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Ein anderes Gedicht

Würde ich ein anderes Gedicht schreiben,
würde ich dir erzählen,
dass ich die ganze Nacht geweint habe.
Ich hatte einen Albtraum
und nun versuche ich mich zu sammeln,
Gedanken zu Gedanken zu legen
und alle Gefühle in die Herzkammern zu einzuschließen
Dann wäre es ein logisches Gedicht.
Ich hoffe du kannst zwischen den Zeilen
meine Tränen sehen.

Würde ich ein anderes Gedicht schreiben
würde ich dir nicht erzählen,
dass ich die ganze Nacht geweint habe.
Um dich, um mich, um uns,
um den Tag, um die Nacht,
um das Leben und um die Liebe.
Um alles.
Es war der Regen der aus den weinenden Wolken fiel.
Menschen weinen nun mal
so wie sie lachen.
Ich hoffe du liest die Tränen mit
und siehst den Regen
zwischen den Zeilen laut prasseln.

Würde ich ein anderes Gedicht schreiben,
würde ich dir nicht erzählen,
dass ich die ganze Nacht geweint habe.
Ich würde die Tränen als Regen malen,
als reinigenden Strom,
als Fluss, als Meer.
Für dich würde ich sie als erfrischenden Sommerregen malen
als wärmender als wärmender Frühlingsregen.

Ich schreibe kein anderes Gedicht,
ich schreibe nicht in Metaphern.

Was ist ein Tränenregen,
wenn nicht eine andere Art
über Traurigkeit zu schreiben?

©Émilia


 

Ich schreibe über die Sandfrau und nicht über mich. Über die Liebe, über das Werden, über sie als Mensch, über sie als Frau, als Liebende, Lust und Leidenschaft, über Veränderungen, Verwirrungen, über Umwege, Agonie, Fragilität.

Prolog

Jeder Mensch trägt seine eigene geheime Welt im Herzen. Egal was er der Außenwelt von sich zeigt, egal was jemand in ihm sehen mag, in seinem Inneren hat jeder Mensch unvorstellbare, großartige, wundervolle, erstaunliche Welten, die er mit niemanden teilt. Das ist das Besondere, was ihn ausmacht, und das Besondere, das er niemandem zeigt - die Tiefe seiner Seele.

Und jeder Mensch trägt das eine oder andere Geheimnis in seinem Herzen. Jeder Mensch hat eine Art Bank in seinem Herzen, eine Art Traumbank, Gedankenbank oder eine Art Ruhebank, auf die er sich ab und zu setzt und in Tiefen seines Ichs blickt.

In jedem Menschen entstehen, wachsen und vergehen Lieben, so wie ein Feuer das entsteht, brennt und sich in Rauch auflöst und zurück bleibt Glut die zur Asche wird die der Wind irgendwann verweht.
Und jeder Mensch hat seine inneren Farben, sowie seine innere Musik. Ein unendliches Lied, das er immer wieder ergänzt, eine tiefe Sehnsucht die er weiter trägt, ein Traum den er nie zu Ende träumt.
Meine Melodie ist leise, nur für mich hörbar. Ich singe sie, ich weine sie und trage sie wie ein Echo in mir.

©Émilia 

Noten für ein Lied

 

Die Sandfrau - Sehnsucht ohne Namen

 Die Sandfrau ist nicht aus Sand, die irgendwo an einem einsamen Strand von irgendwem aus Sand geformt  und von den Flutwellen irgendwann verschlungen und in die Tiefe des Meeres gezogen wurde.

Metaphorisch gesehen, besteht der Mensch aus vielen winzigen Körnern ......bleiben wir metaphorisch, lassen wir die Anatomie beiseite....... die Lebenskörner, wie Gefühlskörner, Gedankenkörner, Geheimniskörner, Erinnerungskörner.......alle Körner die ihn ausmachen, die ihn lebendig halten, am Leben halten, die ihn befähigen zu lieben......So in etwa beschreibe ich die Sandfrau - eine Frau, ein Mensch.

Die Sandfrau in ihrer Lebendigkeit. Geheimnisvoll? Mysteriös? Ja, nein! Jeder Mensch trägt das eine oder andere Geheimnis in sich. Das heißt noch lange nicht, dass man etwas verbergen will oder ein verschlossener Mensch sei, sondern man öffnet nur nicht alle Herztüren seines Gefühlshauses, alle Türen seiner Seele.

Die Sandfrau wird angetrieben, getrieben und getragen von einer Sehnsucht. Mit dieser Sehnsucht in ihren Herzkörnern geht sie ihren Sehnsuchtsweg. Das Ausbrechen gehört dazu. Sie fühlt tief in ihrem Herzen, "Da ist noch etwas! Etwas das ich noch nicht kenne, das mich neugierig macht. Eine Sehnsucht ohne Namen."

Sehnsucht ohne Namen

Die Sonne stand schon sehr tief am Abendhimmel und das Abendrot zeigte sich in seinen wunderschönsten Farben. Wenn der Abendrothimmel sehr schön war, sollte der nächste Tag sehr schön werden, liest man in den alten Bauernregeln.
Sie rannte entlang der Dünen zum versteckten Strand in einer verwilderten Bucht in der wilde Myrthe und Cistrosen wild blühen. Der Sommerabendwind spielte mit ihren dunkelbraunen wilden Locken und wehte immer wieder eine Locke ins Gesicht.

Sie setzte sich in den sommerwarmen Sand und lauschte dem Rauschen der Wellen. Verspielt nahm sie eine handvoll feinen weißen Sand und ließ ihn körnchenweise durch ihre feingliedrigen Finger rinnen. Sanduhrspiel nannte sie es.
Dann zog sie ihre Sandalen aus und spielte mit den Zehen im Sand. Sie genoss es den Sand unter den Sohlen zu spüren und blickte lächelnd auf ihre Fußspuren im Sand. Sie krempelte ihre Jeans bis zu den Knien hoch und ging ins Wasser, watete lächelnd durch die Wellen.
Urplötzlich gleichzeitig mit dem nächsten Augenblick war sie da: - die Sehnsucht. Sie ist wie aus einem unbekannten Etwas emporgeschnellt und umfasste ihr Herz, bestimmte den Weg ihrer Gedanken.
Da gibt es doch etwas! flüsterte sie lautlos. Die Stimme der Sehnsucht ist leise bis laut, flüsternd bis schreiend.
"Ist das die Herzstimme?" dachte die Sandfrau. "Wenn ja, dann ist sie in diesem Augenblick aber sehr bestimmend."

Wie im Meer gibt es auch im Leben Gezeiten, sagt man. Diese Liebe, eine unbändig innige und tiefe Liebe in die man sich fallen lässt, sich ihren Tiefen hingibt, sich darin verliert, eins wird mit dem geliebten Menschen, um sich selbst zu finden und daraus herauswächst. Diese innere Entschlossenheit, ein inneres Wissen - im Leben etwas richtig zu machen und es fühlt sich richtig gut. an. Und Die Sehnsucht - eine Entdeckungslust im Wirbel der Gezeiten  - les remous de marée.

Die Sandfrau, nennen wir sie Maré (Marie, Marei, Maria, Mareille.....wie marée - französisch Gezeiten)  watete and Ufer, wartete bis die Abendsonne noch ihre Füße trocknete, streifte den Sand von den Füßen, schlüpfte in ihre Sandalen, klopfte sich den Sand von den Jeans und rannte den Weg an den Dünen entlang nach Hause.

