auf. Bis anhin hat er noch fast kein Wort gesprochen doch nun bedankt er sich: „Maria, danke für die Gastfreundlichkeit.“
„Dafür brauchst du dich nicht zu bedanken. Das ist doch selbstverständlich.“
„Nicht unbedingt. Danke“, spricht er nochmal nachhaltig.
Dann lässt er sich von Sarah führen die ihn an die Hand nimmt. Als sie alleine im Park Stehen: „Wie meinst du das: nicht unbedingt“, möchte sie genauer wissen und lässt seine Hand los.
Er erläutert: „Meine Eltern sind nicht so nett. Sie werden dich nicht mit einer solchen Selbstverständlichkeit aufnehmen. Deswegen habe ich mich bedankt.“ Du hast wirkliches Glück mit deiner Familie.
„Oh, das tut mir leid. Ich kenne es nicht anders.“
„Dann geniesse jeden einzelnen Tag.“ Und das meint er genau so wie er es eben gesagt hat. Sie gehen ein Stück und Sarah nimmt ihren Mut zusammen und fragt sanft: „Leidest du darunter?“
„Jeden verdammten Tag“, kommt spontan die Antwort und darauf folgt sogleich die Anmerkung, „Aber hör mal. So etwas bleibt unter uns, sowas habe ich nie gesagt und bestreite es wenn du mich noch mal darauf ansprichst.“ Himmel, er muss seine Zunge zügeln.
„Mach dir keinen Kopf deswegen.“ Sieht sie in ernst an da seine Leichtigkeit wie weggeblasen zu sein scheint. Ob sie ihn auf dem falschen Fuss erwischt hat? Eigentlich ist sie etwas verwirrt, lässt es sich jedoch nicht anmerken. Sarah sieht mit welcher Ernsthaftigkeit er heute wieder mal spricht.
„Danke“, ist seine einfache Antwort als er den Kiefer zusammenpresst.
Dann führt Sarah ihn quer durch einen kleinen Teil des Parks. Denn für die ganze Besichtigung reicht die Zeit heute einfach nicht aus. Marcus ist froh über den Themenwechsel und sieht ihr zu wie sie ihm alles ins kleinste Detail beschreibt. Er versucht wirklich ihr zu zuhören doch stattdessen geniesst er es einfach sie anzusehen. Sie sieht so melancholisch aus mit ihren grossen Rehbraunen Augen. Dahinter scheint eine lange Leidensgeschichte zu stecken. Kann natürlich auch sein dass er sich das alles nur einbildet. Aber mit ihrer Geh Behinderung kann nicht alles so einfach in ihrem Leben sein. Ihr kurzes Haar unterstreicht ihr Gesicht mit ihren grossen traurigen Augen. Ihre Zahnlücke findet er einfach nur süss. Sie ist so feingliedrig dass sie schon fast etwas Elfisches an sich hat. Nur die spitzen Ohren fehlen eigentlich noch. Er hat fast das Gefühl dass sie etwas Magisches an sich hat. Ihr Körper ist nicht so einladend gebaut wie der ihrer Schwester. Sie ist eher burschikos…, oder liegt es an ihrer Kleidung? So in Gedanken versunken achtet Lecram noch nicht mal auf die Tiere die sie ihm zeigt. Ab und an nickt er ihr zu oder sagt: Aha, oder Oh, einfach so dass sie das Gefühl hat er hört ihr zu. Noch nie hat ihn ein Mädchen derart fasziniert. Oder hat er es einfach nie zugelassen? Nein, er hat noch niemanden kennen gelernt der es Wert war näher kennen zu lernen. Hier geniesst er es einfach bei ihr sein zu können. Eine seltsame Art von Freiheit beflügelt ihn. Sie gehen sehr langsam da Sarahs Bein sie beträchtlich beeinflusst. Für einen kleinen Moment überlegt er sich ob er Sarah nach ihren letzten Zusammenbruch in der Schule fragen soll. Doch der Abend ist zu schön, er will ihn nicht aufs Spiel setzten.
Als die beiden bei einer grossen Volliere ankommen schreckt Marcus kurz auf da er das Gefühl hatte jemand ruft leise seinen Namen: Lecram. Er sieht sich um und tatsächlich schien es ihm dass die Stimme aus der Voliere kam. Doch darin sind nur einige Krähen die laut krähen, flattern und ihn aus seinen Gedanken zurück in die Gegenwart holen. Lecram begutachtet die grosse Voliere und sieht eine einzelne grosse Krähe die neugierig, ruhig da sitzt und ihn direkt zu beobachten scheint. Dabei hält die Krähe den Kopf seitlich damit sie Lecram genau betrachten kann. Seltsam angetan geht Lecram etwas näher an die Voliere heran. Tatsächlich fliegt die Krähe auf den nächsten Ast der Lecram am nächsten liegt, entgegen. So Auge um Auge und Regungslos stehen die beiden einen magischen Moment einfach nur so da. Lecram scheint es fast so als wollte die Krähe ihm etwas mitteilen.
Staunend erwidert Sarah: „Sie mal einer an. Der scheint dich zu mögen.“ Dann kräht die Krähe kurz auf.
„Der musterte mich ja regelrecht. Das ist ja…ähm, seltsam?“
„Es scheint als hätte die Krähe dich irgendwie ausgesucht. Faszinierend nicht? Faszinierende und sehr kluge Tiere.“
„Absolut. Doch warum sind sie gefangen?“ Versteht Lecram nun wirklich nicht. Diese Frage scheint Sarah in Bedrängnis zu führen. Denn ihr Gesichtsausdruck ist nicht mehr so locker wie zuvor. Sie zieht ihre Augen schmal zusammen als sie Antwortet: „Sie sind nicht wirklich gefangen. Wir studieren ihre Lebensweise. Die Krähen sind wie gesagt, sehr intelligent.“
„Kannst du sie nicht frei lassen?“
„Vielleicht eines Tages...“
„Lässt du wenigsten diesen einen hier frei?“
„Mal sehen. Warum ist dir das wichtig?“
„Mir wichtig? Ah wohin.“ Er zuckt mit der Schulter auf da er nur nach seinem Bauch-Gefühl heraus gefragt hat, „Ist es nicht. Entschuldige.“
Seltsam!
Nach diesem Erlebnis schlendern sie ins Haus zurück. Dort trinkt er nochmals ein Glas Wasser und Maria fragt: „Hast du Lust mit uns zusammen Abend zu essen?“
„Danke, sehr gerne“, sagt er spontan zu. Obwohl es Lecram etwas unwohl ist da er bemerkt hat wie Maria ihn mustert. Aus irgendeinem Grund bekommt er Gänsehaut obwohl er jede Sekunde in diesem Haus geniesst. So eine Familie hat er sich selbst immer gewünscht. Sarah reisst ihn von Maria los und nimmt ihn bei der Hand da sie entschlossen ist ihm ihr Zimmer zu zeigen. Lecram staunt über ihre Leichtigkeit und findet es wieder sehr angenehm ihre Hand zu halten. Er streicht mit seinem Daumen über ihren Handrücken. Verliert aber kein Wort darüber. Um in den oberen Stock zu gelangen müssen sie die grosse, sehr breite und offene Holztreppe hinauf. Lecram gefällt die sehr breite der Treppe mit dem schmalen Stufenabstand. Nichts in diesem Haus ist eng. Auch die Zimmer im oberen Stock sind sehr grosszügig geschaffen. An den Decken hängen – wie unten im Wohnzimmer - verschiedene Deckenrelief die er nur kurz zu Gesicht bekommt da Sarah ihn behände weiter zieht. Das Zimmer von Sarah ist freundlich eingerichtet. Helle Farben prägen den hohen Raum der als Abschluss hübsche Zierleisten trägt. Diese Räume haben etwas würdevolles, denkt Lecram gerade als Sarah ihn sanft aus den Gedanken zurück holt: „Willst du nicht deine Eltern anrufen dass du heute hier bei uns essen wirst.“
Er sieht sie direkt an. „Nicht nötig. Aber mach dir keinen Kopf deswegen. Habe dir doch gesagt dass es sie nicht interessiert.“
Sarah zitiert: „An sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu.“ Und Marcus schmunzelt: „Da hilft es auch nicht wenn du Shakespeare zitierst. Es ist nun mal wie es ist. Wie gesagt, wenn du möchtest kannst du gerne bei uns vorbei kommen um dir ein Bild davon zu machen.“
„Vielleicht mach ich das wirklich mal“, starrt sie ihn an und zuckt mit der Schulter auf. Dann hören sie auch schon Maria rufen sie sollen alle an den Tisch sitzen. Sarah beisst sich auf die Unterlippe da sie gerne noch ein zwei persönliche Dinge mit Marcus geklärt hätte. Sie lässt sich jedoch nichts anmerken und will ihn wieder bei der Hand nehmen. Doch Lecram entzieht ihr die Hand und ballt eine Faust.
„Danke, ich kenne den weg jetzt“, und lächelt sie dennoch freundlich an. Sarah macht grosse Augen und hätte so viele Fragen doch dafür bleibt keine Zeit. Vorhin war er noch so gelöst und jetzt ist er bereits wieder verkrampft. Was geht bloss in diesem Jungen vor, Sarah versteht nicht im Geringsten weshalb er sich so seltsam benimmt. Schweigt aber da jetzt nicht die Zeit ist darüber zu sprechen.
Als sie in der Küche ankommen sitzen schon alle anderen am Tisch. Michael und Jonas grinsen Marcus verschmitzt an. Sie finden es lustig dass er mit ihnen am selben Tisch sitzt und natürlich muss Michael seine Schwester Sarah etwas damit foppen: „Läuft da etwas zwischen euch beiden? Hattest du nun genug Zeit um ihn…“
Eine Antwort bekommt Michael nicht. Stattdessen fliegt ein nasser Waschlappen in sein Gesicht. Und Maria mahnt ihn: „Wo bleiben deine Manieren junger Mann!“ Und Benjamin pflichtet Maria grinsend bei: „Guter Schuss, Liebling.“
Alle lachen kurz auf und geniessen das gemeinsame Nachtessen. Marcus, also Lecram, geniesst es vielleicht noch ein bisschen mehr als die anderen. Sie führen interessante Gespräche über die Tiere und die Schule. Lecram ist überdies immer noch sehr fasziniert von Maria. Für ihn entspricht sie genau seinem Bild von einer Mutter. In seinen Träumen träumt er allerdings immer von einer hübschen blonden Frau mit schönen klaren blauen Augen. Die Frau ist das pure Gegenteil von seiner Mutter Liv. Vielleicht ist sie genau aus diesem Grund blond in seinen träumen.
Die Familie Halbmond erzählt ihm von den Sehenswürdigkeiten die er bald einmal besuchen soll. Von der Bay of Fundy, einen Abstecher zur Blomidon Halbinsel, oder das Naturspiel von Ebbe und Flut in Truro müsse auch sehenswert sein. Es klingt alles so wundervoll und spannend. Er geniesst sein Menschen da sein in vollen Zügen und ist einfach nur glücklich und dankbar jetzt in diesem Moment hier sein zu dürfen.
Plötzlich kommt ein stattlicher Mann mit wirrem blond gelocktem Haar und blauen Augen in die Küche. Die Familie begrüsst ihn mit Theo. Das ist also Onkel Theo, begreift Lecram. Theo ist kräftig gebaut und ziemlich gross. Seine blauen Augen passen gut zu seinem blonden wuscheligen Haar. Theos Blick fällt auf ihn, sofort sieht Theo ihn streng an und verengt seine Augen dabei. Dann fährt Theo Maria etwas an: „Was soll das denn? Was tu dieser Junge hier?“
Alle am Tisch verstummen schlagartig und sehen erstaunt zu Theo. Maria steht auf geht behutsam einen Schritt auf Theo zu. Ben wollte sich einmischen doch Marias Blick zeigt ihm dass es für sie kein Problem zu sein scheint.
„Theo, das ist Marcus. Er ist Sarahs Gast.“
Theo hat sich etwas gefangen und geht auf Lecram zu. Lecram steht automatisch auf und reicht Theo seine Hand zur Begrüssung. Theo nimmt sie an: „Guten Abend Marcus. Was tust du hier?“
Lecram zieht seine Augenbrauen hoch da er nicht mit einer solchen direkten Frage gerechnet hat.
„Eine Berechtigte Frage. Ich geniesse hier ein wundervolles essen.“
Die Jungs kichern ein wenig, durch Marias Blick verstummen sie jedoch gleich.
„Ehrlichkeit weiss ich zu schätzen. Vielleicht ist es an der Zeit dass du nach Hause gehst. Wir haben heute im Park noch einiges zu tun.“ Sind die einfachen doch klaren Worte von Theo und Lecram versteht das Anliegen. Michael kichert immer noch etwas und Sarah stösst ihren Ellenbogen in seine Rippen. Dann legt Michael seinen Arm um Sarah und zieht sie lächelnd zu sich. Jonas spricht gelassen: „Komm Marcus, ich bringe dich noch raus aus dem Irrenhaus.“
Lecram nimmt das Angebot gerne entgegen und verabschiedet sich höflich bei allen. Natürlich bedankt er sich nochmal für die Gastfreundlichkeit. Maria kann nicht anders und schliesst Marcus gleich in ihre Arme bei der Verabschiedung. Diese rührende Geste bringt ihn fast aus dem Gleichgewicht. Womit hat er das verdient?
Als Jonas und Lecram aus dem Haus sind schaut Theo in die Runde und schimpft: „Seid ihr denn noch zu retten! Was wenn Sarah einen Anfall bekommen hätte!“
Sarah ist wütend, erklärt jedoch mit sicherer Stimme: „Als ich mit Chèn zusammen war ging es auch. Warum darf ich kein Privatleben haben.“ Dass Marcus schon mal einen Anfall mitbekommen hat verschweigt Sarah besser in diesem Moment. Auch Michael erwähnt nichts davon und sie ist sehr dankbar.
Theo sieht fassungslos zu Maria: „Hast du nicht gesehen wie der Junge aussieht? Er ist Aros wie aus dem Gesicht geschnitten.“
„Erstens…, ja er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Aros. Doch zweitens, ist dieser Marcus ein Einzelkind. Und drittens sind die Zwillinge nicht auf dieser Seite. Das Tor ist geschlossen.“ Spricht Maria mit ernster fester Stimme.
Natürlich ist ihr die Ähnlichkeit nicht entgangen. Auch Teo wird nun etwas ruhiger. Verständnisvoller sieht Theo zu Sarah und versucht heraus zu finden: „Ist er denn wirklich ein Einzelkind?“
Sarah mag keine Antwort mehr geben da ihr fast der Kragen platzt und kneift lediglich ihre Augen eng zusammen. Sie schmollt leise vor sich hin.
„Es gibt nur Marcus an der Schule. Du kannst die Familie gerne unter die Lupe nehmen. Auch in den Zeitungen wird von der Familie nur mit einem Kind gesprochen.“ Ist Michael zu hören der sich für Sarah einsetzt. Dankend lehnt sich Sarah an Michael.
Theo wird stutzig: „In den Zeitungen?“ Was soll das heissen?
„Er gehört zu der Familie die das Weingut wieder auf Vordermann bringen soll. Das stand doch ausführlich in allen Tageszeitungen.“ Erhebt Ben die Stimme.
Nun stöhnt Theo etwas auf und es dämmert ihm dass er vielleicht etwas grob gewesen ist. Viel ruhiger spricht er jetzt zu Sarah: „Vielleicht bin ich zu streng mit dir. Natürlich hast du ein Anrecht auf ein Privatleben.“
„Wie nett“, stöhnt Sarah.
„Doch jetzt brauche ich dich draussen.“
Sarah weiss was Theo anspricht und geht Kommentarlos mit ihm mit. Als sie an der grossen Voliere mit der Krähe vorbei laufen sitzt die eine Krähe immer noch ruhig da und scheint diesmal Sarah auf Schritt und Tritt mit dem Blick zu Folgen. Das fällt auch Sarah auf die aber gegenüber Theo kein Wort darüber fallen lässt. Was für ein merkwürdiger Abend!
Lecram fand den Abend bei der Familie Halbmond sehr schön. Klar war Theos Erscheinen etwas seltsam. Aber im Prinzip hat er eine berechtigte Frage gestellt. Und wenn Lecram so darüber nachdenkt, weiss er wirklich nicht was er dort zu suchen hatte. Eigentlich muss er sich von Sarah zurückziehen. Er darf sie nicht zu nahe an sich heran kommen lassen. Das ist weder für sie noch für ihn eine Option.
Er geht seiner Familie aus dem weg und legt sich direkt ins Bett Marcus ist zwar noch wach, aber Lecram hat keine Lust seinem Bruder was vor zu machen. Er ist ziemlich müde und fühlt sich seltsam erhitzt und schläfrig. Am nächsten Morgen erwacht er völlig überhitzt. Er glüht sichtbar. Lecram rafft sich auf um etwas zu frühstücken. Doch als er unten ankommt sieht ihn Marcus entgeistert an: „Wow…Lec, bleib bloss von mir weg. Du bist ja krank.“
„Ja scheint so.“ Röchelt dieser.
Auch Liv hält sich in der Küche auf und sieht die zwei Knaben an.
„Ja Marcus hat Recht. Du solltest schnurstracks wieder ins Bett.“ Marcus ergreift seine Chance. „Kann ich dann zur Schule?“ Hofft Marcus innständig.
Adam kommt gerade die Treppe herunter und begutachtet die Situation auch kurz.
„Nein Marcus“, schüttelt er kurz seinen Kopf, „kannst du nicht. Wir haben dich in dieser Woche fest auf dem Weingut mit eingeplant. Die Woche läuft so wie wir sie besprochen haben. Dann ist mal eben einer krank, so spielt das Leben.“
Damit war wohl alles gesagt und Marcus rollt verächtlich seine Augen. Lecram deckt sich noch mit Flüssigkeit und Medikamenten ein bevor er wieder in sein Zimmer geht. Er kann ja nicht von seiner Mutter erwarten dass sie ihm hilft. Schliesslich ist sie damit überfordert. Denn die Familie ist so gut wie nie krank. Erschöpft fällt Lecram wieder ins Bett. Er hasst es ans Bett gebunden zu sein. Schliesslich hat er nur die eine Woche und die will er definitiv nicht krank im Bett verbringen. Nicht in seiner Woche! Doch es nützt nichts, er ist kraftlos und schläft ein. Wieder träumt er von der hübschen liebeswerten blonden Frau mit ihren blauen Augen. In seinem Traum ist die Frau überaus fürsorglich und will nur das Beste für ihn. Er hört ihre Stimme wie sie verspricht: Ich werde euch beschützen solange ich kann. Sorge dich nicht…
Sarah fällt am nächsten Tag sofort die Abwesenheit von Marcus auf. Gloria sieht wie unruhig Sarah ist und spricht ihre Schwester darauf an: „Hey, du magst diesen Marcus schon. Oder?“
„Etwas. Möchte ihn einfach noch besser kennen lernen.“
„Ich finde er hat sich gestern echt gut bei uns geschlagen“, mischt sich Jonas ins Gespräch ein der sich bei Gloria eingehängt hat. Auch Sarah nickt zustimmend. Etwas später entschliesst sich Sarah auf Chèn zuzugehen um mehr über Marcus fehlen zu erfahren: „Hey Chèn.“
„Hey Sarah. Was gibt’s?“
„Weisst du wo Marcus steckt?“
„Es geht nicht um mich... Schade.“
„Chèn, bitte“, seufzt Sarah leise auf und Chèn gibt sich geschlagen: „Er ist krank. Er hat mir ne SMS geschickt und sich für die ganze Woche in der Schule abgemeldet. Wollen wir wieder mal nach Halifax?“
„Liebend gern. Versprochen.“ Dann geht sie wieder zu ihren Geschwistern und berichtet.
Michael stutzt ein wenig: „Denkt ihr Theo hat ihm so zugesetzt?“
„Wohl kaum“, pokert Jonas.
„Michael, fährst du mich nach der Schule zu Marcus nach Hause? Ich möchte ihn besuchen.“ Sie findet das ist die Gelegenheit diese seltsamen Eltern kennen zu lernen. Diesen Grund nennt sie den anderen natürlich nicht. Michael stimmt ausnahmsweise sofort zu.
Also fahren die beiden nach Schulschluss zu Marcus nach Hause. Sarah geniesst die Fahrt durch die Weinberge. Ein schönes Bild das sich ihr da bietet. Im Prinzip eine schöne Gegend die sie eigentlich gar nicht kennt. Michael fährt vor dem Haus vor und sie steigen beide aus. Sie gehen auf das Haus zu und Michael klingelt. Kurze Zeit später öffnet ein grosser Mann mit ernstem Gesicht die Türe.
„Herr Scherz?“, fragt Sarah vorsichtig nach.
„Genau. Wie kann ich behilflich sein?“
„Wir möchten Marcus besuchen.“ Erklärt Michael der neben Sarah steht. Herr Scherz Mine ist ziemlich streng. Er sieht die beiden eingehend an und erklärt im sachlichen Tonfall: „Er ist krank.“
Sarah sieht Herrn Scherz ungläubig an: „Das wissen wir bereits, deswegen wollen wir ihn ja besuchen.“
„Nein, das ist nicht möglich.“
Michael und Sarah sehen einander etwas ratlos an. Denn sie spüren genau dass sie so nicht weiter kommen. Also holt Sarah weiter aus:
„Haben sie mir seine Handy Nummer? Dann kann ich ihn später anrufen.“
„Ich gebe seine Nummer nicht raus. Frag ihn das nächste Mal selbst danach wenn du ihn in der Schule zu siehst.“
Die Reaktion von Herrn Scherz ist ja heftig, scheinen die Geschwister gleichzeitig zu denken. Denn sie sehen sich mit grossen fragenden Augen an. Das ist wohl das Stichwort um sich zurückzuziehen. Die beiden geben sich geschlagen und wollen sich gerade verabschieden als sie Marcus, sprich Lecram sprechen hören: „Bitte Adam, lass mich kurz mit ihnen sprechen.“
„Du gehörst ins Bett. Das weisst du selbst. Aber tu was du willst.“ Spricht der Mann bevor er den Eingang frei gibt und sich endgültig zurück zieht. Marcus kommt ziemlich bleich und im Trainings Anzug an die Tür. Sarah lächelt ihn verhalten an und er lächelt verlegen zurück da er genau weiss wie daneben sich sein Vater eben benommen hat. Marcus weiss genau dass der Besuch nicht ins Haus darf. Wie sollen seine Eltern auch zwei Kinderzimmer erklären. Schliesslich sind sie ja nicht mit einem riesigen Freundeskreis gesegnet. Geschweige denn haben sie Unmengen von Patenkindern. Trotzdem freut er sich die beiden zu sehen. „Hey, schön euch zu sehen.“
„Du siehst echt scheisse aus“, platzt es aus Michael.
Dafür bekommt er Sarahs Ellenbogen zu spüren und Michael stöhnt gekünstelt auf. Sarah möchte helfen.
„Können wir dir helfen? Brauchst du noch etwas?“
„Danke nein. Ich komme über die Runden. Ich bin nur so selten krank und es ist etwas seltsam dass es mich so dahin rafft. Vielleicht sind das noch nach Wehen vom Umzug stress…“
„Schon möglich. Na dann gute Besserung“, verabschiedet sich Sarah und Michael. Sie sieht noch einmal über ihre Schulter zurück und lächelt Marcus an. Auch Lecram bleibt an der Türe stehen und winkt ihr zum Abschied. Es rührt ihn über die Massen dass die beiden ihn besuchen wollten.
Er hatte noch nie Freunde! Noch nie eigene Freunde! Sie sind seinetwegen gekommen.
Michael und Sarah sind sich auf jeden Fall einig das Marcus mit seinem Vater mit Sicherheit nicht untertrieben hat. Sarah spürt so etwas wie Bedauern für Marcus.


Das Treffen

Natürlich hat Lecram seine restliche Zeit als Mensch krank im Bett verbracht. Nun ist seine Woche bereits wieder vorbei und er durchstreift die Nächte wieder als Gargoyle. Er denkt gerne zurück an den Besuch im Tierpark. Diese Gedanken sind so etwas wie sein Lebenselixier. Er denkt auch gerne an den Besuch von Sarah und Marcus. Das erste Mal das jemand ihn um seinetwillen besuchen wollte. Nach den spontanen Besuch bekam er ein richtiges Donnerwetter von seinem Vater zu hören. Nach dem Motto: Du darfst keine Freunde besitzen. Das ist für die Familie nicht tragbar wenn man von dem Gargoyle erfährt...bla, bla, bla.
Er ist eben nur der störende Teil der Familie, das spürt er immer wieder. Mittlerweile ist er daran gewöhnt und es bringt ihn nicht aus der Fassung. Es ist nun mal wie es ist. Er ist nur das Laster.
Mittlerweile ist das Gelände dass Lecram durchstreift grösser geworden. Er weiss genau wo, wie und wann er sich frei Bewegen kann. Wenn er als Gargoyle unterwegs ist, ist er relativ schnell und wendig. Wahrscheinlich wird man ihm eine solche Schnelligkeit und Wendigkeit gar nicht zutrauen. Da er als Gargoyle eher etwas wuchtig aussieht. Was Lecram in dieser Gestalt am meisten liebt ist der Punkt dass er überall mit Leichtigkeit hinaufkommt. Seine Hände sind wie Saugnäpfe. Ob es sich dabei um ein Haus oder einen Baum handelt spielt keine Rolle. Lecram bezwingt jedes Gebäude mit einer unglaublichen Leichtigkeit. In etwas so wie ein Gecko. Genau genommen faszinieren ihn die Geckos sowieso. Die Hautfarbe des Geckos kommt seiner irgendwie relativ nah, oder auch nicht. Lecram ist ja kein Schuppentier. Aber so wie die Geckos, kann auch er sich an Wänden halten. Er hat sich lange Zeit einen Gecko als Haustier gehalten. Da diese Tiere auch Dämmerung und Nachtaktiv sind kam ihm das damals sehr entgegen. Trotzdem liess er das Tier nach einiger Zeit wieder in die Freiheit. Denn es ist doch schöner die Tiere in freier Natur zu beobachten und zu bewundern als in ihren Terrarien. In Gefangenschaft bewegen sich die Tiere anders-freier und ungezwungen.
In dieser Nacht ist er irgendwie auf Zack und rast förmlich durch das Dickicht. Er hat die fixe Idee sich zum Tierpark durch zu schlagen. Was er da will weiss er genau genommen nicht. Vielleicht erhofft er sich einen Blick auf Sarah? Egal - Es zieht ihn einfach dort hin. Er wird sich ihr nicht als Gargoyle zeigen das ist klar. Er will sie ja nicht erschrecken. Aber einfach in ihrer Nähe sein zu können reicht ihm irgendwie schon aus. Da der Tierpark der Familie Halbmond etwas ausserhalb liegt kommt Lecram das sogar sehr entgegen. Denn der Tierpark ist eigentlich gar nicht mal so weit von seinem zu Hause entfernt. Je nachdem welche Stecke man geht, sprich rennt. Und Lecram hat ja das Glück sich durchs Dickicht schlagen zu können ohne dass es ihm viel ausmacht. Seine Blessuren heilen förmlich schon während er rennt. Und falls er sich mal ernster Verletzt braucht er nur einen Tag als Steinsäule zu verharren. In der nächsten Nacht ist alles wieder verheilt. Einfach so! Manchmal begegnet er Tieren, dann senkt er sein Tempo und beobachtet die Tiere etwas. Sofern es ihm die Zeit auch erlaubt. Auch die verschiedenen Düfte von Mutter Erde nimmt er in sich auf. Er liebt den Geruch von frisch geschnittenem Gras und Blumen die blühen duften für ihn einfach sagenhaft. Oder wenn er an einem Bach sitzt und die modrige Erde riecht, sogar das gefällt ihm. Wenn er sich in der Nähe eines Dorfes, bis zu weilen einer Stadt aufhält, nimmt er auch dort die vielen verschiedenen Gerüche war. Wenn es dann noch nach essen riecht muss er sich schon zusammen nehmen dass er dort nicht rein Platzt und fragt ob er mitessen kann. Es hat ja schon seinen Grund dass er selbst den Kochlöffel schwingt. Seine Mutter Liv hätte ja gern eine Haushälterin angestellt. Aber eben…, da gibt es ja noch ihn. Die Haushälterin und der Gargoyle, kein schlechter Aufhänger für ein Tagblatt. Damit wird er sicherlich auf der Titelseite stehen. Lecram lächelt Gedanken versunken während er vorwärts rennt. Endlich sieht er das grosse, schöne Anwesen vor sich. Lecram zügelt sein Tempo und staunt darüber dass das Anwesen so im Dunkeln steht. Ansonsten werden solche Anwesen immer beleuchtet. So sieht es tatsächlich etwas mystisch und unheimlich aus. Wieder ist er überwältigt von dem Anblick des Hauses. Er erinnert sich noch an das gemütliche Beisammen sein in der Küche. Sein Herz wird seltsam schwer und ein kleiner Anflug von Trauer macht sich in ihm breit. Lecram weiss genau was Sarah ihm bedeutet und das sollte sie nicht. Sie darf ihm nichts bedeuten! Er muss sie aus seinem Kopf kriegen. Wie soll er das bloss anstellen? Prinzipiell ist er ja auch nur ein Mensch. Jedoch würde er alles für eine solche Familie geben. Sein Dämonen da sein muss ja nicht so trostlos sein wie es ist. Wenn er eine Familie hätte die ihn lieben könnte wäre sicher alles leichter. Lecram schüttelt den Gedanken rasch weg. Es lohnt sich nicht darüber den Kopf zu zerbrechen. Es war eine doofe Idee hier her zu kommen, das sieht er jetzt selbst ein. Er kann sich ja selbst an den Marter Pfahl stellen und skalpieren. Es fühlt sich an als hätte er eine Klaffende Wunde in der er etwas Salz hinein streut. Wäre er nicht zu stolz würde er weinen. Er möchte nur noch ein Stück näher ran bevor er wieder geht. Langsam stapft Lecram, vom schutzbietenden Wald hervor und schleicht sich von der Seite her ans Anwesen ran. Denn da stehen ein paar dicke, hohe alte Stein Mauern die ihm Schutz bieten. Ein letzter Blick dann ist er bereit umzukehren.
Doch da: Rubinrote Augen leuchten ihm entgegen und eine dunkle Stimme fragt: „Wer bist du?“
Lecram geht in Deckung und sein Herz beginnt, für seine Verhältnisse, zu rasen. Als sich Lecram gefangen hat antwortet er nicht auf die Frage sondern stellt ebenfalls eine Frage: „Wer seid ihr?“
„Vielleicht muss ich die Frage anders Formulieren. Was willst du hier?“ Spricht die überaus dunkle, raue Stimme noch einmal.
Lecram presst den Kiefer zusammen. Er ist gesehen worden! Du meine Güte, was soll er bloss tun. Er sammelt sich und gibt Antwort auf die erste Frage: „Mein Name ist Lecram. Was tut ihr hier?“
Vielleicht eine blöde Frage, aber etwas anderes kommt ihm in diesem Moment nicht in den Sinn. Himmel, was tut er hier und jetzt!
Erstaunlicher Weise gibt die Stimme bereitwillig wieder Antwort. „Wir sind Wächter.“
Na wie toll! Lecram musste doch mit Wachposten rechnen. Wie kann er nur so unvorsichtig sein. Er hat es eindeutig vermasselt. Für eine kurze Zeit, die einem in solchen Momenten sinnlos lange vorkommt, ist es ruhig. Niemand spricht.
„Was tust du hier?“, Hört Lecram jetzt eine andere, weichere und höhere Stimme. Lecram wird sinnlos nervös. Es darf keinen Zeugen geben dass er existiert. Einen Zeugen zu erledigen ist eine Option. Aber gleich zwei… Nein das kann er nicht. Er ist nicht die Bestie auch wenn er so aussieht. Also reisst er sich zusammen und antwortet:
„Lasst euch nicht stören, ich bin nur vom Weg abgekommen.“
Dann tritt einer der Wächter aus dem dunkeln näher an Lecram heran und sieht ihn mit seinen glühenden Augen direkt an als dieser erklärt:
„Ich sehe was du bist. Und nun weiss ich wer du bist. Ich frage mich nur was du hier zu suchen hast. Du müsstest ein eigenes Revier bewachen.“
Lecram reisst seine Augen vor Staunen weit auf. Vor ihm stehen plötzlich die Gargoyles die er als Steinsäulen vor dem Haupteingang begutachtet hat. Wie ist das möglich! Drehen seine Nerven nun völlig durch, so was ist doch gar nicht möglich! Zaghaft geht Lecram noch näher an die beiden heran. Vermutlich sieht man ihm seine Überraschung auch an - egal. Lecram war noch nie ein guter Lügner. Er traut seinen Augen nicht und stottert überrascht und überwältigt:
„Es – gibt - noch andere - die so -sind wie ich?“
„Was dachtest du denn?“, spricht der kleinere der beiden mit dem Irokesen Haarschnitt. Dieser Gargoyle ist etwas kleiner und trägt keine Flügel am Rücken. Es ist derjenige mit dem kurzen Schwanz und den kleinen Hörnern. Seine Hautfarbe, wenn man sie so nennen kann ist leicht rötlich. Sein Gesicht sieht aus als käme er direkt aus der Hölle. Auch wenn dieser Gargoyle nett gesinnt sein sollte sieht er erschreckend gefährlich aus. Lecram mustert ihn von Kopf bis Fuss. Soll er davon rennen? Nein, dafür ist er definitiv zu neugierig.
„Wie…, wo - ich meine - warum…“, ist Lecram immer noch ziemlich verwirrt. Vielleicht sogar etwas ängstlich. Der grosse Gargoyle mit seinen spitzen Ohren und den kurzen Flügel übernimmt wieder das Wort: „Ich bin Migdal und das ist Lamos.“
Dieser Gargoyle mit Namen Migdal hat eine ähnlich graue Hautfarbe wie seine eigene. Ob ihn das beruhigen soll?
„Ich bin Lecram“, wiederholt Lecram seinen eigenen Namen. Er steht gewisser Massen neben sich.
„Du scheinst viele Fragen zu haben. Wir kommen wohl aus verschiedenen Welten. Das kann ein Problem dar stellen.“
„Ich will euch keinen Ärger machen.“ Packt ihn die Panik und er wirft seine Hände abwehrend kurz in die Höhe.
„Das hätte mich auch erstaunt, denn du bist ein Gargoyle.“
Macht Migdal klar.
„Und wir machen prinzipiell keinen Ärger“, spricht und grinst Lamos, der kleinere der beiden. Sie sehen irgendwie freundlich gesinnt aus. Lamos Gesicht verzieht sich zu einer Fratze wenn er lächelt. Daran muss man sich zuerst gewöhnen.
„Weiss diese Familie…, von eurer Existenz?“ Will Lecram nach dem ersten Schock nun genauer wissen.
„Natürlich.“ Ist wieder Migdals dunkle Stimme die antwortet.
„Bitte erzählt ihnen nichts von mir.“ Lecrams bitte klingt schon fast wie ein flehen.
„Hm…, nur wenn du versprichst dich hier nie wieder blicken zu lassen.“ Mahnt wieder Migdal mit ziemlich ernstem Gesichtsausdruck dabei streckt er seine kleinen Flügel kurz. Auch das beeindruckt Lecram da er so etwas noch nie gesehen hat. Migdal meint es wohl so wie er es sagt. Lecram überlegt kurz und meint schliesslich: „Könnt ihr überhaupt versprechen ihnen nichts von mir zu erzählen?“
Diesmal lacht Lamos laut auf: „Kannst du denn versprechen nicht mehr her zu kommen?“
„Keine Ahnung…“, gibt Lecram leicht lächelnd und ehrlich zur Antwort und Migdal hackt ein: „Na dann sind wir vom gleichen Schlag. Lass uns einfach mal abwarten.“
„Ich hätte so viele Fragen an euch. Ihr seid die ersten Gargoyles die ich zu Gesicht bekomme.“
„Wirklich?“ Ist Lamos erstaunt und weitet seine Augen.
„Ja. Ich dachte ich bin das einzige Fabelwesen dass hier vor sich hin verweilt.“
„Fabelwesen…?“ Sehen sich die beiden anderen Gargoyles fragend an. Migdal verengt seine Augen und tritt noch näher an Lecram heran. Migdal ist ein gutes Stück grösser wie er selbst und das schindet ziemlichen Eindruck. Lecram kommt sich irgendwie klein vor. Migdal versucht ruhig zu erklären: „Lecram. Auch wenn du es nicht für möglich hältst. Von uns gibt es ziemlich viele.“
„Nicht in meiner Welt. Nicht in einer Welt wo Gargoyles und andere Fabelwesen nur ein Mythos sind.“
„Nicht in dieser Welt“, unterstreicht Migdal seine abschliessenden Worte. Wie es aussieht bekommt Lecram im Moment nicht mehr aus den beiden Gargoyles heraus. Migdal überlegt kurz und spricht im sachlichen Tonfall, der beruhigend wirken soll, weiter: „Lecram, du hast sicherlich viele Fragen. Lass diesen zusammen Treffen zuerst einmal auf uns einwirken. Vielleicht klärt sich das eine oder das andere einfach von selbst. Wir werden sehen. Und wenn du nicht gleich hier zur Steinskulptur werden möchtest musst du jetzt dingend los.“
Aber ja doch. Migdal hat in allen Punkten Recht. Also verabschiedet sich Lecram sichtlich bewegt und rennt so rasch wie möglich nach Hause. Während er so zurück eilt geht ihm dieses Treffen nochmal Stück für Stück durch den Kopf. Er weiss nicht ob er jetzt wütend, oder sich freuen soll. Nie im Leben hat er daran gedacht dass noch andere Dämonen der Nacht existieren können. Ist das gut oder eher schlecht? Bei ihm ist es ja angeblich ein Fluch. Was war es dann bei den anderen? Auch ein Fluch? Haben seine Eltern ihn ein Leben lang belogen? Wie haben sie das gemeint nicht in dieser Welt? Es gibt eine andere Welt? Unmöglich! Wahrscheinlich hat er Migdal einfach falsch verstanden. Womöglich hat er das alles nur geträumt. In seinem Kopf ist ein heilloses Durcheinander und trotzdem freut er sich zwei Gargoyles getroffen zu haben. Vielleicht haben Liv und Adam all die Jahre gelogen. Irgendetwas stimmt einfach nicht. Es stinkt zum Himmel. Lecram weiss nur, dass er bald auf irgendeine Weise diverse Antworten bekommen muss. Vielleicht muss er bei seinen Eltern genauer hinsehen. Es ist wohl an der Zeit wieder etwas herum zu stöbern. Die Gargoyles haben gesagt sie seien Wächter. Ist das also die Berufung eines Gargoyles. Eventuell auch seine Berufung? Wurde er doch als Gargoyle geboren? Ist er vielleicht einfach eine Missgeburt… Es war kein Fluch! Nein…, er kann nicht versprechen sich dort nicht nochmal blicken zu lassen. Aber vorerst muss er bei sich zu Hause bleiben um nach Antworten zu suchen. Leider kann er mit niemandem diese seltsame Erfahrung teilen. Er wünscht sich jeden Tag jemanden an der Seite zum reden. Doch seine Eltern, so wie Marcus, sind das nicht. Marcus ist sein Zwillingsbruder, sie gleichen sich aufs Haar, doch Lecram kann Marcus nie hundert Prozent vertrauen. Als wär Marcus von einem schwarzen schatten umgeben. Doch beweisen kann er das auch nicht. Eine reine Bauch Angelegenheit. Lecram schafft es gerade noch knapp bei sich zu Hause aufs Dach. Er kann gerade noch sehen wie die Sonne beginnt aufzugehen. Seine Haltung, als versteinerter Gargoyle, ist nicht wie gewohnt entspannt sitzend. Wohl eher die Haltung: Gargoyle vor erschrecken erstarrt!
Das letzte was Lecram noch vor seinen Augen sieht ist eine schwarze Krähe die auf ihn zu fliegt. Als Lecram zu Stein erstarrt setzt sich die Krähe einfach neben ihn hin und verweilt dort an der Seite des Gargoyles. Die Krähe weicht den ganzen Tag nicht von seiner Seite.


Annäherung

Sarah weiss nicht warum. Aber seit Marcus wieder an der Schule ist, findet sie ihn wieder mehr als seltsam. Nein, sie findet ihn eher unausstehlich! Eigentlich ist er ihr unsympathisch! Aber wie kann das sein? Bei ihnen zu Hause war es doch so schön, da hat er sich geöffnet. Zumal kam es ihr so vor. Sie muss ihn bei Gelegenheit mal fragen ob er im Sternzeichen ein Zwilling ist. Dann kann sie vielleicht sein hin und her besser ertragen.
Sarah beschliesst eines Tages ein offenes Gespräch mit Marcus zu führen und geht direkt auf ihn zu. Marcus hängt natürlich wie üblich bei Chèn ab. Chèn umarmt Sarah freundschaftlich zur Begrüssung und gibt ihr einen sanften Kuss auf die Wange. Marcus sieht genau dass sie Chèn noch viel bedeutet. Trotzdem fällt Marcus Begrüssung nicht sehr höflich aus:
„Hallo Hinkebein. Was gibt’s?“
Sarah tritt näher an Marcus heran und reckt ihr Kinn: „Na, da ist ja Heute einer gut gelaunt.“
Jetzt steht auch Marcus auf und geht in etwa auf Augenhöhe mit Sarah. Wobei Marcus gut einen Kopf grösser ist als Sarah. Sie stehen sich nah und man kann spüren wie die anti Sympathie schon fast vibriert.
„Hey ihr beiden, seid nett zu einander.“ Sind Chèn Worte zu hören.
„Stimmt, ich hatte ja versprochen nett zu ihr zu sein“, erklärt Marcus und Chèn nickt. Dabei hat Marcus an die Diskussion mit seinem Bruder gedacht und nicht an Chèn. Sarah hält Marcus Blick stand und spricht mit einem aufgesetzten lächeln: „Kann ich dich was fragen?“
„Jederzeit.“ Wenn es denn sein muss!
„Geht es dir besser?“
„Das ist deine Frage?“, ungläubig sieht Marcus sie an. Chèn beschliesst die beiden dieses Gespräch ohne ihn beenden zu lassen und wendet sich Leon zu der gerade ihren Weg kreuzt.
Marcus ist neugierig: „Sag schon, was willst du wirklich von mir? Die Wahrheit.“
„Sagt dir dieses Zitat etwas: Der bessere Teil der Tapferkeit ist Vorsicht.“
Marcus wird stutzig. „Ist das eine Fangfrage?“ Er mustert sie eingehend. Er muss auf der Hut sein, das spürt er jetzt genau.
„Nein, nur eine Feststellung.“
„Aus dir wird man nicht schlau. Du bist seltsam, wie deine ganze Familie.“
„Dito. Du hast zwei Gesichter.“
Marcus seufzt kurz auf. Er hätte echt gerne gewusst was Lecram denn so anders macht als er. Vermutlich ist dieses Mädchen einfach zu schlau für sie beide. Irgendwie muss er wieder die Oberhand gewinnen:
„Das mag dir so erscheinen, aber es ist nicht so wie es scheint. Es tut mir leid wenn ich dich verunsichere. Ich bin sehr schwierig. Meine Lebensumstände sind schwierig. Ich dachte ich hätte dir so etwas in der Art schon mal erklärt.“
Wenn er sich recht erinnert, hat Lecram ihm mal von so einem Gespräch erzählt. Hoffentlich liegt er richtig…
„Ja, da magst du Recht haben. Es ist aber keine Entschuldigung für dein Benehmen.“
„War‘s das?“ Will Marcus das unangenehme Gespräch beenden.
„Ja, ich denke das war’s.“ Sind Sarahs letzte Wort und dann zieht sie sich nachdenklich hinkend zurück. Was war das für ein seltsames Gespräch? Ob er so grosse Probleme zu Hause hat und darum so seltsam rüber kommt, sie hat keine Antwort auf ihre Fragen.
Marcus sieht ihr noch nach und weiss genau er sollte netter sein. Sein Bruder hat es ihm ja gesagt. Also rennt er ihr doch noch nach, holt sie ein und versucht wehmütig zu klingen als er spricht: „Hey entschuldige. Ich wollte nicht so schroff klingen. Wollen wir bei Gelegenheit mal was zusammen unternehmen?“
„Wir werden sehen, lassen wir es mal darauf ankommen“, schüttelt sie entrüstet leicht ihren Kopf. Eigentlich versteht sie gar nicht warum er jetzt mit ihr was unternehmen will. Sarah beschiesst ihn weiterhin genauer zu beobachten. Tag für Tag.
Natürlich fällt es Gloria auf das Sarah und Marcus im Moment nicht so gut aufeinander zu sprechen sind. Ihr Gespür rät ihr noch abzuwarten bis Sarah bereit ist ihr etwas zu erzählen. Denn Gloria weiss ganz genau dass der Tag kommen wird. Lange kann Sarah ihre Gedanken nicht für sich behalten. Das sollte sie auch nicht. Die Schwestern sind in der Regel immer für einander da, komme was wolle.
Nach dem seltsamen Zusammenstoss mit Sarah wird Marcus in den nächsten Tagen etwas zugänglicher. Er benimmt sich zwar immer noch ab und an wie ein Vollidiot und baggert wieder Gloria an. Aber er ist irgendwie - netter. Sarah sieht den Schalk in Marcus Augen und hat das Gefühl er macht alles irgendwie absichtlich. Was auch immer er damit bezweckt. Auch mit ihrem Bruder Michael schwatzt er wieder viel. Da Marcus anscheinend auch gerne schwimmt sprechen die beiden viel über das Schwimmen. Wo die besten Plätze sind und so weiter…
„Hey Sarah, wollen wir zwei heute Abend etwas unternehmen?“ Fragt Marcus sie eines Tages zwangslos.
Stirnrunzelnd antwortet sie: „Da du dich mehr mit Gloria unterhältst, frag doch sie.“
„Ich wollte dich nur etwas eifersüchtig machen. Und das scheint mir ja gelungen zu sein.“
Was für eine doofe Ausrede, denkt sich Sarah. So ganz nimmt sie ihm diese Aussage nicht ab. Pha, sie und eifersüchtig! Aber um ihn näher kennen zu lernen ist es vielleicht nicht schlecht sein Angebot anzunehmen. Mit ihrer Familie wird sie das schon klären. Also geht sie darauf ein: „Soll ich heute Abend zu dir nach Hause kommen?“
Sie rechnet fest damit dass er ab sagt.
„Warum eigentlich nicht. Komm doch nach der Schule gleich mit.“
Sarah staunt, lässt es sich jedoch nicht anmerken.
„In Ordnung. Kann ich eigentlich mal deine E-Mail und deine Handy Nummer bekommen?“
Das wird Marcus jetzt doch etwas zu heikel und er versucht zu argumentieren. „Ich halte nichts von SMS oder E-Mails. Ich gebe so gut wie keine Antwort. Lassen wir das.“
Sarah erkennt einen Lügner wenn er vor ihr steht, geht aber wieder nicht weiter darauf ein. Also steigt sie nach dem Unterreicht zu Marcus ins Auto. Ihre Geschwister sind- wie erwartet- nicht begeistert von dieser Idee. Michael dreht fast im roten Bereich, lässt sie mit viel zureden aber dann doch gehen. Denn sie hat versprochen nicht lange weg zu bleiben. Und sie hat ihr Handy immer griff bereit. Sarah geniesst die Fahrt entlang den Weinreben wieder sehr. Als sie aus dem Auto steigt fliegt ihr eine Krähe vor die Füsse und kräht rasch auf. Es ist die Krähe aus dem Tierpark die sie freigelassen hat und Sarah lächelt automatisch auf weil sie fast damit gerechnet hat dass die Krähe zu Marcus findet. Marcus hingegen fuchtelt etwas wild herum damit die Krähe endlich verschwinden soll. „Hau ab! Sei still.“
Doch die Krähe lässt sich nicht so rasch vertreiben. Stattdessen fliegt sie auf Marcus zu und bedroht ihn mit einem lauten: „Kraa.“ Danach entfernt sich die Krähe immer noch laut stark.
„Was für ein blödes Vieh!“ Faucht Marcus.
Das ist für Sarah der Beweis dass mit diesem Marcus etwas nicht stimmt. Zum Glück bekommt sie gerade ein SMS das sie ablenkt. Die Mitteilung ist von Michael: Sorry, hole dich jetzt ab.
Sarahs Augen weiten sich ein wenig, aber für heute soll es ihr Recht sein. Sie schaut von der Mitteilung zu Marcus: „Es tut mir leid, ich muss nach Hause. Wir haben Besuch bekommen.“
„Oh…schon, soll ich dich fahren?“
„Nein, Michael ist schon unterwegs. Erspar dir die Mühe.“ Fällt ihre Antwort kühler aus als sie wollte. Kurz darauf fährt Michael vor und Sarah verabschiedet sich kurz von Marcus.
Manchmal fragt Marcus sich wie er sich denn als Lecram zu verhalten hat. Nicht dass Sarah ihm wahnsinnig viel bedeutet. Doch mittlerweile findet er sin ganz in Ordnung. Sie ist sehr nett und hat etwas Spezielles. Aber prinzipiell ist er ja froh ist sie wieder weg. So ganz einfach wäre der Besuch hier nicht gewesen. Irgendwie hätt er das heute schon geschafft. Als Marcus kurz vor Sonnenuntergang aufs Dach steigt sitzt die Krähe bereits schon wieder neben Lecram. Er rollt seine Augen und wäre froh wenn das blöde Vieh weg ginge.
„Halt einfach die Klappe, blödes Vieh“, zischt er obwohl die Krähe ihn nur ansieht.
Kurze Zeit später hört Marcus wie Kieselsteine an einander reiben und weiss dass sein Bruder jetzt ansprechbar ist.
Die Krähe kräht kurz auf und Lecram lächelt vergnügt als er erwacht.
„Hi Marcus, die Krähe scheint dich bereits zu kennen.“ Stellt Lecram fest und stupst seinen Bruder von der Seite leicht an. Marcus verdreht seine Augen.
„Ich wollte das Vieh heute vertreiben. Aber da gibt es noch mehr was ich dir erzählen muss.“
„Leg los.“ Streckt sich Lecram und wieder rollen Kieselsteine quasi einen Weg entlang.
„Ich habe versucht etwas netter zu Sarah zu sein.“
„Ausgezeichnet.“ Gottseidank!
„Heute habe ich sie zu uns nach Hause eingeladen. Und sie ist tatsächlich mit gekommen.“
„Hier hin?“ Himmel, nein! Lecram kneift entrüstet seine buschigen Augenbrauen zusammen.
„Ja. Und da hatte ich den Zusammenstoss mit dem lauten Vieh. Kurz darauf musste sie nach Hause. Sie hat keinen Fuss ins Haus gesetzt, was vielleicht auch besser ist.“
Lecram seufzt auf und kann nicht fassen was sein Bruder getan hat. „Du Idiot. Die Krähe stammt aus ihrem Tierpark. Sie muss sie frei gelassen haben denn ich hab sie mal darum gebeten.“
„Das wusste ich doch nicht. Idiot! Was sucht denn die Krähe überhaupt hier bei uns? Die nervt…“
„Keine Ahnung, wir sind so was wie Freunde geworden. Wir streifen gemeinsam durch die Nacht. Sie ist jedes Mal an meiner Seite wenn ich aufwache.“ Liebevoll sieht er dabei zu der Krähe die gleich darauf leise krächzt und es aussieht als nicke sie zustimmend.
Als Lecram die Krähe zum ersten Mal nah neben sich sah war er gleich von ihr fasziniert. Irgendwie hat er sofort gespürt dass es dieselbe Krähe ist wie den vom Tierpark. Ab und an hat er das Gefühl die Krähe sagt seinen Namen, aber einen Beweis hat er noch nicht wirklich. Auch wenn Marcus den Vogel blöd findet, Lecram staunt über die Flugkünste und das hübsche schwarze, je nach Lichteinfall metallic grüne oder blauviolette Federkleid ist faszinierend. Die Federn haben einen schönen natürlichen Glanz.
Dann bittet Lecram seinen Bruder um etwas.
„Marcus hör zu. Am Samstag ist der Wöchentliche Markt in Wolfville. Ich denke Sarah könnte sich dort aufhalten. Ich verwandle mich morgen Nacht. Lass mich hingehen um den Vorfall zu klären.“
„Hm…, ich stimme nur zu wenn ich Samstagabend mit Leon rum hängen kann.“
„Abgemacht.“ Nickt Lecram und stupst seinen Bruder wieder leicht an. Dann stehen die ungleichen Brüder auf und gehen gemeinsam ins Haus. Marcus nimmt den sicheren Weg während Lecram schwungvoll die Wand runter klettert.
Wie üblich zieht sich Lecram zurück in sein Zimmer und hockt vor den Computer. Was mit seinen dicken Fingern gar nicht so leicht ist. Doch im Laufe der Jahre hat er sich daran gewöhnt sich ab und an mal zu vertippen. Meistens arbeitet er mit einem Stift in der Hand der seine dicken Finger ersetzt. Mit diesem Adler System ist er allerdings sehr, sehr langsam. Doch das spielt ihm keine Rolle. Er sucht laufend, im Internet, nach Anhaltspunkten zu Gargoyles. Vielleicht waren schon mal welche gesichtet worden. Doch im Internet findet er nichts Weltbewegendes. Höchstens auf You Tube einen alten Film wo er damals bei Halloween zu sehen war. Damals war er noch unachtsam und jung. Aber Halloween war die einzige Möglichkeit mal sich selbst zu sein. Trotzdem wurde man auf ihn aufmerksam und das war dann das erste und letzte Mal das er dabei war.
Im Internet liest er etwas von einem Wasserspeier, was er ganz und gar nicht ist. Er liest dass Gargoyles immer Ausserhalb eines Gebäudes angebracht sind, niemals innen. Das scheint ja auch logisch zu sein. Die Gargoyles haben den Ruf, Beschützer zu sein. Ihr dämonisches Aussehen soll den Geistern und Dämonen einen Spiegel vorhalten und sie vertreiben. Gemäss seinen Nachforschungen im Internet sollen Gargoyles mit animalischen Körper und Gesicht dargestellt werden. Bei den beiden Gargoyles die er angetroffen hat kann er das halbwegs unterstreichen. Doch auch die beiden haben menschliche Züge. Bei ihm selbst ist das wieder etwas anders. Er hat eher einen Menschen ähnlichen Körper und eher dämonische harte Gesichtszüge. Gargoyles haben in der Regel drei oder vier Finger mit mächtigen Klauen. Nun ja, da hat es die Natur gut mit ihm gemeint. Er besitzt zehn Finger und zehn Zehen. Doch bei den anderen Gargoyles beim Tierpark mag das durchaus zustimmen. Es soll auch Gargoyles geben die Flügel besässen. Mit diesen können sie nicht fliegen aber gleiten. Wahrscheinlich trifft das auf den Gargoyle mit Namen Migdal zu. Die Flügel sahen aus wie die von einer Fledermaus, einfach etwas grösser. Migdal und Lamos sind total unterschiedlich. Migdals Köper sieht einem Löwen mit Flügeln leicht entfernt ähnlich. Nur dass er ein menschliches Gesicht hat mit sehr ersten und ausdrucksvollen Gesichtszügen. Das Migdal gar keine Haare trägt findet Lecram auch erstaunlich. Lamos ist etwas kleiner aber in keinster Weise weniger Furcht einflössend. Auch er hat einen animalischen Körper mit einem kürzeren Schwanz am Hinterteil. Seine Haare, die er zwischen seinen stumpfen Hörnern trägt sind sehr buschig und lang. Sein Gesicht sieht irgendwie entstellt aus, auch im entspannten Zustand. Und seine rötliche Hautfarbe schmeichelt ihm nicht unbedingt.
Lecram ist erstaunt dass nicht mehr im Internet über Gargoyle steht. Nirgends gibt es Hinweis darauf dass Gargoyles jemals lebendig gesichtet worden sind. Es ist und bleiben nur Stein Säulen und Wasserspeier die jemand sorgfältig in Stein gehauen hat. Lecram findet eine Chat Seite im Internet. Dort bezeichnen sich einige als Monster, entsetzliche Biester, Elfen, Zwerge und Kobolde. Viele tun so als seien sie Fabelwesen die sich schwer tun in dieser Welt. Als wäre ihr Leben nicht lebenswert. Lecram kichert still vor sich hin wenn er die Kommentare dort liest. Mit jedem Wort das dort geschrieben ist, wird klar dass es sich dabei um Menschen handelt und nicht um Fabelwesen. Alles nur schein und trug. Oder Menschen die eine blühende Fantasie besitzen oder solche die mit der realen Welt nicht klar kommen und sich in eine Schein Welt begeben weil sie dort angesehener sind oder sich einfach wohler fühlen weil sie dazu gehören. Einige Zeit später geht er in die Küche da ihn der Hunger plagt. Unten trifft er auf Liv die sich noch ein Müsli zu Recht macht.
„Hallo Lecram, willst du auch etwas davon?“
„Uh…, besser nicht, danke.“
Dann schnappt er sich das grosse Stück Brot dass noch da liegt und beisst einfach so rein. Mit seinen Reiss Zähnen reisst er ein grosses Stück heraus. Liv schüttelt angeekelt den Kopf.
„Liv, kann ich dich was fragen?“ Spricht Lecram während er kaut.
„Kommt auf die Frage an.“
„Nun, warum bin ich so wie ich bin?“
„Ach, das weisst du doch. Meine Mutter war eine Hexe…“
„Und da du nicht den Mann geheiratet hast den sie für dich ausgesucht hat, hat sie eines deiner Kinder mit diesem Fluch belegt. Und das bin ausgerechnet ich.“ Unterbricht er Liv und spricht weiter: „Ja klar das hast du uns schon X mal erzählt. Doch das ist so unrealistisch. Es gibt keine Hexen.“
Liv lächelt hämisch. Und wenn sie lächelt sieht sie eigentlich wundervoll aus, findet Lecram. Sie sollte definitiv mehr lächeln.
„Wenn du dich da bloss nicht irrst. Fang doch nicht immer wieder mit der alten leier an. Es ist wie es ist.“ Antwortet Liv wieder sachlich.
„Hör mal. Ich hätte gerne die Wahrheit gewusst.“
„Und wenn ich die nicht kenne.“ Antwortet sie ohne dabei ihren Sohn anzusehen und nimmt einen Löffel Müsli.
Lecram stöhnt auf: „Tust du doch…“
„Und wenn es die Wahrheit war.“
„Hast du einen Beweis dass diese Hexe existiert hat?“
Liv überlegt und macht ein nachdenkliches Gesicht. Sie nimmt seelenruhig noch einen Löffel vom Müsli in ihnen Mund und kaut gemütlich bevor sie gewillt ist eine Antwort zu geben.
„Nun ja, da gibt es nichts. Keine Beweise, nur mein Wort.“
Lecram ist wütend und wirft seine Arme in die Höhe. Verärgert will er sich wieder in sein Zimmer zurückziehen als Liv ihm hinterher ruft:
„Und beginn nicht wieder nach irgendwelchen Hinweisen zu suchen. Du wirst nichts finden. Du bist was du bist!“
„Schon klar. Wobei ich mir vorstellen könnte dass du die Hexe bist“, rollt er seine Rubinaugen. Wenn er wütend ist verdunkeln sich seine Augen leicht.
„Das war jetzt nicht nett.“ Lächelt Liv geheimnisvoll.
Lecram schüttelt wieder seinen Kopf. Das kann unmöglich seine Mutter sein. Liv hat überhaupt keinen Anflug von Zärtlichkeit. Sie ist einfach keine Mutter. Da fehlt jeder Mütterlicher Instinkt. Wer weiss, vielleicht lag er ja nicht einmal so falsch mit der Behauptung sie sei die Hexe. Sie ist die einzige die er sich als Hexe vorstellen kann. Er zieht sich stapfend in sein Zimmer zurück. Da sein Bruder zugestimmt hat dass er am Samstag an den Markt gehen darf beschliesst er sich auf Samstag zu freuen. Er freut sich auf Sarah. Himmel, nein er darf keine solchen Gedanken haben!
Als er Samstagmorgen erwacht denkt er sofort an Sarah und den bevorstehenden Markt. Normalerweise Duscht er Freitagnacht bei Seiner Verwandlung ausgiebig. Heute macht er eine Ausnahme und Dusch noch einmal ausgiebig, dabei kann er sich Gedanken machen wie die Begegnung ablaufen könnte. Und stinkend möchte er ihr wohl wirklich nicht Begegnen. Als Gargoyle riecht er nicht besonders rosig da er zu wenig auf seine Hygiene achtgibt. Er duscht sage und schreibe fast ganze drei Wochen lang nicht. Es interessiert ja niemanden. Wobei er als Gargoyle auch kaum schwitzt. Die Übergrosse Hosen die er jeweils an hat schmeisst er danach sofort in die Wäsche. Und zieht sich ein Paar von Marcus Klamotten an. In seinem Kleiderschrank befinden sich etwa 12 Hosen in unterschiedlichen längen. Aber alle in Übergrösse für den Gargoyle. Interessant ist eigentlich, dass er als Gargoyle nie friert oder Hitze empfindet. Das Wetter setzt ihm niemals zu. Die Hosen trägt er einfach um das wichtigste zu bedecken. Aber prinzipiell braucht er eigentlich keine Kleidung. Danach schaut er auf die Uhr und bemerkt dass er sich jetzt schon etwas beeilen muss für den Markt. Also zieht er sich noch eine Jacke über und fliegt schon fast aus dem Haus. Dabei begegnet er Marcus unten in der Küche der ihm noch zuruft: „Lec, denk daran dass ich heute Abend ausgehen kann. Sei Rechtzeitig zurück.“
„Du kannst mich mal“, sind Lecrams Abschliessende Worte. Dann muss er nur noch einen Parkplatz finden und die Suche nach Sarah kann beginnen. Tatsächlich ist Lecram leicht nervös und hofft auf den Namen Marcus zu reagieren. Für den Fall dass Sarah nach ihm rufen sollte. Warum geht ihm dieses Mädchen so unter die Haut? Gedanken versunken schlendert er durch den Markt. Zum Glück hat er etwas Geld mitgenommen. Denn er will sich heute Abend etwas Feines kochen und braucht dafür noch die eine oder andere Zutat. Er beisst gerade in einen frischen Apfel als er Michael hinter sich hört: „Hast du dich auch mal hier hin verirrt.“
Marcus dreht sich sofort um und lächelt offen. Schön seine Freunde endlich wieder zu sehen. Er zügelt seine Emotionen etwas und meint:
„Ich wollte schon lange mal her kommen. Und heute hat es endlich mal geklappt.“
„Hallo Marcus“, taucht Sarah hinter Michael auf und sieht ihn seltsam musternd an. An ihrem Gesichtsausdruck kann man sehen dass sie nicht erfreut ist Marcus anzutreffen. Dann hört Sarah eine Krähe. Automatisch sieht sie zum Himmel und sieht die Krähe. Die Krähe lässt sich in der Nähe auf einem Ast nieder und beobachtet das Geschehen. Marcus ist nicht entgangen dass Sarah den Vogel gesehen hat und bittet sie: „Können wir uns kurz unterhalten? Unter vier Augen denn ich muss dir was erklären...“
Michael rollt seine Augen. „Ich bin dann mal weiter vorne“, und zeigt auf einen der Stände an der Strasse weiter vorne. Sarah und Marcus nicken zustimmend.
„Was gibt’s?“ Will Sarah sofort wissen.
„Hör mal. Die Situation mit der Krähe gestern war blöd. Ich mag die Krähe ja das weisst du. Doch sie folgt mir auf Schritt und Tritt da kann man schon mal austicken.“
„So, so. Kann man.“
„Bist du wütend?“
Sarah zieht ihn, ziemlich bestimmt, am Ärmel etwas bei Seite und spricht ernst: „Wer bist du?“
„Marcus… Wie – was meinst du?“
„Hältst du mich für blöd?“
„Mit einem IQ von 120 bist du wohl schon weit darüber.“
„Das gestern in der Schule und bei dir zu Hause, das warst nicht du. Die letzten drei Wochen das warst nicht du.“
„Ich habe keine Ahnung worauf du ansprichst. Hast du dir was rein gezogen?“ Sie darf es nicht bemerken! Er hofft inständig dass sie ihn nicht mehr weiter löchert.
„Ich habe dich beobachtet. Seit ich dich das erste Mal gesehen habe. Sie her…“, dann berührt sie kurz seine Hand und es zwickt beide kurz da sie wieder mal statisch geladen zu sein scheinen.
„Ich verstehe nicht.“ Lügt Lecram und zuckt mit den Schultern. In welche Schei… hat er sich da bloss hinein manövriert!
„Eine Woche im Monat bist du anders. Wenn wir uns berühren springt sprichwörtlich ein Funke. Und du gehst anders. Also wer bist du?“
Lecram schliesst seine Augen für einen Moment als er tief Luft holt und sie laut wieder ausstösst. Er bekommt Gänsehaut. Noch nie hat jemand bemerkt dass es kleine Unterschiede bei ihm und seinem Bruder gibt. Noch nie hat sich jemand dafür die Mühe gemacht. Dann sieht er Sarah in die Augen und beisst auf seiner Lippe rum. Wie soll er aus diesem Dilemma wieder hinaus kommen. Er wollte doch nur den Vorfall mit der Krähe beschwichtigen und jetzt kommt das dabei heraus. Also versucht er eine Erklärung abzugeben, wohl wissend dass Sarah damit nicht zufrieden sein wird. „Nun, ich habe dir doch gesagt es ist schwierig mit mir. Ich bin mal so dann so.“
„Wie ist dein Name?“
„Marcus.“ Ist die Notlüge.
„Das kauf ich dir nicht ab.“
„Sarah…, ich mag dich. Mehr als ich zeigen kann. Es ist wie es ist und daran kann ich auch nichts ändern.“ Bitte lass mich gehen.
„Du sprichst in Rätseln.“
„Bitte, geniesse diese Zeit mit mir die du hast. Mehr kann ich dir nicht anbieten.“
„Wie soll ich etwas geniessen wenn da noch gar nichts ist. Küss mich hier und jetzt.“ Sarahs Blick ist ziemlich forsch und herausfordernd. Sie reckt Lecram ihr Kinn entgegen und Lecrams Mundwinkel zucken belustigt. Wie gern käme er dieser Aufforderung nach. So einer Aufforderung zu wiederstehen ist schwieriger als er angenommen hat. Noch nie hat ihn ein Mädchen um so etwas gebeten. Die Verlockung ist ausgesprochen gross. Stattdessen streicht er mit seiner rechten Hand sanft, fast zaghaft durch ihr kurzes schwarzes Haar. Dabei funkt es wieder und sein Magen zieht sich eng zusammen. Und ja er kann es nicht verleugnen er mag sie über die Massen.
„Ich bin verrückt nach dir.“ Mit jeder Faser meines Körpers, „Aber es darf nicht sein. Es kann nicht sein.“ Es soll nicht sein!
„Warum nicht? Lass es mich versuchen. Ich habe mehr Verständnis für seltsames als du ahnst…“
Dann will sie näher an ihn heran. Gleichzeitig geht er geht einen Schritt zurück und schüttelt seinen Kopf. Mit einem Klos im Hals spricht er weiter: „Sarah, du gibst mir mehr als mir je irgendjemand gegeben hat. Es wäre besser du würdest mich hassen.“
„Das ist nicht dein Ernst.“
„Leider doch.“ Dann beisst er sich wieder auf die Lippe.
Sarah sieht wie traurig sein Blick geworden ist. Auch sie fühlt sich enorm befangen. Sie kann sich nicht irren. Das ist nicht derselbe Marcus den sie die letzten drei Wochen um sich gehabt hat. Niemals! Etwas stimmt nicht mit ihm. Marcus senkt seinen Kopf und spricht mit beschlagener Stimme: „Ich muss gehen. Wir sehen uns am Montag in der Schule.“
„Versprochen.“
„Versprochen“, wiederholt er.
Mit gesenkten Kopf und seinen Einkäufen geht er sichtlich geschlagen nach Hause. Er fühlt sich verloren. Die Krähe folgt ihm. Zu Hause schmeisst er die Einkäufe einfach auf den Tisch und zieht sich zuerst in sein Zimmer zurück. Heute verschliesst er sogar sein Zimmer und gibt seinem Kummer nach. Noch nie ist sein da sein so schlimm gewesen. Es frisst ihn fast auf. Wie lange soll er das noch aushalten. Warum darf er nicht leben wie andere…


