Timer-
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
Von Akina Zolbitzk
Deine Zukunft
ist Vergangenheit
„Das müssen Sie nochmal machen! Das ist nicht wahr!“ Schrie er den Professor an. „Da muss ein Irrtum vorliegen!“ Er packte den Professor an den Aufschlägen seines Kittels. „Mein Sohn hat die Gabe! Jeder Mann in unserer Familie hatte diese bisher gehabt!“
Sachlich ohne Angst blickte der Professor den Mann an „Er hat sie aber nicht, Sir! Er ist 10 Jahre alt und müsste Anzeichen dafür tragen, aber da ist nichts! Glauben Sie mir doch! Die Tests lügen nicht!“ Wütend stieß der Vater den anderen von sich fort.
Er drehte sich um und sah, seinen Sohn der bekümmert den Kopf hängen ließ, an. Was für ein Versager, dachte er sich, und mein zweites Kind ist ausgerechnet ein Mädchen! Bis sie 18 Jahre alt ist, ist sie zu nichts zu gebrauchen.
„Los komm du Versager! Gehen wir!“ Brachte er nur zwischen den Zähnen hervor.
„Aber Vater, Tes ist nicht da!“ Sprach der Junge besorgt aus.
„Was soll das heißen sie ist nicht da? Wo ist diese Göre?“ Zorn wallte in ihm auf. „Du sollst doch auf sie aufpassen! Nutzloser Bengel, ich werde dich…!“ Der Vater erhob seine Hand um seinen Sohn zu schlagen als er spürte wie sich ein Portal öffnete.
Er drehte sich um und sah in das Gesicht seiner Tochter. Diese hielt eine Puppe in den Armen. Die Puppe war neu, aber doch schien sie alt zu sein.
„Hallo Vati.“ Begrüßte sie ihn mit ihrer hellen Stimme. „Schau mal, was ich geschenkt bekommen habe!“ Stolz reckte sie ihre neue Errungenschaft in die Höhe.
Sie war klein für ihr Alter und schlank. In 2 Monaten wurde sie 6 und durfte dann endlich in die Schule. Ihre Haare waren heller als die ihres Vaters. Ihre Augen hatte sie von ihrer Mutter. Graublau. Voller Hoffnung und Träume.
Ihr Vater war groß kräftig gebaut und in ihren Augen ein Riese. Hart blickten seine braunen Augen auf sie hinab. „Woher hast du sie?“
„Hab ich doch gesagt, Vater. Geschenkt bekommen von einer älteren Dame.“ Der Tonfall ihres Vaters jagte dem Mädchen Angst ein. Aber diese zeigte sie ihm nicht, „Sie war so gekleidet, wie die Frauen auf den Fotos von Großmutter.“
Entsetzt riss er die Augen auf, packte vor Wut seine Tochter an ihren Ärmchen und hob sie hoch. So konnte sie seine Augen sehen, die vor Wut glühten. Er schüttelte sie so hart, dass ihr Kopf nach hinten flog und die Zähne aufeinander schlugen.
„Das kann nicht sein! Sag mir dass du lügst! Sofort!!!“ Das sofort brüllte er so laut, dass ihre Ohren klingelten.
„Ich lüge nicht! Das ist die Wahrheit!“ Nichts mehr hasste Tessa als eine Lügnerin dargestellt zu werden.
Sie wollte noch weiteres erzählen, aber dann räusperte sich der Professor, der sich wieder aufgerappelt und mit Interesse zugehört hatte. „Wie wäre es, wenn ich die kleine Lady mitnehme? Das könnte uns weiter helfen.“
Mit zusammen gekniffenen Augen blickte Edgar rüber zu dem Professor. „Tun sie, was sie nicht lassen können. Geben sie mir Bescheid sobald die Ergebnisse da sind.“ Damit ließ er seine Tochter runter und wendete sich ab „Ich gehe mit deinem Bruder nach Hause und sag deine Mutter, dass du später abgeholt wirst.“ Erklärte er barsch seiner Tochter. „Du wirst dich benehmen und ohne Klage die Untersuchungen über dich ergehen lassen. Verstanden?“
„Verstanden, Vater!“ Sprach Tessa mutig. Sie wollte ihn nicht enttäuschen, nicht nachdem sie mit dem falschen Geschlecht geboren war.
Ihr Bruder Sail kam auf sie zu. Drückte sie kurz und sprach leise flüsternd zu ihr „Tut mir Leid, kleine Tes, das ich dir das alles aufhalse.“ Sanft erwiderte sie die Umarmung.
„Mach dir keine Sorgen um mich Sail, ich werde schon klar kommen. Bitte kümmere dich um Mutter, Ja?“
Sail nickte ihr zu, als Zeichen, dass er sie Verstanden hat.
Der Professor trat auf die Geschwister zu. Er war erstaunt, dass die beiden so viel Liebe entgegenbrachten. Sanft legte er eine Hand auf Tessas Schulter. „So kleine Tessa, können wir beginnen?“ Fragte er sie. Zögernd nickte sie und griff nach seiner Hand.
Zärtlich nahm er ihre in seine Händen und führte sie fort. Weg von ihrem Bruder und Vater um die grässlichen Untersuchungen mit ihr durchzuführen.
Fünf Jahre später …. Der Himmel war schwarz wie die Nacht. Blitze erhellten den Tag für kurze Zeit. Der Donner hörte sich an wie ein tiefes Brüllen eines mächtigen Löwen. Tessa mochte es. Der Regen fiel dicht, als wäre es ein Wasserfall. Hoch oben auf einem Gebäude beobachtete sie das Treiben der Menschen. In der Zukunft.
Dies war ihr erster Einsatz und den durfte sie nicht verpatzen. Sonst würde ihr Vater sie schwer bestrafen. Wieder einmal.
Die Narben vom letzten Mal waren immer noch deutlich sichtbar auf ihrem Gesicht. Durch ihre Spezial Brille konnte sie durch den dichten Regenvorhang rüber zum anderen Gebäude sehen. Ihr Ziel fest im Blick.
Laut den Nachforschungen wird es in der Zukunft in 20 Jahren, einen globalen Fehler machen. Einen der die ganze Welt zerstören wird. Für eine Elfjährige nicht einfach, aber sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte.
Tief holte sie Luft und blickte auf ihre Uhr. Noch 5 Minuten. In 5 Minuten musste, sie es tun oder sie kehrte in ihre Zeit zurück, ohne was geändert zu haben. Das durfte nicht sein. Sie legte ihr Gewehr an. Schalldämpfer brauchte sie nicht dank des Gewitters.
Durch das Zielrohr fixierte sie ihr Ziel. Noch einmal Luft holen und ausatmen. 3 Minuten. Das Ziel kam näher. Noch 2 Minuten. Die Person ging langsam Richtung Fenster. Noch 1 Minute. Ihr Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Noch 30 Sekunden. Sie drückte ab. Das Tor öffnete sich. Sie sah, wie ihr Opfer rückwärts umfiel und liegen blieb. Sie trat durch das Tor und kehrte in ihre Zeit zurück.
Tessa wird schon hören, ob sie Erfolg hatte oder nicht. Aber eines war sie sicher. Sie wird nie vergessen, wie sie einen Gleichaltrigen getötet hatte. Der in Zukunft eine Bio- Waffe entwickelt hätte, gegenüber die Atombombe nur ein Husten gewesen wäre.
Einerseits war es was Positives, aber andererseits war ein Menschenleben zu nehmen, nicht einfach.
Der Professor wartete auf die Rückkehr seines Schützlings und auf die Berichte der Beobachter. Er hoffte für sie, dass sie Erfolg hatte und keine Strafe fürchten musste. Professor Harald Strom war Ende 40. Seine Haare wiesen schon einige graue Stelle auf und auch die Falten um seine Augen und Mund verrieten sein Alter.
Er war 1,86 m groß, schlank und athletisch gebaut. Hatte ein kantiges Gesicht. Die Wangenknochen waren stark geprägt. Storm hatte eine lange schmale Nase, auf die eine Brille aus Drahtgestell saß. Dadurch wirkten seine grünen Augen größer.
Sein Mund war voll und schmal. Strom war nie ein Mensch der Sonne, deswegen war seine Haut weiß wie eine Wand. Wenn es um Arbeit ging, war er hoch konzentriert und seine Miene verriet nichts. Erst wenn er fertig war, zeigte sein Gesicht offen und ehrlich seine Gefühle. Seine fröhliche Natur steckte jeden an.
Wenn er wütend war, schmiss er nie mit Gegenständen um sich, drohte Schläge an oder erhob seine Stimme. Mit seinen Mitarbeitern redet er kühl und sachlich und klärte diejenigen auf, was sie falsch gemacht hatten.
Er war nie ein Mann von Gewalt und Bestrafungen. Eher einer mit ruhiger und besonnen Art. Einige mögen das an ihm. Andere verachten ihn dafür, aber das war ihm egal. Strom liebte seine Arbeit. Schätzt seine Kollegen und Mitarbeiter und wird genauso zurückgeschätzt.
Und seit 5 Jahren schätzte er ein ganz besonderes Mädchen. Sie war was Besonderes. Das erste Mädchen, das durch Portale in die Zeit reisen konnte. Seit es Timer gegeben hatte, war sie die Erste. Aber hier war es wahr. Sie wurden nicht in die Vergangenheit geschickt, um Geheimnisse zu lüften oder gar Geschichte zu verändern. Nein, diese Menschen wurden in die Zukunft geschickt, um Katastrophen zu vermeiden, die in einem Jahrhundert passieren könnten oder schon in 20 Jahren.
Dieser Zeitraum war knapp bemessen, aber dafür wurde schon früh gesorgt. Das Team unter Professor Strom arbeiteten sich immer in dem Rhythmus vor. Beobachteten Menschen. Schätzen sie ein und schickten die Beobachter los, um zu schauen, was in deren Zukunft passiert. Jedes Zielobjekt wird so lange beobachtet, bis es zur einen Kehrtwendung für die Menschheit kommt. Und je nachdem ob es positiv oder negativ ausgeht, wird entschieden, ob der Mensch am Leben bleibt oder nicht.
Die Beobachter beobachten nur. Sie dürfen nicht aktiv ins Geschehen einschreiten. Das dürfen nur die Reiniger. Wie der Name schon sagt, sie reinigen. Je nach Grad des negativen Ereignisses agieren sie. Kann leichte Manipulation sein, wie zum Beispiel einen Schubs Richtung Smartphone Erfindung vor ein paar Jahren, - was würde die Menschen heutzutage ohne diese Dinger machen? - oder auch eine Zielperson Töten, wie zum Beispiel den Kopf einer Terrorgruppe. Warum dies nicht eher geschah, würde er sich ewig fragen.
Seine Sorgen waren tief. Tessa war ihm ans Herz gewachsen, wie eine Tochter. Das Mädchen tat alles, um Anerkennung ihres Vaters zu erhalten. Es schmerzte. Dieses liebevolle, kleine Wesen, das einst zu ihm kam, war verschwunden. Jetzt wurde aus ihr langsam eine Maschine. Ein Wesen ohne Herz und ohne Seele.
Aber Strom tat alles, um dies zu verhindern. Es war nicht einfach. Das Mädchen war hier als ihre Mutter starb. Es hatte bitterlich geweint in seiner Anwesenheit und auch ihr Vater war da. Damals hätte Strom ihn am liebsten eine verpasst.
Der Mann war kalt wie Eis und brüllte sie an aufzuhören. „Du bist ein Krieger und als solcher darfst du nicht weinen! Hör sofort auf!“ Auf seinen barschen Befehl hin hörte das arme Ding auf und schluckte alles runter.
Wie konnte er so mit seinem eigen Fleisch und Blut umgehen? Strom hatte sich immer eigene Kinder gewünscht, aber leider verstarb seine Frau viel zu früh. Sie war seine große Liebe und seitdem gab es keine andere mehr.
Tessa war ein Goldstück und fand sehr schnell einen Platz in seinen Herzen. Als sie von ihren Vater zurückgelassen wurde, wusste Professor Strom nicht zuerst, was er mit ihr anfangen sollte. Er hatte schon öfters mit Kindern zu tun gehabt, aber das waren alles Jungs. Keine Mädchen.
Der Professor zeigte ihr damals zuerst die ganze Anlage. Mit wachen Blick und Verstand zog sie alle Informationen in sich auf. Mit einem kleinen Lächeln erinnerte er sich, dass sie ihn nicht einmal unterbrochen hatte mit einer Frage.
Er zeigte ihr die Räume, in denen sie trainiert wurde und erklärte ihr, dass sie da auch bald daran teilnehmen wird. Mit einem Nicken nahm sie es damals in Kenntnis. Es war schwer, sie aus ihrem Kokon raus zu holen. Aber als er sie nach draußen in den Garten brachte, strahlte sie vor Freude. Wie ein Engel ließ sie seine Hand los und wanderte durch die Botanik mit den bunten Blumen und Bäumen.
Rosen öffneten ihre Knospen und der Wind wehte ihnen ihren Duft entgegen. Das war der Moment, in dem sich der Professor schwor, dieses kleine Mädchen zu beschützen, und ihr alles beibringen wird, was er weiß.
„Sir, sie ist zurück!“ Aus seiner Erinnerung gerissen blickte er seinen Mitarbeiter an. „Tessa befindet sich in bester Gesundheit. So wie es aussieht, war ihr erster Auftrag erfolgreich. Ich werde ihnen bald einen Bericht zu kommen lassen.“
„Danke das wäre nett. Gute Arbeit!“ Lobte Strom den jungen Mann, „Sie dürfen jetzt gehen. Ich kümmere mich um Tessa.“ Mit diesen Worten ging er aus dem Überwachungsraum und machte sich auf den Weg zu seinem Schützling.
Tessa zitterte immer noch. Ihr war übel und diese verdammten Tränen wollten nicht aufhören zu fließen. Mein Vater hatte Recht, dachte sie verbittert, ich bin schwach. Frauen sollten diese Arbeit wirklich nicht machen.
Sie wusste, dass es schwer sein würde, aber so schwer hatte sie nie gedacht.
Nachdem sie durch das Tor geschritten war, wurde sie bereits erwartet. Die Beobachter untersuchten sie und überprüften ihre Daten. Timer, die sich in eine andere zukünftige Zeit befanden, berichteten ihnen, dass Tessa vollen Erfolg hatte. Die Belegschaft jubelte. Auch Tessa lächelte zaghaft und war erfreut über das Ergebnis.
Aber dann sah sie wieder ihr Opfer. Wie es umgekippt war nach ihrem Treffer. Auch wenn sie sich zu dem Zeitpunkt bereits im Tor befunden hatte, so konnte sie den Anblick nicht vergessen. Ohne mit den anderen weiter zu feiern, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Zimmer. Sie begegnete einigen Kameraden, die mit ihr zur selben Zeit angefangen hatten.
Damals hatten sie alle über sie gelacht. Ein Mädchen als Timer? Ausgeschlossen. Und dann auch noch solch eine kleine. Viele dachten, sie würde das Training nicht überstehen, aber von Anfang an zeigte sie es ihnen allen. Meisterte innerhalb von wenigen Monaten 3 Sprachen. In ihrer Freizeit las sie alle Geschichtsbücher, die es gab.
Trainierte vor jedem Unterricht 2 Stunden ihren Körper und Geist. Innerhalb eines halben Jahres wurde sie die schnellste. Im Langstreckenlauf konnte sie keiner stoppen. Schnell entdeckte sie auch ihre Liebe und Leidenschaft in der Pflanzenkunde.
Als sie Professor Srom mitteilte, sorgte er dafür, dass sie genügend Bücher hatte zu den Themen Gifte und Heilkunde. Mit Fleiß und voller Eifer ging sie bei dieser Thematik auf. Experimentierte. Forschte. Es hatte ihr viel Freude bereitet. Den Professor erklärte sie, nach dem er fragte, warum sie sich dafür interessierte, man wüsste nie, wann darauf zurückgreifen muss in der Zukunft, wo keine Hilfe schnell zur Hand wäre.
Darauf sagte er kein Ton. Tessa hat früh gelernt nicht mehr als Kind zu sprechen und zu denken. Deswegen war den meisten Erwachsenen ihre ruhige sachliche Tonlage nicht ganz geheuer für ihr Alter.
Genauso, wie damals als ihr Vater sie besuchte. Sie war 9 gewesen. Hatte schon diverse Kampfkünste absolviert und wurde nun in der Kunst der Handfeuerwaffe eingeführt.
Ihr Vater betrat den Schießübungsraum und beobachtete sie. Sie hatte keine Ahnung, dass er da war. Auf ihr Ziel konzentriert feuerte sie ab und traf. Neun Kugeln fanden ihr Weg mitten ins Schwarze, nur die zehnte ging knapp daneben. Ihr Lehrer lobte sie für ihr gutes Auge, dass sie innerhalb von wenigen Tagen entwickelt hatte.
Und in dem Moment sah sie ihren Vater. Mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht ging sie zu ihm „Hast du gesehen? 9 von 10 haben getroffen und die anderen können froh sein das eine Kugel halb triff.“ Berichtete sie ihn stolz. Ihr Gesicht glühte vor Freude.
Doch verlor es ganz schnell, als ihr Vater sie vor allen schlägt mit der flachen Hand. Tessa spürte heute noch diesen Schmerz. Sah vor ihren inneren Augen, wie entsetzt sie sich aufgerissen hatten und ihn anblickte.
Ihre Ohren klingelten immer noch selbst bei dieser Erinnerung, als er sie angebrüllt hatte „Eine Kugel ging daneben! Du bist eine Versagerin! Da gibt es nichts worauf du stolz sein kannst!“, wetterte er. „Ich bin nur hier, um dir mitzuteilen, dass deine Mutter Tod ist. Sie starb vor ein paar Wochen. Die Beerdigung war schon.“
Sie war taub gewesen. In ihrem Inneren wurde es leer und dunkel. „Warum hat mir keiner was gesagt? Warum durfte ich mich nicht von ihr verabschieden?“ Daraufhin blickte er sie kühl an und erwiderte. „Weil es keinen Grund dafür gab. Du bist hier, um die beste zu werden. Also finde dich damit ab. Außerdem weißt du es jetzt ja.“ Mit diesen Worten ging ihr Vater fort.
Ihr Herz schmerzte immer noch. Ihr Vater war eine herzlose Person, während ihre Mutter das komplette Gegenteil war. Sie war sanft. Hatte stets ein Ohr für die Belangen ihrer Kinder. Und nun vermisste Tessa sie noch mehr.
Die sanften, tröstenden Worte. Ihre Umarmungen und Liebkosungen. All dies hätte sie gerne gebraucht, aber sie war nicht da. Nur die blassen Erinnerungen sind ihr geblieben.
Sie sackte auf ihr Bett nieder und ließ ihren Tränen freien Lauf. Das war vor einer Stunde gewesen!
Irgendwann reichte es auch ihr. Solch eine Gefühlsduselei. Das kann sie nicht gebrauchen, schließlich war sie Elf und wurde bald zwölf. Zeit das sie erwachsen wird.
Es klopfte an ihrer Tür. Energisch wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Atmete tief durch und bat denjenigen einzutreten.
Strom betrat ihr kleines Zimmer und blickte sich um. Tessa hatte vergessen, beim Eintreten des Zimmers das Licht anzumachen. Sie beugte sich zum Kopfende ihres Bettes, um die Tischlampe anzumachen, die auf ihrem Nachttisch stand. Geblendet von dem Licht blinzelte sie ein paar Mal, bis die Lichtfunken weg waren und sie klarer sehen konnte.
„Herr Professor, was treibt Sie zu mir?“ Fragte sie ihn. Er kam nur dann immer zu ihr, wenn ihr Vater da war oder sie jemanden beleidigt hatte. Was sind das für Erwachsene, die zu ihren Vorgesetzten rennen, um sich aus zu heulen? Nur weil ein Kind ihre Fehler aufgelistet hatte? Ernsthaft? Manche Erwachsene spinnen echt.
„Hallo Tessa, bevor du fragst; nein heute kam keiner meiner Angestellten zu mir um sich über dich zu beschweren.“ Sagte er gleich zur Begrüßung, „Ich bin hier, weil ich wissen wollte, wie es dir geht und dir sagen, dass das Ergebnis zu 100 Prozent zum Erfolg geführt hat.“
Tessa atmete erleichtert aus. Wenigstens etwas Positives. „Es geht.“ Meinte sie schlicht. Kurz blickte sie auf zum Gesicht des Professors und sah ihm an, dass er ihr diese Lüge nicht abkaufen wird. „Das Problem ist, dass ich mich umgedreht hatte und sah, wie er fiel. Ich weiß, dass das ein großer Fehler war, aber ich wollte sichergehen, dass ich meine Mission beendet hatte. Ich wollte es einfach nur wissen.“ Als die Worte draußen waren, fühlte sie sich leichter um ihr Herz.
Nachdenklich blickte er sie an. Auch wenn es Tessa nicht sah, so spürte sie innerlich, dass sie sich den Professor anvertrauen konnte. Ihm konnte sie nichts verheimlichen oder gar verbergen. Dafür kannte er sie gut genug. „Okay. Fehler passieren und aus diesen können wir lernen. Jeder von uns bereut irgendwas irgendwann. Aber wann dies passiert, kann ich dir nicht sagen nur eines ...“ Er hockte sich hin, um ihr in die Augen zu schauen. „Erfahrungen sammeln wir alle aus dem Negativen und dem Positiven. Wie du diese nutzt, ist deine Sache. Denn nur so, werden wir zu den Menschen, die wir am Ende sein werden.“ Verwirrt schaute sie ihn an, „Das verstehe ich nicht. Mein Vater sagte immer, Fehler darf man nie machen.“
„Was der sagt, kann mir gestohlen bleiben!“ Wütete Strom, „Auch dein Vater hatte Fehler gemacht. Nur sein Problem ist, dass er daraus nie gelernt hat und auch nie wird. Er akzeptiert sie nicht und löscht sie daher aus seinem Gedächtnis. Mach nie den Fehler, wie er Tessa. Lerne aus dem, was du falsch gemacht hast, und setzte es anders um. Vergiss die Fehler nie, weil eines Tages könntest du dieselben noch mal machen. In dem Augenblick schaue zurück und erinnere dich. Dann wirst du es niemals mehr machen.“ Stumm nickte sie ihm zu. Noch nie hatte sie gehört, dass ihr Vater Fehler gemacht hatte. Für sie war er die Verkörperung der Perfektion, aber nun schien sie zu bröckeln.
„Danke Strom! Egal, was mein Vater sagt über Sie. Ihre Worte waren weise gesprochen und ich werde sie mir zu Herzen nehmen!“ Sie wandte sich ab. Er sollte ihre Tränen nicht sehen.
Strom legte behutsam eine Hand an ihren Hinterkopf und zog sie zu sich, für eine Umarmung. Tessa spürte Wärme und Geborgenheit. Kurz lehnte sie sich an ihm. Der Kopf an seiner Schulter. Ihre Hände zu Fäusten geballt an seiner Brust. Nach einigen Minuten löste sich der Professor von ihr, gab ihr einen leichten, väterlichen Kuss auf den Scheitel.
Dies tat er immer, wenn sie untereinander waren. „Du bist ein tolles Mädchen. Ich beneide jetzt schon den Jungen, der eines Tages dein Herz erobern wird.“
Sie kicherte mädchenhaft. Etwas Seltenes und doch sehr kostbar. „Das wird nie passieren! Hören Sie auf, solch ein Blödsinn zu sagen und gehen Sie lieber ins Bett.“ Beide standen sich nun gegenüber und sachte schob Tessa Strom Richtung Tür. „Ich bin erledigt und brauche auch meine Ruhe.“
„Okay, dann gehe ich mal.“ Ergab sich der Professor mit erhobenen Händen „Gute Nacht Tessa.“
„Nacht Professor und Danke für ihre Worte.“ Murmelte Tessa und schloss hinter ihm die Tür. Auch wenn sie es nicht offen zugeben würde, so tat sein Besuch ihr gut. Mit Hoffnung zog sie sich um und legte sich ins Bett.
Kurz bevor sie einschlief, sah sie noch einmal, das Gesicht von ihrem Opfer. Es tut mir leid. Flüsterte sie ihm zu und schlief ein.
10 Jahre später .....
Tessa und Urlaub. Zwei Wörter, die nicht zusammen passten. Dennoch war das so. Seit vier Jahren machte sie diesen Beruf. Ohne Klage. Ohne Beschwerden. Schloss mit den besten Noten ab. Und nun das. Zwangsurlaub.
Nicht zwei Wochen oder so. Nein! Zwei Monate! Was zur Hölle soll sie machen? Faulenzen und Eier schaukeln? Never ever. Dachte sie vor Wut. Ich kann nicht ein auf Tourist machen! Das geht nicht!
Es wird eine Tortur. Strom war unerbittlich. Er meinte zu ihr, nach vier Jahren Dienstzeit, wäre es angebracht Urlaub zu machen. Glaube mir, das wird dir guttun.
Der Professor begleitete sie selber aus dem Institut und befahl den Wächtern, sie nicht wieder rein zu lassen, bevor die zwei Monate vorbei sind. Und dieses Idioten hörten auch noch auf ihn!
Sie hatte es eine Woche versucht gehabt, aber kläglich versagt. Nun saß sie im Sonnenschein an der Alster, um sich zu entspannen.
Hamburg wurde ihr empfohlen vom Professor. Tessa glaubte ihm erst nicht, dass das eine schöne Stadt sein soll. Ein Irrtum, den sie zurückrufen musste. Neugebautes schmiegte sich im Einklang mit den Altbauten. Zahlreiche Brücken zierten die Stadt. Die Elbe schlängelte ruhig und gelassen durch die Speicherstadt. Fähren fuhren von den Landungsbrücken rüber nach Finkenwerder, wo der größte Flugzeugbauer des Landes seinen Hauptsitz hat.
Nicht weit von dieser befand sich die Elbphilharmonie. Oder wie es die Hamburger in Kurzform bezeichnen die Elbphi. Gegenüber von den Brücken befanden sich 2 Musicalgebäude. Zu jeder Stunde fuhr ein Schiff rüber. Diese fand sie auch beeindruckend, aber sie war kein besonders großer Fan von Musicals. Sie mochte eher Klassikkonzerte. Diese waren selbst in der Zukunft beliebt und zeitlos.
Schöne Grünanlagen mitten in der Stadt. Alte Villen entlang der Elbe, die einen genauen zweiten Blick brauchten, um die Details aufzunehmen. Auf der Alster sah sie ein paar Segelboote an sich vorbei ziehen. Einige Touristenschiffe drehten ihre Runden. Sportler trainierten sich in Rudern und außerhalb des Wassers joggten einige Menschen an ihr vorbei. Andere fuhren gemütlich auf ihren Rädern ihre Wege.
Tessa gefiel es hier. Es war ruhig – der Verkehrslärm an dieser Stelle an der Alster war zu hören – die Menschen hatten stellenweise ein raues Äußeres, aber innerlich waren sie weich und sie waren nicht neugierig. Das war das Beste, was ihr gefiel. Kein Fragenkatalog, woher sie kommen würde und was sie hier tut.
So langsam schien sich ihr Körper zu entspannen. Ihr Fuß wippte mit dem Takt der Musik, die sie über die Kopfhörer hörte. Gerade erklang die Stimme von The Dark Tenor in ihren Ohren. Während diese die Musik genoss, las sie ein neues Buch ihrer Lieblingsautorin. Vielleicht hatte Strom recht gehabt und ich brauchte so langsam eine Auszeit.
Er würde garantiert jetzt über diesen Gedanken schmunzeln. Ihr Hotel befand sich nicht weit von der Alster und der Innenstadt. Der Besitzer ist ein ehemaliger Timermitarbeiter gewesen. Laut des Prof., war er sehr gut gewesen, bis er merkte, dass sein Herz nicht mehr so fit war. Kurzerhand wurde er ehrenhaft entlassen und gründete mithilfe der Abfindung sein eigenes Hotel.
Dieses war auch für aktive Timer gedacht. Wenn sie, wie Tessa, eine Pause brauchten. Das Zimmer war gut ausgestattet mit allen erdenklichen Luxus. Whirlpool im riesigen Bad, in dem sie eine Party mit 20 Leuten feiern konnte. Dann auch extra eine Dusche mit mehreren Köpfen und Massagefunktionen und gläsernem Spritzschutz. Das Waschbecken befand sich in einem Marmorblock und die Wasserhähne waren aus Messing. Der Block war elegant und schlicht geschnitten. Dadurch, dass die Fliesen schwarz und weiß marmoriert waren, kam es sehr nobel rüber.
Diesen Farbwechsel fand man auch auf den Boden und an die Wände wieder. Die Toilette bestand schlicht aus Porzellan, aber war sauber. Weicher Bademantel und Handtücher waren ausgelegt gewesen.
Das Zimmer war in 2 Räume aufgeteilt. Ihr Schlafbereich grenzte am Bad. Ein King Size Bett stand direkt in der Mitte, das Kopfende angelehnt an der Wand und zur linken Seite befand sich die Fensterfront. Tessa war es wichtig gewesen, dass sie ein Zimmer bekam, wo die Sonne auf ging.
Nichts mehr liebte sie, als die Sonne dabei zu beobachten, wie sie langsam aufging und den Tag erhellte.
Im Wohnzimmer war eine Couch, die zum Lümmeln regelrecht einlud. Tessa hatte sich bereits eine Ecke eingesessen zum Lesen. An der Wand hing ein großer Fernseher, mit dem sie alle Kanäle empfing, die es gab. Auch wenn Fernsehen nicht gerade zu ihrer Lieblingsbeschäftigung gehörte und ihr eher nach einer Serie oder Film war, guckte sie diese lieber über ihren Laptop.
Zimmerservice war rund um die Uhr zu erreichen. Minibar hatte sie auch und sie brauchte sich über die Rechnungen keine Gedanken machen. Das ITO – Institut Timer Organisation – bezahlte alles. Natürlich durfte sie nicht übertreiben, aber wenn man das schon im Urlaub dazu bekommt, warum dann nicht nutzen?
Die kühle Luft tat ihrer Seele gut und nun summte sie die Melodie von Minutes to Midnights mit. Immer weiter vertiefte sie sich dabei in ihr Buch. Weiter blätterte sie es zur nächsten Seite, als sie ein Geräusch hörte. Es klang nach einem Klick von einer Kamera. Genervt blickte sie sich um und sah direkt in einer Linse. Es war unhöflich! Eine Fremde zu fotografieren, ohne ihrer Erlaubnis! Sie mochte es auch nicht, dass man Bilder von ihr macht, die nicht notwendig sind!
„Hören Sie mal! An Ihrer Stelle würde ich damit aufhören, ansonsten nimmt ihre Kamera bald ein Bad in die Alster!“ Kühl blickte sie ihn an, „Und Sie gleich hinterher!“ Scharf sprach sie ihre Drohung aus.
„Entschuldigen Sie, aber sie sahen so schön aus! In diesem Licht und mit einem leichten Lächeln im Gesicht, waren Sie einfach der Inbegriff Ruhe und Schönheit!“ Diese Worte verschlugen ihr die Sprache. Tessa war es nicht gewohnt, dass man ihr Komplimente machte.
Nicht welche in dieser außergewöhnlichen Art und Weise.
Nach einer Minute fand sie die Sprache wieder und wollte den Fremden weiter beschimpfen, aber dieser ergriff das Wort. „Ich bin Hobbyfotograf und an diesem schönen Tag dachte ich, dass ich meine freie Zeit wieder dafür nutzen konnte. Ich ahnte nicht, dass ich dabei auf Sie treffen würde!“ Endlich nahm er seine Kamera runter und sie blickte in seine braunen Augen.
Augen, die sie voller Bewunderung und Faszination ansahen. Lange Wimpern säumten sie und die Augenbrauen schimmerten in einem leichten Bronzeton. Sein Gesicht war kantig geschnitten. Das Kinn war leicht spitz, ein Dreitagebart zierte diese Partie. Die Lippen waren groß und schmal. Dagegen sah seine Nase an der Spitze etwas schief aus.
Sein Haar war durch den Wind zerzaust und hing ihm bis zum Halsansatz. Im Schein der Sonne lag ein Hauch von Kupfer und Bronze in seinem Haar, aber sonst würde Tessa auf hell bis Dunkelbraun tippen.
Sie fand aber in seinen Augen etwas, was sie nicht beschreiben konnte. Es war überraschend, dass sie ihn genau musterte, da es für sie ungewohnt war, einen jungen Mann so lange genauer anzusehen. Unbekannte Gefühle regten sich in ihr, aber gleichzeitig spürte sie etwas Altbekanntes. Angst breitete sich in ihr aus.
„Ich sage es Ihnen ungern, aber leider müssen Sie diese Fotos löschen. Den meine Erlaubnis erhalten Sie nicht dafür.“ Sprach sie kühl weiter, „Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber an Ihrer Stelle, würde ich, die Leute vorher fragen, ob man Fotos von Fremden machen darf oder nicht.“ Empört stand sie auf und ging weg. Weg von diesem Mann. Seine Anwesenheit machte sie nervös, etwas, was sie lange nicht mehr so empfunden hatte. Erleichtert atmete sie auf. Je mehr sie sich entfernte von ihm, desto ruhiger wurde sie, aber es schien ihr gleichzeitig etwas zu fehlen. Eine Art Leere. Nicht nur in ihrem Herzen, sondern auch tief in ihrer Seele.
Verwirrt runzelte sie die Stirn. Es kann nicht sein, dass ein Wildfremder sie so aus dem Konzept brachte, oder? „Nein, ausgeschlossen!“ Murmelte sie vor sich hin und lief etwas schneller ihren Weg zurück ins Hotel.
„Bitte, warten Sie einen Moment!“ Rief er ihr hinterher. Das spornte sie noch mehr an, um einen Zahn zuzulegen. Doch sie rechnete nicht damit, dass er ihr nachlief. Tessa merkte es erst, als er sie sanft an die Schulter berührt hatte. Aus einem Reflex wollte sie diesen ergreifen und ihn mit einem Wurf Ausnocken. Dieser erstarb aber, als sie ihn ansah.
Was war nur an ihm, dass ihre Instinkte auf einen Schlag erstarben?
Sieg wusste nicht genau warum, aber er war einfach zu fasziniert von dieser Frau. Dunkelblondes Haar, das ihr bis zu den Ohren ging und in eine Art abgestuften Bob geschnitten war. Starke Wangenknochen prägten ihr Gesicht. Graublaue stürmische Augen, die ihn an funkelten vor Ärger.
Ein rundes Gesicht mit sinnlichen Lippen und eine kleine süße Nase. Sie war fast so groß wie er selber. Gerade mal einen halben Kopf kleiner. Er ahnte nur die Figur unter ihrer Jacke.
Auch wenn sie es noch so gut versteckte, wusste er, dass sie kurvig gebaut war mit einer schmalen Taille.
Ihre langen Beine waren muskulös und steckten in einer eng anliegenden Jeans. Als sie ging, konnte er einen Blick auf ihren wohlgeformten Hintern riskieren. Die Schuhe waren schlichte Turnschuhe gewesen, aber ihr ganzes Erscheinungsbild vermittelte selbst ihnen einen eleganten Touch.
Ihre Arme wirkten schmal, aber er konnte deutlich die Muskeln sehen, die sie zu Versteckten versuchte. Schmale Hände und Finger bildeten sich zu Fäuste und dennoch konnte er erkennen, dass diese gepflegt waren, aber keine Spuren von Nagellack oder falsche Nägeln aufwiesen.
Auch ihr Gesicht war frei von Schminke. Sie war rein und natürlich vom Äußern her, aber es schien ihm, dass sie dies innerlich nicht war.
„Das wäre wirklich schade, wenn ich diese Bilder löschen würde, weil sie wirklich gut geworden sind.“ Versuchte er es auf die charmante Art. „Wie wäre es, wenn ich Ihnen die Bilder zeige? Dann können sie immer noch sagen, ob sie gelöscht werden sollen oder nicht.“ Sieg sah es ihr an, dass sie über seinen Vorschlag nachdachte.
Sie scheint abzuwägen, ob ich es ehrlich meine oder nicht. Dachte er sich. Aufgewühlt fuhr sich die junge Frau durch ihre Haare. Sieg musste sich ein Lächeln verkneifen. Diese Wirkung hatte er auch bei anderen Frauen. Selbst seinen weiblichen Lehrern hatte er immer aus dem Konzept gebracht.
Es war angeboren. Seine Mutter behauptete immer, dass sein Vater sie durch dieselbe Art erobert hatte. „Kaum blinzelte ich und schon hatte ich den Ring an meinem Finger und stand vor dem Traualtar mit ihm. Er war wie eine Flutwelle über mich gerollt und ließ mich seitdem nicht mehr gehen.“ Hatte sie ihn erzählt, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das voller Liebe strahlte, aber erloschen war, wenn sie jetzt daran dachte.
„Na gut. Von mir aus! Zeigen Sie mir Ihre Bilder!“ Sieg wurde aus seine Erinnerungen gerissen und sah die Frau vor sich erst verwirrt an, aber nach einige Sekunden kehrte er ins Hier und Jetzt zurück. Er durchsuchte seine Kamera nach den Bildern. Als er diese fand, stellte er sich so zu ihr hin, dass sie sie auch ansehen konnte.
Ihr Körper war dicht an seinem und in seine Nase kribbelte es vom Duft ihres Parfums. Etwas blumig und süßlich, aber nicht zu aufdringlich oder gar zu stark, dass es ihren eigenen überdeckte.
Es passte zum Parfum, aber war anders. So viel Natürlichkeit an einer Frau war schon selten.
Sein Blick wanderte von den Bildern zu ihrem Gesicht. Ihr Profil war ein Anblick, den er nicht verpassen wollte. Ihr Kopf war nach vorne geneigt, um sie sich genauer anzusehen, und gab dabei etwas von ihrem Nacken preis. Schmal und elegant zu gleich fiel ihm dazu ein. Dieser Nacken weckte in ihm den Wunsch, diesen zu küssen oder leicht darüber zu pusten.
Oh, oh. Seine Gedanken drifteten etwas zu sehr ab. Er zwang sich, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren und zeigte ihr das, was er geschossen hatte.
Eins musste sie ihn lassen, er verstand etwas von seinem Hobby. Gemeinsam studierten sie die Bilder. Tessa sah sich selber nachdenklich und in das Buch vertieft. Beim Nächsten hatte sie sich etwas tiefer gebeugt, die Arme lagen gekreuzt auf ihren Beine und das Gesicht war zum Wasser gewandt. Traurig blickte sie darüber. Beide Fotos zeigte sie im Ganzen, das Letzte aber war nur von ihrem Gesicht. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen, die leicht geöffnet waren zum stummen Mitsingen. Ihre Gesichtszüge spiegelten die Gelassenheit wieder, die sie in dem Moment gespürt hatte.
Alle Bilder waren wunderbar, auf ihre eigene Art und Weise, aber das Letzte war das Schönste. Tessa blickte sonst nur finster, wenn sie jemand fotografierte, aber ein Fremder schaffte es, sie mit einem Lächeln zu erwischen.
Erstaunt blickte sie zu ihm auf und ihr Atem stockte etwas. Sein Blick war intensiv und ging ihr durch bis ins Mark. Kurz wanderten seine Augen zu ihren Lippen. Hitze wallte in ihr auf. Tessas Gedanken blieben aus. Ihr Instinkt riet ihr, ihn zu gewähren, ihren Mund zu erobern, aber dagegen rebellierte ihr Verstand. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und ihr Puls raste wie ein Presslufthammer.
Sie sah, wie er langsam auf sie zukam. In dem Moment schaltete sich ihr Gehirn wieder ein. Schnell drehte sie ihren Kopf weg und schloss die Augen. Leise fluchend entfernte auch er sich mit 2 Schritten.
Tessa räusperte sich und sprach mit bebender Stimme „Die Fotos sind gut geworden, vor allem das Letzte. Es gibt selten welche von mir, wo ich ungezwungen lächle.“
„Kann ich also die Bilder behalten?“ Fragt er mit ruhiger Stimme.
Ihr Herzschlag beruhigte sich allmählich und auch ihre Atmung wurde wieder normal. Mit geradem Rücken dreht sie sich um „Aber nur unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“
„Die anderen Fotos werden gelöscht und ich bekomme als Einzige, dieses eine Bild, auf dem ich lächle.“ Ihre Stimme fand ihre Festigkeit wieder und auch ihr Blick war klar und entschlossen.
Der Mann blickte nachdenklich gen Himmel und eine seine Hände umschlossen dabei sein Kinn. Sie waren groß mit schlanken Fingern. Eine Armbanduhr aus dunklem Leder zierte sein linkes Handgelenk. Seine Haut war braun gebrannt, ein Zeichen dafür, dass er viel an der frischen Luft ist. Große, athletische Körperfigur, die an der Hüfte schmal war. Breite Brust- und Schulterpartie, die dazu einluden, den Kopf daran anzulehnen. Starke kräftige Arme würden sie dann noch näher an diesen Körper drücken und ihr ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln.
Erschrocken schüttelte sie den Kopf und beobachte ihn weiter. Breitbeinig stand er da. Seine Beine sahen dabei genauso kräftig aus, wie sein restlicher Körper. Verwaschene Jeans, dunkelblaue Jacke, die offen stand und ein schwarzes Sweatshirt zeigte. Dazu trug er schwarze Stiefel aus Leder.
Wild, aber doch mit Stil, war er gekleidet.
Nach einer gefühlten Ewigkeit und kurz bevor Tessas Geduldsfaden endgültig verloren ging, blickte er sie an und sagte nüchtern „Nope.“
„Nope?“ Verdutzt starrte sie ihn an. „Warum Nope?“
„Weil aus diesem Deal nichts für mich raus springen würde.“ Erklärte er ihr.
„Ernsthaft? Sie sind noch heil und Ihre Kamera schwimmt nicht in der Alster!“ Verärgert stampfte sie mit einem Fuß auf „Das ist doch eine Frechheit von Ihnen!“ Grinsend schlenderte er zu ihr rüber „Das ist nicht frech, sondern berechnet! Sie wollen was von mir, also ziehe ich meinen Nutzen daraus!“ Wie ein hungriger Wolf blickte er sie an. Einer, der schon lange hungerte.
Ein Schauer durchfuhr ihr. Er denkt, sie würde eine leichte Beute geben, aber so leicht ist, sie nicht zu kriegen. „Pah! Das ist nicht lache! Das war Ihre volle Absicht, oder?“
„Nicht schlecht! Gar nicht mal so dumm!“ Anerkennung schwang in seiner Stimme mit „Sie sind die Erste, die dies durchgeschaut hatte. Was hatte mich verraten?“
„Ihr Lächeln hatte mich an einem hungrigen Wolf erinnert!“ Als sie zu Ende gesprochen hatte, warf er den Kopf in den Nacken und lachte lauthals in den Himmel hinauf. Tessa konnte sich nicht weiter ihr Lächeln verkneifen und der Ärger war verflogen.
Irgendwann hörte er auf zu lachen und blickte sie wieder an. Dieses Mal mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das ehrlich war. „Mein Name ist Sieg. Sieg Cameron.“ Stellte er sich vor.
„Tessa Schmitzkatze.“ Dabei streckte sie ihm die Hand entgegen. „Und ja das ist wirklich mein Nachname.“
Er nahm ihre Hand in seine „Nun, wenigstens ist er genauso ungewöhnlich, wie Ihr es seid, aber ich ziehe meinen Hut vor Ihnen. Ich verspreche, dass ich die Bilder lösche.“
„Alle bis auf das eine. Ich habe seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr so gelächelt.“ Fügte sie leise hinzu.
„Okay das Letzte gebe ich Ihnen, wenn ich mit der Bearbeitung fertig bin.“ Lenkte er ein, als er ihr trauriges Lächeln sah.
„Wirklich? Das sagen Sie jetzt nicht nur, um mich rum zu kriegen?“ Eine vage Hoffnung überflutete sie.
Diese strahlte heller, als die Sonne und Sieg war geblendet. „Ja, ohne Tricks. Geben Sie mir einfach Ihre Nummer, damit ich Ihnen Bescheid geben kann, wenn es fertig ist.“
„Oh!“ Nachdenklich runzelte sie die Stirn, „Ich wohne nicht hier, sondern bin auf Urlaub und habe ehrlich gesagt kein Handy.“ Schuldbewusst blickte sie ihn an. „Aber ich könnte Ihnen die Adresse vom Hotel geben. Dort können Sie es jederzeit für mich hinterlegen.“ Tessa kramte in ihrer Jackentasche, um Stift und Papier zu suchen. Fand aber nichts. Obwohl sie eine Jacke trug mit großen Taschen, wo auch ein Buch rein passte, fand sie nichts zum Schreiben.
Peinlich berührt spürte sie, wie Hitze in ihre Wangen stieg. „Wenn es weiter hilft, ich habe was zum Schreiben mit.“ Ganz dezent reichte er ihr das Gewünschte.
„Ich danke Ihnen für Zettel und Stift. Und auch dafür, dass Sie nicht lachen.“ Sie drehte sich zu ihm und nahm die Sachen von ihm entgegen.
Es war eine kurze Berührung. Leicht wie ein Schmetterlingsflügel, aber dennoch erstarrten beide. Sie schauten gleichzeitig auf und es überkam ihnen das Gefühl, sich schon einmal begegnet zu sein, aber wo und wann wusste keiner.
Tessa schloss als Erste die Augen und die Verbindung brach ab. Schnell nahm sie Zettel und Stift zur Hand. Sie schrieb die Adresse nieder mit flinken Fingern. Ihr Verstand sagte ihr, so schnell wie möglich von ihm weg, aber ihr Herz teilte ihr das Gefühl des Bleibens mit. Es war chaotisch in ihrem Inneren.
„Hier! Das ist die Adresse.“ Sagte sie mit gezwungener Ruhe.
Sieg räusperte sich, bevor er den Zettel zur Hand nahm und ihn einsteckte in seiner Jackentasche. „Danke, wird 2 Wochen dauern, bis ich fertig bin.“ Erklärte er monoton. „Wie lange bleiben Sie den hier?“
„Das weiß ich noch nicht. Bin selber erst hier eine gute Woche und hatte angefangen meinen 2-monatigen Urlaub zu genießen, als Sie kamen und mich fotografierten.“ Nun grinste sie ihn an, dass auch ihre Augen erreichte.
„Wie wäre es, da meine Anmache daneben ging, ich Ihnen als Führer diene und Ihnen die Geheimnisse dieser Stadt zeige?“ Er ließ sich anstecken und lächelte sie an und zwinkerte ihr dabei zu.
„Klar gerne. Als Erstes würde ich gerne etwas Essen.“
„Eine hervorragende Idee, wie wäre es, wenn ich Sie heute einlade?“ Als er die Frage beendet hatte, hielt er ihr seine Armbeuge hin, damit sie sich bei ihm unter hacken konnte.
Skeptisch musterte sie Sieg, aber letztendlich gewann der Hunger. Ihre linke Hand hackte sich in ihre angebotene Armbeuge ein. „Gerne und ich glaube, dass wir uns duzen können, oder?“ Kokett schaute sie ihn an.
Sieg wusste nicht, ob sie dies mit Absicht tat oder gar nicht ahnte, dass sie dazu in der Lage war. Er selber wusste nur, dass er in die Hölle kommt. Seiner eigenen Stimme nicht zuzutrauen, nickte er ihr zu und führte sie aus zum Essen.
Zwei Wochen lang traf sie sich mit Sieg. Für Tessa wurde er dadurch der erste Freund überhaupt. Jemanden auf den sie sich verlassen konnte und ehrlich zu ihr war. Er ging mit ihr durch die Stadt und zeigte ihr Blankenese. Ging mit in den Michel und er hatte es geschafft, sie dazu zu überreden den Turm hinauf zu gehen. Aber einfach war es nicht. Nach einer halben Stunde und mit seinen ganzen Charme, brachte er es fertig, sie hochzubekommen. Eine Prise Stolz kam auch noch dazu und
sie biss an.
