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Vom Schön sein



,,Schieb mal deinen fetten Arsch zur Seite, ich will mich setzten.”

Das sagt man so heute. Einfach so. Ohne Hintergedanken.

Mein Leben hat sich, nachdem diese Wörter mir in meinem Kopf klar geworden sind, um 180 Grad verändert. Wie oft sehe ich die Blicke von Menschen auf mir, die mich erschrocken und mit einem angewidertem Gesichtsausdruck ansehen. Wie oft sehe ich an mir runter und bemerke, dass ich doch nicht der Norm entspreche, nein, ich bin einfach so.

Ich bin zu dick.

Es fing harmlos an, ganz harmlos, ich wollte nur ein wenig abnehmen, für einen Jungen in dem ich mich verliebt hatte. Marc. Ein Partyfreak und so bin ich auch auf Partys rumgeschwärmt, mit der Hoffnung, dass er mich irgendwann ansprechen würde.

Aber dabei wollte ich nicht auf den Luxus verzichten, mein Essen zu rationieren. Ich wusste, von seinen Ex-Freundinnen, dass Marc nur auf dünne Mädels stand und ich war damals nicht dünn. 65kg auf 1.60m. Da quellt der Speck schon über die Hosenränder.

Ich weis auch nicht was mich damals geritten hatte so rumzurennen. Da war essen irgendwie nie wichtig gewesen. Wichtig war die Schule, meine Freunde und Zeichnen.

Das erste mal als ich es tat war ich allein gewesen.
Meine Familie, die sich aus meiner Mutter, meinem Vater und meinem grossen Bruder zusammensetzt zu Nachbarschaft gingen um dort eine Tasse Kaffe zu trinken verschwand ich im Bad.

Davor hatte ich mir viele Gedanken gemacht wie ich meine überschüssigen Pfunde loswerden soll und mir kam kein großartig sinnvoller Gedanke als es auszubrechen.

Ich steckte mir den Finger in den Hals und würgte. Bäh. Schnell zog ich meine Hand wieder aus meinem Mund.

Dann drehte ich mich zum Spiegel um und schaute mich an.

Babyspeck, nannte meine Mutter das liebevoll.

FETT war ich, fett!!!

Und das musste sich ändern und zwar schnell!

Nicht morgen oder übermorgen - jetzt!

Und da hatte ich zum ersten mal wirklich gewollt gekotzt.

Um den ekligen Nachgeschmack in meinem Mund zu überlagern habe ich immer Kaugummis einstecken.


Nach einiger Zeit wurde ich wirklich dünner, meine Familie sagte nichts, aber meine Freundinnen lobten das und ich bekam auch mehr Aufmerksamkeit von Jungs. Ich konnte alles mögliche tragen! War zu jeder Party eingeladen.

Ja, ich war dünn und beliebt.

Das muss man sein, in so einer Gesellschaft wie heute, ist man dick, wird man blöd angeschaut, wenn überhaupt.

Irgendwann fing ich dann auch an zu joggen, damit ich noch schneller dünn sein würde. Und ich kam runter auf 60 - 55 - 50 kg.

Da fing ich an, die ersten Probleme zu bekommen, man sagte mir, ich sei zu dünn und ich versuchte aufzuhören. Ein bisschen versuchte ich es.
Aber ich konnte nicht.

Ich wollte doch mal mit Marc ausgehen!

Und der mochte nur dünne Mädels!

Wer mochte denn schon dicke, eklige Menschen?

Wer?

Meine Mutter verbot mir sogar nach dem Essen, die Toilette aufzusuchen und achtete da wirklich drauf. Und so entwickelte ich andere Methoden, ich besorgte mir ein Eimer, in dem ich regelmäßig erbrach.

Ich verlor meine Freunde, weil mir bewusst wurde wie fett ich eigentlich bin. Ich ging keinen Schritt mehr freiwillig raus und zur Schule schon gar nicht.

Das einzige was ich draußen tat, nachts spät oder gar in einer Herrgottsfrühe war joggen. Ich wollte erst wieder rauskommen, wenn ich schön genug für Marc war, damit ich ihn umhauen konnte.

45 kg. Ich fischte schon eine Zeit lang Briefe von meiner Schule aus dem Briefkasten, denn ich ging schon seit langem nicht mehr in die Schule. Meiner Familie merkte - Gott sei Dank - nichts. Mein Bruder war immer unterwegs - immer on tour - Partys, Freunde, Freundin und sein heißgeliebter Sport. Meine Eltern mussten das Geld heimbringen, dass in diesen Zeiten schwer ist - wie sie es immer so schön betonen.

Es fiel erst auf, als meine Klassenlehrerin nachmittags anrief. Das gab Ärger, aber ich bin einfach hoch in mein Zimmer, Türe hinter mir zu und Ruhe.

Seit dem sagte meine Mutter mir oft, dass sie mich nicht verstehe.

Bis ich zusammenbrach, ich hatte solche Ohnmachtsanfälle schon öfters, aber sie waren nie aufgefallen, ich versteckte sie, sie waren mein Geheimnis. Eine Nebenwirkung vom schön sein.

Für das Schön-sein, damit ich Aufmerksamkeit bekomme und für den Mann meiner Träume - Marc.

Als meine Mutter mich leblos auf den Boden fand, kam ich ins Krankenhaus, sie sagten meiner Familie, dass sie mir versuchen zu helfen.

Ihre Hilfe war gut, ich schaffte es auf 50 kg. Ich ging wieder in die Schule - nicht gerne, aber ich tat es. Ich kochte wieder mit meiner Mutter, auch wenn ich nicht immer alles packte, aber sie akzeptierten es. Mein Bruder war öfter daheim, wir als Familie verbrachten mehr Zeit miteinander.

Bis Marc mir sagte, dass er mich nie daten würde. Ich kam nicht weit.

Ich wusste wo der Tablettenschrank bei mir daheim war.

Jetzt bin ich tot.

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Tag der Veröffentlichung: 09.05.2011

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