Der Wind zerrte an meinen Haaren und meine Augen brannten, als ich wahllos durch die Gegend rannte. Hauptsache weg von hier. Weg von ihnen. So lange hatte ich die Chance vor ihnen zu fliehen, doch mein Glück wurde mir verwehrt. Wie lange haben sie nach mir gesucht und mich nicht gefunden? So lange hatte ich mich nicht mehr frei gefühlt, wie in den letzten vergangenen Jahren, doch jetzt? Jetzt brennen meine Lungen und mein Herz schlägt mir gegen die Rippen, die drohen zu zerspringen, wenn mein Herzschlag noch schneller schlagen würde. Meine Beine wurden mit jedem Schritt den ich tat immer schwerer und die Kräfte, die ich für meine Flucht verbrauchte, wurde immer weniger.
Die kalte Luft preschte gegen meine Haut und der dunkle, bewölkte Himmel zog an mir vorbei. Die Straßen wirkten verlassen, als das ich hätte nach Hilfe rufen können.
Ich bog ab und rannte durch den kleinen Spielplatz, der nicht benutzt wurde.
Die Schritte hinter mir wurden immer schneller und lauter.
Komm schon Lia, nicht aufgeben!
Ich legte noch einen Gang zu, wobei die Energie in mir zwar weniger wurde, doch der Drang und die Angst siegten.
Der Schweiß rannte meine Schläfen hinab und meine Haut fühlte sich noch heißer an, als es schon war. Der Boden unter meinen Füßen gab nach, als ich über etwas stolperte und dann mit Händen und Knien auf den Kieselboden fiel. Die Schmerzen verdrängend, rappelte ich mich wieder auf und wollte wieder losrennen, bis mich jemand an der Schulter packte und zudrückte.
>Ich sagte bleib stehen< zischte mich der Mann an, der gerade eben noch hinter mir her gehetzt war.
Sein Gesicht lag im Schatten, weshalb ich nur die Umrisse seiner Gestalt wahrnahm.
Meine Schulter, meine Hände und meine Knie pochten und trieben mir die Tränen in die Augen.
Ich windete mich unter seinem Griff und versuchte sie los zu werden, doch der Druck verstärkte sich nur und ich zischte.
Jetzt oder nie.
Ich holte mit meiner wunden Hand aus und schlug ihm so doll ich konnte, ins Gesicht.
Der Typ verzog seine Visage und lockerte seinen Griff automatisch, wobei ich die Situation ausnutzte und wegrannte, doch bevor ich auch nur einen Schritt nach vorne gehen konnte, wurde ich unsanft auf den Boden geworfen. Mein Kopf stieß hart auf und Sternchen tanzten vor meinen Augen, doch meine Willenskraft war stärker. Ich stieß meinen Oberkörper vom Boden ab und wollte mich aufrappeln, als sich etwas Schweres auf mich setzte und meinen Arm packte.
>Sag gute Nacht, Liebes< brummte eine Stimme.
Ein gewalttätiger Stich an meinem Arm ließ mich zusammenzucken und im nächsten Moment wurde mir schwarz vor Augen.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht fasste ich mir an den Hinterkopf und zuckte zusammen.
Verdammt seien diese Hunde.
Ich machte die Augenlider auf und blinzelte ein paar Mal gegen das blendende Licht, welches in meine Augen schien. Summen ertönte und Stimmen, die wild durcheinander redeten.
Ich drehte meinen Kopf und schaute aus dem Fenster und was ich sah, verschlug mir den Atem.
Außerhalb des Fensters war nur Meer zu sehen, welches unter uns vorbei zog. Die Wolken knapp über uns bauschten sich auf wie Watte und der Himmel war darüber klar zu sehen. Die Sonne schien freudig auf uns hinab und hüllte uns in eine Decke voller Wärme.
Ich sitze in einem Flugzeug, stellte ich trocken fest.
