„Das Leben ist dunkel und grausam, nicht wahr?“, sagte die kleine Lena.
Ich sah abrupt vom Schreibtisch auf und sah in die strahlend blauen Augen der kleinen, blonden Lena.
„Wie kommst du denn jetzt darauf?“, fragte ich verwirrt über ihre plötzliche Frage.
„Weil Mama gesagt hat, dass Leben sei dunkel und grausam zu ihr. Und sie hat auch gesagt, dass alles Gute nur gut erscheine. Und sie sagte auch, dass...“
Mit Tränennassen Augen sah mich Lena an. Ihr Gesichtsausdruck beherbergte ein einziges Fragezeichen. Auf dieses hin empfand ich Mitleid mit ihr und verspürte den Drang die Situation aufzuklären. Seufzend erhob ich mich aus meinem Stuhl, ließ meine Arbeit für einen Moment liegen und beugte mich zu ihr herunter.
„Beruhige dich, Lena.“, flüsterte ich ihr sanft zu und tätschelte ihren Kopf. „Alles wird und ist gut. Das Leben ist nicht dunkel und grausam, da bin ich mir ganz sicher.“
Sie blickte mir wie ein kleiner, unschuldiger Engel in die Augen und in diesem Augenblick ging mir das Herz ganz weit auf. Ich sah sie an und nickte ihr bekräftigend zu.
„Ganz sicher.“
Allerdings alles Bekräftigen schien ihre Verwirrung nicht zu lösen können.
„Aber...aber du hättest Mama sehen müssen. Sie sah so traurig,...so unendlich traurig aus.“, schluchzte die kleine Lena und schniefte bei ihren letzten Worten einmal geräuschvoll.
Ich beugte mich ein wenig weiter nach vorne und streckte meine Hand nach einem Taschentuch aus, welches ich ihr reichte.
„Danke.“, wisperte Lena und schnäuzte hinein. Sie gab es mir zurück.
Etwas angewidert fasste ich es mit beiden Fingerspitzen und warf es in den Mülleimer hinter mir.
„So. Dann wollen wir mal sehen, wie wir die bösen Gedanken verschwinden lassen können...“
Gerade als ich hatte meinen Satz weiter ausführen wollen, fiel Lena mir ins Wort: „Mama, tut mir so leid. Was kann ich tun, damit es ihr besser geht? Soll ich ihr vielleicht eine heiße Tasse Tee bringen, damit es ihr wieder besser geht? Ich will nicht, dass sie denkt, dass ihr Leben dunkel und grausam ist!“
Ihre Entschlossenheit berührte mich zutiefst, jedoch wusste ich es besser. Mama war nicht so einfach zu helfen. Aber würde ich Lena nicht sagen können.
„Lena, ich glaube, dass eine Tasse Tee für den Anfang eine gute Sache ist. Aber bringe ihr jetzt keine, denn Mama schläft gerade. Das bedeutet sie träumt. Sie träumt und ihren Träumen scheint bestimmt die Sonne. Dort ist es ganz sicher nicht dunkel.“
Hoffnungsvoll betrachtete sie mich.
„Heißt das, dass Mama in ihren Träumen glücklich ist? Das es dort hell ist, wie wenn die Sonne scheint?“
„Ja, so ungefähr.“, sagte ich etwas unbeholfen, lächelte aber zufrieden in mich hinein.
„Dann hat Mama also nicht Recht. Aber ist es wahr, dass alles Gute nur gut erscheint?“
Langsam zerrte mir diese Unterhaltung an den Nerven. Sie rief mir Erinnerungen ins Gedächtnis, die mir Gänsehaut bereiteten und in mir ein beklemmendes Gefühl auslösten.
„Lena, lass es mich so sagen, Mama denkt das, aber wenn du nicht so denkst, dann stimmt das auch nicht. Das ist Ansichtssache.“
Mein Unterton erklang ein wenig gereizt, denn Lena hatte einen wunden Punkt in meinem Inneren getroffen und ein Gebiet betreten, dass zu betreten verboten war.
„Aber...“, wand Lena ein.
„Nicht jetzt.“
Damit war das Gespräch für mich beendet. Ich stand auf und kehrte Lena den Rücken zu. Nun starrte ich eine weiße Wand an, die unschuldig auf mich herab blickte. Lena murmelte einige Worte, die mit der Zeit in immer weitere Ferne rückten. Irgendetwas zupfte an meinem Ärmel, aber ich gebot all dem keine Beachtung mehr. Ganz in Gedanken versunken starrte ich die weiße, unschuldige Wand an und erinnerte mich an etwas, so haargenau, als wäre es gestern geschehen.
Bildmaterialien: Leonie D.
Tag der Veröffentlichung: 10.09.2013
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