Untergetaucht

Natürlich hält Sarah am Montag- in der Schule -Ausschau nach Marcus. Über das Wochenende hat sie sich viel Gedanken um den gutaussehenden Jungen gemacht. Seine Art, sein Aussehen und seine wunderschönen Augen lassen sie einfach nicht los. Insgeheim fragt sie sich ob sie ihn vielleicht nur interessant findet weil er so schwierig ist. Vielleicht stimmt das Klischee ja doch dass die meisten Mädchen auf schwierige Jungs stehen… Bei Marcus trifft das tatsächlich irgendwie zu. Marcus scheint in ihren Augen zwei Gesichter zu haben oder da stimmt was anderes nicht mit ihm. Was weiss sie noch nicht, wird aber aufmerksam bleiben. Doch Sarah kann nach Marcus Ausschau halten so viel sie will, sie sieht ihn nicht. Und sie versteht es wieder nicht. Er kann doch nicht schon wieder krank sein. Oder schwänzt er gar den Unterricht?
Dass Sarah ihn nicht zu Gesicht bekommt hat Lecram auch so beabsichtigt. Er kommt extra zu spät zum Unterricht damit er sich nicht schon am Morgen mit der blöden Situation „Sarah“ auseinander schlagen muss. Lecram weiss noch nicht genau wie er sich in Sarahs Nähe zu verhalten hat. Abstand ist für alle Beteiligten das Beste. Sie kommt seinem Geheimnis zu nahe.
Nachmittags in einer Pause fällt Sarah doch noch die Krähe auf. Kann das nur ein Zufall sein? Sie stutzt ein wenig, und wenn das doch ihre Krähe ist die dauernd bei Marcus in der Nähe ist muss also auch Marcus in der Nähe sein. Blitzartig beschliesst sie sich auf die Suche nach Marcus zu machen. Ihre Geduld wird belohnt und sie findet ihn abseits auf dem Parkplatz bei Chèn. Die beiden quatschen wohl über Autos. Wohl so ein Männer Ding! Sarah humpelt zielstrebig zu den beiden hin.
Als Marcus sie sieht schliesst er seine Augen für einen Moment. Diese Begegnung wollte er diese Woche auf jeden Fall vermeiden. Was für eine blöde Situation. Wie soll er sich verhalten? Wie würde sein Bruder sich verhalten? Er ist nicht Marcus! Diese Erkenntnis kommt ihm wohl etwas zu spät. Da er nicht um Sarahs Begegnung herum kommt reckt er sein Kinn steckt seine Hände in die Hosentasche und lächelt adrett zu Sarah. Dabei nagt er wieder an der Unterlippe. Sarah und Marcus stehen einfach nur da und schauen einander wortlos an. Keiner von beiden macht den ersten Schritt das Gespräch zu beginnen.
Chèn sieht von Sarah zu Marcus und umgekehrt. Dann klopft er seinem Kumpel auf die Schulter: „Was ist mit euch beiden los? Ihr benehmt euch wie ein Paar das sich gerade frisch getrennt hat. Hab ich da was verpasst.“
„Keine Ahnung was sie schon wieder will“, sind Lecrams Worte bewusst abschätzig.
„Wie auch immer, ich halt mich da aus der Schusslinie“, winkt Chèn ab, hält dabei seine Hände abwehrend in die Luft und geht.
„Wie geht es dir?“, beginnt Sarah nun belanglos das Gespräch.
„Spitzenmässig.“ Bring mich nicht aus der Fassung.
„Du lügst.“
„Dafür kennst du mich zu wenig um dies zu beurteilen.“
„Ich sehe was ich sehe und wie gesagt: ich erkenne einen Lügner.“
„Eines muss man dir lassen. Du bist wirklich hartnäckig.“
„War das gerade ein verstecktes Kompliment?“ Versucht sie zaghaft zu lächeln.
„Bitte Sarah, ich kann das nicht.“ Fleht Lecram.
Sarah sieht ihm tief in die Augen. Dabei sieht sie ihr Spiegelbild in seinen Augen und erkennt seinen flehenden Blick.
„Du kannst oder willst nicht. Da gibt es Unterschiede. Was ist mit dir los?“ Spricht sie etwas sanfter.
Marcus schüttelt leicht seinen Kopf. Sie will ihn einfach nicht begreifen. Nein, sie kann nicht begreifen, das wird ihm nun auch klar. Eigentlich muss sie auch nur akzeptieren. Was soll er bloss tun. Er dreht sich kommentarlos weg und macht Anstalten zu gehen. Es hat in seinen Augen keinen Sinn weiter mit ihr darüber zu debattieren.
Sarah hält ihn gerade noch rechtzeitig am Ärmel fest: „Feigling.“
Das Wort hat sie sehr leise gesprochen. Gerade noch so dass er es hören konnte und tatsächlich kommt er durch dieses einfache Wort nun doch noch etwas ins schwanken. Er dreht sich nochmals zu ihr und sieht den fordernden Blick. Sein Magen zieht sich zusammen.
Jetzt Reicht’s ihm! Er kann nicht mehr.
Also tritt er ganz nahe an sie heran und sie stehen dadurch dicht an einander. Lecram kann ihren zarten Duft aufnehmen und spürt fast ihren Atem. Hier ist keine Anti Sympathie vorhanden. Im Gegenteil, Lecram hat das Gefühl sein Herz schlägt bis in seinem Hals und die Augen von Sarah sind noch grösser als sie sonst schon sind. Beide spüren die Energie zwischen ihnen. Dann nimmt Lecram mit beiden Händen zärtlich ihren Kopf und beugt seinen Kopf etwas herunter. Er sieht ihr dabei die ganze Zeit in die Augen und verharrt einen Moment bevor er seine Lippen zärtlich auf ihre legt und dann schliesst er seine Augen auch. Der darauffolgende Kuss ist mehr als sie beide je erwartet haben. Mehr als sich Lecram jemals erhofft hatte. Alle Gefühle haben sich darin versammelt und es ist einfach nur wunderschön. Als der Kuss endet, öffnet Marcus seine Augen wieder und sieht sie ernster als geplant an als er flüstert: „Es - tut mir alles so unendlich leid. Entschuldige. So etwas wird nicht noch mal passieren.“
Danach entfernt er sich mit raschen Schritten von ihr und der Schule. Er muss dringend nach Hause um nachzudenken und steigt in seinen Wagen. Natürlich fährt er zu schnell, doch auch das ist ihm in diesem Moment egal. Tatsächlich stehen seien Augen unter Wasser…
Die Krähe folgt ihm wieder lautlos.
Sarah steht immer noch regungslos an Ort und Stelle. Sie begreift die Welt nicht mehr. Wie kann er so leidenschaftlich und zärtlich zu ihr sein und dann einfach abhauen. Das war ein unglaublicher Kuss. Nicht dass sie viele Vergleichsmöglichkeiten gehabt hätte doch es war genau so wie es sein sollte. Die Gefühle waren genau am richtigen Ort. Und dann lässt er sie einfach hier so stehen. Was soll das? Sie steckt in der Zwickmühle. Gloria scheint die einzige zu sein die das Ganze beobachtet hat und fühlt mit ihrer Schwester mit. Also geht sie zu Sarah hin und streicht ihr über die Schulter. „Was war das denn?“
„Keine Ahnung“, löst sich Sarah langsam aus ihrer Starre und schüttelt ihren Kopf in Zeitlupentempo.
„War es denn gut?“ Hackt Gloria nach. Diese Frage bringt Sarah nun etwas zum lächeln und dann stupst sie ihre Schwester leicht mit ihrem Ellenbogen an. Auf diese Frage kann sie zurzeit irgendwie keine wirkliche Antwort geben. Es wird sich zeigen was das eben gerade war…
Das ist das letzte Mal dass Sarah diesen Teil von Marcus zu Gesicht bekommt. Seit damals sind schon ein paar Wochen vergangen. Marcus ist natürlich die ganze Zeit über an der Schule. Doch leider nur das Ekelpaket Marcus der sie dauernd mit Hinkebein hänselt. Da ist nichts mehr von tiefen Gefühlen vorhanden. Auch die Krähe ist weit und breit nicht mehr zu sehen.
„Hey Hinkebein. Erklärst du mir mal warum du eigentlich diese Schiene trägst?“ Fragt Marcus eines Tages als sie alle auf dem Nachhause Weg sind. Er hat ganz frech dabei ihren Arm genommen, bei ihr eingehängt und sieht sie dabei schelmisch an.
„Waden-Pseudohypert.“ Ist ihre kurze schnippische Antwort.
„Ich verstehe nur Bahnhof.“
„Das bedeutet ich habe eine Muskelschwäche. Doch die Wahrscheinlichkeit dass ich eine lebenslange Gehfähigkeit und eine normale Lebenserwartung habe ist hoch. Also alles im grünen Bereich.“
„Oh… Musst du trotzdem immer so ein hübsches Ding tragen?“ Dabei sieht er auf ihr lädiertes Bein.
„Du meinst meine Schiene. Ich denke schon. Aber mir macht sie gar nichts mehr aus. Sie gibt mir Lebensqualität.“
„Entschuldige. Manchmal rede ich mehr als ich studiere.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du kannst ja nichts dafür dass du so ein Ekelpaket bist.“
„Tusche. Aber du bist ja auch etwas schräg drauf.“ Zeit Marcus sein Haifisch Lächeln.
„Wieso bin ich schräg drauf?“ Möchte Sarah genauer wissen.
„Du bist nicht konstant auf der Schule. Du fehlst wegen Therapie oder sonstigem Mist. Manchmal scheinst du auch irgendwie schmerzen zu haben und Schwups wirst du wieder abgeholt. Das ist schon sehr seltsam.“
„Für dich vielleicht. Ich kenne es nicht anders.“
„Einleuchtend.“
Zum ersten Mal findet sie ihn einigermassen in Ordnung. Er scheint es zu verstehen. Auf seine seltsame Art und Weise. Trotzdem ist sie sich ganz sicher dass nicht derselbe Junge vor ihr steht der sie damals geküsst hat. Sie sieht ihm in die Augen und sieht dieselben Augen mit denselben dunklen langen Wimpern. Doch eine Kleinigkeit fehlt, der Glanz in seinen Augen wenn er sie ansieht ist nicht da. Natürlich fehlen ihr die Beweise da es nur so eine Bauchangelegenheit ist. Sonst würde er sie doch auf den Kuss ansprechen. Auch die Krähe hat sie seit damals nicht mehr gesehen. Aus diesem Grund möchte sie etwas über die Krähe erfahren.
„Ist die Krähe noch bei euch in der Nähe?“
Abrupter Thema wechsel, merkt Marcus und das kommt ihm im Moment gelegen.
„Ja, die Krähe ist immer in der Nähe des Hauses. Hast du sie gezähmt bei euch im Tierpark?“ Pokert Marcus mit seiner Frage wieder mal etwas. Er hat das Gefühl er muss genau aufpassen bevor er weiter spricht. Er weiss genau dass Sarah die einzige ist der auffällt dass Lecram nicht mehr zur Schule kommt. Doch sein Bruder hält es für die beste Lösung nicht mehr am Schulunterreicht teil zu nehmen und Marcus gefällt die Idee auch. So muss er nicht mehr auf dem Weingut arbeiten. Hurra, er musste zwar lange warten aber endlich sind er und sein Bruder derselben Meinung.
Sarah antwortet: „Nein, die Krähe war schon von Anfang an anders wie die anderen. Es schien als hätte sie was mitzuteilen.“
Die Gespräche heute gehen alle etwas tiefer und er muss auf der Hut sein. Er findet es ziemlich anstrengend sich mit Sarah auseinander zu setzten. Gott sein dank beteiligt sich nun Michael an dem Gespräch: „Marcus, warum kommst du nicht wieder mal bei uns vorbei? Das letzte Mal war nett, wenn man mal von Onkel Theo absieht.“
Jetzt grinst die ganze Familie Halbmond. Ausser Sarah. Sie sieht misstrauisch zu Marcus als wäre sie auf seine Antwort gespannt.
„Ja, der Besuch bei euch…“, Marcus versteht nicht auf Anhieb aber lässt sich nichts anmerken. Marcus sieht genau wie Sarah ihn mustert und spricht darum klar und deutlich weiter: „Würde ich ja gern. Aber ich bin dauernd unterwegs und im Weingut gibt es im Moment viel zu tun durch die Umstrukturierung. Bei Gelegenheit komm ich gerne darauf zurück.“ Siegessicher lächelt er Sarah zu. Ihre Augen verengen sich. Die anderen können das verstehen und Marcus ist froh wenn er endlich nach Hause kann.
An diesem Abend sucht Marcus wieder einmal Lecram auf. Marcus sitzt wieder Ritual mässig neben Lecram auf dem Dach und wartet bis sein Bruder erwacht. Wohl wissend dass seine Eltern heute, wie so oft, nicht anwesend sind. Als Lecram zum Leben erwacht legt Marcus gleich los: „Lecram, Sarah ist ziemlich hartnäckig.“
„Das kann ich mir vorstellen. Wie schlägst du dich?“
„Denke ganz gut. Und sie scheint mich auch schon mehr zu mögen wie auch schon. Sie ist ganz in Ordnung.“
„Sie ist mehr als das“, schwärmt Lecram und lächelt automatisch als er an den Kuss denkt.
„Und was tust du nun in der Woche in der du als Mensch dein da sein verbringen kannst und nicht zur Schule musst?“
„Gute Frage. Im Weingut können sie mich nicht brauchen da ich nicht deine Kenntnisse hab.“
„Das muss ja richtig hart für dich sein“, lächelt Marcus verschmitzt und Lecram grinst zurück: „Ja. Wirklich heftig.“
„Du hast ihnen schön das Leben versaut mit deiner Einstellung nicht mehr zur Schule zu gehen.“
Beide kichern kurz auf.
„Ich werde wohl ein Paar Nachforschungen machen.“
„Worüber denn?“
„Du weisst schon: Unsere Grossmutter war eine Hexe und hat mich zu dem gemacht was ich bin…bla, bla, bla.“
„Du glaubst diesen Schwachsinn?“ lächelt Marcus und schüttelt den Kopf leicht.
„Wohl kaum, aber hast du eine andere Idee warum ich so bin wie ich bin?“
„Nö. Aber vielleicht hast du Glück und es wächst sich mit der Volljährigkeit aus.“
„Nicht witzig“, antwortet Lecram. Doch Marcus muss trotzdem lächeln und fragt beiläufig: „Hast du hunger?“
„Und wie.“
„Komm mit, ich habe Pizza mitgebracht.“
„Super Idee. Hey, erzählst du Liv und Adam von unserem Gespräch?“
„Heute nicht. Ich habe heute meinen Grosszügigen Tag“ Pflichtet Marcus bei.
„Danke.“
Lecram liebt seinen Bruder und hasst ihn zu gleich. Schliesslich hat ihn Marcus schon oft verpfiffen um besser da zu stehen. Er kann Marcus leider nicht immer vertrauen. Das weiss er ganz genau. Doch dieses Gespräch war zwanglos, gut und notwendig. Lecram hat ja sonst niemanden zum sprechen. Er hat nicht mal mehr die Schule. Was für ein tristes Leben! Also gehen die zwei hinunter und essen die Pizza. Bei Lecram muss man zwar eher von verschlingen sprechen. Es sieht nicht gerade appetitlich aus wie er als Gargoyle isst. Ab diesen Freitag wird er wieder als Mensch seine Woche verbringen können. Natürlich ging er weiterhin zu Schule wenn die Umstände etwas anders wären. Doch so sehr er auch will, es ist gut diese Entscheidung getroffen zu haben. Sarah ist viel zu Klever. Und nach diesem Kuss ist eh alles anders zwischen ihnen. Er hat es verdorben. Natürlich hat er seinem Bruder nichts von dem Kuss erzählt. Das ist etwas Persönliches. Lecram sehnt sich im Stillen immer noch nach Sarah. Nach ihrem Duft und ihrer Ehrlichkeit. Bei ihr fühlt er sich Wohl und verstanden. Im Prinzip hat er tausend Fragen an Sarah. Denn wie er, scheint auch sie ein Geheimnis mit sich zu tragen. Warum hat sie die Krähe frei gelassen? Nicht dass es ihn stört. Er geniesst es die Krähe bei sich zu haben. Die zwei verbindet etwas und die Krähe scheint ein Auge auf Lecram zu haben. Immer noch hört er ab und an seinen Namen leise rufen als würde die Krähe mit ihm sprechen wollen. Natürlich hört sich das absurd an. Auch wenn er in der Nacht mit der Krähe zusammen die Gegend erkundet gibt ihm die Krähe Bescheid wenn etwas auf sie zusteuert und sie die Richtung wechseln müssen. Sie sind schon ein gutes eingespieltes Team. Sie ergänzen einander.
Doch Marcus Frage was er in der nächsten Woche anstellen will ist durchaus berechtigt. Lecram hat einen kleinen Plan. Er will wirklich wieder mal im Haus bei seinen Eltern herumstöbern. Irgendwo in diesem Haus muss doch etwas über die Vergangenheit seiner Eltern zu finden sein. Irgendeinen Hinweis muss es einfach geben! Doch er muss vorsichtig sein. Denn Adam und Liv wissen genau wo sie ihre Dinge hinlegen. Sie sind da sehr gründlich.
Am Tag darauf ist die Verwandlung wieder perfekt. Nachdem Lecram, am Samstag, in menschlicher Gestalt seine Einkäufe getätigt hat kocht er für alle ein gutes Steak mit viel Gemüse. Vielleicht ergibt sich ja bei gutem Essen ein gutes Gespräch und er findet einen Anhaltspunkt für seine Suche. Lecram wartet ab in der Hoffnung jemand übernimmt das Wort.
Tatsächlich hat Adam eine Mitteilung: „Hört mal ihr zwei. Morgen müssen Liv und ich für ein, zwei, vielleicht drei Tage an einen Kongress.“
„Super…Party!!!“ Schwelgt Marcus schon etwas im Glück.
„Schlechte Idee. Ich bin diese Woche kein Gargoyle und sitze nicht oben auf dem Dach.“ Argumentiert Lecram und holt seinen Bruder wieder auf den Boden der Tatsachen.
Liv grinst: „Genau. Aus diesem Grund läuft alles wie normal. Und Lecram, schau dass du nicht zu viel Aufsehen erregst. Spricht euch ab wer wann wo zu sehen ist und ach ja, Lecram regelt den Haushalt.“
„Ist machbar“, sagt Lecram und hackt nach: „Wie könnt ihr zwei uns eigentlich auseinander halten?“
Adam sieht die beiden abwechslungsweise eingehend an: „Ihr habt schon unterschiedliche Interessen.“
„Klar, doch wenn wir so direkt vor euch stehen wie könnt ihr uns dann auseinander halten?“
„Da können wir euch auch nicht Auseinader halten.“ Ergänzt Liv schulter zuckend da sie die Frage nicht versteht. Darüber scheint sie sich noch nie Gedanken gemacht zu haben.
„Sollten Eltern ihre Kinder nicht auseinander halten können?“, stellt Lecram mal eben so in den Raum. Marcus rollt seine Augen da es Lecram nicht sein lassen kann da herum zu stochern. Adam ist ziemlich aufgebracht und funkelt Lecram an: „Dauernd diese Sticheleien. Es ist nun mal so wie es ist. Mach das Beste daraus!“
„Ja, das sagt ihr so einfach. Würdet ihr in meiner Haut stecken wäre das vielleicht auch anders.“
Liv und Adam wechseln ein Paar Blicke aus und Liv spricht mit ungewohnter zuckersüsser Stimme: „Junge, wir lieben dich so wie du bist.“
Das ist zu viel des guten und Lecram bekommt fast Brechreiz. Dabei verschluckt er sich fast beim nächsten bissen. Sein Bruder kichert leise in sich hinein. Man kann den Schalk in seinen Augen sehen. Solche Wörter haben die Brüder von Liv ja noch nie gehört. Aber für heute will es Lecram nicht noch mehr auf die Spitze treiben. Im Prinzip bestätigt es ihn nur noch mehr darin dass es niemals seine Eltern sein können. Auch wenn Marcus da anderer Meinung ist.
„Adam, kann ich dein Motorrad in der nächsten Woche fahren? Mit der Ausrüstung erkennt mich bestimmt niemand und ich komme etwas aus dem Haus.“
Adam denkt kurz darüber nach: „Ja, aber gib auf das Bike acht und der Tank ist nach der Woche wieder voll.“
Lecram nickt zustimmend. Siegessicher sieht er zu Marcus hinüber, dabei schwillt seine Brust etwas an. Denn Marcus macht grosse Augen und könnte sich wohl gerade selbst in seinen Allerwertesten treten dass er noch nie die Idee hatte danach zu fragen.
Lecram ist froh als endlich der Montag vor der Tür steht und seine Eltern weg gefahren sind. Marcus ist an der Schule und die anderen sind wie versprochen an diesem Kongress. Er hat das Haus für sich alleine. Er geniesst die Stille und will seinen Plan, nach Hinweisen zu suchen, in die Tat umsetzten. Zuerst nimmt sich Lecram das Büro von seinen Eltern vor. Das Büro ist sehr gross und geräumig. Es stehen viele Ordner rum und einige bekannte Bücher die von Winzern geschrieben wurde. Wenn er sich noch richtig erinnert haben seine Eltern auch mal daran versucht ein Buch zu schreiben. Da es aber sehr Zeitaufwändig war haben sie es vorläufig adakta gelegt. Das Büro hat den Vorteil zusätzlich noch einen Eingang von aussen zu haben. So können sie den Geschäftlichen Besuch empfangen ohne ihn zuerst durchs ganze Haus schleusen zu müssen. Eine kluge Entscheidung.
Lecram schiebt die wenigen Möbel hin und her. Hebt die Teppiche an um zu prüfen ob nicht irgendwo eine Falltür versteckt ist. Leider wird er nicht fündig. Er ist endtäuscht und streicht mit seinen Händen erschöpft durch das Haare. Er war sich so sicher hier auf einen Hinweis zu stossen. Natürlich hat es in diesem Raum einen Tresor der von Lecram leicht zu öffnen ist. Seine Eltern haben ihnen das Passwort dafür gegeben. Also sieht er sicherheitshalber auch hier nach. Logisch dass er darin nichts findet. Aber ein Blick darauf war es Wert. Denn darin liegt ziemlich viel Bar Geld. Lecram staunt nicht schlecht. Unerwartet hört er es an der Tür leicht und zaghaft klopfen. Lecram erschrickt etwas und ist sich nicht ganz sicher ob er die Tür öffnen soll. Es kann ja durchaus etwas geschäftliches sein. War es vielleicht Walter der Stellvertreter seiner Eltern? Es könnte aber auch der Postbote sein. Die restlichen angestellten wissen ja dass seine Eltern verreist sind. Bei einem erneuten leisen klopfen siegt Lecrams Neugierde. Rasch schliesst er den Tresor wieder, tritt an die Tür und öffnet sie einen Spalt. Er staunt nicht schlecht als er davor lediglich die Krähe vor findet.
„Hallo Krähe. Komm doch rein.“ Lächelt Lecram und öffnet die Tür noch einen Spalt damit die Krähe hinein kann. Lecram rechnet aber nicht damit dass die Krähe wirklich ins Haus will. Doch da täuscht sich Lecram gewaltig. Die Krähe hüpft beherzt hinein und hüpft direkt vom Büro ins Wohnzimmer. Erstaunt schliesst Lecram die Tür und geht wortlos hinter der Krähe her, dabei steckt er die Hände in die Hosentaschen. Wenn sich die Krähe jetzt vor ihm in einen Menschen verwandeln würde, wäre Lecram wohl auch nicht mehr erstaunt. Irgendwas scheint die Krähe mitteilen zu wollen. Zielsicher hüpft die Krähe weiter und wartet auf der Treppe bereits auf Lecram. Das Gesicht von Lecram spiegelt seine Verwirrung wieder. Aber er folgt dem Vogel bis Lecram sich schliesslich im Zimmer von Marcus befindet.
„Was wollen wir denn hier?“ Sieht Lecram die Krähe an während er mit ihr spricht. Die Krähe nimmt lediglich auf der Stuhllehne Platz und sieht Lecram einfach nur schief an. Etwas verloren steht Lecram nun im Zimmer seines Bruders. Die beiden Zimmer sind sehr unterschiedlich eingerichtet. Bei Marcus ist alles sehr männlich eingerichtet und wenn möglich sind die Möbel in Hochglanz. Braun und Anthrazit scheinen Marcus Lieblingsfarben zu sein. Aber auch ein üppiges Rot darf nicht fehlen. Lecrams Zimmer ist in hellen Farben gestaltet. Er kann sich dabei besser entspannen.
„Soll ich etwa hier mit der Suche beginnen?“ Fragt er quasi ich selbst denn die Krähe wird ihm wohl keine Antwort geben. Trotzdem scheint es Lecram als würde die Krähe leicht nicken. Blödsinn - Lecram schüttelt seinen Kopf und kneift seine Augen zusammen: „Also gut, warum auch nicht, dann geh ich mal an die Arbeit.“
Wenn er schon hier steht kann er ja auch in diesem Zimmer nach einem Hinweis suchen. Sorgfältig durchsucht er alle Möbelstücke und stellt alles wieder an denselben Platz. Nichts! Ausser ein paar stinkende Socken die mal dringend in die Wäsche müssen, pfui... Marcus ist ohnehin nicht sehr reinlich. Ausser er hat Mädchen zu Besuch ansonsten lebt er in einem heil losen durcheinander. Nach einiger Zeit hockt Lecram auf das Bett und sieht zur Krähe die gemütlich auf der Stuhllehne sitzt. Die Krähe sieht ihn erwartungsvoll an und Lecram steht ein Fragezeichen im Gesicht geschrieben.
„Ich denke nicht dass ich hier etwas finden werde.“
„Kraa, kraa, kraa.“ Die Krähe kräht kurz auf und es macht den Anschein als akzeptiere sie kein Aufgeben. Also macht Lecram weiter und untersucht den Schreibtisch, wie auch die Festplatte vom PC. Aber nichts, einfach annähernd nichts was ihn weiterbringen kann.
Die Krähe scheint immer noch nicht gewillt zu sein aus diesem Zimmer hinaus zu fliegen. Also sieht Lecram etwas widerwillig zum Schluss noch unter Marcus Bett nach. Nichts ausser einem losen Stück Parket. Das Lecram nicht im Geringsten interessiert hat bevor die Krähe nicht begann freudig zu kreischen und mit den Flügeln um sich zu schlagen. Lecram reisst sein Augen auf und wird neugierig, dann hebt er die Diele vom Boden auf. Tatsächlich ist das so etwas wie ein Versteck. Da staunt Lecram nicht schlecht. So muss sich wohl Sherlok Holmes gefühlt haben wenn dieser ermittelte. Die Spannung steigt als er eine kleine Kassette hervor nimmt und sie langsam öffnet. Darin befinden sich eine hübsche blonde Haarsträhne und ein Altes Pergament der schon eine gelblich angeschlagene Farbe hat. Bevor er das Pergament in die Hand nimmt sitzt er mit der kleinen Kassette aufs Bett. Vorsichtig nimmt das alte Pergament heraus und öffnet ihn da dieser zweimal gefaltet ist. Zu seinem Verdruss steht da etwas was er einfach nicht lesen kann!
„Schitt“, ist seine Entrüstung zu hören. Welche Sprache es ist weiss Lecram nun wirklich nicht. Aus diesem Grund geht er rasch in sein Zimmer hinüber und setzt sich an den Computer um Nachforschungen anzustellen. Nichts! So eine Sprache ist nicht bekannt. Gibt’s denn so etwas? Seine Stirn bekommt Falten und er streicht mit den Händen durchs Gesicht dabei stöhnt er laut auf. Er wird daraus nicht schlau und empfindet das alles als einen Misserfolg. Er fragt sich ob Marcus von dieser Kassette und dessen Inhalt Bescheid weiss. Oder Liv und Adam dieses Versteck benutzten da sie davon ausgehen Lecram lässt Marcus Zimmer in Ruhe. Wieder mal mehr Fragen als Antworten! Schlussendlich beschliesst das Pergament zu kopieren. Er weiss ja nicht wie lange das Versteck unter Marcus Bett sicher ist. Vielleicht bemerken sie ja dass er das Versteck gefunden hat und deponieren den Inhalt wo anders. Dieses Risiko möchte er nicht eingehen. Also legt er das Original wieder vorsichtig zurück und richtet Marcus Zimmer wieder genau so her wie es war. Die Kopie des Pergamentes versteckt Lecram in seinem Zimmer. Zwischen den Zeilen eines Buches. Die Krähe sieht ihm die ganze Zeit geduldig zu und scheint mit Lecrams Arbeit vorerst zufrieden zu sein. Also fliegt sie wieder aus Lecrams Fenster ins Freie. Nachdenklich sieht Lecram ihr nach: Ob die Krähe noch mehr Informationen für ihn hat?
Nach diesem ereignisreichen Tag beschliesst Lecram jeden Tag eines der Zimmer im Haus noch genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Krähe wird ihm vielleicht wieder eine Unterstützung sein. Wer weiss was er dabei noch alles finden kann…


Erkenntnis

Die Tage waren rasch vorbei und Lecram hat alle Zimmer im Haus nach Hinweisen abgesucht. So ausführlich wie diesmal hat er noch nie gesucht. Leider ist er nur in Marcus Zimmer fündig geworden.
Lecram fasst einen Beschluss: Er muss wohl oder übel nochmal die beiden Gargoyles besuchen um für seine Fragen einige Antworten zu bekommen. Sofern sie Antworten auf seine Fragen haben. Ob sie überhaupt noch dort sitzen und warten. Genau genommen brennt es ihn schon seit längerem sich wieder zu den Gargoyles durch zu schlagen. Auf jemanden zu treffen der ihm ähnlich sieht war einfach zu überwältigend.
Erstaunlicher Weise ist die Woche mit seinem Bruder, alleine im Haus, gut verlaufen. Zum Glück wurde aus der zwei, drei Tages Reise seiner Eltern eine ganze Woche. Zu Lecrams Erstaunen war Marcus mehr zu Hause als üblich. Die beiden haben sogar wieder mal zusammen Parkour trainiert. Dafür brauchten sie nicht mal weit zu gehen, sie kamen gut mit dem Vorhandenen Umfeld auf dem Weingut aus. Sie haben alle Hindernisse bezwungen die sie sich ausgesucht haben. Es hat richtig Spass gemacht mit Marcus zusammen zu sein. Sie haben viel gelacht und waren unbeschwert. Wenn man sie so zusammen sieht würde man denken die beiden mögen sich tatsächlich gut leiden. Auch das gemeinsame Kochen machte Spass. Sie quatschten zwar ziemlich oberflächlich, das aber beiden irgendwie entgegen zu kommen schien.
Einmal in dieser Woche hat Lecram sich sogar die Freiheit genommen mit dem Motorrad zur Schule zu fahren. Die kurze Fahrt zur Schule genoss er sehr. Auch wenn er wusste dass er Sarah in Ruhe lassen muss wollte er sie doch noch mal sehen. Er sass da auf seinem schwarzen Bike und hat Sarah beobachtet. Es tat ihm einfach nur gut sie kurz wieder zu sehen. Als er aber selbst bemerkte dass er sich wie ein verrückter Stalker verhält fuhr er ziemlich rasant wieder nach Hause. Schneller als er sollte aber es war gerade das was er in diesem Moment brauchte. Das Adrenalin in diesem Moment das Richtige!
Es ist bereits Freitagabend und Lecram ist immer noch gut gelaunt. Die Brüder essen zusammen Spaghetti mit Tomatensauce und viel Käse. Dabei bietet Marcus seinem Bruder an: „Hey, willst du morgen zum Markt?“
Denn die Rückverwandlung vom Mensch zum Gargoyle beginnt von Samstagnacht auf Sonntag. Also genau genommen hat Lecram volle acht Tage die ihm als Mensch bleiben.
„Wäre eine tolle Idee. Würde ja gerne sagen lad doch deine Freunde ein. Ich koche für uns…“
„Ja, ja sehr witzig.“ Lacht Marcus laut auf und droht ihm etwas Käse anzuschmeissen dass er natürlich nicht tut. Auch Lecram grinst breit als er versucht heraus zu finden: „Ich gehe gerne an den Markt. Aber ehrlich, vermisst du es manchmal nicht?“
„Vermisse was?“
„Freunde einzuladen und zusammen abzuhängen.“
„Mit dir als Gargoyle bestimmt nicht.“
„Das war nicht meine Frage.“ Dementiert Lecram.
„Ich kann es dir nicht genau sagen. In Wochen wie dieser kann ich mir das sehr gut vorstellen. Es fühlt sich gut und normal an. Aber wenn mich der Alltag wieder im Beschlag genommen hat ist es einfach wie es ist. Du bist wer du bist.“
„Zusammen Leute zu verarschen könnte schon Spass machen. Denke ich.“ Fantasiert Lecram. Marcus muss bei diesem Gedanken ebenfalls grinsen und fügt an: „Ja, das hätte bestimmt Spass gemacht. Und wir wären bestimmt grossartig darin gewesen.“
Genau genommen hat Lecrams Dämonen da sein beiden die gemeinsame Kindheit genommen. Heute Abend braucht Lecram jedoch noch mehr Informationen von seinem Bruder.
„Hast du keine Freundin?“
Jetzt legt Marcus seine Gabel hin und sieht zu seinem Bruder.
„Nö. Gloria ist super heiss. Doch definitiv nicht zu haben. Und Sarah steht nicht auf mich wie ich nicht auf sie. Sie ist zwar auf ihre Weise süss aber nicht mein Typ. Und mehr gibt es da im Moment noch nicht ausser ein zwei Flirts die nicht ins Gewicht fallen.“
„Das ist für deine Verhältnisse nicht sehr viel.“ Grinst Lecram wieder über sein ganzes Gesicht.
„Eigentlich hast du Recht. Bei Gelegenheit sollte ich das ändern.“ Marcus lächelt und nimmt einen Schluck Wasser. Dann hat ausnahmsweise er mal eine Frage: „Lief eigentlich zwischen dir und Sarah etwas? Hast du aus diesem Grund beschlossen nicht mehr in die Schule zu kommen?“
„Nein, es lief nichts. Du hattest Recht ich steh etwas auf sie. Aus diesem Grund kann ich nicht zur Schule und sie hat durchaus bemerkt dass wir unterschiedlich sind.“
„Ja, das denke ich auch. Es ist besser so. Sie stochert dauernd herum. Ich muss echt aufpassen was ich sage. Mit der Zeit wird schon Gras drüber wachsen.“ Hofft er inständig.
Damit ist das Thema Sarah vorläufig vom Tisch. Marcus erzählt noch belangloses Zeug von der Schule. Sie sind wieder an der eher Oberflächlichen Diskussion angelangt. Nach einem gelungenen TV Abend geht Lecram ins Bett da er für Morgen fit sein will. Er hat beschlossen einer der ersten am Markt zu sein und hofft damit Sarah aus dem Weg gehen zu können. Oder hofft er insgeheim sie doch dort anzutreffen? Er weiss es selbst nicht so genau. Sein Herz und Verstand scheinen unterschiedlicher Meinung zu sein.
Also steht Lecram am nächsten Morgen sehr früh am Markt, einige haben noch nicht mal alles ausgepackt das ihn nicht im Geringsten stört. Viel muss er ja nicht haben. Es macht ihm einfach Spass am Markt durch zu schlendern und vergisst dabei gerne die Zeit. Er geniesst die Stimmung am Markt. Die vielen verschiedenen Menschen auf einem Haufen zu sehen findet er spannend. Ab und an beobachtet Lecram die eine oder andere witzige Szene am Markt und lächelt zufrieden vor sich hin. Als er nichts ahnend um die nächste Ecke biegt stösst er mit Sarah zusammen. Ausgerechnet! Er gibt sich alle Mühe wie Marcus zu klingen: „Scheisse. Morgen Hinkebein… Entschuldige.“ Und lächelt nicht mal bei seiner Begrüssung.
„Kein Problem. Guten Morgen“, begrüsst sie ihn ebenfalls reserviert.
Lecram kann ihren Wiederwillen im Gesicht lesen dass sie Marcus begegnet ist. Sie ist nicht auf ein Gespräch aus. Also nickt er ihr kurz zu und geht schon einen Schritt weiter, da fällt ihm auf dass sie alleine ist. Das findet er merkwürdig, bleibt stehen und möchte wissen: „Bist du alleine unterwegs?“
Sarah lächelt kurz aufgesetzt und ihm fällt auf wie bleich sie heute ist. Sie sieht sehr unglücklich aus und ihr strahlen fehlt.
„Nein, Theo schwirrt hier auch irgendwo herum. Brauchst mich nicht nach Hause zu fahren. Danke.“
Er beisst seine Zähne kurz zusammen und versucht wieder wie sein Bruder zu klingen: „Hatte ich nicht vor. Bis bald…“
Er hasst seine Antwort, dreht sich um und geht langsam weiter. Dabei presst er den Kiefer erneut zusammen und senkt seinen Kopf. Sein Herz ist schwer und sticht. Doch es ist gut so wie es ist.
Sarah sieht ihm nach und stutz als sie ihn gehen sieht. Dann ruft sie ihm entschlossen nach: „Marcus, warte einen Moment!“
Er bleibt stehen, dreht sich verhalten in ihre Richtung. Das ist nicht gut wie sie ihn anstrahlt, geht ihm durch den Kopf. Er sieht ihr zu wie sie hinkend auf ihn zu kommt um ihm dann in die Arme zu fallen.
„Ich vermisse dich jeden einzelnen Tag“, haucht sie ihm ins Ohr. Natürlich hält er sie auf Abstand und macht ein Gesicht als wüsste er nicht worum es geht. Es fällt ihm nicht einfach aber er schafft es sie von sich weg zu stossen. Er ist heute Marcus und nicht Lecram!
„Nimmst du Drogen?“
„Ich habe gerade gesagt ich….“
„Das habe ich gehört und verstehe nicht was du damit meinst. In der Schule mögen wir uns nicht besonders gut leiden und hier am Markt bin ich der Mann deiner Träume? Du bist ja seltsam drauf.“
Er verengt die Augen als er diese dummen, dummen Worte ausgesprochen hat.
„Ich sehe dass du nicht derselbe bist wie an der Schule. Hör auf es zu leugnen.“
„Vielleicht bin ich hier einfach entspannter.“ Zuckt Lecram mit seiner Schulter auf und sieht sie an als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank.
„Idiot!“ Rollt Sarah ihre Augen und seufzt kurz auf,
„Die Krähe verrät dich jedes Mal.“ Sie reckt aufgebracht ihr Kinn. Automatisch sieht er sich rasch um und sieht dann tatsächlich die Krähe ganz in der Nähe auf einem Ast sitzen. Die Krähe sitzt gelassen da und beobachtet die beiden, sichtlich zufrieden. Marcus schliesst seine Augen kurz und seine Fassade beginnt zu bröckeln. Er kommt ins schwanken. Es fühlt sich an als zieht ihm jemand den Boden unter den Füssen weg. Und nun weiss er nicht weiter. Seine Hände wandern in seine Hosentaschen und leise beginnt er zu stammeln: „Das…, ist - nur - ein Zufall. Bitte entschuldige ich muss weiter. Sehen uns Montag wieder.“
Doch Sarah will nicht aufgeben, hält ihn am Ärmel fest und zischt ihn an: „Weisst du wie ich mich fühle?“ Wohl kaum, „wenn du weg bist bin ich einfach leer! Du fehlst mir.“
Natürlich weiss er genau wovon sie spricht. Ihm geht es ähnlich. Nun stehen sie da und schauen einander direkt in die Augen. Er nagt wieder an der Unterlippe und hat einen traurigen Blick als er spricht: „Du darfst solche Dinge nicht zu mir sagen.“
Sie schüttelt verständnislos ihren Kopf: „Warum nicht!“
„Ich habe dich nicht verdienst. Du hast etwas Besseres verdient. So jemanden wie Chèn. Mit mir möchtest du nicht zusammen sein. Ich bin ein Ekelpaket. Ich bin Marcus.“
„Sag so etwas nicht“, ist ihre Stimme etwas beschlagen. Als sie spürt dass er sich von ihr zurückziehen will nimmt sie ihre rechte Hand und hält sie an seine Wange. Das bringt ihn endgültig zu Fall und er schliesst sie fest in seine Arme. Es tut so gut sie fest zu halten. Er nimmt ihren Duft in sich auf. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals.
Als er sie los lässt sieht er deutlich dass ihre Wangen gerötet sind. Sie blüht auf, scheint verlegen und das macht sie noch süsser. Ihre grossen Augen scheinen ihn anzuflehen zu bleiben. Doch er muss das wenige was sie zusammen haben bereits wieder zunichtemachen. Seine Seele scheint in der Hölle angekommen zu sein.
„Hör zu. Du musst mich in Ruhe lassen. Ich kann das mit dir nicht.“
Gekonnt geht Sarah nicht darauf ein und fragt stattdessen: „Sehen wir uns nächsten Samstag wieder?“
Wenn sie ihn schon nicht unter der Woche zu Gesicht bekommt will sie wenigstens auf den Samstag hoffen können. Er sieht wie wichtig es ihr ist und ihm geht es da nicht anders. Aus diesem Grund erklärt er während er immer noch ihre Hand in seiner hält: „Ich bin nur einmal im Monat hier in der Gegend. Dann auch nur für eine Woche.“
Und das war nun wirklich nicht gelogen. Sie mustert ihn und möchte den Moment nicht zerstören. Sie möchte bekommen was möglich ist. Auch wenn sie nicht genau weiss was es bedeutet.
„Dann sehen wir uns in vier Wochen wieder, hier?“
„Selbe Zeit.“
„Selbe Zeit.“ Bestätigt Sarah und Lecram küsst sie sanft auf ihre Stirn und verabschiedet sich. Mit einem Kloss im Hals geht er nach Hause. Er ist sich längst nicht sicher das richtige getan zu haben. Als er zu Hause vor fährt sieht er dass seine Eltern zurück sind. Also macht sich Lecram in der Küche nützlich und bereitet das Essen vor. Ansonsten gibt es nur wieder fertig Nahrung. Und darauf hat er keinen Bock.
Natürlich erzählen seine Eltern beim gemeinsamen Essen nicht viel. Sie fachsimpeln mit Marcus über das einte oder andere was für den Weinbau ausbaubar wäre. Lecram übergehen sie einfach, es ist als wäre er gar nicht anwesend. Doch heute ist es ihm egal. Er hängt mit seinen Gedanken noch bei Sarah. Es ist so wundervoll sie zu küssen. Wenn das verliebt sein soll dann fühlt es sich unheimlich gut an. Dafür lohnt es sich zu leben. Und er freut sich jetzt schon auf das nächste Treffen in vier Wochen. Wobei er ein gefährliches Spiel spielt. Eigentlich hat er ja alles getan um sie auf Distanz zu halten, aber sie war schlau genug um den Unterschied zwischen den Brüdern zu sehen. Was für ein gescheites Mädchen. So etwas hat er noch nie erlebt. Er ist zum ersten Mal in seinem Leben verliebt. Ein Mädchen das ihn um seinetwillen liebt. Ein Mädchen das ihn liebt weil er so ist wie er ist. Doch diese Liebe hat einen markanten Beigeschmack – der Gargoyle! Der Dämon aus Stein. Nein, sie wird ihn niemals lieben wenn sie wüsste wer er ist…
Den Rest der Nacht verbringt er in seinem Zimmer und liest Gedichte. Wenn man verliebt ist geben Gedichte einen ganz anderen Sinn. Sein Bruder zieht los und geniesst seine Freiheit mit Sicherheit in vollen Zügen. Kurz vor dem Sonnenaufgang zieht er eine der Übergrossen Hosen an und geht hinauf aufs Dach. Seine Gedanken sind noch bei Sarah als die ersten Sonnenstrahlen hervor kommen. Wie so oft spürt er wie seine Haut sich dehnt und ihm Schmerzen bereitet. Mittlerweile lässt er sich die Prozedur über sich ergehen ohne aufzuschreien. Als er klein war mussten sie ihn einsperren weil er so laut geschrien hatte. Dann zieht eisige Kälte in ihm auf und er beginnt einzuschlafen. Ob sich so erfrieren anfühlt (?), sind Lecrams letzte Gedanken bevor er zur Steinsäule wird.


