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Prolog

 

Der kühle Wind wehte durch meine Haare, während ich auf das Dach des alten Gebäudes kletterte.

Mit einem Ruck stieß ich mich an der Kante ab und zog mich mit etwas Mühe hoch. Ich spürte das leichte Kribbeln an meinen Schulterblättern, was ich versuchte zu unterdrücken. Ich krabbelte auf Knien nach oben und setzte mich erschöpft hin, wobei ich meine Beine an meinen Körper zog und meine Arme darum legte.

>Das ist mein letzter Wunsch.< waren seine letzten Worte gewesen und dann war er... fort. Er wusste, was auf ihn zukommen würde und er hat nichts dagegen getan. Sich nicht gewehrt, um Hilfe gefleht oder mir gesagt, was mit ihm passieren würde. Gar nichts.

Ich rief mir seine warmen Arme in Erinnerung, die mich stark umschlossen und mir ein Gefühl von Sicherheit gegeben hatten. Sein Geruch, der mich angenehm in eine Wolke einhüllte und mir versicherte, dass er da war... Doch jetzt würde ich das alles nicht mehr spüren können.

Der Mond schien auf mich hinab und die Lichter der Stadt leuchteten zu mir hoch. Bunte Farben tanzten wild umher und warme Luft umschlang mich. Wäre der kühle Wind nicht gewesen, wäre ich der unerträglichen Hitze ausgeliefert. Gelächter, wirres Stimmengewirr, Musik und das aufheulen der Motoren und Autos drangen gedämpft zu mir durch. Es war, als würde sich eine Mauer um mich erstrecken und alles, was nicht innerhalb dessen war, würde ungeduldig dagegen klopfen.

>Ich will, dass du erfährst, was Liebe ist. Ich will, dass du deinen Geliebten findest. Deinen Gefährten.< Ich hatte ihn ungläubig angeschaut und gedacht er macht Witze, doch er würde es in solchen Situationen nicht machen. Das war nicht seine Art.

>Ich verstehe nicht< sagte ich flüsternd, mit kratziger Stimme.

>Du weißt, dass jeder nach seinem Gefährten sucht. Jeder Engel und die meisten haben schon welche. Du hast es dir immer gewünscht und jetzt musst du die Wahrheit erfahren. <
 Seine Stimme drang so fest und ernst zu mir durch, dass ich Gänsehaut bekam.

>Jamie, ich verstehe nicht<

>Du warst nicht immer so schwach. Deine Mutter war eine angesehene Schattenjägerin. Sie hat immer gegen die weißen Engel gekämpft und du warst schon immer so wie sie. Stark, Mutig und die beste Kämpferin, die der Himmel je zu Gesicht bekam. Du hast die weißen, bösen Engel verabscheut, doch dann, eines Tages hast du angefangen immer länger weg zu bleiben. Ich habe mir Sorgen gemacht und bin dir gefolgt. Als ich dich darauf angesprochen hatte, hast du alles verneint und nur gesagt, du bräuchtest auch mal Zeit für dich, doch ich wusste etwas stimmte nicht. Dann, in den Tiefen der grauen Wälder, habe ich dich gesehen. Mit ihm. Einem weißen Engel, dessen weißen Flügel blau schimmerten. Das genaue Gegenteil von dir. Deine waren schwarz und schimmerten rot. Wasser und Feuer. Tag und Nacht, nur dass nicht wir die bösen Engel sind. Es sind die, die scheinen, als wären sie gut. Ich habe dich darauf angesprochen und du hast angefangen zu weinen, weil du verzweifelt warst und dann hat uns jemand verraten. Der Engelsrat hat nichts geglaubt, doch als dann falsche Beweise aufkamen und deine Mutter ermordet wurde, da haben sie dich zu sich gerufen und bestraft. Nach dem du< er stockte abermals und holte tief Luft >genug gelitten hattest, haben sie dir deine Erinnerungen genommen und jedem verboten, darüber zu sprechen. Sie haben Siegel auf jeden einzelnen Engel verschrieben, doch ich konnte dem entgehen. Ich weiß nicht wie. Vielleicht war es der Wille, dir zu helfen, aber es hat funktioniert und jetzt will ich, dass du ihn findest. Ich kann nicht mehr mit ansehen, wie traurig du bist und in dich zusammenkehrst und noch nicht einmal den Grund dafür kennst. <

Ich spürte, wie die Tränen in meinen Augen brannten. Wie in jener Nacht, als er mir alles beichtete.

>Ich will, dass du glücklich bist und du die Person findest, die dich glücklich macht. Das ist mein letzter Wunsch...<

 

 

 

Ankommen

 