Der Anblick war wunderschön, musste Tessa zugeben, aber nach kurzer Zeit wurde ihr etwas schummrig. Er bemerkte es, als sie leicht schwankte, ging er zu ihr und schlang ganz behutsam einen Arm um ihre Taille. Dankbar blickte sie ihn an und gemeinsam stiegen sie die Treppe runter. Sieg war ein Gentelemann. Punkt 10 kam er, um sie abzuholen, und nach geplantem Ausflug mit anschließendem Essen brachte er sie wieder zurück.
Tessas Gefühle waren 2durcheinander. Sie fühlte sich wie in Watte gehüllt. Seine Abwesenheit schmerzte ihr und sie war tief traurig, fast deprimiert. Sobald er aber kam, um sie abzuholen, sie ihn sah, wurde ihre Stimmung fröhlicher. Sie erkannte sich selber nicht wieder. Sie kleidete sich anders, machte sich ihre Haare und legte fast jedes Mal ein Parfum auf. Es war verrückt und mysteriös, aber gleichzeitig fühlte sie sich so gut wie nie zu vor. Sie seufzte. Heute zeigte sich Hamburg von der schlechten Seite. Dunkle Wolken kündigten Regen an. Der Wind peitschte gegen die Fenster. Ihr klirren war so laut, dass man glauben konnte, sie würden jeden Moment zerbrechen. Die Bäume bogen sich. Das Wasser zeigte seine stürmische Seite und Welle um Welle schlugen sich übereinander. Der Schiffsverkehr wurde eingestellt. Segelboote trieben an diesem stürmischen Tag nicht auf der Alster.
Die wenigen Menschen beeilten sich mit ihren Erledigungen, um sich schnell ins Trockene zu retten. Sie wusste, dass Sieg heute nicht kommen würde. Er hatte sie schon vor dem Wetter gewarnt, als sie aus dem Miniaturwunderland kamen. Ihre Enttäuschung verbarg sie gut, aber ihr wurde schwer ums Herz, als sie sich gestern verabschiedeten.
Seit seiner Anmache, zeigte er sich ihr gegenüber freundlich und höflich, aber es war kein Hauch von einem Flirt zu sehen. Tessa hingegen fühlte sich viel zu unerfahren dafür, da sie nie vorher Interesse am anderen Geschlecht hatte.
Es machte sie rasend nicht zu wissen, auf welcher Ebene er sie sah. Vielleicht tat dieser eine Tag Pause von ihm gut und außerdem wollte sie einen Anruf betätigen, den sie fast vergessen hatte. Sie wählte vom Hoteltelefon aus die Nummer und wartet bis derjenige am anderen Ende abnahm.
Sail war hocherfreut über den Anruf seiner Schwester. Schon seit Jahren standen sie sich sehr nahe. Er hatte versucht, sie zu beschützen. Es brach ihm das Herz, als er sie damals alleine ließ. Sein Vater war auf ihn nicht gut zu sprechen gewesen. Das war ständig so. Auch als damals raus kam, dass nicht er die Kräfte vererbt bekommen hatte, sondern seine Schwester.
Nachdem sie das Mädchen da gelassen hatten, wurde er zu Hause von seinem Vater windelweich geprügelt. Den Schmerz schluckte er runter, die Tränen machten es stets schlimmer. Er verstand seinen Vater nicht. Das tat er heute immer noch nicht. Es war ihm mittlerweile egal, was sein Vater über ihm dachte. Irgendwie war er froh aus seinen Fuchteln entkommen zu sein. Denn so konnte er das Leben führen, was er immer wollte.
Er war ein 25-jähriger Singelmann. Die Augen und Haare hatte er von seinem Vater geerbt. Dunkelbraun die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Grüne Augen, von dunklem Moos, spiegelten seinen freien Geist wieder. Er war gute 2 Meter groß. Kräftig wie ein Bär gebaut. Seine Muskeln zeichneten sich deutlich ab. Breite Schultern und Brust zeugten von den regelmäßigen Sport, den er trieb.
Muskelbepackte Arme und Beine, dick wie ein Ast von einem alten Baum. Sein Gesicht war genauso Rund, wie das seiner Schwester. Dicke buschige Augenbrauen stachen einem direkt ins Auge. Lange Wimpern betonten seinen Augen noch mehr. Diese sahen riesig aus im Gegensatz zu seiner Nase. Klein war sie, aber dafür zierte ein Schnurrbart über seine Lippe sein Gesicht. Dadurch sah die Nase nicht all zu klein aus. Sein Mund war breit, aber dies hatte bisher bei der Damenwelt noch nie gestört.
Nun lächelte er vor sich hin, als er die liebliche Stimme seiner Schwester hörte. „Wie geht’s meiner kleinen Schwester in Deutschland?“ Er selber befand sich gerade in Spanien, um sich Inspiration zu holen, für sein neuestes Werk. Er liebte die Schauspielerei, eignete sich aber nicht als Darsteller, aber war ein Meister der Schrift und Dichtung.
„Gut. Langsam gewöhne ich mich an den Urlaub, aber das Wetter ist heute sehr launisch.“ Hörte er da Traurigkeit raus in ihren Sätzen? Nein, das war nur Einbildung. „In Spanien ist es sicherlich schön warm und sonnig, oder?“
„Volltreffer! Die Kandidatin hat 100 Punkte!“ Am anderen Ende hörte er ihr Lachen. „Es ist so schön hier, aber die Ideen wollen nicht kommen.“ Gestand er ihr Düster ein. Seit einem Monat reist er durch das Land, aber sein Kopf war wie leer gefegt.
„Oh, mein armer großer Bruder! Liegt das wirklich an das Land oder an den spanischen Frauen?“
„Dein Sarkasmus ist besser geworden seit dem letzten Mal.“ Grimmig gab er ihr den Punkt an ihr. „Aber an den Frauen hier bin ich nicht interessiert!“
Totenstille am anderen Ende. Er dachte schon, die Leitung wäre Tod oder die Verbindung wurde abgebrochen. Er war gerade versucht die Nummer fürs Hotel eingeben zu wollen, als er hörte „Wer sind Sie und was haben Sie mit meinen Bruder gemacht?“ Verwirrt blickte er das Telefon an. Dachte Tessa wirklich, dass er ein Fremder wäre? „Tes ich meine es ernst! Die Frauen hier sind noch hitziger als die Italienerinnen. Glaube mir, ich lebe hier lieber in Abstinenz, als mit ein paar Körperteile weniger.“
„Hmm ..... Sicher dass es da nicht doch eine Frau gibt, die es schafft, dein Herz zu erobern?“ Fragte sie vorsichtig.
„Nein, bisher bleibst du immer noch auf Platz 1 in meinen Herzen, so wie ich Platz 1 in deinem bin.“ Denn da war er sich sicher. Sie hatte noch nie das Interesse an Männern gezeigt und wie jeder großer Bruder auf der Welt hoffte er, dass es so bleibt.
„Ähm, wenn du meinst.“ Schon wieder. Sail hörte etwas, was zu seiner Schwester nicht passte.
„Tessa Vermond Harrison-Barinov, ich höre, dass du mir was verschweigst!“ Wieder toten Stille.
„Tue ich nicht!“ Ihre Stimme wurde eine Oktave höher. Ein klares Anzeichen bei ihr, dass sie lügt.
„Junge Dame, jeden kannst du verarschen, mich aber nicht! Dafür kennen wir uns zu gut! Deine Stimme verrät dich!“
Er hörte Flüche am anderen Ende des Telefons „Vielleicht gibt es jemanden, der mein Interesse weckt.“ Gestand sie klein Laut. „Aber es ist nur freundliche Basis von ihm aus.“
Oh, Nein! Nein, nein, nein. Sie war kurz davor in Tränen auszubrechen. Sein Beschützerinstinkt erwachte und er wollte den Mann, was antun, weil er seine Schwester zum Weinen gebracht hatte.