"Den Menschen dem man tief in die Augen sieht, in den man sich auf den ersten Blick verliebt und sich gleichzeitig zu Hause fühlt, sagt man, soll es geben,"dachte sie während sie die enge mit alten Plastersteinen asphaltierte Seitengasse mit den kleinen Bauernhäusern die zum versteckten Strand führt entlanglief. "Man sieht jemanden in die Augen, lässt sich vom Wirbel deren Gezeiten mitziehen, lässt sich im Liebesmeer fallen und tragen. In jedem Blick suche ich den Menschen und an jedem Menschen den einen einzigen Blick der alles beinhaltet. Bis anhin fand ich diesen heftigen Gezeitenblick, in dem ich mich bis auf den Grund fallen lassen könnte, nicht. Die Sehnsucht nach dem "Sich fallen lassen können" bestimmt heute schon meinen ganzen Tag."

Es war ganz still um sie herum. Die Gasse war menschenleer. Die Sonne hatte sich in den Tag gebrannt und nicht einmal der Sommerwind am späten Abend konnte etwas Abkühlung verschaffen. Die leise Dorfmelodie wurde immer lauter. Das Dorfauge umgeben von vielen Getreidefeldern und Weingärten wurde im Hochsommer erst kurz vor dem Sonnenuntergang lebendig. Die Gärten werden bewässert, das Gras wird gemäht, oder das Heu wurde gewendet. Es duftete nach Essen, nach Ernte, nach reifem Obst und nach frischgebackenem Brot.
Kinder spielten noch in den Vorgärten und ihr Lachen war eine wunderschöne Liebesmelodie, eine Hommage an das Leben, das noch vor ihnen liegt.

"Verlieben kann man sich schnell, " dachte sie.
"Auch wenn es mit einem leichten Gezeitenwirbel beginnt, und später über die Lieblingsmusik und Lieblingsfarben gesprochen wird, mitunter auch über das Lieblingessen und über die Lieblingsjahreszeiten, kommen später die schwierigeren Fragen und die gefährlichen Fragen, wie welche Träume man hat, welche Urängste man in sich trägt. Oft nach den Antworten, die oftmals auf Unverständnis und Ablehnung stoßen, versucht man sich zu verstecken, oder allen Fragen so geschickt wie nur möglich auszuweichen. So bedeckt man die Nacktheit der Seele, vor spöttischen  Lächeln, vor Verletzungen und vor allem versteckt man sich vor sich selbst. Dann ist Ebbe auf die keine Flut mehr kommt. So wird die Liebe trockengelegt, bevor sie als zarte Knospe aus der Verliebtheit wachsen kann." 

Und so brachte sie die Sehnsucht wieder einmal geschickt zum Schweigen. Noch einmal tief einatmen vor dem Schweigen. "Heißt es nicht "So zu tanzen, als ob dir niemand zusieht?" Ich aber habe so viel in meinem Ich, in meiner Stimme gefesselt. Ich habe so viel Lebendigkeit zusammengedrückt und in meine Herzkammern verstaut, nur weil der über meine naturkrausen Haare lachte und sie Wischmop nannte, oder der sich über jedes falsch ausgesprochene Wort lustig machte, oder der bei dem ich nie müde sein darf, um nicht als gelangweilt zu gelten. Und der und jener und der andere.......lieber Ebbe als einen halbherzigen Wirbel.
Aber ja, als wären Hypothesen und Gefühle grundlegender als gesunde Logik."

Aus den Augenwinkeln lösten sich zwei Tropfen und weinen sich über ihre Wangen. Sie schmeckte das Salz. Es war kein Meerwasser.


Salz: Meerwassersalz, Tränensalz.....auch eine Art Sehnsuchtsalz



 

Die Sandfrau

 

Im Traum

Strandsandkörner rieselten aus ihren dunkelbraunen Locken und bildeten einn kleinen Sandhaufen mitten im Wohnzimmer.
Mit den Sandkörnern trug sie auch diese Sehnsucht ohne Namen nach Hause.
"Morgen werde ich im Meer schwimmen. Ich werde mich von den Wellen tragen lassen, treiben lassen,"  nahm sie sich für den nächsten Tag vor, bevor sie ins Bad ging.
Maré war vom langen Tag erschöpft und nach einem reinigenden und entspannenden Bad, schlief sie sofort ein.
Sand, Wasser, Salz, Sand, Wasser und Stille. Man ist nur ein Stück Treibholz im Fluss der Zeit und die Gefühle sind nur ein Sandhaufen in der Sanduhr.

Im Traum, der dann zum Cauchemar wurde, lag sie in einem Tomographen und jemand las sich bildlich durch alle Schichten ihrer Emotionen, ihrer Gedanken bis auf das Rückenmark ihres Ichs.

Bleiben Sie ruhig, bleiben Sie liegen, bewegen Sie sich nicht. Nur noch einen Augenblick, nur noch einen Gedanken lang, nur noch diese eine Schicht.....Sie sind schön darin, Sie sollten es wissen. Sie sollten es allen zeigen. Sie zeigen nur das was sie bewusst wollen, damit man Sie nicht mag, damit man sie nicht liebt, damit man sie ablehnt. sagte eine wunderschöne, warme männliche Stimme.
Ich will auch etwas sehen, schrie sie und drängelte sich vor alle anderen die um den Tomographen herum standen. Ich sehe nichts! schrie sie erneut.
Bleiben Sie noch einen Augenblick ruhig liegen. flüsterte die Stimme an ihr Ohr.
Geht es weg? fragte sie ängstlich
Was? fragte er.
Ich weiss es nicht. 
Dann öffnete sie die Augen. Ich muss zurück in den Traum. Doch der war weg. Unausgeträumt.
Sie lag in ihrem Bett und nicht in irgendeinem Tomographen und eine nachtblaue Melancholie umhüllte sie.
Ihr tränenbenetztes Gesicht brannte und sie schmeckte das Tränensalz auf ihre Lippen. Im Traum hat sie geweint.

Im Traum kehrt der Tag zurück, auch wenn man ihn nicht zurückruft. Im Traum ist man unwillkürlich ein seelischer Wiederkäuer. Der Tag wird mit allem Logischen und Unlogischen erneut durchgelebt. Alle Ängste entladen sich wie eine Gewitterwolke in einem Albtraum. Die Natur des Menschen ist unerklärbar.
An manchen Tagen hat man besonders lange zu kauen. Sie sind hart, sie sind zäh, bitter und salzig. Und manche Tage schmecken wie ausgelutschtes Kaugummi. Ist die Süße darin weg schmecken sie fad.




 

Der (un)logische Alltag

Sie parkte ihr Auto im Parkhaus der Klinik, auf dem ihr zugewiesenen Platz für den ihr jeden Monat fünfzig Euro vom Gehalt abgezogen werden. Studentenpreis.
Sie musste noch ganze zwanzig Minuten zu zu Fuß gehen, bis sie das Haus mit der Nr. 4 erreichte.
Kleine Menschen, kleine Schritte. Diese vier Worte bildeteten ein Gedanke.
Bordeauxrote Leinenbundfaltenhose, weiße kurzärmelige Baumwollhemdbluse mit Stickerei, viel zu unbequem für die brütende Hitze schon am frühen Morgen, den ausgetrockneten Asphalt unter ihren Sandalen und ihren Schatten, der sich  unter ihr, hinter ihr, neben und vor ihr zusammenzog und streckte. Mal war sie winzig, mal war sie riesig. Um sie herum große Backsteinbauten, hohe Wände, teilweise offene Fenster. Ihr Alltag des Lebens.
Im Haus mit der Nr. 4 verschwand sie und stellte sich ebenso wie die Tage zuvor vor die Tomographen und sah sich das Innenleben anderer Menschen in Scheiben an. Sie fühlte ihre Ängste, als wären es ihre eigenen. Ganze neun Stunden wird sie das tun müssen, bevor sie den Tag als Erinnerung zusammenrollen und wegstecken darf.
Ein daumennagelgroßes tränenförmiges Bergkristall hing an einem filigranen feinen Goldkettchen um ihren Hals.

