Cover

Wie alles anfing


Ich stand vor der Kirche in unserem 3000-Einwohner Dorf Moonwire und blickte direkt in die Sonne. Sie schien heute hell, obwohl es schon fast Abend war. Kinder schrien und flüchteten in ihre abgebrannten Häuser, Frauen suchten verzweifelt nach ihren Kindern und Ehemännern, fanden sie jedoch in diesem ganzen Chaos nicht. Überall lagen starre Leichen herum, sodass man das Gefühl hatte, auf einem Schlachtfeld zu stehen. Tat man aber nicht. Man stand auf einem gewöhnlichen Marktplatz, auf dem das Chaos ausgebrochen war, da die Soldaten des Königs einmarschiert waren. Sie hatten alles mitgenommen, was nicht Niet- und Nagelfest war, auch vor Babys und besonders nicht vor Geld hatten sie haltgemacht. Sie hatten den Eltern ihre kleinen Kinder weggenommen, um sie zu einem Soldat auszubilden, und jeder, der sich gegen die Soldaten wehrte, wurde umgebracht. Sie waren gnadenlos mit meinem Dorf umgegangen und nur sehr wenige wurden verschont vor ihnen. Das gesamte Dorf war abgebrannt, außer einem Brunnen in der Mitte des Marktplatzes und der Kirche, vor der ich stand. Offenbar war das einzige, das den König stoppen konnte, Gott und sein Haus. Oder die Abtrünigen, die Verbannten. Die sogenannten Vampire. Jeder in unserem Dorf kannte sie und fürchtete sie, denn sie waren gefährlich und genau wie der König machten sie vor nichts Halt außer der Kirche. Man sagt auch, dass Vampire, wenn sie ein Kreuz sehen, erstarren und erst wieder aufwachen, wenn man es aus ihrem Blickfeld nimmt. Allerdings war das noch nicht bewiesen worden, denn die meisten nutzten die Möglichkeit, einen Vampir zu töten. Wenn man diese Möglichkeit verstreichen ließ, würde man selbst als Essen für die Vampire werden. Und jeder wusste, dass das mit dem Tod enden würde.
Niemand hier im Dorf würde jemals freiwillig seine Familie im Stich lassen, denn ohne Zusammenhalt hatte man in unserer Gegend keine Chance zu überleben. Keiner würde einem helfen, weil man als Außenseiter galt. Und wer möchte schon gerne mit einem Familienlosen gesehen werden?

Die Flucht aus Moonwire


Erschrocken fuhr ich auf. Jemand hatte mich an den Schultern gepackt und zog mich nun hinter sich her. Wir gingen weg von den vielen schreienden Leuten und der Kirche hin zu dem Haus des Bürgermeisters. Hier kannte ich mich so gut aus wie in meiner eigenen Jackentasche. Ich wartete, bis wir hinter einer Ecke in einen schmalen Gang bogen, der zu dem Gebäude führte, das ich am Meisten hasste: Das Haus des Bürgermeisters. Er war einer der Gefolgsleute des Königs und schreckte vor nichts zurück, um es dem König Recht zu machen.
Ich versuchte zu schreien, doch dieser jemand hielt mir den Mund zu und zog mich unbeirrt weiter. Es musste ein Mann sein, denn eine Frau würde nie eine so gewaltige Kraft aufbringen können. In diesem Moment kamen meine Brüder von hinten mit einer Bratpfanne in jeder Hand. Ich lächelte, als mir klar wurde, dass sie damit meinem Verfolger eins über den Kopf ziehen wollten.Ich biss ihm in einen Finger und erleichterte so meinen zwei Brüdern den Schlag. Mein Entführer sackte mit vor Schreck geweiteten Augen zusammen und erleichtert sah ich auf zu meinen stolzen Brüdern.
Sie waren ihrer Familie immer treu und halfen ihr in Problemen, so gut sie konnten. Man konnte immer auf die beiden zählen, sie würden nie jemandem aus der Familie etwas antun, wie man es in fast jeder Familie hier sieht. Die meisten Familien verraten sich selbst oder der schlimmere Fall, sie bringen ihre Familie wegen dem Essen um. Wir hatten hier nicht unbedingt viel, nur das, was wir vom Feld holten und auch davon mussten wir das Meiste an den König weitergeben.
Ich nahm meine zwei tapferen Brüder in den Arm und schleifte sie von dem noch immer leblos am Boden liegendem Mann weg. Als wir hinter einer Ecke standen, fragte mich mein kleinster Bruder Kevin: „Lebt er noch? Wir haben ihn doch nicht umgebracht, oder?“
„Natürlich nicht. Er lebt, ganz sicher. Wo ist Mutter?“ erwiderte ich. Bedrückt schauten mich meine Brüder an und ich merkte, dass etwas schreckliches vorgefallen sein musste. „Was ist mit ihr?“ fragte ich besorgt nach.
„Sie liegt im Sterben. Mutter soll nicht sterben. Wir brauchen sie doch so sehr!“ schniefte mein kleiner Bruder. Er sah so unglaublich verletzlich aus, wie er da so stand und um seine Mutter weinte. Ich hätte so gerne etwas tröstendes zu ihm gesagt, doch es gab nichts, was die Sache irgendwie verbessern würde. Ich kniete mich hin, um mit ihnen auf Augenhöhe zu sein, und drückte sie ganz fest an mich. So wie es Mutter immer getan hatte, wenn wir etwas Schlimmes getan hatten. Sie hatte uns immer gleich wieder verziehen und das war das Gute an ihr. Sie konnte einem einfach nicht böse sein.
So saßen wir bis die Sonne unter ging und überall in den Straßen die Fackeln angezündet wurden, damit man auch in der Nacht noch etwas sehen konnte. Langsam lösten wir uns von einander und wischten uns die letzten Tränen weg. Dann nahm ich beide an die Hand und schrack vor der Kälte ihrer Finger zurück. Offenbar froren sie, was im Sommer nun wirklich nicht normal war. Denn Sommer bedeutete sonst kaum auszuhaltende Hitze.
Auf dem Weg zu unserem Haus liefen wir immer im Licht der Fackeln, da es zu dieser Jahreszeit nicht nur kalt, sondern auch ungewohnt dunkel war. Eine Ecke vor unserem Haus, hörte ich plötzlich einen Schrei, der nur von Abtrünigen stammen konnte. Reflexartig zog ich meine Brüder hinter die nächste Ecke und wartete. Doch es kam nichts mehr. Außer den Raben, die immer in diesem Dorf krähten, war nichts zu hören. Wirklich komisch

