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Bitch

Stillschweigend nahm ich ihre Worte hin. Von der Bitch, um genau zu sein. Wir standen im Flur der Schule. Sie, die einzig wahre Bitch, umgeben von den anderen Möchtegern-Bitches und ich, das Opfer, allein umzingelt von diesen fleischgewordenen Bestien.

Mit ihren Ich-bin-etwas-Besseres-als-du Blicken und ihren Gesichtern, die einzig aus Plastik und Schminke bestanden, sowie den platinblond colorierten Haaren gafften sie mich von oben herab an und das gesamte klonartige Gefolge lauschte dem Kläffen der Oberbitch.

„Na, du kleines, missratenes Etwas. Hast du heute eigentlich schon mal in den Spiegel geschaut? Nein, natürlich nicht. Sonst würdest auch nicht wie ein Zombie verkleidet durch die Gegend laufen. Aber dafür kannst du ja auch nichts. Das liegt halt einfach in deiner Natur.“

Ein schriller Laut erklang und auf diesen erfolgte eine ebenso schriller Lärm. Sie lachten. Ich schnaubte ergeben. Niemals würde diese Bitch ein herzliches, echtes Lachen zustande bringen können, denn vor lauter Falschheit und Künstlichkeit war ihre einstige Stimmfarbe einer missgestimmte, nicht so klangvollen gewichen, die in den Ohren nicht schön mitanzuhören war. Ihre Worte beeindruckten mich nicht im Geringsten, was wohl auch daran lag, dass ich mir nach der ganzen Zeit der Demütigungen ein dickes Fell zugelegt hatte. Noch wenige Minuten würden verstreichen und der Schwarm voller, triefender Falschheit würde davon schwirren auf der Suche nach seinem nächsten Opfer.

Nicht mehr lange, hatte ich mir geschworen, würde die Oberbitch hier ihr Revier markieren können. Schon sehr bald würde sich ein wütender Mob mit Fackeln und Mistgabeln in den Händen erheben, um sich gegen sie aufzubegehren. Gegen ihre Demütigungen und ihr tyrannisches Verhalten anderen Menschen gegenüber, die nicht so waren wie sie.

Es vergingen ein paar Tage. Tage voller weiterer Qualen und Erniedrigungen durch die Oberbitch. Ihre Herrschaft reichte nun nicht nur über alle Klassenzimmer, nein, nun erstreckte sie sich sogar bis über das gesamte Lehrerzimmer.

Jeder Einzelne war vielleicht machtlos gegenüber ihr, aber gemeinsam könnten wir es schaffen. Es war die Zeit gekommen zu handeln. Zeit, sich zu sammeln und den Aufstand vorzubereiten. Jedoch fehlte der entscheidende Auslöser, um den Wunsch aller in die Tat umsetzen zu können. Der Auslöser, der allen den Mut verleihen würde bei dem Machtumsturz mitzuwirken.

Nach der Schule traf ich mich mit einigen Mitstreitern, die so eifrig, wie fleißige Bienen es nur tun, den Umsturz planten und Vorkehrungen dafür trafen. Ich stellte mich auf einen Stuhl, damit all ihre Aufmerksamkeit mir, dem meist geschändeten Opfer, zuteil werden würde. Dem Opfer, das von Anfang an mit dem Kopf in die Toilette getaucht worden war, das mit faulen Eiern beworfen und mit einer stinkenden Flüssigkeit übergossen worden war und das sich nun wie so viele andere auch endlich rächen wollte an denen, die ihr und den anderen solche Dinge angetan haben. Ich erhob meine Stimme, kräftig und voller Leidenschaft, über das Volk, welches mich hoffnungsvoll und mit viel Zuversicht in den Augen betrachtete.