Ich schulterte meine Reisetasche und stand auf. Der Zug, in dem ich an meinen Zielort gebracht wurde, war von innen mit Graffitis und Aufklebern volltapeziert. Nur ein Mensch, ein Obdachloser, saß darin mit zerlumpten Klamotten und starrte auf den Boden. Die Lichter an der Decke flackerte und beleuchteten den engen Gang in einem gelblichen Ton. Es roch innendrin nach Alkohol, welches in meiner Nase brannte.
>Bitte steigen sie rechts aus< ertönte die kratzige Stimme des Zugfahrers, die klang, als ob er krank wäre. Nicht verwunderlich in dieser Umgebung.
Der Zug hielt langsam an und als sich die Türen öffneten, quietschte es ohrenbetäubend.
Ich stieg aus und schaute mich im Bahnhof um. Es sah ähnlich wie im Zug aus. Graffitis und Aufkleber überall. Gelblich flackernde Lichter. Der einzige Unterschied war, dass niemand hier war.
Als wäre dieser Ort eine verlassene Gegend, die zum Scheitern verurteilt wurde.
Ich stieg die von Schmutz geschwärzten Treppen hinauf, um in die Stadt zu gelangen.
Der Himmel breitete sich über mir aus. Die Sonne, die normalerweise scheinen sollte, wurde von grauen dichten, Wolken bedeckt. Die Luft wehte kalt zu mir herüber und eine Gänsehaut breitete sich an meinen Armen aus.
In allen Ecken wimmelte es von Menschen, die sich ihre Hände am Feuer wärmten, die in einer Tonne lichterloh tanzten.
Jungs in schwarzen Lederjacken liefen auf der anderen Seite der Straße. Ich kam mir vor, wie in einem Film.
Und hier soll ich meinen Geliebten finden? Vielleicht hat sich Jamie ja auch getäuscht?
Ach was redest du da? Du weißt doch, dass sich Jamie nie täuschte. Egal um was es geht, er behielt immer recht…
Ich schüttelte den Kopf, um die Zweifel loszuwerden und ging in ein Gebäude, das noch geradewegs so aussah, als wäre es ein Café.
Ich schaute nach links und rechts, doch weit und breit waren keine Autos zu sehen.
Ich ging rüber und drückte die Metalltür auf, die mit einem glockenähnlichen Klingeln mein Eintreten deutete.
Es sah aus wie in den sechziger Jahren. Der Tresen wurde von einer Angestellten gesäubert und an einzelnen Tischen saßen ein paar Leute, doch eine Truppe war lauter und zog meine Aufmerksamkeit auf sich.
Es waren die Jungs, die ich gerade eben gesehen hatte.  Einen nach dem anderen musterte ich. Der eine hatte dunkelblonde Haare und schokoladen braune Augen. Seine Haare waren hochgegeelt, was allerdings sehr gut aussah. Der zweite hatte blaugefärbte Haare, die zur Seite gegeelt waren. Hellbraune Augen mit fast schwarzen Sprenkeln unterstrich sein gutes Aussehen. Der dritte hatte dunkelbraune Haare. Graubraune Augen strahlten, als er lachte. Der vierte hatte hellblonde Haare und blaue Augen, die mit leichten braunen Sprenkeln besetzt waren, ihn aber ernst aussehen ließen. Der fünfte saß zurückgelehnt und lauschte, als würde er nicht zur Gruppe gehören. Er hatte weiß-blonde Haare. Naja, mehr weiß als blond, die sein Gesicht umspielten. Grüne Augen, die so aussahen als würden sie im Licht funkeln wie ein Smaragd, sahen mich plötzlich an. Seine Miene war ausdruckslos geworden und ich spürte seine Blick auf mir, die mir einen kalten Schauer über meinen Rücken jagten.
Der sechste, der fast genauso aussah wie er, schaute auch in meine Richtung, als er den Blick des fünften Jungen bemerkte.
Er hatte rabenschwarze Haare, die im Licht blau reflektiert wurden. Seine Augen waren aber im Gegensatz zu meinen Ozeanblauen Augen, Meer blau.
 Der Junge verengte etwas die Augen und fing mich genauso an zu mustern, wie der andere.
Und als ob das nicht reichte, drehte sich jetzt die komplette Gruppe um und schaute mich an.
Ich wandte sofort mich ab und ging zu der Kellnerin rüber, die mit dem Säubern gerade fertig geworden war.. Ihr Parfüm verdrängte die frische Luft, die langsam aus meinen Lungen wich, als ich den Duft einatmete.

Weniger ist mehr, noch nie etwas davon gehört?
>Was kann ich ihnen bringen?< fragte sie kaugummikauend. Sie meinte zwar mich, aber ihre Blicke waren auf die Jungs geheftet.
>Ein Kaffee, schwarz, bitte. < Sie nickte und drehte sich um, um die dunkle Flüssigkeit in einen Becher zu füllen.
Währenddessen schaute ich mich kurz um und entdeckte einen Aushang, wo Wohnungen und Jobs angeboten wurden.
Er hatte gesagt, ich würde ihn nicht sofort erkennen, was hieß, dass ich hier erst einmal eine Weile verbringen musste.
>Hier< sagte sie schroff, schob mir meinen Becher rüber und nahm ihr Handy in die Hand, um los zu tippen wie eine Wilde.
Ich nahm die dampfende Tasse in die Hand und roch daran, bevor ich zu den Angeboten rüber ging, die an einer Tafel hingen.
„Suchen WG-Mitglied. Günstiger Mietpreis + Nebenkosten.“

Skepsis machte sich in mir breit, weil nichts anderes als das und die Anschrift dort standen.
Ich riss mir einen Schnipsel ab und setzte mich an einen Tisch, als ich keinen Job fand, der meinen Vorstellungen glich.

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
>Es ist so heiß hier. Bist du das?< sagte eine etwas tiefe Stimme hinter mir. Ohne mich umzudrehen, verdrehte ich die Augen.
>Geh duschen. Das kühlt ab< sagte ich achselzuckend.
  Lachen ertönte im Hintergrund und ich drehte mich um, um zu sehen, wer mich angesprochen hatte.
Das war der Typ mit den blonden Haaren und den schokoladen braunen Augen.
Ich nahm meine Kapuze runter, die ich die ganze Zeit auf hatte.
Meine naturroten Haare umspielten lockig meine Taille, als sie nach hinten fielen.
Ich hatte sie die ganze Zeit verdeckt gehalten.
>Yo, Kasimir! Anscheinend färbt sie sich genauso gern wie du, sich die Haare.< rief ihnen der Typ namens Yves dem Jungen zu.
Also heißt der blau Haarige, Kasimir.
>Die sind nicht gefärbt.< sagte ich nur kurz und stand auf, als ich zum Tresen ging um zu bezahlen. Mein Becher war noch halbvoll, aber ich musste mich beeilen, weil es gleich dunkel wurde und ich langsam spüren konnte, wie meine Schulterblätter anfingen brennend zu kribbeln. Wenn es nachts wurde, dann war es fast immer der Fall, dass meine Flügel zum Vorschein kamen, weil die Pflicht eines Engels war, nachts die Menschen zu beschützen. Ich sah noch einmal zum Tisch rüber und bemerkte wieder die Stechenden Blicke der beiden Jungs, die eine Ähnlichkeit aufwiesen.
Meine Reisetasche schulterte ich mir beim gehen und ging wortlos hinaus in die Kälte.
Ich zupfte mein Handy aus meiner Jackentasche und rief die Nummer an, die auf dem Zettel stand, den ich vom Aushang mitgenommen hatte.
>Hallo?< meldete sich eine rauchige, dunkle Stimme.
>Hallo. Ich habe ihre Anzeige wegen einer WG gesehen und ich wollte fragen, ob dieses Angebot noch steht.<
>Natürlich. Wann wollen sie denn vorbeikommen?< kam es freundlich aus der anderen Leitung.
>Wie wärs mit jetzt?< fragte ich und hoffte, dass er keine Probleme damit haben würde.
>Okay, ich freue mich. Haben sie die Adresse?<
>Ja< sagte ich und schaute gen Himmel. Die Wolken zogen verschwörerisch schnell an mir vorbei und ich hatte den leisen Verdacht, dass es heute Gewitter geben würde.
>Dann, bis gleich< kam es noch, bevor er auflegte.
Ich seufzte und ging zu der Straße, wobei ich die Graffitis ansah, die die grauen, kalten Betonwände schmückten.
Als ich das kleine Schild sah, wo die Straße drauf stand und das Gebäude betrachtete, wo die Nummer zusehen war. Die grauen Gesteine waren beschmutzt und manche Fenster eingeschlagen. Ich stockte und plusterte die Wangen auf.
>Na das ist doch mal ein guter, erster Eindruck, was?< fragte ich mich selber und ging zu der Tür, die eiskalt unter meiner Haut war, als ich sie aufstieß und es ein knarrendes Geräusch von sich gab.