, dachte ich.
Leopold sah mich ziemlich verdutzt an und flüsterte: „Warum stehen wir hier? Hast du wieder …“ Weiter kam er nicht, denn ich drückte ihm meine Hand auf den Mund, um ihm zu verstehen zu geben, dass er leise sein sollte. Er nickte und sagte auch nichts weiter, nachdem ich meine Hand zurückgezogen hatte.
Langsam wurde es ganz dunkel, denn irgendjemand war dabei, alle Fackeln im Dorf zu löschen. Und dieser jenige konnte nichts Gutes im Schilde führen. Dann sah ich den Täter. Er schien so alt zu sein wie ich: 15. Das einzige, was ihn von mir unterschied, war die Kleidung, die zeigte, dass er aus einem reichen Haus stammte.
Er machte alle Fackeln aus, und da wir uns so ziemlich hinter einer befanden, würden wir hier entdeckt werden. Ich sah meine Brüder an und zeigte auf unser Haus. Als sie nickten, fing ich an, von 10 auf 0 zu zählen: „5 … 4 … 3 … 2 … 1 …“ Dann schrie ich: „0“ Wir rannten los, meine Brüder noch immer jeder einen Topf in der Hand, auf unser Haus zu. Doch wir kamen nicht so weit, denn ein Mann, etwa doppelt so groß wie ich, stellte sich vor uns uns versperrte uns den Weg. Meine zwei Brüder mussten sich ja wie Zwerge vorkommen!!!


„Ihr wollt abhauen.“ stellte er fest. Ja nee, wir wollte nur ganz zufällig umgebracht werden. „Woher kommt ihr?“ fragte der Typ uns ganz ernsthaft.
„Von hier, du Depp!!!“ stellte Kevin klar. Der Riese fing an, schallend zu lachen, wobei er seine Blutverschmierten, zu großen Eckzähne zeigte. Ich kannte das ja von Bildern, aber wenn man leibhaftig vor einem Vampir steht, ist das etwas ganz anderes. Plötzlich hatten wir drei riesige Angst vor ihnen. Langsam setzten wir einen Fuß nach dem anderen nach hinten, während der Typ noch immer lachte. Dann bemerkte er, was wir vorhatten, und war innerhalb von einer Sekunde, sodass wir nicht mit unseren Augen mitkamen, hinter uns.
„Ihr wollt doch nicht etwa vor mir fliehen, oder? Ihr müsst doch zum Essen bleiben.“ bemerkte er. Na toll, jetzt war es öffentlich, dass wir sein Abendessen werden würden.


„Und wenn wir nicht zum Essen bleiben wollen, weil wir keinen Hunger haben?“ fragte ich hoffnungsvoll, doch es bewirkte eigentlich nicht viel mehr, als dass er noch mehr lachte. Dabei tropfte ihm ein Tropfen Blut von den Zähnen, was wirklich nicht sehr schön aussah.
„Tut mir ja wirklich Leid für euch, doch so meinte ich das nicht. Ihr SEID das Essen. Vorausgesetzt der Chef will euch nicht behalten und euch zu unseresgleichen machen.“ meinte der Typ. Irgendwie machte der mir Angst mit seiner fiesen und herablassenden Art. Er wirkte wie ein Mann, der mit seiner Arbeit sehr unzufrieden war. „Kommt mit mir, ich werde euch zum Chef bringen!“ forderte er. Dann pfiff er kurz durch die Zähne und wartete darauf, dass auch sein Kollege endlich eintrudelte. Er ließ auch nicht lange auf sich warten. Langsam kam er aus der Richtung, aus der wir vorher gerannt waren. Es war überraschenderweise der Junge von vorhin, wobei ich mich erst jetzt richtig wunderte, warum er uns nicht gehört hatte, als wir in die Falle gerannt waren.
Der Typ setzte sich in Bewegung und lief vorne, während wir, gehorsam folgend, vor dem Jungen liefen. Er hatte uns ziemlich gut im Auge, sodass sich keinerlei Möglichkeit bot, abzuhauen.Davon mal abgesehen wären wir sowieso nicht weit gekommen, da der Typ uns erwischt hätte.
Wir gingen in Richtung Stadtmitte, also auch zu … dem Haus des Bürgermeisters. Jetzt wurde mir alles klar: Mein Entführer sollte nur mich zu dem Oberhaupt des Vampirclans bringen. Da er dies aber nicht geschafft hatte, wurden zwei andere geschickt, um mich zu suchen. Er wollte mich also um fast jeden Preis haben.
Wir hielten tatsächlich vor dem Haus des Bürgermeisters, doch es schien niemand drin zu sein. Alles war dunkel, kein einziges Licht brannte, und auch die Vorhänge waren zugezogen, sodass nicht einmal der kleinste Lichtstrahl in das Haus dringen konnte. Dann blieb der Typ vor der Tür stehen und ungewollt knallte ich direkt in ihn hinein,da ich so darauf bedacht gewesen war, meine Brüder von ihnen fernzuhalten, dass ich nicht mehr nach vorne geschaut hatte. Sein Rücken war hart und es tat richtig weh, als ich gegen ihn rannte. Ich rechnete damit, dass er sich jetzt umdrehen würde und mich schlagen würde. Doch er klopfte nur einmal an die Tür, die sogleich, wie von Zauberhand, geöffnet wurde. Hervor kam ein großer, ziemlich breiter Mann, den man auch mit einem Schrank hätte verwechseln können. Im Großen und Ganzen sah er aus wie der Typ, der uns erwischt hat, doch seine Augen gefielen mir nicht. Sie leuchteten ungewohnt hell, wie ich es weder gesehen noch gelesen habe, und sie machten den Eindruck, als wäre der Besitzer gnadenlos.
Er trat einen Schritt zur Seite und lächelte, als er uns zwischen seinen Kumpanen sah. Aber es war keine Schadenfreude, sondern etwas, das ich nicht zuordnen konnte. Vielleicht weil er die Vorstellung, dass wir alle gequält werden würden, lustig fand. Oder er versuchte uns mitzuteilen, dass er Mitleid mit uns empfand. Beides hieß ich nicht unbedingt gut, aber machen konnte ich jetzt eh nichts mehr.
Unsanft wurde ich nach vorne geschupst, mitten in die Hölle. Durch das spärliche Licht, das in den Raum fiel, konnte ich nicht sehr viel erkennen. Ich tastete nach den Händen meiner Brüder, und ich fand sie direkt neben mir. Beide zitterten, wollten hier genauso wenig sein, wie ich. Doch was konnten wir daran schon ändern? Nichts!