Selbst wenn ich versuchen würde dieses verdammte Ding zu landen, wobei ich mir zu hundert Prozent sicher bin, dass ich dabei draufgehe, ist unter uns nichts weiter als Wasser. Die Chance zu fliehen liegt gleich bei nulll!
Frustriert schnaubte ich nicht gerade ladylike und stand auf.
In der vorderen Sitzreihe saßen vier Männer. Zwei von ihnen mit dem Rücken zu mir gewandt und die anderen zwei schauten mich alarmbereit an.
Der eine, der mich anschaute, flüsterte etwas in die Runde und schon war die volle Aufmerksamkeit auf mich gerichtet.
Ein Mann, um die zwanzig Jahre geschätzt, stand auf und kam zu mir rüber. Er machte einen angsteinflößenden Eindruck auf mich, doch ich ließ mich nicht so schnell einschüchtern und straffte die Schultern. Die Muskeln unter seinem schwarzen Anzug spannten sich an, was man unter dem Stoff nur zu deutlich sehen konnte. Die braunen Augen schauten düster in meine und seine Haltung zeigte mir, dass er auf jede Situation vorbereitet war.
Sprung bereit wie eine Katze, huschte es mir durch den Kopf.
>Señora, bitte setzen sie sich wieder< sagte er und deutete auf meinen vorherigen Platz.
Ich kniff die Augen zusammen, als ich die Stimme erkannte.
>Ich habe einen Namen< zischte ich.
Das war der Mann, der mich mit dieser Spritze außer Gefecht gesetzt hatte.
Er erwiderte nichts und deutete weiterhin auf den Platz. Seine Ader pochte an der Schläfe und der Zorn in seinen Augen war nicht zu übersehen.
Bastard, beleidigte ich ihn innerlich und verschränkte die Arme, während ich mich auf meinen Platz schmiss.
>Wir werden in ungefähr einer Stunde landen. Ich denke sie sind sehr erschöpft und da die Vorbereitungen fast fertig sind, werden sie morgen vor den Altar treten.<
>Das werden wir ja noch sehen.<
Mein Blick viel aus dem Fenster und ich hoffte innerlich, dass ich eine Möglichkeit finden würde, dem zu entkommen, was mich erwartete.
>Si, Señora. Das werden wir sehen< hörte ich ihn neben mir und dachte, er würde gehen. Doch stattdessen blieb er seelenruhig neben mir sitzen und machte nicht mal Anstalten, sich vom Fleck zu bewegen.
>Bist du mein Wachhund?< fragte ich, schaute ihn aber immer noch nicht an.
>Ich passe nur auf, dass sie keine Dummheiten anstellen, Señora.<
Ich schüttelte nur den Kopf und lehnte mich mit meinem Kopf vorsichtig nach hinten, darauf bedacht nicht meine wunde Stelle zu berühren.
Mein Blick ruhte leer auf dem Gewässer, welches langsam vorüber zog. Die Gedanken waren ausgeschaltet, selbst das Stimmengewirr und das Summen des Flugzeuges fanden keinen Zugang zu meinem Gehör. Nur ich, die Stille und die Aussicht aus dem Fenster.
Der Flug fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis ein kurzes Kribbeln meinen Bauch durchfuhr und wir dann mit dem Flugzeug langsam über den Asphalt rollten.
>Kommen Sie< höre ich den bulligen Mann neben mir sagen und stand auf. Die Schultern gestrafft, das Kinn etwas höher gereckt und die undurchdringliche Maske aufgesetzt, ging ich in der Mitte von zwei Wachleuten, die darauf aufpassen, dass ich ja nicht abhaute und als wir vom Flugzeug ausstiegen stellten sich die anderen beiden rechts und links neben mich.
Mit meinen Augen suche ich die Gegend ab und entdecke die Toilette, dessen Gang daneben direkt ins freie führt.
>Ich muss mal< sagte ich und rieb spielerisch meine Beine aneinander.
Der Mann, der in der letzten Stunde neben mir saß schaute mich an.
>Ich gehe kein Risiko ein, Señora. Wir sind bald zuhause.<
Ich schnaubte wieder und sah seinen wissenden Blick, den er mir aus den Augenwinkeln zuwarf.