"Merde," schimpfte sie vor sich hin. Diese Träne bergkristalline Träne hat sie durch das Studium begleitet. Mit der rechten Hand hielt sie es fest, während sie mit der linken Hand ihre Examenarbeiten schrieb und sich durch alle Hürden kämpfte.
In den MRT- und Röntgenräumen, sowie in den OP`s ist Schmuck jeder Art verboten.
Ihm BH-Körbchen sieht niemand nach, dachte sie und befestigte das Kettchen mit der Träne am BH-Träger und versteckte die Träne unter ihrer Brust. Herznah, soll sie ihr Glück bringen.
Auch eine Art Sehnsucht - die Hoffnung auf Glück.
Nachdem sie fast neun Stunden, die Pausen die sie mit Lernen verbrachte miteingerechnet, Praktikum in dem sie half ein paar Lebensläufe auf die Korrektur vorzubereiten, hinter sich gebracht hatte, schlüpfte sie in ihre Nachhausekleidung und machte sich auf den Heimweg.

Der Eingang vom Haus Nr. 4 der Klinik (die fast die Größe einer kleineren Kleinstadt hat) ist etwas verwinkelt. Da gibt es ein Fenster, in dem sich im Sonnenuntergang, oder im Licht der Nacht sich ein anderes Fenster darin spiegelt wie ein weißes Blatt Papier unter einer Glastischplatte.

Überall sehe ich schon Röntgenbilder hängen, dachte sie als sie vor dem Fenster stehen blieb und das blassweiße fast transparente Schattenblatt betrachtete und entdeckte ihr Spiegelbild
Dann strich sie sich über die strubbeligen Haare. Einige Strähnchen haben sich aus dem sorgfältig gebundenem Chignonknoten, für den sie extra eine halbe Stunde früher aufgestanden ist, gelöst. Die Mathelehrerin, fiel ihr ein ......wie sagte ihre Mathematiklehrerin dazu? Ach ja, "Bohnenkraut". "Bändige dein Bohnenkraut auf dem Kopf, binde es zusammen, oder schneide es kurz."
"Witzig! Meine Haare sehen wirklich aus wie Bohnenkraut," stellte sie fest. Aber wieso mögen manche keine krausen Haare? Wobei stören denn krause Haare? Sie sehen ungekämmt aus. Chaos auf dem Kopf. Ich werde es nie verstehen lernen. wieso man krause Haare Chaos, Bohnenkraut und ungepflegt bezeichnet, Nun ja, mit geraden Haaren kann man tolle Frisuren machen, man kann sie bändigen und sie sehen gepflegter aus." sinnierte sie kurz und beeilte sich endlich nach Hause.


Der Sonnenuntergang zeigte sich noch kurz ein einem blassen Violett und verschwand. Und mit ihm, verschwand auch die Sandfrau in ihrem Bett.

Die Nacht umhüllte die Dämmerung des Tages mit ihrem indigofarbenen Mantel.

On devrait pouvoir se laisser bercer, abandonné comme une algue devant la marée. Mais on est toujours emmené au large.
 

Sandkörner

 

Maré - Journalseite

Ich heiße Maré. Eigentlich heiße ich Marie, aber wen interessiert es denn so genau? Alle nennen mich Maré (Marie, Marei, Maria, Mareille.....wie marée - französisch Gezeiten) hier ein gängiger Kosename für Marie, Maria und alle anderen Variationen mit dazu.
Wir schreiben das Jahr 2008 und ich bin heute 25 Jahre alt geworden und studiere im vierten Semester Medizin. Noch weiß ich nicht welche Fachrichtung ich anstreben soll. Ich habe noch ein Jahr Zeit um es herauszufinden. Eventuell werde ich mich für die Chirurgie entscheiden. Sicher bin ich mir jedoch nicht. Innere Medizin ist auch ein interessantes Fachgebiet. Ebenso die Kardiologie. Es wird vielleicht doch noch die Chirurgie werden. Für drei Monate war ich der Chirurgie zugeteilt und ich habe mich da richtig wohlgefühlt. Und wenn ich mich irgendwo wohl fühle, bringe ich mich mit Herz und Kopf und Seele ein.

Heute bin ich zum Essen verabredet. Ich mache mir gar nichts aus chinesischem Essen, aber ich habe ein paar Kommilitonen eingeladen mit mir zu feiern und hier kann man zum "Studentenpreis" gut essen und ausgelassen feiern. Und die Glückskekse hier prophezeien immer das Leben haargenau. Nun ja, traf bis anhin immer alles.....fast alles zu.
Nicht dass ich an so einen Esotherikkram glaube, aber man braucht, oder ich brauche, im Leben irgendwelche Anhaltspunkte, irgendwelche Hoffnungen, wenn man das so sagen kann, vorantreiben. Mag sein, dass es albern ist, oder kindisch, aber ich mag die Zettelchen in den Glückskeksen. Die Kekse esse ich fast nie.
Aus Geburtstagen mache ich mir auch nichts. Warum? Ich fühle mich nicht wohl im Mittelpunkt zu stehen. Nicht einmal an meinem Geburtstag. Es ist viel mir zu intim, mich der Heftigkeit meiner Emotionen auszuliefern, meiner eigenen Heftigkeit. Mich meinen Kommilitonen so zu zeigen.
Also kusche ich vor meiner Wildheit. Ich möchte niemandem gefallen.
Männer gefallen sich selbst und Frauen möchten anderen gefallen. Ob die Natur dem Menschen diese Eitelkeit schon in die Wiege legt? Ob ich gezähmt wurde, wie alle Mädchen gezähmt werden ab einem gewissen Alter oder schon ab der École Maternelle, zurückhaltend zu sein? Die Wildheit, das Selbstglück, der Forschertrieb so klein wie möglich zusammenzufalten um nicht aufzufallen? Eigentlich nicht. Im Gegenteil: man förderte meine Wildheit sogar.
Ich habe mich der Gesellschaft zumindest äußerlich angepasst, wie man sich der Mode anpasst, um nicht als Eigen zu gelten, um nicht rebellisch zu wirken.
Das Eigentliche...... die wilde Natur, behalte ich für andere unsichtbar, ich zeige sie nur sehr wenigen Menschen.

Und heute sitze ich da, umgeben von  Frauen und Männern in meinem Alter die "Happy Birthday" singen, grölen und mich abknutschen als wäre ich ein Stofftier und sie kleine Kinder.
Ich bin vor Verlegenheit rot bis zum Haaransatz und wäre lieber unsichtbar.

Kurz vor Mitternacht, bitte ich um die Rechnung. Die Bedienung stellt ein winziges silberfarbenes Tablett mit einem Zettel und einem Glückskeks vor mich. Während ich mein Portemonnaie öffne und die gewünschte Summe und etwas Trinkgeld auf das Tablett lege, verteilt sie Glückskekse und einen Espresso an alle.

Auch dieser Tag ist vorbei und ich bin ein paar Stunden älter.

Zu Hause breche ich den Glückskeks auseinander.
"Du solltest deiner Sehnsucht folgen" steht auf dem kleinen Zettelchen.

Als würde sie gerade mitlesen, so schnellt die Sehnsucht urplötzlich hoch und packt mein Herz mit beiden Händen und hält es fest umklammert, als würde sie mir befehlen: "Du kommst jetzt mit mir und wir suchen den einzigen Menschen bei dem du diesen Gezeitenwirbel erlebst und dich fallenlassen kannst!"