Als sich meine Augen an die Dunkelheit im Raum gewöhnt hatten, sah ich, was ich nicht sehen wollte. Dutzende von Vampiren standen im Kreis um uns, allen tropfte frisches Blut aus dem Mund. Ich bekam ein mulmiges Gefühl, als ich daran dachte, dass es auch meine Freunde getroffen haben könnte. Hoffentlich hatten meine Brüder nichts von meiner plötzlichen Mutlosigkeit gemerkt. Hier stank es nach verfaultem Fleisch und ich wollte gar nicht erst wissen, von wem es stammte.
„Lecker! Was habt ihr uns heute mitgebracht, Flanko?“ kam es von einem Mann aus der linken Ecke. Er sah besonders schlimm aus, denn er hatte nur noch ein Auge und das klebte so zu, dass ich nur erahnen konnte, was für eine Augenfarbe er hatte.
„Drei Jungs zwischen 4 und 15Jahren. Aber vor dem Essen, müssen wir mit dem Chef reden. Wo ist er?“ fragte der Junge, der die ganze Zeit hinter uns gewesen war.
„Na, unten in der Kühltruhe. Das weiß doch jeder, dass man ihn immer dort finden kann. Richtig, Jungs?“ Einverständliches Nicken unter allen Vampiren.
Der Junge schupste uns durch einige Gänge, wobei ich schon nach zwei Minuten den Überblick verlor, was wohl auch der Sinn darin gewesen war. Dann standen wir auf einmal vor einer sehr alten Treppe, die ziemlich zerbrechlich aussah. Wenn wir schon sterben müssen, dann wenigstens nicht von Vampiren, sondern von Treppen.

Vorsichtig setzte ich einen Fuß auf die Treppe, und als sie standhielt, den zweiten Fuß. Ich wurde mutiger. Und übermütiger. Umso weiter ich nach unten kam, umso kälter und dunkler wurde es, bis ich mir irgendwann sicher war, dass die Treppe wohl nie enden würde. Auf einmal verlor ich das Gleichgewicht, rutschte mit meinem Fuß vom Boden und fiel.
Dummerweise rutschte ich solange weiter, bis ich unten angekommen war, was wenig erfreulich war. Denn was ich sah, löste bei mir Brechreiz aus. Dutzende von Leichen, deren Innereien daneben verteilt worden waren, lagen verstreut im gesamten Keller. Und als wäre das noch nicht genug, war auch noch der ganze Boden voller Blut, nur in der Mitte des Raumes stand ein Sarg und darum herum war kein Tropfen Blut.
Plötzlich hörte ich hinter mir Fußtritte, die näher kamen. Doch es waren nur zwei Füße. Meine Brüder kamen also nicht mit hinunter. Ich schluckte meinen Ärger und meine Besorgnis um sie hinunter und sah mich im gesamten Raum um. Doch auch die Fackeln brachten nur wenig Licht, sodass das einzige, was ich sehen konnte, die Wand war. Der Raum war zu groß, um alles mit einer Fackel zu beleuchten.
Ich zuckte zusammen, als ich nach vorne gedrängt wurde. „Sag mir doch einfach, was ich tun soll, anstatt mich immer nur hier herum zu schupsen. Ich gehorche schon und wenn nicht, dann kannst du mich immer noch auffressen oder so.“ sagte ich aufgebracht. Ständig wurde man hier erschreckt, wenn sich von hinten eine Hand auf die Schulter legt, und man wurde immer wieder irgendwohin geschupst.
„Du hast hier nichts zu melden. Klar? An den Sarg!“ befahl er, und als ich mich nicht vom Fleck rührte, schrie er noch einmal, diesmal ungeduldiger: „An den Sarg!“
Von seinem scharfen Ton beeindruckt, lief ich mit schnellen Schritten Richtung Sarg und fuhr mit der Hand darüber. Er war erschreckend kalt. Dass er nicht warm war, hatte ich ja erwartet, aber so kalt nun auch nicht.
Auf einmal schien der Sarg zu wackeln und unwillkürlich zog ich meine Hand weg. Weißer Rauch stieg vom Sarg auf und zum Vorschein kam – niemand anderes als – Mister Connor, der Bürgermeister. Er hatte ein Lächeln auf den Lippen, als er mich sah.
Er hasste mich und meine Familie, das wusste einfach jeder in der Stadt. Warum wussten wir nicht, aber es war so. Und wir hatten uns schon damit abgefunden.
„So so. Luca, schön, dich hier wieder zu sehen. Flanko, kommst du bitte hier her. Ich glaube nicht, dass er versuchen wird, zu fliehen. Dafür ist er einfach zu klug.“ Wow, der Bürgermeister höchstpersönlich hatte mir – Luca – ein Kompliment gemacht.


