Sie stand da, ganz still und hielt Ausschau. Sie wartete. Ihr Sohn hätte schon längst wieder da sein müssen. Er war in den Wald geritten, um zu jagen. Er musste die Familie ernähren, er war so mutig sich in da hinaus zu wagen, bei allem was vorgefallen war traute er sich trotzdem noch hinein. Jedes Mal versuchte seine Mutter es ihm auszureden, doch er hielt es für seine Pflicht. Ja, er musste Mutter und Schwester doch ernähren! Es war seine Pflicht. Er, ihr jüngster Sohn, ihr einziger Sohn, der noch lebte, sie wollte ihn nicht an sie verlieren. Sie hatten schon so viele Opfer gefordert, fünf Kinder hatte sie an diese Bestien verloren. Ihre Mundwinkel deuteten nach unten und auf ihrer Stirn bildeten sich Sorgenfalten. Drei Söhne, zwei Töchter. Der Schmerz um den Verlust ihrer Kinder war nie ganz weg, er war immer präsent. Oft weinte die Frau sich in den Schlaf, weil sie den Verlust nicht ertragen konnte, sie hoffte zwar, dass ihre Kinder es nicht mitbekamen, vorallem der Kleinen wegen, aber die beiden wussten es. Endlich konnte sie ihn ausmachen, er gerade aus dem Wald als die Sonne durch den Schatten der Nacht drang. Es war nebelig, deshalb konnte sie von Weitem nicht erkennen, ob seine Jagd erfolgreich gewesen war oder ob er verletzt war, es schien jedoch nicht so, denn er saß gerade auf seinem Rappen. Er winkte ihr zu und rief ihren Namen.
"Enila! Mama!", rief er, "Ich habe ein Reh geschossen!"
"Mateo! Mein Sohn!", rief sie ebenfalls, eher froh ihn wieder zu sehen, als über das geschossene Reh. Als er näher kam sah sie das tote Tier hinter dem Pferd her schleifen, der Pfeil steckte noch in der Wunde, anscheinend hatte ihr Sohn einen Volltreffer gelandet. Ein Lächeln huschte über Enilas Gesicht.
Mateo war gerade achtzehn Jahre alt geworden, er würde wohl bald heiraten, wenn er dann eine Braut fände. Langsam machte Enila sich sorgen um ihren Sohn, er sah gut aus, hatte Talent und war charmant, dennoch hatte er sich noch nie sonderlich für ein Mädchen interessiert. Egal wie viele Herzen ihm zu flogen, nie konnte er sich recht für eine begeistern, sei sie noch so intelligent, hübsch oder talentiert. Mateo sagte immer er woller unabhängig sein und die Welt bereisen. Das einzige was er liebte war seine Familie, das Jagen und sein schwarzes Pferd. Enila wünschte sich es wäre anders, sie wollte, dass ihre Sohn sich eine Braut suchte und zuhause blieb, das Haus übernahm, aber mittlerweile hatte sie sich schon fast damit abgefunden, dass ihr Sohn ihr keine Enkel schenken würde, deshalb setzte sie ihre Hoffnung in ihre 16-jährige Tochter Ripa, die überaus charmant gegenüber den jungen Männern war und ebenfalls viele Verehrer hatte, die um ihre Hand anhalten würden, wenn sie soweit wäre.
Mateo erreichte seine Mutter und brachte sein Pferd zum Stehen. "Guten Morgen Mutter.", begrüßte er sie.
"Guten Morgen Sohn, wie ich sehe warst du sehr erfolgreich. Davon werden wir eine ganze Woche was haben.", erwiderte sie.
"Ja, ich denke schon.", antwortete Mateo nüchtern.
Er stieg von seinem Pferd und führte es zu einem Bach, an dem das kleine Haus der Familie lag. Der Hengst trank gierig, während Mateo ihm Sattel und Trense abnahm und einen Strick umlegte, um das Tier zu seinem Stall zu bringen. Der Weg vom Bach zum Haus war eng und an seinen Rändern wucherten Löwenzahn und anderes Gewächs, sowie ein paar wilde Kräuter, die seine Schwester zuweilen pflückte. Mateo stapfte den Weg entlang und beobachtete, wie die Tautropfen dunkele Flecken auf der trockenen Erde des Weges hinterliesen. Es hatte schon eine Zeit nicht mehr geregnet, dennoch waren Gras und Pflanzen grün wie eh und je. Die beiden erreichten den Schuppen, der dem Rappen als Stall diente, ursprünglich war es ein Geräteschuppen gewesen, aber als der Hengst ihnen als junges Tier ohne Reiter zu lief, hatte die Familie ihn zum Pferdestall umfunktioniert. Der Junge stellte das Pferd hinein, gab ihm etwas Heu und frisches Wasser in den Trog und zog die Tür hinter sich zu, als er den Stall verlies. Sein Tier blickte ihm durch ein Fenster nach und schnaubte zufrieden, als Mateo sich noch einmal umdrehte, um ihm noch einmal sanft über den Nüstern zu streichen. Dann machte sich Mateo auf den Weg zum Haus, wo Schwester und Mutter bereits warten und mit großen Augen das Reh anstarren würden. Er schlenderte leise vor sich hin summend in Richtung Holzhütte, als plötzlich ein Schrei aus der Hütte drang. Mateo rannte los und riss an der Hütte angekommen die Tür auf. In der Stube sah er seine Mutter und seine Schwester auf einem Bett, zusammengekauert und mit eingezogenen Köpfen. Vor ihnen standen vier schwarz gekleidete Männermit Schwert und Helm. Es waren die Soldaten des Königs.
"Wir müssen deine Tochter mitnehmen Enila!", brüllte der linke Mateos Mutter an.
"Was hat sie getan?", flüsterte seine Mutter zurück. Sie hatte den Arm um Ripa geschlungen und deren Kopf mit der anderen Hand bedeckt.
Die Stimme des Mannes kam Mateo bekannt vor, doch er konnte sie nicht zuordnen.
"Deine Tochter hat nichts getan, Enila. Sie soll dem König von Paradoys zur Brautschau vorgeführt werden.", es war Kratop, ein Soldat, der seit dem Tod seines ältesten Bruders Jonko desöfteren nach dem Rechten geschaut hatte. Zuweilen hatte er ihnen Gemüse und Brot mitgebracht, sowie Medizin Für Ripa als sie vor 4 Monaten krank gewesen war.
"Ich?!", quiekte Ripa aufgeregt, "Wirklich? Oh das ist ja so... Unglaublich!"
"Nun kommt. Aah, da bist du ja, Mateo.", er winkte den Jungen zu sich, "Wie alt bist du nun, Mateo?", fragte er.
Mateo machte ein paar langsame Schritte nach vorn bevor er antwortete. "In ein paar Tagen werde ich 18 Jahre alt."
"Als bist du alt genug, um dieses Haus für ein paar Wochen allein zu versorgen, ja? Hast du dir nun endlich eine Braut gesucht? Es wird langsam Zeit."
"Nein. Habe ich nicht.", erwiderte er bestimmt.
"Mateo.", seufzte seine Mutter und wandte sich an Kratop, "Er interessiert sich nur für den Wald und die Jagd, aber das wird sich schon noch ändern, denke ich", sagte sie zu ihm.
"Das hoffe ich.", meinte der Soldat, "Wegen der wenigen Nachkommen in den letzten Jahren überlegt der König, nachdem er eine Prinzessin für seinen Sohn gefunden hat, Zwangsheiraten einzuführen."
Enila stutzte. "Zwangsheiraten? Ich habe davon gehört, aber ich dachte nicht, dass der König dies wirklich in Erwägung zöge."
"Nun ja er tut es.", sagte der hochgewachsene Begleiter Kratops, "Bitte nehmen Sie nun ihre Mäntel. Wir gehen. Komm Kratop."
"Ich werde mitkommen.", warf die Mutter ein, "Ich lasse mein Kind nicht allein dorthin gehen."
"Na dann pack eure Sachen, Weib!", schimpfte er ungeduldig, "Du wirst aber hier bleiben, Sohn"
"Ja, ja", antwortete Mateo und setzte ich an den Tisch. Er stützte seinen Kopf auf seine Hände und seufzte, als er zu sehen musste, wie Mutter und Schwester das Haus verliessen.
Mateo, Paradoys
In den folgenden Tagen fühlte sich Mateo einsam. Seine Mutter und seine Schwester würden ein paar Wochen weg sein, die Brautschau fing erst in 2 Wochen an und bis alle „Zukünftigen Prinzessinnen“ eingetroffen und vorgestellt waren, dauerte es auch noch anderthalb bis zwei Wochen, also stellte er sich auf eine längere Zeit in Einsamkeit ein. Das Reh, welches er vor drei Tagen geschossen hatte, hatte er bereits am Tag der Abreise gehäutet, zu geteilt und anschließend gepökelt und in die Vorratskammer gebracht, damit es haltbar blieb, es würde noch für ein bis zwei Wochen genügen, da er allein zuhause war und nicht sonderlich großen Hunger hatte. Bald würde die Zeit kommen, in der die Familie normalerweise den Weizen erntete, das musste er nun allein tun, er schätzte, dass es in zwei Wochen soweit sein würde. Außerdem musste er bald beginnen Feuerholz für den Winter zu sammeln und zu hacken, damit sie es auch in der kalten Jahreszeit warm haben würden. Mateo tat das alles gern für seine Familie, zudem hatte er im Moment ja nichts besseres zu tun. Dennoch machte er sich zunächst daran, eine Weide für seinen Hengst, Arkas, einzuzäunen, damit dieser nicht angekettet an einem Pfahl auf der Wiese oder im Stall stehen musste, denn das machte das Tier träge und depressiv. Er verstand das Tier nur zu gut, ihm fiel langsam aber sicher die Decke auf den Kopf, er fühlte sich so verlassen. Wenn er genug Geld hätte, würde er Arkas einen Gefährten oder eine Gefährtin besorgen, sodass das Tier nicht einsam sein musste. Er holte Hammer und Karren, sowie Nägel hinter dem Haus her, belud den Karren mit Holzlatten und -pfählen und machte sich auf den Weg zu der Wiese, die zu ihrem Haus gehörte. Dreiviertel der Umzäunung hatte er bereits in den letzten Tagen geschafft. Also machte er sich daran, sein Werk zu vollenden. Während er Pfähle in den Boden rammte und Latten daran nagelte, überlegte er, wie er ein Tor in den Zaun einbauen sollte. Natürlich könnte er einfach im Dorf eines anfertigen lassen oder den Schmied bitten eines einzubauen, doch er wollte lieber selbst eine Lösung finden. Er war sehr ehrgeizig und liebte es, selbst herauszufinden, wie etwas funktionierte oder wie man etwas herstellte. Als er die Lücke für das Tor lies, fiel ihm keine Lösung ein mit der er zufrieden war, also holte er zunächst einen Strick, den er ihm Zick-Zack von oben nach unten an die Pfähle, sodass sie zwar straff waren und hielten, aber er sie auch öffnen konnte.
Nachdem er fertig war, schnappte er sich Sattel und Trense und machte Arkas bereit für einen Ausritt in den Wald. Seinen Bogen ließ er jedoch zuhause, denn im Moment war es nicht nötig, zu jagen, er wollte bloß ein wenig Abwechslung von seinem momentan tristem Leben. Er spürte die Atmosphäre des Waldes, ein laues Lüftchen wehte, ein paar Tautropfen fielen ihm auf Wangen und Schultern als er in die Baumwipfel schaute. Er ließ sie an den Wangen herunterlaufen und strich sie am Kinn ab. Die Sonne schien hier und dort durch die Blätter und ließ das Licht auf den Waldboden tanzen. Ein paar Vögel zwitscherten, er versuchte sie den Arten zuzuordnen, die er von Brüdern und Vater gelernt hatte. Es waren nicht sehr viele, da sein Vater schon früh von ihnen gegangen und seine zwei Brüder nach einem Ausritt in den Wald spurlos verschwunden waren. Mateo ritt zu der Stelle an der er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Eine wunderschöne Lichtung, an der eine kleine Quelle sprudelte. In der Sonne glitzerte das klare Wasser. Das Gras grünte auf der Lichtung, Blumen und Sträucher mit Beeren sprossen hier aus der Erde. Er band Arkas an einen Baum nahe des Wassers, sodass er ebenso trinken wie grasen konnte. Er setzte sich ans Wasser und ließ die Ereignisse des Tages an dem seine Geschwister verschwanden, Revue passieren.
Mateo ritt auf dem jungen Hengst, der ihnen zugelaufen war, Jonko und Illaj ritten voran auf ihren Pferden. Jonko besaß einen weißen Hengst, ein wunderschönes, starkes Tier, welches ihn zuverlässig auf seinen Jagden begleitete, Ilaj eine braune Stute, ebenso stark und schön, sowie ein treuer Gefährte. Es war eine bessere Zeit gewesen, seine Brüder gingen Arbeiten, Ilaj war zwei Jahre älter als er und Jonko vier, und brachten Geld und Nahrung aus dem Dorf mit. Bald würde Mateo auch einen Beruf erlernen. Aber alles kam anders. Als sie an diese Lichtung kamen, saßen Jonko und Ilaj ab und banden ihre Pferde an. Sie wollten schwimmen gehen.
„Komm schon Mateo!“, riefen sie ihm zu, „Komm! Wir gehen schwimmen, Mutter wird nicht mitbekommen, dass wir rumtrödeln! Mateo!“
Doch er lehnte ab, er schätzte die Meinung seine Mutter sehr und wollte sie nicht hintergehen, deshalb machte er sich auf den Weg nachhause. Später bereute er diese Entscheidung, denn dies war das letzte Mal, dass er seine Brüder gesehen hatte.
Er seufzte. Wo waren seine Brüder? Mateo hatte tagelang nach ihnen gesucht. Zigmal war er an dieser Quelle gewesen. Noch nie hatte er hier gebadet, die Erinnerungen hielten ihn davon ab.
Doch als er sah wie verlockend das Wasser funkelte hielt er eine Hand hinein. Es war von der Sonne gewärmt und legte sich wie eine Decke um seine Hand. Er schöpfte eine Hand voll und trank. Das Wasser schmeckte gut. Er holte seinen Wassersack vom Sattel des Pferdes und füllte ihn mit dem Wasser aus der Quelle. Als der Wassersack voll war, verstaute Mateo ihn wieder am Sattel. Nachdem er nun beschlossen hatte, doch länger zu bleiben, vielleicht ein bisschen zu dösen oder zu baden, sattelte er Arkas ab und hievte den Sattel über einen starken Ast, damit kein Tier an seine Vorräte ging. Später würde er noch Beeren und Kräuter sammeln, damit würde er seiner Schwester eine Freude machen, sie liebte besonders Erdbeeren und Brombeeren, beide Sorten hatte er auf dem Weg zur Quelle schon gesehen. Er legte seine Sachen ab und stieg langsam ins Wasser. Wohlwollend legte es sich um seinen Körper, es war warm, was seltsam war, aber schön. Er fühlte sich gut und geliebt, ließ sich treiben. Unter ihm sprudelte das Wasser angenehm gegen seinen Rücken. Mateo entspannte sich. Nach einer Weile stieg er aus dem Wasser und ließ sich von der Sonne trocknen, bevor er seine Sachen wieder anzog. Er fühlte sich nun schlapp und müde, also beschloss er sich noch ein wenig in die Sonne zu legen und ein Schläfchen zu halten. Als er aufwachte war es beinah dunkel. Arkas stand ruhig neben dem Baum. Mateo fühlte sich seltsam, dennoch sattelte er das Tier und ritt heim, wo er sein Pferd in den Stall brachte, da es zu regnen begann, und es versorgte. Dann machte er sich auf den Weg zum Haus. Gerade als er angekommen war, begann es zu schütten wie aus Eimern. Er machte den Herd an, um sich zu wärmen und ein Stück Reh zu braten.
Tag der Veröffentlichung: 15.04.2012
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