Mit langsamen Schritten ging ich durch den düsteren Flur und stieg die Treppen hinauf. Das Treppenhaus wurde nur durch das neon-gelblich flackernde Licht beleuchtet. Die Wände waren grau und alles in allem, erinnerte mich es eher an ein Spukhaus. Ich hielt die Luft an, weil ich unsicher wurde. Unsicher, ob ich hier anfangen sollte. Wer weiß, was mich in der Wohnung erwartet?
Ich blieb vor einer Tür stehen, die sich nur ein paar Meter vor der Treppe erstreckte.
Zaghaft klopfte ich und kurz darauf hörte ich Schritte, die sich näherten.
Ich biss auf meine Unterlippe und spielte unruhig mit meinen langen Fingernägeln. Die Schritte wurden immer lauter und schließlich wurde die Tür geöffnet und ein großer Mann lächelte mich an. Ich würde schätzen, er war um die zwanzig Jahre alt. Er hatte Tattoos an seinen Unterarmen, die anscheinend bis zu seinen Oberarmen hinauf kletterten, doch genau konnte ich es nicht erkennen, da er die Ärmel des schwarzen Hemdes nur bis zu seinen Ellenbogen gekrempelt hatte.
Ein Adler mit geschwungenen Flügeln erstreckte sich auf seinem linken Unterarm. Es war nur ein hauch Farbe dabei, der Rest schien düster. Ich fühlte mich plötzlich komisch. Es schien, als würde mich der Adler ansehen und nach mir greifen wollen und als würden sich auf seinem anderen Unterarm die Dornen der Rosen in sein Fleisch bohren. Der Totenkopf, um den der Rosenkranz gewickelt war, schien noch gruseliger, doch ich ignorierte die Tatsache, dass sich Unruhe in mir breit machte.
>Kann ich dir helfen?<
Die rauchige Stimme drang gewaltsam zu mir durch und ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken los zu werden.                                                                                  

>Ich meine ja< sagte ich hastig, als er mein Kopfschütteln falsch aufzunehmen schien.
>I-ich habe angerufen. Das freie Zimmer?< Ich fühlte mich unwohl in meiner Haut und unsicher noch dazu.
Seine graublauen Augen schienen mich zu mustern, was mir gar nicht gefiel.
>Ich würde sagen, du kommst erst einmal rein und schaust dir das Zimmer an. Wenn es dir gefällt und du gerne hier wohnen wollen würdest, dann können wir ja kurz über die Formalitäten reden und dann kannst du auch sofort einziehen. Also je nachdem, wie es dir passt.< Ich nickte und als er einen Schritt zur Seite trat, ging ich an ihm vorbei. Die Blicke auf meinem Rücken waren unerträglich, weshalb ich mich sofort wieder zu ihm umdrehte.
Wir beide schwiegen und etwas Unangenehmes füllte die Luft um uns, doch keiner sagte was. Er war mit seiner Musterung immer noch nicht fertig, wobei ich mir erlaubte ihn ebenfalls in Betracht zu nehmen.
Seine Augen schienen viel gesehen zu haben, weswegen sie aussahen, als wären sie ein Schloss, zu dem man keinen passenden Schlüssel hatte. Er hatte harte Gesichtszüge, was sehr angst einflößend aussah, mich aber nicht mehr so abschreckte. Seine dunklen Haare waren verwuschelt, was so wirkte, als wäre er vor kurzem erst aufgestanden.
Seine Schultern waren breit und unter dem Hemd konnte man seine Muskeln sehen, die wohl hart trainiert worden waren. Darunter hatte er einfache schwarze Jeans und weiße Turnschuhe, die aussahen wie neu.
Als ich wieder hoch schaute sah ich direkt in seine Augen, die auf meine herab blickten, da er viel größer war als ich.
>D-das Zimmer<versuchte ich mit fester Stimme herauszubringen, wobei es aber kläglich scheiterte.
>Natürlich. Den Gang runter, die letzte Tür rechts. Ich würde mal sagen, du gehst alleine dahin, um in Ruhe darüber nachdenken zu können<

Ich atmete tief ein und nickte. Als ich mich umdrehte konnte ich die Schritte hören, die sich von mir entfernten und langsam stieß ich die Luft wieder aus.
Ich ging durch die breiten Flure, die zu meiner Verwunderung sehr stilsicher eingerichtet war. Es war sehr lang und schien fast endlos. Als ich endlich die letzten paar Meter weiterging, erreichte ich die Tür, die zu dem Zimmer führte, wo ich vielleicht einziehen würde.
Ich öffnete die angelehnte Tür und meine Augen weiteten sich. Das Zimmer war groß und in weiß gestrichen. Ein Fenster schmückte die gegenüberliegende Wand. Ein großes Bett stand vor dem Fenster und schwarze Gardinen umgaben sie von beiden Seiten. Ein großer, schwarzer Schrank stand rechts an der Wand und ein Schreibtisch an der linken Seite.
Ich war wahrlich beeindruckt und für mich stand fest, ich würde hier einziehen.
Ich atmete tief ein und aus und schloss meine Augen, um die Gedanken zu verdrängen, die mich an Jamie denken ließen.

Jamie...

 

 

 

 

Joaquin

Ich ging zurück ins Wohnzimmer und suchte mit meinen Augen nach dem Mieter, den ich dann bei der offenen Küche entdeckte.
 Die Kälte, die meine Hände umgab machte sich bei mir bemerkbar und ich ließ sie in meine Sweatjacke gleiten.

>Und hast du dich entschieden?<

Ich nickte.

>Das Zimmer gefällt mir<

Er sah mich abwartend an und dann verstand ich, dass das für ihn noch keine endgültige Antwort war.

>Das soll heißen, dass ich hier gerne einziehen würde< gab ich ihm zu verstehen, worauf er lächelte und mir deutete, ihm auf das Sofa zu folgen.

Wir setzten uns hin und ich drehte mich zu ihm um.

>Bevor du etwas unterschreibst, würde ich sagen, ich kläre dich kurz auf.<

Stumm nickte ich wieder.

>Also dein Zimmer hat insgesamt 23 Quadratmeter. Die Miete beträgt 350 Euro. Partys werden hier nur mit Absprache der anderen Mitbewohner gefeiert. Hier wohnen insgesamt drei Leute, mit dir wären wir dann vier. Alles verstanden?< fragte er freundlich und ich nickte.