„Was wollen Sie von mir und meiner Familie?“ zischte ich.
„Nichts. Zugegeben, am Anfang war es schon ein großer Reiz, zu sehen, wie du dich als Vampir machst. Doch mittlerweile habe ich andere treue Diener gefunden. Sana, zum Beispiel. Oder Flikko, dein allerbester Freund.“ Das traf mich, so wie er es gewollt hatte. Mein allerbester Freund soll sich den Monstern angeschlossen haben? Das konnte ich nicht glauben. Innerlich noch mit meiner Wut kämpfend, gab ich mich nach außen ganz cool. Als würde mich das Ganze kalt lassen. Ich durfte einfach keine Schwäche ihm gegenüber zeigen, auch wenn mich das alles andere als kalt ließ.
„Was soll ich dann hier, wenn Sie mich nicht einmal haben wollen?“ fragte ich ruhig.
„Nun ja. Du hast gesehen, was wir hier gemacht haben. Folglich müssen wir dich zum Schweigen bringen, sonst sind wir morgen alle tot. Und das kann ich nur, wenn ich dich töte. Dich und deine Brüder!“ erklärte er gelassen. Ihm schien das völlig egal zu sein, wie viele Leute wegen ihm sterben mussten. Er machte einfach immer weiter damit. Kurz flüsterte er Flanko, dem Jungen, etwas ins Ohr, dann legte er sich wieder in den Sarg. Flanko ergriff meinen Arm und zog mich in einen schmalen Gang, der immerhin beleuchtet war. Ich sah mich um. Leichen, viele Leichen, lagen hinter einer Art Gitterstäbe. Einige aber schien es noch ganz gut zu gehen, so schauten sie mich fast mitleidig an, als ich an ihnen vorbei gezerrt wurde. Vor einer der letzten Zellen hielt er an und schloss die Tür auf. Dann holte er aus und schlug mir mit voller Wucht auf den Hinterkopf. Mir wurde schwarz vor Augen und ich fing an, Sternchen zu sehen.
Langsam kam ich wieder zu Bewusstsein. Doch ich wollte meine Augen nicht öffnen, in der Hoffnung, dass alles nur ein böser Traum gewesen war. Doch ich wusste nur zu genau, dass alles, was passiert war, kein Traum gewesen sein kann.
Doch ich wusste nur zu genau, dass alles, was passiert war, kein Traum gewesen sein kann. Mein Kopf schmerzte, als wäre mir ein ganzes Haus drauf gefallen und meine Finger waren kalt und schienen eingeschlafen zu sein, denn es kribbelte in meinen Fingern. Doch das war mein kleinstes Problem, viel schlimmer war, dass man meine Brüder nicht hier her gebracht hatte, sondern irgendwo anders hin.
Doch da ich von Natur aus Neugierig war, musste ich meine Augen öffnen. Offensichtlich war ich in einer Zelle gelandet, genau wie ein anderer Junge, der an der anderen Wand auf einem Haufen Stroh saß und Löcher in die Luft starrte. Als er bemerkte, dass ich wach war, kam der Junge zu mir und setzte sich neben mich. Er hatte blaue Augen, war also noch ein Mensch und er zitterte am ganzen Körper.
„Hallo!“ sagte er etwas schüchtern.
„Hallo! Ich bin Luca. Und du?“ fragte ich ihn.
„Naraza. Komischer Name, ich weiß. Was machst du hier?“ erwiderte er jetzt selbstbewusster.
„Gute Frage. So genau weiß ich es nicht. Meine Brüder und ich wurden gefangen, als wir gerade nach Hause wollten. Dann bin ich hier gelandet und meine Brüder … na ja … woanders eben.“ erklärte ich, und mir urde wieder schmerzhaft bewusst, dass ich meine Brüder wahrscheinlich nie wieder sehen würde.
„Das tut mir Leid!“ sagte Naraza mitfühlend. „Deine Brüder wurden glaube ich in den Verwandlungsraum gebracht. Das heißt, sie sind zum Vampir gemacht worden.“ In diesem Moment hatte ich das Gefühl, meine Welt würde in kleine Stücke zerrissen werden.
„Du musst aufpassen. Die Vampire dürfen dich auf gar keinen Fall beißen, dann wirst du nämlich auch ein Vampir. Oder du stirbst während der Verwandlung, wie die da vorne alle.“ riet er mir. Ich würde es versuchen, doch sicher konnte man ja nie sein.
In dem Moment wurde unser Gitter aufgemacht und ein Vampir, der sich über die Zähne leckte, kam herein. Ich kannte ihn nicht und ehrlich gesagt, wollte ich seine Bekanntschaft auch nicht machen. Er lief zielstrebig auf mich zu. Bei mir brach der Schweiß aus. Brutal wurde ich nach oben gezogen, wo ich dann eine Weile verharrte. Seine Hand fuhr mir über den Hals, dann biss er mir hinein. Da ich unvorbereitet gewesen war, zuckte ich zusammen und schlug ihm direkt ins Gesicht. Sofort ließ er mich los und sah mich hasserfüllt an. Dann machte er kehrt und war binnen weniger Sekunden nicht mehr zu sehen.
Die Stelle, in die er gebissen hatte, brannte und ich musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut aufzuschreien. Meine Aufmerksamkeit galt nur den Schmerzen, nichts anderem.
Doch nach einiger Zeit wurden die Schmerzen weniger und ich sah zu Naraza. Er lag wieder auf dem Stroh und betrachtete mich.
„Du musst durchhalten. Noch bist du kein Vampir. Erst wenn du Blut von einem Vampir trinkst. Und ich glaube nicht, dass er geschickt wurde, um dich zu verwandeln, sondern um dich zu töten. Und das hat er nicht geschafft. Das sah aber auch wirklich witzig aus.“
„Tja, wäre schön, wenn die Schmerzen auch so witzig wären. Aber das sind sie nicht. Außerdem habe ich doch gar nichts gemacht.“ antwortete ich.
„Tja, wenn du meinst. Ich bin müde. Gute Nacht!“ Er drehte sein Gesicht von mir weg und da ich nicht glaubte, dass er eine Antwort von mir erwartete, drehte ich mich ebenfalls um und versuche zu schlafen. Doch ich konnte es nicht. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, meine Schmerzen zu kontrollieren, als dass ich hätte einschlafen können. Nach einer gefühlten Ewigkeit machte ein ziemlich alter Vampir den Rundgang durch die Zellen und machte alle Fackeln aus. Als er bei unserer Zelle angekommen war, drückte er die Tür auf und kam mit einem Gefäß zu mir. Er hielt es mir hin und allein der Geruch ließ mich zurück zucken. Es roch nach Blei, nach Blut. Als ich mich weigerte, es zu trinken, nahm er mein Gesicht ohne große Umstände und hielt mir das Blut an den Mund. Noch immer weigerte ich mich, doch er war einfach viel stärker und so hatte ich keine andere Wahl, als zu trinken. Es schmeckte bitte, nach Blei und einfach widerlich.
