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Rückblick

Wie konnte es nur soweit kommen? Ohne einen Funken Selbstwertgefühl stehe ich da, kann nicht mehr geradeaus denken, bin ohne Job und ohne erfüllende Beziehung. Auch alle Wünsche und Ziele, die ich einmal hatte sind fragwürdig: Perspektivlosigkeit in alle Richtungen.

Dabei hatte alles so unspektakulär begonnen. Nach der Trennung von S. und der folgenden Scheidung war ich nicht gerade scharf darauf, gleich wieder eine derart innige Beziehung zu einem Mann einzugehen. Ich wollte guten Sex ohne mich großartig emotional zu engagieren. Und da saß er einfach. Am Tresen einer Bar schweigend in sein Bier blickend. Faszinierend und undurchschaubar vom ersten Moment an. Wir mussten gar nicht viel reden um zu wissen, dass wir miteinander schlafen wollten. Dieses Wir-Gefühl hält seltsamerweise bis zum heutigen Tag an. Das bindet mich an ihn.

 Gleichzeitig wechseln sich Wut, Ärger und Zorn im Minutentakt ab mit einer unstillbaren Sehnsucht, mit dem Wunsch nach einer Aussprache, mit dem Wunsch, noch einmal mit ihm Sex zu haben.

Der Kick, die Leichtfüßigkeit, mit der er daherkam, die scheinbar vollkommene Freiheit, die er verkörperte, zogen mich magisch in seinen Bann. Natürlich war der Sex außergewöhlich und ekstatisch - keiner hatte mich bisher so berührt, keiner konnte mein inneres Begehren so sehr mit seinem Mund und seinen Händen stillen wie er. Der Sex ist bis heute einmalig geblieben, ich erlebe ihn immer wieder anders mit ihm, immer wieder wie neu. Ich konnte mich fallen lassen, er wusste wie er mich zu nehmen hatte. Er küsste mich so, dass es mich schwindelig machte, allerdings nicht von Anfang an. Vorerst wollte ich mich nicht verlieben.

 

 

 

 

 

 

 

Das Verhängnis

Auch wenn mein Kopf sich dagegen wehrte und mir einredete - es ist ja nur Sex - gegen die Macht der Gefühle, die sich nach und nach für ihn einstellten, konnte und wollte ich mich nicht wehren. Nur zu gern hätte ich ihn anfänglich jeden Tag gesehen, aber für ihn war nach ein paar Treffen klar: "Nur ab und zu und es darf nie mehr als Sex sein". Ich ließ mich auf diese Unverbidnlichkeit ein, ein Fehler, der mich 14 Jahre meines Lebens kosten sollte. Inzwischen ist es anders herum: Er möchte mich regelmäßig sehen, aber ich habe mir einen guten Freundeskreis aufgebaut, den ich intensiv pflege. Zumindest das habe ich geschafft. Damit bin ich gut gewappnet, um nicht jeder Verlockung, die er aussendet, unverzüglich nachzugeben. Meine Familie und meine Freunde haben Vorrang. Nur ab und zu lasse ich ihn noch in meine Welt.

Wenn ich jetzt an diese erste Zeit zurückdenke, bin ich innerlich sehr aufgewühlt und zerrissen, denn damals hätte ich noch die Reißleine ziehen können. Ich habe es nicht getan. Stattdessen habe ich solange in einer für mich aussichtslosen Situation ausgeharrt, dass ich jetzt völlig ausgezehrt davon bin.

Meine Geschichte

Ich bin als Tochter eines Kaufmanns und einer Schneiderin in ziemlich wohlbehüteten Verhältnissen aufgewachsen. Wenn meine Mutter keine Zeit hatte  - und das hatte sie als ich ein Kleinkind war ziemlich oft - war ich bei meinen Großeltern in bester Obhut. Ich sehnte mich oft nach ihr, bekam sie aber nur selten zu sehen. Erst mit der Schulreife interessierte sie sich plötzlich für mich. Sie wollte mir Hochdeutsch beibringen, nachdem ich von meinen Großeltern nur bayerisch mitbekommen hatte. Es gelang ihr gut und ich durchlief die Schulzeit unter ihrer Anleitung sehr straight. Das Gymnasium bekam ich ganz gut hin und machte mein Abitur mit ungefähr 20 Jahren. Danach sollte ich einen Mann heiraten, mit dem ich gepflegte Konversation betreiben konnte, so der Wunsch meiner Mutter. Es kam alles anders. Ich verliebte mich in einen Jungen aus der Nachbarschaft. Nicht die ganz großen Gefühle, aber doch so viele, dass wir während der gesamten Teenagerzeit ein Paar blieben - sehr zum Leid meiner Mutter. Es kam wie es kommen musste: Ich wurde schwanger und wir heirateten als ich 23 Jahre alt war. Die Ehe lief mittelmäßig, wir bekamen noch ein 2. Kind und nach 10 Jahren waren wir geschieden. Ich lernte Q. während meiner Trennungszeit in besagter Bar kennen. Genaugenommen war er der erste Mann, den ich begehrte. Alles an ihm zog mich magisch an. Teilweise hatte ich sogar das Gefühl, dass er in mir schlummernde, kreative Potentiale erweckte. Wenn ich an ihm dachte, gingen mir manche Schreibprojekte leichter von der Hand. Und das löste meist noch mehr Begehren aus.

Selsamerweise lässt dieses Begehren auch 14 Jahre nach unserem Kennenlernen in seiner Intensität nicht nach. Die Qualität unserer meist sexuellen Begegnungen lässt nicht nach, die Quantität schon. Ich versuche die Treffen auf ein gesundes Maß herunterzuschrauben; damit verliert er in meinem Leben ein Stück Wichtigkeit. Wichtig bin in diesem Spiel nur ich allein.

Seine Geschichte

Er wurde als 2. Kind in eine niederbayerische Familie hinein geboren. Vermutlich - und aus seinen Erzählungen - war seine Kindheit von sehr viel Ablehnung, Neid und seelischer Kälte geprägt. Der Vater, als Maurer oft tagelang abwesend, war kaum präsent, die Mutter mit drei Kindern vermutlich überfordert. Sie konnte ihm nicht die Wärme und Zuneigung geben, die er gebraucht hätte. Er wurde schon als Kind zum Einzelgänger. Seine berufliche Laufbahn war dennoch zielstrebig. Erst eine Lehre als technischer Zeichner, danach Abitur auf dem 2. Bildungsweg, Studium und ziemlich gute Jobs bei angesagten IT-Firmen schlossen sich an. Keine großen Wechsel, er blieb immer lange bei Firmen, die mit ihm klarkamen. Ganz anders stellte sich seine private Situation dar: Er pflegte meist kurzlebige Beziehungen, die kaum länger als zwei Jahre hielten; meist betrog er die Frauen schon nach kurzer Zeit, sie wurden ihm langweilig oder er fühlte sich gefangen in den Beziehungen. Als ich ihn traf, war er gerade zu haben, sprich in keiner Beziehung. Aber er hatte seine Letzte noch nicht verarbeitet bzw. es war noch nicht genügend Gras über die Sache gewachsen. Vermutlich erschien ich gerade zum rechten Zeitpunkt.

Der Verlauf

Sicher hat auch er sich zu Beginn nie träumen lassen, dass diese Bettgeschichte sich so lange hinziehen würde.

Mir stellt sich die Frage, was in ihm den Wunsch keimen lassen konnte, sich immer und immer wieder mit mir zu treffen, um unverbindlichen Sex zu haben. Was also habe ich ihm gegeben und was gebe ich noch immer? Ich begehre ihn nach wie vor. Nicht mehr mit dieser intensiven Leidenschaft, aber Begehren ist noch da. Lange Zeit habe ich in regelmäßigen Abständen von ihm geträumt. Im Traum wollte ich immer eine richtige Beziehung mit ihm, aber immer kam eine Frau dazwischen. Ich habe ihm gern und lange zugehört, wenn er mal redete. Ich glaube er fühlte sich von mir einfach nur wahrgenommen, begehrt und bewundert.

Meine Beweggründe waren anderer Natur. Zunächst wollte ich das Gefühl vermeiden, allein zu sein. Was natürlich ein Trugschluss war, denn allein war ich ohnehin. Ich hatte das Sorgerecht für zwei heranwächsende Jungen und war auf meinen Alltag nicht allzu scharf. Jede, die alleinerziehend zwei Jungs durchbringt, weiß wovon ich rede. Und selbstredend an den besonderen Tagen wie Weihnachten, Geburtstag oder Ostern, war ich alleine. Zwar in Gesellschaft meiner Eltern aber eben nicht mit einem Partner an meiner Seite.

 Der weitaus größere Vorteil dieser schlagenden Verbindung war der Charakter ihrer Unverbindlichkeit. Musste ich mich doch so nicht auf eine neue (Ver)-bindung mit all ihren Konsequenzen einlassen. Ich hatte scheinbar immer die Wahl zwischen meinem Schattenmann und einer etwaigen Beziehung mit jemand Neuem. Auch im Job ist eine allzu große Verbindlichkeit mein Hauptproblem: Kaum wird eine Arbeit für mich zur Routine oder zur Gewohnheit, schon frage ich mich: Soll das jetzt alles sein? Kommt da noch was oder bin ich die nächsten 20 Jahre in dieser Spule gefangen. Das war wohl auch der Grund, weshalb ich mich bei meinem letzten Job in eine lautstarke Auseinandersetzung mit meinem Chef vor Kunden einließ, was ich wohl unbewusst provoziert hatte, um dem Ganzen ein schnelles Ende zu bereiten. Kurzerhand war ich den Job los und damit auch die Frage nach der Verbindlichkeit.