>Hast du noch Fragen?<

Ich holte tief Luft und kaute auf der Unterlippe, bis mir etwas einfiel.

>Der Vermieter hat nichts dagegen?<

>Nein, habe ich nicht<

Abermals nickte ich, was sollte ich denn sonst sagen?

>Und?<

>Ich würde hier gerne einziehen< sagte ich kurz und gab dem Mann meine Hand, als er sie mir entgegenstreckte.

>Dann fehlt nur noch deine Unterschrift auf dem Mitbewohnervertrag<

Er schob mir einen Zettel hin und als ich es entgegen nahm, las ich es mir erst einmal durch. Das stand eigentlich nichts anderes als das, was er mir gesagt hatte drin. Ich unterzeichnete nur mit meinem Nachnamen und überreichte ihm den Vertrag, den er in einen Ordner einheftete, den ich gar nicht bemerkt hatte. Wieder reichte er mir die Hand und ich streckte ihm meine entgegen.

>Dann heiße ich dich hier herzlich willkommen und die anderen Jungs lernst du dann heute Abend kennen, schätze ich.<

Ich zog meine Hand zurück und nahm meine Tasche.

>Sollen wir dir eigentlich helfen?<

Ich drehte mich um und sah ihn fragend an.

>Naja, wenn man umzieht dann braucht man doch Hilfe, wegen den Sachen< sagte er weiterhin lächelnd.

Meine Tasche ist eigentlich eine Sporttasche und dort waren alle lebenswichtigen Sachen drin, die ich brauchte.

>Danke, ist lieb gemeint, aber ich habe für euch keine Umzugskartons, die ihr schleppen könnt. In der Tasche ist alles drin.<

Er sah mich irritiert an.

>Tut mir leid, wenn ich frage, aber wissen deine Eltern überhaupt, dass du hier bist?<

Ich wusste erst nicht, was ich sagen sollte. Meine Mutter war tot, meinen Vater hatte ich nicht kennengelernt und in einem Heim bin ich auch nicht aufgewachsen...

Du hättest dir vorher einen Plan überlegen sollen, Meo!

Frustriert schüttelte ich den Kopf.

>Ich will mich nicht einmischen, aber dann würde ich dir raten, dass du deine Eltern anrufst. Egal was ist, sie sterben bestimmt vor Sorge.<

Wieder sah ich ihn irritiert an, bis mir der Gedanke kam, dass er mein Kopfschütteln wohl falsch gedeutet hat. Mal wieder.

>Nein. Du hast mich, glaube ich, falsch verstanden. Meine Eltern sind tot, also denke ich nicht, dass sie sich noch Sorgen machen.<

>Das tut mir leid. Entschuldige, ich hätte nicht fragen sollen.<

Ich zuckte mit den Achseln und lächelte ihn aufmunternd an.

Unangenehme Stille kehrte ein. Der Mann, dessen Namen ich immer noch nicht wusste, kratzte sich verlegen am Hinterkopf und schaute auf den Boden.

Um die Situation aufzulockern und um die Frage, wie er hieß zu beseitigen, fragte ich ihn und als er meine Stimme hörte, schaute er wieder auf.

>Joaquin und du?<

>Nenn mich Meo<

>Ist das eine Abkürzung?<

>Nein, das ist mein zweiter Vorname<

>Und dein erster?<

>Vera<

>Beide Namen sind sehr schön< sagte er lächelnd

>Danke< erwiderte ich und zeigte in Richtung Flur.

>Ich gehe mal in mein Zimmer dann.<

Er nickte und schon verschwand ich, um in mein neues Reich zu gelangen.

Die Tasche ließ ich von meiner Schulter gleiten und sogleich fiel es mit einem dumpfen Aufprall auf den Boden.

Wie wird mein Weg wohl aussehen?

Ich bin noch Minderjährig, im Menschenalter zumindest und daher muss ich wohl noch zur Schule gehen. Waren noch Ferien?

Ich setzte mich auf das große Bett und schaute die Wand gegenüber mir an. Einzelne Gedanken rasten chotisch durch meinen Kopf.

Du weißt noch nicht einmal, ob Ferien sind und auch sonst hast du keinen Plan, wie du vorgehen sollst. Also, was willst du machen?

Ich tippte mit dem Finger auf die Decke und atmete hörbar aus.

Die Situation ist doch zum Haare raufen! Ich habe gar nichts überdacht und ich weiß noch nicht einmal, ob ich hier richtig bin!

Rückwärts schmiss ich mich auf das Bett und schloss die Augen.

Wie lange bist du schon wach?

Ich schüttelte den Kopf, denn die Vormalitäten hatten den Vorrang.

Ein paar Stunden werden dir schon nichts tun. Es ist nur zu deinem Besten.

Das Kribbeln an meinen Schulterblättern machte sich bemerkbar und sofort riss ich die Augen wieder auf und saß Kerzengrade im Bett.

>Verdammt< fluchte ich und stand auf, um aus dem Zimmer zu gelangen.

Im Wohnzimmer sah ich Joaquin nicht, doch als ich in die offene Küche schaute, stand er am Herd und kochte irgendetwas.

>Ich wollte fragen, ob ich einen Schlüssel für die Wohnung kriege< sagte ich laut genug, sodass er sich verwundert zu mir umdrehte.

>Ganz kurz< sagte er und ging an mir vorbei in den Flur, wo er hinter einer Tür verschwand, doch kurz darauf tauchte er wieder auf und reichte mir einen schmalen Bund.

>Wo willst du denn um diese Uhrzeit noch hin?< fragte er neugierig und zog die Augenbraue hoch.

>Spazieren< sagte ich Monoton und zog die Jacke enger um mich.

Den Schlüssel stopfte ich in meine vordere Hosentasche und das Kribbeln wurde immer stärker.

>Das solltest du nicht. Es ist Nachts sehr gefährlich< rief er mir hinter her, als ich zur Haustür hastete.

>Keine Sorge, ich bin schon ein großes Mädchen< sagte ich lächelnd, ehe die Tür sich hinter mir schloss.

Im Treppenhaus begegnete ich niemandem und als ich draußen angelangte rannte ich in eine kleine Gasse, wo ich niemanden vermutete.

Ich spürte, wie die Luft um mich herum immer wärmer wurde und die kalte Luft keinen Platz mehr hatte. Die Hitze umhüllte meinen Körper und das Kribbeln wurde noch stärker. Es fing an zu schmerzen, doch auf eine erträgliche Art und Weise.

Ein Wirbelwind entstand um mich herum und meine Haare flogen in die Höhe, wobei meine Augen brannten und Tränen in diese schossen, wo sie dann überquollen und über meine Wangen liefen.