Dann ließ er meinen Kopf los und ich fiel auf den harten Boden, sodass ich wieder bewusstlos wurde.
Als ich aufwachte, waren die Fackeln schon wieder an und auch Naraza war wach. Er musterte mich einmal, beschloss dann, dass ich anders war als gestern und fragte mich: „Was ist letzte Nacht passiert?“
Schuldbewusst sagte ich: „So ein Mann hat mir Blut hingehalten, ich hab mich geweigert, aber ich war einfach zu schwach. Dann hat er meinen Kopf los gelassen und ich bin am Boden aufgeschlagen. Dann wurde ich bewusstlos.“ Ungläubig starrte er mich ein paar Sekunden lang an, doch er sagte nichts weiter. Er würde mir sowieso nur Vorwürfe machen und die konnte ich beim Besten Willen nicht auch noch gebrauchen. Da kam mir die Stille, die zwischen uns entstand, eigentlich nur Recht, denn ich hatte keinen Bedarf nach reden. Vielmehr brauchte ich etwas Trinkbares, denn mein Hals schien ausgetrocknet und fühlte sich heiß an. Allerdings konnte das auch an der Wunde liegen, die der Vampir gestern verursacht hatte.
Ich stand auf und stütze mich auf das Gitter, da ich meiner Kraft noch nicht wieder so ganz traute. Hätte sie mich nicht verlassen, würde ich wohl kaum zum Vampir mutieren.
„Hallo? Ist da jemand? Ich brauche mal etwas zu Trinken. Wäre nett, wenn ich es bekommen könnte.“ rief ich immer wieder, bis der Schmerz in meinem Hals unerträglich wurde und meine Stimme mich fast verließ. Doch es kam niemand. Vielleicht hörte man mich nicht oder vielleicht wollten sie es nicht hören. Beides war möglich!
Noch immer am Gitter lehnend drehte ich mich zu Naraza um. Er lag wie immer auf seinem Stroh und gähnte vor sich hin. Da erst merkte ich, dass auch ich unbeschreiblich müde war und er seid Stunden schon nichts mehr gesagt hatte. Plötzlich schien die Stille erdrückend. Ich wurde mir bewusst, dass mein Leben an einem seidenen Faden hing und dass alles davon abhing, wie stark mein Körper war. Ob er stark genug für den Vampirismus war. Weil es mich unheimlich viel Kraft kostete, am Gitter zu stehen, setzte ich mich wieder in meine Ecke und grübelte den Rest des Tages vor mich hin. Anscheinend gab es hier für die Gefangenen kein Essen oder Trinken, denn ich sah nicht einmal jemanden nach dem Rechten sehen, geschweige denn Essen bringen.
Am Ende des Tages, als alle Fackeln ausgemacht wurden, konnte ich nichts anderes mehr als Liegen und vor Schmerzen stöhnen. Meine Schmerzen im Hals waren schlimmer geworden, jetzt hatte ich das Gefühl, innerlich zu verbrennen. Und das nicht nur im Hals, sondern im ganzen Körper. Außerdem fühlten sich meine Beine wie Pudding an und an den Armen hatte ich viele kleine rote Flecken. Diese Flecken juckten mit der Zeit immer mehr und bald schon war meine gesamte Haut aufgekratzt. Was das Ganze nicht unbedingt besser, sondern eher schlimmer machte.
Erst diese Schmerzen erinnerten mich an meine anderen Probleme. Ich hatte keine Familie mehr, weil sie meine Mutter getötet hatten, keinen Vater mehr, weil sie früher meinten, sich ihm in den Weg zu stellen und ihn dabei mal schnell zu töten. Und auch meine Brüder waren nicht mehr da. Sie saßen vielleicht genau wie ich in einer von diesen Zellen oder – viel schlimmer – man hatte sie getötet. Erst diese Schmerzen riefen alle meine Probleme in meinen Kopf zurück. Und – das war sicher – es war auf keinen Fall gesundheitsfördernd.
„Du lebst schon noch, oder? Luca, du musst wach bleiben. Hörst du mich?“ kam es da aus einer Ecke, meiner Meinung nach viel zu laut, von Nazara.
„Schrei nicht so. Ich bin nicht schwerhörig.“ ärgerte ich mich über ihn. „Und, wie du siehst, lebe ich noch.“ Meine Stimme hörte sich komisch an, fast unnatürlich. Es war immer so eine Art Zischen im Hintergrund, sodass ich manche Wörter einfach nicht verstehen konnte.
„Ich schreie doch nicht einmal. Ich flüstere ja schon fast. Offenbar hat deine Verwandlung schon begonnen. Ein bisschen früh vielleicht!“ flüsterte er. Aber für mich hörte es sich wie schreien an. Ob das wirklich an mir lag? Vielleicht ja doch an ihm! Wer konnte das schon wissen? Andererseits könnte er ja doch damit Recht haben, dass meine Verwandlung schon begonnen hatte.
Nach unserem kurzen Gespräch widmete ich mich wieder meinen Gedanken und Problemen und versuchte so gut es ging, die Schmerzen zu ignorieren. Plötzlich fing es hinter mir an zu rauschen, wie von einem Flügelschlag oder so. Ich drehte meinen Kopf so zu dem kleinen Fenster über mir, dass ich hinaus schauen konnte. Der Mond war voll und unglaublich schön. Ich hatte noch nie so einen Mond gesehen! Man sagte, dass der Mond einen hypnotisieren konnte. Dann erinnerte ich mich daran, wonach ich eigentlich schaute. Und da saß etwas. Etwas schwarzes. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich einen Raben mit einem Zettel im Schnabel.
Ich nahm all meine Kraft zusammen und hievte mich hoch. Auf wackeligen Beinen ging ich durch die Zelle direkt auf das Fenster zu. Er waren Eisenstangen befestigt, sodass man nicht auf die Idee kam, da hinaus zu klettern. Dann war ich am Fenster angekommen und ließ mich erschöpft auf den Boden sinken. Ich griff nach dem weißen Zettel und faltete ihn auf. Dort stand, in schönster Schrift:

An Luca,
ich dachte mir schon, dass sie dich und deine Brüder erwischt haben. Deswegen habe ich einen Plan ausgearbeitet, wie wir dich da wieder hinaus kriegen. Du musst nur sehen, dass du vor dem Morgengrauen aus deiner Zelle bist. Wenn du dies geschafft hast, müsstest du mich sehen. Ich sitze in einem von meinem Vater gegrabenen Tunnel, der dir als Fluchtweg dienen wird. Von dort kommen wir ganz einfach wieder heraus aus dem Teufelsloch. Nimm deinen Zellenkameraden auch mit. Ist sicherer!!!
Wir werden uns Morgen treffen. Viel Glück!!!
dein bester Freund Jean



Er holte mich hier tatsächlich raus?

Ich konnte es noch gar nicht glauben.
Ich weckte Nazara auf und hielt ihm den Brief unter die Nase. Er nahm ihn ohne ein Kommentar und las durch, was drin stand. Als er fertig war, machte er große Augen.
„Ist das dein Freund? Und der will uns beide wirklich befreien?“ fragte er ungläubig.
Ich nickte und sagte: „Ja. Er war mein bester Freund und er schafft das. Sein Vater war die rechte Hand vom Bürgermeister. Deswegen kennt sich Jean hier auch ganz besonders gut aus.“
„Na gut. Wenn du das sagst. Dann müssen wir aber jetzt los. Sonst schaffen wir es nicht mehr.“ Ich nickte. Wir machten uns daran, unsere wenigen Habseligkeiten in einen Seesack zu packen. Was bei mir nicht viel mehr war, als das, was ich anhatte und ein Foto von meiner gesamten Familie. Dann machten wir in unserer Zelle noch ein wenig Unordnung und probierten aus, ob sich das Gitter aufschieben lies. Aber das tat es nicht. Auch Aufklappen funktionierte nicht. Das bedeutete, wir saßen hier fest und konnten nichts anderes tun, als warten. Auf was auch immer es sich zu warten lohnt. Doch ich wollte nicht warten. In Moment fühlte ich mich stark und auch die Schmerzen waren weg. Aber wer wusste, wie lange das noch so blieb. Nazara sah mich an. Und irgendwie ahnte ich, was er von mir wollte. Doch ich zuckte mit den Schultern und tat so, als wüsste ich das nicht.
„Du musst das Gitter auseinander drücken. Sonst sitzen wir hier fest.“ erklärte mir Nazara geduldig.
„Hm … Na gut.“ Ich packte das Gitte mit beiden Händen und zog einmal kräftig daran. Es löste sich wie erwartet. Nazara nickte mir zu. Wir rannten um die Ecke auf das Loch zu. Doch dort stand jemand. Und nicht nur irgendjemand, sondern Er. Flanko. Wie ich ihn hasste. ER konnte aber auch absolut nichts überhören oder wenigstens so tun, als hätte er es überhört. Nein, stattdessen kommt er immer zu so ungünstigen Zeitpunkten wie diesem. Nazara war knapp hinter mir und ich versuchte mit vorzustellen, was passieren würde, wenn meine Entscheidung fehl schlagen würde. Kurz vor Flanko nahm ich meinen Arm nach oben, ballte meine Hand zu einer Faust und schlug ihm in sein erschrockenes und verwirrtes Gesicht. Er ging zu Boden. Und diesmal würde ihm so schnell bestimmt keiner zur Hilfe kommen. Ich sprang über ihn weg, hinein in den Tunnel. Nazara machte es mir gleich und zusammen verließen wir die Hölle. Doch Jean entdeckte ich hier nirgendwo. Der Tunnel war so niedrig, dass wir uns auf den Knien fort bewegen mussten. Dann endlich kam das Ende und wir erblickten stolz und völlig erschöpft den Sonnenaufgang. Wir wollten uns gerade hinsetzen, als jemand von der anderen Seite rief: „Kommt! Ihr müsst dort weg. Da vorne, ein Vampir.“ Nazara sprang so schnell auf, dass ich erschrak. Er bot mir seine Hand an und zog mich daran nach oben. Dann rannten wir beide auf die andere Seite, in das Haus von meinem besten Freund Jean. Er strahlte, als er uns sah. Sofort nahm er mich in den Arm und stellte sich Nazara vor.
„Was machst du noch hier, Jean? Warum bist du nicht bei den anderen, die geflohen sind?“ fragte ich neugierig.
„Ganz einfach. Als ich gehört habe, dass du bei der Gruppe nicht dabei bist, und auch sonst niemand aus deiner Familie, da habe ich beschlossen, dass ich auch nicht weggehe. Außerdem … meine Familie wurde, genau wie deine, umgebracht. Nur meine Mutter dürfte noch leben. Alle anderen wurden von diesen Vampiren getötet.“ sagte er traurig und sogleich wurde es, meiner Wahrnehmung nach, dunkler im Raum.
„Das tut mir Leid, Jean.“ sagte ich mitfühlend. „Mir tut es auch Leid!“ stimmte Nazara mir zu.
„Das muss es wirklich nicht. … Wir sollten von hier verschwinden, bald wird es dunkel. Dann sind sie im Vorteil.“
Nazara und ich nickten, wir wollten ihn nicht noch mehr verletzen. Jean stellte sich an die Tür und spähte nach draußen. Einige Sekunden lang war es still im Raum und niemand sagte etwas. Dann flüsterte Jean: „Nichts. Wir können gehen.“ Wir wollten uns gerade in Bewegung setzen, als er uns dann noch mal stoppte: „Wartet. Wir brauchen noch etwas.“ Damit drehte er sich zu uns um und ging in Richtung Kellertür, vor der eine große Kiste stand. Er machte sie auf und holte drei Pflöcke raus. Jeweils einen davon bekamen wir, den anderen steckte er sich ein. „Nur für den Fall!“ meinte er, als wir ihn verständnislos anschauten. Hoffentlich brauchten wir sie nicht zu benutzen!
Wir schlichen nach draußen, immer auf der Suche nach unseren Feinden, und huschten von einer Ecke zur anderen.
Dann kamen wir zum Haus meiner Familie, und ich war im Ersten Moment geschockt, wie es aussah. Die Tür war raus gebrochen worden und die Fenster waren alle zerbrochen. Eine ganze Wand war eingestürzt. Doch was hatte ich mir auch vorgestellt? Dass das Haus noch ganz sein würde, obwohl hier eine Meute Vampire gewütet hatte? Nein, das hatte ich bestimmt nicht erwartet. Aber so schlimm nun auch nicht.

Unbeirrt liefen wir weiter durch die dunklen Gassen, auf der Suche nach einem Ausweg. Kurz vor dem vermeintlichen Ausgang hörte ich es dann. Das Knirschen von ihren Reißzähnen. Und diesmal waren es nicht nur zwei, sondern gleich sechs Vampire, die unsere Fährte aufgenommen hatten.
„Lauft!“ flüsterte ich ihnen zu. Gemeinsam rannten wir ungeschützt zwischen den Häusern durch, während die uns überlegenen Vampire nach uns jagten. Da kam, wie ein Blitz, ein Vampir direkt auf uns zugeflogen. Wir konnten nicht schnell genug ausweichen, sodass Nazara unter ihm begraben wurde. Ich wollte anhalten, doch Jean hinderte mich daran, indem er nach meinem Arm griff, und mich hinter sich herzog. Wir rannten und rannten immer weiter, obwohl wir nicht einmal wussten, wohin wir rannten. Einfach nur weg. Weg von unseren Feinden, den Mördern Nazara's.
„Stopp!“ schrie Jean. „So geht das nicht. Hörst du mich?“
„Natürlich höre ich dich. Wieso sollte ich dich nicht hören?“ erwiderte ich bissig.
„Ich habe ungefähr die letzte halbe Stunde damit verbracht, Stopp, Halt und so was zu rufen, doch du hast mir nicht zugehört. Du hast einfach weiter auf den Mond da oben geschaut.“ Wo war denn die letzte halbe Stunde hin? Und wieso finde ich den Mond plötzlich so anziehend? Früher habe ich ihn gehasst und heute kann ich gar nicht genug bekommen.
Plötzlich wurde mir schwindelig und alles in meinem Kopf fing an, sich zu drehen und unglaublich zu schmerzen. Mir wurde heiß, dann mal wieder kalt und meine Sicht wurde immer schwächer. Ich konnte mich auf kein einziges Geräusch konzentrieren, geschweige denn Jean's Worte verstehen. Schemenhaft bemerkte ich noch, wie er auf mich zu kam und sich neben mich kniete, als ich das Bewusstsein verlor.

Au!, dachte ich, als ich endlich aufwachte. Mein Kopf tat unheimlich weh und ich konnte mich keinen Zentimeter bewegen. Mein Atem ging ziemlich unregelmäßig, denn sogar das bereitete mir höllische Schmerzen. Ich fühlte mich schlapp und ausgelaugt, als hätte mir jemand meine gesamte Lebenskraft genommen.
Andererseits konnte ich auch nicht ewig hier liegen bleiben, trotz der Schmerzen musste ich aufstehen. Das einzige, was mir vielleicht helfen würde, war Blut. Doch dazu musste ich aufstehen, und das gefiel mir gar nicht.
Ich robbte vorsichtig bis zum nächsten Baum, wobei ich immer wieder laut aufschrie. Dennoch schaffte ich es, die 5 Meter bis zum Baum zu kriechen und mich daran hochzuziehen, bis ich am Baum gelehnt stehen konnte. Als ich mich ein wenig erholt hatte und wieder einigermaßen viel Kraft hatte, lief ich wie ein Betrunkener durch den Wald, auf der Suche nach Blut. Blut!, dachte ich und sofort rannte ich, durch den Ehrgeiz getrieben und die Schmerzen vergessend, umher.
Ich brauchte einige Zeit, um etwas lebendiges in diesem verlorenen Wald zu finden, doch das Fangen erwies sich als nicht sehr schwer. Ich benutzte meinen neuen Bogen, den ich unterwegs aus Holz und Faden gemacht hatte, und den Pfeil, den mir meine Mutter an dem Tod meines Vaters geschenkt hatte.
Nun war ich gerade dabei, das Blut aus dem Fuchs zu saugen. Es schmeckte süß in meinem Mund.