Ich mich fallen lassen? denke ich. Ich kenne niemanden, bei dem ich es tun könnte. Dieser Gezeitenwirbel ist jetzt nicht angebracht. 
Ich war schon oft verliebt. Tant pis! Dann sollte es wohl nicht werden. Ich habe begehrt, mit dem Herzen und mit den Sinnen. Herzrasen, amoureuse Appetitlosigkeit, Erotik und die Angst, ob ich ihm genug bin, ob er mich denkt wie ich ihn denke. 
Und dann kam das Ver  dazwischen. Verlieben ist das Gegenteil von Liebe. Verlieben ist wie verirren, verfahren, verlassen. Das Strubbelhaar das man nicht mag, die Wildheit die anstrengend wird.Die Eifersucht die aufkeimt, wächst und blüht, die sich ans Herz klammert, es umschlingt, sich davon ernährt und herauswächst. Und man nennt das sogar Liebe. Das Ver davor ist die Liane.
Man will nicht mehr und beginnt sich einzubilden es wäre Liebe weil man nicht verlieren kann, oder man lügt erst recht dann, wenn der andere sagt, dass er mehr möchte und man Angst um seine Freiheit hat. Ich kam nie aus den Anfängen heraus, nie über das Begehren hinaus weiter.  Als es ernst wurde, man sich gegenseitig tiefer in die Augen sah und die ernsteren Fragen gestellt wurden, wovon man träumt, wovon man Angst hat, wie man die Welt sieht und auf die Fragen nicht die erhofften Antworten kamen, war man enttäuscht und man redete nicht mehr darüber. Man beginnt ein Versteckspiel und man lügt. 
Fallen lassen? Ich kenne niemanden, bei dem mein Herz, Mut hätte, wie ein Stein in dessen Herzmeer  bedingungslos sinken ohne mich zu fragen ob es das Richtige tut. Also lass mich in Ruhe Sehnsucht, mit deinem Gezeitenwirbel. 
Es sind doch immer die Emotionen, die die Liebe messen, dachte ich bevor ich einschlief. Liebe die wir fühlen, das Gefühl, das wir erleben, das wir nicht kontrollieren können, das uns zerbrechlich und einzigartig macht, und wenn wir sie wahrnehmen, verändert es unser Gleichgewicht.

Ich bin die Geisel meiner Emotionen. Ich bin in meinen Gefühlen gefangen. Sie reagieren, sie regieren, sie befehlen. Es ist nicht meine Rationalität. Ich bin kein rationaler Mensch. Meine Gefühle sind meine Diktatur. Meine Träume, die warten in der Warteschleife und die Zeit, die verhandelt emotional. 
Ich bin tief in meinem Herzen Geisel. Eingeschlossen in irgendeiner von vier Herzkammern. Hinter den Deichen,jenseits den Herzhäuten die mein Ertrinken verhindern. Ich fühle mich da sicher und unantastbar.

Ich habe manchmal das Gefühl, ich würde  zu viel vom Leben  und von der Liebe verlangen und mein Herz muss sich doch langsam daran gewöhnen. Ich bin mein eigener Henker, von dem, was ich toleriere, akzeptiere, ablehne. Das Zähmen interprätiere ich falsch. 
Manchmal wünschte ich, ich könnte mein Herz innehalten lassen es bitten weniger zu fühlen, anders zu fühlen lernen. Liebe fühlen und keine Eifersucht. Zu wissen, dem Herzen vertrauen und es fühlen lassen wann und wie man sich fallen lässt.  Ich wünsche mir einen Herzfrühjahrsputz, nur um zu sehen, ob durch Entfernen des Staubes meine Gefühle erneuert werden und die Sehnsucht nach dem Fallenlassen verschwindet. 
Ich fühle jetzt wie sich die Nacht über mich, über meine Gedanken, über meine Sehnsucht und über meinen Körper legt und mich sanft in den Schlaf schubst.
Das Zerdenken der Gedanken ist ein gedankenloses Denken....Ich werde jetzt nicht die Herzschläge zählen......
und ich werde keinen einzigen Gedanken mehr entwirren......


Ich schlief tief und fest und traumlos bis der Handywecker mich mit "Morning Strum" summend und "es ist 05:30" aus dem Tiefschlaf in den Tag riss. "Nun bin ich 18 Stunden und 31 Minuten älter!" dachte ich während ich mit dem linken Zeigefinger sanft über "verwerfen" streichelte, um den Handywecker auszuschalten.  

Die letzte Umarmung

Maré klopfte drei Mal an die Küchentür.
"Endlich ist Maré da!" hörte sie die Stimme ihrer Großmutter rufen.Sie öffnete die Tür und umarmte stürmisch ihre Großmutter die für ihr Alter noch ganz flink auf sie zurannte.

"Sei nicht so wild mit mir, ich bin nicht mehr gut auf den Beinen." scherzte sie.

"Omiiiiii!" rief Maré aus und küsste sie heftig und laut auf beide Wangen. 

Ihre Mutter stand in einer hauchdünnen himmelblauen Seidenbluse und einer schwarzen Bundfaltenhose vor Maré und legte ihre zarten Arme um sie. "Schön dass du da bist!" sagte sie mit tränenverschleierten espressofarbenen Augen. Sie hatte die gleiche Augenfarbe und auch den gleichen gütigen und liebevollen Blick wie ihr Vater, wie Maré's Großvater.

"Herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Examen!" sagten alle im Chor und es klang fast wie ein Kanon. Maré war mit ihren rationalen Gedanken und mit ihren Herzgedanken bei ihrer Mutter. Wärend Großmutter, der Lebensgefährte ihrer Mutter, zwei Tanten und zwei Onkel sie drückten und abknutschten als wäre sie ein Kuscheltier oder ein Quitschtierchen, dachte sie: "Sie ist regelrecht abgemagert, ausgelaugt und lebenleer. Merkt niemand etwas außer ich?"

"Merci!" sagte sie gerührt und fühlte wie sich ihr Gesicht puterrot färbte. Sie war verlegen, denn sie steht nicht gerne im Mittelpunkt.

"Seht euch das an!" rief ihre Mutter erfreut und ihre esspressofarbenen Augen sprühten goldfarbene Pünktchen. Wie Esspressolava in einer kleinen Tasse. Sie lachte nicht nur mit dem Mund, sondern mit dem ganzen Körper. Sie reichte die bordeauxrote Kunstledermappe mit den Diplom und den anderen Zeugnissen herum. Alle Augen waren stolz auf Maré gerichtet. "Ich wusste, dass sie es ausgezeichnet hinkriegt!" lachte ihre Patentante Hanna. Johanna, genannt Hanna. Sie war die älteste Schwester ihrer Mutter. 

"Nun ja, wenn man schon so viel Geld für ein Studium hinblättert, dann muss man es ja auch bravourös abschließen." scherzte Maré. "Es ist doch nur ein Diplom und eine Aprobation. Es gibt Wichtigeres im Leben als eine Mappe mit Zeugnissen. Ich habe doch noch ganze 4 Jahre vor mir. Erst dann kann ich endlich aufatmen!" Das meinte sie mit ernster Miene.

"Sag mal, kannst du dich gar nicht darauf freuen? Du bist doch nicht autistisch!" rief ihre Mutter und ihre Stimme klang enttäuscht. 

"Sie ist enttäuscht,  dass sie mich nicht so erziehen konnte, dass ich vor Begeisterung singe und tanze. Sie wusste, dass ich mich tief in meinem Herzen freue, dass alle Herzmeerwellen an den Herzhäuten brechen und mein Herz an meinen Rippenbogen schlägt wie an eine Küste. Sie konnte es nur nicht verstehen, dass ich diese Freude und dieses Glück nicht zeige. "dachte Maré.

"Aber ja, freue ich mich. Was soll ich jetzt tun? Radschlagen oder mich um die eigene Achse drehen?" lachte Maré.

"Nach dem Essen gibt es die Geschenke!" zwinkerte meine Mutter mir zu und setzte sich neben ihren Lebenspartner, den ich liebevoll Papá oder Pá nenne. 

"Es gibt so Vieles worauf sie alle stolz sein können. Sie haben noch zwei Söhne und von den beiden schon vier süße Enkelinnen geschenkt bekommen. Wieso sollte ich jetzt der Mittelpunkt sein? Und wieso sind alle um mich herum versammelt, als wäre ich eine Göttin?" dachte ich.