Plötzlich hörte es so schnell auf, wie es gekommen war und ich öffnete meine Augen.

Meine Flügel waren schwarz und ein rot Schimmer lag auf ihnen. Meine Haarfarbe hatte sich geändert und fiel mir schneeweiß über die Schultern. Ich konnte zwar nicht meine Augen sehen, doch ich hatte mich schon mal im Spiegel gesehen. Es war lange her, doch die Erinnerung an meine erste Verwandlung hatte sich in mein Hirn gebrannt. Meine Augen hatten mich aus meinem Spiegel angeschaut und meine Pupillen waren rot gewesen, die in das grüne meiner Augen überlief.

Ich atmete die veränderte Luft um mich herum ein, welches nach Frühling roch und stieg dann in den Himmel empor. Der Wind wehte mir durch die Haare und in meine Augen, doch das machte mir nichts mehr aus.

Unten auf der Erde in den einzelnen Gassen konnte ich nichts wahrnehmen, bis ich mit meinem übersinnlichen Gehör Geräusche in einem Industriegebäude wahrnahm.

Schreie einer Frau, die sehr zu leiden schien und nach Hilfe rief.

Sofort flog ich tiefer und landete auf dem Dach der Halle. Geschickt kletterte ich an der Wand runter bis zu einem Fenster, welches etwa fünf Meter über dem Boden war. Dort stützte ich mich ab und beobachtete das Geschehen.

Die Frau, die zuvor geschrien hatte, weinte bitterlich und saß auf dem Boden in sich zusammen gesunken.

>Bitte, ich gebe ihnen alles, was sie wollen. Lassen sie mich aber am Leben!< rief sie verzweifelt und schluchzte kurz darauf. Um sie herum standen drei Gestalten, die gefährlich aussahen. Doch anstatt irgendwelche albernen Masken zu tragen, wie es viele Verbrecher heut zu tage machten, hatte jeder jeweils nur eine Sonnenbrille auf.

Im ernst? Partnerlook?`

Alle drei Männer hatten schwarze Lederjacken, sowie schwarze Hosen an. Zugegeben standen sie ihnen sehr gut. Das Einzige, was die drei voneinander unterschied waren die Schuhe.

>So jemand wie du hat es nicht verdient zu leben< zischte einer der drei.

>Ich weiß nicht einmal, was ich getan haben soll!< sagte sie verzweifelt und schluchzte weiter.

>Du tust so unschuldig, dabei bist du ein verlogenes Biest. Unserem Boss schöne Augen machen und rum nerven wie eine schwer verliebte und ihn dann aushorchen, um ihn bei seinen Gegnern zu verraten? Nicht mit uns, Schätzchen< sagte einer und wollte gerade die Waffe zücken, die an seinem hinteren Hosenbund steckte, doch so nett wie ich bin, hatte ich sie ihm weg genommen, damit er nicht mehr Schaden anrichten konnte.

>Wo-< sagte der und tastete seinen hinteren Körperteil ab.

Meine Flügel fingen an zu glühen und verschwanden in Rauch, als ich mit dem Spielzeug in meiner Hand den Mann von hinten ansah. Er war größer als ich und dem entsprechend gut trainiert.

>Wir wollen doch niemanden ernsthaft verletzen?< fragte ich und sofort drehten sich die drei Partnerlook-Träger zu mir um und die Frau, die auf dem Boden zusammengesackt saß, schaute mich aus roten, verquollenen Augen an.

Die Blicke aller Anwesenden weiteten sich.

>Das geht dich nichts an< zischte der Typ, der rechts von der Truppe stand.

>Das glaube ich nicht< sagte ich lächelnd.

>Verschwinde, bevor dir etwas geschieht!< zischte jetzt der in der Mitte.

>Hey, ich bin neutral.< sagte ich und hob die Hände, die Waffe nicht aus der Hand gelegt.

Bei meinen alten Rettungsaktionen wurde meine neutrale und gewaltfreie Hilfe nicht so oft angenommen und dann endete alles doch etwas schmerzlicher, als gewollt und das ich mir bei den Aktionen auch Verletzungen einholte, blieb nicht immer aus.

>Okay, ich würde sagen, ihr drei verschwindet und lasst dieses Mädchen in Ruhe.< sagte ich dieses Mal ernster.

Herausfordernd sah ich sie an und Blickkontakt wurde unter ihnen ausgetauscht. Mein Aussehen schien doch etwas angsteinflößender zu sein, denn sie verschwanden. Es kam mir allerdings etwas komisch vor, dass sie ohne Wiederworte verschwanden.

Das war viel zu leicht...

Die Waffe zwischen meinen Händen löste sich genau so in Rauch auf, wie meine Flügel es getan hatten. Meine Aufmerksamkeit war wieder auf die Frau gelenkt, die in der Zwischenzeit nichts von sich gegeben hatte und weiterhin auf dem kalten Boden saß.

>Wer bist du?< fragte sie verängstigt.

>Ein Engel< antwortete ich auf ihre Frage, mit dem Gewissen, dass sie sich sowieso daran nicht mehr erinnern würde.

Ich reichte ihr meine Hand und zog sie auf die Beine, worauf ich sie stützte und so lange an ihrer Seite blieb, bis ich mir sicher war, dass sie auch ohne meine Hilfe stehen konnte.

>Mädchen sehen viel hübscher aus, wenn sie lächeln< sagte ich und wischte ihr die Tränen weg.

Sie schien unter Schock zu stehen, weshalb es nicht wirklich verwunderlich war, das sie nicht reagierte.

Ich stellte mich vor sie hin und schaute ihr tief in die Augen.

>Du wirst vergessen, was passiert ist. Du wolltest nur einen kleinen Spaziergang machen, bis du plötzlich hier gelandet bist und jetzt gehst du Heim und legst dich hin, weil du plötzlich ganz müde bist< sagte ich und ihre Pupillen spiegelten die röte in meinen Augen wieder und genauso schnell, wie sie erschienen waren, verschwanden sie und sie nickte.

>Jetzt lächel etwas<

Sie tat wie befohlen und ging dann, ohne sich umzudrehen.

Es war wie ein Sensor. Ich muss versuchen, meine Flügel unter Kontrolle zu kriegen. Schließlich kann ich nicht immer zur Stelle eilen, wenn jemand abends meine Hilfe braucht!

Ich schloss meine Augen und kurz darauf spürte ich, wie das warme Kribbeln an meinen Schulterblättern immer mehr an Hitze zunahm, bis die schwarzen Flügel auftauchten und mich sogleich in den Himmel beförderten.