Der Streit/ Alleine nach LA


Als ich aufwachte, konnte ich mich erst einmal überhaupt nicht bewegen. Meine Knochen schienen alle zu brennen. Ich fühlte mich heiß und ausgelaugt. Ich öffnete meine Augen. Zumindest das konnte ich noch.

Mein Freund Jean wollte gerade einen Eimer Wasser zur Abkühlung über mich kippen, als er sah, dass ich ihn anstarrte. Er legte den Eimer zurück auf den Boden und kniete sich neben mich.

"Du bist wach! Wie geht es dir?" fragte er mich besorgt.

"Meine Knochen brennen und ich kann mich nicht bewegen. Wie lange sind wir schon hier? Und ... ist es hier sicher?" fragte ich leise.

"Ganz ehrlich? Du liegst seit vier Tagen hier und wolltest nichts Essen. Und nein, es ist nicht sicher. Zumindest nicht auf Dauer. Die Vampire rücken immer näher. Bald sind sie hier. Und sie wollen Uns, weil wir Zeugen sind." Ich nickte. Das hatte ich befürchtet. Dann mussten wir aber ganz schnell in Richtung Los Angeles! LA war die nächst gelegene Stadt, die nicht von Vampiren befallen war. Vielleicht konnten wir dort Schutz finden.

"Wir müssen nach LA. Dort sind wir wahrscheinlich sicher. WIR müssen es wenigstens versuchen." Er nickte kurz und nahm sich dann den Eimer Wasser und schüttete ihn über dem Feuer aus. Rauch stieg auf und mir war klar, dass wir uns jetzt verraten hatten. Spätestens jetzt wüssten sie, wo wir waren, wenn sie es noch nicht vorher gewusst hatten.
"Das hättest du nicht tun dürfen! So hast du uns spätestens jetzt verraten." sagte ich zu ihm. Meine Knochen fingen wieder an zu brennen. Konnte diese Verwandlung nicht endlich fertig werden? Sonst würde ich wohl noch daran sterben ...
"Sag du mir nicht, was ich tun soll. DU bist einer von ihnen. DICH werden sie freundlich aufnehmen, mich hingegen würden sie umbringen, wenn du es noch nicht getan hast." schrie er mich an. War der noch ganz bei Verstand? Ich hörte sowieso schon alles doppelt und er schrie mich noch an. Meine Ohren fingen an, weh zu tun.
"Kannst du bitte leiser reden? Ich hör alles doppelt so laut ..." fragte ich vorsichtig. "Nein. Und ab jetzt werde ich auch nicht mehr reden, denn ich werde alleine weitergehen. Ich hab keine Lust mehr auf dich." rief er vom Waldrand aus zu mir. Vorher dachte ich, er wollte jagen gehen, doch jetzt wurde mir schmerzhaft bewusst, dass ich auf mich alleine gestellt war und dass er mir mit Sicherheite nicht mehr helfen würde. Ich versuchte aufzustehen, doch es gelang mir nicht. Ich griff nach einem Stock nicht weit von mir und stützte mich auf ihn. Damit ging es. Ich kam tatsächlich hoch.
Zum Glück musste man bis nach LA maximal eine halbe Stunde laufen, sodass ich wenigstens eine Chance hatte, anzukommen. Wenn diese Chancen auch so gering waren.
Ich atmete noch einmal tief ein und sammelte alle meine Kräfte, bevor ich einen Schritt vor den anderen machte. Jeder noch so kleine Schritt war schmerzhaft, doch ich wollte noch nicht aufgeben, noch nicht! Ich würde so weit laufen, wie es nur irgendwie ging. Wenn auch nur durch meine starke Willenskraft.

Los Angeles


*Kurz vor LA*
Ich atmete schwer und mir war klar, dass ich nicht mehr lange weiter laufen konnte. Ich würde mich schon bald setzen müssen, um nicht noch umzukippen. Doch ich lief einfach weiter, bis ich an den ersten Häusern vorbei wankte. Erst dann wurde mir wirklich bewusst, dass ich es geschafft hatte. Ich war bis nach LA gekommen. Doch was würde ich jetzt tun? Erst einmal musste ich mich verwandeln, sonst konnte ich nicht unter Menschen gehen. Und dann brauchte ich auch noch neue Kleidung, denn meine war von Blut beschmiert und an einigen Stellen waren Risse drin.
Plötzlich wurde mir schwindelig und mein Kopf pochte. Meine Muskeln zogen sich zusammen und meine Knochen brannten noch schlimmer. Ich dachte noch einmal an meine Geschwister, dass ich sie befreien musste, dann wurde alles schwarz und ich merkte nur noch, dass ich auf etwas sehr hartem aufschlug.
 ************************************************************************************************************
Als ich aufwachte, konnte ich nichts sehen und mir tat alles weh. Jeder Knochen, jeder Muskel, alles schmerzte. Ich versuchte, meine Augen zu öffnen, doch es gelang mir nicht. Es war, als gehorchten sie mir nicht mehr.
"Er ist wach. Sein Herz schlägt schneller." kam es da von einem Mann. Es war nicht mehr als ein Flüstern gewesen, doch ich hatte es verstanden.
"Jaa. Ich weiß. Ich spüre es." Diesmal war es eine Frau, die gesprochen hatte. Ich konnte beide Stimmen nicht zuordnen. Sie waren mir nicht bekannt.
Wo war ich hier nur? Im Krankenhaus? In LA? Oder hatten mich die Vampire gefunden? Letzteres hoffte ich nicht, denn dann würde ich nicht mehr lange leben. So wie mein Freund, der mich erst kürzlich verlassen hatte. Was er wohl gerade trieb?
Plötzlich wurde ich hochgehoben und getragen. Wohin wusste ich nicht. Nur weg von da, wo auch immer ich gewesen war. Nach einiger Zeit wurde ich sanft auf eine Couch oder ein Bett gelegt. Schritte entfernten sich leise von mir und jemand öffnete eine Kühlschranktür oder ähnliches. Kurze Zeit später kamen die Schritte wieder leise näher und jemand hielt mir ein Glas an den Mund. Ich trank, mir war egal, was es war, denn ich hatte Durst. Wahnsinnigen Durst. Und ich wusste auch genau, wonach. Nach Blut.
Ich wollte es noch immer nicht wahrhaben, doch ich war ein Vampir. Fast zumindest. Das Getränk verhalf mir dazu, meine Augen öffnen zu können. Es gab mir einen Schub, ich hatte wieder neue Kraft. Das war es, was mich so ermüdet hatte. Ich hatte Blut gebraucht. Mehr nicht.
Ich sah einen Mann, etwa dreißig Jahre alt, der mich anstarrte. Er hatte braune mittellange Locken.
"Morgen!" sagte er nur und ging zurück zum Kühlschrank. Er nahm sich einen roten Beutel mit Blut gefüllt und schüttete es in ein Glas. Es roch verlockend. Dann nahm er das Glas in die Hand und trank es in einem Zug leer.
"Wo bin ich? Und wer sind Sie?" fragte ich unsicher. So, wie es schien, war er auch ein Vampir. Ob er mich wohl auch töten wollte? Wie alle anderen?
"Ich bin Mick. Mick St. John. Ein Privatdetektiv aus LA. Und du bist bei mir zu Hause. Ich hab dich aus dem Krankenhaus geholt." meinte er und setzte sich gegenüber von mir auf die Couch.