Es gibt in Maré's Familie immer etwas zu feiern. Wenn es nichts zu feiern gibt, gibt es ein Familientreffen. Einfach so. 

Bon Jovi sang "Let It Rain". Maré's Mutter liebte Bon Jovi. Sie stand auf und stellte das Radio etwas lauter. 

Draußen regnete es nicht. Es war ein schöner sonniger Oktobertag mit vielen Rostfarben und mit einem  Ernteduft der Maré an frisch gebackenes Brot erinnert. Der Wind spielte mit den bunten Blättern. Er zupfte sie von den Bäumen, ließ sie ein bisschen durch die Luft segelnwie Papierflugzeuge, um sie anschließend in einem Blättertanz zu durchwirbeln und ließ sie dann zu Boden fallen. Ein Herbstabschlussball.

Es erinnerte Maré an ihren Abschlussball. Sie fremdelte. Obwohl sie fast alle Gäste kannte, fühlte sich sich fplötzlich fremd. Sie trug ein weinrotes langes Abendkleid. Ihre langen strubbeligen Haare hatte sie hochgesteckt und eine weinrote Blüte aus dem selben Stoff wie das Kleid zierte ihr Haar. Sie tanzte ein paar Pflichttänze mit ein paar Freunden und Kollegen und dann schlich sie sich zum Hinterausgang, offnete die Tür und rannte so gut sie mit zehn Zentimeter hohen Absätzen rennen konnte. Sie setzte sich ins Auto, schaltete ihr Handy aus, schlüpfte aus den roten Pumps, schleuderte sie unter den Beifahrersitz und fuhr nach Hause.

Sie warf mich auf mein Bett und schluchste in die Kissen.

Das Salz des Herzmeeres, das Salz der Tränen......es fehlen noch zwei Salze.....

"Ein Lebensabschnitt ist zu Ende und ein neuer beginnt." dachte sie und weinte sich durch das Ballende.

Der Abschlussball erinnerte sich an ihren achzehnten Geburtstag. Der Lebensgefährte ihrer Mutter, der ihr mehr Vater war, als ihr leiblicher Vater, bescherte sie mit einem rauschenden Fest. La Majorité ist ein wichtiges Fest und man bekommt eine gestrickte Mütze geschenkt. Sie bekam eine kirschrote Strickmütze aus feinem Mohairgarn geschenkt. Ihr Stiefvater tanzte mit ihr den Eröffnungswalzer. Er führte sie federleicht durch den ganzen extra für die Feier gemieteten Saal und die fühlte sich von ihm getragen. Sie sah sich in seinen Augen wie in einem Spiegel und entdeckte in seinen meerblauen Augen seinen ganzen elterlichen Stolz. Nur beim Abschlussball spiegelte sie sich in keinen Augen. Sie sah an ihren Tanzpartnern vorbei in den überfüllten Saal.

 

 

"Niemand hatte mich vermisst," stellte sie am nächsten Morgen fest.

Ein paar Augenblicke später laß sie sich durch 33 Nachrichten, 15 e-mails und entdeckte 9 verpasste Anrufe auf ihrem Handy.

 

"Du erzählst ja gar nichts vom Abschlussball!?" stellte ihre Großmutter fest. "Dein Kleid war so wunderschön, Bestimmt war es das Schönste.""Omi, es waren viele wunderschöne Kleider dabei." sagte Maré schlicht. "Mein Kleid war schön, aber ich war froh, als dieser Ball vorbei war."

"Du hast doch jetzt nichts anderes von ihr erwartet? Ein Dankeschön für das mit viel Mühe genähte wunderschöne Kleid aus teurem Stoff? Dass sich meine Mühe für eine gute und respektvolle Erziehung hier zur Geltung kommt?" mischte sich ihre Mutter zynisch ins Gespräch. "Bestimmt stand sie irgendwo in der Ecke und stützte die Wand, damit sie nicht einstürzt." ärgerte sich ihre Mutter.

"Du kannst doch gut tanzen, du zeigst niemandem was du kannst." sagte ihre Großmutter mit einer Enttäuschung in der Stimme die Maré verlegen machte. "Wenn du nicht zeigst was du kannst unterschätzen dich alle. Du bist doch erwachsen und deine Schüchternheit sollst du ablegen. So kriegst du nie einen richtigen Mann ab. Männer wollen Frauen die zeigen wo es lang geht. Sonst stellt er dich in die Ecke."

"Omi, dann ist das kein Mann für mich, wenn ich ihn führen muss. Und ganz bestimmt lasse ich mich von keinem Mann führen, geschweige denn in die Ecke stellen. Aber ja, ich habe getanzt." sagte Maré bestimmt.

Über Männer, das Fallenlassen, über das Meer konnte und wollte sie nicht mit mit ihrer Großmutter reden.

Sie setzten sich alle nach dem Essen an den langen "Lebenstisch" aus Kirschbaumholz, den Maré's Großvater geschnitzt hatte. "Jedes Haus braucht einen Herztisch aus Holz und mit viel Leben drumherum." sagte er und stellte den riesigen Tisch mitten ins Wohnzimmer.

Nachdem mir ihre Mutter einen riesigen Ordner mit Unterlagen überreichen wollte zitterten ihre Arme. Maré nahm den Ordner an mich und legte ihn vor sich auf den Tisch.

"Nach deiner Facharztausbildung kommst zurück und übernimmst meine Praxis. Ich kann bald nicht mehr praktizieren. Die Dialyse schwächt mich immer mehr. Ich muss schon zwei Mal pro Woche dahin und brauche fast zwei Tage bis die Müdigkeit aus mir verschwindet." 

"Ich habe mich für die Chirurgie entschieden," sagte Maré leise. 

"Nicht dein Ernst!" schrie sie. "Wofür bestrafst du mich? Ich habe alles für euch Kinder getan!" Ihre Stimme überschlug sich und schnitt wie ein scharfes Messer in Maré's Herzhäute.

"Innere Medizin liegt mir nicht. Kardiologie auch nicht. Ich repariere gerne. Also habe ich die Chirurgie gewählt." versuchte sie sich zu erklären. "Ich will dich und niemanden damit bestrafen, wenn ich nicht das tue was ihr wollt. Es ist mein Leben, also wähle ich die Chirurgie. Ich kann mich immer noch zusätzlich spezialisieren. Machen doch andere Ärzte auch." 

"Nach drei Jahren kommst du zurück wie es sich gehört." sagte sie bestimmt. "Das du dich immer wieder spezialisierst habe ich nie angezweifelt. Das Problem ist nicht deine Intelligenz, das Problem ist dein emotionales Chaos. Beim Lernen brauchtest du nie Hilfe. Aber du bist chaotisch, trotzig und stur. Kind, kriege deine Emotionen in den Griff."

Ist dir aufgefallen, dass du sehr viel abgenommen hast" sagte Maré leise.

"Sie wird mich jetzt anschreien oder oder sogar hinauswerfen." dachte sie und hätte am liebsten alle Worte zurückgenommen. 

"Wenn du meinst, dass die Dialyse ein Zaubermittel ist, dass das Blut reinigt und man ist wie neu, dann hast dich von der Theorie verzaubern lassen. Die Realität ist das hier. Irgendwann kaufe ich meine Klamotten nur noch in der Kinderabteilung." Sie zog an ihrer viel zu weiten Bluse, die weich wie ein Seidentuch über ihren schmalen Schultern hing wie eine distanzierte halbherzige Umarmung."Man kann...." weiter kam Maré nicht, denn sie unterbrach sie."Ich habe alles getan, was ich tun konnte, aber es reicht nicht. Ich gebe nicht auf, aber ich habe keine Kraft mehr." ihre Stimme klang erschöpft.