Gefühlschaos…

Sarah steht immer noch nachdenklich am Markt. Sie kann nicht glauben was da gerade passiert ist. Ihr Instinkt war richtig gewesen, es müssen Zwillinge sein. Mittlerweile ist sie sich da ziemlich sicher. Nur fehlen ihr immer noch eindeutige Beweise für ihre Vermutung. Äusserlich gibt es keinen Unterschied von den beiden Marcus. Sarah hat jedoch beobachtet dass sie nicht ganz die gleiche Gangart haben. Doch wer nimmt sich schon so viel Zeit die beiden so genau zu beobachten. Jeder kann ja mal einen schlechten Tag haben.
Doch der Funke zwischen ihr und diesem Jungen war schon irgendwie speziell. Heute hat sie ihn wieder gespürt. Und sie nimmt an, er kann es auch nicht länger verleugnen. Zum Glück hat sie noch die Krähe als Ass im Ärmel gehabt. Wobei das mit der Krähe mehrheitlich Glück gewesen ist da die Krähen alle ziemlich ähnlich aussehen. Es hätte ja auch irgendeine Krähe sein können. Genau genommen hat sie mit der Krähe nur gepokert da sie genau weiss das ist seine Achilles Sehne.
Sie hat einige Fragen an den Jungen der gerade vor ihr gestanden hatte. Doch zuerst muss sie ihn in vier Wochen wieder zu Gesicht bekommen. Ob er sie wirklich hier treffen wird? Das weiss sie ja noch nicht so genau. Vielleicht bekommt er ja kalte Füsse-gut möglich! Aber sie wird darauf warten und hoffen. Sie muss realistisch bleiben. Sie hat eine fünfzig, fünfzig Chance. Und irgendwann muss sie ihrer Familie davon erzählen, irgendwann…
Von hinten nähert sich Theo schlurfend: „Sarah, hast du alles?“
Sie schreckt kurz auf da er sie gerade aus den Gedanken geholt hat.
„Ja klar. Wir können gehen.“
„War das gerade Marcus?“
„Ja… Was hast du gesehen?“
„Gab es denn etwas zu sehen?“ Schmunzelt Theo.
„Nein, eigentlich nichts.“ Ist ihre Notlüge!
„Du magst ihn sehr, nicht wahr.“ Stellt Theo fest und hackt bei Sarahs Arm ein. Gemütlich gehen sie so weiter und Sarah sieht lächelnd zu ihm auf. Sie würde Theo gerne ihre Gedanken anvertrauen. Aber sie ist noch nicht so weit. Ihre Familie hat echt auch genügend Seltsames zusammen erlebt. Und erleben es immer noch Tag täglich. Aber da sie noch nicht genaues über Marcus und eventuell seinen Bruder Bescheid weiss ist sie lieber vorsichtig und behält ihre Gedanken vorläufig für sich. Also antwortet sie Theo sachlich:
„Ich mag ihn an manchen Tagen unheimlich gerne. An der Schule ist er dann irgendwie nicht sich selbst. Ich kann es dir noch nicht so genau erklären…“
Theo macht ein nachdenkliches Gesicht als er stehen bleibt und zu ihr runter sieht. „Du traust ihm also nicht?“
„Ich weiss es noch nicht so genau. Irgendwie schon. Bitte dräng mich nicht.“ Ihre Schultern zucken kurz entschuldigend auf.
„Gibt es da etwas was du uns erzählen solltest?“
Ist Theo verständlicher Weise nun auch etwas neugierig. Und Sarah spürt dass sie ihn nicht anlügen kann.
„Ja. Es ich denke da gibt es etwas. Aber ich habe noch nicht genügend Informationen zusammen. Bitte hab Geduld mit mir.“
„Du denkst… Nun gut, ich warte. Aber warte nicht zu lange.“
„Versprochen.“
„Da ist noch was anderes“, beginnt Theo jetzt ein anderes Gespräch einzuleiten, „wieso hast du eine Krähe aus der Voliere gelassen?“
„Warum denkst du dass ich es war?“ Versucht Sarah sich da raus zu winden und Theo schmunzelt als er ihr liebevoll über die Wange streicht: „ Ich habe schon alle anderen gefragt.“
„Das ist jetzt etwas peinlich“, stellt sie fest und beschliesst ehrlich zu sein: „Keine Ahnung warum, wieso oder weshalb. Ich habe ihn einfach raus gelassen.“
„So wie ich dich kenne war das bestimmt wieder so aus dem Bauch heraus.“
„Genau.“ Schmunzelt sie.
„Hat es mit Marcus zu tun?“
Sarah seufzt auf, er kennt sie zu gut: „Ja.“
„Gibt es noch etwas dass du mir sagen musst?
„Im Moment ist es wirklich alles. Den Rest muss ich selbst noch raus kriegen. Dann sage ich euch Bescheid.“
„Und du brauchst keine Hilfe.“
„Nein. Im Moment noch nicht“, schüttelt sie ihren Kopf aber ist dankbar für das Angebot.
„Ich zähle auf dich dass du uns bald alles erzählst.“
Sarah nickt und lächelt Theo warm an. Vorerst ist alles gesagt und sie gehen nach Hause. Denn dort wartet noch viel Arbeit auf sie.
Vor allem die Wochenenden sind streng. Abgesehen von den Besuchern gibt es jeden Tag allfallende arbeiten wie Tiere füttern und putzen. Ab und an sind auch Tiere da die verarztet werden müssen. Das ist dann Benjamins Part, denn er ist der Tierarzt vor Ort. Natürlich kann die Familie den Tierpark nicht alleine unterhalten. Dafür haben sie einige Angestellte die für die Tierpflege verantwortlich sind. Auch an der Ticket Ausgabe sitzen nicht immer Familien angehörige. Dafür stellt Theo jeweils einen Monatsplan auf. Auch Sarah wird nicht verschont und eingeteilt. Nur muss Theo daran denken dass er Sarah jederzeit kurzfristig ersetzten muss falls er sie kurzfristig für was Familiäres braucht. Denn Sarahs Geheimnis liegt im Verschlossenen Teil des Tierparkes.
Der für andere auf Anhieb nicht zugänglich ist.
Der nicht zugänglich sein sollte.


Gargoyles …

Lecram verbringt seine Gargoyle Zeit immer noch sehr grüblerisch. Er ist eben ein sehr Kopflastiger junger Mann der noch auf aufschlussreiche Antworten auf seine vielen Fragen wartet. Dass er letzthin beim Tierpark auf die beiden Gargoyles gestossen war, ist die eine Sache die ihm nicht aus dem Kopf gehen kann.
Der andere Gedanke hängt an Sarah. Er spürt eine seltsame Art von Vertrautheit. Sie ist nicht das hübscheste Mädchen dass er je angetroffen hat. Das könnte ein Grund sein warum sein Bruder nicht auf sie abfährt. Doch Lecram findet sie süss, äusserst sympathisch und ja er findet sie hübsch. Ausserdem fühlt er sich in ihrer Nähe gut, als könnte er über alles mit ihr sprechen. Wenn es da nur nicht sein Geheimnis gäbe!
Natürlich freut er sich auf den abgemachten Samstag und das Treffen mit ihr. Doch er hinterfragt sich ob das wirklich Sinnvoll ist. Lecram kann noch nicht einmal genau sagen was er für sie empfindet. Vielleicht belügt er sich ja selbst. Er hat auch ohne Sarah genügend Probleme am Hals. Und Sarah will er da auch nicht unbedingt mit hineinziehen. Sie hat wirklich eine ehrliche normale Beziehung verdient. Trotzdem geht ihm der Gedanke nicht aus dem Kopf dass die ganze Familie Halbmond über die Gargoyles Bescheid wissen. Also weiss gewissermassen auch Sarah von Migdal und Lamos. Oder haben die Gargoyles gelogen? Kann er ihnen überhaupt trauen? Kurzum beschliesst Lecram heute Nacht den Gargoyles einen weiteren Besuch abzustatten. Also rennt er so schnell er kann wieder durchs Dickicht. Denn die Nacht kann sehr kurz sein. Die Krähe begleitet ihn mit starken, langen Flügelschlägen. Lecram sieht zum Himmel, lächelt und hat wieder das Gefühl er höre seinen Namen. Nicht laut sondern ganz leise und sanft. Mittlerweile stört es ihn nicht mehr, diese Stimme ist einfach ab und an da. Heute ist eine tolle Nacht um draussen zu sein. Der Vollmond scheint und der Himmel ist klar. So sieht man die Sterne am Himmel funkeln. Heute fühlt sich Lecram einfach gut und freut sich irgendwie auf die Gargoyles. Obwohl er ja noch gar nicht weiss ob sie ihn freundlich empfangen - egal. Als er in die Nähe des Tierparkes ankommt verlangsamt er seinen Schritt. Dann bleibt er stehen und sucht mit seinen leuchtend Rubinroten Augen die Gegend ab. Tatsächlich sieht er die beiden Gargoyles sofort. Sie scheinen ihn ebenfalls gleich entdeckt zu haben und sehen in seine Richtung. Langsam geht Lecram auf die beiden zu. Als er vor ihnen steht spricht Migdal mit rauer Stimme: „Wir dachten du tauchst früher auf.“
„Ihr habt mich also erwartet?“ Gut.
„Oh ja, du hattest letztes Mal das: Tausend - Frage - Antwort – Gesicht“, erklärt Lamos lächelnd das wieder aussieht als würde er eine Grimasse schneiden. Lecram weiss noch nicht ob das gut oder schlecht ist wenn sie ihn durchschauen. Doch diesmal ist Migdal wohl genau so neugierig wie er und stellt fest: „Ausserdem gibt es zwischen uns doch einige markante Unterschiede.“
„Und denen wollen wir natürlich auch auf den Grund gehen und nehmen dich Stück für Stück auseinander“, unterbricht Lamos Migdal und grinst wieder schief über sein Gesicht.
„Jetzt halt mal für einen Moment die Klappe Lamos!“ Schimpft Migdal mit dunkler, rauer, strenger Stimme und Lamos macht ein übertriebenes beleidigtes Gesicht. Das wiederrum so lustig aussieht dass Lecram sich ein Lächeln echt verkneifen muss. Darum sagt Lecram lediglich: „Ist mir auch aufgefallen dass ich anders bin als ihr.“
Als Lecram den Satz zu Ende gesprochen hat nickt Lamos übertrieben und zeigt auf seine Füsse und Hände. Er spricht nicht, macht nur mit Gesten klar dass sie doch sehr unterschiedlichen Füsse und Hände haben. Schliesslich hat Migdal ihm ja gesagt er soll seine Klappe halten. Wäre die Situation nicht so absurd wäre sie eigentlich sehr witzig und Lecram lächelt leicht. Migdal rollt seine leuchtend roten Augen weil sich Lamos so doof benimmt und versucht zu erklären: „Unser Lamos ist ein Witzbold.“
„Du hast gesagt ich soll die Klappe halten“, stänkert Lamos und Migdal seufzt auf: „Lamos, weisst du noch was wir besprochen haben? Für den Fall dass er noch einmal auftaucht?“
„Klar doch.“
„Was – machst – du – denn - noch - hier!“ Schiebt Migdal energisch hinterher.
„Oh…“, entschuldigend zuckt Lamos mit der Schulter auf und rennt weg. Lecram kratzt sich am Hinterkopf und versteht überhaupt nichts mehr. Die zwei Gargoyles haben doch einen Flick ab, scheint Lecram gerade zu denken. So sieht zumindest sein Gesichtsausdruck aus.
Migdal sieht den ratlosen Gargoyle an und erzählt weiter: „Dort wo ich herkomme gibt es noch mehr die so aussehen wie wir.“
„Kannst du fliegen?“ Fällt Lecram gleich mit der Tür ins Haus. Denn die Flügel bei Migdal, die aussehen wie die einer Fledermaus, faszinierten ihn von Anfang an.
Migdal grinst offen und breit: „Nicht wirklich. Ich gleite mehr, die Drachen sind unsere Luftakrobaten.“
„Drachen…“, reisst Lecram seine Augen auf und ist nun irgendwie überfordert mit dieser seltsamen Information. Ob sie ihn etwa verarschen wollen und er voll darauf hinein fällt?
„Dazu kommen wir später vielleicht einmal. Was uns viel mehr interessiert ist: Woher stammst du? Wo ist dein Ursprung?“
„Das wüsste ich auch gerne.“ Zuckt Lecram mit den Augenbrauen. Endlich sprechen sie wieder dieselbe Sprache! Darüber ist Lecram sehr froh. Dann kann Lecram hinter sich Lamos Schritte hören und eine Stimme die spricht: „Das ist wirklich interessant. Lass es uns zusammen heraus finden.“ Sofort ordnet Lecram die Stimme ganz klar und deutlich Sarahs zu. Er wird stutzig da er sie doch hätte hören müssen. Ruckartig dreht er sich in ihre Richtung und sieht gerade noch wie Lamos sie sachte auf den Boden stellt. Wie clever…, Lamos hat sie einfach getragen damit er nicht reiss aus nimmt. Die Gargoyles sind wirklich nicht dumm! Missgestimmt sieht Lecram wieder zu Migdal.
„Du hast versprochen ihnen nichts zu erzählen!“
Darauf gibt der grosse Gargoyle keine Antwort. Muss er ja auch nicht. Für ihn ist es die einzig richtige Lösung, Sarah zu informieren. Zumal sie der Schlüssel zu seiner Welt ist aber davon weiss Lecram ja noch nichts. Darum geht Migdal nicht auf Lecram ein und überlässt ihn nun einfach Sarah.
„Wie ist dein Name Gargoyle?“, fragt Sarah neugierig als sie näher an ihn heran humpelt. Lecram entscheidet sich dafür sich nichts anmerken zu lassen dass er sie kennt. Er will nicht dass sie bemerkt dass er zwei Gesichter hat. Eines ist menschlich und eines davon ist dieses Etwas...
Also antwortet er ruhig und bedacht: „Mein Name ist Lecram. Wer bist du?“
Sarah kann seine Unsicherheit in der Stimme hören.
„Komm gehen wir ein paar Schritte. Ich bin Sarah.“
Lecram nickt, also gehen die beiden langsam durch das angrenzende Waldstück. Lecram schaut sich nach der Krähe um doch glücklicher Weise kann er sie in seiner Panik nicht entdecken.
Doch die grosse schwarze Krähe beobachtet alles ganz genau in sicherem Abstand von weit, weit oben und ist zufrieden wie die Dinge sich entwickeln.
Migdal und Lamos bleiben einfach zurück. Dass Sarah so alleine mit ihm herum schlendert, macht Lecram sehr stutzig.
„Hast du denn keine Angst vor mir?“
„Warum? Sollte ich?“
„Nun ja, ein wenig erschreckend sehe ich schon aus.“
„In meiner Welt gibt es mehrere von euch und ich weiss ihr seid prinzipiell friedfertig.“
„Prinzipiell? Eure Welt…“ Bleibt er stehen und sieht sie fassungslos an.
„Klingt verrückt, ich weiss…“ Sie bleibt auch stehen und sieht ihn direkt an. Lecram ist über Sarah sehr erstaunt. Sarah, seine Sarah die er so zerbrechlich findet spricht solche seltsamen Worte. Sie ist wohl härter im nehmen als er annahm.
Sarahs Frage ist direkt: „Woher kommst du?“
„Du willst die Wahrheit?“ Sarah nickt und Lecram lacht kurz verzweifelt auf. „Ganz ehrlich das versuche ich auch schon mein Leben lang heraus zu finden.“
Sarah holt tief Luft und denkt nach. Mittlerweile sind sie wieder auf dem Rückweg zum Anwesen.
„Was weisst du denn?“ Fragt sie sanft.
Sie hätte ihn gerne bei Tageslicht betrachtet. Hier bei Mondschein sah sie nur seine Konturen. Er hat weichere Gesichtszüge wie die Gargoyles die sie kennt. Natürlich ist ihr aufgefallen dass er menschliche Hände und Füsse zu haben scheint. Seltsam, denkt sie und ihre Stirn bekommt falten.
Lecram ist bereit ihr ein Stück von seiner Geschichte zu erzählen.
„Die Geschichte ist total verrückt und nicht glaubwürdig.“
„Egal, erzähl mir davon.“
Lecram sieht ihren ernsten Blick und ihren Entschluss ihm zu helfen. Da ist nichts Falsches in ihrem Gesicht zu sehen also erzählt er seine Geschichte: „Also…, es gab da mal eine Hexe. Die habe ich nicht gekannt. Es wurde mir nur so erzählt. Die habe einen Fluch ausgesprochen und Schwupps war ich ein Gargoyle.“
„Seit wann bist du ein Gargoyle?“
Bleibt Sarah immer noch ernst und nachdenklich.
„Seit meinem vierten Lebensjahr… Hat man mir gesagt.“ Lecram zuckt mit der Schulter auf. Denn im Grunde genommen hat er keine Ahnung ob das überhaupt der Wahrheit entspricht.
„Du wärst also ein Mensch. Oder warst zumindest mal einer?“ Sarah sieht zu ihm hoch in seine glühenden Augen.
„Ich denke schon, ich habe menschliche Eltern. Es gibt da schon Szenen an die ich mich Erinnere. Szenen in denen ich in einem kalten, dunklen Kellergewölbe gesteckt wurde als ich mich verwandelte. Von da an konnte ich nur noch bei Nacht aus dem Haus und streife durch die Wälder“
Mehr kann er nicht preisgeben damit er seine Deckung nicht verliert.
Sarah sieht kurz zum Mond hinauf. Der Vollmond scheint schön und klar, trotzdem wurde ihr Herz befangen bei seinen Erzählungen. Sie versucht sich nichts anmerken zu lassen. Ausserdem gehen ihr Tausend Fragen durch den Kopf und sie ist sich Bewusst das sie den Rat ihrer Familie braucht. Allein kommt sie hier nicht weiter. Aber ist ihre Familie bereit für dieses Rätsel?
Erstaunt dass Sarah so ruhig bleibt hackt er nach: „Du findest die Geschichte nicht zum tot lachen? Absurd? Idiotisch?“
„Nein…, nein, die ist durchaus möglich. Ich muss nur prüfen ob jemand so ein Gerücht zu Ohren gekommen ist. Dann sehen wir weiter.“ Betroffen und nachdenklich sieht sie wieder zu diesem Gargoyle auf.
Lecram ist verwirrt und schwenkt seinen Kopf leicht hin und her: „Du willst mir helfen?“
„Natürlich. Jeder hat verdient zu wissen woher er kommt. Und wenn ich die Möglichkeit dazu habe. Warum also nicht.“
„Du bist ein liebenswerter Mensch. Du weisst ja gar nicht ob ich es verdient habe das man mir hilft.“
Sarah lächelt und zitiert: „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“
„Nettes Gedicht. Ist das von Goethe?“ Versucht Lecram auszuweichen da er dieses Gedicht nur zu gut kennt. In dieser Sekunde fragt er sich ob Sarah etwas ahnt und ihm eine Falle stellen wollte.
„Nein, es ist von Einstein.“
„Währe meine zweite Wahl gewesen“, lächelt er verlegen und hofft das er glaubwürdig scheint.
„Sieh mal einer an, ein gebildeter Gargoyle.“ Lächelt Sarah ebenfalls leicht verhalten.
„Sarah, von welcher Welt spricht ihr die ganze Zeit?“
„Das hat noch etwas Zeit.“
„So was in der Art hat Migdal auch gesagt.“ Stöhnt er kurz auf und ist endtäuscht dass er wieder keine Antworten bekommt. Sarah sieht seine Endtäuschung und scheint fast zu flehen: „Lecram, kommst du wieder?“
„Ich weiss nicht. Es…, ist seltsam. Unwirklich…“
„Ich werde warten.“ Klingen Sarahs Worte wie ein Versprechen.
Lecram ist berührt und sein Magen zieht sich zusammen. Sein Bedürfnis Sarah in die Arme zu schliessen wird immer grösser. Allein durch ihre Art und Weise berührt sie sein Herz und nimmt ihn gefangen. Was sie bereit ist, ihm in diesem Moment zu geben hat noch nie jemand für ihn getan. Nicht für einen Gargoyle und nicht für den Menschen Lecram! Er beschliesst es ihr zu sagen und hält sie sanft an ihren Schultern fest: „Deine Bereitschaft mir zu helfen ist mir fremd. So etwas hat noch nie jemand für mich getan. Ich bewege mich hier auf Neuland.“ Dann lässt er sie los und zu seinem Erstaunen lässt er ungern von ihr ab.
Sarah lächelt ihn zuversichtlich an: „Das spüre ich. Solange du mir freundlich gesinnt bist, bin ich es auch. Ein Geben und Nehmen.“
Diese angebotene Hilfe klingt verlockend und unwirklich zu gleich. Und in einer Woche am Samstag wäre ihr gemeinsames Treffen am Markt. Dann würde er wieder als Mensch vor ihr stehen und nicht so ehrlich zu ihr sein können. Er muss dann wieder als Marcus funktionieren. Automatisch schliesst er seine Augen als ihm Bewusst wird in welche Schwierigkeiten er Sarah hinein zieht. Besser gesagt in welchen Schwierigkeiten er bereits steckt. Viele Gedanken stürmen plötzlich durch seinen Kopf.
Das mit Sarah geht nicht!
Er kann nicht!
Er darf nicht!
Er muss weg!
Fluchtartig, ohne sich zu verabschieden, stürmt er nach Hause. Gleichzeitig schrecken ein paar Krähen auf. Sarah und die Gargoyles die bereits bei ihr angekommen sind, stehen ratlos da und Lamos spricht grinsend das wieder einer Fratze gleicht: „Wer von uns dreien hat ihn den nun genau vergrault.“
„Er ist durcheinander. Sein ganzes Leben springt aus der Form.“ Versucht Migdal Lecrams Verhalten zu deuten.
„Stell dir vor uns hätte damals plötzlich jemand gesagt dass diese Welt tatsächlich existiert“, versucht Lamos immer noch witzig zu sein.
„Blödmann du wächst mit dem Wissen auf das sie existiert.“ Stänkert Migdal.
Sarah dreht sich zu den beiden. „Danke dass ihr zu mir gekommen seid. Morgen erzähle ich es der Familie. Alleine komm ich da im Moment nicht weiter. Rätselhaft…“
Die Gargoyles nicken zustimmend. Denn die beiden haben auch absolut keine Ahnung wer oder was Lecram hier hin geführt hat. Aber aus irgendeinem Grund muss er hier gelandet sein. Doch wer hat ihn von ihrer Welt durch das Portal in diese Welt geschickt? Auch ihre Fragen überschlagen sich.
Da der Sonnenaufgang droht aufzugehen nehmen die Gargoyles ihre Plätze auf ihren Steinsäulen ein. Und Sarah versucht noch etwas zu schlafen. Sie fand es ein informatives Treffen und ist gespannt ob sie Lecram noch mal zu Gesicht bekommt. Sie kann nichts anderes tun als abzuwarten. Doch auch sie hat noch viele offene Fragen und so ihre eigene Meinung. Mal abgesehen vom Bauchgefühl…


Die Geschichte

Etwas zerknittert vom Vorabend steht Sarah ganz früh am nächsten Morgen auf und richtet das gemeinsame Frühstück. Heute muss sie mit ihrer Familie sprechen. Das hat sie Onkel Theo versprochen.
Maria ist erstaunt als sie Sarah so früh in der Küche sieht: „Liebes, alles in Ordnung?“
„Nein, ich denke nicht.“ Spricht Sarah und legt weiter die Teller auf den Tisch. Dabei sieht sie Maria nicht einmal an.
„Wills du mir davon erzählen?“ Ist Maria neugierig.
Nun lächelt Sarah ihre Maria warm an und lässt sich von ihr in die Arme schliessen. Dann ist Sarah doch bereit für eine Antwort.
„Sobald alle da sind. Ich habe keine Lust alles X-mal zu erzählen.“
„Verstehe“, meint Maria und hilft Sarah mit dem restlichen Teil in der Küche. Es dauert ein Weilchen bis alle Familienmitglieder anwesenden sind. Theo ist zwar schon am längsten Wach, hatte aber noch einiges bei den Tieren zu erledigen. Alle scheinen zu spüren dass heute etwas in der Luft liegt und schauen neugierig in die Runde. Wenn Sarah so ruhig ist hat das immer etwas zu bedeuten.
Theo sieht schliesslich zu Sarah und bittet sie: „Wenn du uns etwas zu erzählen hast, leg los. Wir hören zu…“
Sarah seufzt leise: „Wo beginne ich da bloss.“
„Dort wo du es für richtig hältst. Alles Weitere wird sich zeigen.“
Versucht Maria ihr den Druck zu nehmen.
Sarah schaut gedankenversunken aus dem Fenster und beginnt zu erzählen dass ihnen die Gargoyles von einem weiteren Gargoyle erzählt haben. Dann erzählt sie von dem Treffen des Gargoyles mit dem Namen Lecram und dass er irgendwie anders ist. Auch dass er nicht von ihrer Welt zu stammen scheint und nicht weiss wieso er so aussieht. Sie erzählt ihnen von dem angeblichen Fluch.
Nun ist es Gloria die kurz unterbricht: „In unserer Welt ist ein Fluch durchaus denkbar. Aber hier? Warum sollte jemand…“
„Genau, darum ist es ja gerade so seltsam. Der Fluch soll hier ausgesprochen worden sein“, erklärt Sarah schon fast verzweifelt. Ihre Augen sind dabei leicht zusammen gekniffen.
„Von so einer Geschichte habe ich noch nie gehört. Sarah, hast du die Krähe aus diesem Grund frei gelassen?“ Ist natürlich Theo der diese Frage stellt um näheres heraus zu finden.
Automatisch sehen alle interessiert von Theo zu Sarah hinüber. Wie soll sie jetzt den Übergang vom Gargoyle zu Marcus finden. Sie hat keinen direkten Beweis. Nur ihre Gefühle, nur einen Verdacht. Aber gut sie will es versuchen zu erklären.
„Die Krähe… So in etwa, als Marcus zu Besuch war hat die Krähe auf Marcus reagiert. Deswegen habe ich die Krähe hinaus gelassen. Wie ich vermutet habe ist die Krähe zu Marcus und auch dort geblieben.“
„Eine Krähe ist mir nie aufgefallen“, schüttelt Michael seinen Kopf leicht.
Sarah verengt ihre Augen wieder. „Wirklich nicht?“
Gloria, Jonas und Michaels Gesichter sehen richtig ahnungslos aus.
Gloria erklärt ihrer Schwester: „Aber Sarah, auf so etwas haben wir nicht geachtet da es überall Krähen gibt und du uns nichts erzählt hast auf was wir hätten achten können.“
„Im Nachhinein vielleicht ein Fehler…, aus diesem Grund sage ich euch jetzt, der Junge mit der Krähe ist nicht derselbe wie an der Schule.“
Michael will näheres wissen: „Hast du Beweise dafür die hieb und stichfest sind?“
„Indirekt.“
Ben streicht Sarah kurz übers Haar, da sie sich gerade neben ihn hin gesetzt hat, und meint liebevoll: „Erzähl uns alles, liebes.“
Sie holt tief Atem: „Der Marcus an der Schule mag mich nicht besonders. Sieht ihr das auch so?“
Jonas kichert: „Oh ja, er hat viel mehr Interesse an meiner Gloria.“ Dann sieht er verschmitzt zu Gloria und sie reichen sich die Hände. Sie brauchen keine Worte für ihre Liebe.
Doch Theo ist da etwas vorsichtiger: „Aber hört mal. Das kann alles nur gespielt sein. Das überzeugt mich nicht! Sarah wo ist dein Indirekter Beweis?“
Sie seufzt laut auf, ihr bleibt heute auch nichts erspart.
„Der andere Junge mag mich. Denke ich…, oder so ähnlich“, sagt sie leise und verlegen da ihr die Situation doch etwas peinlich ist. Sie spürt genau wie sich ihre Wangen röten.
„Voila…, jetzt ist die Katze aus dem Sack. Unsere Sarah hat sich verliebt.“ Grinst Michael übers ganze Gesicht und sieht Sarah mit seinem tausend Watt lächeln an. Die anderen finden das nicht ganz so lustig wie Michael und Theo hat noch eine abschliessende Frage: „War das der Junge am Markt.“
„Ja.“ Nickt sie leicht.
„Sarah, das ist noch nicht Beweis genug. Theo hat Recht, der Junge kann das Theater auch nur spielen“, schiebt Maria zynisch hinterher.
Sarah wird langsam mürrisch. Ihre Gefühle zu offenbaren war für sie nicht einfach und jetzt glauben ihr die anderen nicht. In was für einen Schlamassel hat sie sich da rein geritten. Klar ist alles verwirrend aber ist sie denn die einzige die alle Zusammenhänge miteinander kombinieren kann. Sie atmet tief ein uns spricht energischer:
„Jetzt hört mir mal zu. Wenn ihr euch genügend Zeit zum beobachten nehmen würdet, hättet ihr bemerkt dass die Jungs nicht dieselben sind. Sie gehen komplett anders. Der eine geht nur dem Vergnügen nach während der andere sich mehr um andere als um sich selbst sorgt. Und der Gargoyle gestern Nacht wurde von ein und derselben Krähe begleitet. Und da der egoistische Marcus nachts rum hängt kann es wohl nur der andere sein der als…“
„…sich als Gargoyle die Nächte um die Ohren haut?“, unterbricht Theo und sieht dabei verzweifelt zu Maria. Maria wird etwas bleich im Gesicht und ihr Mund bleibt offen stehen. Als sich Maria etwas gefasst hat werden ihre Augen glasig und sie fragt scheu: „Zwillinge, eineiige Zwillinge. Sie gleichen sich in jedem Detail. Theo kann es denn wirklich möglich sein?“
„Ihr werdet es heraus finden“, tätschelt ihr Ben liebevoll die Hand während er die weiteren Worte an Sarah richtet: „Sarah, bring diesen Jungen bitte her. Wir brauchen wohl alle Gewissheit ob deine Vermutung richtig ist.“
„Und wie soll ich das anstellen? Er sitzt vermutlich tagsüber als Steinsäule da.“ Ist Sarah etwas aufgebracht aber auch froh dass die Familie beginnt ihr Glauben zu schenken. Für einen Moment ist es still und niemand spricht.
Sarah erinnert sich: „Der Junge am Markt hat mir gesagt er sei nur einmal im Monat hier. Unser Treffen wäre am nächsten Samstag.“
„Denkst du er kommt?“, fragt Gloria nach.
„Keine Ahnung“, Verlassen wir uns nicht darauf, „wenn ihr am nächsten Montag in der Schule seid, können ja Theo und ich bei ihm zu Hause einen Besuch abstatten. Mal sehen ob da einer der Zwillinge zu Hause sitzt...“
„Guter Plan, liebes“, spricht Ben fürsorglich und ist stolz auf Sarah. Auch wenn sie und Gloria nicht seine leiblichen Töchter sind. So liebt er sie dennoch so stark als wären sie seine eigenen Töchter.
Ansonsten läuft alles wie geplant und reibungslos ab. Sarah sitzt am Tresen und verkauft Eintrittskarten. Sie hat gehofft dass Lecram letzte Nacht noch einmal vorbei kommen würde. Aber er kam natürlich nicht. Sie ist in ihren Gedanken vertieft und wird jäh daraus gerissen.
„Hallo Hinkebein“, holt Marcus sie aus ihren Tag Träumen und Sarah schreckt am Tresen kurz auf. Marcus und Chèn stehen lächelnd vor ihr. Sie denkt; oh… bitte nicht - sagt aber stattdessen mit einem verzerrten lächeln: „Mit euch habe ich heute bestimmt nicht gerechnet.“
„Ich habe gehofft dich zu finden denn ich wollte Marcus endlich mal was Sehenswertes zeigen. Voila und hier sind wir schon.“ Lächelt Chèn sie immer noch liebevoll an. Gegen ihn hat sie ja auch nichts aber dass Marcus mit kommen musste findet sie nicht ganz so prickelnd.
„Gute Idee.“ Lächelt Sarah immer noch aufgesetzt als sie zwei Karten für die beiden löst. Als Marcus bezahlt fragt er kurz: „Sarah, mal Lust mit uns in Halifax ab zu hängen?“
Automatisch runzelt Sarah ihre Stirn. Ahnt Marcus etwas von dem was vorgefallen war, oder warum ist er so nett.
„Warum plötzlich diese Nettigkeit?“
Da Chèn etwas abseits steht fragt Marcus direkt: „Nun, Chèn würde sich bestimmt freuen wenn du mitkommst. Er mag dich immer noch sehr.“
„Chèn und ich haben Geschichte geschrieben. Die liegt hinter uns. Wir sind nur noch gute Freunde.“
„Ach komm, du magst ihn doch auch noch.“
„Klar mag ich ihn immer noch. Wir hatten ja auch eine tolle Zeit zusammen. Übrigens gehe ich sehr gerne mit ihm aus. Aber nicht unter der Voraussetzung man will mich verkuppeln.“
Sarah hat das relativ ruppig ausgesprochen. Das weiss sie genau. Aber Marcus hat es definitiv verdienst. Was für eine absurde und blöde Idee.
„Marcus kommst du?“, hören die beiden nun Chèn rufen, Marcus grinst Sarah mit seinem adretten lächeln an und geht weiter. Sarah ist froh diese Diskussion nicht mehr weiter führen zu müssen.
Was für ein Idiot!
Kurze Zeit später wird sie von Jonas abgelöst. So muss sie Marcus und Chèn nicht mehr über den Weg laufen wenn sie den Tierpark verlassen. Gottseidank! Ob Chèn wirklich immer noch an ihr interessiert ist? Doch sie verwirft diesen Gedanken rasch wieder. Im Moment hat sie genug andere Dinge um die Ohren.
Der Montagmorgen beginnt wie immer. Alle hetzten durch das Haus und wollen sich zu Recht machen für die Schule. So nach dem Motto gesehen und gesehen werden. Da macht Sarah nicht mit, ist nicht ihr Ding sich aufzutakeln so wie ihre Schwester. Nicht dass es nicht gut aussieht, aber sie nützt ihre Zeit lieber für andere Dinge. Gloria hat wie üblich am längsten. Und Jonas wartet wie gewöhnlich geduldig auf seine Freundin. Ausser heute, da wartet er nicht, denn Gloria bleibt ebenfalls zu Hause während Theo sich nun mit Sarah auf dem Weg zum Weingut macht.
„Du bist angespannt“, bemerkt Theo während er ruhig den Wagen lenkt. Tatsächlich, Sarah nagt an den Fingernägel. Das macht sie so selten dass es wirklich ein gutes Zeichen dafür ist dass sie ein klein wenig angespannt ist.
„Ich hoffe seine Eltern sind nicht da.“
Hat sie aufgehört an ihren Fingernägeln zu kauen. Stattdessen dreht sie ihren Fingerring, den sie am linken Daumen trägt, zu drehen. Wieder ein Zeichen für Theo dass Sarah tatsächlich nervös ist.
„Wir haben nichts zu verlieren. Es kommt wie es kommen muss.“ Versucht Theo die Lage noch mehr abzuschwächen.
„Können seine Eltern dich kennen?“ Hakt Sarah nach.
Theo schüttelt seinen Kopf: „Nein, ich habe sie auch noch nie gesehen. Mach dir darüber keinen Kopf.“
Sarah nickt und ihr Magen zieht sich flau zusammen.
In der Zwischenzeit ist Lecram auch aufgestanden und hat etwas gegessen. Er geniesst es wieder in vollen Zügen ein Mensch zu sein und duscht ausgiebig bevor er die Klamotten von seinem Bruder lächelnd überstreift. Auch wenn Marcus nicht mehr darauf reagiert dass er seine Klamotten anzieht weiss Lecram genau dass es seinem Bruder nicht in den Kram passt. Und das beschert ihm ein kleines schadenfreudiges Lächeln auf die Lippen. Seine Eltern sind auch schon wieder unterwegs. Adam ist in der Kelterei um nachzusehen was man hier auf dem Weingut genau optimieren kann. Er hat irgendwas von einer neuen Presse geredet die Weintrauben besser keltern soll und sie dadurch eines Tages besseren Wein gewinnen wollen. Lecram ist es egal, er versteht nicht viel von diesen Dingen. Und Liv macht wie üblich irgendwelche sinnlose Besorgungen. Denn gutes Essen steht danach nicht auf dem Tisch, sofern sie am Mittag überhaupt anwesend ist. Meistens ist sie den ganzen Tag unterwegs. Lecram versteht die Frau nicht. Aber er ist alt genug um sich selbst zu helfen. Als Kind hat er oft gelitten und sich einsam gefühlt. Heute freut er sich auf den einsamen Morgen hier im Haus. Niemand der ihn in seiner Gedankenwelt stört. Ab und an studiert er darüber nach ob er wirklich alle Räume durchsucht hat. Oder gibt es noch einen Ort an dem er nicht nachgesehen hat? Er denkt nicht, da auch die Krähe nichts mehr angedeutet hat.
Jetzt ist es schon ein paar Tage her als er bei den Gargoyles und Sarah war. Ein unglaublicher Moment den er dort erlebt hat. Und Sarah war so unglaublich… Anscheinend ist Sarah mehr mit den Gargoyles verstrickt als er angenommen hat.
Was wohl ihr kleines Geheimnis ist? Will er es denn wissen?
Soll er es wissen?
Kann sie ihm vielleicht wirklich helfen? Wieder mehr Fragen als Antworten. Alles wie gehabt. Am kommenden Samstag soll er am Markt sein. Er weiss, Sarah wird es nicht verstehen, aber er wird sie dort nicht treffen. Ja er hat nicht vor zu Erscheinen. Etwas feige aber den Umständen entsprechend. Er braucht Abstand. Statt die ganze Zeit an Sarah zu denken muss er sich in dieser Woche mit etwas anderem Beschäftigen. Er muss Sarah aus seinem Kopf kriegen. Was nicht ganz so einfach sein wird. Nichts desto trotz beginnt er abzuwaschen, denn das lenkt ab und beruhigt irgendwie. Lecram ist gerade mit dem Abwasch fertig als er die Türklingel hört. Er ist erstaunt, denn seine Eltern haben nichts von einem Besuch erwähnt. Er öffnet etwas zögernd aber neugierig die Tür und donnert sie gleich wieder zu. Nun steht er mit dem Rücken zur Tür. „Scheisse“, sind in diesem Moment seine Gedanken die er ganz leise ausspricht.
„Bitte mach die Tür auf“, spricht Sarah laut genug dass er sie hören kann. Auch sie ist erstaunt ihn als Mensch vor sich zu sehen, da sie ja eher damit gerechnet hat ihn als Gargoyle vor zu finden. Natürlich freut sie sich ihn zu sehen und ist stolz dass sie Recht behalten hat mit ihrer Vermutung.
„Was für eine beschissene Situation“, flüstert Lecram wieder leise zu sich selbst. Nun gut, er öffnet die Tür und versucht sein Bruder gerecht zu sein. „Hallo Hinkebein, was willst du hier am Morgen früh? Wohl mit dem falschen Bein aufgestanden.“
„Ich habe dich gesucht.“
„Gesucht gefunden“, rollt er die Augen.
„Können wir reden?“
„Kein Bedarf.“ Er klingt schon wie Adam, fällt Lecram auf und das erstaunt selbst ihn etwas.
Sarah sieht seine abwehrende Haltung. Der Junge der vor ihr steht geht voll in Abwehrstellung und ist nicht bereit seine Deckung fallen zu lassen. Einen Moment stehen die beiden einfach nur da und sagen kein Wort.
Mit einem lauten Krah fliegt die Krähe ebenfalls auf den Boden vor die Tür und steht nun neben Sarah. Heute scheint die Krähe auf Sarahs Seite zu stehen. Automatisch grinst Sarah schief und sieht den Jungen vor ihr eingehend an. Sie spricht offener als zuvor: „Die Dinge liegen so: Du bist hier und nicht an der Schule. Dein Doppelgänger ist aber an der Schule.“
„Dann muss ich dich jetzt wohl umbringen“, versucht Lecram die dumme Situation etwas zu entspannen.
„Keine gute Idee. Du weisst ich bin selten alleine unterwegs.“
„Das erschwert die Sache beträchtlich.“
„Sag ich ja.“
„Nun gut die Sache ist so; du magst denken was du willst. Aber du hast mich nie hier gesehen und ich werde nicht mit dir sprechen. Also zieh Leine. Hau einfach wieder ab…“
Wie er seine gesprochenen Worte hasst! Er presst den Kiefer zusammen.
„Wärst du am Samstag an unserem Treffen erschienen?“ Versucht Sarah das Gespräch noch etwas in die Länge zu ziehen. Lecrams Magen krampft sich zusammen bei dieser Frage. Sie will es genau wissen, das hätte er sich denken können. Da sie immer noch direkt vor ihm steht ist er bereit zu antworten. Die Antwort fällt ihm schwer. Auch wenn er sich’s nicht anmerken lässt. „Nein.“
„Sag mir warum?“
„Ich kann verstehen dass dich das wurmt. Es geht einfach nicht, das habe ich dir ein paar Mal gesagt. Ich habe meine Gründe und jetzt entschuldige mich bitte. Ich habe zu tun…“ Danach beginnt Lecram die Tür zu schliessen. Er ist sich sicher dass es das Beste für sie beide ist. Sarah kann gerade noch ihr kaputtes Bein dazwischen schieben. Wohl bewusst dass er ihr nicht weh tun wird und spricht so liebevoll wie möglich: „Lecram…, bitte.“
Sofort reisst er die Tür mit einem Ruck wieder auf und sieht sie mit grossen Augen an. Hat sie gerade seinen Namen laut ausgesprochen! Sein Magen zieht sich wieder zusammen und er hat seit neuestem einen dicken Klos im Hals stecken. Als er leer Schluckt hat er das Gefühl sein Adams Apfel bleibt ihm im Hals stecken. Er sieht Sarah nur merkwürdig an und findet keine Worte. Wieder dauert es einen Moment bis Lecram seine Stimme gefunden hat.
„Wie hast du es herausgefunden?“ Die Worte kommen leise und vorsichtig aus seinem Mund.
Sarah sieht zur Krähe hinunter und zeig auf sie als sie Lecram erläutert: „Die Krähe ist immer in deiner Nähe. Auch wenn du als Gargoyle...“, sie macht eine Pause und seufzt, „ Ich wollte dich bloss nicht darauf ansprechen da ich Angst hatte du würdest gleich reiss aus nehmen.“ Lecram fährt mit beiden Händen durchs Gesicht. Das ist zu viel!
Was ist er auch für ein Idiot dass er die Krähe nicht gesehen hat. An diesem Abend war sein Adrenalin wohl so hoch dass er die wesentlichen Dinge vor seinen Augen nicht klar sehen konnte.
„Was willst du dann von mir? Du hast gesehen welche grauenhafte Gestallt ich bin.“ Er presst seien Kiefer wieder zusammen.
„Lecram, Gott würfelt nicht.“
„Ich bin kein Gottes Geschöpf. Ich habe ledrige, Marmor-stein färbende Haut und meine Augen leuchten Rubinrot. Dann habe ich Gesichtszüge die einem Monster, sprich Dämon gleich sind. Das ist doch nicht normal!“
Sarah geht einen Schritt auf ihn zu und nimmt seine linke Hand in die ihre. Sie drückt sie leicht.
„Lecram, es ist ein Fluch.“
„Vielleicht, genaues weiss ich nicht.“
Seltsamerweise kämpft er mit seinen Tränen und ballt seine freie Hand zur Faust. Mit jemanden über sein empfinden zu sprechen fühlt sich so unwirklich an.
„Wie…, ich meine wann bist du der Gargoyle und wann bist du der Mensch?“, möchte Sarah mehr über ihn erfahren.
Da die Katze aus dem Sack ist kann er ehrlich sein: „Ich bin nur eine Woche im Monat ein Mensch.“
„Ihr hattet abgewechselt.“ Versteht sie und er nickt.
Wie sehr sie sich freut dass ihr Bauchgefühl richtig lag sagt sie ihm jedoch nicht da er es vermutlich nicht verstehen würde.
Lecram hat als Mensch noch nie mit jemand anderen darüber gesprochen als vielleicht ab und an mal mit seinem Bruder. Es fühlt sich so unwirklich an, aber auch gut.
Sarah sieht seinen Zwiespalt genau. Sie lässt seine Hand los und bietet an: „Dann lass uns zusammen heraus finden was das für ein Fluch ist der auf dir lastet und komm mit mir mit. Nur für ein paar Stunden.“
Jetzt wo alle Karten auf dem Tisch liegen ist das vielleicht keine Schlechte Idee. Trotzdem ist er unsicher und kratzt sich am Hinterkopf. Dann nickt Lecram und spricht gefasster: „Lass mich noch ein paar Zeilen schreiben für meine Mutter. Damit sie denkt ich sei wie gewöhnlich im Wald unterwegs.“
Wo sollte er auch sonst hin!
„Gute Idee“, pflichtet sie ihm bei und wartet geduldig. Sie sieht die Krähe an, die bereits schon etwas abseits steht. Die Krähe scheint mit dem Ergebnis zufrieden zu sein und Fliegt zurück auf das Dach. Dabei kräht sie laut und Sarah lächelt. Als Lecram die Eingangstüre abschliesst nimmt Sarah wieder seine Hand und er lächelt sie dankend an. Was für ein schlaues Mädchen, denkt er sich als er sie von der Seite mustert. Er findet sie süss und so gehen sie Hand in Hand zu Theo der geduldig beim Auto wartet. Die beiden nicken einander zur Begrüssung freundlich zu. Lecram hält Sarah die Autotür auf uns schliesst sie dann. Bevor er einsteigt atmet er tief ein und aus. Träumt er oder ist er wach.
Als er sich gefasst hat steigt er hinten im Wagen ein. Während der Fahrt spricht keiner ein Wort. Er ist verwirrt!
Bei Sarah zu Hause fällt Lecram sofort auf das Gloria die Schule schwänzt. Wieder fällt die Begrüssung durch ein Kopfnicken und einem zaghaftes lächeln aus. Bevor irgendjemand zu Wort kommt muss Lecram wissen: „Wissen hier alle über mich Bescheid?“
„Ja, die ganze Familie.“ Gibt ihm Theo bereitwillig Antwort.
„Bitte setzt dich doch“, spricht Maria liebevoll und bittet ihn auf der Couch im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Wie Lecram ist auch Maria über die Ereignisse erstaunt.
Lecram fühlt sich fast so, als sässe er im Verhörsaal. Es fühlt sich noch nicht wirklich gut an. Vielleicht liegt es auch daran weil er keine Ahnung hat wie sie alle ihm helfen können. Er fühlt sich merkwürdig befangen. Maria setzt sich ihm gegenüber und scheint ihn zu mustern. Lächelnd beginnt sie das Gespräch: „Lecram ist also dein Name und dein Zwillingsbruder hört auf den Namen Marcus?“
„Jupp.“ Nickt Lecram und Maria fährt weiter: „Und du hast keine Ahnung wo du geboren bist, geschweige denn - wer dich verflucht haben soll.“
„Genau.“ Nickt Lecram noch mal.
„Nun gut Lecram. Ich erzähle dir nun eine Geschichte und wir schauen danach was dabei herauskommt. Einverstanden?“
„In Ordnung.“ Er hat ja doch keine andere Wahl. Er ist verwirrt aber auch gespannt was Maria zu erzählen hat.
Maria beginnt sich zu erinnern: „Fern deiner Vorstellungskraft leben Menschen, Natur-Waldgeister auch Elben genannt, Drachen, Gargoyles, Einhörner, Zauberer und viele andere Wesen friedlich miteinander. Wir nennen den Ort Malon. Der Zugang von Malon, zu dieser Welt ist vorzugsweise verschlossen. Nur die Wächterin des Zugangs kann entscheiden wer durch gehen darf. Alle 30 Jahre besteht die Möglichkeit dass ein neues Leben geboren wird, dass die Gabe hat eine neue Wächterin zu werden. Der Zugang wird schon von Generationen zu Generation von Frauen beherrscht. Von einem Zwilling, die im Zwilling um Mitternacht und bei Halbmond geboren ist. Wobei nur eines der Zwillinge jeweils überlebt.“
Maria macht eine kurze Pause und sieht Lecram an der jetzt entspannter das sitzt wie zuvor.
Sie trink einen Schluck Wasser bevor sie weiter erzählt: „Fenia, die Wächterin des Zugangs verliebte sich damals in Tarak, einem Elben. Zum Verdruss von Aros dem Zauberer. Denn Aros will die Macht des Zugangs zu seinen Gunsten nutzen. Da er Fenia nicht für sich gewinnen konnte umwarb er ihre Freundin Daria aus Trotz. Wäre Fenias Zwillingsschwester noch am Leben gewesen hätte es wohl sie betroffen. Doch Chloe starb kurz nach der Geburt. Gemäss Überlieferungen und Erzählungen stirbt immer eines der Zwillings Kinder. Weshalb weiss niemand.“ Maria macht noch mal eine Pause und versucht ihre Erinnerungen hervor zu holen. Lecram sieht kurz ungläubig in die Runde, als sein Blick auf Sarah fällt lächelt sie leicht, vielleicht um ihm Mut zu machen. Dann bricht Marias Stimme wieder die drückende Stille: „Aber Daria liebte Aros nicht. Doch Aros benutzte einen Zauber und Daria schickte sich in ihr Schicksal hinein so gut sie konnte.“
Maria stöhnt auf. Die alte Geschichte hervor zu holen fällt Maria schwer. Doch sie erzählt bedacht weiter: „Es kam wie es kommen muss: Die beiden Freundinnen wurden zur selben Zeit schwanger. Beide trugen tatsächlich Zwillinge. Ein seltsamer Zufall. Die beiden Freundinnen müssen schrecklich auf der Hut sein. Fenia trennt sich von Tarak zu seinem eigenen Schutz. Sie hoffte später wieder zu Tarak zurückkehren zu können. Doch jetzt war nicht die Zeit um eigennützig zu denken. Sie musste an ihre Freundin und die Babies Rücksicht nehmen.“
„Willst du eine Pause machen?“ Unterbricht Theo sie.
Doch Maria schüttelt lediglich den Kopf da sie fürchtet den Faden zu verlieren und fährt fort: „Kurz vor der Entbindung flüchten die Freundinnen ins Land der Makiani. Die Makiani sind hochgewachsene Vogelmenschen. Sie sind weder das eine noch das andere. Manch einer findet, sie sehen aus wie gefallene Engel. Furchterregend und schön zugleich. Die Makiani sind gross und passen sich der Umgebung an. Das heisst sie können ihre Hautfarbe der Umgebung anpassen. So in etwa wie ein Chamäleon. Doch die Makiani sind ebenfalls ein sehr friedliches und grossmütiges Volk. Aus diesem Grund war wohl der Zugang zur anderen Welt nur in diesem Reich zu öffnen. Hier herrschte immer eine ausgelassene friedvolle Stimmung.“
Lecram kann sich zwar nicht so recht vorstellen wie diese Makiani in Natur aussehen mögen, ist jedoch neugierig wie die Geschichte weiter geht und hört Maria viel gespannter zu also zuvor:
„Fenia und Daria machen es sich, in der Höhle vom grossen hohlen Baum, so bequem wie möglich. Die Makianierin Velis brachte ihnen was sie benötigen und versprach bis zu der bevorstehenden Geburt zu bleiben. Alle zusammen wussten dass sie in Gefahr waren. Aros würde sie bald aufgespürt haben. Jetzt um Mitternacht standen die Zeit und der Mond günstig. Daria und Fenia bekamen ihre Babies praktisch zur selben Zeit. Fenia schenkte zwei Mädchen das Leben. Und Daria bekam zwei hübsche Knaben. Die Freundinnen tauschten ihre Babies aus. Es viel ihnen über die Massen schwer. Kein leichter Weg den sie gehen wollten. Fenia übergab Daria danach noch ein dickes Buch in ihre Tasche und sprach mit weinendem Auge zu Daria: Ich hoffe beide Mädchen überleben. Ich habe versucht den Bann zu umgehen. Aber in der anderen Welt stehen die Chancen vielleicht höher. Du weisst, nur eine hat die Gabe zukünftig den Zugang zu öffnen und zu schliessen. Dieses Buch wurde schon von Generation zu Generation weitergegeben. Wenn du das Gefühl hast die Zeit sei reif, gib es ihr. Es wird ihr Leitfaden in ihrem Leben sein. Vielleicht findet sie für manch seltsames in ihrem Leben, darin eine Hilfestellung. Wenn ihr könnt kommt in unregelmässigen Abständen nach Malon. Versprich es mir.“
Maria nimmt nochmal einen Schluck Wasser und Lecram sieht wie ihre Augen glasig werden. Trotzdem erzählte sie weiter als sie das Glas abgestellt hat.
„Daria wollte alles tun was in ihrer Macht steht. Und Fenia wollte auf die Jungen Acht geben als wären es ihre eigenen Kinder. Sie wollte sie vor Aros schützen so gut es geht. Das war Fenias Versprechen. Daraufhin erklärte Fenia dass in der anderen Welt schon Verbündete auf sie und die Mädchen warten. Fenia hatte die neun Monate Schwangerschaft gut ausgenutzt und im Vorfeld diverse Vorkehrungen getroffen. Daria wusste davon und war einverstanden. Sie mussten die Mädchen, wie die Knaben vor Aros schützen. Als sie sich gebührend von einander verabschiedet hatten, öffnete Fenia den Zugang und Daria ging mit den Zwillingen hindurch. Ein Abschied auf unbestimmte Zeit.“
Maria sieht mit glasigen Augen zu Lecram der beeindruckt scheint von der Gesichte. Doch für ihn scheint sie nicht zu Ende zu sein: „Was ist mit Fenia und den Knaben geschehen?“
„Berechtigte Frage“, spricht Theo der lässig im Türrahmen lehnt und sich freut dass Lecram Interesse zeigt. Maria versucht zusammen zu tragen was sie gehört hat: „Nun, mehr wissen wir nicht mit Sicherheit. Velis, die bei der Geburt dabei war berichtete uns das Aros, Fenia zu rasch entdeckt hat. Fenia stand wohl Aros alleine gegenüber. Und sie war noch sehr geschwächt von der kürzlichen Niederkunft. Sie wusste genau dass sie als kleine Wächterin gegen Aros keine Chance hat. Daher blieb sie einfach Ruhig und abwartend. Sie wollte für die Knaben da sein. Aros muss wütend gewesen sein über diese Hinterlistigkeit der beiden Frauen. Aros wollte das Fenia das Tor sofort wieder öffnet. Doch Fenia hatte keine Kraft mehr. Hätte er nicht Hoffnung gehabt dass Fenia später den Zugang zu dieser Welt wieder öffnen kann, hätte sie den nächsten Tag wohl nicht überlebt. Also nahm er allesamt bei sich auf. Für Fenia und seine leiblichen Kinder eher ein Fluch als ein Segen. Doch Kinder schicken sich in die Situation. Sie kennen es ja nicht anders.“
„Darf ich den Rest erzählen?“ fragt Gloria liebevoll die diese Geschichte Inn und Auswendig kennt.
„Nur zu“, spricht Maria und nickt dabei. Gloria lächelt ihr kurz zu, drückt ihre Hand und spricht langsam und verständlich als sie zu Lecram sieht: „Rasch bemerkt Aros dass einer seine Söhne seinem Charakter ähnelt. Der andere hat mehr die grosse Güte von Daria. Das wiederrum brachte Aros eines Tages zur Weissglut. Danach liess er über einen seiner Söhne einen Fluch hängen: Der eine ist meiner ebenbürtig und bleibt daher meiner Ehrwürdig. Dem anderen seine Seele ist so klar und rein. Als Biest wandle von Nacht zu Nacht und am Tag erstarr zu Stein. Ab deinem vierten Lebensjahr tritt dieser Fluch als dann ein. Den Fluch zu beherrschen vermag nur der richtige Partner.“
Lecram glaubt seinen Ohren nicht zu trauen und ein Schauer läuft ihm den Rücken hinunter. Er presst seinen Kiefer zusammen.
Gloria erzählt weiter: „Die Jungen waren noch zu klein um zu verstehen. Doch Fenia wusste genau was Aros getan hatte. Ihr Herz muss schwer geworden sein. Sie wollte helfen, doch ihre Wächterkräfte waren schwach. Aros war ihr weit überlegen. Trotzdem versuchte sie etwas später den Fluch abzuschwächen. Ob es ihr wirklich gelang weiss bis heute niemand. Auch Aros hat in der Zwischenzeit an einem Plan gearbeitet. Er wählte zwei Vertraute aus die seine Söhne auf ihrem zukünftigen Weg begleiteten sollten. Eventuell zwang er Fenia dazu den Zugang in die diese Welt zu öffnen und schickte die Familie hindurch. Wir wissen nicht was mit Fenia passiert ist. Wir wissen nicht ob die Geschichte vollständig der Wahrheit entspricht.“
„Wow… Eine Hammer Geschichte. Und ihr denkt jetzt ich könnte einer der Boys sein?“
Sarah zuckt mit der Schulter auf: „Du musst zugeben da gibt es Verbindungen.“
Lecram streicht sich mit den Händen übers Gesicht. Er findet es schon unglaublich was er gerade hier und jetzt erlebt. Darf er hoffen, kann er glauben? Eine andere Welt?
Maria tischt Paprika Chips auf, dankend langen alle zu. Es lockert die Stimmung etwas auf. Lecram versucht wirklich zu verstehen. Aber mit so etwas hat er natürlich nicht gerechnet. Hat er überhaupt mit etwas gerechnet, wohl kaum!
„Die Verbindungen die ihr zieht, sind mir schon klar. Bloss kenne ich keine Frau mit dem Namen Fenia. Der Name sagt mir überhaupt nichts. Gar nichts…“
„Ihr Name muss nicht zwingend Fenia sein. Vielleicht nennt sie sich heute ja auch anders. So wie Daria.“ Argumentiert Maria.
„Das Verstehe ich nicht.“ Schüttelt er kurz seinen Kopf.
Maria sieht mit liebevollem, warmen Blick in Lecrams Augen.
„Wechsle doch bei Maria einfach mal den Anfangsbuchstaben mit D aus und du kannst erahnen wer ich in Wirklichkeit bin.“
Lecram greift mit seiner linken Hand in die Haare und schüttelt verständnislos den Kopf.
„Du bist Daria? Diese ganze verrückte Geschichte ist Wahr? Diesen Ort den gibt es wirklich? Ihr verarscht mich nicht.“
Lecram hat das Gefühl jemand zieht ihm den Boden unter seinen Füssen weg. Er steht auf, schüttelt seinen Kopf und geht ein paar Schritte. Er versucht zu begreifen: Dann ist Maria eventuell seine Mutter? Nein, er wagt noch nicht zu hoffen. Zu schön und zu verlockend ist diese Vorstellung. Er schüttelt immer noch verwirrt seinen Kopf als er leise spricht: „Das macht doch alles keinen Sinn. Wie wollen wir herausfinden ob ich derjenige bin? Ich bin nun auch nicht wirklich schlauer als zuvor. Macht euch doch nichts vor. Bitte macht mir und euch keine falschen Hoffnungen. Das ist zu verrückt…“
Jeder hier im Raum spürt seine Endtäuschung. Niemand spricht ein Wort und Sarah dreht ihren Ring den sie am linken Daumen trägt. Das tut sie gerne wenn sie nervös ist.
Maria geht wortlos aus dem Raum und verschwindet für einen kleinen Moment. Lecram sieht ihr hilfesuchend nach. Dann kommt sie mit einem Blatt zurück und spricht ernster und direkt zu Lecram: „Hör zu, wir hatten damals noch keine Kameras. Hier in meinen Händen halte ich ein Bild von Fenia das Tarak für mich mal gemalt hat. Bitte schau dir dieses Bild ganz genau an und gib mir Bescheid wenn sie dir bekannt vor kommt. Lass dir Zeit.“
Dann übergibt sie ihm die Zeichnung. Alle in diesem Raum spüren wie wichtig diese Situation gerade ist. Die Spannung im Raum ist schon fast unerträglich. Marias Hände zittern ein wenig. Niemals hat sie damit gerechnet irgendwann ihre Jungs wieder zu sehen.
Lecram schaut nochmal in die kleine Runde und sieht auch die Hoffnung von Maria. Was für eine Verantwortung die er da gerade trägt. So unsinnig! Er ist sich so unglaublich sicher dass er die Frau auf dem Bild nicht kennt. Für sein Problem muss es eine andere logischere Lösung geben. Trotzdem nimmt er das Bild zu sich und wirft langsam einen Blick darauf. Er sieht das Bild nochmal an und nochmal und nochmal…
„Oh mein Gott, ich muss hier raus!“ Kommen seine Worte energischer als er wollte. Er legt das Blatt Papier auf die nächst Mögliche Gelegenheit und geht zielstrebig hinaus. Ohne einen weiteren Kommentar abzugeben.
Die anderen sehen einander ratlos an. Auch Maria steht mit zittrigen Beinen da und weiss nicht was sie tun soll. Auf die Antwort muss sie sich wohl noch etwas gedulden. Diese Geduld nimmt sie gerne in Kauf. Sie versucht sich zu sammeln und spricht jetzt laut aus: „Lassen wir ihm etwas Zeit. Es ist für uns alle etwas viel…“
Da Sarah sich schuldig fühlt für diese ganze Misere geht sie ebenfalls hinaus um nach Lecram zu suchen. Draussen läuft Lecram im Kreis. Dabei hält er seinen Kopf fest und murmelt etwas.
Auch die Krähe sitzt natürlich in der Nähe auf einer Mauer und beobachtet alles ganz genau. Es scheint fast so als hätte sie auch etwas zu sagen doch niemand kann sie verstehen.
Sarah geht ein paar Schritte auf ihn zu und bleibt dann aus Respekt mit etwas Abstand von ihm stehen. Lecram sieht Sarah genau. Mit wässerigen Augen geht er auf sie zu und fällt ihr um den Hals.
Er weint nicht und spricht nicht. Lecram hält Sarah einfach nur fest.
Sie stehen eine Zeitlang so da bis Sarah doch leise nachfragt: „Lecram, ist alles in Ordnung mit dir?“
„Nein.“ Dann löst er sich aus der Umarmung und sieht in ihre hübschen grossen, braunen Augen. Sarah sieht wie wässerig seine Augen noch sind. Sie ist ratlos. Zum Glück übernimmt Lecram das Wort: „Gehst du mit mir ein paar Schritte?“
„Klar“, nickt Sarah und Lecram nimmt dabei ihre Hand. Sie schlendern wieder zum Waldstück das an das Anwesen grenzt. Die frische Luft tut Lecram gut und er beginnt sich zu sammeln: „Was soll ich tun?“
„Flipp mal aus, das kann helfen.“
Diese Aussage bringt ihn zum schmunzeln.
„Ich bin ein ruhiger Mensch. Das wirst du nicht erleben. Das ist eher Marcus Part… Es ist alles so unwirklich. Was tun wir jetzt?“
„Ich weiss ja nicht was ich angerichtet habe.“
Lecram lächelt wieder. Dann lehnt er lässig an einen Baum an und zieht sie an sich. „Du bist zu meinem Leben geworden. Du bist einfach wundervoll.“
Dann zieht er sie noch näher an sich und sie stehen Stirn an Stirn eine Weile da. Lecram wagt es nicht sie zu küssen. Dieser Moment ist so wie er ist, richtig.
Sarah ist sich nicht sicher ob sie diese Stimmung durch eine Frage oder eine Feststellung zerstören soll. Seine Worte haben sich in ihrem Kopf eingeprägt. Auch sie hat noch nie solche Gefühle für einen Jungen gehabt. Sie ist durchaus sehr unsicher. Dennoch ist sie diejenige die dieses schöne Beisammensein mit einer Frage stören muss. „Was hast du in diesem Bild erkannt?“
Wieder schmunzelt Lecram leicht. Er hat sich gefangen: „Komm wir gehen hinein und ich erzähle euch was ich in dem Bild gesehen habe.“
Sarah nickt und sie schlendern Hand in Hand zurück. Im Haus sitzen die anderen mittlerweile in der Küche und haben was zum trinken vor sich stehen. Sie bitten Lecram bei ihnen Platz zu nehmen. Doch Lecram kann nicht sitzen. Er steht im Moment lieber.
„Danke, aber es ist mir wohler wenn ich stehe.“ Dann atmet er tief ein und laut wieder aus: „Das Bild das mir Maria gegeben hat ist interessant.“
„Nur Interessant?“, unterbricht Gloria zynisch und Maria mahnt sie mit einem scharfen Blick nicht mehr zu stören. Lecram dankt Maria mit einem warmen Blick und teilt seine Gedanken mit: „Seit ich denken kann habe ich diese seltsamen Träume. Ich träume von dieser bildhübschen Frau, die beschwört mich zu schützen solange es ihr möglich ist. Eine Frau bei der ich mich wohl fühle weil sie so viel Wärme und Geborgenheit ausstrahlt. Ich liebe diesen Traum…
Es ist dieselbe Frau wie auf dem Bild….
Kann das denn wirklich sein?“
Maria hält ihre Hände vor ihren Mund. Sie wagt nicht ein Wort zu sprechen. Zum Glück sitzt sie schon. Gänsehaut breitet sich an ihrem Körper aus. Sarah und Gloria lächeln einander zu. Sie freuen sich so für ihre Maria. Denn Maria war für sie beide immer eine gute, liebenswürdige Mutter mit viel Liebe im Herzen.
Langsam steht Maria auf und geht auf Lecram zu. Die beiden sehen sich tief in die Augen und ja: Sie haben dieselbe Augenfarbe. Maria ist unsicher und fragt ganz leise: „Darf ich dich in die Arme schliessen.“
Darauf gibt er keine Antwort sondern lässt sich einfach in ihre Arme fallen. Wie sehr hat er sich eine solche Mutter gewünscht und jetzt scheint sein Wunsch in Erfüllung zu gehen. Er möchte sie nicht mehr los lassen!
Theo gibt den Mädchen ein Zeichen die Küche zu verlassen. Sie wollen den beiden ein bisschen Zeit für sich lassen. Denn die beiden haben einander viel zu erzählen. Und das kann einen Moment dauern.