Nach dem wir in den Wagen stiegen, bemerkte ich, wie die Fluchtmöglichkeiten sich immer mehr beschränkten. Die Abzweigungen der Straßen schien endlos und die belebte Stadt entfernte sich mit der Zeit immer mehr. Die Fahrt nahm kein Ende und die zwei Bullen neben mir ließen mich nicht aus den Augen und waren wohl darauf gefasst, dass ich irgendeinen ‚Blödsinn‘ anstellte. Noch nicht mal am Fenster konnte ich sitzen!
>Wann sind wir da?< fragte ich genervt und begegnete dem Blick vom Fahrer.
>Bald< sagte er kurz angebunden, weshalb ich nur die Augen verdrehte.
>Señora, wenn ich kurz erwähnen darf-<
Die Stimme rechts neben mir begann zu sprechen und ich schaute dem Mann in die Augen.
>Sie werden keine Gelegenheit haben wegzulaufen. Das Anwesen ist viele Kilometer von der Stadt entfernt und bevor sie überhaupt dorthin finden könnten, würden sie einer giftigen Schlange begegnen, die hier nur so wimmeln und qualvoll sterben- vorausgesetzt Skorpione schnappen sie zuerst. Wir sind in einer Gegend, wo sie ungeschützt nicht hingehen sollten. Ihr Schicksal ist sowieso schon festgelegt, wenn man das so sagen kann.<
Meine Augen kniffen sich zusammen, als ich trotzig mein Kinn hob.
>Mein Schicksal sollte nicht von hirnlosen Affen bestimmt werden. Dieser Bund gilt allein deswegen für euch, damit ihr mehr Macht habt und ihr vollgepumpten Anabolika seid doch nur besessen von dieser Gier< zischte ich und hielt dem Blick stand, den man mir zuwarf.
>Anabólicas. Estar contentos de queusted essimportantes.< brummte er vor sich hin und wandte sich dann ab.
>Noch nicht mal den Mumm haben in meiner Sprache zu sprechen.< murmelte ich und wandte mich ebenfalls ab.
Die Palmen, die dicht aneinander gereiht standen, wurden von der strahlenden Sonne durchflutet. Man konnte sehen, wie die Luft über dem Asphalt anfing zu flimmern und die Säugetiere außerhalb dieses Autos taten mir leid. Hier drin war zumindest die Klimaanlage an und wir mussten uns keine Sorgen machen in der Hitze in Flammen aufzugehen.
Was mich wohl auf diesem Anwesen erwarten wird? Werde ich meinem Schicksal wirklich nicht entfliehen können und einen Mann heiraten, den ich in meinem ganzen Leben bisher nicht einmal zu Gesicht bekommen habe? Wie würde er dann zu mir sein? Wäre es ein alter Mann, der die besten Jahre schon hinter sich hatte? Wieso sollte sich aber auch ein junger Mann verheiraten an eine, die seinen Ansprüchen vielleicht nicht entgegen kommen würde?
So viele Fragen türmten sich in meinem Hirn auf und wiegten mich in Unsicherheit.
Ich war eine rebellische junge Frau, die nicht das tat, was andere von ihr wollten. Das hatte zumindest meine private Betreuerin damals gesagt. Ich hatte meinen eigenen Kopf und hing an meinen Träumen.
Reisen, die Welt von ihren guten wie von ihren schlechten Seiten entdecken. Andere Kulturen kennenlernen und ungezwungen weglaufen können, ohne von jemandem verfolgt zu werden, der mich als Besitz haben wollte.
>Wir sind da.<
Erschrocken schaute ich auf und stellte fest, das wir schon angekommen waren. Eine gräuliche Mauer erstreckte sich und vor uns war ein Tor aus verschnörkeltem, schwarzem, Metall. Die Pforte öffnete sich lautlos und wir fuhren hinein. Es erinnerte mich an eine Festung, wie es die früher gab. Dies war eher die moderne Version dessen.