Mein größter Beweggrund hatte aber eine rein egoistische Ausrichtung: War ich doch diejenige, die keine gebrochenen Herzen zurückließ, die keine Beziehung rücksichtslos einging um niedere Bedürfnisse zu befriedigen. Ich wollte nur eine Beziehung, die rein war, die der Liebe galt. ER hatte einen Scherbenhaufen an Beziehungen zurückgelassen, die letzte war sogar noch von einem Kind gekrönt, das die Zerstörung der Ehe seiner Eltern hilflos mit ansehen musste. Ich war ja außen vor und konnte dafür nichts. Er kam immer wieder angekrochen und bettelte um eine Nacht mit mir!!! Er war der Betrüger, der Frau und Kind zurückließ, ich war rein, denn ich hoffte noch immer auf die wahre Liebe, ob mit ihm oder einem anderen. Mein Verhalten war nach außen hin nicht zerstörerisch, aber nach innen hin hat es mich fast aufgefressen. 

Erst langsam beginne ich zu begreifen, dass ich mit dieser Konfliktvermeidungsstrategie nur dem "wahren" Leben, meinem Leben zuvorkommen wollte, es dadurch aber gleichzeitig torpediert habe. Jetzt bin ich so verunsichert, dass ich mir bald gar nichts mehr zutraue, weder in Beziehungs- noch in Jobfragen. Wie diese ganze Misere ausgehen wird, ist noch völlig offen.

 

 

 

Der Stand der Dinge

Im Augenblick sieht es so aus, dass ich keinen Kontakt mehr zu ihm pflege. Ich versuche mich abzulenken, indem ich Freunde treffe, ins Kino gehe, Bücher lese und mich alles in allem viel unter Menschen begebe. Hin und wieder kann ich nicht umhin, und ich gebe eine dumme Antwort auf eine seiner unzähligen dummen Mails. Rückblickend kann ich aber sagen, dass das keine Liebe war und auch keine Liebe sein wird. Ich fühle mich nach wie vor als 2.Wahl. Hätte seine Frau ihn nicht vor die Tür gesetzt, dann wäre er noch immer bei ihr. Er ist einfach zu keiner Entscheidung fähig und wird wohl immer den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Natürlich hofft er, dass er mich eines Tages doch noch einmal herumkriegt und ich mich von seinem Gesülze erweichen lasse. In mir ist allerdings gerade Kälte eingezogen. Wäre das alles jemals Liebe gewesen, dann wären wir längst zusammen. 

Ich begehre ihn auch nicht mehr. Sein ganzes Verhalten in den letzten Jahren lässt auf einen Menschen schließen, der ein ganz geringes Selbstwertgefühl besitzt und dem die Menschen um ihn herum egal sind. Nur seiner fünfjährigen Tochter gegenüber scheint er aufrichtig und loyal zu sein, sie nicht sehen zu können, käme für ihn einer Folter gleich.

Mir stellt sich nach wie vor die Frage, weshalb ich dies alles so lang mit mir machen ließ, weshalb es mir so schwerfallen konnte, mich von ihm zu lösen. Außer ein paar schönen "gestohlenen" Stunden habe ich mit ihm nichts weiter erlebt. Er hat sich nie für mich eingesetzt, sich um mich gekümmert, hat sich nie um meine Sorgen geschert. Etwas Wehmut schwingt mit, wenn ich an ihn denke. Und eine Schwerfälligkeit überkommt mich, vielleicht eine Depression? Mir ist klar, dass ich ihn nie mehr wieder sehen oder treffen will. Das allein ist wichtig!

 

Dinge, die wir taten

Ab und an, wenn mich die Wehmut und Sehnsucht nach ihm übermannt, denke ich an alle die Peinlichkeiten und Zwischenfälle, die wir zusammen erlebten. Als wir uns einmal in den Waschraum im Keller meines Hauses befanden und uns ausgiebigst liebten - es war nach Mitternacht und ich hätte nie damit gerechnet - da ging plötzlich das Licht an und meine Nachbarin stand mit einem Korb Wäsche da. Sie wollte ihre Wäsche aufhängen. Sie erkannte mich nicht gleich und ließ einen Schrei los, woraufhin sie in ihre Wohnung flüchtete. Nicht lang danach kam ihr Mann herunter, der nach dem Rechten sehen wollte. Schnell flüchteten wir durch die Haustür ins Freie.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.10.2014

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