Familie


Maria und Lecram erzählen sich viel. So vieles gibt es was sie von einander nicht wissen. Lecram fühlt sich so unglaublich wohl in der Nähe von Maria – seiner leiblichen Mutter. Er hat Maria jetzt schon in sein Herz geschlossen. Genau genommen war er schon beim ersten Treffen von ihr fasziniert. Lecram hat praktisch alles aus seinem Leben und seiner Kindheit erzählt was er noch weiss. Und das ist nicht annähernd so schön wie sich Maria die Kindheit für ihre Söhne vorgestellt hat. Ihr Herz schmerzt, aber sie lässt sich nichts anmerken.
Doch nun ist es an der Zeit das Lecram nach Hause geht. Seine zieh Eltern finden es sicher seltsam dass er so lange weg ist. Das macht er sonst nie. Theo fährt ihn also in die Nähe des Weingutes zurück. Den Rest will Lecram zu Fuss gehen. Als Theo den Wagen zum stehen bringt sieht er Lecram an und erklärt: „Übrigens…, ich bin Marias älterer Bruder.“
„Mein Onkel“, staunt Lecram sichtlich begeistert.
„Stell dir unsere Familie nur nicht so einfach vor. Mit deinem Vater… Sagen wir so da kommt noch einiges auf dich zu was nicht so angenehm wird. Ich kann es fühlen. Das ist erst der Beginn.“
„Das ist egal. Ich habe jetzt eine richtige Familie.“
Theo grinst und lässt Lecram im Glück schwelgen. Er wird früh genug bemerken dass seine Welt ab heute eher schwieriger als leichter wird.
„Lecram, erzähl vorerst deinem Bruder noch nichts.“
„Ja, das habe ich mit Maria auch so besprochen.“
„Dann ist ja alles geklärt.“ Abschliessend nimmt Theo etwas aus seiner Jackentasche und überreicht Lecram ein Handy mit den Worten: „Sarah hat erwähnt dass du keines hast.“
„Ja, da ich im Prinzip keine Freunde habe… Brauche ich so etwas ja nicht.“
„Jetzt hast du eine Familie. Hör zu, wir wollen mit dir jederzeit in Kontakt bleiben. Darum nimm dieses Handy an dich. Es ist auf lautlos gestellt damit niemand in deiner Familie etwas davon mitbekommt. Wenn du ein Gargoyle bist, verstecke es gut. Hörst du?“
„Ja ich verstehe. Danke.“
Dann nimmt Lecram das Handy an sich und steckt es ein. Er begreift was Theo damit sagen will. Denn auch er hat das Gefühl dass seine zieh Eltern ab und an durch seine Sachen stöbern um zu schauen was er so treibt. Kontrolle ist wohl besser als Vertrauen. Dann bedankt sich Lecram noch einmal und verabschiedet sich von Theo. Lecram sieht Theo nach, bis er aus der Reichweite ist. Dann rennt Lecram zum Haus. Dabei geht er absichtlich ganz nah an Sträuchern vorbei und holt sich dabei Schürfungen und Kratzwunden.
Die Krähe begleitet ihn still. Ein lautloser und treuer Begleiter.
Und als Lecram beim Haus ankommt begibt sich die Krähe auf das Dach und wartet ab. Als Lecram kurz zu der Krähe sieht, scheint es ihm als wolle sie ihm etwas erzählen doch er kann sie immer noch nicht verstehen.
Ein klein wenig ausser Atem geht Lecram schliesslich hinein. Wie üblich begibt er sich zuerst zum Kühlschrank. Da es mittlerweile Abend ist sitzt Liv bereits wieder einmal vor ihrem Müsli. Adam und Marcus essen ein fertiges Nudelgericht. Lecram rümpft seine Nase und belegt für sich ein Sandwich. Er wartet bis ihn einer der drei mit Fragen löchert. Liv und Adam tauschen ein paar Blicke mit einander aus. Doch diesmal ist es Marcus der Stille bricht: „Lecram geh zuerst unter die Dusche… Du stinkst.“
Lecram sieht an sich hinunter: „Das kann warten. Ich habe Hunger.“
„Wo warst du den ganzen Tag?“ fragt Adam direkt.
„Sieht man das nicht? Ich war in Halifax etwas Shoppen.“ Ist Lecrams Antwort etwas schnippisch.
„Warum warst du im Wald?“ Ist wieder Adam der nachfragt.
Und Lecram stöhnt bei der Frage etwas auf: „Nun ja, mir war langweilig. Und da ich die Gegend im Wald besser kenne als die Städte und sie für mich sicherer sind… Wo soll ich mich denn sonst rum treiben?“
„Du veränderst dich“, stellt Liv fest.
„Schon mal etwas von Pubertärer Fase gehört die Jugendliche so durchmachen? Stellt euch doch einfach darauf ein.“ Motzt Lecram, schnappt sich das Sandwich und geht in sein Zimmer hoch. Er hat keine Lust mit ihnen den Abend zu verbringen. Da hockt er lieber alleine in seinem Zimmer und isst. Natürlich hängt er mit den Gedanken im Tierpark bei seiner Familie. Es gibt viel zu verarbeiten.
Etwas später kommt Marcus in sein Zimmer.
„Hey, willst du wieder zur Schule?“
„Klar würde ich gerne zur Schule. Doch dann fliegt unsere Tarnung auf. Sarah kauft uns das nicht noch einmal ab.“
„Du magst sie.“
„Ich krieg sie nicht so einfach aus dem Kopf. Reicht das?“ Hofft Lecram damit das lästige Gespräch beenden zu können.
Doch Marcus spottet: „Also das bedeutet wohl - ich soll mich nicht an sie heran machen, um sie näher kennen zu lernen.“
Lecram nimmt das Buch das er gerade vor sich liegen hat und wirft es in Marcus Richtung. Marcus lacht laut auf.
„Schon O.K. Ich habe verstanden. Scheint wohl als hätte auch ein Gargoyle einen wunden Punkt.“
„Hau endlich ab!“
Danach verschwindet Marcus in sein Zimmer und Lecram kann endlich in Ruhe unter die Dusche. Als er im Bett liegt nimmt er sein Handy in die Hand. Mit Erstaunen stellt er fest dass Sarah ihm gerade geschrieben hat.
Ihre Frage: sehen wir uns morgen?
Er schreibt zurück: Nein, ich denke nicht. Am Samstag versuche ich an den Markt zu kommen.
Ihre Antwort: Du hast Recht. Bis Samstag also.
Lächelnd nimmt er sein Handy und legt es in seinen linken Haus Schuh, die neben seinem Bett liegen. Danach schläft er lächelnd und glücklich ein.
Den Rest der Woche verbringt Lecram wieder brav zu Hause und macht die gewohnten Hausarbeiten. Zwischendurch dreht er draussen mit der Krähe seine Runden. Dabei erzählt er der Krähen dies und das. Die Krähe ist ein geduldiger Zuhörer. Und Lecram hat zwischendurch das Gefühl er könne die Krähe ganz leise in seinem hören. So als würde sie ihm Antworten auf seine Fragen geben. Natürlich spricht die Krähe nicht wirklich, aber Lecram hört trotzdem ab und an eine Stimme in seine Kopf und da niemand ausser der Krähe da ist…
Doch genau genommen nimmt Lecram an dass er von den vielen Ereignissen in den letzten Tagen einen so vollen Kopf hat dass es nur normal ist Stimmen zu hören. Vielleicht braucht er einfach eine gute Portion schlaf. Ab und an schreibt er Sarah via Handy ein paar Zeilen und sie schreibt ihm zurück. So sind sie wenigstens in Kontakt. Beide sind sehr distanziert. Sie schreiben nie über ihre Gefühle. Eher was sie durch den Tag so erlebt haben. Lustig ist auch wenn Sarah ihm von Marcus erzählt. Denn Marcus geht weiterhin zur Schule und die anderen müssen über ihr Geheimnis schweigen. Das ist wohl für alle eine recht seltsame Situation.
So steht der Samstag rasch vor der Türe. Lecram wird heute am Markt auf Sarah treffen. Auch wenn er es nicht zugibt, er freut sich schon darauf. Als Vorwand für den Besuch am Markt nimmt er die Lasagne die er heute kochen möchte. Er hat das Rezept ausgedruckt und will dafür frische zutaten vom Markt holen. Da Lecram nach diesem Samstag wieder als Gargoyle um her streift geht das für Marcus in Ordnung. Also macht sich Lecram gut gelaunt auf den Weg. Bevor er das Auto starten kann ruft Liv ihm nach: „Lecram warte! Ich komme diesmal auch mal mit. Ich begleite dich.“
Und schon sitzt sie im Wagen.
„Ein Mutter Sohn Ding?“, spottet Lecram.
„Hast du etwas dagegen?“ Ist ihre Gegenfrage.
„Warum, sollte ich?“ Lügt Lecram und lächelt sie adrett an. Sie muss ja nicht auf Anhieb merken dass er sie nicht dabei haben will. Liv lächelt zuckersüss zurück und er fährt los. Sein Unbehagen lässt er sich nicht anmerken. Was für eine dumme Situation!
Am Markt gehen sie zusammen von Stand zu Stand. Sprechen dabei kein Wort.
Auch die Krähe lässt sich wie gewöhnlich in der Nähe nieder und beobachtet das Geschehen unbeobachtet.
Liv ist ziemlich begeistert und meint sie wird vermehrt her kommen. Sie weiss gar nicht so genau wieso sie das nicht schon früher getan hat. Lecram ist ziemlich nervös, lässt sich aber nichts anmerken. Bis er eine Stimme hört die klar nach Sarah klingt. Sofort dreht er sich um und sucht mit seinem Blick nach ihr. Sie nimmt seinen Blick auf und lächelt. Sofort bemerkt Sarah jedoch seinen strengen Blick und wird vorsichtig. Langsam kommt sie näher und er spricht sie an: „Hallo Hinkebein, auch unterwegs.“
„Wie du siehst.“
Auch Liv wendet sich den beiden zu und Marcus stellt sie einander vor: „Liv das ist Sarah aus der Schule. Und Sarah, das ist meine… Mutter.“
Lecram presst seine Kiefer aufeinander. Die ausgesprochenen Worte fühlen sich so falsch an. Nein, sie sind falsch! Liv und Sarah begrüssen sich oberflächlich doch freundlich. Dann stellt Sarah den beiden ihren Onkel Theo vor. Viel gibt es dann nicht mehr zu sagen. Also verabschiedet sich Lecram wieder so als wäre es lästig die beiden hier angetroffen zu haben.
Natürlich reagiert Liv darauf: „Hat sie was zu bedeuten?“
„Sie ist der Grund weshalb ich nicht mehr zur Schule gehe.“
Lecram nimmt an dass sein Bruder schon einiges darüber erzählt hat. Wie erwartet ist die Diskussion damit beendet.
Himmel, das war knapp!
Lecram, wie bestimmt auch Sarah, haben sich dieses Treffen bestimmt anders vorgestellt. Aber es ist wie es ist. Und beide machen das Beste aus der Lage.
Sarah sieht zu ihrem Onkel.
„Und…, kennst du Liv“, stellt Sarahs die Frage als sie sich am Markt genügend Abstand von den beiden haben.
„Nein. Ich habe sie noch nie gesehen. Habe mit meinem Handy unbemerkt ein Foto von ihr gemacht. Ich zeig es Maria. Hoffentlich taugt das Foto etwas.“
„Gute Idee.“ Pflichtet Sarah ihm bei und lächelt Theo liebevoll an. Sarah sieht sich noch nach der Krähe um und als sie ihn sieht ist sie seltsam beruhigt. Dass die Krähe in Lecrams Nähe ist fühlt sich gut an. Es scheint richtig zu sein. Als sie ihre Einkäufe getätigt haben gehen sie direkt zu Maria und erzählen ihr vom Treffen am Markt. Dann nimmt Theo das Handy und zeigt Maria das Foto. Maria sieht sich das Bild genau an.
Sarah ist ungeduldig: „Und?“, fragt sie nach.
„Wenn ich mich nicht täusche habe ich sie schon mal gesehen. In der Zeit als ich mit Aros zusammen gelebt habe… Sie gehört definitiv zu Aros Gefolge. Fenia muss das Tor geöffnet haben um sie durch zu lassen. Die Geschichte muss stimmen. Ich gehe davon aus dass sie einen Plan verfolgen um uns zu finden. Sarah sie wollen dich finden.“
Maria stöhnt laut auf.
„Und dann, was wollen sie gegen uns ausrichten?“ Ist Sarahs berechtigte Frage und Maria schüttelt ihren Kopf. „Ich habe keine Ahnung. Diese Liv hat keine Kräfte oder so was in der Art.“
„Dann müssen wir schauen dass sie dich nie zu Gesicht bekommen“, erklärt Theo und Maria nickt zustimmend. Ihre Familiengeschichte wird dadurch nicht einfacher. Maria darf weder von Liv noch Adam gesehen werden. Denn sie haben keine Ahnung was auf sie zukommt wenn die beiden wissen wo die Zwillings Mädchen stecken. Maria ist sich bewusst dass es nicht um sie und ihre Söhne geht. Aros will nur die Macht der Zwillingsmädchen. Nun ist sie ihren Söhnen so nah wie noch nie und doch meilenweit entfernt. Ein seltsames beklemmendes Gefühl.
Die darauf folgende Woche verläuft für Sarah seltsam. Lecram meldet sich kaum, auch auf ihre SMS gibt er keine Antwort. Sie hat so sehr gehofft dass er als Gargoyle bei ihnen auftauchen wird. Doch bis anhin haben sie ihn noch nichts von ihm gesehen. Da ihr Zimmer gegen den Parkplatz ausgerichtet ist sitzt sie manchmal stundenlang vor dem Fenster und hofft ihn zu sehen. Auch Migdal und Lamos haben ihn noch nicht gesichtet. Und ihnen wäre er bestimmt aufgefallen. Sie sind sehr gute Wächter. Ob Lecram sich Gedanken über seine neue Familie macht? Oder ist es wegen ihr? Vielleicht ging alles viel zu schnell. Dass sie keine Antwort auf ihren Fragen bekommt zermürbt sie etwas.
In einer Schul-Pause sitzt sie Gedanken versunken da und hört ihren Geschwistern gar nicht richtig zu. Sie fühlt sich kränklich. Irgendwie im Stich gelassen. Plötzlich wird sie von Marcus seitlich an gestupst: „Hinkebein, heute so verträumt?“
„Schleich dich doch nicht so an“, faucht Sarah ihn an da sie erschrocken ist. Ihn kann sie jetzt überhaupt nicht brauchen. Schon seltsam ihn anzusehen und dabei nicht automatisch an Lecram zu denken ist praktisch unmöglich.
Trotzdem setzt sich Marcus zu ihnen hin und wendet sich ganz Gloria zu: „Gloria, Lust mit mir ins Kino zu gehen?“
„Bitte…?“
„Nur als Freunde ich weiss ja dass du mit Jonas zusammen bist. Aber vielleicht kommt dann Sarah auch mit. Bis anhin weigert sie sich mit mir aus zu gehen.“ Er sieht Gloria schelmisch an.
„Wenn Sarah nicht will kann dir da Gloria auch nicht aus der Patsche helfen. Sarah kann sehr dickköpfig sein.“ Spricht Jonas und grinst dabei frech über sein ganzes Gesicht.
Marcus zündet grinsend: „Hey Mann, du kannst tatsächlich ganze Sätze sprechen. Hoho, wer hätte das gedacht.“
Jonas lacht kurz auf und antwortet.
„Ich bin chronisch Wortkarg.“
Marcus staunt über Jonas kecke Antwort. Damit hat er definitiv nicht gerechnet. Marcus ist beeindruckt.
„Chronisch Wortkarg...“, nickt Marcus anerkennend.
„Ich brauche nicht viel zu sprechen. In Liebesangelegenheiten kenne ich eben mich besser aus.“ Lobt Jonas sich selbst und zieht dann Gloria zu sich um sie provokativ vor Marcus zu küssen. Marcus rollt mit den Augen und dreht sich wieder zu Sarah.
„Habe ich keine Chance dich umzustimmen damit wir gemeinsam in den Ausgang kommen?“
„Marcus…, ich habe wirklich viel zu tun im Tierpark. Es hat nichts mit dir zu tun. Wenn es die Zeit erlaubt können wir das gerne machen.“
Sie hat sich tatsächlich kurzerhand in den Kopf gesetzt ihn besser kennen zu lernen. Irgendwie müssen sich die Brüder ja ähneln. Irgendetwas muss die beiden doch verbinden. Selbst Gloria und sie verbindet viel. Obwohl sie offensichtlich keine Eineiige Zwillinge sind. Und trotzdem müssen die Schwestern nicht alles aussprechen was sie denken. Die Schwestern versteht es auch so. Zwillinge sind meistens etwas enger beisammen als andere Geschwister.
Marcus sieht Sarah immer noch eingehend an, nickt jetzt mit seinem Kopf und scheint sich vorerst geschlagen zu geben. Dann ruft Leon ihm etwas zu der an einem anderen Tisch mit Chèn und ein paar Mädels sitzt. Marcus steht auf und verabschiedet sich von den anderen.
„Verdammt, sie sehen wirklich genau gleich aus“, spricht Michael laut seine Gedanken aus.
„Achte wie er geht. Das unterscheidet sie schon. Aber du musst genau darauf achten“, erklärt Sarah und sieht Marcus ebenfalls nach. Dabei ertappt sie sich wie sie auf Marcus Hintern guckt. Jetzt ist sie wohl ganz unten durch!
„Nun ja, Lecram ist definitiv auf Anhieb der sympathischere. Er kommt sehr authentisch rüber.“ Spricht Jonas und Michael hackt ein: „Marcus ist schwierig zu durchschauen. Denkt ihr er führt etwas im Schild?“
Alle machen ein ratloses Gesicht. Nur Gloria versucht zu verstehen: „Genau genommen bin ich etwas unsicher was in den beiden noch alles drin steckt.“
Sarah versteht nicht: „Wie meinst du das?“
„Hört mal. Das – sind - Aros - Söhne. Wenn die beiden nicht eine gehörige Portion Magie im Gepäck mit sich tragen würde mich das schon wundern.“
Daran haben die anderen noch gar nicht gedacht. Aber jetzt wo es ausgesprochen ist, macht es durchaus Sinn.
Michael ergänzt: „Es sind auch Marias Söhne und sie besitzt keine Magie. Sie hat ein gutes Herz.“
„Lecram scheint nach ihr zu kommen. Doch Marcus ist noch ein offenes Buch…“, argumentiert wieder Gloria.
Sarah hört nur zu und macht sich ihre eigenen Gedanken, dabei verengt sie ihre Augen ein wenig und dreht ihren Ring am Daumen. Wenn Lecram doch nur mal auf Besuch vorbei kommen würde damit sie mit ihm sprechen kann… Sie seufzt auf.
„Lass uns zu Hause das Thema noch mal eingehend diskutieren.“ Sagt Jonas ziemlich ernst und die anderen nicken zustimmend. Ihre Familie hat sich um zwei Mitglieder vergrössert. Doch was sollen sie mit Marcus machen? Schliesslich hat er ja auch ein Anrecht zu wissen wer seine leibliche Mutter ist.
Oder besser doch nicht…
Entscheidungen


Bei Sarah zu Hause wird viel über die Zwillingsbrüder diskutiert. Es gibt da einiges was noch heraus gefunden werden muss. Aber für ihre Fragen muss Lecram sich zuerst wieder einmal zeigen. Niemand von ihnen hat ihn gesehen oder gehört. Er schreibt keine SMS und ruft auch nicht an. Funkstille!
Sarah hat die Wochen gezählt und hofft dass er an diesem Samstag als Mensch wieder auf dem Markt anzutreffen ist. Wenn sie richtig gezählt hat müsste der Monat wieder durch sein. Sie hofft innig auf ein Treffen mit ihm. Gloria begleitet ihre Schwester zum Markt. Sie geniessen es gemeinsam durch den Markt zu schlendern. Auch mal ungestört über das einte oder andere zu quatschen tut gut.
Doch von Lecram ist nicht die geringste Spur zu sehen.
„Sarah, du bist endtäuscht. Es tut mir leid.“ Spürt Gloria.
Sarah kann sich denken dass ihre Schwester ihre Stimmung spürt. Darum braucht sie Gloria auch nicht anzulügen.
„Ja…, ich verstehe ihn nicht.“
„Vielleicht versteht er auch nicht und braucht einfach Zeit.“ Gloria zuckt mit der Schulter auf. Denn auch sie hat keinen Rat für ihre Schwester. Alles nur Spekulation. Etwas später beschliessen sie nach Hause zu fahren, denn beide haben noch einen Einsatz im Tierpark. Als Gloria auf den Parkplatz fährt fällt ihnen Marcus (oder Lecrams?) Auto auf. Die Schwestern schauen sich verwundert an.
Sie sehen gerade noch wie der Junge in seinen Wagen steigen will. Es ist definitiv Lecram.
„Lecram warte!“, ruft Sarah und hat etwas Angst dass er sie nicht gehört hat. Er kommt Ruckartig zum stehen und schliesst seine Augen kurz. Sarah spürt dass er ihr nicht über den Weg laufen wollte. Trotzdem dreht er sich in ihre Richtung und beisst sich dabei leicht auf die Unterlippe. Wirklich erfreut sie zu sehen scheint er nicht gerade zu sein und Sarahs Herz schmerzt.
„Ich lass euch besser allein“, erklärt Gloria ihrer Schwester und geht. Dabei sieht sie kurz zu Lecram und nickt ihm freundlich zur Begrüssung zu.
Lecram kommt Sarah langsam entgegen, dabei steckt er die Hände in die Hosentaschen. Die Krähe kreist ruhig oben am Himmel. Alles scheint wie sonst auch. Nur Lecram sieht nicht glücklich aus. Aus diesem Grund kneift auch Sarah ihre Augen eng zusammen und spricht als erste: „Du meidest mich. Stimmt’s?“
„Warum denkst du das?“
„Du wusstest genau dass ich am Markt zu finden bin. Also eins und eins ergibt …“
Lecram sieht ihr nun direkt in die Augen. Warum soll er sie belügen. Das bringt nichts.
„Du hast Recht.“
„Warum?“
„Ich wollte Maria sehen und wie sich herausgestellt hat habt ihr euch genau so viele Gedanken gemacht wie ich mir auch. Alles scheint noch schwieriger geworden zu sein.“
„Und was hat das mit uns beiden zu tun?“ Will Sarah jetzt genauer wissen. Sie findet sie hat ein Recht darauf
„Eigentlich nichts.“ Zuckt er mit der Schulter auf.
„Oh ja klar. Darum freust du dich auch so sehr mich zu sehen. Völlig logisch. Bitte Entschuldige.“
Ihr Sarkasmus bringt ihn etwas zum schmunzeln. Doch er ist ihr eine Antwort schuldig. Das weiss er genau.
„Sarah, das mit uns… Es geht nicht.“
„Warum?“ Stochert sie nach.
„Dafür gibt es mehrere Gründe. Ich habe nicht die Zeit dir jetzt alle aufzulisten.“
„Ich bestehe aber darauf. Versteh doch, auch ich versuche zu begreifen.“
„Dann komme ich diese Woche mal vorbei und erklär es dir in aller Ruhe.“
Antwortet Lecram, sieht ihr aber dabei nicht mehr in die Augen.
„Du bist ein verdammt schlechter Lügner“, erklärt Sarah mit wässrigen Augen. Lecrams Augen verengen sich und Sarah erklärt mit harten Worten.
„Wir wissen beide dass du nicht vorbei kommst. Ich habe es nicht verdient angelogen zu werden. Wenn es dir leichter fällt, komm wenigstens als Gargoyle…“
Lecram seufzt auf und staunt dass sie ihn bereits so gut kennt: „Sarah, lass es gut sein.“
„Schaue Steine, die dir in den Weg gelegt werden, nicht als Hindernis an, sondern als eine Abwechslung auf deinem Weg zum Ziel!“
Zitiert Sarah und Lecram stöhnt auf.
„Ich will nicht dass du mich als Gargoyle siehst.“
„Habe ich doch schon.“
„Ja schon, aber da war es etwas was anderes.“
„Nein war es nicht. Ich wusste mit 99,9 prozentiger Sicherheit damals schon dass du das warst. Ich habe nur nichts gesagt damit du da bleibst. Also stell dich jetzt nicht so an.“
Auf einen solchen Vortrag ist Lecram nicht vorbereitet und weiss jetzt auch keine Antwort. Er ist sprachlos. Er geht etwas in Abwehrstellung und verschränkt nun seine Arme dabei.
„Hör zu, ich weiss genau wie schrecklich mein Anblick ist. Mein äusseres…, meine Augen, so will ich dir nicht nochmal unter die Augen treten.“
„Daher weht der Wind.“ Versucht Sarah wirklich zu verstehen und wird etwas ruhiger.
„Ja daher weht der Wind. Ich hab dieses Spiegelbild schon viele Male verflucht.“
Sachte geht Sarah einen Schritt auf ihn zu und löst seine verschränkten Arme indem sie seine Hände nimmt und sie einfach fest hält. Lecrams Blick ist gequält und Sarah spricht sanft: „Lecram. Dein Herz ist dasselbe. Ob du als Gargoyle vor mir stehst oder als Mensch spielt dabei keine Rolle.“
Er schluckt schwer. Sie sieht so süss aus und riecht gut. Aber er kann das mit ihr einfach nicht.
„Es gibt auch noch andere Gründe für meinen Entschluss. Bitte lass mich gehen.“ Scheint Lecram sie fast anzuflehen.
Langsam zieht er seine Hände zurück, dreht sich um und will wohl ohne ein Abschiedswort gehen.
Doch Sarah lässt nicht locker.
„Ich will diese Gründe wissen. Sonst belagere ich dich diese Woche auf dem Weingut. Das schwöre ich dir hoch und heilig.“
Also dreht er sich noch einmal um. Sie sieht so süss aus wenn sie wütend ist. Dabei reckt sie ihr Kinn und sieht sehr stolz aus. Er kann nicht anders, er muss etwas lächeln. Wie gerne er sie jetzt in seine Arme schliessen möchte... Aber er tut es natürlich nicht. Genau genommen weiss er ja auch, dass sie ein Recht auf Antworten hat. Doch in menschlicher Gestalt kann er sich schlecht noch mal von zu Hause wegschleichen.
„Also gut. Ich werde in meiner ersten Nacht als Gargoyle vorbei kommen. Und dann können wir über alles reden. Wir haben die ganze Nacht. Einverstanden?“
Sarah nickt mit wässerigen Augen und nimmt was er ihr anbietet.
Lecram sieht wie sie leidet. Dabei zieht es seinen Magen zusammen, also geht er wieder auf sie zu.
„Was soll ich bloss mit dir machen?“, scheint seine Frage mehr an ihn selbst zu gerichtet zu sein als an Sarah. Es tut ihm so leid ihr schmerzen zu zufügen. Das möchte er nicht. Ihr Unterkiefer zittert ein wenig und Lecram nimmt sie jetzt doch in seine Arme. Es fühlt sich verdammt gut an, muss sich Lecram eingestehen. Diese Gedanken behält er für sich.
Aber was tut er da! Panik steigt in ihm auf! Er sieht ihr direkt in die Augen und spricht leise und sanft: „Sarah, es tu mir so unendlich leid. Ich kann dir im Moment nicht mehr geben. Ich schaff es einfach nicht. Wir sehen uns.“
„Ja“, haucht Sarah leise und sieht ihm nach bis sein Wagen ausser Reichweite ist. Wieder eine Woche warten bis sie ihn wieder sieht. In diesem Moment erscheint es ihr eine unendlich lange Zeit zu sein. Ob er sein Versprechen auch einhält?
Danach geht Sarah ins Haus, dabei trifft sie auf Maria die nachfragt: „Sarah, hast du einen Moment?“
„Nein, ich muss zur Arbeit“, spricht Sarah und geht einfach an Maria vorbei und will in ihr Zimmer hinauf.
„Komm zurück, du hast frei“, ruft Maria und fügt zu, „setzt dich, es geht um Lecram.“
„Oh…“, Sarah macht kehrt und folgt Maria in die Küche.
„Was gibt’s so dringendes?“ Ist Sarah jetzt doch neugierig.
„Sarah es ist für ihn nicht einfach.“
„Wow, kommen da deine Muttergefühle hoch?“
„Sei nicht unfair! Wir sind im Vorteil. Wir wissen mehr als er. Und er muss zuerst lernen zu verstehen. Zu vertrauen.“
„Was hast du ihm denn über uns erzählt?“
„Ich habe heute davon gesprochen dass wir glauben er oder Marcus könnten magische Kräfte besitzen.“
„Und wie hat er das aufgenommen?“
„Nicht so gut. Er weiss nicht was ihm seine Familie verschweigt. Genau genommen kennt er seinen Bruder auch nicht so gut. Er will das alles gar nicht. Er hat wohl gehofft es gäbe eine einfachere Wahrheit…“
„Und was hast du verschwiegen?“
„Das du das Tor in unsere Heimat bist. Dann noch das Gloria eine Hexe ist und wir in den nächsten Ferien wieder nach Malon gehen und er alleine zurück bleibt wenn er nicht mitkommen will…“
Sarah rümpft die Nase. „Das ist eine Menge. Willst du dass ich mich mit ihm rede?“
„Ja gerne, ich denke du kannst ihm den Rest am besten erklären. Triff dich doch noch mal mit ihm.“
Na das sind ja wieder Neuigkeiten. Doch Sarah zöger nicht lang und willigt ein. Wenn Sarah das nur etwas früher gewusst hätte, wäre der Zwischenfall auf dem Parkplatz vielleicht etwas anders verlaufen. Sarah möchte keine Zeit verstreichen lassen. Also wartet sie bis Michael Zeit hat um sie zu Lecram zu fahren. Die beiden fahren nicht bis ins Weingebiet, sondern in den nahen Wald hinein und warten. Denn Sarah hat Lecram ein SMS geschrieben und ihm etwas Druck gemacht dass er sie hier trifft. Es dauert eine Weile bis Lecram sich zeigt. Dann erst steigt Sarah aus dem Wagen und Michael bleibt zurück.
Die beiden gehen ein Stück bis Lecram das Schweigen bricht: „Das war nicht nett dass du geschrieben hast: wenn du nicht kommst, komm ich zu dir. Du musst mir nicht drohen, das ist albern.“
„Aber es hat funktioniert.“ Lächelt sie ein wenig.
„Was gibt es denn so dringendes?“
„Maria hat mir von eurem Gespräch erzählt. Dann wünscht sie sich dass ich dir ein paar Dinge über unsere Familie erzähle. Doch zuerst zu dir. Wie geht es dir nach den Neuigkeiten mit Magie und co?“
Er atmet tief ein und stösst die Luft dabei laut aus.
„Es geht. Ich oder Marcus Magier…, klingt absurd. Unwirklich. Fremd.“
„Macht es dir Angst?“
„Wenn man nicht weiss wer man ist und was der eigene Zwillingsbruder sein kann... Ja, das macht durchaus ängstlich.“
Die Krähe macht sich bemerkbar und kräht laut auf als sie in der Nähe auf einem der Äste Platz nimmt.
Sarah kommt eine Idee: „Hör zu, ich weiss nicht warum. Aber die Krähe scheint mit dir in Verbindung zu sein. Aus irgendeinem Grund ist er immer in deiner Nähe. Wenn du auf seine Zeichen achtest wird er dir vielleicht eine Hilfe sein.“
Lecram bleibt stehen und schaut sie stutzig an.
„Welche Zeichen?“
„Nun, wenn wir zusammen sind ist die Krähe sehr entspannt. Das bedeutet wohl etwas Gutes. Wenn Gefahr droht wird sich die Krähe mit Bestimmtheit bemerkbar machen.“
„Stimmt, Marcus hat erzählt er sei schon mal auf ihn los gegangen. Und Liv und Adam hat er auch schon mal traktiert.“
„Hm...“, Sarah überlegt und teilt ihre Gedanken, „Könnten Liv und Adam wie auch Marcus mit Magie umgehen gäb es die Krähe bestimmt nicht mehr. Sie hätten ihn schon längstens eliminiert.“
Nun lächeln beide einander an und Lecram spricht sanft: „Das ist ein beruhigender Gedanke Sarah. Danke.“
„Gern geschehen.“
„Aber Sarah, es gibt kein uns“, spricht Lecram und beisst sich dabei fast die eigene Zunge ab. Da ist es wieder dieses beklemmende Gefühl. Doch wenn sie schon mal hier sind können sie auch jetzt darüber sprechen. Sarah bleibt an Ort und Stelle stehen und sieht ihn eingehend an.
„Du magst mich nicht mehr? Weil wir so was Ähnliches wie Geschwister geworden sind oder bist du eifersüchtig dass ich deine Mutter als meine bezeichnen kann?“
Lecram lächelt. So viel Blödsinn auf einen Haufen hat er schon lange nicht mehr gehört. Vor allem nicht von ihr.
„Nein, ich mag dich zu sehr.“ Bei seinen Worten bekommt er selbst Gänsehaut.
„Und was ist daran schlecht?“
„Ich bringe dich und deine Familie in Gefahr. Selbst Liv und Adam dürfen Maria nicht zu Gesicht bekommen. Maria hat mir erzählt dass sie einander eventuell kennen. Und wir wissen alle nicht was dabei herauskommt wenn sie voneinander wissen.“
„Ich habe eine starke Familie an meiner Seite.“
„Bestimmt. Aber ich will niemanden unnötig in Gefahr bringen…. Niemals. Und wenn ich ein Gargoyle bin, bin ich sehr stark und könnte dir Schmerzen zufügen. Ich versuche dich nur vor mir zu schützen.“
Sarah fällt auf das Lecram sie nicht richtig ansieht wenn er spricht. Er sieht quasi an ihr vorbei. Also nimmt sie seinen Kopf in ihre Hände und dreht ihn zu sich.
„Zweifel sind Verräter, sie rauben uns, was wir gewinnen können, wenn wir nur einen Versuch wagen.“
„Shakespeares Zitat.“ Sieht er ihr nun direkt in die Augen.
„Gib uns noch nicht auf.“
Lecram findet sie so schön wie sie da steht und ihm Kraft gibt. Ihre Zuversicht stärkt ihn und macht ihn stolz, sie auf seiner Seite zu wissen. Wie soll er ihr denn überhaupt wiederstehen können. Er küsst sie sanft auf ihre Stirn.
„Ich versprechen nichts“, dabei schüttelt er leicht seinen Kopf, „lass uns beim nächsten Treffen mehr darüber sprechen. Wenn du mich dann als Gargoyle um dich hast kann sich deine Meinung auch noch ändern.“
Sarah nickt und weiß dass sie das Gespräch langsam in eine andere Richtung lenken muss. Sie muss ihm noch andere, wichtige Dinge erzählen die nicht mal so einfach zu erklären sind. Sie möchte ihr Versprechen einlösen und beginnt:
„Du bist…“, kann Sarah ihren Satz nicht beenden. Sie wird plötzlich ganz weis im Gesicht, hat Bauchschmerzen und klappt zusammen. Lecram handelt indem er sie auf seine Arme nimmt und sie sofort zu Michael trägt. Michael scheint genau zu wissen was los ist und spricht energisch zu Lecram: „Steigt ein!“
Lecram steigt mit Sarah auf den Rücksitzt und hält dann ihre Hand fest. Rasch bekommt sie wieder Farbe im Gesicht und es scheint ihr wieder vollkommen gut zu gehen. Wie beim letzten Mal als wäre es ihr nie schlecht gegangen. Michael fährt los und Lecram frage geht an Sarah: „Was ist los mit dir?“
„Ich denke du wirst es gleich selbst sehen“, lächelt Sarah ihn wieder an und genießt es dass er ihre Hand fest hält.
Die Krähe fliegt ihnen hinter her.
Als sie im Tierpark ankommen nimmt Lecram sie wieder auf die Arme und geht zielstrebig hinter Michael her.
„Lecram, du kannst mich runter lassen. Es geht mir gut.“
„Ich denke nicht dass ich dich in letzter Zeit wirklich auf Händen getragen habe. Also schweig und genieße es.“
Diese Worte lösen bei ihr ein kichern aus. Also bleibt sie so wie sie gerade ist und versucht zu genießen. Sarah betrachtet sein hübsches, leicht feminines Gesicht mit den romantisch-wild ins Gesicht fallenden Haarsträhnen. Ihr gefällt sein sinnlicher Mund mit klaren Linien. Da Lecram bemerkt wie er gemustert wird, entlockt es ihm ein kleines Lächeln. Außerdem staunt sie dass er sie mit einer solchen Leichtigkeit trägt.
Lecram geht immer noch hinter Michael her. Heute schlagen sie einen anderen Weg ein. Sie nehmen einen kleinen eher unscheinbaren neben Eingang auf der rechten Seite des riesigen Anwesens. Michael führt sie durch einen separaten, überaus engen Gang. Es scheint als gingen sie eine Art Wendeltreppe hinunter. Wobei es in diesem Gang keine Treppenstufen gibt und immer leicht abwärts zu gehen scheint. Das Licht ist sehr dürftig, daher wirkt der Weg ungemein düster. Sarah muss sich ganz eng an ihn anschmiegen damit er sie in diesem schmalen Gang überhaupt tragen kann.
Unten, am Ziel angekommen, gehen sie durch eine schwere stahl Türe und kommen in ein riesiges Kellergewölbe. Es scheint fast so als wäre das ganze große Anwesen komplett unterkellert. Es muss mehrere Räume geben. Lecram staunt, aber geht kommentarlos immer noch hinter Michael her. Nachdem sie einigen solchen Kellern passiert haben kommen sie in den vermutlich größten Raum. In diesem Raum steht ein überdimensional großer Käfig wohl aus sehr dickem Stahl.
Hier unten sieht Lecram auch Theo und Gloria stehen. Sie scheinen auf Sarah zu warten. Also setzt er Sarah sanft ab und sieht sie dabei mit einem Fragezeichen im Gesicht stehend an. Natürlich sieht Sie seinen fragenden Blick als er das seltsame kleine Wesen in diesem großen Käfig sieht. Lecrams Augen werden ganz groß und sein Mund bleibt sozusagen offen stehen. Sarah hat im Moment keine Zeit für genaue Erklärungen, daher geht sie direkt auf Gloria und Theo zu:
„Wie ist euer Gefühl bei unserem süßen Überraschung Gast? Einer der guten?“
„Es spielt keine Rolle wie unser Gefühl ist. Dieser kleine Racker gehört nicht in diese Welt. Er muss zurück.“
Erklärt Theo relativ sachlich als wäre das hier das normalste Vorgang der Welt.
Lecram hat sich gefangen und fragt neugierig nach:
„Entschuldigt bitte…, aber - ist das da drin so etwas wie ein Drache?“
Gloria gibt ihm mit einem: „Jupp“, die Antowort.
„Der ist aber ziemlich klein. Ich habe mir Drachen irgendwie grösser vorgestellt“, ist Lecram tatsächlich irgendwie endtäuscht.
Als hätte der kleine Drache Lecram verstanden faucht der kurz auf. Dabei steigt kurz etwas Rauch aus seinen Nüstern.
Alle sehen Lecram grinsend an und Theo erklärt lächelnd:
„Ja, alle stellen sich die Drachen so unendlich Groß vor. Natürlich gibt es auch größere. Aber Tatsache ist, dass die Drachen und die Gargoyles im selben Tal leben. In der Nacht wachen die Gargoyles und am Tag wenn einige steinern sind, werden sie von den Drachen beschützt. Sie arbeiten zusammen. Die Drachen gibt es in sehr unterschiedlicher Form.“
Lecram kann nicht anders und lächelt in die Richtung des Drachen.
„Der ist ja irgendwie niedlich… Ich meine der ist ja in etwa gerade so groß wie eine Katze.“
In dem Moment, als Lecram seinen Satz beendet hat speit der kleine Drache Feuer aus seinem Rachen. Gloria formt ein Schutzschild um sie herum und sieht dabei Lecram an:
„Deine Worte scheinen ihm nicht sehr zu gefallen. Mässige dich!“
Lecram staunt über Glorias Leichtigkeit diesen Schutzschild aufrecht stehen zu lassen. Das beeindruckt ihn und er erinnert sich: „Du bist also die Hexe und das Tor.“
Gloria schüttelt ihren Kopf und lässt den Schutzwall verschwinden da der Drache aufgehört hat. Der kleine Drache schlägt mittlerweile mit seinen langen Schwanz unruhig hin und her.
„Nicht ganz…, ich bin die Hexe und Sarah ist das Tor. Da Sarah ihre Gabe nur für das Tor verwenden kann ist sie die stärkste Tor Hüterin die es je gegeben hat. Fenia hat es irgendwie geschafft die Kräfte zu verteilen damit wir beide am Leben bleiben können.“
„Unglaublich“, staunt Lecram immer noch über die vielen Neuigkeiten und will natürlich noch mehr wissen. Dabei schaut er zu Sarah.
„Was bedeutet das dass du eine starke Behüterin bist?“
„Ich brauche nicht das Tal der Makiani um das Tor zu öffnen oder zu schließen. Das geht genau dort wo ich es gerade will. An jedem X beliebigen Ort.“ Ist Sarah froh ihm die Antwort hier und jetzt geben zu können. Das macht die Sache irgendwie einfacher.
„Warum wird dir dann manchmal so schlecht? Hat das hiermit zu tun“, kombiniert Lecram.
„Ja. Jedes Mal, wenn von Malon etwas hier ankommt geht das so. Ich komme dann her und schicke sie zurück.“
Lecram versucht echt so gut es geht so auf die Schnelle zu begreifen und macht dabei ein sehr nachdenkliches Gesicht.
Der Drache grummelt mittlerweile ganz leise vor sich hin.
Und Lecram findet ihn immer noch super süß. Es scheint fast so als zieht ihn der Drache magisch an. Die anderen fachsimpeln noch etwas über den Drachen und stellen Vermutungen an weshalb, wieso, warum er eventuell auf diese Seite geschickt wurde. Lecram wendet sich ab und schenkt dem Drachen seine Aufmerksamkeit.
„Ist dieser ein lieber… ich meine ein netter kleiner Kerl? Also ich meine, ist er freundlich und werden die größeren Drachen geritten?“
Lecram hat die Aufmerksamkeit zurück und Theo erklärt: „Früher gab es mal Drachenreiter. Doch die Zeit scheint vorbei zu sein. Bis anhin wurde kein Drachenreiter mehr gesehen.“
„Drachen wie auch Gargoyles sind gutmütige Wesen. Bei Drachen ist die Reizschwelle nur etwas kleiner als bei anderen. Dieser scheint nett zu sein, er spuckt nicht dauernd Feuer.“ Erklärt Gloria schmunzelnd und der kleine Drache brummt kurz laut und energisch auf.
„Ob dieser hier zu den guten oder bösen gehört spielt aber keine Rolle. Dieses Wesen gehört nicht hier hin. Also schickt Sarah ihn wieder zurück. Ende der Geschichte.“
Ist die sachliche und logische Antwort von Theo.
Doch der Drache scheint mit dieser Aussage nicht zufrieden zu sein und stampft mit seinen kurzen Beinen hin und her, dabei brummelt er immer noch halblaut etwas vor sich hin. So, als würde er eine Geschichte erzählen. Lecram ist so fasziniert von dem Drachen dass er seinen Blick gar nicht abwenden kann. Während er zu den anderen spricht sieht er weiterhin nur den Drachen an: „Und wenn dieser hier euch etwas mitzuteilen hat? Sieht ihn doch an, spürt ihr nicht die Magie die von ihm aus geht?“
„Werden wir das nicht erfahren weil niemand von uns die Drachen versteht. Also…, Sarah schick ihn bitte zurück. Wir haben genug geredet.“
Ist Theo felsenfest überzeugt dass dies die richtige Entscheidung ist.
Doch Lecram unterbricht schon wieder: „Was ist mit Migdal und Lamos? Ihr habt erzählt dass sie zusammen leben. Können sie nicht…“
„Nein, die Gargoyles und Drachen sprechen nicht miteinander. Sie scheinen sich einfach zu ergänzen“, ist Theo der wieder Rede und Antwort steht. Doch Lecram gibt immer noch nicht auf und sieht zu Sarah.
„Bitte warte! Sind es immer Tiere die hier durch kommen?“
Sarah nickt: „Ja. Meistens sind es Krähen. Viele haben wir anfangs behalten und in die…“
„…Voliere gesteckt“, begreift Lecram und sieht zu Theo als er gezielt fragt: „Wisst ihr wer die Tiere auf diese Seite schickt?“
Theo stöhnt auf und ist es langsam leid diese Fragen zu beantworten: „Wir nehmen an es ist Fenia. Ob sie es von sich aus tut oder Aros sie zwingt wissen wir nicht.“ Theo wird ungeduldig. „Sarah…, schick ihn jetzt bitte zurü…“
„Nein, warte noch…“, unterbricht Lecram wieder und geht Schritt für Schritt näher an das Gitter zum Drachen heran. Er ist von dem mini Drachen irgendwie magisch angezogen. Lecram hört ein brummen in seinem Kopf und hat das Gefühl das sich aus dem brummen langsam Wörter bilden. Der kleine Drache brummt immer noch vor sich hin und sieht jetzt mit seinen großen gelben Augen direkt zu Lecram. Als der Drache die ganze Aufmerksamkeit von Lec hat positioniert sich der Drache so, dass er Lecram direkt im Blickfeld hat und Lecram geht weiter auf den Käfig zu. Beide sind gefangen in ihren Blicken.
Gloria, Theo und Michael rufen gleichzeitig: „Lecram nicht!“
Doch Sarah steht mit dem Rücken zu Lecram und sieht die anderen dabei ernst an als sie ganz leise erklärt: „Lasst ihn. Habt etwas Vertrauen. Seht den Drachen an er ist in guter Laune und Lecram ist im Moment nicht bei uns. Sieht ihn mal an. Lasst der Magie ihren Lauf…“
Tatsächlich…, nun sehen es die anderen auch. Der Drache spielt mit seinen Ohren hin und her und brummt immer noch leise vor sich hin. Der kleine Drache ist etwa so groß wie eine kleinere Katze mit einem verlängerten Schanz. Er schimmert hübsch in Pastellfarben und hat die ganze Aufmerksam von Lecram und scheint als würde der Drache etwas erzählen. Lecram scheint auch rundherum nichts mehr war zunehmen als das kleine Wesen das vor ihm ihm steht. Als wären beide in einer anderen Welt eingetaucht. Schlussendlich ist Lecram ganz dicht am Gitter und hält seine Hand einfach hindurch. Der Drache hält seine Nase an Lecrams Hand und bläht dabei die Nüstern auf. Der Drache scheint Lecrams Duft in sich auf zu nehmen.
Dann wird es ziemlich still.
Drache und Lecram sitzen Auge um Auge da als würden sie sich etwas Spannendes erzählen. Dabei fallen jedoch keine Worte. Nach einer Weile lächelt Lecram zufrieden. Glücklich dreht sich er nun um und sieht in die fragenden Gesichter.
Lecram richtet sein Wort an: „Sarah, du kannst ihn zurück schicken. Er ist jetzt bereit zu gehen.“
Sarah liest in Lecrams Augen wie glücklich und zufrieden er in diesem einen Moment gerade ist. Also nickt sie und macht sie ein paar Handbewegungen und eine Art durchsichtige Blase hüllt den kleinen Drachen ein. Und als würde die Blase zerplatzen ist bereits alles wieder verschwunden samt Inhalt. So als wäre der kleine nie da gewesen.
Alle im Raum sind noch sprachlos. Bloß Sarah lächelt Lecram an und möchte nun eine Antwort: „Was hat er dir denn erzählt. Drachen Versteher.“
Lecram zwinkert kurz so, als würde er gerade erwachen. Dann sieht er sich im Raum um und sieht dass sich mittlerweile die ganze Familie Halbmond hier unten eingefunden hat. Auch seine Mutter Maria ist gekommen, darüber ist er sogar sehr froh. Dann sieht von Maria die Bens Hand fest hält in die Menge und erklärt:
„Der Drache wurde von Fenia geschickt. Ihr hattet also all die Zeit Recht mit eurer Vermutung. In Zukunft wird sie niemanden mehr her schicken können.“ Lec geht auf Sarah zu und streicht ihr sanft über die Wange: „Sarah du bist frei und kannst entspannen. Der Drache wurde geschickt um mir zu zeigen was ich sein kann. Er sollte mir meine Zweifel nehmen. Denn Fenia hat geschworen mich zu beschützen. Wir sollen vor Liv und Adam keine Angst haben. Sie können uns nichts anhaben. Ich soll euch vertrauen und mit euch gehen wo auch immer der Weg endet.“
Er zuckt anschliessend mit der Schulter auf.
„Hast du Fenia gesehen?“, fragt Maria hoffnungsvoll.
Lecram schüttelt den Kopf: „Nicht direkt. Es war alles sehr verschleiert. Sie scheint in Sicherheit zu sein. Aber nicht frei. Wir sollten sie da raus holen, wo auch immer sie steckt.“
Die Familienmitglieder sehen sich ratlos an. Eine interessante Sache die da gerade passiert ist und der eine oder andere hätte mit Bestimmtheit noch Fragen. Trotzdem überlassen sie Lecram jetzt Maria, Gloria und Sarah.
Die restlichen der Familie gehen wieder an die Arbeit. Die Frauen gehen mit Lecram hinauf in die Küche und trinken einen starken Kaffee. Es ist Zeit für ein Paar Erklärungen. Maria erklärt Lecram dass Sarah, Gloria, Theo und sie selbst mit den Gargoyles nach Malon reisen und zwar in den nächsten Ferien, was nicht mehr allzu lange dauert.
Maria meint: „Vielleicht solltest du mit uns kommen.“
„Ich überlege es mir. Da ist ja noch etwas Zeit.“
Ist das einzige was Lec nach so vielen Informationen als Antwort bieten kann. Er muss das erlebte selbst zuerst verarbeiten. So viel neues das auf ihn zugekommen ist. Dinge die er nicht erwartet hat geschehen hier und jetzt.
„Lecram, war das alles was dir der Drache gesagt hat?“
Kommt dann doch noch die berechtigte Frage von Sarah.
Lecram hört ihren Zweifel in der Stimme.
„So in etwa…“ Antwortet Lecram lächelnd und Sarah spürt genau dass er in diesem Moment nicht mehr dazu sagen wird.
Gloria findet die ganze Angelegenheit schon irgendwie merkwürdig: „Woher wusste Fenia bloß dass jetzt der richtige Zeitpunkt war, um dir zu zeigen was du für Fähigkeiten hast?“
Lecram zuckt mit der Schulter auf und Maria macht einen Vorschlag: „Lecram du darfst gerne hier wohnen. Bleib doch einfach bei uns. Ich hätte dich gerne in der Nähe…“
„Nein, ich bin noch nicht so weit. Aber danke für das Angebot.“
Maria kann sein Verhalten durchaus verstehen. Warum soll er so Hals über Kopf alles umkrempeln. Maria fällt außerdem auf dass er die ganze Zeit über Sarahs Hand fest in seiner hält. Ob das gut ist kann sie in diesem Zeitpunkt nicht beurteilen.
Gloria hat noch eine zündende Idee: „Lecram hör mal. Ich habe ein dickes Buch mit Zaubersprüchen. Vielleicht ist es gut wenn du ab und an hier vorbei kommst. Vielleicht steckt da noch mehr in dir als wir wissen.“
Sein Gesichtsausdruck wird ernst und er zieht die Augen eng zusammen.
Nach einer Weile spricht er: „Vielleicht wirklich eine gute Idee. Aber jetzt muss ich wirklich gehen. Entschuldigt.“
Dafür haben die anderen durchaus Verständnis. Maria möchte ihn nach Hause fahren und Lecram nimmt das Angebot gerne an. Sarah muss sich wieder mal verabschieden.
„Na dann.“ Steht sie befangen auf dem großen Parkplatz.
„Na dann, das nächste Mal komme ich als Gargoyle wieder. Achte auf die Krähe ich schicke sie voraus.“
Lächelt Lecram liebevoll und gibt ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Sarah hat sich mehr erhofft, nimmt aber an was sie kriegt. Was für ein Ereignisreicher Tag. Sie sieht ihnen wieder zu bis sie aus der Reichweite sind.
Die Krähe ist noch nicht los geflogen. Sie sitzt noch in der Nähe von Sarah und beobachtet sie eingehend. Fragend sieht Sarah die Krähe an.
„Hey, musst du nicht los?“
Die Krähe kräht kurz aber laut auf und fliegt dann los. Sarah sieht auch ihren Flügelschlägen nach bis sie außer Reichweite ist.


Marcus

Lecram kommt ausgesprochen gut gelaunt bei sich zu Hause an. Das Ereignis mit dem Drachen war einfach wundervoll. So muss es sich wohl anfühlen wenn man Stone ist. Etwas ein maliges ist da gerade passiert. So gut wie in diesem Moment hat er sich noch nie gefühlt.
Liv und Adam sehen jedoch ziemlich sauer aus. Adam tritt ganz nah an Lecram heran und spricht ziemlich laut: „Ich dachte du wolltest an den Markt?“
„War ich auch. Doch dann zog es mich noch zu Sarah nachhause.“
„Willst du uns ärger machen?“ Ist auch Liv verärgert und zeigt mal eine Reaktion ihrer Gefühle. Das wiederrum belustigt Lecram. Wütend ist sie noch hübscher als sonst.
„Was ist los…, ist Marcus nicht da? War heute ein und dieselbe Person an zwei Orten zu sehen. Irgendwie cool.“
Als Lecram den Satz fertig gesprochen hat kommt Marcus die Treppe hinunter und ergänzt: „Nein, ich bin die ganze Zeit hier im Haus gewesen. Ihr könnt euch alle beruhigen. Lecram und ich haben das abgesprochen. Alles im grünen Bereich.“
Lecram ist erstaunt dass Marcus für ihn initiative übernimmt. Also schnappt sich Lecram ein großes Stück Brot und geht hinauf in sein Zimmer. Marcus folgt ihm auf den Versen bis in sein Zimmer und schließt die Tür hinter sich: „Bist du mit Sarah zusammen?“
„Noch nicht, würde aber gerne“, ist die Antwort nicht einmal so weit weg von der Wahrheit.
„Hör zu, ich habe sie auch eingeladen mit mir mehr Zeit zu verbringen. Also halt dich zurück.“
Dieser Satz von Marcus fühlt sich bei Lecram nicht gut an. Am liebsten würde er seinem Bruder spontan eine rein hauen. Doch er reißt sich zusammen er darf jetzt nicht ausflippen und fragt lediglich desinteressiert: „Was willst du denn von Sarah?“
„Nichts. Ich will sie bloß näher kennen lernen. Um zu verstehen weshalb du so verrückt nach ihr bist. Irgendwas muss ja an ihr dran sein…“
„Du musst nicht mit ihr ausgehen um mir eins auszuwischen. Da du dich frei bewegen kannst hast du so oder so die besseren Karten. Ich bin ja nur das Biest.“
„Stimmt. Also pass dich gefälligst in deiner Woche so gut wie möglich an. Sonst hast du bald keine Samstage mehr zur freien Verfügung.“
Lecram steht auf und geht nah an seinen Bruder heran. Sie stehen Auge um Auge da und Lecram spricht leise: „Du willst mir drohen?“ Seine Augen funkeln bei diesem Satz kurz auf.
„Du hast mich wohl verstanden.“
„Marcus, du hast ja keine Ahnung wer ich geworden bin.“
„Genau so wenig wie du über mich Bescheid weißt.“
„Im Gegensatz zu dir macht mir das keine Angst mehr. Ich bin ein Gargoyle und kräftiger als du. Also gib du bloß acht was du tust und sagst. Die Dinge können sich für dich rasch ändern.“
Die Luft im Raum scheint zu vibrieren. Plötzlich fliegt die Krähe ans Fenster und schlüpft durch das offene Fenster hinein. Da Lecram das Fenster meistens etwas geöffnet lässt ist das für die Krähe ein leichtes Spiel. Die Krähe fliegt auf Lecram zu und nimmt auf seiner Schulter Platz. Lecram zuckt nicht zusammen. Doch sein Bruder findet es absurd und geht etwa drei Schritte zurück.
„Ist das Vieh so etwas wie dein Haustier geworden?“
Lecram schüttelt seinen Kopf: „Nein, er darf machen was er will. Zurzeit ist er mein Begleiter und ich achte auf die Zeichen die er mir gibt.“
„Seine Zeichen?“ Marcus versteht nicht und schaut die beiden seltsam an.
„Marcus…, ich sage ja du verstehst nicht das Geringste. Lass Sarah in Ruhe!“
Mit den Worten: „Du spinnst ja noch mehr als ich angenommen habe“, geht Marcus aus der Tür und schlägt sie laut hinter sich zu. Lecram lächelt vergnügt und spricht zur Krähe: „Hey, das hast du gut gemacht. Wir schinden Eindruck. Der Gargoyle und sein Rabe.“ Bei diesen Worten muss selbst er grinsen.
Die nächsten Tage laufen wie gehabt. Lecram hält es nicht für wichtig sich bei Sarah zu melden. Er hat immer noch das Gefühl es sei das Beste für sie wenn er sich zurückhält. Ab und an hat er das Handy in der Hand und ist kurz davor ihr zurück zu schreiben. Doch immer bevor er es abschicken soll löscht er es wieder. Er möchte bei ihr sein und doch auch wieder nicht!
Seine Gedanken kreisen auch um den Drachen. Das mit dem süßen Drachen war schon ein super Gefühl. Bis anhin hat er gedacht er ist verdammt. Doch seit dem Erlebnis mit dem Drachen wird ihm Bewusst dass er durchaus mehr als nur der Gargoyle das Biest ist. Dass er durch Zufall seine wahre Familie gefunden hat ist bemerkenswert. Wenn er es zuließe akzeptieren sie ihn wie er ist. Für sie ist er nicht fremdartig und das ist schon einzigartig.
Heute Nachmittag Google er etwas im Internet um so viel wie möglich von Magiern, Zaubern und Hexen zu erfahren. Da steht allerlei, aber damit kann er nichts anfangen. Interessant ist es trotzdem. Etwas später hört er Marcus nach Hause kommen. Lecram schaut auf seine Wanduhr und ist erstaunt wie rasch doch die Zeit vergeht. Liv und Adam sind noch nicht da. Doch dann stutzt Lecram etwas weil er eine weitere Stimme zu hören bekommt. Wenn ihn seine Ohren nicht täuschen ist das tatsächlich Sarahs Stimme. Er geht an seine Tür um zu lauschen.
Tatsächlich sind Marcus und Sarah unten im Wohnzimmer.
Marcus holt für Sarah ein Getränk aus der Küche und reicht es ihr.
„Danke, schön habt ihr es hier“ Macht Sarah etwas smal Talk und lächelt aufgesetzt.
„Weißt du was mir aufgefallen ist?“ Fragt Marcus.
„Du wirst es mir gleich erzählen.“
„In der Schule oder wenn man sonst mir dir Zeit verbringen will kriegt man dich nie alleine. Außer wenn du zu mir nach Hause kommst. Hat das einen Grund?“
„Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Anscheinend vertrauen sie dir.“ Versucht Sarah dieser Frage auszuweichen. Aber Marcus hat Recht, sie verhalten sich nachlässig. Also fragt Sarah ihn gleich direkt: „Warum hast du mich zu dir nach Hause gebracht? Wir hätten auch wo anders hin gehen können.“
Marcus lacht laut auf: „Für wie blöd haltet ihr mich eigentlich.“
„Keine Ahnung, sag du es mir.“
„Du kennst Lecram, stimmt’s?“ Spricht Marcus und geht jetzt langsam auf Sarah zu. Er steht ihr ziemlich na, doch sie bleibt ruhig stehen und schaut ihm ins Gesicht. Die Haare fallen in sein Gesicht und er kneift die Augen zusammen. Irgendwie sieht er im Moment etwas bedrohlich aus.
Glücklicher Weise hört sie oben ein Geräusch und weicht aus: „Wir sind nicht alleine?“
„Nein, Lecram wird oben sein und uns zu hören. Die Frage ist bloß wie lange es dauert bis er runter kommt.“
„Wie lange hattest du bereits diese Ahnung?“ Ist die Gegenfrage von Sarah.
„Seit letzten Samstag. Du bist in der Schule sehr abweisend und da soll ich davon ausgehen dass du dann praktisch einfach so den ganzen Samstag freiwillig mit mir rum hängst. Wohl kaum.“
„Gut kombiniert. Doch du hast nur gepokert, gewusst hast du es nicht.“
„Schon möglich. Doch sag, was hat uns verraten?“ Möchte Marcus genauer wissen.
„Nenn es gegenseitige Anziehungskraft. Wobei auch die Krähe mitgeholfen.“
„Die Krähe also“, scheint für Marcus einleuchtend und spricht ziemlich ernst weiter: „Hör zu, Lecram verändert sich. Er wird noch ernster wie zuvor. Pass auf dass er nicht zum Eigenbrötler wird. Ich bin nicht sicher ob du gut für ihn bist.“
„Du sorgst dich um ihn?“
Marcus lacht laut auf: „Vielleicht, vielleicht auch nicht.“
„Marcus, wir wissen einfach nicht woran wir mit dir sind.“ Spricht Sarah aus was alle über ihn denken.
Wieder lacht Marcus laut auf und geht dabei ein paar Schritte im Wohnzimmer umher. Bevor er dann wieder zu Sarah hingeht und wieder ganz nah an sie heran tritt. Dann streicht er ihr durchs kurze Haar und meint lediglich: „Da geht es dir wir mir.“
Sarah sieht ihm ins Gesicht und hat das Gefühl er meint es ernst. Sie stehen noch eine Weile so da bis sie Lecram die Treppe hinunter kommen hören. Lecram hat eine große Tasche dabei. Sein Gesichtsausdruck ist angespannt und sehr ernst. Und als er die beiden so nah bei einander stehen sieht spricht er laut aus: „Ihr seid ein hübsches Paar. Versucht es doch mal miteinander.“
Dass er mit diesen Worten Sarah verletzt scheint ihm egal zu sein. Sie sieht ihn ratlos an und Marcus lächelt als er seinem Bruder erklärt: „Vielleicht eines Tages wenn sie dich vergessen hat und bemerkt was ich für ein toller Kerl bin. Wohin gehst du?“
„Ich ziehe um. Habe eine Familie gefunden die mich so wie ich bin akzeptiert.“
„Waaaas?“ Ist Marcus jetzt etwas entsetzt. Mit so etwas hat er nicht gerechnet.
„Da du jetzt weißt dass Sarah unser Geheimnis kennt brauche ich auch nicht hier zu bleiben wo ich im Gefängnis lebe. Lebe wohl – Bru-der.“
Sarah hat noch kein Wort gesprochen. Sie ist genauso überrascht wie Marcus. Sie sieht die beiden abwechslungsweise an und Lecram fragt Sarah direkt: „Soll ich dich mitnehmen oder bleibst du hier noch etwas bei deinem Date?“
Bevor sie etwas sagen kann geht Marcus auf Lecram zu. Sie stehen Auge um Auge da. Marcels Gesichts Ausdruck ist schwierig einzuschätzen. Für Sarah sieht Marcus besorgt aus.
„Ist das wirklich dein Ernst?“, möchte Marcus von seinem Bruder nochmal bestätigt haben.
Lecram nickt lediglich und Marcus stöhnt leise auf.
„Ich fahre euch. Dann habe ich wenigstens gleich das Auto zurück.“
Kommentarlos geht Lecram nach draußen und die anderen folgen ihm auf den Versen. Sarah hat immer noch kein Wort gesprochen. Lecram sieht automatisch nach der Krähe und schickt ihn voraus. Dann steigt Lecram ins Auto. Jetzt sieht Sarah zu Marcus auf: „Da siehst du mal was du angerichtet hast.“
„War das geplant?“ Will Marcus wissen.
„Natürlich nicht! Wie kannst du so etwas denken.“ Platzt Sarah fast der Kragen. Damit ist vorerst alles gesagt. Und Marcus fährt die beiden wortlos zum Tierpark. Angekommen steigt Marcus nicht aus, sondern fährt gleich wieder zurück. Marcus ist sichtlich durcheinander denn er weiß nicht wie er das seinen Eltern bei bringen soll! Was für ein Schlamassel!
Sarah und Lecram stehen nun alleine auf dem Parkplatz und Sarah schaut ihn an: „Was zur Hölle ist denn plötzlich in dich gefahren?“
„Maria hat es mir doch angeboten.“
„Ja schon, aber warum jetzt?“
„Wenn du mir vorhin zugehört hättest wüsstest du warum. Und ich vertraue auf Fenias Worte.“
„Ist dir nie in den Sinn gekommen dass Fenia unter einem Bann stehen kann und nur Aros Befehle ausführt? Vielleicht ist das eine Falle!“ Erklärt Sarah als sie zusammen in die Richtung der Haustüre gehen.
„Klar habe ich daran gedacht. Aber es ist mir im Moment egal. Ich gehöre hier hin.“
Anschließend gehen sie hinein und Maria lächelt liebevoll als Lecram sein Anliegen erklärt.
„Lecram, wenn es dir nichts ausmacht kannst du zu Theo ziehen. Er hat noch genügend freie Zimmer zur Auswahl.“ Freut sich Maria aufrichtig.
Lecram nickt und verschweigt seine kleine Endtäuschung dass er nicht bei Maria leben darf. Doch Maria scheint seine Gedanken zu spüren.
„Aber du kannst jederzeit herein kommen. Du brauchst nicht anzuklopfen. Mein Haus ist auch dein Haus.“
Dann nimmt sie Lecram in den Arm und er ist gerührt. So viel Wärme und Liebe hat er noch nicht erfahren dürfen. Er liebt seine Mutter jetzt schon. Da Theo gerade zur Tür rein kommt und er Lecram mit der Tasche sieht spricht er gerade heraus: „Also ziehst du doch bei uns ein. Guter entscheid. Na los, komm mit.“
Gerne geht Lecram hinter Theo her. Sie nehmen gleich denn Eingang gegenüber. Die Wohnung von Theo ist bedeutend kleiner, aber auch noch groß genug für vier bis fünf Personen.
„Das ist mein Schlafzimmer. Dieses hier mein Büro. Von den anderen beiden Zimmern kannst du dir aussuchen welches du möchtest.“
„Danke.“
„Ich gehe dann wieder zu Maria hinüber. Leb du dich zuerst etwas ein. Mach wie du willst.“
„Hast du denn keine Angst dass ich deine Sachen durchwühle?“ Kommt diese Frage wie automatisch von Lecram.
Theo lächelt. „Ich habe keine Geheimnisse vor dir. Wenn du etwas findest und Fragen darauf hast dann frag einfach. Es gibt nichts zu verheimlichen. Klar?“
„Geht klar.“
Diese Regel gefällt Lecram und er bleibt alleine in der Wohnung zurück. Er sieht sich die beiden Zimmer eingehend an. Er wählt dasjenige mit der direkten Sicht auf den Parkplatz. Dann nimmt er seine wenigen Sachen und räumt sie ein. Er weiß genau dass sein Bruder fluchen wird wenn er sieht welche Klamotten er mitgenommen hat. Aber was soll‘s, er kann sich ja neue besorgen. Auch seinen Laptop stellt Lecram auf den Schreibtisch und schließt ihn an. Dann nimmt er das Schriftstück hervor dass er damals von Liv und Adam abgeschrieben hat. Er legt es in die Schublade vom Schreibtisch und überlegt wann er Theo oder Maria davon erzählen soll. Er kann sich denken dass die beiden diese geschriebenen Worte lesen können. Aber will er es denn schon wissen?
Marcus fährt zurück und parkiert vor dem Haus. Dann fährt er mit seinen Händen über das Gesicht. Was tut sein Bruder ihm da nur an! Nun sieht Marcus den Wagen von Adam. Zielstrebig und einigermaßen gefasst geht er hinein. Adam sieht ihn an und meint: „Oh, ich dachte du seist Lecram. Hockt der schon auf dem Dach und wartet bis er sich verwandelt? Ist etwas früh.“
Das sollte wohl als Scherz gemeint sein.
„Nicht ganz“, beginnt Marcus zu schwitzen. Liv die gerade wieder ihr Müsli vorbereitet wird neugierig: „Wie meinst du das?“
Marcus stöhnt auf: „Setzt euch hin…, er ist zu Sarah gezogen!“
Eigentlich hat Marcus damit gerechnet dass die beiden ausflippen. Doch das tun sie nicht. Sie sehen sich sogar lächelnd an. Marcus versteht die beiden nicht.
„Hallo…, jemand zu Hause, ich habe euch gerade gesagt dass Lecram ausgezogen ist.“
„Das haben wir gehört. Es ist in Ordnung.“
Ist Adams einfache Antwort und Marcus versteht die Welt nicht mehr. „Es ist gut so???? Spinnt ihr denn jetzt alle Komplet?“
Adam bleibt ruhig und wendet sich jetzt ganz Marcus zu: „Anscheinend hat Lecram gefunden wonach Liv und ich die ganze Zeit über gesucht haben. Also ist alles im grünen Bereich.“
„Und was ist mit mir? Habt ihr auch einen Plan für mich?“ Schluckt Marcus etwas.
„Marcus es ist eigentlich ganz einfach…, du wirst tun was du tun musst.“
„Und das wäre?“
„Du führst sie zu Aros. So ist es für dich bestimmt.“ Erklärt Liv in aller Ruhe während sie einen Löffel isst.
Doch Marcus versteht immer noch nur Bahnhof. „Wer ist in Gottes Namen denn Aros?“
„Alles zu seiner Zeit mein Junge“, ergänzt Adam lächelnd.
Marcus zieht sich verwirrt in sein Zimmer zurück. Sind denn nun alle komplett übergeschnappt? Hoffentlich ist es nicht ansteckend. Ob Lecram mit seinen verrückten Vermutungen Recht hatte…
Heute wird er es wohl nicht mehr herausfinden. Er geht unter die Dusche und schüttelt alles von sich ab. Marcus versucht sich auf den Abend zu konzentrieren. Denn er geht mit Chèn, Michael und Sarah nach Halifax. Darauf freut er sich. Wobei er nach den heutigen Vorfall nur hoffen kann dass Sarah ihr Versprechen einlöst und auch mitkommt. Marcus geht zwar nicht davon aus dass er mit Sarah viel zum sprechen kommt. Denn wenn Chèn und Sarah zusammen sind, hängt sich Chèn meistens an ihre Seite. Die beiden mögen sich immer noch sehr gut leiden. Trotzdem lächelt Marcus still vor sich hin weil er automatisch davon ausgeht dass Lecram noch nichts von dem Ausgang weiß. Und das gefällt ihm irgendwie. Ja er möchte seinen Bruder eins auswischen.
Kurze Zeit später steht Marcus also bereits wieder bei Sarah vor der Haustür um sie und Michael abzuholen. Michael und Sarah haben sich vorgenommen etwas mehr über Marcus heraus zu finden darum gehen sie schließlich heute Abend ja mit. Maria öffnet die Tür und sieht den Jungen der vor ihr steht seltsam berührt an. Sarah hat ihr ja gesagt dass die zwei genau gleich aussehen…, sie ist jetzt aber trotzdem sprachlos. Schließlich ist das ihr Junge der da vor ihr steht. Auch wenn er das noch gar nicht weiß.
„Du - musst Marcus sein.“
„Genau.“
„Ich bin Maria“, spricht sie freundlich und reicht ihm die Hand zur Begrüßung. Die er ebenfalls nett lächelnd annimmt. Und dann stehen Michael und Sarah bereits in der Tür und sind bereit für den heutigen Abend. Bevor sie ins Auto steigen sieht Sarah nochmal über die Schulter zum Anwesen zurück und sieht Lecram am Fenster stehen. Ihr Magen zieht sich zusammen. Wenn es nach ihr ginge wär sie jetzt liebend gern bei Lecram. Doch Lecram ist im Moment nicht sehr zugänglich. Er scheint melancholisch und In-Sich-Gekehrt. Vielleicht hat Marcus ja doch recht mit seiner Aussage er verändert sich. Vielleicht schadet sie ihm tatsächlich…
Mit Chèn entscheiden sie gemeinsam dass sie nach Halifax ins Kino gehen. Wie Marcus zuvor schon angenommen hat hängt Sarah bei Chèn ein und die beiden laufen gemeinsam voraus. Michael will die Chance nützen um etwas über Marcus heraus zu finden.
„Stört es dich dass wir von dir und deinem Bruder wissen?“
„Ich verstehe nur nicht weshalb er zu euch gezogen ist.“ Schüttelt Marcus seinen Kopf leicht.
„Wir sind eine seltsame Familie da passt er wohl einfach gut hinein. Was haben eure Eltern dazu gesagt.“
Marcus kneift seine Augen schmal zusammen und ist sich nicht sicher ob er Antwort geben soll.
Er tut es doch: „Wenn ich dir das erzähle hältst du mich für verrückt.“
„Kommt auf einen Versuch an.“
„Sie finden es in Ordnung. Er habe gefunden wonach sie schon lange gesucht haben. Verstehst du das? Ich dachte die flippen aus. Aber nein, sie finden es in Ordnung.“
Michael bleibt kurz stehen und sieht Marcus dabei ernst an.
„Hör zu. Für mich macht das sehr wohl Sinn was deine Eltern da gesagt haben. Für dich mag das noch seltsam klingen. Wenn du nach Antworten suchst, komm zu uns und wir sprechen darüber.“
Marcus nickt Michael zu. Dann gehen die beiden weiter und Michael hofft dass er das Richtige gesagt hat. Michael hatte das Gefühl dass Marcus heute Abend die Wahrheit gesagt hat. Weitere Diskussionen haben sie an diesem Abend keinen Platz. Nach dem Kino Besuch essen sie noch eine Pizza und Marcus schäkert etwas mit Sarah. Bald ist es Zeit um nach Hause zu gehen und Marcus bringt alle sicher zurück. Im Großen und Ganzen war der Abend in Ordnung, das muss selbst Sarah sich eingestehen.
Sarah sieht bei Lecram noch Licht brennen und macht Michael zu verstehen dass sie ihn noch rasch aufsuchen möchte. Wie gewohnt geht sie einfach in die Wohnung. Dann klopft sie an Lecrams Tür.
„Komm herein“, hört sie Lecram sprechen und geht hinein. Sarah mustert ihn ein wenig da er eine übergroße Hose trägt die er vorne zusammengebunden hat. Darüber ein zu großes T-Shirt. Lecram lächelt leicht als er Sarahs Blick sieht und erklärt: „Ich erwache erst morgen Abend, also Sonntag, wieder und bin dann ein Gargoyle. Auch ein Gargoyle kann nicht die ganze Zeit nackt rum laufen.“
„Logisch“, lächelt auch Sarah. Sie hätte sich das ja auch irgendwie denken können warum er so seltsam angezogen vor ihr steht.
„Wie war der Abend“, will Lecram ablenken.
„Soweit ganz nett. Angenehmer als ich mir vorgestellt habe.“ Gibt Sarah zu.
„Etwas über Marcus heraus gefunden?“
„Nur dass deine Eltern…ich meine Liv und Adam gesagt haben du scheinst das gefunden zu haben was sie gesucht haben. Und darum ist es in Ordnung dass du hier bist.“
Lecrams Augen verengen sich, dabei sieht er nachdenklich aus. Diese stille macht Sarah halb wahnsinnig. Wenn er doch wenigstens seine Gedanken laut aussprechen würde.
„Lecram, sag doch was.“
„Ich denke du solltest gehen. Wir sehen uns.“
„Ist das alles? Kein Kuss kein Lächeln… Gar nichts.“ Spricht sie diesmal aus was sie denkt und Lecram stöhnt auf und rollt seine Augen.
„Willst du dass ich dich auf das Bett schmeiße und über dich her falle!“
„Das wäre wenigsten Mal eine Reaktion auf mich.“
„Sarah, es ist schwierig. Morgen bin ich mehr ich als ich jetzt bin. Klingt etwas doof, aber es ist wirklich so. Es wird sich wohl noch herausstellen ob du mich dann immer noch magst.“
„Jetzt denk doch nicht für mich und meine Gefühle für dich. Wie sind denn deine Gefühle zu mir?“
„Meine Gefühle stehen nicht zur Diskussion. Geh jetzt, bitte.“
„Du kannst doch deine Gefühle nicht verleugnen!“
Sarah sieht dass es keinen Sinn mehr hat mit ihm zu sprechen. Er hat sich hinter seiner Mauer versteckt. Sie geht auf ihn zu und schmiegt sich einfach an ihn. Lecram kann nicht anders als seine Arme um sie zu legen. Obwohl er vom Verstand her diese Umarmung überhaupt nicht gutheißen kann. Sarah genießt das wenige was sie bekommt. Lecram schließt seine Augen und schüttelt seinen Kopf.
„Du gibst wohl nicht so schnell auf…kleine Wächterin.“
Sarah lächelt ihn an.
„Niemals Drachen Versteh er.“
„Auch nicht wenn du dich in dein Verderben stürzt?“
„Wir werden ja sehen. Sehe ich dich morgen Nacht?“
Lecram Lacht auf und spricht lächelnd: „Ich wette du wirst mich finden.“
Dann bekommt Sarah einen sanften Kuss auf ihre Stirn und ist dann bereit zu gehen. Lecram macht sich bereit als Gargoyle das nächste Mal in den Spiegel zu schauen.


Der Brief

Als Lecram die Augen auf schlägt ist es schon später als er angenommen hat. Die Uhr an der Wand zeigt ihm dass er außerordentlich lange geschlafen hat. Seltsam, geht es ihm durch den Kopf. Normalerweise erwacht er früh in der Nacht.
Es fühlt sich seltsam an mal nicht auf dem Dach als Gargoyle zu erwachen. Aber hier ist er zu Hause und wollte mal ausprobieren wie es sich anfühlt im eigenen Zimmer auf zu wachen. Es fühlt sich nicht so gut an wie angenommen. Sein Magen knurrt und er schiebt diesen Gedanken bei Seite da er einen riesen Hunger hat. Er fragt sich ob er in dieser Gestallt einfach so hinunter zu Maria gehen kann… Warum nicht, also steht er auf und geht gerade aus dem Zimmer als unverhofft Theo vor ihm steht.
Theo erschrickt kurz: „Wow…Lecram?“
„Jupp, für die nächsten drei Wochen müsst ihr euch so mit mir rum schlagen.“
„Kein Problem. Hatte nur vergessen dass du dich ab heute als Gargoyle herum treibst. Hunger?“
„Und wie!“
„Na, dann geh zu Maria und Ben, die haben bestimmt noch irgendetwas für dich.“
Lecram bedankt sich mit einem kurzen Kopfnicken und stapft zum anderen Hauseingang hinüber. Bevor er eintritt zögert er etwas. Schließlich öffnet er die Türe und ruft vorsichtig: „Hallo jemand da?“
Von der Küche her antwortet Maria: „Lecram, komm rein. Ich habe dir doch gesagt dass du… Oh!“
Heute hat wohl niemand damit gerechnet ihn als Gargoyle zu sehen. Doch Maria lächelt als sie spricht: „Ich habe tatsächlich einen Gargoyle zur Welt gebracht.“ Dabei schüttelt sich lächelnd ihren Kopf.
„Wirklich witzig, Mutter.“
„Ach komm“, Sie sieht ihn liebevoll an, „so schlimm siehst du nun auch wieder nicht aus.“
„Also mir gefällt mein Spiegelbild nicht“, motzt Lecram etwas und schiebt seine Unterlippe vor.
„Denk daran, es ist nur ein Fluch. Und wenn wir wissen wie wir ihn beheben, machen wir das. Versprochen.“
„Danke.“
Lecram spürt dass Maria das so meint wie sie es gerade gesagt hat. Irgendwie findet er sie süß. Er ist so glücklich hier sein zu können. Behält es aber für sich.
Kurze Zeit später stößt Jonas dazu und sieht ihn breit grinsend an. Jonas geht an Lecram vorbei und will ihm einen kleinen Klaps auf die Schulter geben.
„Au!“ Schüttelt er seine Hand vor Schmerz, „Stimmt ihr seid ja ziemlich hart im nehmen.“
Diesmal grinst Lecram breit. Die Familie behandelt ihn so als wäre er nicht anders und das fühlt sich gut an. Jonas nimmt sich noch einen großen Joghurt aus dem Kühlschrank und bietet Lecram auch einen an.
„Danke, aber mein Hunger ist etwas - grösser.“ Lehnt Lecram das Angebot ab.
Maria bietet an: „Soll ich dir noch etwas zu Essen machen?“
Lecram sieht dass es ihr voller ernst ist. Seine Mutter möchte für ihn sorgen. Ungewohnt aber schön.
„Ähm…, ja gerne. Danke.“ Nimmt er das Angebot nur zu gern an. Daran könnte er sich glatt gewöhnen. Himmel, ist es schöne eine Familie zu haben.
„Kein Problem. Gib mir eine halbe Stunde. Sarah ist oben in ihrem Zimmer.“
Lecram hat den Wink verstanden und stapft langsam hinauf. Dabei läuft er auf der Treppe Ben und Michael über den Weg und Michael witzelt da es etwas eng wird:
„Dass ihr Gargoyles euch auch immer so breit machen müsst.“
Lecram lächelt die beiden offen an und geht weiter. Gott er liebt diese Familie jetzt schon über die Massen. Vor Sarahs Zimmer bleibt er stehen und klopft an. Er hat nur vergessen seine Kraft etwas zu zügeln. Und darum ist aus dem klopfen eher ein poltern geworden. Er verzieht schuldbewusst sein Gesicht. Das wollt er nicht.
Doch Sarah öffnet die Tür nicht. Er klopft nochmal leiser an. Als Sarah immer noch nicht die Tür öffnet beschließt er langsam hinein zu gehen.
Dann sieht er Sarah, sie sitzt mit Kopfhörern am PC und schreibt etwas. Dabei wippt sie wohl ihren Kopf im Takt der Musik. Lecram lächelt und beschließt ihr dabei etwas zu zusehen. Er findet sie einfach einzigartig. Das einzige Mädchen das ihm fast den Verstand raubt. Wenn er doch nur mehr Mensch als Biest wäre…
Lecram hat keine Ahnung wie lange er so da steht. Sarah muss gespürt haben dass sie beobachtet wird und dreht sich langsam zu ihm um. Auch sie lächelt als sie ihn sieht. Sofort legt sie die Kopfhörer auf die Seite und spricht: „Hey, komm nur rein.“
Also stapft Lecram ganz ins Zimmer. Er stellt fest dass auch Sarahs Zimmer gegen den Parkplatz gerichtet ist. Sarah freut sich über den Besuch, steht auf und will sich an ihn schmiegen. Sofort hält Lecram sie eine Armlänge auf Abstand.
„Sarah, bitte nicht.“ Er kann nicht, nicht so.
„Warum nicht?“
„Es ist zu abstrakt und unwirklich.“
„Wenn ich dich kneifen könnte tät ich das. Dann würdest du sehen dass es nicht unwirklich ist.“
„Dann will ich es vielleicht einfach nicht.“ Erklärt Lecram mit zusammen gekniffenen Augen. Sarah seufzt auf. Sie kennt ihn schon gut genug um zu wissen dass seine Fassade nur noch mehr aufgebaut wird wenn sie weitere Fragen stellt. Also lässt sie es, so wie es ist, vorerst gut sein.
Also setzten sie sich auf das Bett und unterhalten sich über ein paar belanglose Dinge. Die Stimmung ist verhalten.
Dabei hat Sarah so sehr auf ein klärendes Gespräch gehofft. Kurze Zeit später hören die beiden Maria nach Lecram rufen.
„Maria hat mir noch etwas zum Essen gemacht.“ Erklärt er Sarah.
„Na dann…“ Lass es dir schmecken.
„Na dann… Schlaf gut.“
Himmel, dieser Blick von Sarah schafft ihn. Wenn sie ihn noch lange mit diesem flehenden Blick ansieht ist es um ihn geschehen.
Doch Sarah nickt nur zustimmend und lässt ihn gehen. Genau genommen ist sie über die Massen endtäuscht. Eines Tages wird sie ihm alle Schande an den Kopf werfen. Sie kann ja verstehen dass er sie auf Distanz hält weil er mit seinem äußeren nicht zufrieden ist. Doch dass er ihr jedes Mal fast das Herz dabei heraus reißt, entgeht ihm wohl ganz. Er denkt nur an sich und nicht an andere. Sarah steckt die Kopfhörer wieder in ihre Ohren und macht dort weiter wo sie angefangen hat. Sie will diesen blöden Moment einfach vergessen.
Lecram hingegen genießt das Essen sehr. Maria sitzt zu ihm hin und beobachtet ihn einfach. Dabei stützt sie ihren Kopf in ihre Hände. Das findet Lecram schon etwas seltsam. Darum will er genauer von ihr wissen:
„Ist etwas?“
Maria schüttelt lächelnd den Kopf: „Nein, es fühlt sich einfach so gut an dich hier zu haben. Es ist unglaublich!“
„Sie mich mal genauer an. Das ist nicht wirklich dein Sohn der da vor dir sitzt. Das ist so was wie eine Missgeburt.“
Maria spürt seinen Zorn und es ist offensichtlich dass er sein äußeres wohl überhaupt nicht mag. Das sieht man ihm tausend Meilen gegen den Wind auch an. Ihre Worte sind sanft: „Lecram, du bist immer noch der selbe. Du hast dieselbe sympathische Stimme. Lass dich nicht von deinem äußeren abschrecken. Pick dir die Vorteile davon heraus und mach sie dir zu nutzen.“
„Vorteile?“ Verschluckt er sich fast.
„Als Gargoyle musst du ein gutes Auge besitzen. Außerdem kannst du überall hinauf wo du möchtest und kommst dort vor allem auch wieder hinunter. Wenn man dich schlägt, bereitet das einem mehr schmerzen als dir. Und dann überlege, welche dieser Vorteile dir auch als Mensch etwas bringen.“
„Ich soll also Hand in Hand mit mir zusammen arbeiten…“
„Genau.“
Vorerst ist alles gesagt und darüber muss er wirklich zuerst einmal nachdenken. Nach dem Essen bedankt er sich noch mal für das gute Essen. Er wünscht ihr eine gute Nacht und geht hinaus ins Freie. Draußen ist es stock dunkel dafür eine Sternen klare Nacht. Lecram atmet die frische Luft tief ein und wieder aus. Als er sich etwas umsieht, sieht er rechter Hand einen der Gargoyles auf einem Stück Mauer sitzen. Also macht sich Lecram auf den Weg zu diesem Gargoyle. Es muss Migdal sein da der Gargoyle keine Haare trägt. Auch seine Haut ist nicht bläulich wie die von Lamos. Migdal sieht tatsächlich aus wie ein lebendiger Stein. Furchterregend und doch auf seine Art und Weise schön.
„Hey Migdal, wo ist denn Lamos?“ Fragt Lecram als er bei ihm angekommen ist.
Migdal lächelt leicht und sieht ihn mit seinen leuchtend roten Augen dabei an. „Wahrscheinlich ist er im Tierpark und erschreckt ein paar Tiere.“
„Wie bitte?“ Hat er gerade recht gehört.
„Das ist Lamos Humor. Er findet das irgendwie lustig. Doch wenn Theo ihn findet streiten sie sich sicherlich wieder. Ich denke die brauchen das.“
Lächelt Migdal immer noch und gibt Lecram ein Handzeichen dass er doch auch auf der Mauer neben ihm Platz nehmen soll. Mit einer Leichtigkeit springt Lecram die paar Meter hinauf. Dafür dass Gargoyles so schwerfällig wirken, springen und klettern sie mit Leichtigkeit. Die frische Luft hier draußen tut beiden gut.
„Lebt ihr beide schon lange hier?“
Möchte Lecram etwas mehr über die beiden erfahren.
„Nein, erst seit kurzem. Wir freuen uns bald wieder nach Hause zu kommen.“
„Ihr bleibt nicht und bewacht die Familie?“
Denn so wie Lecram verstanden hat, ist das bewachen eine der Lieblingsbeschäftigung eines Gargoyles.
„Unsere Arbeit hier ist beendet. Wir Gargoyles wechseln uns mit der Wache hier immer ab. Außerdem möchten wir zu unseren Familien.“
„Familie?“ Diese Dämonen haben Familien?
„Ja klar…, Frau und Kind. Auch wenn dir das abstrakt erscheinen mag.“
Migdal trifft den Nagel auf den Kopf.
„Ich habe nur nicht darüber nachgedacht. Das - ist schön.“
„Außerdem erschrecken wir gerne andere. Wir machen uns daraus einen Spaß. Aber hier dürfen wir das ja nicht. Da niemand von unserer Existenz wissen darf. Und so sitzen wir hier rum und warten bis wir nach Hause können. Schon ziemlich langweilig.“
„Warum lässt euch Sarah nicht schon früher gehen?“
„Wir gehen lieber alle zusammen. Es sind gute Menschen und wir wollen sie so lange beschützen wie es geht.“
Das versteht Lecram, möchte noch genauer wissen:
„Wie ist es bei euch so?“
„Ganz O.K.“
„OH… Danke. Jetzt habe ich ein klares Bild von eurer Welt vor Augen.“
Migdal muss laut lachen. “Entschuldige“, es ist ein tiefes raues Lachen, „Wir Gargoyles leben mit den Drachen zusammen. Wir helfen uns gegenseitig. Wir leben im Felsengebiet am großen Wasser. Du würdest es vermutlich Wüstengebiet nennen. Es ist wunderschön und die Sterne sind so nah.“
„Wie unterhaltet ihr euch mit den Drachen?“
„Wir sprechen nicht miteinander. Es geht Hand in Hand. Wir wissen einfach dass wir uns auf einander verlassen können. Das ist so wie ein Ur-Instinkt.“
„Aber die Drachen sprechen doch.“
„Sie fauchen, speien Feuer und brummen vor sich hin. Wenn du das als sprechen interpretierst. Klar, warum nicht.“
Migdal zuckt mit der Schulter auf und streckt kurz seine Flügel aus um sie zu strecken. Dabei atmet er laut ein und aus. Lecram sagt nichts aber er ist beeindruckt von Magdas muskulöser Gestalt.
Doch das mit den Drachen lässt Lecram keine Ruhe und er fragt weiter: „Aber Drachen haben doch auch Gedanken…Ich meine…“
„…Früher gab es Drachenreiter. Die haben die Drachen verstanden und auch die anderen Tiere. Doch wir haben schon lange niemanden mehr gesehen der noch diese Fähigkeit besitzt.“
„Ich denke – ich kann das.“ Räuspert Lecram leise.
Migdal sieht etwas ungläubig zu ihm.
„Ist das dein ernst?“
Also erzählt Lecram ihm die Geschichte, sprich den Vorfall mit dem kleinen Drachen unten im Keller. Migdal hört aufmerksam zu. Als Lecram mit der Erzählung fertig ist sagen vorerst beide nichts.
Nach einer Weile spricht Migdal nachdenklich und ernst: „Erstaunlich. Kann dein Bruder das auch?“
„Bis anhin noch nicht. Er weiß ja auch noch nichts von euch und Malon.“
„Hör zu. Diejenigen die den Drachen verstehen, können in der Regel auch mit Feuer umgehen. Schon mal ausprobiert?“
„Hä… Ähm, nein….“ Ist Lecram verwirrt.
„Das solltest du bei Gelegenheit mal probieren. Was ist mit der Krähe?“ Fragt Migdal und zeigt auf die Krähe der in der Nähe sitzt.
„Was soll mit ihm sein?“ Es geht ihr doch gut.
„Kannst du seine Stimme hören oder etwas in der Art?“
„Voraus schicken, ja. Er scheint mich zu verstehen. Und ich spüre dass er mir etwas mitteilen will. Aber ich kann ihn noch nicht direkt verstehen.“
„Na dann versuche dich mal auf die Krähe zu konzentrieren und sei nicht überrascht wenn du bemerkst dass du mit anderen Tieren auch gut kannst.“
„Ist das dein Ernst?“ Himmel in was bin ich da hinein geraten!
„Habe zwar noch nie von einem Gargoyle gehört der so etwas kann. Aber du bist ja im Grunde genommen ja kein richtiger Gargoyle.“ Grinst Migdal breit und seine Zähne blitzen dabei kurz auf.
Lecram lächelt verhalten und verabschiedet sich von Migdal. Er geht schlurfend zum Haus, klettert mit Leichtigkeit auf das Dach und genießt die Aussicht von da oben. Viele Gedanken sind in seinem Kopf die er noch nicht richtig zuordnen kann.
Die Krähe nimmt neben ihm Platz und sieht ihn an. Lecram sieht ihn auch an und hat keine Ahnung wie er denn mit der Krähe in Kontakt treten soll. Für ihn hört sich das schon alles sehr seltsam an. Obwohl Lecram nicht leugnen kann die Krähe mal in seinem Kopf gehört zu haben. Das war bei ihrem aller ersten Treffen im Tierpark bei der Voliere. Genau genommen ist sein Leben -mit der Familie Halbmond- nicht unbedingt leichter geworden. So viele Geheimnisse…
Die nächsten Nächte laufen in etwa gleich ab. Wenn er erwacht geht er zu Maria und unterhält sich mit ihr. Seine Mutter ist einfach großartig. Sie hat ein riesen großes Herz das am richtigen Fleck sitzt. Lecram sieht gerne in ihre großen grünbraunen Augen. Sie hat weiche Gesichtszüge und er liebt es wenn ihre gelockten roten Haare ins Gesicht fallen. Auch die anderen in der Familie sind wie eh und je. Niemand lässt ihn spüren dass er anders ist. Ab und an erzählen sie Lecram etwas von Marcus. Offensichtlich sind seine Schulleistungen schlechter geworden. Kein Wunder, Marcus muss seine Hausaufgaben ja jetzt alleine erledigen. Auch wenn es sein Bruder ist, Lecram empfindet so etwas wie Genugtuung.
Jonas hat es hingekriegt ab und an Prüfungsbogen von der Schule mitlaufen zu lassen damit Lecram etwas zum Lernen hat. Auch von den anderen wird er mit genügend Schulstoff versorgt. Lecram kann sich also nicht beklagen. Im Grunde genommen ist es schön dass er ernst genommen wird. Sarah sieht er weniger, sie hat sich etwas zurück gezogen. Auf ihren Wunsch hin wird sie viel im Tierpark eingeteilt. Am Abend ist sie dann so müde von der Arbeit, im Tierpark, dass sie früh zu Bett geht.
So leben sie einfach an einander vorbei.
Oder er meidet sie einfach und bildet sich ein dass sie sich auch zurück gezogen hat. Natürlich ist Lecram nicht entgangen dass ihre Blicke noch trauriger sind als sonst. Es tut ihm leid und er muss es bei Gelegenheit klären. Das sieht er ein…, nein das ist er ihr schuldig.
Freitagnacht sitzt Lecram ungezwungen mit Lamos und Migdal auf der Steinmauer zusammen. Lecram lernt von den beiden sehr viel von der Welt: Malon, der neuen Welt. Er hat schon so viel gehört dass er manchmal das Gefühl hat er sei gerade dort. Er kann sich Malon mittlerweile bildlich vorstellen.
In dieser Nach schleicht sich Sarah an und holt Lecram aus seiner Phantasie Welt: „Na, ihr Helden der Nacht. Könnt ihr mir Lecram entbehren.“
Natürlich nicken die zwei Gargoyles und Lecram lässt sich elegant von der Mauer gleiten um zu ihr zu gelangen. Sie gehen zusammen ein Stück.
„Wie geht es dir?“ Ist die direkte Frage von Sarah als sie ein paar Schritte gegangen sind.
„Gut. Ich lerne viel von Migdal und Lamos. Es ist sehr spannend. Sie erzählen mir von Malon. So langsam weiß ich Bescheid…“ Hat er zumindest das Gefühl.
„Das ist schön“, kann sich Sarah gut vorstellen und lächelt.
Die beiden Gargoyles sind wundervolle Geschichten Erzähler. Auch sie hört den beiden immer wieder gerne zu. Von Lecram möchte sie jedoch wissen wie er sich hier bei ihnen fühlt: „Wie findest du dein neues zu Hause?“
Lecram bleibt stehen und sieht das große Haus an: „Es ist wunderschön bei euch zu sein. Und dieses Haus ist unglaublich. Warst du schon mal auf dem Dach?“
„Natürlich nicht…“, staunt Sarah über die skurrile Frage.
Da kommt Lecram eine zündende Idee: „Komm halt dich an mir fest.“
„Wie denn?“
„Stell dir vor ich wäre eine Schildkröte und du bist jetzt mein Panzer den ich mir an meinen Rücken hefte.“
Sarah sieht ihn etwas unsicher an. Geht dann doch huckepack und Lecram holt zum Sprung aus. Danach klettert er an der Hauswand hoch als wäre es das natürlichste auf der Welt und Sarah schließt dabei ihre Augen. Auf dem Dach angekommen spricht er sanft:
„Du kannst dich hinstellen. Hier ist es sicher für dich.“
Also gleitet Sarah runter und Lecram setzt sich hin. Auch Sarah nimmt neben ihm Platz und ertappt sich dabei dass sie gerne an ihn anlehnen würde. Sie tut es jedoch nicht.
Dann kräht die Krähe zwei, drei Mal und setzt sich auch auf das Dach in die Nähe der zwei. Wieder einmal beobachtet sie das Geschehen und scheint zufrieden zu sein.
„Die Aussicht von hier oben ist wirklich wunderschön“, schwärmt Sarah.
„Ja. Und wenn du so weit sehen könntest wie ich würde es dir noch mehr gefallen.“
„Das klettern mit dir hat Spaß gemacht.“ Strahlt Sarah da sie stolz auf ihren Mut ist.
Lecram lächelt sie an: „Ebenfalls“, und Sarah fragt: „Darf ich deine Haut noch mal berühren?“
„Klar“, antwortet er und hält ihr seinen Arm entgegen.
Sie staunt nur da er heute so zugänglich scheint.
„Deine Haut ist warm und fühlt sich an als wäre sie aus…, Leder. Aber sie scheint sehr dick zu sein.“
„Ist das gut oder schlecht?“
Sarah muss grinsen: „Es fühlt sich erstaunlich gut an.“
„Sarah, ich habe da eine Frage an dich“, nun hat er ihre ganze Aufmerksamkeit und spricht weiter: „Wenn du ein Gargoyle wärst und bei deinem Bruder ein seltsames Schriftstück gefunden hättest. Würdest du Theo und Maria davon erzählen?“
„Kommt darauf an was drin steht. Geht es um uns?“
Lecram kneift sein Gesicht etwas zusammen.
„Keine Ahnung, ich kann die Schrift nicht lesen.“
„Ja, dann würde ich es ihnen zeigen. Hast du es da?“
„Jupp, ich habe es kopiert.“
„Willst du es mir zeigen?“ Fragt sie vorsichtig.
Lächelnd steht Lecram auf: „Na, dann steig mal wieder auf - Panzer.“
Auch Sarah schmunzelt. Sie findet ihn süß wenn er so gut gelaunt ist. Was ja eher eine Seltenheit ist.
Klar sehen seine roten Augen etwas Furcht erregend aus. Aber seine Stimme und seine Art können nichts an dem ändern was er ist – wer er ist. Sarah hat nur noch keine Ahnung wie sie ihm das begreiflich machen kann. Er hat eben seinen Stolz. Und so lange er sich als Gargoyle nicht akzeptiert und sich einigermaßen wohl fühlt wird es schwierig. Doch Sarah hat Zeit. Er ist ja jetzt bei ihr und nur das zählt für sie in diesem Moment.
Normalerweise geht Lecram die Wände Kopfüber hinunter. Doch mit Sarah auf dem Rücken wagt er es dann doch nicht. Einen kurzen Augenblick später klettert er mit Sarah bei sich im Zimmer zum Fenster hinein. Zum Glück hat er es offen gelassen. Als Sarah sicher auf dem Boden steht dreht er sich zu ihr hin und streicht wie automatisch über ihre Wange. Sarah ist von seiner liebevollen, unbekümmerten Art sichtlich gerührt. Sagt aber nichts, sie lächelt nur. Sie möchte den Moment nicht zerstören.
Einen Moment später löst sich Lecram von Sarah, geht an den Schreibtisch und sucht das Schreiben von dem er gerade gesprochen hat. Kurze Zeit später hält er es dann in der Hand.
„Hier, das habe ich gemeint. Kannst du es lesen?“
Sarah nimmt es an sich und sieht es eingehend an und rümpft leicht ihre Nase.
„Ich kann diese Schrift nicht lesen. Könnte auch eine Elben Schrift sein. Leider habe ich sie nie gelernt.“
„Warum nicht“, versteht er nicht, „Das wäre für dich doch ein Kinderspiel gewesen. Ist nicht dein Vater…“
„…Bis anhin hatten wir nie viel Zeit auf Malon. Aros war uns immer an den Versen.“
„Also muss ich es Theo oder Maria zeigen.“
„Denke ja. Entschuldige…“
„Schon in Ordnung. Aber erst wenn ich wieder ein Mensch bin.“
„Vor was hast du denn Angst?“
„Dass ich ausrasten könnte, zum Beispiel.“
„Ist das schon mal vor gekommen.“
„Nein und ich lege keinen Wert darauf.“
Lecram steht sich wohl immer noch selbst im Weg. Also verabschiedet Sarah sich und wünscht ihm eine gute Nacht.
In den nächsten Tagen schlägt Sarah sich mehr, mit den Gargoyles, die Nächte um die Ohren. Sarah hat ihre Taktik leicht geändert und das auch nur um näher bei Lecram zu sein. Beide sind sehr distanziert, aber wenn ihre Blicke aufeinandertreffen sagen ihre Blicke mehr als Worte.
Lamos ist immer für einen Spaß zu haben. Aber am meisten Spaß macht es Lamos tatsächlich, Theo zu ärgern. Die beiden mögen sich gut leiden das kann man sehen. Selbst dann wenn sie sich über etwas Belangloses streiten.
Migdal ist ein ruhiger Gargoyle. Er streift wie Lecram gerne durch die Gegend und schaut dass alles mit rechten Dingen vor sich geht. Lecram würde Migdal als sehr Gewissenhaft einstufen.
Am Wochenende wenn Jonas, Michael und Gloria in den Ausgang gehen verstecken sich die Gargoyles gekonnt und beobachten die anderen. Und Sarah macht den Spaß meistens mit. Leider sieht sie nicht so gut und kann daher auch nicht über die anderen herziehen wenn sie auf dem Dach sitzen und lästern. Es macht ihr nichts aus da sie einfach gerne mit dabei ist.
Lecram nimmt sie viel huckepack und reist mit ihr durch die Gegend. Dabei sprechen sie nicht einmal viel, sie scheinen es beide einfach zu genießen. Jeder auf seine Art und Weise. Doch die meiste Zeit sitzen sie auf dem Dach und hängen dort ab. Sie müssen dabei nicht viel sprechen. Es genügt schon wenn sie zusammen sind und die Sterne sehen können.
Eines Nachts sitzen sie wieder gemütlich auf dem Dach. Dabei essen sie noch ein Sandwich dass Sarah zuvor gemacht hat. Dann beobachten sie wie Marcus mit Chèn vor fährt. Die beiden scheinen wohl mit Michael verabredet zu sein. Marcus hält natürlich automatisch verstohlen nach Lecram Ausschau. Auch Lecram beobachtet Marcus und als sie sich sehen nicken sie einander kurz zu.
Nachdenklich spricht Lecram zu Sarah: „Du weißt schon dass du nicht hier mit mir rum hängen musst.“ Himmel, was mutet er ihr hier mit ihm zu. Sie sollte leben!
„Wie meinst du das?“
„Du darfst dich ruhig amüsieren. Häng ruhig auch etwas mit Marcus ab. Er ist auf seine Art und Weise ganz O.K.“ Er ist schließlich sein Zwillingsbruder.
„Nur weil wir ihn besser kennen lernen wollen muss ich doch nicht gleich…“
„Musst du nicht. Aber ich bin genau genommen auch nicht der richtige Umgang für dich.“
Lecram hat das Gefühl sie gehen lassen zu müssen.
„Himmel, du bist unmöglich! Bring mich runter, ich habe für heute genug“, steht Sarah abrupt auf und fuchtelt mit ihren Händen etwas herum. Sie scheint sehr aufgebracht zu sein. Also steht Lecram auf und bringt sie wie gewünscht in sein Zimmer. Dabei sprechen beide kein Wort und Lecram bringt sie sicher in ihr Zimmer. Anschließend will sie ihn sprichwörtlich aus dem Fenster da sie keine Lust auf die Dummen Gespräche mit Lecram hat. Sie ist verletzt, doch er hat noch etwas zu sagen und hält sie am Arm fest. Lecram hält ihren Arm ausversehen zu fest und Sarah schreit kurz auf. Beide mit aufgerissenen Augen auf die Stelle an der Lecram sie fest gehalten hat. Dort am Oberarm bildet sich sofort ein großer Bluterguss. Lecram ist beschämt. Genau so etwas soll nicht passieren. Davon spricht er ja die ganze Zeit.
„Sarah, es tut mir leid ich wollte nicht…“
„Lass es gut sein. Egal wie viel Spaß wir zusammen haben. Du bremst mir immer wieder einen rein. Du spielst mit meinem Herzen. Pass auf dass es auch noch da ist wenn du das Gefühl hast es passt dir gerade in deinen Krah! Mag sein dass es dann zu spät ist.“
Nach ihrer Stammpauke rauscht sie aus ihrem Zimmer und Lecram bleibt nachdenklich zurück. Eigentlich wollte Lecram ihr lediglich erklären dass er Morgen wieder ein Mensch ist. Doch vielleicht ist es gut so wie es gekommen ist. Er sagt es sich immer wieder dass er für sie nicht gut genug ist. Das heute war für ihn der Beweis.
Die Nacht ist kurz. Denn als er seine Augen auf schlägt ist er wieder ein Mensch. Die Zeit hier bei der Familie Halbmond geht rascher vorbei wie zuvor. Sicherlich weil er sich hier wohl fühlt. Er wirft einen Blick auf die Uhr und nimmt sein Blatt, also den Pergament, in die Hand. Er sieht das Pergament eingehend an und weiß er möchte Antworten. Heute will er Maria und Theo darauf ansprechen.
Doch zuerst muss er unter die Dusche. Nach der ausgiebigen Dusche geht er direkt zu Maria. Wie er angenommen hat ist Sarah nicht da. Sie ist natürlich wie gewöhnlich zum Markt gefahren. Heute mal mit Michael und nicht mit Onkel Theo. Das kommt Lecram wiederrum sehr entgegen.
Als Maria und Theo seiner Aufforderung mit ihm in die Küche zu kommen folgen, zeigt er ihnen das Blatt Papier mit der geschwungenen Schrift darauf.
„Das hat Tarak geschrieben im Auftrag von Fenia.“ Staunt Maria: „Soll ich es dir vorlesen?“
„Ich bitte darum“, ist Lecram schon sehr gespannt und erstaunt wie groß Marias wissen ist.
Gerade als Maria den Pergament vor lesen möchte kommen Sarah und Michael gut gelaunt vom Markt nach Hause. Auch Jonas und Gloria stolpern gerade die Treppe herunter und kommen zu ihnen in die Küche.
Theo wirft in die Runde: „Hey Leute kommt her. Lecram hat einen Altes Pergament Stück entdeckt. Und wie es scheint ist er von Fenia. Maria liest ihn uns gerade vor. Hört alle gut zu.“
Sarah wirft einen endtäuschen Blick zu Lecram und ihr Lächeln verschwindet aus ihrem Gesicht. Sie kehrt auf dem Absatz und geht kommentarlos hoch in ihr Zimmer. Sie ist endtäuscht von Lecram. Sie schlägt die Tür laut zu und automatisch sehen alle zu Lecram hin.
Er kneift die Augen eng zusammen. „Liest ihn schon mal ohne mich. Ich muss zuerst was klären…“
Keiner der anderen sagt ein Wort. Lecram spürt jedoch ihre Fragenden Blicke. Jeder scheint zu wissen dass Lecram der Urheber für Sarahs schlechte Laune ist. Er stöhnt kurz auf und springt die Treppen Stufen hinauf. Eigentlich will er an klopfen. Doch da er davon ausgeht dass sie ihn abweist geht er einfach hinein. Sarah geht direkt auf ihn zu und will ihm eine Ohrfeige verpassen. Doch Lecrams Reflexe sind schnell und er wehrt sie vorher ab. Sarah stutzt und schlägt jetzt mit beiden Fäusten auf seine Brust ein. Wieder wehrt er sie mit Leichtigkeit ab. Schlussendlich hält er einfach ihre Armgelenke fest und fragt: „Fertig?“
„Du bist so feige. Dass du dir den Brief ohne mich vorlesen lassen wolltest ist echt der Hammer. Du bist so egoistisch.“
„Es tut mir leid.“
„Wohl dein Standartspruch. Raus aus meinem Zimmer!“
Sie stehen einen Moment noch so da bis Sarah weiter erwähnt: „Könntest du mich jetzt bitte wieder los lassen?“
Lecram schmunzelt als er sich die Situation mit ihr ansieht. Natürlich lässt er sie wieder los und kratzt sich verlegen etwas am Hinterkopf.
Dann spricht er sanft zu Sarah: „Da alle unten auf uns warten wäre es schön wenn du mit mir hinunter kommen würdest.“
Er geht zur Tür und dreht sich nochmal in ihre Richtung. Dann streckt er ihr seine Hand entgegen und hofft dass sie einlenkt. Sarah sieht seinen Blick und rollt ihre Augen da ihre Neugierde grösser ist als ihre Wut. Also nimmt sie seine Hand an und die beiden gehen Hand in Hand hinunter. Lecram hält sie gerne fest auch wenn er nicht sollte.
„Und was steht?“, ist Lecram neugierig als sie in der Küche ankommen.
Theo lächelt und antwortet ihm: „Wir haben noch auf euch gewartet.“
Alle Blicke fallen jetzt auf Maria die beginnt zu lesen: „Liebe Daria. Ich Fenia habe geschworen auf die Knaben aufzupassen. Was mir nicht so gelungen ist wie ich gehofft habe. Daria bitte verzeihe mir. Meine Hoffnung besteht darin dass dieser Diese Zeilen eines Tages den Weg zu dir finden wird. Deine Knaben sind auf dem Weg und suchen die Mädchen. Aros will sie unbedingt.
Bitte gib den beiden Knaben etwas mit auf den Weg: Sie sollen an ihren Instinkt glauben, nichts ist unmöglich. Gut und Böse existiert über all und in jeder Form. Es kommt darauf an was man daraus macht. Der Gargoylejunge braucht seinen Partner um zu erkennen was seine Möglichkeiten sind. Ein Fluch muss kein Fluch sein, wenn er lernt seine Emotionen zu steuern. Es gibt einen Schlüssel um den Fluch zu brechen. Das ist alles was ich in der kurzen Zeit tun konnte. In Liebe Fenia.“
Alle im Raum sehen immer noch zu Maria. So, als könnte Maria ihnen noch mehr Antworten geben was Fenia damit angesprochen hat. Aber natürlich kann sie das nicht. Genau so wenig wie Onkel Theo.
„Sieht so aus als brauche ich meinen Bruder mehr denn je.“ Ist das einzige was Lecram dazu einfällt.
„Bist du endtäuscht?“, drückt Sarah seine Hand als sie die Frage stellt.
„Nicht direkt, ich habe mir nur mehr Hilfe erhofft wie ich den Gargoyle wieder los werden kann.“
„Vielleicht wird es an der Zeit Marcus auch hier her zu holen“, ist Theos Idee.
Alle sehen etwas misstrauisch zu Theo. Gloria greift den Gedanken auf: „Das hat schon was. Ist euch nicht aufgefallen dass er mehr denn je unsere Nähe sucht?“
Da Gloria Recht hat nicken alle zustimmend.
„Sarah…, bitte ruf ihn an.“ Erklärt Lecram. „Sag ihm ich möchte mit ihm sprechen er soll doch bitte vorbei kommen.“
„Woher weißt du dass ich seine Nummer habe?“ Staunt Sarah jetzt doch sehr.
„Du schreibst mehr SMS als auch schon. Ich habe mir so etwas gedacht.“ Also hatte er mit seinen Beobachtungen recht behalten. Anschließend lässt er Sarahs Hand los. Er hat herausgefunden was er wissen wollte. Schließlich ist er ein guter Beobachter.
Sarah kneift ihre Augen eng zusammen, kommt aber nicht dazu näher darauf einzugehen da Maria eine Frage an Lecram hat: „Willst du ihm denn gleich alles erzählen?“
Lecram sieht in die Runde, das ist jetzt seine Familie und er ist in diesem Moment der Mensch Lecram, also nickt er:
„Ja, ich denke es ist an der Zeit.“
Danach verabschiedet er sich und zieht sich zurück in sein Zimmer. Lecram möchte sich auf das Gespräch mit seinem Bruder vorbereiten. Klar hätte er seinen Bruder auch selbst anrufen können da er ja jetzt auch ein Handy besitzt. Er wollte nur wissen ob seine Vermutung mit Sarah und Marcus berechtigt ist und diese Bestätigung hat er gerade bekommen.
Lecram möchte so gerne dass Sarah glücklich wird. Ihr Glück liegt ihm sehr am Herzen. Mit ihm an ihrer Seite wird’s schwierig. Er kann ihr nicht das geben was sie verdient hat. Auch wenn er das noch so gerne möchte und wenn er mit ihr darüber reden wollte würde sie dagegen sprechen. Dafür kenn er sie nun zu gut um zu wissen dass er dieses Thema umgehen muss.
Nur hat er nicht damit gerechnet dass es so schwierig ist Sarah wirklich gehen zu lassen. Die Vorstellung dass Sarah mit einem anderen Jungen Hand in Hand geht fällt ihm schwer. Auch wenn er das Gefühl hat es sei das Beste für Sarah. Er darf sie nicht noch mal verletzten. Das könnte er sich nie verzeihen.


Geschwister


Sarah sieht genau wie Lecram sie mag. Doch sie kommt einfach nicht mehr so richtig an ihn ran. Wo sind denn nun die großen Gefühle von denen er gesprochen hat? Sarah macht sich viele Gedanken um den gutaussehenden Jungen der nun zu ihrer Familie gehört. Er gehört einfach dazu. Im Prinzip sogar mehr als sie selbst. Und so wie Lecram, spürt auch Sarah dass Marcus ebenfalls dazu gehört. Also tut Sarah einfach worum Lecram sie gebeten hat. Auch wenn sie es nicht verstehen kann.
Nach dem durchaus netten Gespräch mit Marcus, bittet sie Maria den Brief von Fenia zu übersetzten und Maria kommt dieser Bitte gerne nach. Kurze Zeit später bringt Sarah den Übersetzten Brief zu Lecram. Sarah hat das Gefühl dass der Die Zeilen für Lecram eine große Bedeutung haben kann. Sie geht einfach in sein Zimmer hinein, so wie er es bei ihr auch getan hat. Zu ihrem erstaunen ist er nicht da. Gedanken versunken sieht sie aus seinem Fenster und sieht ihn sofort. Er sitzt auf der Mauer bei den beiden Gargoyles die im Moment als Steinfiguren still da sitzen. Sarah schüttelt verständnislos ihren Kopf. Er sucht seinen gleichen, selbst als Mensch schließt er sich aus. Er fühlt sich wohl nirgends richtig wohl! Ist er denn tatsächlich mehr Gargoyle als Mensch?
Also legt sie den Brief einfach auf seinen Tisch und geht dann ebenfalls hinunter in seine Richtung. Vielleicht ergibt sich heute ja endlich ein klärendes Gespräch.
„Hey, wie bist du da hoch gekommen?“ Fragt sie interessiert als sie bei ihm angekommen ist.
„Hast du schon mal etwas von der Sportart Parkour gehört?“
„Irgendwas mit Hindernissen überwinden und so…“
„Genau, wir nehmen jedes Hindernis auf den kürzesten oder effizientesten Weg bis wir am Ziel sind. Das kann alles Mögliche sein. Du musst es mal Google, es gibt tolle Videos dazu.“
„Wie bist du denn darauf gekommen?“
„Durch Marcus. Marcus und ich haben das eine Zeitlang zusammen trainiert. Er ist sehr talentiert. Bei mir schwingt die Kraft des Gargoyles wohl noch etwas mit. Darum ist es bei mir nicht wirklich Talent. Aber es macht Spaß.“
Lecram grinst breit und Sarah lächelt ihn liebevoll an. So vieles was sie noch nicht voneinander wissen.
„Hör zu, Marcus kommt gleich.“
Lecram springt elegant hinunter und sieht Sarah an: „Hab ich mir schon gedacht. Darum warte ich hier.“
„Übrigens habe ich Maria gebeten den Die Zeilen von Fenia zu übersetzten, er liegt schon in deinem Zimmer auf deinem Tisch.“
„Gute Idee. Danke.“
„Zuerst will Marcus aber mit mir sprechen.“
„Oh… In Ordnung.“ Himmel, das geht ihn nichts an.
Warum Marcus zuerst mit Sarah sprechen will versteht Lecram zwar nicht. Aber es geht ihn im Prinzip ja auch nichts an. Also warten sie auf Marcus und müssen nicht lange warten. Neugierig und mit einem schiefen lächeln steigt Marcus aus dem Wagen. Seinem Bruder nickt Marcus zu und hackt dann einfach bei Sarah ein um mit ihr ein paar Schritte zu gehen. Lecram bleibt stehen und wartet.
„Na Hinkebein, was gibt es so dringendes?“ Ist Marcus ziemlich neugierig.
„Das wird dir Lecram erklären. Was wolltest du mit mir besprechen?“
„Ich bin nach deinem Anruf sofort in den Wagen gestiegen. Habe ich nicht etwas gut bei dir?“
„Das ist doch Erpressung“, kichert Sarah.
„Nenn es wie du willst. Ich möchte dich um ein Date bitten, ohne einen deiner Anstands Wau-Wau.“
Sarah bleibt stehen und sieht Marcus direkt in die Augen. Sie runzelt ihre Stirn. Wieso sollte sie heute Abend eigentlich nicht etwas Spaß haben.
„Na gut, einverstanden.“
Marcus strahlen geht über sein ganzes Gesicht. Sein Blick hat etwas Schelmisches und Lausbuben ähnliches. Automatisch muss Sarah auch schmunzeln. Marcus freut sich dass er diesen Abend klar machen kann und geht immer noch grinsend zu seinem Bruder. Dann verabschieden sich die beiden und Sarah geht zurück ins Haus. Dabei ist sie gut gelaunt.
„Na, Bruder was gibt es da so wichtiges.“ Steht Marcus mit verschränkten Armen da und mustert seinen Bruder.
„Schön dich zu sehen Marcus. Wie geht es dir?“
Marcus verzieht sein Gesicht bei Lecrams Worten. Muss Lecram denn immer so nett und anständig sein.
„Mach es jetzt nicht so spannend. Ich habe heute noch was vor. Also erzähl schon.“
Die Krähe kreist am Himmel, kräht auf und setzt sich auf die Mauer neben den steinernen Migdal hin.
„Oh, Mann kannst du dieses Vieh nicht mal erschießen?“ Schimpft Marcus.
„Warum stört dich die Krähe denn so? Sie tut niemandem etwas.“
„Nun ja, ich…“, Marcus stockt, „Sie nervt mich einfach.“
Lecram sieht seinen Bruder eingehend an und hält ihn dabei an den Schultern fest. Lecram rüttelt leicht an ihm und will es nun etwas genauer wissen.
„Kannst du die Krähe in deinem Kopf hören? Sag schon. Ich muss das wissen.“
„Idiot, das geht doch gar nicht.“ Schimpft Marcus und schlägt die Arme von Lecram weg.
„Marcus…, in meiner und deiner Welt schon.“
„Wie Bitte…?“
Lecram ist froh jetzt die ganze Aufmerksamkeit seines Bruders zu haben und bittet ihn mit in sein Zimmer zu kommen. Gesagt getan. Da bei Lecram das Fenster offen steht sitzt nun auch die Krähe bereits wieder am Fenster und beobachtet die beiden.
Marcus rollt sofort die Augen als er die Krähe sieht. Am liebsten würde Marcus der Krähe was anschießen damit sie weg fliegt. Sagt aber diesmal nichts mehr über die Krähe.
Also sitzt Marcus stöhnend hin und hört seinem Bruder zu. Lecram versucht alles ins kleinste Detail zu erzählen. Das dauert…und dauert… und dauert… ein ganzes Stück.
Marcus spricht in dieser Zeit nicht und fällt seinem Bruder auch nicht ins Wort. Erst als Lecram erzählt dass er in seinem Zimmer rum geschnüffelt hat und den Das alte Pergament gefunden hat flippt Marcus kurz aus. Marcus steht auf und will Lecram mit seiner Faust ins Gesicht schlagen. Doch Lecrams Reflexe wehren den Schlag ab. Somit trifft Marcus nur noch Lecrams rechte Schulter. Doch der Schlag hat nicht Lecram Schmerzen bereitet sonder Marcus.
„Ah…, ich Idiot.“ Hält Marcus kurz seine Hand fest. Wie konnte er nur vergessen dass er sich besser nicht mit seinem Bruder anlegt. Seine Haut ist auch als Mensch zäher als bei normalen Menschen. Auch die Reflexe von Lecram sind wahnsinnig gut. Lecram lächelt vergnügt vor sich hin. Ja, gewisse Details sind auch als Mensch von Vorteil. Denn seiner Meinung nach hat sein Bruder das schon irgendwie verdient.
Marcus schimpft: „Das ist mein Pergament und du hast nichts in meinem Zimmer zu suchen.“
„Du wusstest von dem Den Zeilen?“ Lecram staunt. „Ich dachte er gehört Liv und Adam.“
„Ja, das ist mein Pergament. Ich habe den bekommen als wir weggeschickt wurden. Von einer bildhübschen Frau. Ich träume immer noch von ihr. Wir waren zwar noch wahnsinnig klein doch ich habe den Diese Zeilen gehütet wie einen großen richtigen Schatz. Ich dachte nicht dass du in meinem Zimmer rum schnüffelst. Da habe ich mich wohl gewaltig getäuscht! Idiot!“
„Konntest du den Brief denn lesen?“
„Nein ich kann den Diese Zeilen nicht lesen…“ Schüttelt Marcus seinen Kopf und sitzt wieder ab. Dann sieht er zur Krähe, stöhnt auf und zieht die Augen eng zusammen. Tatsächlich überlegt Marcus ob er ein Kissen nach der Krähe schießen soll. Er nimmt eines in die Hand und macht droh gebärden.
„Was erzählt dir denn die Krähe?“ Fragt Lecram zwangslos aber weiß nicht genau ob er darauf eine Antwort kriegt.
„Nichts Besonderes. Sie ist im Moment glücklich und meint ich soll dir weiter zu hören.“
Lecram beißt sich auf die Unterlippe und grinst leicht da er seinen Bruder jetzt erwischt hat. Marcus sieht seinen Bruder mit einem argwöhnischen Blick an.
„Wie geht das? Spricht die Krähe andauernd?“ Möchte Lecram doch etwas genauer wissen.
Marcus ist genervt: „Keine Ahnung, ich höre seine Gedanken nur ab und zu oder wenn es ihr wichtig erscheint… und sie möchte dass du dich mal öffnest. Oder so ähnlich.“
Jetzt da Marcus die Wahrheit gesagt hat fühlt sie sich nicht einmal mehr seltsam an.
„Oh…“, Lecram sieht dann erstaunt zur Krähe hin. Ob sein Bruder auch mit dem Drachen sprechen kann? Vielleicht werden sie das eines Tages herausfinden.
Marcus stöhnt auf: „Mach es jetzt nicht so spannend und lies mir den Die Zeilen schon vor. Bruderherz.“
„Hier…, Maria unsere Mutter hat ihn für uns übersetzt.“ Erklärt Lecram und gibt den Brief an Marcus weiter.
Lecram lehnt gegen seinen Schrank und beobachtet seinen Bruder als der beginnt zu lesen. Das dauert durchaus einen Moment. Danach legt Marcus den Brief auf die Seite und sieht zu Lecram: „Ich verstehe da nur Bahnhof. Sagt dir das etwas?“
„Nein, noch nicht. Mal abwarten.“ Schüttelt Lecram seinen Kopf leicht.
„Und wie geht es jetzt weiter?“, möchte Marcus von seinem Bruder wissen. Eigentlich ist Marcus etwas erschlagen von den Informationen und irgendwie auch wieder nicht. Dadurch dass er einen Bruder hat der ein Dämon ähnliches Wesen ist hauen ihn nun diese Neuigkeiten auch nicht aus der Bahn. Seltsam sind sie schon…
„Ich nehme an du kannst auch hier einziehen. Wenn du möchtest.“ Erklärt Lecram und schiebt nach: „Möchtest du das?“
Marcus zuckt lediglich mit den Schultern auf. Eine wirkliche Antwort darauf hat er nicht. So rasch kann er sich da nicht entscheiden.
Marcus beschließt: „Jetzt lass mir mal Zeit das Ganze zu verdauen. Hier spinnen doch alle irgendwie.“ Oder doch nicht?
Lecram kann ihn nur zu gut verstehen. Da sind sie mal einer Meinung und das kommt ziemlich selten vor.
Schließlich geht Marcus doch ziemlich Verwirrt nach Hause und Lecram sieht ihm, auf dem Parkplatz stehend, nach. Was jetzt wohl alles im Kopf von seinem Bruder vor geht? Maria kommt dazu und hackt bei ihrem Sohn ein.
„Lecram, was denkst du, hat er dir geglaubt?“
Lecram lacht kurz laut auf. „Wie soll er nicht, er kann die Krähe in seinem Kopf hören.“
Maria blickt erstaunt zu ihrem Sohn. „Auch ein Drachenversteher?“
„Keine Ahnung. Gemäß Migdal gibt es die schon seit einiger Zeit nicht mehr. Wir finden das höchstens raus wenn er mit nach Malon kommt.“
„Kommst du denn mit?“
„Unbedingt.“ Wie könnte er dieser, seiner Welt wiederstehen.
Maria freut sich sehr darüber. Sie ist stolz auf ihren Jungen. Sie kennen sich zwar noch nicht so lange. Dennoch hat sie so ein gutes Gefühl wenn sie beisammen sind. Wie gern hätte sie ihn aufwachsen gesehen. Aber es bringt nichts dem vergangenen nach zu trauern. Die Zukunft liegt nun in ihren Händen und sie erklärt: „Weißt du Lecram. Es fühlt sich gut an dich bei uns zu haben. Fast so als wäre es nie anders gewesen. Es ist einfach richtig.“
„Ich weiß was du meinst“, lächelt er sie liebevoll an.
„Aber…, aus welchem Grund bist du so zurückgezogen?“
Hackt Maria nach und Lecram zuckt mit der Schulter auf bevor er antwortet: „Keine Ahnung, wahrscheinlich weil ich die meiste Zeit ein Gargoyle bin.“
„Stört dich das denn immer noch?“
„Dich etwa immer noch nicht?“ Schaut Lecram seine Mutter mit einem verzweifelten Blick an.
Maria sucht nach den passenden Worten.
„Nicht direkt. So oder so bist du mein Sohn. Da spielt es keine Rolle ob du als Gargoyle vor mir stehst oder als Mensch. Denn auch als Mensch hast du gewisse Züge eines Gargoyles. Und als Gargoyle von einem Mensch. Darum…, akzeptiere deine starken Seiten.“
Lecram seufzt laut auf. Die können ja alle gut reden. Niemand von ihnen kann annähernd verstehen wie er sich fühlt. Nicht mal die Gargoyles können wissen wie er sich fühlt. Er ist ein Wesen gefangen zwischen zwei Welten. Und er fühlt sich weder in der einen noch in der anderen richtig wohl. Schon möglich dass die anderen seinen Fluch zu spüren bekommen. Er macht das zwar nicht absichtlich. In Zukunft wird er wohl etwas umgänglicher sein müssen.
Dann küsst Lecram seine Mutter auf die Stirn und verabschiedet sich. Er heftet sich an Theo und unterstützt diesen etwas im Tierpark. Die Gäste stören ihn dabei nicht und diese Beschäftigung bringt ihm etwas Ruhe. Lecram ist es egal ob er gerade die Käfige ausmisten muss oder an der Kasse sitzt. Eigentlich ist er froh einfach mithelfen zu können. Aber am liebsten hält er sich im Nebentrakt auf wo die kranken oder verletzten Tiere sich aufhalten. Ab und zu schaut er Ben zu wie er die Tiere verarztet und hilft mit. Denn wie sich herausgestellt hat er eine gute Hand für die Tiere und kann sie gut beruhigen. So ist er Fern ab vom Tumult. Ein geeigneter Ort um seine Seele baumeln zu lassen und um auf andere Gedanken zu kommen.
Diese Tiere zu beobachten macht Lecram viel Freude. Außerdem kann er sich etwas dazu verdienen. Vor allem ist es ein schönes Gefühl gebraucht zu werden und nützlich zu sein. Bis anhin war das ja nicht der Fall.
Sarah macht sich unter dessen bereit für den Ausgang mit Marcus. Sie ist gespannt wie Marcus den Nachmittag mit Lecram verbracht hat. Sie kann sich gut vorstellen dass Marcus noch die eine oder andere Frage quält. Er fühlt sich sicherlich erschlagen von so vielen Informationen. Sie sieht sich im Spiegel an und lächelt zufrieden. Für heute Abend hat sie sich richtig heraus geputzt. Sarah schaut auf ihre Uhr und beschließt unten auf dem Parkplatz auf Marcus zu warten. Bevor sie aus der Türe treten kann, begegnet sie Gloria.
„Na du hast dich ja zurechtgemacht für Marcus. Denkst du das gefällt Lecram?“
„Hör mal, der Abend ist schon etwas Besonderes. Das erste Mal dass ich, ohne jemanden von euch im Schlepptau zu haben, weg gehe. Das muss gefeiert werden.“ Dabei strahlt sie über das ganze Gesicht.
„Du hast Recht, genieße es.“ Lächelt auch Gloria.
Dann klingelt es auch schon an der Tür und Sarah öffnet lächelnd die Tür.
„Hallo Hinkebein, bereit?“ Grinst Marcus schelmisch.
„Ja, bei dir alles in Ordnung?“
„So la la. Ich nehme an du kannst mir noch einige Antworten auf meine Fragen geben“, gesteht Marcus.
Verständnisvoll nickt Sarah und Marcus hält ihr seinen linken Arm hin, darauf hin hängt sie ein. Alle Familienmitglieder wissen dass Sarah heute mit Marcus unterwegs sein wird, nur Lecram hat davon nichts mitbekommen und nun läuft Lecram den beiden draußen auf dem Parkplatz über den Weg. Er stutzt kurz als er sieht wie vertraut die beiden schon miteinander umgehen. Lecram schluckt leer. Himmel, er muss sich gestehen sie wären ein hübsches Paar!
Dass Sarah mit seinem Bruder ausgeht ist nicht das eigentliche Problem. Geschminkt hat er sie noch nie gesehen und sie sieht ausgesprochen gut an. Ihre Schminke ist dezent und sie sieht einfach umwerfend aus. Ihre großen Reh-braunen Augen kommen so noch schöner zur Geltung. Sein Magen zieht sich zusammen und sein Herz wird schwer. Wieso kann er sich nicht einfach für die beiden freuen? Trotzdem versucht er sich nichts anmerken zu lassen und meint trocken: „Hey ihr zwei. Viel Spaß heute Abend.“
Marcus setzt sein tausend Watt lächeln auf und genießt diesen Augenblick in vollen Zügen. Er hat diese Situation ja auch provoziert. Genau genommen macht sich Sarah gut an seinem Arm und er genießt es seinen Bruder damit zu provozieren.
Beim gehen sieht Sarah nochmal zu Lecram zurück. Sie hat so gehofft er würde nochmal zurück blicken. Doch da ist nichts zu machen. Es scheint Lecram kalt zu lassen wie sie heute aussieht und das wurmt sie tatsächlich etwas.
Marcus spürt ihr Unbehagen sofort.
„Jetzt lass den Kopf nicht hängen wegen Lecram.“
„Tue ich doch gar nicht.“ Schmollt sie etwas.
Marcus lacht rau auf und rollt dabei kurz die Augen.
„Ja klar. Genauso wenig wie er versucht darüber hinweg zu sehen wie gut du heute Abend aussiehst.“
„Danke“, lächelt Sarah wieder und ist froh dass Marcus es zu schätzen weiß dass sie sich so zu Recht gemacht hat.
Dann hält Marcus die Wagentür auf damit Sarah einsteigen kann und erklärt ihr noch mit einem Augenzwinkern:
„Du bist dir schon im Klaren darüber dass Lecram verrückt nach dir ist.“
„Manchmal ja, manchmal nein.“
Wieder muss Marcus grinsen und möchte genauer wissen: „Und in welcher Phase steckt er gerade?“
Nun muss auch Sarah laut auflachen und erwidert indem sie ihre Nase rümpft: „Wenn er Pech hat bin ich nicht mehr gewillt seine Phasen lange mitzumachen.“
„Warum solltest du nicht? Das kann Spaß machen, du musst nur wissen wie du deinen weiblichen Charme einsetzen musst.“
„Lenk mich einfach etwas ab und wir werden sehen was dabei herauskommt“, lächelt Sarah Marcus nun keck und herausfordernd an. Dieser Versteht zu gut und gibt ihr einen flüchtigen Kuss auf ihre Stirn bevor sie einsteigt.
Da Marcus sich sicher ist sein Bruder hat die Szene beobachtet hält er kurz nach ihm Ausschau. Lecram steht in seinem Zimmer an seinem Fenster und Marcus grinst breit und winkt seinem Bruder zum Abschied zu. Lecram steht mit verschränkten Armen da und zuckt nicht. Er winkt nicht zurück. Für was auch. Er hat den belustigten Blick von Marcus gesehen. Er weiß genau dass sein Bruder ihm eins auswischen will. Hinter sich hört Lecram jetzt Michael und das ist vielleicht eine gute Ablenkung.
„Hey Mann, dieses Grab schaufelst du dir gerade selbst. Dir ist echt nicht zu helfen.“
„Na wenn es mir gefällt ist es doch in Ordnung.“ Himmel so hat er sich die Ablenkung nicht vorgestellt.
Da die Tür von Lecrams Zimmer offen steht kommt Michael ins Zimmer und meint beiläufig: „Wollen wir heute Abend auch etwas abhängen?“
Lecram dreht sich in Michaels Richtung und sieht diesen Verständnislos an.
„Da ist die Chance dass ich und Marcus zur selben Zeit am selben Ort gesehen werden enorm hoch.“
„Ganz ehrlich, was spielt das jetzt noch für eine Rolle! Carpe Diem.“
So hat Lecram noch nie darüber nachgedacht. Er war immer zu sehr damit beschäftigt sich zu bemitleiden. Aber warum auch nicht. Offiziell gibt es ja nur einen von ihnen. Und er geht ja nicht mehr zur Schule. Soll doch Marcus dafür Frage und Antwort stehen, falls sie zusammen gesehen werden. Warum soll er also nicht auch etwas Spaß haben. Nach kurzer Überlegung sagt er spontan zu.
Als Michael und Lecram ihr Vorhaben Maria in der Küche erklären ist sie zuerst nicht so begeistert. Jonas hält seine Gloria im Arm und kichert: „Michael füll ihn mal ab, das könnte ihm gut tun.“
„Hey, so etwas will ich nicht hören. Ihr seid noch zu jung für Alkohol. Das kommt gar nicht in Frage“, mahnt natürlich Maria. Wohl wissend dass Michael Kontakte hat um an Alkohol zu kommen. Da er bereits 18 Jahre alt ist will sie ihm nicht vorschreiben was er zu tun hat. Bis anhin konnte sie sich auf ihn verlassen. Also lässt Maria die beiden ziehen, da auch sie das Gefühl hat diese Ablenkung sei gut für Lecram. Eigentlich denkt sie auch das Lecram mal einen drauf hauen sollte, vielleicht wäre er dann etwas lockerer. Aber das kann sie ja nicht laut aussprechen!
Lecram vertraut Michael ganz. Michael ist ja der älteste hier. Also derjenige der zur Verantwortung gezogen wird. So oder so.
Michael schleppt Lecram nach Wolfwille, die beiden hängen dort etwas ab. Lecram genießt den ungezwungenen Abend bis jetzt sehr. Viel ist nicht los aber im PIT ist es ganz gemütlich. Dort kennt Michael Rolf dem das PIT gehört. Da kann eigentlich so jeder darin abhängen. Das Lokal ist auf keine bestimmte Altersgrupe ausgerichtet. Es hat einen Billard Tisch und eine Dart Scheibe wo man sich noch etwas daran verweilen kann. Eine Speisekarte wäre wohl zu übertrieben, aber ein paar Snacks für den kleinen Hunger bietet es auch.
Michael nimmt Rolf kurz bei Seite und erklärt was er mit Lecram vor hat. Da Lecram gerade ein paar hübschen Mädchen nach sieht verpasst er das Gespräch der beiden. Er hätte besser aufgepasst! Denn tatsächlich ist Lecram kurze Zeit später extrem rasch angeheitert. Denn Alkohol ist sich Lecram so gar nicht gewohnt, im Gegensatz zu seinem Bruder. So angeheitert quatscht er alle gut aussehenden Mädchen an. Schließlich hat er ja nichts zu verlieren und etwas aufzuholen. Anscheinend kommt er recht gut bei den Mädels an.
Hier in diesem Moment fühlt er sich –Frei!
Das Dart spielen will ihm heute zwar nicht so gelingen. Dabei ist er normalerweise gar nicht mal so schlecht darin. Auch das ist egal und drückt die Stimmung nicht. Er und Michael quatschen gerade mit ein paar nett aussehenden Mädchen als die Tür auf geht und Marcus mit Sarah rein kommt. Lecram hat das Gefühl jemand zieht ihm den Boden unter den Füssen weg und macht große Augen. Er kann seinen Blick nicht von Sarah nehmen.
Sarah stutzt auch etwas und Marcus lächelt zufrieden als er ihr ins Ohr flüstert: „Nun gut, wenn wir schon mal hier sind bleiben wir doch noch etwas. Das kann noch ganz lustig werden. Versuche zu genießen.“
Dann legt er lässig seinen Arm um ihre Schulter. Zum kleinen Ärgernis von Sarah, denn sie versteht ihn nicht und sieht besorgt aus. Geht das Ganze nun auf ihre Kosten? Marcus lässt von Sarah ab und organisiert Getränke an der Bar. Dabei wird Marcus natürlich von Rolf seltsam angesehen. Marcus stört das aber nicht im Geringsten – er, fühlt sich überlegen.
Mit einem tiefen Seufzer geht Sarah direkt auf Michael zu. „Was wollt ihr denn hier.“ Mahnt sie ihn.
„Lecram sah aus als müsste er sich mal entspannen“, kichert Michael in sich hinein und klopf dabei Lecram auf die Schulter der immer noch regungslos neben ihm steht und Sarah anstarrt. Die Mädchen die dabei stehen sehen auch verwundert aus. Da Lecram anscheinend nicht gewillt ist Rede und Antwort zu stehen gehen die neugierigen Mädchen gleich zu Marcus um ihn auszuquetschen. Natürlich wirft auch das Marcus nicht aus der Bahn und er genießt es im Mittelpunkt zu stehen.
Lecram kommt das gerade recht denn er steht immer noch wie angewurzelt da. Wenigstens kann er wieder atmen. Als er Sarah zu Gesicht bekam blieb sein Herz- so fühlte es sich für ihn zumindest an- einfach einen Tackt stehen. Sie sieht so hübsch aus. Es belustigt ihn dass sie sauer zu sein scheint. Bevor sie zu ihm kommt sieht er wie sie ihr Kleid zu Recht zupft und das belustigt ihn ein klein wenig. Aus diesem Grund lächelt er sie breit an.
„Mit dir alles in Ordnung?“ Fragt sie leise.
„Du siehst toll aus. Hier stiehlst du jeder die Schau.“ Spricht Lecram bewundernd und beschwipst.
Sarah sieht von den anderen Mädchen wieder zu sich selbst. Die Mädchen mit denen er und Michael angebandelt haben sind bildhübsch. Er muss etwas an den Augen haben und sie sieht wieder zu Lecram.
„Wohl kaum…, das ist nur der Alkohol.“
„Ich fühle mich gut.“ Und sie ist einfach wunderschön, scheinen seine Augen zu sagen.
„Na dann weiterhin viel Spaß. Ich gehe mal wieder zu meinem Date“, mit diesen Worten möchte sie sich von Lecram entfernen.
Natürlich spürt er ihre Distanz und greift sanft nach ihrem Arm.
„Bleib noch etwas bei mir. Es ist schön dich hier so spontan zu treffen. Du bist einfach wunderschön und ich genieße es hier mit dir.“ Sagt er endlich was er denkt.
Sarah geht einen Schritt auf Lecram zu und er lässt sie langsam los. Nun legt sie ihren Zeigefinger auf seinen Mund und spricht sanft aber mit einem spitzen Unterton: „Sag bitte nichts mehr. Du bist im Stand mir hier und jetzt deine Liebe zu erklären. Schön und gut. Doch wenn du in einer Woche wieder als Gargoyle herum stapfst entfernst du dich wieder. Ich kann das nicht. Ich will das nicht. Du hast selbst gesagt ich habe etwas Besseres verdient. Also lass mich gehen.“
Als sie fertig gesprochen hat reckt sie ihr Kinn um ihrer Aussage Gewicht zu geben, nimmt ihren Finger von Lecram und geht zielstrebig zu Marcus hinüber. Marcus freut sich und legt seinen Arm wieder lässig auf ihre Schulter.
Lecram atmet schwer als er das mit ansehen muss und das schlimmste ist das Sarah dies anstaltslos zulässt. Er versucht sich diesem leeren Gefühl ganz hin zu geben. Ob es sich so anfühlt verlassen zu werden? Etwas Wut steigt in ihm auf und er macht eine Faust im Sack. Auf ein Mädchen zu stehen und sie nicht anzunehmen fühlt sich seltsam schlecht und auch wieder gut an. Eine seltsame Erfahrung die er noch nicht kennt. Kann er überhaupt ohne sie? Kann er mir ihr? Sie ist das erste Mädchen in das er sich vermutlich verliebt hat und er stößt sie weg. Innerlich zerreißt es ihn fast da er genau weiß ihre sie spricht die Wahrheit. Sie hat was Besseres verdient. Waren das nicht schon seine eigenen Worte. Also beschließt er jetzt noch einen Drink, oder zwei, drei, vielleicht vier… zu nehmen.
Schlussendlich wissen Sarah und Michael nicht mehr so genau wer von den Zwillingen noch die bessere Kondition hat. Es gab ein regelrechtes Wett trinken. Wobei Michael darauf Acht gegeben hat das ihnen kein Alk mehr ausgeschenkt wurde. Doch da gab es eine jüngere Frau die ihren Spaß an den zwei hatte und ihnen den einen oder anderen Drink zu führte. Die Zwillinge sind stolz und beide tragen irgendwelche Dämonen mit sich rum daher haben sie das Angebot nicht ausgeschlagen.
Sarah und Michael beschließen, beide mit zu sich nach Hause zu nehmen. Marcus kann in diesem Zustand unmöglich noch fahren. Das ist allen klar. Zum Glück ist Michael vernünftig geblieben, darauf hat sich ja auch Maria gestützt.
Erstaunlicher Weise wehrt sich Marcus nicht einmal dagegen dass sie ihn mitnehmen wollen.
Als die Brüder mal kurz alleine da stehen spricht Lecram ziemlich ernst: „Ich - habe dich immer um dein Leben beneidet. Du - hast ein - eigenes Leben! Du bist kein Monster. Und ich werde wohl nie -verstehen warum nur ich so bin – wie ich bin.“
Marcus stöhnt und Wut steigt auf: „Egal was du tust, du bist immer der bessere.“
„Das verstehe ich nicht.“ Lecram kann seinem Bruder nicht ganz folgen. Ob das wohl am Alkohol liegt?
„Lecram“, du Idiot, „du bist ein ausgezeichnet Schüler. Ich bin miserabel in der Schule ohne dich an meiner Seite. Es sieht zurzeit nicht gut aus. Wenn du mir nicht mehr hilfst - falle ich durch. Das sind die Fakten.“ Dann schwankt Marcus etwas und erklärt weiter: „Außerdem bist du außerordentlich stark. Durch dieses Monster in dir bist du stärker als jeder andere den ich kenne. Auch im Parkour machst du dadurch die bessere Falle. Das ist nicht fair. Du spielst nicht mit fairen Mitteln. Du bist in allem der bessere. Scheiße ich hasse dich dafür.“
War die nackte Wahrheit.
Lecram ist nicht fähig darauf zu antworten. Was soll er auch sagen, so hat er es noch nie gesehen. Er ist immer viel zu beschäftigt wütend auf sich und die Welt zu sein. Bei klarem Verstand muss er wohl nochmal über die Wörter seines Bruders nachdenken. Sofern er sich noch daran erinnern kann…
Zu seinem Glück geht das Gespräch hiermit zu Ende. Denn Michael und Sarah kommen und blasen zum Aufbruch. Also schwanken die Zwillingsbrüder Arm in Arm gemeinsam zum Auto. Michael und Sarah grinsen.
„Kotzt mir jetzt ja nicht ins Auto.“ Mahnt Michael als alle Platz genommen haben.
„Sonst was?“ Möchte Marcus die Alternative wissen.
„Sonst könnt ihr es morgen blitzeblank putzen.“
„Uh…, hässlich. Geht gar nicht“, lacht Marcus und reißt sich zusammen. Zur Sicherheit lassen sie die Fensterscheiben runter. Tatsächlich- frische Luft hilft.
Als Michael seinen Wagen parkiert hat, kommen auch schon Migdal und Lamos daher getrottet. Marcus reibt seine Augen und muss zwei Mal hinsehen. Er traut wohl seinen eigenen Augen nicht.
„Hey da stehen zwei Gargoyles. Die sehen ja seltsam aus. Ich kenne auch einen. Ha…, es ist mein Bruder.“ Und dann lacht Marcus über seinen Witz.
„Wirklich witzig“, stänkert Lecram.
Bevor es zu peinlich wird oder sie noch einen Streit beginnen bittet Sarah Michael darum sich um Marcus zu kümmern. Also verfrachten Michael und Lamos, Marcus ins Haus. Migdal will sich um Lecram kümmern. Doch Lecram wehrt schwankend und mit seinen Armen fuchtelnd ab.
„Lass es. Alles im grünen Bereich. Ich möchte noch etwas spazieren gehen. Allein.“
Und dann schwankt er einfach los. Weit kommt er jedoch nicht, bleibt stehen und legt sich dann rücklings auf den Kies Boden. Sarah sieht besorgt zu Migdal und zuckt mit den Schultern auf.
Migdal sieht sie an und stellt meint lediglich: „Wenn du meine Hilfe brauchst ruf mich einfach.“
Für Sarah geht das in Ordnung. Also geht sie langsam auf Lecram zu und bittet ihn: „Hey, steh auf. Ich helfe dir ins Bett zu kommen.“
Sie findet ihn niedlich da er einen zufriedenen Gesichtsausdruck hat.
„Leg dich hin und sie dir mal die Sterne an. Die Nacht ist so klar und wunderschön. Man sieht nur nie genau hin. Heute ist Vollmond.“
Ihm fällt nun auf dass sie genau- von seiner Perspektive aus- im Vollmond steht und: „Wundervoll“, aussieht.
„Also gut“, seufzt sie, legt sich jedoch neben Lecram hin und sieht ebenfalls hoch. Lecram hat Recht. Wenn man sich die Zeit nimmt genau hin zu sehen sieht man wie schön es ist. Eine schöne klare Nacht. Der Mond steht wunderschön rund am Himmel. Unter anderen Umständen könnte das genau in diesem Moment der eine romantische Augenblick sein. Ihre Kehle wird trocken.
Dann dreht sich Lecram auf die Seite und sieht Sarah dabei genau an. „Du bist echt wunderschön.“
„Du bist alkoholisiert.“
„Sagt man in diesem Zustand dann nicht die Wahrheit? Hab ich mal so aufgeschnappt…“
Sarah lächelt: „Behauptet man zumindest.“
„Also beginnen wir noch einmal von vorne: Sarah du bist wunderschön.“ Dabei zwinkert er ihr zu und sie muss automatisch lächeln.
„Danke“, beschließt Sarah schließlich lediglich darauf zu antworten und hofft dass er endlich Ruhe gibt.
„Darf ich dir meine Gedanken mitteilen?“ Sieht er sie eingehend an.
„Leg los...“
„Du hast was Besseres verdient als einen verkorksten Gargoyle an deiner Seite. Doch ich weiß nicht wie ich die Gefühle für dich bei Seite stellen kann. Ich brauche einen Knopf zum abstellen oder so was. Hast du da eine brauchbare Idee?“
„Ja…“, versucht sie ernst zu bleiben, „geh erst mal schlafen und morgen nimmst du eine ausgiebige Dusche. Dann siehst du keine rosa Wolken mehr. Dann bist du wieder dich selbst.“
„Versprochen?“ Sein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse und Sarah muss laut lachen und steht schließlich als erste auf. Dann zieht sie an seinem Arm damit auch er aufsteht. Schlussendlich fügt er sich.
Als sie ihn endlich in seinem Zimmer hat, wirft er sich angezogen auf das Bett und zieht sie einfach zu sich hinunter. Dann hält er sie mit den Armen sanft jedoch fest genug damit sie nicht weg gehen kann. Schlussendlich schlafen sie gemeinsam in der Löffelstellung ein. Lecram ist überglücklich und ein Lächeln umspielt seine Lippen.

Tag danach

Als Lecram erwacht hält er immer noch Sarah in seinen Armen. Himmel was hat er getan, schlagartig sieht er den gestrigen Abend nochmal vor seinem Geistigen Auge ablaufen. An diesen Gedanken geheftet schmunzelt er. So fühlt es sich also an zu machen auf was man Lust hat. Ein wirklich gutes Gefühl.
Ganz langsam versucht sich Sarah aus seinen Armen zu befreien. Vermutlich denkt sie dass er noch schläft. Also haucht er ihr leise ins Ohr: „Ich bin wach. Guten Morgen Wächterin.“
„Mh…, Mittagsstunde trifft es wohl besser.“
Dann streckt sie sich. Tatsächlich, als Lecram auf die Wanduhr im Zimmer sieht, liest er bereits elf Uhr. Sarah steht auf und zupft etwas an ihren zerknitterten Kleidern. Lecram sitzt auf und stöhnt. Sein Schädel brummt.
Sarah sieht sein verzogenes Gesicht.
„Ich hol dir mal ein Glas Wasser und was gegen die Kopfschmerzen. Mach dich schon mal auf eine Stammpauke von Maria gefasst.“
Lecram nickt langsam und sieht zu wie seine Sarah aus der Türe verschwindet. Er sieht ihr gerne nach und dass sie mit ihrem Bein ein Handicap hat und hinkt stört ihn nicht im Geringsten. Einfach ein tolles Mädchen.
Als sie die Türe von Lecram ins Schloss fallen lässt stößt sie direkt auf Marcus der aus dem gegenüber liegenden Zimmer kommt. Auch Marcus sieht etwas zerknittert aus aber besser wie sein Zwillings-Bruder. Marcus grinst frech, geht ganz langsam und nah auf Sarah zu. Seine Augen funkeln sie verführerisch an.
Dann flüster er ihr ins Ohr: „Na Hinkebein, war’s schön?“
„Es war nicht das was du denkst“, sieht sie ihn vorwurfsvoll an. Marcus lächelt immer noch breit.
„Keine Sorge, das weiß ich doch. Ich kenne meinen Bruder. Komm das nächste Mal zu mir, ich bin in dieser Beziehung wirklich anders. Zuverlässiger und ausdauernder.“
„Marcus hau ab, ich kann dich hören“, und lass die Finger von ihr, ruft Lecram aus seinem Zimmer.
Marcus grinst immer noch frech und flüstert ihr weiter ins Ohr: „Gibt es hier irgendwo was essbares?“
Sarah lächelt nun ebenfalls und nimmt ihn kommentarlos bei der Hand. Sie bringt ihn zu Maria, seiner Mutter und Ben. Sie hat sowieso das Gefühl es ist gut wenn Marcus seine Mutter endlich näher kennen lernt. Für beide Seiten ist es ihrer Meinung nach wichtig.
Lecram sitzt immer noch auf der Bettkannte und hält seinen Kopf fest. So rasch wird er wohl keinen Alkohol mehr trinken. Zumindest nicht gleich so viel. Was für eine blöde Idee! Also sitzt er eine Weile da und hofft dass Sarah bald zurück kommt. Doch sie braucht länger als ihm lieb ist. Nun versucht er es mit der Dusche von der Sarah gestern Nacht, oder war es schon heute Morgen, gesprochen hat. Er steht tatsächlich einiges länger unter der Dusche wie normal. Es tut ihm unglaublich gut. Als er zurückkommt steht das Glas Wasser und eine Tablette auf seinem Schreibtisch. Es ist ihm egal was er da schluckt, Hauptsache es hilft. Er ist dankbar dass Sarah so gewissenhaft ist. Mit ihr im Arm aufzuwachen war schön. Sehr schön sogar. Hier zu leben und Sarah dauernd in der Nähe zu haben ist schon eine riesige Herausforderung. Er hat es sich wesentlich einfacher vorgestellt.
Schließlich geht er Angezogen auch zu den anderen rüber. Denn Lecram hat nicht nur Kopfschmerzen sondern auch großen Hunger. In der großen Küche sind alle versammelt. Verdammt. Darunter auch sein Bruder. Maria geht auf Lecram zu und umarmt ihn.
„Setzt dich hin und Iss etwas.“
„Keine Stammpauke?“ Hakt er nach.
„Du siehst wirklich nicht gut aus. Ich hoffe du hast daraus gelernt.“ Ist ihre einfache Antwort. Und Lecram versteht was sie damit zum Ausdruck bringt. Lecram ist ihr dankbar und nimmt das Angebot mit dem Essen nur zu gerne an. Natürlich ist Lecram nicht entgangen dass Sarah neben Marcus sitzt und dieser ihr immer wieder über ihre Hand streichelt. Sie sind sich sehr nah.
Ben bricht das Schweigen indem er sich zu Lecram wendet: „Lecram wir haben uns mit Marcus etwas unterhalten. Wir möchten dir mitteilen dass Marcus auch zu Theo ziehen wird.“
Lecram spricht kein Wort, er isst einfach ruhig weiter. Tatsächlich zwinkert er nicht mal mit der Wimper. Die anderen sehen einander misstrauisch an da er keine Reaktion zeigt.
Da ihn mittlerweile alle anstarren spricht Lecram ziemlich gefasst: „Muss ich mich dazu äußern?“
Marcus lächelt schief und wechselt einfach das Thema:
„Aber ich habe euch gewarnt. Laut Aussage von Liv und Adam ist es meine Bestimmung euch zu Aros zu bringen. Unterschätzt nie meine dunkle Seite. Ich habe da eine sehr dunkle Seite.“ Seine Augen leuchten kurz auf.
„Hört ihm gut zu und nehmt ihn ernst“, Himmel schmeißt ihn raus, ist nun Lecrams Kommentar dazu.
Jedoch geht niemand näher auf das Thema ein da sie gemeinsam beschlossen haben abzuwarten.
Da vorerst alles gesagt ist, unterhält sich Maria wieder etwas mit Marcus um ihn näher kennen zu lernen. Sie ist glücklich beide an ihrer Seite zu haben. Das ist mehr als sie je gehofft hat. Und wenn sie die beiden ansieht kann sie gewisse Züge von Aros nicht verleugnen. Aber es sind auch ihre Jungs.
„Wo ist Theo?“
Will Lecram wissen als er fertig gegessen hat. Denn Theo ist für ihn schon so eine Art Vater Figur geworden. Er schätzt diesen Mann sehr.
Diesmal antwortet Sarah: „Irgendwo bei den Tieren.“
In diesem Moment fallen Lecrams Haare seitlich ins Gesicht und sein Blick wirkt düster. So empfindet es Sarah zumindest. Lecram nickt ihr dankend zu. Doch bevor er losziehen kann möchte Gloria endlich noch etwas los werden: „Hey Lecram-, Marcus…! Ich würde gerne mal nachsehen wie viel Magie in euch steckt.“
„Cool, aber können wir das etwas verschieben. Ich will zuerst meine Sachen holen.“ Ist Marcus fasziniert von der Idee er könnte magische Fähigkeiten besitzen. Dass sein Bruder dieses seltsame Ding ist war ja schon immer so seltsam. Aber dass sein leiblicher Vater ein Magier ist, fasziniert ihn doch sehr.
Gloria nickt und Michael erklärt Marcus: „Ich komme mit dir mit. Ich helfe dir bei deinen Sachen.“
Marcus nimmt das Angebot gerne an. Ein paar Hände mehr können bestimmt nicht schaden. Er weiß ja noch nicht einmal wie sich Liv und Adam verhalten werden. Aus diesem Grund beschließt auch Ben mit ihnen zu gehen.
Da soweit alles gesagt ist erklärt Lecram als er aufsteht: „Ich gehe dann mal in die Krankenstation hinüber zu Theo.“ Himmel, er muss hier einfach weg!
Sein Schädel brummt zwar noch etwas und er fühlt sich noch ziemlich schlapp. Schon fast etwas kränklich. Aber egal, da muss er durch und lässt sich nichts anmerken. Das wäre ja noch schöner! Also verabschiedet er sich kurz und geht.
Eigentlich hat Lecram gehofft Theo in der Krankenstation zu finden. Doch da sind ausnahmsweise mal keine Tiere drin. „Schade…“, denkt sich Lecram.
Also denkt er über Maria nach, er ist froh dass Maria ihre große Liebe in Ben hier gefunden hat. Für Ben war es am Anfang sicher nicht leicht mit so einer Geschichte zu leben. Doch aus irgendeinem Grund hat er Maria vertraut und behielt alles für sich. So wie auch seine Söhne aus erster Ehe. Das muss wirklich grenzenlose liebe sein. Vielleicht sogar so etwas wie Schicksal. Gedankenversunken schlendert Lecram im Tierpark umher. Hier sind keine exotischen Tiere zu finden. Es sind vorwiegend einheimische Tiere die hier gestrandet sind.
Nun geht er an den Schwarzbären, den Kojoten und dem Wapiti oder Rothirschen vorbei. Die kleinen Squirrels (Erdhörnchen) sind frech und vorwitzig. Die sind immer einen Besuch wert. Die Krähen sind auch noch da. Auch ein paar Weisskopfseeadler sind da. Leider können diese nicht mehr ausgewildert werden da sie Flug unfähig sind. Am Schluss kommt Lecram zu den Kanadischen Wölfen und setzt sich dort auf die Bank.
Die Krähe gesellt sich auch zu ihm hin und wieder stört sie ihn überhaupt nicht. Sie kommt ihm heute gerade gelegen. Er sieht die Krähe an und hat das Gefühl in seinem Kopf rauscht es leicht. Was will diese Krähe ihm bloß mitteilen? Er spürt dass die Krähe etwas zu erzählen hat, er jedoch ist noch nicht in der Lage sie zu verstehen. Ob er einfach noch nicht bereit dafür ist?
Neugierig sieht er wieder zu den Wölfen. Mittlerweile kennt Lecram die Wölfe schon gut. Er ist fasziniert von ihrem Rudel verhalten. Gern beobachtet er den großen starken Leitwolf. Jeder einzelne von ihnen hat einen bestimmten Platz im Rudel. Sie funktionieren wie eine eingespielte Einheit. Eine Familie! Das bringt ihn wieder zurück in seine neue Familie. Er fühlt sich hier eigentlich sehr wohl. Alle sind so nett und niemand behandelt ihn anders. Jetzt hat er noch mehr Geschwister als zuvor. Tatsächlich würde jeder für ihn einstehen, das spürt er genau. So eine Familie hat er sich immer heimlich gewünscht und hat sie bekommen.
Lecram weiß genau dass er sich selbst im Weg steht durch seine distanzierte Art. Das spürt er ja auch. Aber schließlich ist er immer noch anders als die anderen.
Auch wenn sein Bruder seine starken Eigenschaften toll findet. Kann er sich nicht so einfach damit abfinden.
Dann ist da noch Sarah. Das Mädchen das ihn aus irgendeinem seltsamen Grund verstehen kann. Doch er möchte nicht dass sie ihm so nahe kommt. Alleine ist er auf jeden Fall besser dran, redet er sich zumindest ein und für ihn ist es logisch dass er sich so verhält. Er hat kein Anrecht auf diese Art von Liebe! Lecram hasst den Gargoyle in sich immer noch Zunehmens. Auch wenn er Maria teilweise Recht geben muss das er als Mensch die positiven Eigenschaften raus picken sollte, kann er es nicht. Er will kein Dämon sein, er will nur ein normaler Mensch sein und das tag täglich.
Gedanken versunken sitzt er so da, suhlt sich schon fast wieder in Selbstmitleid, bis er Schritte hinter sich hören kann. An Hand der Schritte kann er deutlich erkennen dass es sich dabei um Sarah handelt. Sie sollte ihn doch in Ruhe lassen! Ruckartig steht er auf und dreht sich in ihre Richtung. Dabei lächelt er sie verhalten an.
„Ich habe mir schon gedacht dass ich dich hier finde.“ Bricht Sarah das Schweigen.
„Gesucht gefunden.“
„Bist du nicht einverstanden dass Marcus bei uns leben will? Ich finde es seltsam dass du überhaupt nicht darauf reagiert hast.“
„Du willst es genau wissen.“ Himmel, sie gibt nicht auf, schüttelt er leicht seinen Kopf. Warum muss sie in seinen wunden punkten herum wühlen?
„Ja, ich will es genau wissen“, ist ihre klare, ruhige Antwort.
„Das passt zu dir.“ Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem leichten lächeln.
„Eben.“
„Er kann tun und lassen was er will. Marcus ist selbständig und braucht nicht mein Einverständnis.“
„Das war nicht meine Frage, Lecram.“
Jetzt stöhnt er auf bevor er antwortet: „Er ist mein Zwillingsbruder. Das scheint zu verbinden. Auch wenn er mir fürchterlich auf die Nerven geht liebe ich ihn wohl auf meine Weise.“ Hofft er wirklich überzeugend zu klingen, „auch er hat ein Recht Maria kennen zu lernen. Sie ist unsere Mutter.“
„Du hast Maria gern.“
„Wie könnte man nicht. Sie ist wundervoll.“
„Sie war auch uns immer eine gute Mutter. Klar dass Marcus sie auch kennen lernen möchte.“
„Eben, und im Brief den Maria übersetzt hat steht ganz klar dass ich meinen Partner brauche. Wer sonst als Marcus kann mein Partner sein. Wir sind so oder so miteinander verbunden. Doch dass er uns zu Aros führen soll dürfen wir nicht unterschätzen. Ich an eurer Stelle wäre vorsichtig und nicht zu vertraut.“ Wir müssen alle auf der Hut sein…
„Da hast du Recht“, stimmt sie ihm zu und wirkt nachdenklich. Dabei zieht sie ihre Augen schmal zusammen.
„Übrigens danke für das Glas Wasser und …“, wechselt er das Thema.
„Kein Problem. Geht es dir besser?“
„Etwas. Der Abend hat sich gelohnt. Es hat Spaß gemacht.“
„Kein Wunder, du stehst dir ja selbst im Weg. Kennst du diese Zeilen: Heute in zwanzig Jahren wirst du mehr über die Dinge enttäusch sein, die du nicht getan hast, als diejenigen, die du getan hast. Also mach dich los. Segle aus dem sicheren Hafen. Fang den Passatwind mit deinen Segeln ein. Erforsche. Träume. Entdecke.“
Er schüttelt leicht seinen Kopf. „Hm…, nein.“
„Diese Zeilen sind von Mark Twain. Sie passen so unglaublich gut zu dir. Als wär‘s dir auf den Leib geschrieben. Lebe endlich dein Leben und geniesse jeden Augenblick davon. Sei nicht immer der Einzelgänger den du gar nicht sein möchtest.“
„Als wenn das so einfach wäre. Tut nicht immer so als wäre ich kein Monster. Ich bin eines!“ Seufzt er leise auf und sein Blick spricht Bände. Tatsächlich möchte er am liebsten in ihre Arme flüchten. Natürlich tut er es wieder einmal mehr nicht. Wie schon öfters behält er seine Gedanken für sich.
„Du bist der einzige der dir im Weg steht.“
Erklärt Sarah mit ernstem Blick und geht dann einen Schritt näher an ihn heran und legt ihre Hände auf seine Brust. Heute will sie mit offenen Karten spielen, sie hat nichts zu verlieren:
„Lecram, ob es dir passt oder nicht, ich habe mich in dich verliebt!“
Lecram presst seine Zähne zusammen. So etwas will er nicht hören. Er hält jetzt seinen rechten Zeigefinger auf ihren hübschen vollen Mund. Er will dass sie aufhört zu sprechen. Es zerreisst ihn innerlich fast und er schluckt schwer. Diesen Kampf muss er wie gewöhnlich mit sich selbst ausfechten. Er hat es sich tausendmal überlegt und sein Entschluss steht ziemlich fest, es ist besser für sie. So jung, so hübsch, sie findet jederzeit einen anderen. Und er wird ohne sie weiterleben können. So wie er es bis anhin auch getan hat.
„Du sollst so etwas nicht sagen. Ich lebe in zwei Welten. Es geht nicht, auch wenn ich dich mag sehr“, versteh doch, „Ich dachte du und Marcus könntet vielleicht…“, unterbricht er den Satz da auch er weiss wie Idiotisch es klingt.
Sarah nimmt seine Hand von ihrem Gesicht weg und sieht ihn finster an. Vielleicht auch etwas wütend oder endtäuscht. Das ist ihr aber im Moment auch egal. Sie reckt ihr Kinn.
„Mass es dir nicht an für mich oder Marcus zu denken. Ja, wir mögen uns mittlerweile irgendwie gut leiden. Er wollte dich nur eifersüchtig machen da er dachte du kommst dann aus der Reserve. Aber nein, bei dir passiert das Gegenteil. Du verschliesst dich noch mehr und willst sogar dass ich mit Marcus zusammen bin.“ Für den nächsten Satz holt sie tief Luft: „Ramm dir doch gleich ein Messer mitten ins Herz. Das ist definitiv effektiver! Mann, bist du echt ein Idiot!“
Obwohl sie ziemlich aufgebracht ist streift sie sanft mit ihren Händen durch sein Gesicht, er ringt dabei um seine Fassung, dann dreht sich um und hinkt stolz davon. Zumindest so gut es geht denn die Tränen stehen ihr zuvorderst. Aber so lange Lecram hinter ihr steht will sie ihren Gefühlen nicht nachgeben. Das will sie einfach nicht zulassen.
Nach etwa fünf Schritten hört sie Lecram hinter sich sagen: „Aufzuwachen mit dir im Arm war wunderschön. Das war mehr als ich erwartet habe. Viel mehr.“
Sarah bleibt abrupt stehen, dreht sich aber nicht zu ihm um. Sie empfand dasselbe. Das weiss er ganz genau. Da Sarah nicht gewillt ist, sich in seine Richtung zu drehen spricht er sanfter weiter:
„Marcus hatte Recht, ich bin eifersüchtig. Ich bin verwirrt.“ Verletzt, durcheinander und einsam.
Lecram hat erreicht dass sich Sarah wieder in seine Richtung dreht. Ihr Blick ist verhalten und vorsichtig.
Es ist wohl an der Zeit dass er seine Karten offen auf den Tisch legt. Er hasst solche Momente, er hat keine Übung darin und stellt sich blöd an. Das weiss er ganz genau.
„Ich habe Angst vor so grossen Gefühlen. Ich hatte noch nie eine Freundin und habe grosse Angst dich zu verletzten. Angst dich zu verlieren, zu endtäuschen. Ich bin als Gargoyle kein Partner für dich. Darum gehe ich dir aus dem Weg. Versteh mich doch wir müssen vernünftig sein, deinetwegen.“
Sarah schluckt schwer und ihre Kehle bleibt trocken.
„Was ist mit: Du bist mein Leben, passiert?“ setzt sie nach.
„Das hast du dir also gemerkt.“
„Solche Worte vergisst man nicht so rasch.“
„Dinge können sich ändern.“
„Gefühle ändern sich nicht einfach so. Du versuchst dich selbst zu belügen.“ Grosser Gott, er ist so stur.
Ganz langsam geht er auf sie zu, als er ihr dabei zu erklären versucht: „Also gut, irgendwie kann ich nicht mit dir und auch nicht ohne dich. In meinen Augen hast du eine normale Beziehung verdient.“
„Ja, das habe ich. Da gebe ich dir Recht. Doch ich kann meine Gefühle für dich nicht bei Seite legen als wäre es ein gutes Buch dass ich fertig gelesen habe. Ich habe dir klar und deutlich gesagt wie meine Gefühle zu dir sind.“
„Das ist für mich nicht so einfach.“
„Korrigiere: Du willst es nicht einfach. Und ja ich kann ohne dich leben. Trotzdem ändert sich nichts an meinen Gefühlen, es wird das zusammen Leben erschweren. Ich pack das, ob du deine Gefühle einfach so wegstecken kannst ist eine andere Geschichte“, schiesst sie ihm die Worte an den Kopf und Lecram macht grosse Augen. So energisch hat er sie noch nie gesehen. Ihre Selbst wenn sie wütend ist findet er sie süss. Ihre Worte scheinen das Ziel erreicht zu haben und Lecrams Schutzschild bröckelt.
„Bist du bereit meine Ängste in Kauf zu nehmen? Ich bin verkorkst und werde dich immer wieder vor den Kopf stossen. Es gibt keine Garantie dafür dass du mit mir glücklich wirst. Gib zu das ist nicht das was du dir wünscht. Du hast mich jetzt erlebt. Vielleicht überschätzt du dich und deine Gefühle. Ich habe Hochs und eine Menge Tiefs.“
„Vielleicht“, Sarah sieht zu ihm auf, „Vielleicht fehlt dir einfach noch etwas Übung. Und vielleicht es ist genau das was ich brauche. Ich liebe dich.“ Sarahs Augen werden weich.
„Sarah, du bist mein Leben.“ Und noch viel mehr.
Sanft küsst er sie auf ihre vollen Lippen und drückt sie fest an sich. Da ist es wieder dieses kribbeln im Bauch. Das Gefühl von Geborgenheit. Das Gefühl das richtige zu tun. Nichts an dieser Situation fühlt sich schlecht oder unwirklich an. Sie schmiegt sich noch mehr an ihn an und er hält sie einfach nur fest in seinen starken Armen, streichelt dabei ihren Rücken. Er möchte sie am liebsten nie mehr los lassen. Der Moment ist einzigartig.
Sarah mahnt vorab „Wehe du kehrst mir nächste Woche als Gargoyle den Rücken.“ Denn so wie sie ihn kennt wird er als Gargoyle wieder etwas anders ticken. Darauf kann sie sich verlassen.
„Schuldig.“ Löst er sich von ihr und sieht ihr dabei direkt in die Augen: „Ich sehe so fürchterlich aus mit meinen rubinroten Augen. Wie kannst du dann nur bei mir sein wollen.“ Das hält doch niemand aus, sind seine Gedanken.
„Lecram es ist nur dein Äusseres.“ Und sie zitiert Niccolò Machiavelli: „Jeder sieht, was du scheinst. Nur wenige fühlen, was du bist.“
„Sieh mal genauer hin. Ich sehe echt scheusslich aus. Also wenn du der Gargoyle wärst, ich könnt dann nicht mit dir.“, scherzt Lecram und grinst leicht. Sie bemüht sich so sehr.
„Ja schon klar. Ihr Männer seit schon sehr aufs äussere fixiert, wie ich im PIT deutlich sehen konnte.“
„Schuldig“, lächelt er immer noch und ist fasziniert davon dass sie im PIT gesehen hat wie er den anderen Mädchen nachgesehen hat. Ihm hingegen entging ja auch nicht was Marcus mit ihr so angestellt hat. Händchen halten dort und Küsschen dort. Er hat alles genau gesehen. Also zuckt er belustigt mit den Schultern auf. Lässt die Diskussion so im Raum stehen. Er hat seinen Standpunkt und sie ihren. Also schlendern sie Händchenhaltend zurück ins Haus.
Da kommt Sarah eine zündende Idee: „Willst du mit mir zusammen an die Bay of Fundy? Ich wollte dir doch die Gegend zeigen.“
„Heute noch?“
„Warum nicht.“ Lächelt sie.
Warum nicht und sie geniessen den restlichen Tag allein.
Wie Lecram herausfindet sammelt Sarah sehr gerne Herz Steine. Dass es so etwas überhaupt gibt…, darauf hat er noch nie geachtet. Aber tatsächlich gibt es hier und da Steine die annähernd eine Herz Form haben.
Er findet sie niedlich wie sie sich über die banalen Dinge freuen kann. Ihr Gesicht strahlt dann förmlich und ihre Augen leuchten ihn an. Jeder kann sehen dass sie glücklich ist, so wie auch er in diesem Moment.
Einen Weisskopfseeadler können sie heute auch beobachten. Wie der Vogel am Himmel kreist, seine Flügel gegen den Wind hält und ruhig gleitet sieht einfach wundervoll aus. Ob aus diesem Grund die Krähe heute nicht mit von der Partie ist, fragt sich Lecram da ihm aufgefallen ist dass die Krähe fehlt. Doch er ist so gefangen in seinem beisammen sein mit Sarah dass er der Krähe keine Aufmerksamkeit mehr schenkt. Man spürt doch sehr dass der Sommer vor der Tür steht. Bald beginnen die Sommerferien. Und dann gehen sie gemeinsam nach Malon. Das wird ein grosser Augenblick sein. Genau genommen wird es ein neuer Lebensabschnitt.
Die beiden kommen heute nicht sehr weit mit ihrem Spaziergang. Denn Lecram zieht Sarah immer wieder an sich um sie zu küssen oder einfach nur um sie fest zu halten. Sie benehmen sich wie ein gewöhnliches junges, frisch verliebtes Paar. Was sie definitiv ja auch sind. Die anderen Menschen um sie herum stören die beiden nicht. Für Lecram ist es ein unglaublich befreiender Moment. Sich frei zu bewegen ohne Angst im Rücken zu haben dass er mit Marcus gesehen werden kann. Und dann noch mit einem Mädchen in das er sich verliebt hat. Nein, das sogar ihn lieben kann so wie er ist und sein wird. Bis anhin war das nur seinem Bruder vergönnt. Und Lecram war immer eifersüchtig auf Marcus Leben. Also warum soll er seine Woche als Mensch nicht ausgiebig auskosten und tun was ein Teenager eben so tut. Er beschliesst, in Zukunft, die eine Woche als Mensch richtig auszukosten. Mit allem drum und dran und hofft den anderen in der Familie dabei offener zu begegnen. Wenn er dann wieder der Gargoyle ist kann er ja immer noch genug Trübsal blasen. Dafür hat er ja dann drei Wochen lang Zeit und das sollte genügen.
Als sie zurückkehren ist es längst schon Abend. Lecram hat Hunger und will nachschauen ob in der Küche bei Maria noch etwas Essbares zu finden ist. Denn bei Theo ist der Kühlschrank praktisch immer leer. Alle Mahlzeiten werden bei Maria und Ben eingenommen. Seine Sarah hält Lecram dabei immer noch an einer Hand fest und lässt sie erst in der Küche los.
Plötzlich schiesst Gloria in die Küche und faucht Lecram an: „In zehn Minuten treffen wir uns unten im Keller. Sarah, zeig ihm den Weg falls er es nicht mehr weiss. Klar!“
Lecram nickt und Gloria rauscht wütend wieder hinaus.
Lecram ist über Glorias Ausbruch erstaunt und sieht Sarah an: „Weisst du was sie hat?“
„Uh...verdammt, das habe ich ganz vergessen. Sie wollte heute nachsehen ob ihr zwei Magie in euch habt… Ich wollte ja ursprünglich mit dieser Mitteilung zu dir. Entschuldige.“
„Kein Problem“, grinst er breit und es ist ihm egal dass Gloria wütend ist. Der Abend mit Sarah war unbezahlbar. Nichts desto trotz machen sie sich dran in das Kellergewölbe hinunter zu steigen. Dort treffen sie auf Gloria und Marcus die bereits auf die beiden warten. Gloria hat ein grosses dickes, vermutlich schweres Buch dabei.
Gloria weist sie an einen kleinen Kreis zu bilden und spricht: „Bald stehen die Ferien vor der Türe. Wir gehen dann nach Malon. Und ich gehe davon aus dass der eine oder andere von euch auch mitkommen möchte.“
Die Brüder sagen kein Wort, denn sie müssen sich ja nicht jetzt entscheiden. Gloria sieht beide nach einander eingehend an und erklärt weiter: „Wie wir wissen habt ihr beide eigenartige Fähigkeiten. Sehen wir mal nach was da sonst noch so in euch schlummert.“
Sarah ist auch ziemlich neugierig und sieht zu Lecram der sie natürlich anlächelt. Marcus sieht die beiden kurz nach einander an und hat verstanden was mit den beiden los ist. Er lächelt in sich hinein.
Die vier sitzen also auf den Boden im Kreis, so gut es geht zu viert. Lecram hat gleich eine Frage an Gloria: „Kann ich dich was fragen?“
„Leg los.“
„Ich habe im Internet viel über Hexen und Zauberer gelesen. Ist es wahr dass man seine Magie verlieren kann?“
„Im Prinzip ja. Es gibt da ein Gesetzt der Gleichung. Wenn du deine Magie für schlechte Zwecke benutzt, wird sie dir eines Tages aus bleiben. Magie soll nicht eigennützig einzusetzen sein.“
„Im Prinzip?“ Ist das was Marcus zu stören scheint.
„Ich habe es noch nie selbst erlebt. Habe also darin keine Erfahrung. Ich gebe euch nur weiter was mich dieses schwere alten Buch gelehrt hat.“
„Irgendwo habe ich gelesen dass man nach einem Zauberspruch etwas altert.“ Ist das so, Möchte Lecram noch genauer wissen. Jetzt lachen Sarah und Gloria kurz auf und Sarah versucht ihm zu erklären: „Wir denken das ist ein Mythos. Falls so etwas doch mal passieren sollte, wenden wir einfach wieder einen Verjüngungszauber an. Versprochen!“
Ich Idiot, jetzt muss auch Lecram peinlich berührt grinsen. So gesehen war seine Frage schon etwas blöd. Gloria erklärt ihnen dass die Sprüche nicht auswendig gelernt werden müssen. Wenn man sie mal gelernt und ausprobiert hat sitzen sie. Und werden in gewissen Situationen intuitiv wieder hervor gerufen. Marcus und Lecram staunen nicht schlecht. Die Brüder sehen sich an und jeder von ihnen ist gespannt was der andere so drauf hat. Sind sie tatsächlich Konkurrenten?
Also beginnt Gloria mit dem Element Feuer. Sie murmelt ein paar Worte und in der Mitte des Kreises entfacht ein kleines Feuer aus dem nichts. Mit einem Gegenspruch erlischt das Feuer wieder.
Marcus ist sichtlich begeistert und beginnt sofort auch diese Worte zu sprechen. Dabei starrt er mit grossen Augen auf die Mitte des Bodens was fast etwas lächerlich aussieht da er es so verbissen versucht. Sein Ehrgeiz ist gross und tatsächlich geling es ihm rascher als angenommen. Sein Feuer gleicht zwar eher einem kleinen Flämmchen, aber für das erste Mal nicht schlecht. Die Schwestern schmunzeln verhalten. Gloria erstickt dann die kleine Flamme mit einem Gegenspruch.
„Gut gemacht.“ Gloria ist beeindruckt.
Dann sehen alle zu Lecram der nun an der Reihe ist. Lecram weiss noch nicht was er davon halten soll, seufzt leise auf und schliesst, im Gegensatz zu seinem Bruder, die Augen. Er konzentriert sich darauf wo das Feuer entstehen soll. Eine helle Aura umgibt ihn leicht und er beginnt zu lächeln weil er sich gut fühlt. Es sieht für die anderen so aus als wäre Lecram irgendwo anders, in einer Art Trance Zustand. Keiner der anderen ist fähig zu sprechen, sie haben ein erstauntes Gesicht. Langsam öffnet Lecram seine Augen wieder und sieht vor sich auf dem Boden zwei winzige Flämmchen die eine Art Tanz vor führen. Die winzigen Flämmchen hüpfen auf und nieder als hätten sie Spass an ihrem Erwachen. Auch Lecram staunt und hält seine rechte Hand in die Richtung der Flammen. Warum er das tut weiss er nicht. Er macht es einfach instinktiv. Und die winzigen Flämmchen huschen auf seine Handfläche als wären sie dort zu Hause. Dann wird aus den zwei, eine gemeinsame Flamme. Nicht gross aber es ist immerhin eine Flamme. Wieder lächelt Lecram und wirft die kleine Flamme in die Höhe wo sie dann erlischt ohne einen Gegenspruch.
„Das war ein wunderschönes Gefühl. Was kommt jetzt“, ist Lecram euphorisch.
Sarah und Gloria sehen sich seltsam an und scheinen sich zu fragen was da gerade vor ihren Augen passiert ist.
„Mache ich dabei auch so ein dummes Gesicht…,“ scherzt Marcus.
„Bestimmt“, antwortet Lecram und grinst breit.
„Also ich muss euch da was erklären“, holt Gloria etwas aus, „Eine Flamme zu entfachen ist die eine Sache. Aber mit ihr zu spielen und in die Hand zu nehmen eine andere. Ihr seid nicht automatisch geschützt bei den Sprüchen die ihr macht. Eure Flamme kann euch ebenfalls verletzten. Nehmt sie niemals in die Hand. Ihr könnt euch grässliche Verbrennungen zu legen. Lecram das war…“
„… schon kapiert. Es tut mir leid, es kam einfach so über mich.“
Gloria nickt und ist froh dass die beiden ihr Anliegen verstanden haben. Für heute brechen sie ab. Denn Magie kostet ihren Tribut und macht müde. Also stehen sie auf und klopfen sich den Dreck von den Kleidern.
„Sarah, bleibst du rasch einen Moment.“ Bittet Gloria ihre Schwester.
Sarah nickt und die Brüder machen sich auf den Weg. Sie sind immer noch gut gelaunt und staunen was alles so in ihnen steckt. Vor allem Marcus ist ziemlich angetan davon dass er so etwas zu Stande bringt. Langsam gehen sie den engen Gang wieder nach oben.
„Ich höre die Krähe in meinem Kopf und nun kann ich auch eine Flamme aus dem nichts erschaffen. Schon verrückt. Doch ehrlich gesagt finde ich es cool!“
„Ja, wirklich erstaunlich... Übrigens wie haben heute Liv und Adam darauf reagiert dass du abhaust?“
„Es war seltsam. Sie haben es lediglich zur Kenntnis genommen. Dann haben sie so getan als wäre ich Luft für sie. So als hätte es mich und dich nie gegeben. Die haben uns einfach so aus ihrem Leben gestrichen.“
„Das tut mir leid für dich.“ Ist Lecram mitfühlend, bleibt stehen und dreht sich in dem Gang zu seinem Bruder.
„Warum tu dir das Leid?“
„Du standest ihnen näher als ich… Dachte ich zumindest.“ Für mich sah es so aus.
„Lecram“, seufzt Marcus und sieht seinen Bruder eingehend an, „ich war ihnen als Hilfe im Weingut gerade gut genug. Aber Hilfe in der Schule habe ich nie bekommen und liebe schon gar nicht. Die Tage waren unendlich lange ohne dich. Aber du bist ja dauernd mit dir selbst beschäftigt und siehst nicht was um dich herum passiert.“ Marcus ist froh seinen Standpunkt mal klar gemacht zu haben.
So hat Lecram es nie gesehen, sein Bruder hat Recht. Er hat Marcus nie gefragt wie es ihm geht.
„Hey Mann, entschuldige. Ich dachte nicht…“
„Lass es hinter uns.“ Dann klopft er seinem Bruder auf die Schulter und lächelt: „Mann, geh endlich weiter.“
„Geht klar“, lächelt Lecram auch und stösst oben die schwere Türe auf.
„Ach ja…, ich hab da noch ein Anliegen.“ Marcus rümpft seine Nase, „Hilfst du mir wieder mit der Schule? Wäre echt nett.“
Diesmal klopft Lecram im Freien seinem Bruder auf die Schulter und antwortet grinsend: „Nur wenn du dabei auch etwas Zeit mit lernen verbringst. Sonst nützt das ja alles gar nichts.“
Auch Marcus schmunzelt und weiss genau dass sein Bruder da nicht unrecht hat. Dann gehen beide ins Haus zu Maria- ihrer Mutter und werden freundlich empfangen.
Die Mädchen sind noch im Kellergewölbe unten und Gloria möchte von Sarah wissen: „Wie fandest du die beiden gerade?“
„Aros Magie ist spürbar. Eindeutig seine Söhne.“ Himmel, was kommt da auf uns zu. Sarah dreht automatisch wieder ihren Daumenring.
„Ich frage mich ob das nun gut oder schlecht für uns ist. Ich meine, in Anbetracht dessen dass Marcus uns zu Aros bringen soll.“
„Keine Ahnung, wir müssen wohl oder übel einfach abwarten wie sich die Dinge entwickeln. Dann sehen wir weiter“, ist Sarah ehrlich und schiebt ihre Unterlippe vor.
„Du hast schon gesehen was Lecram da angestellt hat. Er war unglaublich. Die Flamme hätte ihn verbrennen müssen!“
„Das Feuer ist wohl sein Element. Hast du seine leicht leuchtende Aura dabei gesehen?“ Ist Sarah neugierig ob ihre Schwester das auch gesehen hat.
„Ja, habe ich, aber so was gibt es eigentlich nicht. Wir sind nicht gegen Feuer resistent.“ Argumentiert Gloria Schulter zuckend.
„Es sah echt nicht nach einem Zufall aus“, im Gegenteil, denkt sich Sarah und muss wissen: „Gloria, was machen wie jetzt mit den zwei? Möchtest du noch mehr mit ihnen üben? Denkst du das ist Sinnvoll?“
Gloria schüttelt ihren Kopf: „Nein. Wir wissen was wir wissen wollten. Seine Söhne können mit Magie umgehen. Wenn beide nach Malon mitkommen wird sich ihre Kraft endgültig entfachen. Aber sie sind dann ungeübt und wir sind dann vielleicht einfach nur froh wenn wir im Vorteil sind.“ Hofft Gloria und schiebt einen Gedanken nach, „und wenn wir uns mit Marcus irren?“
„Wie meinst du das?“ Sarah schaut besorgt und Gloria antwortet: „Ich habe mir da so meine Gedanken gemacht. Was, wenn Lecram derjenige ist der uns zu Aros führen soll. Wenn das alles irgendwie verdreht ist.“
„Lecram soll uns täuschen?“
„Keine Ahnung…, nur so ein Gedanke“, spricht Gloria in Sorge und Sarah fällt ihr ins Wort: „Ich habe ein gutes Gespür in solchen Angelegenheiten. Vertraue mir.“
„Du hast dich verliebt. Dadurch bist du voreingenommen.“
„Das weiss ich selbst.“ Gibt Sarah ungern zu.
„Sind seine Gefühle zu dir denn aufrichtig?“
„Aufrichtig ja doch warte bis er wieder der Gargoyle ist, dann muss ich ihm wieder etwas auf die Sprünge helfen“, lächelt Sarah nun offen da sie ihrer Schwester nichts verheimlichen will. Und Gloria schüttelt ihren Kopf da sie ihre Schwester im Grunde genommen nicht so Recht verstehen kann dass sie so eine seltsame Beziehung eingeht.
„Dass du dich in eine solchen misslichen Lage auch noch verlieben musst. Na, das muss ja jeder selber wissen. Ich an deiner Stelle wäre vorsichtig.“
„Es ist nicht nur Liebe Gloria“, fällt Sarah ihr ins Wort, „Es ist wesentlich mehr als das.“
„Mehr als was? Das verstehe ich nicht.“
„Dann sind wir da schon zwei“, grinst Sarah und Gloria schüttelt lächelnd ihren Kopf.


Neuer Alltag

Die darauf folgende Woche ist eine ausgesprochen gute Woche. Sie haben sich alle gut in ihrem neuen Zuhause eingelebt. Sie funktionieren als wäre es nie anders gewesen. Durchaus etwas seltsam dass die Jungs überhaupt nichts von Liv und Adam hören. Mit irgendeiner Reaktion hätten sie schon gerechnet. Aber im Grunde genommen kommt es ihnen auch entgegen.
Lecram ist für seine Verhältnisse ziemlich aufgestellt. Er geniesst es zurzeit in vollen Zügen nicht in die Schule gehen zu müssen, um vermehrt bei Theo und Ben helfen zu können. Ausserdem: Verliebt sein steht ihm gut. Manchmal weiss er nicht so genau wie er damit umzugehen hat. Ab und an ist es ihm dann fast wieder zu viel und er hält Sarah etwas auf Abstand. Beide haben ihre Verpflichtungen im Haushalt, Schule und im Tierpark. Das ist gut so.
Ausserdem lernen Lecram und Marcus fast jeden Tag zusammen für die Schule. Lecram hilft seinem Bruder sehr und das bringt sie noch näher zusammen. Die beiden sind mittlerweile ein gutes Team geworden. Sie verhalten sich immer mehr wie echte Brüder und nicht als Konkurrenten. Die beiden haben sogar Verständnis dafür dass Gloria keine Magie Übungen mehr mit ihnen machen will. Alles was sie über das Elemente Feuer wissen müssen, wissen sie und das genügt ihnen vorerst. Die Woche ist sowieso viel zu kurz um noch mehr Magie rein zu packen. Talent hin oder her.
Sarah spürt sehr wohl das Lecram seine Zeit für sich braucht. Das kann sie gut verstehen, was sie allerdings nicht versteht ist die Tatsache dass er nur eine Bestimmte Anzahl von Nähe zulässt. Ab und an blockiert er, für sie, grundlos. Eines Abends als sie alleine in ihrem Zimmer sitzen spricht Sarah ihn darauf an. „Warum bist du mir gegenüber manchmal so distanziert?“
Er steht am Fenster und sieht gerade hinaus. Diese Frage verunsichert ihn und er dreht sich in ihre Richtung.
„Wie meinst du das? Distanziert?“
Sie möchte ihm zeigen was sie meint und geht näher auf ihn zu. Dann schmiegt sich an ihn heran und hält ihn fest. Anschliessend stellt sie sich auf die Zehenspitzen, küsst ihn sanft auf seine Lippen und er erwidert den Kuss. So langsam werden die Küsse leidenschaftlicher, Verlangen nimmt Oberhand und Sarah beginnt sein Shirt aus seiner Hose zu ziehen. Schlagartig hört Lecram auf und hält sie eine Armlänge auf Abstand. Daraufhin lächelt Sarah als sie spricht: „Genau das - habe ich damit gemeint.“
„Oh…“, versteht Lecram und weiss genau dass sie genau jetzt eine Antwort möchte. Er kennt ihren Gesichtsausdruck wenn sie etwas wissen will. Vorher wird sie nicht Ruhe geben. Etwas verlegen sieht er sie an als er versucht zu erklären: „Nun, das hat eigentlich nichts mit dir zu tun.“ Himmel, wie soll er es ihr sagen.
„Sondern?“
„Mit mir.“ Verdammt, solche Gespräche sind unangenehm.
„Aber du bist doch jetzt kein Gargoyle. Habe ich was verpasst?“ Vielleicht steht sie sich ja auf der Leitung.
Lecram fühlt sich unbehaglich. Irgendwie ist es ihm peinlich. Also gut, er will ehrlich zu ihr sein, also reisst er sich zusammen.
„Scheisse Sarah. Du bist mir so unheimlich wichtig. Und da möchte ich nichts Falsches machen.“
„Das weiss ich doch. Ich habe keine Angst vor dir.“
Lecram streicht mit seinen Händen durch sein Gesicht und ihre grossen Augen scheinen ihn an zu flehen. Sein Magen zieht sich zusammen. Himmel er weiss genau dass sie nicht Ruhe gibt bevor er ihr gebeichtet hat.
„O.K. Du bist meine Freundin. Und ich bin…, möchte dich nicht endtäuschen.“
„Das tust du nicht.“
Das was er jetzt zu sagen hat ist ihm echt peinlich und er sammelt sich.
„Sarah, du bist die erste Freundin die ich habe. Zuvor gab es niemanden. Ich habe keine Erfahrung… In gewissen Dingen…. In diesen Dingen…Ich meine Sex.“
„Oh..“ Ach so, langsam dämmert es ihr.
Jetzt ist die Katze aus dem Sack. Sie beisst sich auf ihre Unterlippe. Nun liegt es an ihr: „Du weisst ich war zuvor zwei Jahre mit Chèn zusammen.“
„Genau und ich denke du bist mir da einiges voraus“, zuckt Lecram mit den Schultern auf.
„Also genau genommen habe ich auch keine Erfahrung.“
„Das Verstehe ich nun nicht.“ Steht er ratlos da und Sarah findet nun die Diskussion auch etwas blöd. Aber da sie damit angefangen hat ist sie ihm eine Antwort schuldig. Das hat sie nun davon und ihre Wangen röten sich leicht.
„Nun…, genau genommen habe ich auch keine Erfahrung… Also ich meine Chèn und ich haben nicht… Also wir hatten keinen Sex!“
Geschafft!
Lecrams Augen blitzen kurz auf. So kommt es auf jeden Fall Sarah vor. Langsam geht er auf Sarah zu und hält sie fest in seinen Armen als er sanft in ihr Ohr flüstert: „Nun, dann müssen wir eben gemeinsam Erfahrungen sammeln. Bitte sag mir Bescheid wenn etwas nicht in Ordnung für dich ist.“ Wie erleichter er ist braucht er nicht zu sagen.
Bei diesen Worten schnürt es Sarah den Magen eng zusammen. Und als er langsam ihren Hals zu küssen beginnt haucht sie ein: „Versprochen“, aus.
Im nächsten Moment geht laut die Türe auf und Marcus steht im Türrahmen.
„Oh…bitte entschuldigt, kann ich Lecram ablösen? Der muss nämlich zu Ben in die Pflegestation und aushelfen.“
Lecram sieht immer noch nur seine Sarah an und würdigt seinem Bruder mit keinem Blick. Doch die gesprochenen Worte gelten ganz klar Marcus: „Hast du schon mal etwas von anklopfen gehört?“
„Klar. Aber habt ihr schon mal was von abschliessen gehört? Sonst wird das nix. Und wenn du dein Handy nicht in meinem Zimmer liegen gelassen hättest…stände ich nicht hier.“
Marcus lächelt und sieht seinen Bruder schelmisch an.
„Lass deine Finger von ihr. Verstanden?“ Stellt Lecram klar.
Marcus lacht laut auf. Darauf muss er keine Antwort geben. Sarahs Wangen sind immer noch gerötet. Irgendwie ist es ihr auch ein klein wenig peinlich…, oder einfach ungewohnt. Marcus findet es steht ihr gut. Zum Abschied küsst Lecram Sarah noch mal und geht. Er weiss dass er Sarah vertrauen kann und das ist ein ausgesprochen gutes Gefühl!


Überlegungen

Es ist seltsam, wenn Lecram der Gargoyle ist wünscht er sich nichts mehr als ein Mensch zu sein. Aber wenn er dann ein Mensch ist zieht es ihn trotzdem viel zu den Gargoyles. Er mag den ernsten Migdal und den Scherzbold Lamos sehr gerne.
In dieser Nacht geht er wieder nach draussen ins Freie. Er geniesst es auch als Mensch bei einer schönen Nacht sich draussen aufzuhalten. Dass er heute spazieren kann ohne ein Gargoyle zu sein freut ihn umso mehr. Natürlich kann er nicht so weit sehen und kann nicht so einfach die Mauer hoch. Aber im Grunde genommen stört ihn das nicht sonderlich. Als Mensch fühlt er sich zumindest nicht als Aussenseiter! Doch die Traurigkeit darüber dass es bald wieder das Monster wird nimmt schon fast wieder Überhand. Heute geht er etwas abseits in das kleine Wäldchen nahe am Tierpark. Es ist schon stock dunkel und die meisten schlafen auch schon. Nur Lamos und Migdal schleichen natürlich noch ums, oder übers Haus. Lecram setzt sich auf den Boden und geniesst den warmen Luftzug.
Die Krähe sitzt weiter oben auf einem Baum. Seine Lecrams Gedanken kreisen um Sarah und die baldige Reise nach Malon. Was für ein Erlebnis. Bald wird er seine Heimat zu Gesicht bekommen. Das Ganze wirkt noch so unwirklich.
Gemütlich kommt Migdal her getrottet: „Na Lec, wie läuft’s?“ Und holt damit Lecram aus seinen Gedanken.
„Mir geht es ausgezeichnet. Migdal, in dieser Woche habe ich viel gelernt. Wir haben mit Maggy gelernt Feuer zu entfachen.“
„Ihr seid Aros Söhne. Da wird durchaus etwas an Magie in euch stecken.“
„Ja .... Ich schlug mich ganz gut. Ich habe die kleinen Flammen sogar in meiner Hand gehalten. Es war unglaublich. Das Feuer ist mein Element. Das kann ich deutlich spüren.“ Himmel es hat sich richtig angefühlt.
Das Gloria es verboten hat, Feuer in der Hand zu halten, verschweigt er lieber.
Migdal runzelt seine Stirn und setzt sich zu Lecram. „Kannst du das noch einmal mit dem Feuer? Zeigst du es mir?“
Natürlich willigt Lecram ein. Er hat zwar Gloria versprochen es zu lassen, doch für heute will er eine Ausnahme machen. Er kann der bitte von Migdal einfach nicht wiederstehen. Zu gross ist die Verlockung.
Lecram konzentriert sich nicht so sehr wie man es denken möchte. Tatsächlich fällt es Lecram ziemlich leicht. Er streckt seine rechte Hand aus und murmelt dann lediglich seine gelernten Worte ganz leise. Dann erscheint auf seiner Handfläche eine kleine Flamme. Lecram lächelt sichtlich vergnügt und strahlt über sein Ganzes Gesicht: „Siehst du das Feuer macht mir nichts aus.“ Zum Glück,
ist Lecram doch sehr froh. Es hätte ja auch anders kommen können. Migdal nickt zustimmend und nachdenklich. Auch Lamos ist unterdessen zu ihnen gesessen und hat die kleine Darbietung gesehen. Nun wird Lecram übermütig und spielt jetzt mit dem Feuer wie mit einem Ball. Er lässt das Feuer von einer Hand in die andere gleiten. Etwas später lässt er es einfach wieder verschwinden. Einfach so, ohne Zauber ohne einen Wortwechsel der eine Formel beschwört. Migdal nimmt Lecrams Hände und sieht sie eingehend an. Lamos kommt auch näher und will sich vergewissern dass Lecram nichts passiert ist. Dann wird Migdal ziemlich ernst als er zu Lecram spricht: „Hör mir gut zu, es gab die Zeit der Drachenreiter. Diese Drachenreiter hatten das Feuer im Griff. Es konnte ihnen quasi nichts anhaben. Aus diesem Grund sind sie wohl mit den Drachen zusammen gestossen und haben sich vereinigt. Wie auch immer. Alles an der Geschichte kenne ich nicht. Aber so wie es aussieht ist die Zeit reif für einen neuen Drachenreiter.“
„Du denkst ich kann das sein?“ Unmöglich das kann nicht sein!
„Nicht wir denken. Lecram das ist ziemlich offensichtlich“, beteiligt sich nun auch Lamos an dem Gespräch.
„Und was kann ein Drachenreiter alles?“ Er versteht noch nicht, ist er verwirrt.
„Gute Frage. So genau wissen wir das nicht. Der letzte Drachenreiter lebt zwar noch.“ Erzählt Migdal in ruhigen Worten und Lamos hustet künstlich auf. Dafür erntet Lamos einen strengen Blick von Migdal. Lamos versteht sofort und Migdal erklärt weiter: „Doch der Drache hat sich damals von dem Reiter abgewandt und ist nicht mehr gut auf die Drachenreiter zu sprechen.“
„Ich verstehe nicht ganz. War die Zeit der Drachenreiter nun eine gute oder schlechte Zeit?“
Migdal lächelt: „Die Drachenreiter Zeit war eine sehr ruhige Zeit. Die Drachen sind wie wir Gargoyles sehr friedfertige Lebewesen die niemanden ein Haar krümmen…“
„Sofern du sie in Ruhe lässt.“ Unterbricht Lamos kurz und erntet von Migdal wieder einen ernsten Blick. Danach erklärt Migdal weiter: „Doch der letzte Drachenreiter strebte nach Macht und hat den Drachen für schändliche Taten missbraucht. Aus diesem Grund hat der Drache den Reiter verlassen.“
„Aber wo sind denn die Drachenreiter geblieben? Die haben sich doch nicht einfach so in Luft aufgelöst.“
Migdal und Lamos tauschen Blicke aus. Dann spricht Lamos ausnahmsweise mal ziemlich ernst: „Einer nach dem anderen wurde getötet.“
„Won wem und warum?“ Will Lecram genauer wissen.
„Von demjenigen der mehr als nur der Drachenreiter sein wollte und die ganze Macht für sich alleine beanspruchte.“
Spricht Migdal ernst.
Jetzt schweigt Lecram einen Moment.
Dann geht ihm ein Licht auf.
„Aros ist der letzte der Drachenreiter. Stimmt’s?“ Himmel, nein, so hat er sich das nicht vorgestellt.
Migdal und Lamos sehen sich kurz an und Migdal bittet Lecram: „Wird so erzählt. Hör zu, dieses Gespräch bleibt vor erst unter uns. In Ordnung? Sag den anderen noch nichts dass du ein Drachenreiter bist… Es ist ja noch ziemlich vage. “
„Alles klar“, kommt es Lecram entgegen.
Anschliessend zieht sich Lecram in sein Zimmer zurück. Im Moment hat er den Kopf voll unklaren, seltsamen Dingen. Alles ist so merkwürdig und mysteriös. Alles wird schwieriger. Doch kann er leugnen was er ist und was er bereits schon alles erlebt hat? Nein, das kann er nicht. Es ist kein Traum, es ist seine Realität. Doch das Thema mit den Drachenreitern lässt Lecram nicht los. Er denkt lange darüber nach. Wieder etwas was Lecram angeblich sein soll und nicht genau weiss ob er das auch sein will. Er hat wirklich schon genug zu kämpfen mit seinem Gargoyle da sein. Wobei er auch nicht leugnen kann den kleinen Drachen verstanden zu haben. Seltsam! Nun fühlt er sich etwas erschlagen da sich die Ereignisse überschlagen.
Da Lecram nicht genau weiss wo ihm der Kopf steht, wird es ihm nicht schwer fallen den anderen nichts von Migdals Behauptung zu erzählen. Trotzdem versteht er nicht warum Migdal ihm das erzählt hat. Das hätte ja durchaus noch etwas Zeit gehabt und jetzt muss er mit dieser Bürde leben. Er wird die beiden Gargoyles in nächster Zeit mehr über dieses Thema ausfragen müssen. Überhaupt möchte er mehr von Malon erfahren. Das sind ihm die zwei schuldig.
Lecram nimmt noch eine ausgiebige Dusche um seinen Kopf etwas frei zu kriegen. Danach hängt er sich noch etwas ins Internet. Natürlich findet er keine brauchbaren Beweise dass so etwas wie Drachenreiter existiert, oder je existiert haben ausser in Filmen und frei erfunden. Alles nur Fantasy…! Etwas später fällt er müde ins sein Bett und träumt von dieser wunderbaren Frau die ihn beschützen will- komme was wolle.