Wir fuhren direkt in die Garage, die eher aussah wie eine Sporthalle, und parkten direkt neben einer Reihe von anderen teuren Autos.
Der Motor verstummte und die Türen wurden aufgemacht.
>Aussteigen, Señora.<
Ich schwang meine Beine über die Tür und stieg aus. Meine Muskeln hießen die Gelegenheit mich zu strecken, willkommen und dann wurde ich schon am Arm festgehalten.
>Fass mich nicht an< zischte ich, doch der Griff um meinen Arm wurde fester.
>Ab morgen, Señora. Da werden wir sie nicht mehr anrühren, doch bis dahin müssen wir noch etwas warten.<
Schließlich wollen wir ja nicht, dass die Braut uns entkommt, fügte ich für den Affen in Gedanken hinzu.
Er zog mich hinter sich her, jedoch nicht mehr so grob. Wir gelangten an einer eisernen Metalltür und als er diese auf machte, stieß mir ein Schwall der unsagbaren Hitze entgegen. Wir mussten irgendwo im Süden sein. Die Palmen innerhalb des Gemäuers standen vereinzelt um das Grundstück und als wir von der Einfahrt weggingen, sah ich auf eine Tür, die geschätzt zwei Meter hoch war. Ohne zu klingeln oder den Hausschlüssel zu zücken, ging die Tür auf und eine alte Dame stand vor uns.
>Ihr seid noch pünktlich zum Essen da< sagte sie und lächelte die vier bulligen Idioten an.
>Kommt endlich rein, das arme Mädchen ist doch bestimmt kaputt vom ganzen hin und her.<
Ihre Augen huschten zu mir rüber und ihre Augen strahlten.
Ich wurde hinein gezogen und dann ließ dieser Druck an meinem Arm endlich nach.
>Hallo, liebes. Ich heiße Maria, aber du kannst mich ruhig wie alle anderen Abuela nennen.<
Sie hatte einen leichten Akzent. Wüsste ich es nicht besser würde ich sagen, spanisch.
Ich sagte nichts.
>Du solltest etwas essen und dich dann ausruhen, damit du morgen auch in Form bist.< sagte mir ‚Abuela‘ und deutete mir, mit ihr zu gehen.
Der Weg in die Küche war vergleichbar mit einem Labyrinth. Zwar war es hier sehr modern eingerichtet, doch ohne einen Grundriss des Anwesens, würde ich mich hier womöglich verlaufen.
>Ich habe Tortilla gemacht< sagte sie an mich gewandt.
>Ich habe keinen Hunger.<
>Trotzdem musst du dich für die anstehenden Planungen stärken und selbst wenn es nicht viel ist, Noelia.< sagte sie und ihre Tonlage ließ erahnen, dass sie mir das Essen in den Mund schieben würde, würde ich mich weigern.
>Lia.<
Als wir endlich in der Küche ankamen, setzte ich mich auf eines der weißen Holzstühle, die am Tisch standen, der ebenso weiß war.
Die Ablagen und Schränke waren von weißem Marmor. Der Herd und alles elektronische war in schwarz gehalten und an der Decke war ein Kronleuchter befestigt. In der Mitte der Anlage war eine Kochinsel, die ebenso im weißen Marmor erstrahlte.
>Was möchtest du trinken, liebes?< fragte mich Abuela und stellte mir einen Teller mit der Tortilla vor die Nase. Ich nahm die Gabel, die neben der Tortilla lag und schob mir ein Stückchen in den Mund. Ich versuchte mühsam zu verhindern, die Augen genussvoll zu schließen, als meine Geschmacksknospen positiv auf das Essen reagierten.
Ich kaute und schluckte das Essen dann hinunter. Egal, wie sehr das Essen schmeckte, ich fühlte mich erdrückt und die Lust zum essen blieb auf der Strecke liegen. Die Situation war nicht mit meiner Angst, die Klaustrophobie, zu vergleichen. Es fühlte sich an als würde man von außen , Druck auf mich ausüben. Mich in die Ecke drängen und mir keinen Freiraum lassen. Eigentlich war es ja auch so. Ich hatte keinen Freiraum. Nicht, um mich zu bewegen und auch nicht, um eigene Entscheidungen zu treffen. Ich war eine Marionette, die von einem anderen durch das Leben geführt wurde.