Die Stille der Nacht umgab mich sanft. Ich liebte es, wenn es dunkel war und der Mond in voller Größe zu sehen war. Schwarze, wie Rauch aussehende Wolken, die den Mond in einen Mantel einhüllten und dazu die frische Frühlingsbrise in meiner Nase, selbst wenn es eine andere Saison war.

Freiheit.

Das wünschten sich doch so viele Menschen. Ich tat das auch, bis ich erfuhr, dass ich wirklich frei sein konnte. Kein Boden unter den Füßen, der mich an sich binden konnte. Kein Zwang. Ich konnte fliehen, wenn ich das Bedürfnis dazu hatte. Das blöde war nur, dass man mich Tagsüber sehen würde, aber nachts. Da hatte ich die Freiheit, die sich jedes menschliche Wesen wünschen konnte.

Ich seufzte wohlig auf, ehe ich wieder die Bilder von Jamie sah. Das lächelnde Gesicht und die Kindheit mit ihm, ehe er mir weggenommen wurde und das wegen mir…

Ich bin schuld, das werde ich mir nie verzeihen können.

Mein Herz zog sich zusammen und Tränen bildeten sich in meinen Augen, ehe sie in derselben Farbe wie meine Iris über meine Wangen hinab liefen.

Blutrote Tränen, die jeder Engel weinte, wenn er traurig war. Sie waren einzig und allein für Jamie bestimmt.

Ich landete in der Gasse, wo ich mich verwandelt hatte und die Flügel verschwanden endgültig für heute. Meine Haare wurden wieder in ihre natürliche Farbe umgewandelt und meine Augen sollten sich auch wieder normalisiert haben. Ich genoss noch kurz die letzten Sekunden, ehe ich den Schlüssel aus meiner Hosentasche zog und zum Gebäude rüber ging.

Im Treppenhaus angelangt, zog ich mir beim steigen der Treppen, die Kapuze über den Kopf und die linke Hand ließ ich in meine Jackentasche gleiten.

Oben angekommen, schloss ich auch die Tür auf und beim eintreten kam mir schon Gelächter entgegen.

Nach dem die Tür hinter mir zu ging, ließ ich auch die andere Hand in meine Jackentasche gleiten und ich schaute mich kurz um.

Im Wohnzimmer und in der Küche sah ich niemanden, doch das Stimmengewirr führte mich in einen angegrenzten Raum, wo die Tür offen stand.

Ein langer Esstisch aus dunklem Holz erstreckte sich im Raum und der Kronleuchter, der genau in der Mitte der Decke hing, erhellte die das Zimmer.

>Oh, Meo, da bist du ja< ertönte links von mir die Stimme von Joaquin und das Gelächter stellte sich ein.

>Du warst aber lange weg, ich habe mir Sorgen gemacht< sagte er lächelnd.

Aha, wenn man sich Sorgen macht, lacht man sich kaputt? Das ist echt widersprüchlich, aber wir kennen uns ja eh nicht. Also keinen Grund, um sich den Kopf zu zerbrechen. Ich habe andere Sorgen, um die ich mich kümmern muss.

Ich sagte nichts und schaute stattdessen auf die zwei Gestalten, die neben ihm saßen.

Zwei hübsche Jungs, die trainiert aussahen und ich würde sogar sagen, wenn sie nicht lächeln würden, hätte ich wohlmöglich leicht Angst vor ihnen gehabt.

Das sagt ein Engel, der öfters mit solchen kämpft. Echt dumm, dass ich trotzdem Ehrfurcht vor solchen Menschen habe.

>Sag bitte das nächste Mal doch Bescheid, wenn du länger wegbleibst. Es ist nämlich echt nicht gut, dass du abends in einer gefährlichen Gegend rumläufst, wo du dich gar nicht auskennst.<

>Wie gesagt, ich bin schon ein großes Mädchen< sagte ich und nickte den anderen nur zu, wobei ich versuchte ein nicht all zu lächerliches Lächeln aufzusetzen, ehe ich in mein Zimmer verschwand.

Also Anfangs, da schien der Typ ja wirklich nett zu sein, aber so langsam kommt es mir so vor, als wäre er mein Vormund, wobei ich noch nicht mal annähernd jemanden mehr habe, der mich sogar als Freund bezeichnen kann.

Ich seufzte und zog mich um, ehe ich mich ins Bett warf und kurz danach einschlief.

Erledigungen

Vereinzelte Sonnenstrahlen, die die Wolkendecke durchbrach, tänzelten auf meiner Nase herum und ich blinzelte kurz, ehe ich aufstand und mich gähnend streckte.

Als ich auf das Display meines Handys tippte, zeigte es mir 07: 31 Uhr an und ich warf mich zurück in die Kissen.

Heute müsste ich mich nach einer Schule umsehen und ein Zeugnis irgendwie herzaubern. Ich war noch nie in einer Schule gewesen, das hatte ich bisher in meinem Engeldasein nicht gebraucht, doch hier musste ich lange bleiben und wenn ich nicht auffallen wollte, musste ich mich benehmen wie jede andere siebzehn jährige.

Seufzend schlug ich die Decke zurück, holte aus meiner Sporttasche Kleidung heraus und tapste Barfuß ins Badezimmer, welches ich nach kurzem suchen fand. Hinter mir schloss ich die Tür ab und als ich dann beim Waschbecken mein Ebenbild sah, schreckte ich auf.

Ich sah mal so ganz und gar nicht aus wie Engel, mit diesen verwüsteten Haaren, die zu allen Himmelsrichtungen zeigte.

Die Sachen in meiner Hand warf ich auf den Klodeckel und dann entkleidete ich mich, um eine ausgiebige Dusche zu nehmen.

Das Wasser, welches mit warmen Tropfen über meine Haut glitt, entkrampfte meine Muskeln und ich entspannte. Die Augen geschlossen in den Wasserstrahl geneigt, fühlte ich mich von jeglichen Sorgen für einen kurzen Moment befreit. Als ich nach dem Duschgel greifen wollte, fiel mir auf, dass ich meines nicht mitgenommen hatte, und so benutzte ich eines, welches am Rand der Wanne stand. Mir gefiel der Geruch, als ich meinen Körper mit dem Gel einseifte. Ich nahm noch das Shampoo, welches in Reichweite und shampoonierte meine Haare. Wohlig seufzte ich auf und fühlte mich angenehm sauber. Als ich fertig war wickelte ich mir ein Handtuch um den Körper und stieg aus der Wanne. Die Luft war nebelig vom Wasserdampf geworden und der Spiegel beschlagen. Ich trocknete mich hastig ab und zog mir die schwarze Unterwäsche an, die ich bereit gelegt hatte. Meine Haare rubbelte ich noch einmal ab, bevor sie mir weniger nasser den Rücken hinab fielen. Meine roten Haare wellten sich und ich strich sie mir zur Seite, nach dem ich meine schwarze Röhrenjeans angezogen hatte und gerade dabei war, mir mein Top mit den Spaghettiträgern anzuziehen. Darüber zog ich mir ein weißes, durchsichtiges Hemd an. Mit meiner Hand strich ich über den Spiegel und sah mich leicht verschwommen, als ich meine Wimpern tuschen wollte. Ich benutzte selten Makeup. Ich war der Mascara-typ, der nichts anderes benutzte. Ich hatte das Glück, eine reine Haut zu haben. Meine Haut war blass-rosa und ich hatte auch einen annehmbaren Körper. Da ich viel unterwegs war, musste ich mir keine Sorgen um meine Nahrung machen. Sehr zu meinem Glück, da ich in Süßzeugs vernarrt war.