Vorbereitungen

Nun ist Lecram bereits wieder der Gargoyle der am Tag auf dem Dach verweilt und in der Nacht umher streift.
Der einzige Unterschied zu früher ist: Er streift nicht alleine als Gargoyle durch die Nacht. Er ist in bester Gesellschaft. Ausser, er möchte alleine sein, dann kann er das auch.
Er sitzt beim erwachen immer noch lieber oben auf dem Dach. Wenn er dann erwacht hat er eine super schöne Aussicht vor Augen. Meistens braucht er einen Moment nach der Verwandlung bis er ganz klar im Kopf ist. Automatisch sieht Lecram nach der Krähe. Die sitzt wie gewöhnlich an seiner Seite. Sie kräht auf und sieht Lecram an als hätte sie immer noch was zu erzählen. Doch Lecram kann sie einfach noch nicht richtig verstehen. Ab und an hört er etwas in seinem Kopf kann es aber noch nicht zuordnen. Vielleicht will er ihn auch nicht verstehen.
Auch Marcus hat die Krähe nicht mehr gehört. Es scheint so als hat die Krähe seinem Bruder alles mitgeteilt was nötig war – mehr nicht. Und jetzt liegt es an Lecram sich zu öffnen und zu verstehen. Doch Lecram schiebt es immer wieder von sich fort. Wie auch in diesem Moment.
In der ersten Nacht als Gargoyle ist Lecram seiner Sarah bewusst aus dem Weg gegangen. Auch heute Nacht hat er sich bis jetzt noch versteckt. Natürlich weiss Lecram dass es nicht ganz fair gewesen ist sich gestern nicht bei Sarah zu zeigen. Die letzte Woche war so unglaublich schön. Er hat einfach wieder grosse Mühe mit seinem äusseren Erscheinungsbild. Genauso wie Sarah es ihm prophezeit hat. Sie kennt ihn schon sehr gut.
Mittlerweile ist es schon spät in der Nacht und alle im Haus sind bereits im Bett - nimmt Lecram mal an. Also schleicht er sich leise durch sein Fenster ins Haus. Natürlich vermisst er Sarah denn seine Gedanken sind ständig bei ihr. Sie bedeutet ihm wirklich sehr, sehr viel. Schliesslich schneidet er sich da in sein eigenes Fleisch dass er sie nicht besucht. Doch wenn er vor dem Spiegel steht, wie gerade eben, schüttelt er nur seinen Kopf. Er sieht etwas dass ihm nicht gefällt. Die glühenden rubinroten Augen sind das schlimmste daran. Klar sind da die einen oder anderen Gesichtszüge vorhanden die ihm bekannt sind. Aber diese Hautfarbe geht ja gar nicht. Er sieht aus wie ein trockener roter Stein. Wenn er sich bewegt sehen die Bewegungen so unwirklich aus.
Das ist nicht natürlich! Das ist nicht er! Niemals.
Lecram denkt über die Worte seines Bruders nach. Es stimmt schon, er ist kräftig und stark. Dass er so an den Wänden entlang gehen kann ist schon ein tolles Gefühl. Auch dass er als Mensch stärker und kräftiger ist empfindet er als ziemlich positiv. Seine Haut ist auch als Mensch dicker, fast wie die vom Gargoyle, nur nicht ledrig. Daher ist er nicht ganz so rasch verwundbar wie andere. Auch seine Reflexe sind sehr ausgeprägt. Im Prinzip alles super positive Eigenschaften. Sein Bruder und Maria haben Recht, er hat schon den einen oder anderen Vorteil davon. Er muss nur lernen besser damit umgehen. Dass Marcus auch darunter gelitten hat das sein Bruder ein Gargoyle ist, daran hat er selbst nie gedacht. Himmel, wie egoistisch er doch war! Seit Marcus auch hier lebt hat sich einiges zwischen ihnen zum gutem gewendet.
Danach wandern seine Gedanken wieder zu Sarah. Also beschliesst Lecram nachzusehen ob Sarahs Fenster vielleicht offen steht. Er weiss dass sie ihr Fenster, wenn möglich, immer einen Spalt offen stehen lässt. In der Hoffnung er kommt vorbei. Heute Abend will er das tun. Leise und behände klettert er bei sich aus dem Fenster und bei Sarah wieder hinein.
Wie angenommen schläft Sarah friedlich. Automatisch beginnt er zu lächeln als er sie so schlafend beobachtet. Er sieht wie ihr Atem regelmässig geht. Er möchte sie auf keinen Fall wecken. Sie hat ihren Trainings Anzug noch an. Es sieht so aus als hat sie gehofft dass er noch auftaucht. Er steht eine Weile bewegungslos da und betrachtet sie. Er könnte die ganze Nacht so verweilen und sie betrachten. Wie lange er da steht kann er nicht beurteilen da er keine Uhr trägt. Die Zeit spielt ihm auch keine Rolle. Er spürt sowieso wenn er wieder zur Steinsäule wird. Im Moment ist alles im grünen Bereich.
Sarah erwacht weil sie ein kribbeln im Bauch war nimmt. Sie öffnet ihre Augen und erblickt Lecram. Sie beginnt zu lächeln.
„Hallo grosser.“ Endlich bist du da…
„Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken…“ Oder doch?
„Hast du nicht. Vielleicht habe ich dich ja auch gespürt.“
„Es tut mir leid dass ich mich nicht früher blicken liess. Ich brauchte etwas Zeit um nachzudenken.“
Sarah setzt sich auf und deutet darauf hin, dass er sich neben ihr hin setzten soll. Doch Lecram winkt ab, er bleibt lieber stehen.
„Und was kam beim nachdenken so raus?“ Möchte sie genauer wissen.
„Dass ich dich vermisse. Aber ich fühle mich nicht so gut wie in der letzten Woche“, gibt Lecram zu.
Diese Antwort vergnügt Sarah etwas und sie unter drückt ein Lächeln. Sie weiss genau wie schwer ihm diese Worte fallen.
„Was kann ich tun dass du dich wohler fühlst?“, möchte Sarah ihm helfen.
„Nichts, ich habe ja gesagt ich bin…“ Ein Monster.
„Verkorkst“, fällt sie ihm ins Wort, „ ja ich weiss. Aber kann ich dir irgendwie helfen?“
„Bleib einfach genauso wie du bist. Meine Gefühle zu dir sind die gleichen geblieben. Da hat sich nichts geändert.“
„Ausser dein Aussehen.“ Und das steht ihm im Weg, weiss Sarah.
„Streu noch etwas Salz in meine Wunden.“ Lächelt Lecram und stänkert weiter: „Du kannst doch unmöglich in meine Augen sehen. Sie sind scheusslich. Sie mich doch mal genau an!“
Sarah zitiert: „ Um einen Schmetterling lieben zu können, müssen wir auch ein paar Raupen mögen.“
„Was für ein blöder Vergleich“, lacht er.
Sarah hat erreicht dass er wieder offen lächelt und das genügt ihr. Lecram findet sie niedlich in ihrem Hausanzug und lächelt immer noch. Irgendwie kann er verstehen was sie mit diesem Zitat aussagen will.
Trotzdem motzt er: „Aber meine Augen. Sie sieh mal genauer an.“ Fürchterlich!
Sarah steht auf, sieht ihm in die Augen und überlegt. Dabei kneift sie ihre Augen eng zusammen. Dann versucht sie ziemlich ernst zu bleiben als sie eine Frage stellt: „Sollen wir es mal mit Kontaktlinsen versuchen?“
Lecram grinst breit und zieht sie näher an sich heran. Dann nimmt er ihren Duft in sich auf. Denn als Gargoyle riecht er deutlich besser als Lecram den Menschen. Endlich bekommt sie einen Kuss auf ihre Stirn. Sarah legt nun ihren Kopf auf seiner Brust ab und er hält sie fest in seinen starken Armen. Lecram versucht es zu geniessen. Aber sein Ego steht ihm immer noch etwas im Weg.
„Die Schöne und das Biest, trifft es eigentlich besser“, spricht Lecram gerade seine Gedanken laut aus. Darauf antwortet Sarah nicht. Sie spürt dass er es nicht so geniessen kann. Natürlich findet es Sarah auch nicht dasselbe mit dem Gargoyle zu kuscheln. Er ist hart und überhaupt nicht bequem. Aber sie hütet sich ihm das jetzt in dieser Situation zu sagen. Das könnte bedeuten ihn die nächsten drei Wochen nicht mehr zu sehen. Das weiss sie ganz genau und schweigt aus Vernunft. Sie will ihn nicht schon wieder verlieren. Sie ist schon froh dass er sich heute bei ihr blicken lässt. Eigentlich wollte sie wütend auf ihn sein dass er sie so lange warten lässt. Doch sie kann nicht.
Lecram löst die Umarmung auf und sieht sie an.
„Lust mit auf das Dach zu kommen? Ich kann durchaus noch etwas Bewegung brauchen.“
„Morgen liebend gern. Doch heute bin ich sehr Müde und möchte noch etwas schlafen.“
Das versteht Lecram und ist froh dass sie so ehrlich ist. Es tut ihm schon fast leid sie aus dem Schlaf gerissen zu haben.
„Kein Problem. Sehen uns also Morgen wieder.“
Sarah möchte ihn zum Abschied küssen. Doch er hält seinen Kopf weg und presst die Zähne aufeinander. Er kann das nicht. Nicht als Gargoyle, nicht so!
Wieder stösst er sie vor den Kopf. Dabei möchte er es gar nicht. Verdammt!
„Sarah…, es tut mir leid.“
Sarah versucht Verständnisvoll zu sein und spricht liebevoll: „Es ist wohl sehr schwer für dich.“
„Über die Massen. Es geht irgendwie einfach nicht. Dieses Ding das ich jetzt bin hat dich nicht verdient. Du bist zu gut für mich. Du hast einen normal Sterblichen als Freund verdient. Ein normales Leben.“
„Ich habe doch gar kein normales Leben. Deine Wünsche respektiere ich und verstehe dich.“
„Aber kann dir das mit der Zeit auch ausreichen?“
„Ich möchte einfach Zeit mit dir verbringen und mit dir zusammen sein.“
„Du möchtest mit dem Mensch Lecram zusammen sein. Verwechsle den Gargoyle nicht damit.“
„Das ist dieselbe Person“, stöhnt sie auf, „Bitte komm morgen wieder.“ Bitte, flehen ihre Augen.
Wie kann er ihr eine Bitte abschlagen. Es ist praktisch unmöglich. Nun geht er wieder auf sie zu und küsst sie so sanft wie möglich auf die Stirn.
„Versprochen, also bis Morgen. Schlaf gut.“
Auch Sarah wünscht ihm noch eine gute Nacht. Dann verschwindet Lecram nicht ganz so lautlos, aus dem Fenster, wie er herein gekommen war.
Sarah wird plötzlich bewusst was Lecram gemeint hat mit einer normalen Beziehung. Dass der Freund aus dem Fenster steigt und an einer Hauswand entlang klettert gehört wohl eher nicht dazu. Tatsächlich wär es ihr lieber gewesen er ginge zur Tür hinaus. Aber es ist wie es ist. Und eigentlich ist es doch nur ein Fluch den man irgendwie brechen kann. Doch sie möchte sich nicht jetzt schon wieder Gedanken darüber machen. Auch sie hat schon Stunden damit verbracht wie man seinen Fluch brechen kann. Bis jetzt hatte sie keinen Erfolg. Also legt sie sich wieder schlafen.
Der nächste Tag ist wie gewohnt. Alle, natürlich bis auf Lecram, gehen zur Schule oder ihren anderen Verpflichtungen nach. Lecram sitzt auf dem Dach und bekommt von dem Tagesgeschehen unten nichts mit. Sarah blickt, bevor es zur Schule geht, kurz hoch und ihr wird es schwer ums Herz. Auch für sie ist es nicht ganz so einfach wenn Lecram tagsüber nicht da ist.
Seltsamer Weise ist sie Marcus näher als auch schon. Es tut ihr gut in seiner Nähe zu sein. Wenigstens das äussere schliesst auf Lecram. Auch wenn Marcus nicht ganz so nett ist wie sein Bruder, geniesst sie es trotzdem ihn um sich zu haben. Manchmal hat sie ein schlechtes Gewissen dass sie so viel Zeit mit Marcus verbringt. Einen Freund zu haben der nachts wach ist, ist tatsächlich nicht ganz so einfach wie sie gedacht hat. Sarah ist froh wenn der Tag jeweils vorüber ist und die Nacht beginnt. Wobei Sarah noch etwas Zweifel hat ob Lecram heute Abend wirklich bei ihr auftaucht. Er ist in dieser Hinsicht schon etwas schwierig. Kurzum, sie beschliesst sie am Abend in seinem Zimmer auf ihn zu warten. Sicher ist sicher. Als sie in Lecrams Zimmertüre aufmacht stösst sie dabei auf Marcus. Sarah erschrickt. Zum ersten Mal ist sie sich nicht sicher ob sie ihm um den Hals fallen soll da sie sich zum verwechseln ähnlich sind - äusserlich. Ihr Verstand jedoch weiss dass es nicht Lecram ist der da vor ihr steht. Sie lässt die Schultern hängen und Marcus reagiert prompt darauf.
„Hinkebein, wie schon mal erwähnt, ich lasse dich nicht hängen. Du hast dich bloss in der Tür geirrt.“
„Idiot. Du magst mich doch noch nicht einmal sonderlich. Du würdest bloss deinem Bruder damit eines auswischen.“
Marcus legt seine Hausaufgaben auf Lecrams Schreibtisch und öffnet das Fenster. Er hat seinem Bruder versprochen das Fenster kurz vor Sonnenuntergang zu öffnen. Dann kann Lecram unbemerkt hinein und hinaus wann er will.
Danach wendet Marcus sich ganz Sarah zu. Dabei verschränkt er seine Arme
„Du willst die Wahrheit?“
„Ich bitte darum…“
„Rein äusserlich gesehen fahre ich voll auf deine Schwester ab. Aber wenn du uns zusammen einsperren würdest hätten wir uns wohl schon am ersten Tag in den Haaren. Du hingegen bist anders... Sagen wir mal du bist eher der mütterliche Typ.“
„Oh, toll, genau das möchte jedes Mädchen zu hören bekommen!“ Mütterlich? Sarah rollt ihre Augen.
Marcus lacht belustigt auf. „Hinkebein, ich mag dich sehr gut leiden. Du bist mir eine gute Freundin. Und mein Bruder hat‘s schwer erwischt. Die gemeinsame Zeit in der Schule schätze ich mehr als du annimmst. Unter anderen Umständen…“
„Stör ich euch bei etwas?“, platzt Lecram in die kleine Runde. Er kommt durchs Fenster und steht sofort zu Sarah um dann seinem Bruder einen missfallenen Blick zu schenken. Lecram hat genau gehört was die zwei mit einander gesprochen haben. Er wollte seinen Bruder nicht aussprechen lassen. Marcus sieht den finsteren Blick seines Bruders und muss automatisch grinsen. Es belustigt ihn wie Lecram reagiert. Da hat sein Bruder wohl einen gehörigen Schwachpunkt. Genau genommen hat er seinen Bruder noch nie so erlebt.
„Lecram du hast nicht zu Ende mit gehört. Vielleicht hättest du mich nicht unterbrechen sollen.“
„Na dann leg los… Bru-der.“ Mistkerl.
Doch bevor Marcus zum sprechen kommt mischt sich Sarah ein: „Marcus, du brauchst nichts zu erklären. Lecram, du hast ein Problem mit mir, oder uns, oder einfach so. Also misch dich jetzt nicht in das Gespräch zwischen deinem Bruder und mir ein! Privat Angelegenheit.“
Sarah hat einen strengen Gesichtsausdruck. Ihr ganzer Körper ist angespannt.
Marcus sieht Sarah bewundernd an. Er findet es gut dass sie seinem Bruder die Meinung geigt. Das Mädchen hat Rückgrat. Das gefällt Marcus. Lecram hingegen stöhnt kurz auf und verschränkt seine Arme als er motzt: „Na toll, ihr steht in meinem Zimmer und diskutiert über mich. Ich darf dazu keine Meinung abgeben? Wie grotesk.“
Wieder grinst Marcus über sein ganzes Gesicht und schlägt sich mit der Hand auf den Kopf als er scherzt: „Ach ja…, wie blöd von uns.“ Wie konnten wir nur, scheint sein Blick zu sagen, „Komm Sarah wir diskutieren vor seiner Tür weiter. Wie überaus nachlässig von uns. Sollen wir die Tür hinter uns schliessen oder offen stehen lassen?“
Auch Sarah schmunzelt bei den Worten von Marcus.
„Idiot“, ruft Lecram seinem Bruder nach der lächelnd aus dem Zimmer tanzt und die Tür hinter sich ins Schloss fallen lässt. Endlich ist er weg, denkt sich Lecram. Danach sieht strenger zu Sarah als er wollte.
„Hast du etwa hier auf mich gewartet?“ Er geht bewusst nicht auf ihren Gesichtsausdruck ein. Sie ist wohl immer noch leicht säuerlich.
„Ja, ich war mir nicht ganz sicher ob du dein Versprechen hältst.“ Sicher ist Sicher, macht sie ein bekümmertes Gesicht.
Lecram geht auf sie zu und streift ihr mit seiner klobigen Hand über ihr Gesicht. Als er seine Hand auf ihrem Gesicht sieht schliesst er für einen kurzen Moment seine Augen. Es ekelt ihn an! Wie schrecklich seine Hand auf ihrem hübschen Gesicht aussieht wagt er nicht zu erklären. Doch Sarah sieht es ihm auch so an. Er braucht es nicht laut auszusprechen. Aus diesem Grund nimmt sie seine Hand in die Ihrige. Um ihm zu zeigen dass es sie nicht stört.
„Hättest du mich heute noch besucht?“
„Auf jeden Fall. Was ich verspreche halte ich in der Regel auch.“ Himmel, sie hat kein Vertrauen was kann er tun.
Sarah lächelt und sieht ihm in die Augen. Er meint es so wie er es gerade sagt.
Sie ist neugierig: „Was hast du heute Nacht so vor?“
Lecram schaut auf seinen Schreibtisch.
„Zuerst korrigiere ich Marcus Schularbeiten und mache meinen Teil. Dann ziehe ich mit Migdal und Lamos etwas ums Haus. Dann muss ich noch vor den Spiegel stehen und mich im Selbstmitleid suhlen.“
Sarah lächelt als er seinen letzten Satz fertig gesprochen hat. Wenigstens ist er in der Lage sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Ein deutlicher Fortschritt
„Und wann bin ich an der Reihe?“
„Am Schluss schleiche ich mich in dein Zimmer und beobachte dich wie du schläfst. Ich könnte dich stundenlang beobachten wie du schläfst. Du bist sehr sexy.“
Das macht Sarah jetzt etwas verlegen und sie lächelt verhalten. Denn sie weiss dass sie nicht sexy aussieht, der Part gehört ihrer Schwester. Doch er ist auf seine Art und Weise süss. Jetzt muss sie ihm noch etwas erklären.
„Hör zu. Wir müssen uns noch etwas auf Malon vorbereiten. Ich muss dir davon erzählen. Für dich wird das alles neu sein.“
„Was gibt es da vorzubereiten?“
„Leider gibt es keinen Ferien Katalog von Malon.“
„Na das ist ja ausbaubar...“ Sieht Lecram seine Sarah schelmisch an und erklärt Lecram weiter: „Ich freue mich sehr auf Malon. Tatsächlich weiss ich von Migdal schon sehr viel darüber… Es ist fast so als wäre ich schon mal dort gewesen.“
„Oh…, gut“, Sarah ist erstaunt, „Sind noch Fragen offen?“
„Danke, nein. Für heute Abend ändere ich meinen Plan und möchte gerne etwas mit dir zusammen sein.“
„Klingt gut.“ Ihr Blick wirkt sehnsüchtig.
„Möchtest du heute Abend mit uns Gargoyles etwas umher streifen?“
„Ein sehr spezielles Date.“
„Genau“, wenn man es Date nennen will.
Sarahs Augen leuchten auf. Wie kann sie so einen Vorschlag ablehnen. Doch bevor sie sich zu den Gargoyles gesellen, muss Lecram noch etwas Essen. Zu Sarahs erstaunen gehen sie heute mal nicht aus dem Fenster, er benimmt sich wie ein normaler Junge und geht durch die Türe. Sarah ist sehr zufrieden. Gemeinsam gehen sie zu Maria die sich ebenfalls auf den Besuch der Kinder freut.
So kurz vor Ferienbeginn wird in der Schule nicht mehr alles so ernst genommen wie zuvor. Es stehen die langen Sommerferien vor der Tür. Marcus hängt wieder viel mit Chèn und Leon ab. Natürlich ist den beiden aufgefallen dass Marcus sich öfters als sonst mit der Familie Halbmond abgibt. Chèn ist sehr froh über diese positive Entwicklung. Marcus hat seinen Freunden noch nicht erzählt dass er bei den Halbmonds wohnt. Sie möchten es nicht an die grosse Glocke hängen. Dann müssen sie nur viele Erklärungen abgeben. Früher oder später gerne. Aber das hat noch etwas Zeit.
Nach der Schule verbringt Marcus nicht mehr ganz so viel Zeit mit seinen Freunden. Denn auch Marcus hat seinen Teil im Tierpark zu erledigen. Zu seinem Erstaunen macht er es sogar sehr gerne. Es ist ein gutes Gefühl gebraucht zu werden. Seine Mutter findet er auch grossartig. Ihn fasziniert wie sie das alles mit ihnen managt und dabei ihre Ruhe bewahren kann. Eine ziemlich aussergewöhnliche Frau. Auch für ihn ist das Familienleben ziemlich aussergewöhnlich. Doch er hat sich rascher daran gewöhnt als sein Bruder der immer noch etwas Trübsal bläst.
Auf seinen leiblichen Vater mit Namen Aros ist Marcus gespannt. Es heisst sie sehen ihm ähnlich. Komme was wolle, er will ihn kennenlernen. Und wenn die Zeit gekommen ist möchte er herausfinden zu was er alles fähig sein kann. Dass Sarah sich so viel in seiner Nähe aufhält stört ihn bei weitem nicht mehr so. Anfangs verstand er seinen Bruder nicht was er an diesem hinkenden, burschikosen Mädchen findet. Jetzt da er sie besser kennt kann er es durchaus verstehen. Wenn man sich die Zeit nimmt Sarah kennen zu lernen wird man auf einen sehr warmherzigen Menschen stossen die für ihre Überzeugung einsteht. Jemanden loyaleren hat er noch nie getroffen. Dabei könnte sie ihm gegenüber genau so reserviert sein wie Gloria, doch das tut sie nicht. Sie heisst ihn bedingungslos willkommen und glaubt an das Gute. Dabei weiss er noch nicht einmal welche Rolle er in dieser Familie spielt. Ob er seinem Bruder helfen kann den Dämon los zu werden weiss er auch nicht. Es gibt keine Garantie dass er zu den guten gehört. Er und Sarah sind auf verdrehte Art und Weise Freunde geworden. Ihr gemeinsames Geheimnis scheint sie miteinander zu verbinden.
Auf jeden Fall wird auch er auf Sarah aufpassen.
Anliegen

Die drei Wochen ziehen sich enorm in die Länge, findet Lecram. Denn er erwacht immer noch oben auf dem Dach als Gargoyle da erst eine Woche vergangen ist. Automatisch stöhnt er auf und streckt sich. An das Geräusch dass er dabei verursacht hat er sich schon lange gewöhnt.
Seine Gefühlsschwankungen hat er leider noch nicht so gut im Griff wie er gerne hätte. Nur noch ein paar Tage und sie reisen nach Malon. Himmel, und er ist dann immer noch das Biest. Wie sich wohl der Schritt durch das Tor anfühlt? Er geht Gewissermassen in seine Heimat.
Langsam hat er ein schlechtes Gewissen Sarah gegenüber, denn an Hand der vielen Gesprächen mit den Gargoyles hat sich regelrecht ein neuer Plan entwickelt. Lecram möchte mit den beiden Gargoyles früher nach Malon. Er möchte ins Tal der Gargoyles und Drachen. Es wird nicht einfach mit Sarah darüber zu sprechen. Er möchte seinen Plan unbedingt in die Tat umsetzten. Für ihn ist es wichtig dorthin zu gehen wo andere seine Art leben. Er versucht doch nur zu verstehen was er ist. Vielleicht warum er so ist! Aus diesem Grund muss er heute Abend dringend mit Sarah sprechen. Also macht er sich auf die Suche nach ihr und hofft dass ihr Blick heute ihn nicht anfleht zu bleiben. Er kennt ihren Blick schon gut genug um zu wissen dass er ihn schwach macht.
Zuerst steigt Lecram jedoch durch das Fenster in sein Zimmer. Die Krähe folgt ihm und scheint heute dringender etwas erzählen zu wollen als sonst. Sie kräht auf und senkt ihren Kopf dabei auf und ab. Leider versteht Lecram immer noch kein Rabisch und schaut seinen schwarzen Freund nur fragend an.
„Wenn ich dich bloss verstehen könnte. Was gibt es denn so dringendes?“
Die Krähe scheint aufgebracht zu sein und kräht ein paar Mal wirklich laut auf. Dabei flattert sie mit den Flügeln.
Plötzlich steht Marcus verschlafen in der Türe. Marcus Haare fallen ihm tief ins Gesicht.
„Hey…, geht es etwas leiser? Morgen ist Schule!“ Spricht Marcus während er dabei auf seine Uhr sieht.
Lecram grinst breit: „Musst du doch nicht, es ist Ferienbeginn.“
„Oh…, verdammt, stimmt. Na dann, macht weiter“, sagt Marcus verschlafen, reibt sich die Augen und will aus Lecrams Zimmer hinaus. Da hört er seinen Bruder fragen:
„Hast du eine Ahnung was die Krähe von mir will?“
Marcus dreht sich wieder zu Lecram hin und kratzt sich am Hinterkopf. Dann schiebt er seine Haare zurück.
„Du verstehst die Krähe wirklich nicht?“
Lecram schüttelt seinen Kopf und Marcus rollt seine Augen, schliesst die Türe hinter sich und setzt sich neben Lecram aufs Bett. Dann sieht Marcus die Krähe an, die vorhin so viel zu sagen hatte und jetzt nur still und gespannt da sitzt. Marcus sieht wieder zu seinem Bruder und zuckt mit seiner Schulter auf.
„Ich kann die Krähe auch nicht mehr verstehen. Es scheint als hat sie mir das gesagt was es für mich zu sagen gab. Ich erinnere mich nur noch daran dass sie mir gesagt hat DU sollst an dich glauben und dich öffnen. Mehr gibt’s da nicht… Tut mir leid. Klingt abgefahren.“
„Hilfst du mir dabei?“
„Wobei…“
„Wenn ich mich öffnen soll wäre es schön du wärst an meiner Seite. Vielleicht klappt es ja so.“
„Du denkst also immer noch ich bin dein Partner. So wie es in dem Den Zeilen von Fenia steht.“
„Denkst du das nicht?“
„Die Möglichkeit besteht. Es ist ja schon seltsam einen Gargoyle als Bruder zu haben. Und jetzt haben wir in der kurzen Zeit so vieles über uns herausgefunden. Warum also nicht. Manchmal kneif ich mich weil ich denke ich träume und das alles ist gar nicht real“, Marcus gähnt, „Aber ich bin müde. Hatte einen strengen Tag. Wenn du für die Nacht Gesellschaft brauchst geh mal zu Maria rüber. Ich denke die haben dort so was wie Weiber Abend und das kann dauern.“
Lächelt Marcus und schliesslich nickt Lecram seinem Bruder zu. Gähnend steht Marcus auf und klopft Lecram freundlich auf die Schulter um wieder in sein Zimmer zu gehen.
Gedanken versunken sitzt Lecram noch auf dem Bett und sieht die Krähe verständnislos an. Die Krähe sitzt mittlerweile auf der Stuhl Lehne, genau Lecram gegenüber. Sie sitzen quasi Auge um Auge so da. Lecram stöhnt. Es ist still. Nichts ist zu hören. Diese Stille ist schon fast erdrückend. Wie meditieren geht hat er keine Ahnung aber er kann ja mal versuchen sich zu konzentrieren. Wenn es nicht funktioniert, schadet es zumindest niemandem. Lecram denkt also an nichts als die Krähe. Er denkt über die Krähe nach. Wie er sie in der Voliere entdeckt hatte. Konzentriert sich darauf was er damals gespürt hat. Lecram verfällt rasch in eine Art Trance Zustand. Seine Augen sind dabei immer noch auf die Krähe gerichtet und wirken verschleiert. Der Raum um Lecram scheint zu verschwinden, es gibt nur noch ihn und die Krähe. Plötzlich blitzen die Augen der Krähe kurz hell auf. Lecram ist gefangen von diesen wunderschönen klaren Augen. Es ist als könnte Lecram in die Augen der Krähe eintauchen. Auf einmal sieht er plötzlich durch die Augen der Krähe. Da sieht er Fenia vor sich liegen. Sie liegt da auf einem Bett und scheint zu schlafen. Rund um das Bett stehen hübsche Blumen die er noch nie gesehen hat. Sie schimmern Purpur. Das Bild wird grösser und er kommt näher an Fenia ran. Sie ist wunderschön, genauso wie in seinen Träumen. Ihr Haar wirkt golden und sie ist von einem hellen Licht umgeben. Obwohl die Augen von Fenia geschlossen sind kann er jetzt ihre sanften Worte hören. Es scheint als hörte er ihre Gedanken. Lecram ist verzaubert von der lieblichen sanften Stimme die zu ihm spricht: „Malon ist deine und Marcus Heimat. Ihr seid stärker als ihr denkt. Egal zu was Marcus fähig sein wird, er ist dein Zwillings-Bruder. Das Band der Zwillinge ist sehr stark. Zweifle nicht an deinen Fähigkeiten, glaub an dich. Egal wo du sein wirst, die Krähe kann dir helfen. Sieh durch seine Augen. Du musst dich nur auf dieses eine Gefühl verlassen dass du in diesem Moment spürst. Du bist wer du bist. Und du hast einen starken Partner an deiner Seite der auch dein Schlüssel sein kann. Hab Vertrauen in euch.“
Für Lecram scheint Fenia so real und direkt vor ihm zu liegen. Er möchte nach ihr greifen. Natürlich greift er ins Leere.
„Fenia wo bist du?“ Hofft er auf Antwort.
Die Situation ist beklemmend. Irgendwie hat er nicht angenommen eine Antwort von Fenia zu bekommen. Doch dann hört er wieder Fenias sanfte Stimme: „Ich bin in Sicherheit. Weit weg von Aros. Meine Kraft erlischt bald. Ob ich erwache liegt an euch... Hütet euch vor Aros. Such einen Weg ihn zu meiden.“
Dann sieht Lecram ein paar Bilder wie in einem schnelldurchlauf durch sein inneres Auge aufblitzen. Er möchte Fenia so gerne helfen. Doch er hat keine Ahnung wie er es anstellen soll. Im Moment kreisen Tausend fragen in seinem Kopf. Doch leider verschleiert sich das Bild jetzt vor seinen Augen. Langsam löst sich das Bild von der schönen schlafenden Frau auf.
Eine unglaubliche Trauer nimmt Lecram gefangen als er aus seiner Trance erwacht. Erschöpft wischt er mit seinen Händen durch sein Gesicht und sieht zur Krähe hin.
„Krähe, du hast einen guten Job gemacht. Jetzt bin ich wohl an der Reihe.“
Die Krähe kräht auf und fliegt aus dem Fenster und Lecram hat begriffen. Der kleine Drache war geschickt worden um ihm aufzuzeigen was er ist. Was er daraus macht liegt ganz alleine in seiner Hand. Lecram muss sich seiner Verantwortung stellen. Wenn es stimmt was Migdal erzählt hat ist er selbst eventuell ein Drachenreiter, so wie Aros zuvor. Demnach einer der letzten. Marcus Stärke liegt wohl in der Magie und das dürfen sie nicht unterschätzen. Das spürt Lecram immer mehr. Für Marcus war die Krähe lediglich ein Wegweiser. Sonst wär Marcus vielleicht nicht da wo er jetzt ist. Lecram hat Respekt davor, dass Marcus sich mit Aros verbünden könnte. Auch wenn sie sich näher sind wie auch schon kennen sie sich noch nicht genug. Lecram erinnert sich an den Brief, darin geschrieben steht er braucht seinen Partner. So wie es aussieht ist Marcus tatsächlich sein Gegenstück, sein Partner. Und sie sind sich näher als auch schon. Er liebt seinen Bruder auf seine Weise. Fenia hat heute im Brief wieder den Schlüssel angesprochen. Was die Zeilen bedeuten sollen weiss er allerdings immer noch nicht. Es bleibt noch ein Rätsel. Himmel..., ein Schlüssel zu was?
Lecram wollte Fenia noch so viele Sachen fragen und nun ist es zu spät… Sie ist schon wieder weg.
Aber vielleicht wird er es in Malon heraus finden. Nach dem jetzigen Erlebnis fragt er sich allerdings wie sie Fenia finden und erlösen sollen? Mittlerweile ist es schon ziemlich spät in der Nacht. Trotzdem macht sich Lecram auf in Küche bei Maria nach etwas essbarem zu suchen. Genau genommen möchte er von der Begegnung mit Fenia erzählen. Zu seiner grossen Überraschung sitzen da tatsächlich noch alle Ladys am Tisch. Sie unterbrechen ihre Diskussion und bitten ihn sich hin zu setzten. Sarah lächelt in warm an und von Maria bekommt er auch gleich etwas zu essen. Sie hat es extra für ihn warm gehalten. Irgendwie hatte sie geahnt dass er auftaucht. Er findet sie rührend und lächelt seine Mutter liebevoll an.
„Danke. Du bist perfekt.“ Einfach perfekt.
Maria lächelt und wird fast etwas verlegen. Dann sieht Lecram zu Sarah und lächelt sie auch liebevoll an. Doch er weiss es steht ihm noch ein unangenehmes Gespräch mit ihr bevor. So wie er sie kennt wird sie seine Absicht nicht begrüssen. Sarah sieht ihn merkwürdig an. Als könnte sie spüren dass da noch was in der Luft hängt. Während Lecram isst hört er der Erzählung von Maria zu. Sie erzählt ihm von Malon.
„Das Herz von Malon ist die Stadt mit dem Namen Veram. Dort leben eigentlich die meisten. Dann gibt es noch die Steinwüste wo die Drachen und Gargoyles leben...“
„Was ist eigentlich euer primäres Ziel in Malon?“ Unterbricht Lecram und möchte genauer wissen was sie eigentlich in Malon vorhaben.
Gloria erläutert: „Wir sind immer noch auf der Suche nach Fenia. Wir wissen dass sie noch lebt aber wir wissen nicht wo sie ist. Wahrscheinlich müssen wir sie bei Aros suchen. Darum wird unser Weg in Veram beginnen.“
„Wie meinst du das mit euerm primären Ziel?“ Möchte Sarah genauer wissen. Lecram schluckt seinen Bissen von der feinen Lasagne hinunter und schüttelt seinen Kopf da er noch nicht auf Sarahs Frage eingehen kann. Sein Blick ist weiterhin auf Gloria gerichtet: „Ihr sucht am falschen Ort. Fenia ist definitiv nicht mehr bei Aros. Sie ist in Sicherheit…“
„Woher weisst du das“, platzt es praktisch gleichzeitig aus allen drei heraus.
„Nun…, das klingt jetzt vielleicht etwas abgedroschen. Doch die Krähe hat es mir gezeigt. Ich sah es durch ihre Augen.“
Sarah ist aufgebracht. „Seit wann weisst du davon?“
Lecram sieht die Endtäuschung in Sarahs Augen da sie wieder mal das Gefühl hat er hat ihr etwas verschwiegen. Doch dieses eine Mal liegt sie falsch. Aber er versteht, dass sie davon ausgeht, also spricht er mit sanften Worten: „Seit etwa einer viertel Stunde. Wirklich noch nicht länger. Sonst hätte ich es dir erzählt.“ Hab Vertrauen in mich.
„Oh, entschuldige.“
Maria sieht Lecram an und möchte alles von ihm wissen.
„Erzähl uns alles was du darüber weisst. Bitte.“
„Nicht viel mehr als ich euch gerade erzählt habe. Sie ist nicht bei Aros. Sie ist in Sicherheit. Doch ihre Kräfte verlassen sie. Fenia ist in einer Art Schlafzustand. Wo sie ist habe ich nicht gesehen.“ Dann macht er eine Pause weil ihm die nächsten Worte nicht einfach fallen: „Wenn wir sie nicht finden wird sie vielleicht nicht mehr erwachen… Es liegt an uns. Es tut mir leid.“
Gloria und Sarah sind fassungslos, sie bringen keinen Ton heraus. Genau wie bei Maria. Es tut Lecram leid dass er nichts Positiveres zu berichten hat. Das Essen ist ihm jetzt auch vergangen. Er legt die Gabel hin. Der Abend scheint jetzt eh gelaufen zu sein. Na das hat er wieder gut hingekriegt. Himmel, er ist nicht gut in diesen Dingen.
„Und wann geht die Reise los?“ Versucht Lecram etwas von Fenia abzulenken.
„In drei oder vier Tagen. Dann hat Theo alles übergeben was den Tierpark betrifft.“ Lüftet Maria nun das Geheimnis.
„Wem übergeben?“ Ist Lecram doch neugierig und Maria erklärt: „Ben und seine Söhne werden nicht mitkommen. Sie bleiben hier. Das war schon immer so.“
„Warum?“
Jetzt beteiligt sich auch Gloria wieder an dem Gespräch:
„Malon ist nicht so modern wie diese Welt hier. Wir kennen dort keine Computer und der gleichen. Es hat etwas Mystisches und mittelalterliches. Es ist herrlich so wie es ist. Und wir wollen dieses Gleichgewicht nicht zerstören. Aus diesem Grund ist es auch so wichtig dass der Zugang immer geschlossen bleibt. Warum es überhaupt diesen Zugang gibt ist nicht überliefert. Er ist einfach da.“
Lecrams Blick geht zu Sarah. „Also wo beginnt die Suche nach Fenia, Wächterin?“ Er lächelt leicht.
„Gute Frage, wer hat eine Idee?“ Wirft Sarah in den Raum. Sie denken nach. Gloria spricht quasi ihre Gedanken laut aus. „Also in Veram müssen wir nicht beginnen. Und die Steinwüste fällt wohl auch eher aus. Da bleibt uns noch unser Vater, Tarak.“
Wieder ist es für einen Moment still. Eine schwierige Entscheidung die sie da treffen müssen. Lecram bricht schlussendlich das Schweigen mit: „Migdal und Lamos wollen zurück in ihre Heimat. Was liegt der Steinwüste am nächsten?“
„Die Elben, also Tarak“, Ist die prompte Antwort von Maria.
„Dann ist es für mich die einzige logische Schlussfolgerung dass ihr dort hin geht. Vielleicht hat Tarak für euch ein paar Antworten.“ Erklärt Lecrams ziemlich ruhig und gefasst und schiebt gleich nach: „Hört kurz zu. Es fällt mir nicht ganz einfach… Ich möchte Sarah bitten uns Gargoyles, mich eingeschlossen, noch heute in die Steinwüste zu schicken…“ Bitte verzeih.
„Aber…“, Möchte Sarah unterbrechen doch Lecram unterbricht: „Sarah, lass mich bitte zuerst ausreden…Danke. Ich brauche etwas Zeit für mich alleine um die Steinwüste kennen zu lernen. Um meinetwillen. Ich muss begreifen wer und was ich eigentlich bin. Wenn ich wieder ein Mensch bin mache ich mich dann sofort auf den Weg zu Tarak. Migdal hat mir so etwas wie eine Landkarte gemacht. Ich schaffe das. Sarah, ich verspreche es dir. Ich kann das.“
Sarah verschränkt ihre Arme. Sie ist gekränkt und endtäuscht dass er nicht zuvor mit ihr darüber gesprochen hat. Sie sagt kein Wort weil sie nicht fähig ist ihre Gedanken in Worte zu fassen. Obwohl sie geahnt hat dass etwas im Buch ist, so ist es doch verdammt kurzfristig und überraschend.
Maria bleibt ziemlich sachlich mit den nächsten Worten damit sie niemanden verletzt: „Lecram, ich kann dich verstehen. Du möchtest Antworten zu den Gargoyles. Wie die Gargoyles leben und wer sie sind. Vermutlich versuchst du heraus zu finden wer du bist.“
„Genau.“ Wobei Lecram dabei auch an die Drachen denkt. Aber darüber möchte er noch nicht sprechen. Er braucht zuerst noch ein paar Antworten in der Steinwüste. Sarah ist die einzige die nicht damit einverstanden zu sein scheint. Jeder sieht es ihr deutlich an. Damit hat er natürlich gerechnet und spricht einfühlsam: „Sarah, bitte ich würde dir dazu gerne etwas unter vier Augen erklären.“
„Änderst du danach deine Meinung?“
„Nein, aber ich kann dir vielleicht deine Zweifel nehmen.“ Lass es mich versuchen, scheint sein Blick auszusagen. Sarah steht auf und verabschiedet sich. Sie geht zielstrebend aus der Küche und reckt dabei wie gewöhnlich ihr Kinn. Lecram sitzt da und schiebt seine Unterlippe vor. Er wollte sie nicht verletzten. „Na das habe ich ja gut hingekriegt…“
„Nun geh ihr schon nach und sei lieb zu ihr“, mahnt Gloria mit einem bösen Blick.
Lecram nickt und stapft ebenfalls hinaus. Er findet sie in ihrem Zimmer. Da die Türe offen steht geht er direkt hinein und lässt die Türe hinter sich laut zufallen. Die Stimmung ist angeschlagen. Lecram sieht seine Sarah liebevoll an. Es liegt ihm ein Sprichwort im Mund.
„Die Hoffnung ist ein Regenbogen über den herabstürzenden Bach des Lebens… Ist von Friedrich Nietzche. Hab ich kürzlich gelesen.“
Sarah lächelt verhalten: „Treffendes Zitat. Doch warum müsst ihr heute Nacht schon gehen? Ich will das nicht verstehen. Es ist zu kurzfristig. Verdammt Lecram warum besprichst du denn so was nicht mit mir. Du hast so viele Geheimnisse.“
Sie sieht so unglaublich traurig und verletzlich aus, wie sie hier so vor ihm steht. Lecram schnürt es den Magen zusammen und ihm bricht ihr Blick fast das Herz. Er möchte sich ja auch nicht von ihr trennen. Doch die Situation erfordert es.
„Sarah, es hat nichts mit dir zu tun. Oder mit uns. Ich möchte nicht von dir weg. Zieh keine falschen Schlüsse aus meiner Handlung...“
„Was verheimlichst du uns? Mir. Erzähl mir deinen Plan.“
Lecram stöhnt kurz auf. Sarah ist ihm näher als es sonst jemand war. Er hat sich in das hübsche eigenwillige, kluge Mädchen verliebt. Also warum soll er ihr bloss all die Dinge verheimlichen die ihm im Kopf herum spuken. Es macht keinen Sinn. Sie ist seine Freundin. Also setzten sie sich hin und er erzählt ihr alles was er von Migdal über die Drachenreiter weiss. Er ist sich durchaus im Klaren dass Migdal und Lamos eventuell mithören da das Fenster bei Sarah einen Spalt offen steht. In diesem Moment ist es ihm egal, sie sollen ruhig wissen dass er keine Geheimnisse vor ihr haben kann. Als er mit seiner Erklärung fertig ist meint Sarah ziemlich erschlagen: „Also könntest du ein Drachenreiter sein. Das möchtest du herausfinden?“
„Ich möchte wissen wer ich bin. Ich möchte lernen zu verstehen. Durch euch ermöglichen sich für mich ungeahnte Möglichkeiten.“
„Du bist Lecram. Der Gargoyle ist und bleibt einfach nur ein Fluch. Basta!“ Sei nicht so stur!
„Wir wissen noch nicht wie wir den Fluch brechen können. Oder?“ Bitte versteh doch.
„Nein, da hast du Recht.“
„Also versuche ich zu verstehen wer der Gargoyle, sprich Drachenreiter ist. Wenn ich weiss wer ich bin finde ich vielleicht den Schlüssel zu mir oder irgendwas….“ Lecram zuckt mit der Schulter auf. Er hat doch auch keine Ahnung aber es ist doch ein Versuch wert.
„Der Gargoylejunge braucht seinen Partner um zu erkennen was seine Möglichkeiten sind. Ein Fluch muss kein Fluch sein, wenn er lernt seine Emotionen zu steuern. Es gibt einen Schlüssel um den Fluch zu brechen. …“, zitiert Sarah die Zeile aus dem Den Zeilen von Fenia.
„Wir gingen immer davon aus dass es mein Bruder sein kann. Doch bis anhin hat sich nichts dergleichen getan. Obwohl wir uns näher sind als auch schon.“
„Vielleicht braucht Marcus auch etwas Zeit.“
„Besteht nicht auch die Möglichkeit, dass es ein Gargoyle oder ein Drache sein könnte.“
„Verstehe.“
„Bitte lass mich gehen...“ Er hält dabei ihre Hand in seiner.
„Warum so kurzfristig?“
„Es schien mir einfacher…“ Himmel, da hat er sich geirrt.
Sie will ihn eigentlich nicht gehen lassen. Sarah hat tatsächlich das Gefühl ihn zu verlieren. Wie Sand der zwischen den Finger rinnt, davon gleitet und nicht aufzuhalten ist.
„Werde ich dich je wieder sehen?“ Schluckt Sarah schwer bei ihrer Frage und ihre Augen beginnen zu glänzen. Auch Lecrams Gesichtsausdruck bleibt ernst als er nachfragt:
„Warum solltest du nicht?“
„Was, wenn alles anders kommt als wir angenommen haben. Schon mal daran gedacht?“
„Ja das habe ich. Und ich habe keine Antwort darauf wann und wo wir uns wieder sehen werden…“ Aber ich werde sie finden egal wo sie sein wird, geht es ihm durch den Kopf. Und wenn sie ihn noch lange mit diesem flehenden Blick ansieht geht er nicht. Er schwankt jetzt bereits schon, versucht es sich nicht anmerken zu lassen. In seinem Kopf hat er doch alles schon mal durchgespielt.
„…Und vielleicht findest du mich nicht.“ Setzt Sarah nach.
Diese Worte fühlen sich nicht gut an. Beide sitzen da und wissen nicht weiter. Lecram kann die Traurigkeit in Sarahs Augen sehen. Auch er kämpft mit dem Wasser in seinen Augen. Soll er bleiben?
„Was für eine Beschissene Situation. Sarah es tut mir unendlich leid…Ich…“ Ist das einzige was Lecram in diesem Moment sagen kann.
„Weis Marcus von deiner Absicht?“
„Nein.“ Räuspert er sich: „Erklär du es ihm. Dann wird er es vielleicht verstehen.“
„Sobald du ein Mensch bist kommst du zu Tarak. Verstanden!“ Da Lecram nicht sofort antwortet spricht sie deutlich energischer: „Hast du mich verstanden!“
Sarahs Traurigkeit ist mit Endtäuschung gemischt. Lecram will sie in seine Arme nehmen doch diesmal hält sie ihn mit Armlänge auf Distanz. Ihr Unterkiefer beginnt zu vibrieren.
„Die Krähe wird mich mit Sicherheit zu dir führen. Hab Vertrauen.“ Versucht Lecram sie beide zu beruhigen, doch dann hat er eine bessere Idee: „Nein…, die Krähe soll bei dir bleiben. So kann ich jederzeit nach dir sehen.“
„Nach mir sehen?“ Da versteht sie nur Bahnhof.
„Klingt unglaublich, doch ich soll durch ihre Augen sehen können.“
„Glaubst du daran?“ Fragt Sarah weil er normalerweise alles anzweifelt aber Lecram antwortet nickend: „Unbedingt.“
Sarah gibt auf.
„Ich vermiss dich jetzt schon.“ Sarah schaut ihm direkt in die Augen.
Nun kann Lecram nicht mehr anders und zieht sie mit seinen klobigen Gargoyle Armen ganz nah an sich heran und versucht ihr dabei nicht weh zu tun. Heute ist es ihm egal dass er ein Gargoyle ist, er hält sie einfach nur fest in seinen Armen. Keiner von beiden spricht in diesem Moment. Sie sitzen noch eine Weile so da bis Lecram leise und zärtlich spricht: „Der Gargoyle und sein Mädchen. Was für ein ungleiches Paar.“
„Du bist Lecram und der Gargoyle ist der Fluch. Halte daran fest.“
„Sarah…, ich habe mich in dich verliebt. Bitte zweifle nicht daran.“
„Ich versuche es.“ Aber er macht es ihr nicht einfach. Genau genommen hat sie das ja gewusst. Sarah ist hin und her gerissen. Trotzdem will und kann sie ihn nicht halten wenn er nicht will. Das würde ihre Beziehung, die eh auf dünnem Eis liegt, nur schaden. Mit Tränen in den Augen spricht sie sanft: „Lecram, die Zeit ist günstig. Gehen wir hinaus zu Migdal und Lamos.“
In diesem Moment wird Lecram klar dass Sarah ein grosses Opfer bringen muss. Und das tut sie aus Liebe. Es spielt tatsächlich keine Rolle ob er heute der Gargoyle ist oder der Mensch. Das, was sie zwei verbindet ist weitaus grösser. Auch wenn er ein Gargoyle ist fühlt es sich gut an bei ihr zu sein. Er küsst sie noch einmal sanft auf ihre Stirn.
„Eine unglaubliche Reise kommt auf uns zu. Nicht wahr?“ Fragt Lecram leise.
„Vermutlich wird es alle etwas verändern. Vielleicht ist danach nichts mehr so wie es wahr.“
„So schlimm?“
„Vielleicht. Mal sehen.“
„Wir werden sehen.“ Es gäbe noch tausend Dinge die er ihr erzählen möchte und hat dann bestimmt noch nicht alles gesagt. Oder nicht die richtigen Worte gewählt. Eigentlich hat er keine Ahnung wie er sich verabschieden soll. Er löst sich von Sarah und öffnet das Fenster ganz. Sarah ist erstaunt dass er über das Fenster hinaus möchte.
„Willst du dich denn nicht von den anderen verabschieden?“
Er dreht sich in ihre Richtung und seufzt: „Sarah, ich pack das nicht so leicht wie es aussieht. Ich bin nicht so stark wie du denkst.“
Sarah sieht wie seine Augen leuchten. Wenn er der Gargoyle ist kann man seine Gefühle nicht auf den ersten Blick erkennen. Seine Gesichtszüge sind fast in Stein gemeisselt. Doch jetzt sieht sie seinen ziemlich ernsten Blick.
Natürlich würde er sich von den anderen verabschieden wenn sie darauf bestünde. Doch dann droht er einzubrechen. So gern sie dieser Versuchung nachgeben würde und ihn in ihrer Nähe behalten möchte – tut sie es nicht. Sie muss ihm einfach vertrauen. Also bleibt ihr nichts anderes übrig als auf seinen Rücken Platz zu nehmen. So wie sie es schon viele Male getan hat. Danach klettert Lecram behände mit seiner Sarah die Hauswand hinunter.
Die Krähe kreist am Himmel ihre Runden. Auch sie scheint zu spüren was los ist.
Migdal und Lamos kommen auch schon daher getrottet. Sarah fällt dann auch Migdal und Lamos um den Hals. Sie sind einander so vertraut. Die beiden grossen Gargoyles versprechen so gut wie möglich auf Lecram aufzupassen und ihn auch wieder gehen zu lassen. Sie sagen das mit solcher Ernsthaftigkeit dass Sarah etwas lächeln muss.
Dann spricht Migdal kurz zu Lecram: „Hör zu, wenn wir ankommen preschen viele Eindrücke auf dich ein. Also bleib bei der Ankunft ruhig und versuche zu entspannen.“
Lecram nickt.
Eigentlich ist er gut vorbereitet auf die Reise – hat er das Gefühl. Also wendet sich Lecram ein letztes Mal seiner Sarah zu. Mit seiner, für ihn, wuchtigen Gargoyle Hand greift er in Sarahs Nacken und zieht sie sanft zu sich. Dann legt er seine Lippen auf die Ihrigen und küsst sie so sanft wie möglich um sie nicht zu verletzen. Sarahs Knie beginnen zu zittern. So etwas hat er noch nie getan und es fühlt sich ausgesprochen seltsam an. Als Lecram sich von ihr löst kann er ihr dankbares Lächeln sehen. Dafür sind keine Worte nötig.
Nun ist Lecram bereit zu gehen und steht zu den beiden Gargoyles. Die Krähe kräht kurz laut auf und fliegt zu ihnen hinunter. Die Gruppe kann sehen wie die Krähe auf Sarah zusteuert. Also hebt Sarah ihren rechten Arm seitlich hoch damit die Krähe auf ihren Arm Platz nehmen kann. Lecram nickt der Krähe zu da er das Gefühl hat die Krähe versteht ihre Aufgabe.
Sarah ist etwa fünf Meter von den Gargoyles entfernt und schliesst ihre Augen für einen Moment. Sie muss sich konzentrieren. Dabei atmet sie tief ein und aus. Als sie ihre Augen wieder öffnet, bittet sie Migdal leise: „Denk an deinen Lieblingsplatz.“
Migdal nickt wohl wissend was auf ihn zukommt und Sarah formt quasi mit ihrem Geist die Blase um sie herum. Dann sieht sie die drei ein letztes Mal an.
Lecram sieht wie sich ihre Augen verdunkeln. Das hat er damals im Keller beim kleinen Drachen schon mal beobachtet und wollte sie fragen was es damit auf sich hat. Bis anhin hat er es vergessen, bei Gelegenheit will er es nachholen. Er denkt gerade noch an sie und im nächsten Augenaufschlag sind sie auch schon weg.

Einfach verpufft!
Eine einzelne Träne fliesst Sarah über die Wange und sie bekommt Zweifel ob sie das richtige getan hat.

Wird sie ihn je wieder sehen?


Impressum

Texte: C. Gerigk
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen die dieses Buch lesen und eine Bemerkung abgeben ;-)

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