 

Nach zwei Tagen und zwei Nächten umarmte Maré ihre Mutter. Sie fühlte ihren Dialyse-Shunt an ihrer Brust. Sie legte ihren müden Kopf auf Maré's Schulter. Sie waren gleich groß. 160cm Lebensgröße. Maré legte ihre Arme um sie und tief in ihrem Herzen entschloss sie sich heimzukehren. "Aber ja, werde ich nach den 4 Jahren zurückkehren." versprach sie.
Als sie ihr Gepäck ins Auto hob und meinen Rucksack anhob, fühlte er sich schwer an, als wäre er mit Backsteine gefüllt. Diese Schwere hielt Maré für ein paar Augenblicke gefangen.
Sie ahnte "die letzte Umarmung" und sah sich bestimmt zehn mal um bevor sie ins Auto stieg und losfuhr.Der Rückspiegel wurde ihr wichtiger als die Straße vor ihr.
Erst als ihre  Mutter nur noch als einen kleinen Punkt sah, fuhr sie schneller. 
Der Punkt verschwand dann. Für immer.

 

The Sound Of Silence

 

Der Albtraum

 

Wenn ein neues Leben auf die Welt kommt, oder ein Leben aus dieser Welt geht, sollte nicht die Welt inne halten, wie ein Zug anhalten, damit jemand ein- oder aussteigen kann? Sollte dieser Tag, oder diese Nacht sich nicht von allen anderen Tagen abheben? 

Es schien an diesem Tag weder die Sonne, noch war da eine Art Magie in der Luft, noch hielt die Zeit die Welt an sich zu drehen. Sollte es nicht ein paar Zeichen geben, wenn etwas Außergewöhnliches oder etwas Besonderes passiert? Brauchen Glück und Unglück keinerlei Zeichen?

Es war ein nebeliger, nasskalter Novembertag. Ein launischer Endherbsttag. Er nieselte seine Melancholie über die Landschaft.

Maré sah aus dem Fenster. Sie blickte auf den nebeligen weissgrauen Schleier der den frühen Morgen bedeckte. Diese Stille schien ihr unheimlich. Als würde alles Leben, alles Lebendige unter einer riesigen milchigen Masse liegen. 

Sie machte sich im Bad für den Frühdienst zurecht. Sie war angespannt, denn alles Neue machte ihr Angst. In Gedanken übte sie das Hantieren mit den Operationsinstrumenten. Sie weiß es, dass es sinnlose Zeitverschwendung ist. Das Üben, auch wenn es nur in Gedanken ist, gab ihr Sicherheit. 

Sie betrachtete ihr Spiegelbild. Mit hochgesteckten Haaren fühlte sie sich erwachsener. Zaghaft lächelte sie ihrem Spiegelbild zu. 

"Du bist blass. Solltest dich etwas schminken. Dezent versteht sich." schien ihr Spiegelbild zu sagen.

"Das wird nicht passieren." dachte sie. "Diese Kriegsbemalung stinkt wirklich als hatte man die Morgendusche ausgelassen." 

Sie blickte auf ihre schwarze Cordhose und entschied sich für einen schwarzen Pollover.

"Lady in black" spottete ihr Spiegelbild lautlos. Schwarz kann man zu jedem Anlass tragen und mit jeder Farbe kombinieren, wusste sie. Als hätte sie es geahnt, dass Traurigkeit sich mit ihrer Kleidung für lange Zeit kombinieren und für lange Zeit mit jeder Faser ihres Herzens verflechten wird.

Mituten später fuhr sie durch den dichten Nebel. Es sah aus, als würde man mit der Schere vorsichtig und gleichmäßig durch ein Tuch schneiden.

In der Klinik begrüßte sie ein paar Kollegen, nickte anderen zu, wechselte ein paar Worte mit den Schwestern. Scherzte mit einem Pfleger, der sie mit seiner frechen Art zum Lachen brachte.

OP- Besprechung.

Aufmerksam folgte sie den Vorbereitungen, telefonierte mit dem Labor, gab ein paar Anweisungen, bereitete sie sich im Waschraum für die bevorstehende OP vor, assistierte, nähte, wechselte die OP-Kleidung, assitierte bei der nächsten und übernächsten OP.

Endlich war der Arbeitstag geschafft.

"Kommst du mit?" fragte eine Assistentin, die sie seit der Uni kannte.

"Wohin denn? Ich bin müde! Ohne Mist, meine Beine schmerzen." dachte sie laut. "Ich mache wieder eine fiese Erkältung durch. Mit allem was dazu gehört."

"Deine Beine schmerzen? Solltest dich wirklich mal grünlich untersuchen lassen. Ich meine es ernst! Da steckt mehr dahinter." behlehrte sie eine befreundete Kollegin.

"Wenn es nicht besser wird, gehe ich zum Hausarzt. Versprochen!" Maré beeilte sich nach Hause. Das war das einzige Zeichen. Sie beeilte sich sonst nie.

"Maré komm mit uns saufen!"  Sieben Kollegen gesellten sich zu ihnen. "Komm, einen oder zwei Cappuccino sind doch noch drinnen!" versuchte sie Maré zu überreden. Die anderen stimmten ihr zu.

"Dein Handy klingelt." Ein Kollege zeigte auf ihren Rucksack.

Maré presste das Handy ans Ohr. Die Verbindung krachte und eine weibliche Stimme krächste und weinte an ihr Ohr.

Taubheit. Sie war urplötzlich vom Kopf bis zu den Füßen in einer unangenehme Taubheit gehüllt. Eine schmerzhafte Taubheit, wie es sich in den Fingern anfühlt wenn man den Gefrierschrank vom Resteis befreit, wenn man keine Geduld hat zu warten, bis er komplett abgetaut ist.

Die Kollegen starrten Maré erstaunt an. Sie blickte sie durch einen Tränenschleier an. Einen verrückten Moment lang dachte sie, sich hätte sich verhört. 

"Omi weint nicht einfach so grundlos!" schrie Maré laut. "Mama ist tot! Meine Mama ist tot!" schrie sie und sah viele Hände nach ihr greifen. Sie fühlte viele Hände die sie umarmten, die Haarsträhnen aus dem Gesicht wischten, die sie an den Händen festhielten. Hände und Arme die sie auf den Rücksitz meines Autos hievten. Ein Kollege der ihr Auto fuhr. Kolleginnen und Kollegen die auf sie einredeten.

In ihrer Wohnung angekommen kam sie zu sich. 

"Was für ein Albtraum!" schniefte sie. Sie erschrak als sie merkte, dass der Albtraum eine Realität war.

Sie sah mit ihren großen braunen Augen um sich. Draußen war es Nacht und drinnen brannte Licht. Alle sieben Kerzen am Kandelaber brannten und warfen Schatten an die himmelblaufarbene Wand.

Sie war allein.Sie lag auf der Eckcouch im Wohnzimmer. Selten legte sich sich auf die Couch. Allein im hellen elektrischen Kerzenlicht. Jemand hat der Kandelaber mit sieben Kerzen angeschaltet. Sie schaltete meistens nur das Nachtlicht an, bevor sie ins Bett ging. 

Sie sah sich um. Niemand war da. Die Katze schlief tief und fest in einem Sessel und schnarchte sogar leise. Nur die Traurigkeit war da, umarmte sie und drückte sie so fest, dass sie kaum noch atmen konnte.

Sie schrie und rang nach Luft. Sie weinte mit dem Regen der rhythmisch an das große Fenster prasselte, als würde er die Akkorde zu einem Lied schlagen. Sie schrie lautlos die Worte, den Text zum Leben das viel zu früh endete. Sie beweine ihre Maman. Sie schrie die Elegie aus dem Herzen. Dann schlief sie müde vom Weinen ein.