Als ich fertig war, nahm ich meine Schmutzwäsche mit, weil ich nicht wusste, wo ich sie hintun sollte und das Handtuch hängte ich mit meiner freien Hand auf.

In meinem Zimmer angekommen, schmiss ich die Sachen auf den Boden, nahm mir mein Telefon und ging in die Küche.

Während ich Frühstücke kann ich ja nach Schulen in der näheren Umgebung suchen.

Ich sah niemanden, als ich ins Wohnzimmer spazierte und geradewegs auf die Kaffeemaschine zusteuerte.

Nach einer gefühlten Stunde fand ich Filter, Kaffeepulver und eine Tasse, den ich auf die Kücheninsel stellte. Da ich nicht wusste, ob die Jungs Frühaufsteher waren, machte ich für sie einfach mit und stellte die Maschine an.

Die Hintergrundgeräusche und der Duft von frischem Gebräu erfüllte meine Umgebung und als ich meinen Becher auffüllte, suchte ich in meinem Handy nebenbei nach Schulen.

Ich stockte, als ich sah, dass ein Gymnasium um die Ecke war.

Ich muss gestern an ihr vorbeigelaufen sein, ohne es zu merken. Die Route zeigte mir an, dass ich fünf Minuten bis dahin brauchen würde zu Fuß.

>Morgen< drang eine rauchige, verschlafene Stimme zu mir durch und ich schreckte auf.

>Guten Morgen< sagte ich und sah dem Jungen der gestern bei Joaquin saß zu, wie er eine Tasse holte und diese mit der dunkelbraunen Flüssigkeit auffüllte.

>Du bist jetzt unsere neue Mitbewohnerin< sagte er, als er sich an die Insel lehnte und einen Schluck von seinem Getränk nahm. Es war keine Frage. Ich erwiderte darauf nichts und strich mir eine Strähne aus dem Augenwinkel.

>Da Joaquin uns einander nicht vorgestellt hat, übernehme ich das.<

Ich drehte mich auf meinem Hocker sitzend zu ihm rüber und schaute ihn neutral an.

Schwarze Haare, die verwuschelt waren und ihm zugegebenermaßen standen. Markante Gesichtszüge und eine goldbraune Haut, die seinen grau-braunen Augen schmeichelten. Es war eine ungewohnte Kombination, die ich in der Konstellation bisher noch nie gesehen habe. Ein Tattoo an seinem Hals stach schwarz heraus. Ein Mond, welches im Inneren von verschnörkelten Vierecken war und dann zu Wurzeln überging. An seinem Unterarm war ein Schriftzug, welches in einer andere Sprache wohl eine Bedeutung für ihn haben muss, doch ich konnte auf die Schnelle nicht erraten, um welche es sich handelte, weil ich ihm nicht offen zeigen wollte, das ich ihn musterte. Bei Joaquin war das nicht so komisch, wie bei dem Mann vor mir. Joaquin schien trotz seiner robusten Außenschale, ein sehr netter Mann zu sein, der sehr freundlich und offen zu anderen war. Bei mir war es zumindest so.

>Ich heiße Luca und der andere neben Joaquin heißt Ivan.<

>Meo< sagte ich, machte aber keine Anstalten, ihm die Hand zu reichen.

>Meo?< fragend zog er eine Augenbraue in die Höhe.

>Meo. Vera. Nenn mich wie du willst.<

>Interessante Namen. Habe ich bisher nicht gehört< sagte er nur und wandte sich wieder seinem Getränk zu.

>Morgen< hörte ich aus dem Wohnzimmer zwei Stimmen, die im selben Moment gesprochen hatten.

>Guten Morgen< sagte ich und Luca gab nur ein Gemurmel von sich, welches sich anhörte wie ein >Morgen<

>Und wie war deine erste Nacht in unserer WG?< fragte mich der etwas jüngere Mann, namens Ivan.

>Ganz gut.<

Er hatte ebenfalls goldbraune Haut und seine haselnussbraunen Haare standen ab. Er hatte ein etwas runderes Gesicht, was ihm aber den gewissen touch gab. Seine dunkelbraunen, fast schon schwarzen Augen, schauten mich freundlich an.

>Wollen wir alle zusammen frühstücken? Schließlich ist es ja dein erster Tag bei uns.< schlug Ivan vor und ich musste automatisch grinsen. Er war so ein Mensch, den man einfach auf Anhieb mochte und wenn man einen schlechten Tag hatte, sofort alle Sorgen vergaß, wenn man in seine fröhlich dreinblickende Augen schaute.

>Ich muss mich vorab erst mal entschuldigen, weil ich von jemandem das Duschgel und Shampoo benutzt habe. Ich hatte meine vergessen.< gab ich klein bei und schaute alle nach der Reihe an.

Joaquin kam zu mir rüber und sein Gesicht näherte sich meinem Hals.

>Das ist deins, Ivan< sagte er und besagter zuckte mit den Schultern.

>Kann ja mal vorkommen.<

>Wie läuft das jetzt eigentlich mit dem putzen und dem einkaufen? Also, wer ist wann dran?< fragte ich und Ivan hob die Hand, zum Zeichen, ich solle ruhig sein.

>Das können wir heute Abend besprechen. Jetzt wird erst einmal gefrühstückt. Ich habe einen Bärenhunger< sagte dieser und kurz darauf knurrte sein Magen.