>Noelia?<
Erschrocken schaute ich auf und sah in die Augen der alten Frau, die ihre Stirn runzelte.
>Niña, jetzt schau doch nicht so bedrückt.<
Ich löste mich aus meiner Starre, schluckte den letzten Bissen herunter und legte die Gabel beiseite.
>Wo kann ich mich ausruhen?< fragte ich bemüht ruhig zu sein.
>Ich bringe dich in dein Zimmer, querido.<
Schweigend folgte ich ihr und stand nach einer Weile des Gehens, mitten in einem Schlafzimmer.
Ein Ehebett stand auf der anderen Seite, darüber große Fenster. Ein Schrank auf der linken Seite und eine weitere Tür auf der rechten.
>Dort ist das Badezimmer.<
>Schläft er auch hier?< fragte ich säuerlich, als mein Blick zurück zum Bett wanderte.
>Eine Nacht vor der Hochzeit sehen sich die Verlobten nicht. Du kannst dich hier ausbreiten wie du möchtest.<
Mit diesen Worten ließ sie mich alleine und der Klang, als die Tür zu schlug, förderte das Gefühl der Einsamkeit.
Ich schnellte zum Bett, krabbelte bis zum Fenster und schaute hinaus. Ich hatte freie Sicht auf die Tore und etwas von dem, was dahinter lag. Nichts außer Sand und ein paar Sträucher. Es wirkte endlos. Das wir vor kurzem noch an einem Flughafen waren, mitten in der Stadt, wo es nur so trieb von Leben, war kaum vorstellbar. Hier war… nichts.
Innerhalb des Tores war ein Garten mit grünem Rasen und einem Pool mit klarem Wasser.
Kaum vorstellbar das alles hier.
Mich trennten vom Boden ungefähr fünf Meter.
Kein Wunder. So hoch, wie die Decken sind.
Ich wollte nicht mehr. Morgen würde mein Leben besiegelt sein. Ein Ehemann, der durch diese Heirat Profit in allerlei Hinsicht macht und ich, die zu allem `Ja und Amen´ sagen muss. Anders stelle ich es mir zumindest nicht vor.
Dann die Tatsache, dass ich nicht nur an diesen Mann vertraglich gebunden bin, sondern auch körperlich. Ich soll ein Kind gebären. Ein Kind. Das ist unvorstellbar.
Ich bin gerade siebzehn Jahre alt. Fast achtzehn, doch das `fast´ brachte mir nichts. Ich war weggelaufen, mit vierzehn Jahren! Der einzige positive Punkt war, dass ich alleine zurecht kam, mit dem Wissen, dass man mir eingeflößt hatte. Die einzige Sache, für die ich dankbar war. Keiner hatte mich entdeckt, ich bin alleine klar gekommen. Geld hatte ich mir von meinem Vormund genommen und es war nicht gerade wenig, was er besaß. Die Summe wäre für ihn nichts weiter als ein Fliegenhaufen gewesen.
Frustriert schmiss ich mich rückwärts auf das Bett und schlug mit den Fäusten in die Wolldecke.
>Fluchtweg. Wie finde ich einen verdammten Fluchtweg?<
Ich drehte mich auf den Bauch und vergrub mein Gesicht.
Mein Gehirn war wie leergefegt. Die Möglichkeiten einen Weg zu finden, gab es nicht mehr. Ich saß in der Falle und die Frage war: Wie kann ich dieser Falle entkommen?
Gar nicht.
Ich schüttelte den Kopf. Das durfte nicht sein. Ich hatte es schon mal geschafft, also wieso auch nicht ein zweites Mal?
Verzweiflung breitete sich in meinem Körper aus, nahm Besitz von mir, wie ein Dämon.