Journalseite

 Im Albtraum zwischen Leben und Tod,  - ich! Ich suche nach Antworten, nach Sinn und Zweck und kann einen natürlichen Weg der Welt nicht verstehen und weiß nicht, wen ich in diese Leere setzen soll. Auf den leeren Stuhl am Esstisch, auf die Couch mit einem Buch in der Hand. Wer soll ihre Musik hören? Womit soll ich ihr Lachen ersetzen?
Ich kann mich weder mit der zukünftigen Wiedervereinigungen im Himmel noch mit Erinnerungen an die Vergangenheit anfreunden und zufrieden geben, weil ich in der Gegenwart lebe. Ein Geschenk, in dem die Hände ihren Zweck nicht finden, die Augen die nur in der Flamme einer Kerze finden, die mich an Vergänglichkeit erinnert.
Und da ist auch die Kälte der leeren Räume, durch die ich gehe, ein Blitzgedanket, der mich mit scharfen Erinnerungen trifft, Erinnerungen, die mich nicht warm halten, egal wie sehr ich mich an ihr Lächeln, an ihre Stimme, die Wärme ihrer Handflächen erinnere.
Ich bin hier allein. Sogar die Worte erstarren, werden zu schmerzhaftem Unsinn und weigern sich, in einer natürlichen Reihenfolge dem Hier und Jetzt zu folgen.
Heute vermisse ich mein ganzes Leben mit ihr. Ich vermisse mich selbst, aber am allermeisten vermisse ich meine Mutter! Schließlich vermisse ich sie alle die weg sind. Denn langsam gibt mehr Menschen die ich vermisse im Himmel als auf Erden.

 

 

Vermissen

 

Das Lied

Ihre Mutter wurde am zehnten Tag nach ihrem Unfalltod zu Grabe getragen. Um den Unfalltod zu untersuchen wurde eine Autopsie angeordnet. Multiples Organversagen. Die Nieren haben ihre Funktion eingestellt und somit das Blut und alle anderen Organe schleichend vergiftet. Sie sei am Steuer ohnmächtig geworden, hieß es in den Berichten.

Maré ahnte bei ihrem letzten Besuch und bei ihrer letzten Umarmung, dass ihre Mutter sich schon längst aufgegeben hatte. Die letzte Umarmung fühlte sich so kraftlos an, als würde das Leben schon schrittweise  aus ihrem Körper weichen.

"Wann begann das Leben aus ihrem Körper zu weichen? Wann hat sie sich entschlossen nicht mehr zu kämpfen?" fragte sich Maré als sie zwischen ihren Brüdern in der Trauerhalle des Friedhofs saß.

Es duftete nach Lavendel und Honig. Ihre Mutter liebte Lavendel über alles. Ihre Großmutter hatte bei der Friedhofsgärtnerei kleine Lavendelsträuße, die ins Grab geworfen werden, in Auftrag gegeben.

Maré ließ die Traueransprache des Priesters über sich ergehen. Die Psalmen und beschriebenen Szenen aus dem Leben ihrer Mutter erreichten weder ihr Herz noch ihre Gedanken. Die zweistündige Trauerfeier hatte sie im Laufe in stimmige innere filmähnliche Bilder verwandelt.

Ihre taumelnde, weinende, vor Trauerschmerz wimmernde Großmutter, die Mutter ihrer Mutter, fiel abwechselnd Maré und ihren Brüdern in die Arme. Obwohl Maré sich selbst kaum halten konnte, musste sie den Lebensgefährten ihrer Mutter auch noch stützen. 

Wie in Trance hörte sie die samtweichen, seidefeinen, liebevollen Worte ihres Papá's die an ihre Mutter adressiert waren. Sie fühlten sich warm an, wie eine Decke aus Schafwolle und Vogelfedern, als er die Liebe seines Lebens zum letzten Mal mit Worten zudeckte.

Sie hörte wie ihre Brüder mit zitternder Stimme über Erlebnisse aus dem Leben  bildlich sprachen. So viele schöne zarte und kräftige Farben in den Bildern.

Maré musste sich schnell zusammennehmen und ihre vom Weinen durchgewaschenen Stimmbändern zum sprechen bringen. Die Traurigkeit fühlte sich an wie ein aus Versehen verschluckten Bonbon in ihrem Hals an und schnürte ihr fast die Kehle zu.

"Löse den Knoten und sag was!" schrie sie sich in Gedanken an. "Man erwartet das von dir als einzige Tochter!"

Sie weinte lautlos und sie zitterte vor Kälte.

"Sag was!" flüsterte ihr Zwillingsbruder an ihr Ohr. Ihr größerer Bruder legte seinen Arm um sie. "Komm sag auch etwas!"

Maré sah durch den Tränenschleier auf den mit weißen Rosen und Lavendel umrahmten Sarg. Mit zitternden Fingern entfaltete sie ein tränennasses Blatt Papier auf dem sie ein paar Stichworte gekritzelt hatte und sagte:

"Mama, ich wollte dir noch sagen," sie sprach sehr leise. "Ich wollte dir noch über die Sterne in deinen Augen sagen, sie waren schön. Wenn du lächeltest, schien die Sonne, auch denn wenn die Welt im Regen unterging. Ich möchte dir noch über den Donner in deiner Stimme wenn du auf mich wütend warst sagen, er erschreckte mich sehr. Du wolltest es gut mit mir. Du duftetest immer nach Heublumen und frisch gemähtem Gras. Nach Sommerregen und Orange im Winter. Ich werde auch an die Tränen denken, die vor Freude und die vor Traurigkeit geweinten, wenn wir uns umarmten. Ich werde mich auch an deine Enttäuschung und an deinen Stolz auf mich erinnern. Und nun ja, ich werde oft auch an dein Verschwinden im Nebel denken. Dein Weggehen für immer. Ich kann dich nicht loslassen, so wie es andere tun werden, da sie sich einreden deiner Seele Frieden zu schenken, indem sie dich loslassen. Ich werde dich bestimmt urlange vermissen und Himmel und Erde in Herz und Gedanken in Bewegung setzen um dich lange bei mir lebendig zu halten."

Dann schwieg Maré. Sie blickte auf die Lavendelsträuße mit den weissen Rosen, auf den Fliesenboden, auf den gemusterten Teppich unter dem Sarg.

Der Friedhofsweg war gefühlte Ewigkeiten lang. Die Trauerprozession schien sich in Zeitlupe fortzubewegen. Das Grab, die ausgehölte Erde symbolisierte die Endlichkeit des Lebens. Erde die polternd auf den Sarg Sarg fiel, die kleinen Blumensträuße deren Blütenblätter abfielen, als sie auf den Erdkrumen aufschlugen fügten der Trauermusik noch ein paar Trauerakkorde hinzu. Weitere Erdkrumen fielen auf den Sarg und trennten Maré immer mehr von ihrer Mutter. Sie legte ihre weiße Rose auf den Erdhügel der einem riesigen Maulwurfhügel ähnelte. Wie ein weißer Violinschlüssel auf einem schwarzen Notenblatt lag die Rose da, als würde sie auf die Noten warten die sich zu einem Lied aneinander reihen. Maré starrte lange auf das Élégienotenblatt, bis jemand sie sanft an der Schulter berührte und ihr "Lass uns gehen!" zuflüsterte. Sie drehte sich um, hakte sich bei ihrer Großmutter ein und gemeinsam schleppten sie sich nach Hause.

Nach der Trauerfeier lag Maré in ihrem ehemaligen Kinderzimmer, bei brennendem Licht, dessen Schatten sich an den Wänden zeigte. Sie lag auf ihrem Jugendbett und starrte an die himmelblaufarbene Decke.

Es klopfte an der Tür. "Komm runter etwas esssen." sagte ihr Zwillingsbruder.

"Laaaaaassss mich in Ruhe!" schrie Maré.