 

Sag einfach ja

 

Beim Frühstück wurde ich ausgefragt und fast hätte es mir leid getan das ich ihnen keine genauen Antworten über mich geben konnte. Aber was sollte ich ihnen denn bitteschön auch erzählen? Außerdem kannte ich sie erst einen Tag. Es erinnerte mich daran, dass ich früher immer den Wunsch hatte, normal zu sein. Freunde haben, mit denen ich mich in der Grundschule angefreundet hätte, die erste Liebe und den ersten Liebeskummer. Mich mit meinen Eltern um Kleinigkeiten streiten und dann wieder versöhnen können. Ein richtiges Zuhause, in dem ich leben könnte mit einer richtigen Familie, die abends zusammen essen und über den Tag reden. Zusammen lachen und ernste Themen besprechen können. In meiner Sehnsucht war ich oft so tief versunken, dass ich abends durch die Gegend geschlendert war und mir das Szenario mit anderen Familien angesehen hatte. Ich habe die Töchter oder die Söhne so oft beneidet und sie dafür Verflucht, dass sie nicht zu schätzen wissen, was sie haben. Dann, mit der Zeit, kam irgendwann die Akzeptanz, die ich mir aufzwingen musste um nicht so tief zu fallen, dass ich mich vergaß.

>Hallo? Sind sie noch dran?<

Ich schreckte aus meine Gedanken und antwortete der Dame am Telefon.

>Tut mir leid, was haben sie gesagt?<

>Das sie ihr Zeugnis vorbei bringen müssen und die Unterschrift ihrer Erziehungsberechtigten. Ebenso ihre Anschrift.<

>Ich habe keine Erziehungsberechtigten und das Sorgerecht liegt bei mir. Wann kann ich vorbei kommen?<

Die Frau schwieg für eine kurze Zeit ehe sie antwortete: >Heute um drei Uhr macht das Sekretariat für Besucher auf.<

>Dankeschön< sagte ich und legte frustriert auf.

Meine Tagträume würden mich eines Tages noch umbringen, hatte mir Jamie immer gesagt, als er mit mir zusammen trainierte.

Ich lächelte traurig, als mich die Erinnerung mit ihm einholte.

Wir waren auf dem reservierten Sportplatz und kämpften gegeneinander und ich hatte wieder einmal zu viele Gedanken, die mich nicht losließen. Dann landete ich plötzlich auf den Boden und Jamie beugte sich kopfschüttelnd zu mir runter. Er lächelte widerwillig und sagte: >Was würdest du bloß ohne meine Hilfe tun? Wenn du die ganze Zeit an deinen Tagträumen hängst, wird dich das deinen Kopf kosten.<

Er reichte mir breit grinsend die Hand um mir auf zu helfen. Es war so eine schöne Zeit gewesen...

Ich seufzte bedrückt und schüttelte den Kopf um mir die Gedanken aus dem Kopf zu treiben und mich wieder der Realität zu widmen.

>Wieso antwortete sie denn nicht? Meo?< hörte ich von weitem rufen.

>Das kleine Mädchen ist in Gedanken versunken.<

Ivan schaute mich prüfend, doch immer noch lächelnd an und Joaquin kam in die offene Küche.

>Da bist du ja. Ich habe dich die ganze Zeit gerufen, hast du mich nicht gehört?<

Ich schüttelte den Kopf und beobachtete amüsiert sein falsch geknöpftes Hemd und seine offene Krawatte. Trotz der kindlichen Art würde ich ihn nie mit einem jungen vergleichen. An seiner Statur, seinem Gang und seiner Stimme rief alles, dass er durch und durch Mann war.

>Egal, meine Frage war, ob ich dich irgendwohin mitnehmen soll.<

 >Ich habe um drei eine Termin, doch ich habe mir überlegt die Stadt bei Tag mal zu erkunden. Du musst mich aber nicht fahren, je mehr ich von der Stadt sehe, desto besser denke ich.<

Keiner aus meiner Familie. Wieso behandelt er dich so vertraut? Nicht auf ihn eingehen. Schlechte Auswirkungen.

In meinem Kopf huschten so viele Wörter hin und her und ich fühlte mich bedrängt, als hätte ich keine Luft mehr zum atmen. Ich war so etwas nicht gewohnt, also kam mir jeder Annäherungsversuch wie eine kleine Lücke vor, in die man mich steckte und nicht mehr herausließ und die Luft immer knapper und knapper wurde.

>Im Auto kannst du dir die Gegend sogar noch schneller ansehen. Spart Zeit<, bestand er weiter darauf und bemerkte sein Hemd.

Luca gesellte sich zu unserer Runde und richtete sein Jackett.

>Du bist zu spät dran, als das du sie noch irgendwo absetzen könntest. Beeil dich lieber< sagte er an Joaquin gewandt.

>Dann wann anders. Wir sehen uns heute Abend, Meo.<

Ivan wank mir beim vorbei gehen zu und verschwand hinter der Haustür.

>Jetzt mach schon, wir haben nicht ewig Zeit<, bestimmte Luca.

>Bin fertig. Brauchst du noch etwas für heute Abend?<

Joaquin sah mich abwartend und nach dem ich den Kopf schüttelte wurde er von Luca gerufen.Nach dem alle aus der riesen Wohnung verschwanden, fühlte ich mich besser. Innerlich dankte ich Luca für seine Worte.Ich genoss mein Kaffee und als das letzte Schlückchen durch meine Speiseröhre hinab sank, machte ich mich auch fertig. Da ich heute kochen sollte, müsste ich etwas früher `zuhause´ sein als die anderen.Ich tippte auf mein Handydisplay und die Zahlen, 13:07, wurden mir entgegen geleuchtet. Ich streifte mir meine Chucks über und meine Jacke über meine Arme. Mir fiel ein, dass ich meine Tasche vergessen hatte und so ging ich in mein Zimmer. Als ich die Tür aufmachte, strömte mir kalte Luft entgegen und ich schloss das Fenster, welches auf Kipp stand. Als ich meine Tasche hervorholen wollte, lag sie nicht mehr so da, wie ich sie hingelegt hatte. Die Träger waren auf die andere Seite gelegt worden und sie lag auch etwas mehr rechts. Nennt mich paranoid, doch ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass jemand dran gewesen war.Mein Herz raste wegen dem Adrenalin, das sich in meinem Körper ausbreitete. Ich wurde wütend und konnte das kribbeln in meinem Rücken nicht mehr kontrollieren. Ich hatte nicht den Eindruck, dass jemand von den dreien es nötig hatte in meinen Sachen zu schnüffeln.Doch da hatte ich wieder einmal einen Grund mehr, den Menschen nicht mehr leichtsinnig zu vertrauen.

 

Impressum

Texte: Die Geschichte und alle darin befindenden Charaktere sind meiner Fantasie entsprungen, gehören somit mir und dürfen somit nicht weiter veröffnetlicht oder kopiert werden.
Bildmaterialien: Google
Lektorat: -
Übersetzung: -
Tag der Veröffentlichung: 10.09.2013

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