Ich stand auf und ging zum Badezimmer, wo ich Wasser in die Badewanne einließ und mich meiner Kleider entledigte.
Ich stieg in die Wanne und heißes Wasser verbrannte meine Haut, doch ich schreckte nicht zurück. Der Schmerz war mir gleichgültig geworden. Meine kupferroten Haare wurden glatt im Wasser, als ich abtauchte. Meine blasse Haut rötlicher. Meine Augen hatte ich geschlossen und die Luft angehalten. Die wenigen Geräusche, die von draußen zu mir drangen, verstummten und die Welt blieb stehen. Ich ertrank in diesem Gefühl. Alles erstickte von einem Moment auf den anderen. Die Luft in meinen Lungen wurde immer weniger und vor meinen Augen erschien ein Bild von Frieden. Der Druck löste sich immer mehr und mehr auf. Mein Herz wurde leicht und es fühlte sich so an, als würde ich wie eine Feder schweben. Ich ließ Luft aus meinen Lungen hinaus und übrig blieben mir wahrscheinlich ein paar Sekunden, in denen ich noch den Atem anhalten könnte.
Ich öffnete den Mund leicht und Wasser triefte zu meinen Lungen. Die Luft, welches man normalerweise durch die Nase einatmet, wurde von Flüssigkeit ersetzt und ich fühlte, wie mein Körper immer mehr hinab sank.
Ein Schrei ertönte und zwei Arme rissen mich aus dem Becken. Kalte Luft schlug mir entgegen und ich fing an zu husten. Gänsehaut bildete sich auf meiner Haut und die Ruhe, in der ich vorhin noch schwebte, war verschwunden.
>Pequeña, mach deine Augen auf.<
Ich wurde auf den Bauch gedreht und ich spuckte das restliche Wasser aus, welches noch in meinen Lungen war. Mein Husten ähnelte einem röcheln. Die Augen hatte ich zusammengekniffen, doch jetzt öffnete ich sie und stellte mit Entsetzen fest, was ich gerade versucht hatte.
Ich habe mich geschlagen gegeben. Ich wollte mein Leben geben, nur damit ich nicht weiterhin eine Marionette war.
Ich hatte verloren.
>Du verrücktes Mädchen! Komm zu sinnen.<
Die Stimme der alten Frau drang zu mir hindurch und ihre Hand klopfte auf meinen Rücken.
Eine andere Hand, wohl auch ihre, deckte mich mit einem Handtuch zu.
>Was ist hier los?<
Eine Männerstimme gesellte sich zu dem, von Abuela.
>Geh und hol warme Milch mit Honig. Das wird dich etwas beruhigen.< letzteres sagte sie zu mir.
Die schweren Schritte des Mannes hetzten die Treppen hinunter und wurden leiser.
>Setz dich auf, niña. Ich hole dir etwas zum überziehen.<
Sie half mir auf und noch schwer nach Atem ringend, saß ich auf dem kalten Boden.
Die alte Frau verschwand kurz im Schlafzimmer und kam kurz darauf wieder mit einem weißen Bademantel zurück, welches weich aussah.
>Komm, ich helfe dir< sagte sie, hielt meine Arme und zog mich hoch. Mit wackeligen Beinen stand ich, bemüht nicht auf den Boden zu fallen und der samtene Stoff zog über meine Haut, als ich den Bademantel mit Hilfe überzog.
Ich zitterte wie eine Drogensüchtige, die gerade auf Entzug war. Mein atmen wurde wieder gleichmäßiger, doch die angespannte Luft um mich herum immer stärker und drängender.
Tränen brannten heiß in meinen Augen und in meinem Hals steckte ein großer Kloß.
Wie hatte ich nur so schnell aufgeben können?
Ich blinzelte die Tränen weg und trotz des Kloßes in meinem Hals überwand ich die durchsichtigen Gitter um mich herum. Meine Beine wollten mich nicht tragen, weshalb ich mein Gewicht zum großen Teil auf meine Arme verlagerte, indem ich mich am Beckenrand abstützte.
>Nicht aufstehen, pequeña< sagte abuela und versuchte mich zu stützen, doch ich entriss ihr meinen Arm und ging langsam, Schritt für Schritt, in Richtung Schlafzimmer.
Die gedämpften Schritte die lauter wurden. Es war wie eine Kugel, die auf mich zu rollte und mich zu zerquetschen drohte. Wären meine Gedanken nicht bei meiner Willenskraft hängen geblieben, würde ich in Panik ausbrechen.
Der Mann, der in den Raum trat, hielt mir eine Tasse hin. Ohne diese anzunehmen, drehte ich mich weg und reckte mein Kinn in die Höhe.
>Ihr Verhalten bringt Sie noch eines Tages um, señora.<
Er sprach mit starkem Akzent und mit dem Ton, als wäre er enttäuscht von mir.
Fehlte nur noch ein mitleidiges Kopfschütteln.
>Mein Verhalten spiegelt nicht einmal ein Bruchstück meiner Wut wieder. Ihr seid alle gefühllose Mafiosen, die anderen Menschen ihren Willen aufzwingen, damit ihr bekommt, was ihr glaubt das es euch zu steht. Ich bin nur ein weiteres Puzzelstück in eurem Gesamtbild.<
Ich war außer mir und nicht gewillt mich zurück zu halten. Sie dachten, sie wären irgendwelche wichtigen Menschen, die die Menschen brauchten. Sie hielten sich für gottgleich, doch das einzige was sie waren sind Tyrannen, die Machtspielchen spielten. Sie waren niederträchtige Menschen, die nur einen Sinn in ihrem Leben sehen wollten. Nichts weiter.
Ein seufzen und dann sich entfernende Schritte. Das war meine Antwort.
>Liebes trink das aus und leg dich dann schlafen. Es wird ein anstrengender Tag morgen.<
Sie schaute mich ebenso mitleidig an, als sie zur Tür ging und einen letzten Blick zurück warf, ehe sie die Tür hinter sich schloss.
In mir brodelte es. Meine Gedanken kreisten um nichts anderes mehr.
Wegen diesen Menschen wäre ich fast gestorben. Ich hatte schon aufgegeben! Wie konnte ich mich nur unterdrücken lassen und aufhören zu kämpfen? Hatte ich die wertvolle Seite des Lebens schon vergessen? Wie konnte ich nur nachgeben und sie weiter tun lassen können, was sie taten? Ich muss etwas unternehmen. Sofort.
Ich bemerkte, dass ich immer noch zitterte, als ich aufstand und versuchte mit butterweichen Knien zum Schrank zu gelangen. Ich verfluchte mich selbst für diese Schwäche, die ich preisgegeben hatte.
Im Schrank hingen Kleider und auf den Regalen lagen ein paar Jeans, Shorts und T-shirts.
Ich zog mir eine Shorts und ein T-shirt über und nahm eine Jeans heraus. Draußen ist es zwar noch warm, doch wie ich vermutete würde es abends so eisigkalt werden, wie in meiner Heimat, wenn es Winter war. Die Temparatur könnte hier allerings nach 12 Stunden schon um 50° fallen. Ich fand einen kleinen Beutel, den ich mit der Jeans und einigen Kleinigkeiten füllte, die mir helfen könnten zum überleben. Die Träger des Beutels waren lang genug um sie zu befästigen. Ich riss ans Ende der Tüte ein Loch hinein, legte es um mein Bauch, zog die Träger durch das Loch und Band einen festen Knoten, bis ich mir sicher genug war, dass es halten würde. Ich zog mir meine Schuhe an, die mir einen Vorteil beim Laufen verschaffen würden und band eine Strickjacke um meine Hüften. Ich traute mich nicht ins Badezimmer, da mich das Geschehen von vorhin zu sehr erschreckte.
Nie wieder werde ich mein Leben so leichtfertig aufgeben. Für niemanden!