„Kein Kerl auf der Welt ist es deinen Tränen wert. Du bist eine starke, kluge Frau! Vergiss das nicht.“ Munterte er sie auf und startete gleichzeitig sein Laptop um einen Flug nach Hamburg zu buchen. „Ich werde versuchen, so schnell wie möglich zu dir zu kommen!“
„Ich bin kein kleines Mädchen mehr, dass ihren großen Bruder braucht nur wegen einem Mann!“ Zum Glück konnte sie sein Lächeln nicht sehen. Er wusste welchen Knopf er, bei ihr drücken musste, um ihren Kampfgeist wieder zu erwecken.
„Gut, dann erwürgst du ihn und ich schaue dir dabei zu!“ Das Kichern war Musik in seinen Ohren „Danach können wir Cocktails schlürfen und uns austauschen, was so seit dem letzten Wiedersehen geschehen ist!“
„Klingt gut. Kann es kaum erwarten.“ Flötete sie fröhlich „Ich hab dich lieb Sai.“
„Ich dich auch Tes.“ Beide legten danach auf und freuten sich auf das baldige Wiedersehen.
Sie ahnte nichts von den dunklen Wolken, die sich langsam aber stetig am Horizont bildeten.
Nach dem Anruf mit ihrem Bruder ging es ihr besser und ließ sich ein Bad ein. Die Badewanne war herrlich groß. Das Badezubehör duftete angenehm nach Rosen. Langsam ließ sie das Wasser ein und gab etwas von dem Zubehör dazu.
Von dem bisschen schäumte es stark. Sie war froh, nicht mehr dazu geschüttet hatte. Sie legte ihre Kleidung ab. Im richtigen Licht konnte man die Narben im Gesicht schwer erkennen, aber die anderen am Körper waren unverkennbar.
Die Narben am Rücken hatte sie ihren Vater zu verdanken, als die Untersuchung bestätigt hatte, dass sie die Kraft geerbt hatte. Er schlug sie hart und ohne Mitgefühl mit einem Ledergürtel. Mit Schauder erinnerte sie sich an die Schmerzen und die stummen Schreie. Denn genauso wie ihr Bruder, ahnte sie damals, dass es schlimmer werden würde, wenn sie Tränen zeigte oder schrie.
Am Bauch war eine 2 cm große Narbe zu sehen. Diese hatte sie einem Trainer zu verdanken, den ihr Vater engagiert hatte. Damals war sie 8 Jahre. Es waren Ferien, aber für sie hieß es nicht die Seele baumeln zu lassen, sondern sich in der Messerkunst zu perfektionieren. Mitten im Training hatte sie geträumt und sah zu spät das Messer. Es hatte knapp ihre Organe verpasst. Blut strömte aus ihrem Körper. Ihr damaliger Mentor wollte abbrechen und sie ins Krankenhaus bringen, aber ihr Vater kannte keine Gnade.
„Bis zum Schluss der Stunde wird weiter gemacht!“ Der Trainer wollte sich widersetzen, aber dann holte Edgar seine Pistole raus und drohte ihm „Wenn Sie noch einen Ton sagen, dann knalle ich sie hier auf der Stelle ab, ohne mit der Wimper zu zucken!“ Dieser schluckte und nickte zustimmend.
Zu Tessas Glück war die Stunde schnell zu Ende und konnte dann endlich ins Krankenhaus gebracht werden. Die Ärzte schüttelten nur den Kopf. Der Sensenmann hätte sie beinah zu sich geholt.
Eine Erinnerung, die sie gerne vergessen wollte, wie so viele. Die meisten Narben die ihren Körper zierten, stammten von ihrem Vater.
Selbst wenn jemand ihr nahekommen würde, würde dieser Mann auch ihre Narben akzeptieren? Nicht nur die äußerlichen Narben, sondern die Inneren?
Gequält von ihren Erinnerungen, drehte sie die Hähne zu und stieg in die Wanne. Vor purer Wonne genoss sie ihr Bad und ließ ihre Gedanken ins positive Gefilde schweifen.
Während Tessa sich verwöhnte. War Sieg ganz und gar nicht entspannt. Er hatte sie wenigstens nicht angelogen. Das Wetter war mies für einen Ausflug. Dabei hatte er was Wunderbares geplant für sie, aber das konnte bis morgen warten.
Was aber nicht warten konnte, war das heutige Treffen. Es war wichtig, dass er dabei war. Denn heute werden viele Entscheidungen getroffen. Er war darin verwickelt, als er sich im Leib seiner Mutter befunden hatte. Schon seit mehrere Generationen unterstütze seine Familie dieses Unternehmen.
Es war ein gefährliches Terrain, auf dem sie sich befanden, aber es war wichtig. Die Zukunft der Menschheit hing davon ab.
Nach der ersten halben Stunde sehnte er sich schon nach Tessa. Die unbefangenen Unterhaltungen mit ihr machten ihm Spaß. Jedes Mal wenn er ihr etwas Neues von der Stadt zeigte oder erzählte, strahlten ihre Augen vor Freude. Als er ihr am Vortag zum Mininaturwunder gingen, leuchten diese voller kindlichen Staunens. Wie ein kleines Kind drückte sie die Knöpfe, um ein neues Ereignis auszulösen. Träumerisch blickte sie, wenn für 5 Minuten die Dunkelheit kam und alles bunt erleuchtet war.
Ihre Ausgelassenheit steckte ihn an. Er sah die Ausstellung zum x-mal an, aber mit ihr war es neu und erfrischend. Auch gefiel es ihm, wenn es zu voll wurde und er sich enger an sie schmiegte. Beim ersten Mal blickte sie ihn so verblüffend an, dass er ihr erklärte, das es nicht seine Absicht war - was zur Hälfte stimmte - sondern durch das Gedrängel dadurch gezwungen war, ihr näher zu kommen.
Diese Antwort schien ihr zu gefallen und so machte sie bei den anderen Malen keinen Aufstand. Es fiel ihm schwer immer wieder nicht seine Hände um ihre Taille zu legen oder sie sachte zu berühren oder gar in den verführerischen Nacken einen Kuss zu hinterlassen.
Er war ein Mann, kein Heiliger.
Heiliger Bimbam, dachte er öfters, als auch sie sich durch die Menschenmassen an ihn lehnte. Er stand wahrlich unter Storm, wenn sie dies getan hatte. Ihr Körper passte perfekt zu seinem.
Ihre wunderbaren, kurvigen zu seinem muskulösen, waren komplette Gegensätze, schmiegten sich aber zusammen.
Wenn es bei der Ausstellung freier wurde, blickte er sich eifersüchtig um und merkte sich die Gesichter der Männer, die ihr nachgeblickt hatten. Er war erschrocken darüber gewesen. Denn so war er nie.
Tief seufzte er. Er war verdammt. „Stimmt irgendwas nicht Sieg?“ Wurde er gefragt. Der Angesprochene blickte sich um. Es war ihm nicht aufgefallen, dass er laut gedacht hatte. Peinlich berührt verneinte er die Frage und konzentrierte sich wieder auf die wichtige Thematik. In der Hoffnung, dass sie schnell vorüber ging. Ein Foto musste fertiggemacht werden.
Endlich war er, nach einer gefühlten Ewigkeit, wieder frei. Voller Freude trat er aus dem Gebäude und genoss den Wind, der ihm entgegen wehte. Er roch den baldigen Regen. Mit schnellen Schritten machte sich Sieg auf den Weg zu seinem Wagen, als er eine Frauenstimme hörte, die ihm hinter rief.
Er drehte sich um und sah in das Gesicht seiner Schwester Nox. Sie war ein Model. Schlanke Figur und groß. Lange schwarze Haare, die ihr bis zur Taille reichte. Mandelförmige Augen musterten ihn. Schmales Gesicht mit geprägten Wangenknochen und spitzem Kinn. Ihr Mund war ein Schmollmund, der sich bei seinem Anblick spöttisch verzieht. Ihre Nase war nicht krumm, nicht so wie bei ihm, sondern verlief gerade. Eine rahmenlose Brille betonte ihre außergewöhnliche Schönheit.
Im Gegensatz zu ihm brauchte sie keine Sonne. Nox wurde schon mit einer honigfarbenen Haut gesegnet, dagegen sah er mit seiner leicht gebräunten blass aus.
„Was ist den Nox? Ich habe noch was zu tun.“ Fragte er sie genervt. „Mach es kurz.“
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 15.02.2020
ISBN: 978-3-7487-2967-9
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