„Liebe Freunde, Mitstreiter, Verbündete und Gleichgesinnte, unser Werk ist nun fast vollendet. Endlich werden wir uns gegen die Herrschaft der Bitch und ihrer abtrünnigen Fraktion rächen können. Wie mir soeben mitgeteilt wurde, wurde der Köder gelegt. Durch ihre Dummheit und durch ihre Einfachheit wird die Bitch anbeißen und wie ein zappelnder Fisch am Boden liegend wird sie in die Schlacht ziehen. Wenn die übrigen Brüder und Schwestern sehen, was wir erreicht haben, dann werden sie uns gewiss in diesen Krieg folgen.“

Ich legte eine Pause ein und ließ die Worte ihre Wirkung tun. Jubelschreie von allen Seiten erklangen und ich lächelte zufrieden die entschlossene Menge zu meinen Füßen an. Mein Kampfschrei erfüllte jetzt erneut den gesamten Raum.

„Morgen ist der Tag der Tage gekommen! Morgen werden wir siegen und die Rache wird unser sein!“

Die begeisterte Menschenmenge schloss sich diesen Worten an und wurde wie ich mitgerissen in den Strudel der Aufregung und Entschlossenheit. Wir würden Morgen eine undurchdringliche Linie bilden können und unsere Zielstrebigkeit und Entschiedenheit würden den Sieg begründen.

Am morgigen Tag fiel die Bitch wie erwartete auf unsere Falle herein. Der Köder, ein Beauty-Workshop von uns, der Schülerschaft, eigens für sie organisiert, erweckte bei allen, die zum Staate der Bitch zählten, Begeisterung. Wir hielten uns unscheinbar im Hintergrund auf, wartend auf den entscheidenden Moment.

Keine halbe Stunde später ertönte ein entzürnter Schrei und daraufhin gingen ich und die anderen vor dem Raum, in dem der Beauty-Workshop stattfand, in Stellung. Der erste Teil des Planes war geglückt. Auf unsere Anweisung und Bitte hin hatten jene, die den Workshop leiteten, die Bitch und ihre Plastikimitationen einer besonderen Behandlung unterzogen. Geschwollene Gesichter aufgrund allergischer Reaktionen und Haarverfärbungen in Regenbogenfarben waren nur ein kleiner, netter Nebeneffekt wochenlanger Recherche über jede einzelne Person dieses bis jetzt übermächtigen Feindes.

Ich hörte Gepolter und empörte Rufe. Gleich würde es soweit sein. Wir nickten uns gegenseitig stumm zu. Unser vereinbartes Zeichen, das wir uns bereit halten sollten. Wir hatten alle in jeder Ecke und jeder Nische dieses Flures Stellung eingenommen und warteten mit angespannten Mienen auf ihr Erscheinen.

Die Tür flog zur Seite und die Oberbitch mit ihrem lästigen Anhängsel trat aus dieser. Als Reaktion darauf schrie ich: „Jetzt!“

Auf mein Kommando hin richteten sich alle auf und sogleich flogen die ersten Geschosse durch die Gegend. Allesamt trafen sie die Bitch, die aller Leben hier zur Hölle gemacht hatte. Das alles würde nun ein Ende haben. Rache auszuüben, tat einfach so unheimlich gut, wie man sehen konnte.

Das faule Obst und die nicht mehr ganz so frischen Eier waren eine gute Investition gewesen, denn wenn sie auf die unvorbereiteten Gegner trafen, wanden sich diese vor Ekel. Schreie erklangen von allen Seiten. Kampfgeschrei und klagende, sowie entsetzte Schreie der Opfer. Hauptsächlich aber waren wir zu vernehmen. Durch diesen Tumult kamen immer mehr, die ebenso gepeinigt worden war wie wir, dazu, um ihrer Wut und ihrem Zorn freien Lauf lassen zu können.

Am Ende gewannen wir diesen Krieg, welch ein Wunder. Aus Tätern wurden Opfer mit bunten Haaren und geröteten Gesichtern und aus uns Opfern strahlende Sieger. Zwar schwor die Bitch Rache, jedoch kam sie nie dazu, da sie keine drei Tage später auf den ausdrücklichen Wunsch der Klassenkonferenz die Schule hatte wechseln müssen. An diesem Tag hatten wir ihr schadenfroh und glücklich zum Abschied gewunken und keiner, wirklich keiner, hatte so ausgesehen, als würde er sie jemals vermissen können.

Impressum

Bildmaterialien: Leonie D.
Tag der Veröffentlichung: 07.08.2013

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