Ich schlich zur Tür und lauschte, bis ich mir sicher war, dass keiner in der Nähe war. Die linke Hand hielt ich an der Tür gepresst und mit der rechten Hand drückte ich die Türklinke langsam herunter, ohne mein Ohr von der Tür weg zu bewegen. Ganz kurz quitschte die Tür, worauf hin ich meine Augen zusammenkniff und wieder öffnete, als die Tür einen Spalt breit offen war. Gerade noch so, um durch zu kommen. Als ich raus spähte entdeckte ich niemanden und ging leichtfüßig hinaus und dann die Treppen hinab. Im langen, verzweigten Flur erschien plötzlich eine Person und ich duckte mich hinter der Wand, die die Treppe und den Flur trennte. Die Schritte waren schnell und unnachgiebig. Genauso schnell wie die Person gekommen war, verschwand sie auch wieder.
Ich wartete noch einige Sekunden um ganz sicher zu sein, dass mich niemand abfing und als die Luft rein war, tapste ich leise durch die Gänge. Ich wusste nicht, wo ich mich befand oder welcher Weg mich nach draußen brachte. Es war reine Instinktsache. Such den hellsten Weg und der führt dich hier raus, doch es war schwer, da alles ziemlich gut beleuchtet wurde, da es eigentlich sehr offen war. Ein Nachteil war, dass die Fenster sich nicht wie eine Tür öffnen ließen. Ich schlängelte mich mal nach rechts, mal links und vor mir tauchte eine Tür auf die meine Hoffnung aufkeimen ließ.
Ich öffnete sie genauso wie die in `meinem´ Zimmer und als ich reinblickte und niemanden sah, schlüpfte ich in den Raum. Auf der mir gegenüberliegenden Seite war eine Fensterwand und eine Verandatür, die hinaus führte - in die Freiheit.
Ich schloss die Tür hinter mir und ging ein paar Schritte in die Richtung, die mich wie ein Magnet anzog und plötzlich ging eine andere Tür auf.
Ich schreckte auf und aus Reflex versteckte ich mich in der nächst besten Ecke, doch die Person hatte mich schon entdeckt, denn die Stimme flüsterte: >Spielst du mit jemandem verstecken?<
Ich zog die Augenbrauen zusammen und dachte meine Ohren würden mich täuschen.
Ein Augenpaar schaute mich aus dem Gesicht eines Jungen an. Schätzungsweise hätte ich gesagt, dass er 8 Jahre alt war. Er ging mir gerade mal bis zu meinem Bauch und er sah so zierlich aus, das man befürchten müsste das er bei auch nur einer kleinen Berührung zerbricht.
Ich ging in die Hocke, hielt mit einer Hand seinen linken Arm fest und mit der anderen deutete ich ihm leise zu sein, in dem ich meinen Zeigefinger an meine Lippen führte.
>Darf man dich nicht finden?< flüsterte er und schaute mich aus dunklen braunen Augen an, die so groß erschienen, dass man in sie hätte einsinken können.
>Ja, deswegen darfst du auch niemandem sagen, das du mich gesehen hast. Okay?< Ich lächelte ihn leicht and und er nickte.
Ich lächelte ihn noch einmal an, ehe ich zur Verandatür schlich und diese leise öffnete. Heiße, schwüle Luft strömte mir entgegen und umhüllte meinen Körper. Ohne mich umzuschauen, schaffte ich es unbemerkt über das Grundstück zu rennen und musste nur noch die hohen Tore überwinden. Ich strich mir die einzelnen Strähnen aus dem Gesicht und fasste die geschnörkelten Metallstäbe mit festem Griff an und zog mich stück für Stück hoch. Es fühlte sich so an, als ob sich die Metallstäbe in meine Hand einbrennen würden. Jeder Meter, der mich meinem Ziel näher brachte, erfüllte mich mit Glück und schon nach kurzer Zeit schwang ich meine Beine auf die andere Seite und kletterte schneller runter.
Texte: Die Charaktere und die Geschichte ist meiner Feder entsprungen und daher liegen alle Rechte bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 10.03.2014
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