Rotztropfen nennt man einen Tropfen unverteilter Farbe auf  Wänden oder auf  einer Leinwand. Sie musste lächeln, bei dem Gedanken, dass nichts im Leben perfekt ist.

Dann schlief sie ein.

"Du hast gesungen!" sagte ihre Großmutter am Frühstückstisch. "Sehr schön, aber ich habe nichts verstanden."  

Maré konnte sich weder an einen Traum, geschweige denn an ein Lied erinnern. Sie konnte sich nur noch daran erinnern, dass sie gefroren hat und sich in Decke und Überdecke eingewickelt hatte wie in einen Kokon.

"Du sitzt auf Mama's Platz schrie Maré ihren Zwillingsbruder an. Er tat so, als hätte er nichts gehört. Er war zu sehr mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt, um sich mit seiner Schwester zu streiten. Er setzte sich auf einen anderen Stuhl.

"Kinder, seid einfach still. Benimmt euch nicht wie Idioten. Ich brauche den Krieg zwischen euch hier  nicht. Seid friedlich!" schrie ihre Großmutter und klopfte mit der Faust auf den Tisch.

Die Stille danach war surreal.

Jeder flüchtete in seine eigene Trauer. 

Sogar die Katze fand keine innere Ruhe und rannte suchend im Haus herum. Trauernde Tiere benehmen sich ebenso so seltsam wie trauernde Menschen. Sie suchen sehr lange nach dem geliebten Menschen.

Dehors, du soleil.
je m’habille de cendres.
Que savons-nous d'être vivant
quand le matin 
il nous faut tendre les mains
pour retenir la vie ?

Dans les  ténèbres  qui retiennent leur souffle

dans l’odeur de la nuit

on aimerait parfois s’endormir

et ne plus se réveiller

Un voyage sans retour

seul(e) à seul(e)

sur la piste des oiseaux.

Mais Dieu n’entend pas nos silences.

Alors, demain peut-être on caressera

l'ABSOLU.

S'il se laisse faire.

 

Die Partitur

 Chaque matin elle laisse dans son lit ses rêves, se réveille et enfile sa robe de vivre.
Die Traurigkeit legte sich wie eine zweite Haut um sie und hielt darunter gefangen. Maré war unfähig sich der ganzen Welt zu stellen. Die logische Welt lenkte sie ab. In der Chirurgie hatte sie alle Hände voll zu tun und ihre Logik und Konzentration wurde gefordert. Doch ihre emotionale Welt funktionierte nicht. An freien Tagen, fiel ihr allein schon die Morgendusche schwer.Das Leben ging weiter nur mit dem logischen Teil ihres Ichs.Sie schleppte sich widerwillig zur Haustür. Sie lehnte für einen Moment ihre Stirn gegen die kalte Glastur und sah hinaus. Vor der Haustür spielte sich das Leben ab  - ohne sie. Sie schloss die Augen.Dann richtete sie sich auf und strich sich ein paar wilde Locken aus dem Gesicht. Eine unwillkürliche Bewegung, denn es war ihr egal wie sie aussah. Den wilden Locken sah man nicht an, ob sie gekämmt oder ungekämmt waren.Tränen schossen wie eine Quelle in ihre Augen und bahnten ihren Flusslauf über ihre blassen Wangen."Verdammt, ich bin nicht einmal in der Lage vor die Tür zu gehen, geschweige denn unter die Leute." seufzte.Sie ging zurück in die Küche, öffnete den Kühlschrank. Gähnende Leere schlug ihr entgegen."Es reicht verdammt noch mal!" schimpfte sie in Gedanken. "Du kannst heulen oder lachen, du kannst die Welt auf den Kopf stellen, sie wird nicht vom Himmel auf die Erde fallen und weiterleben. Sie ist so was von tot. Also du gehst jetzt raus, kaufst dir Essen und Wasser und gibst deinem Leben Normalität und Sinn."Maré öffnete die Haustür und staunte. Sie fühlte sich als wäre sie aus einem tiefen Winterschlaf erwacht. Sie hatte es satt, der Schwarz-Weiß-Musik des nicht gestimmten Klaviers der Traurigkeit zu lauschen. Es war Frühling und die die pastellfarbenen Farben hauchten der Leinwand der Natur neues Leben ein.Maré nahm die Autoschlüssel von der Kommode im Flur und ihre Einkaufstaschen und fuhr zum Supermarkt in die Stadt.
Sie freute sich wieder auf die Frühlingsonate für ihr Klavier mit bunten Tasten.
Inspiriert von den Farben des Frühlinganfangs und vom milden Märzwind genoss sie jeden Tag eine neue Partitur meines Lebens in vollen Zügen.
Sie lief nicht achtlos durch das Leben sondern sie lief fröhlich aber auch nachdenklich durch den Frühling, achtete auf sich, flirtete, machte lange Spaziergänge, zwar nicht am Meer, sondern am Fluss. Sie ging unter Menschen. Sie genoss den Morgentau auf dem kruden pastellgrünen Gras.Die weiß-schwarze Partitur des Trauers war vorbei, doch einen Hauch von Melancholie blieb.Sie schrieb am Abend in ihr Journal:"Die Traurigkeit ist vorbei. Ich werde dem Eiswinter vergeben, dass er die Bäume für mich in ein weißes Schneeblütenbrautkleid gehüllt hat, die für mich bereit waren ihre Knospen in einem pastellfarbenen Feuerwerk aufgehen und aufblühen zu lassen. Ich werde meine Herzfenster weit öffnen,  mich vom Frühling parfümieren lassen und den Duft in meine Sinne aufnehmen.
Ich werde intensiver, inniger und tiefgründiger lieben. Ich werde sensibler, besonnener und hilfsbereiter zu meinen Leben und meinen Lieben sein und sie beschützen wie ein Wildtier seine Brut beschützt.
Und ich werde genießen.
Ich bin bereit mich zu verlieben.""Bist du nicht!" schrie ihr Herz.Sie zog die Vorhänge zu, legte sich in ihr Bett und ließ den Raum in die Abenddämmerung versinken. Sie liebte es zuzusehen wie das warme Licht des Abend in die Nacht versinkt.Ihre schwarze Katze, ein Geschenk ihrer Mutter gesellte sich mit einem lautlosen Satz zu ihr."Katzen können das was uns Menschen verwehrt bleibt: leise durchs Leben zu gehen." dachte Maré.Katzen sind aufmerksam und rücksichtsvoll.In der Stille der Nacht, ist es sehr schwer den Tag hinter sich zu lassen. Die Traurigkeit die sie immer noch fühlte versuchte sie Tag für Tag zu überwinden.Am nächsten Morgen stand sie um 04:30 Uhr auf und ging arbeiten.
J'ébouriffe la nuit en cendrescomme si c'était ma dernièreton absence est si loin à présent.Alors je frissonne entre mes silences.

Impressum

Texte: ©Émilia Rennart
Bildmaterialien: ©Émilia Rennart
Cover: ©Émilia Rennart
Tag der Veröffentlichung: 11.01.2021

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich schreibe für gestern, für heute und für morgen. Ich schreibe für mich, für dich . Meine Worte sind himmelblau und sandfarben und sie duften nach Anfängen, nach Sonnenaufgängen, nach Anfang einer Liebe, nach meinem Anfang, nach Ende, nach Lebensende, nach Liebesende, nach Sonnenuntergängen. Ich schreibe über die Sandfrau.Über die Liebe, über das Werden, über sie als Mensch, über sie als Frau, als Liebende, Lust und Leidenschaft, über Veränderungen, Verwirrungen, über Umwege, Agonie, Fragilität. "Bei mir sind die Feiertage in rot geschrieben" - sagst du; bei mir auch, sage ich und füge hinzu, dass ich auch einen Feiertag in blau geschrieben habe - DU

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