Josef Kostan


Ich setzte mich auf, um ihm in die Augen sehen zu können. "Warum? Warum haben sie mich da rausgeholt?" fragte ich nach. Ich konnte mir keinen Grund ausmalen, außer den, dass ich ein Vampir war. Aber das konnte er doch nicht wissen. Schließlich gab es hier in LA keine Vampire, oder doch?
"Vampire haben schlechte Chancen, im Krankenhaus zu überleben. Sie brauchen Blut, und das bekommen sie im Krankenhaus nicht." Er wusste es? Aber woher?
"Woher wissen Sie, dass ich ein Vampir bin?" hakte ich eilig nach. Er konnte es nicht wissen. Ich hatte ihm das nicht gesagt. Andererseits hatte er mir Blut zu trinken gegeben. Und er hatte selbst Blut getrunken, fiel es mir da wieder ein.
"Ich spüre es, weil ich einer von ihnen bin. Woher kommst du?" fragte er mich und gab mir noch ein Glas Blut.Ich trank es mir einem Zug leer und sagte: "Ich bin aus Moonwire geflohen. Die Vampire haben unser Dorf angegriffen und alle umgebracht. Nur ich bin geflohen. Nur haben sie mich zu einem von ihnen gemacht." erklärte ich ihm. Er schien wirklich nichts mit ihnen zu tun zu haben. Obwohl er ein Vampir war.
Dann drehte sich Mick weg und telefonierte mit jemanden. Leider war ich noch nicht vollständig verwandelt, sodass ich nicht verstehen konnte, was sie redeten. Aber sein Gegenüber musste ein Vampir sein. Dann war er nicht der einzige hier in LA! Hier gab es noch mehr.
Das Aufgehen der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Jemand war gekommen. Ich drehte mich zur Tür und sah einen Mann reinspazieren. Er starrte mich an, als wäre ich ein Aussätziger. Oder machten das Vampire so? Der Mann ging geradewegs auf Mick zu.
"So. Jetzt bin ich hier. Was ist los?" fragte er sichtlich genervt Mick.
"Dieser Junge lag im Krankenhaus in LA, halb verwandelt und fast tot. Er sagt, er kommt aus Moonwire. Vielleicht kennst du ihn ja. Schließlich warst du auch mal dort." erklärte Mick. Offenbar waren die beiden enge Freunde, denn wie es aussah, konnten sie sich auch ohne Worte verstehen. Sie redeten nur wegen mir. Damit ich auch mitkam.
"Hmm. Ich weiß nicht. Das letzte Mal ist schon sechzehn Jahre her. Menschen verändern sich, Mick!" erwiderte der Mann. Er wurde ungeduldig, das sah man ihm deutlich an.
"Okay. Wie heißt du?" fragte mich Mick und ich sah auf zu ihm. "Luca!" antwortete ich schnell.
"Okay, Luca. Kennst du Josef?" Ich überlegte. Nein, wollte ich erst sagen, doch dann fiel mir mein Vater ein, der so hieß. Josef Coston war sein Name. Doch alle hatten immer behauptet, er wäre tot. Oder vielmehr meine Mutter hatte uns immer eingeprägt, er sei tot, die anderen Leute aus dem Dorf taten immer so, als kannten sie ihn nicht.
"Josef Kostan?" fragte ich vorsichtig nach. Ich ließ den Teil, indem er mein Vater war, absichtlich raus, denn wüsste er, dass er einen Sohn hatte, würde er sich doch darum bemühen, ihn zu finden, oder nicht?
"Genau. Du kennst ihn also?" fragte Mick noch einmal.
"Nein. Nicht persönlich. Meine Mutter hat uns viel von ihm erzählt. Sie hatte ihn gekannt." meinte ich und ließ mich wieder auf das Sofa fallen. Es war unglaublich gemütlich!
"Deine Mutter? Maria Clode?" fragte mich diesmal der Mann, der mein Vater sein sollte. Er konnte sich also erinnern. Und er kannte sie. Ich nickte und fügte noch an: "Aber sie ist tot."
Er verstummte und sah zu Boden. Dann, plötzlich, war er weg. Es war so schnell gegangen, dass ich es fast nicht bemerkt hääte, wäre da nicht dieser Luftzug gewesen, den er verursacht hatte.
Mick sah ihm hinterher. "Gehen sie schon. Ich warte hier!" Er nickte mir zu und war dann auch s schnell verschwunden. Nun war ich alleine. In einem fremden Haus, einer fremden Stadt.

Der Unfall


Der Junge, Luca, gefiel mir. Irgendwie erinnerte er mich mit seiner Art immer an Josef. Sie beide hatten viel gemeinsam. Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass mir Josef etwas verheimlichte, schließlich kenne ich ihn schon seit gut fünfzig Jahren. Ich hatte ihn damals auf der Hochzeit von mir und Coralie das erste Mal getroffen.
Ich ging - oder rannte eher (Vampire sind schneller als Menschen) - hinter Josef her. Josef war schnell, doch ich hatte jahrelange Übung gehabt. Ich holte ihn kurz vor seinem Apartement ein und drückte ihn an eine Wand.
"Josef? Was war los?" fragte ich entschieden.
"Maria! Sie ist tot!" sagte Josef und ich ließ ihn los. Es ging ihm um eine Frau? Noch nie hatte er an einer Frau so gehangen, dass er traurig gewesen war, wenn sie tot war.

Impressum

Bildmaterialien: summerspring.deviantart.com
Tag der Veröffentlichung: 09.05.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /