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Prolog

Der Geruch von frischer Farbe war in meiner Umgebung immer anwesend. Ich konnte mir die Nase zu halten, aber der penetrante Geruch schien nicht abnehmen zu wollen, so stark hatte er seine Spuren in meiner Wahrnehmung hinterlassen. Und um nichts anderes drehte es sich in meinem Leben als Farben, ihre Wirkungen, deren Interpretationen und Kompositionen. Außer natürlich, wenn ich die Schule besuchte. Der Ort, an dem die Welt der Farben und Formen für mich wenigstens ein paar Stunden lang den Atem anhielt und still stand. Meine größere Schwester, mein kleinerer Bruder und meine Eltern allerdings waren begeisterte Maler. Alle in unserer Familie hatten das Talent in die Wiege gelegt bekommen, Werke unglaublicher Kunstvielfalt zu erschaffen. Alle, außer ich. Mehr als ein kümmerliches Strichmännchen hatte ich nie zu Stande bringen können. Meine Eltern hatten mich schon von klein auf von Kunstschule zu Kunstschule geschickt. Mein verborgenes Talent jedoch, so wie meine Eltern behaupteten, war mit der Zeit nicht zu Tage gekommen. Als ich schließlich fünfzehn wurde, gaben meine Eltern ihre Hoffnung endlich auf, dass ich das Familienerbe irgendwann einmal mit Meisterwerken schmücken und weiterführen würde, und sie schickten mich zu meinem Glück auf eine staatliche Schule, wo ich ein halbwegs normales Leben, fern ab von der malerischen Kunst leben konnte.

Kapitel 1

Endlose Berge von Büchern und Zetteln türmten sich auf meinem Schreibtisch und mit zunehmender Zeit wurde es immer schwieriger, sich zu konzentrieren. Es drang weder Lärm noch Vergleichbares in mein Zimmer hinein, was mich hätte stören können, jedoch schien etwas ganz Grundlegendes nicht zu stimmen, das teilte mir das unruhige Gefühl in meinem Inneren mit. Stöhnend und ächzend, ja sogar ein wenig entnervt, erhob ich mich von meinem Stuhl auf dem Weg nach unten in die Galerie, der Ort, an dem meine Familie die meiste Zeit ihres Tages mit Malen zu verbringen schien. Mir grauste es jetzt schon davor, diesen Raum zu betreten. Ein einziges, großes Zimmer, das durch seine riesigen Fenstern auf der Ostseite in das grelle Licht des Tages getaucht wurde. Der perfekte Ort, um Künstler zu sein, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Ich hasste diesen Ort, denn er erinnerte mich bei jedem erneuten Betreten an die vielen erfolglosen Übungsstunden, wo mir meine malerischen Fähigkeiten entlockt werden sollten. Zeichnen und Malen wurde bei meiner Familie schon seit Generationen groß geschrieben und ich als einzige Nachfolgerin, die mit dem Tuschen nicht viel anfangen konnte, fiel natürlich aus der Reihe. Meine Eltern hatten alles versucht und als sie dann vor zwei Jahren beschlossen hatten, keinen weiteren Versuch mehr zu starten, Begeisterung fürs Malen bei mir zu entlocken, war ich zu einem ungeliebten Anhängsel geworden, einem fünften Rad am Wagen, das nicht zu gebrauchen war. Von da an hatte sich meine Familie immer weniger für mich interessiert, wie ich mich auch für sie, allerdings kam es manchmal vor, sowie jetzt, das man bemerkte, dass unser Leben doch noch irgendwie miteinander verwoben war, denn wenn zu Beispiel nicht der Duft frischer Farbe in der Luft lag, begann ich mir Sorgen zu machen. Aber diese Sorgen, die ich mir um meine Familie machte, unterdrückte ich und nur ein unruhiges Gefühl in meiner Magengegend blieb vorhanden. Denn würden sie sich je um mich scheren, sich um mich Sorgen machen? Würden sie es bemerken, wenn ich plötzlich fort wäre?

Zumindest ich spürte es, wenn sie mal wieder auf einer ihrer Reisen waren. Ich wusste, was mich erwarten würde, sobald ich die Türklinke herunterdrückte. Ich wusste, was ich für ein Bild zu sehen bekommen würde, wenn die Tür zur Seite schwang. Trotzdem tat ich es jedes Mal wieder, um mich zu vergewissern, dass doch alles irgendwie in Ordnung war. Das unser kompliziertes Familienleben weiter wie gewohnt seinen Lauf nahm und das am nächsten Morgen schon wieder der Geruch frischer Farbe in der Luft hing. Meine Familie war zwar besessen vom Malen, aber ihre Reisen waren einzig und allein der Grund dafür, so erschien es mir zumindest.

Die Tür war weit geöffnet, helles Licht ließ mich ein kurzen Moment blinzeln und der schwere Geruch von Farbe schlich sich in meine Nase. Überall an den Wänden hingen und lehnten Gemälde. Gefäße mit Farbe, Pinsel in verschiedensten Größen und allerlei andere Utensilien lagen im Raum verstreut, da die notdürftig aufgeräumten Regale an der nördlichen Seite keinen weiteren Platz mehr boten. Genau vier Staffeleien aus Holz waren im Raum aufgestellt. Eine jede mit einem halbfertigen Bild, an dem die Mitglieder meiner Familie in jeder freien Minute arbeiteten. Diese Gemälde zeugten von unglaublicher Genauigkeit und Lebendigkeit und sie wirkten, als würde man durch sie in andere Städte oder sogar Welten sehen können und sich komplett in diesen verlieren, da sie auf den Betrachter mehr als nur echt, sondern real erschienen. Auf einem Podest in der Mitte thronte das Bild, durch das sie wohl ihre Reise angetreten hatten. Es zeigte den Eiffelturm, der so echt und irgendwie einladend wirkte, das einen sofort die Lust ergreifen könnte, einfach einen kurzen Ausflug nach Paris zu unternehmen. Wahrscheinlich hatten sie diesem Bedürfnis auch nachgegeben, da in diesem Raum keine weitere Menschenseele außer mir vorhanden war. Mein Blick löste sich von dem Bild und die überwältigende Anziehungskraft, die von dem Gemälde ausging, ließ mit der Zeit nach. Schnell floh ich aus dieser Galerie, in der ich mir plötzlich so leer, verlassen und verloren vorkam.

Hastig setzte ich mich wieder an meinen Schreibtisch, um zu lernen für Prüfungen, um Hausaufgaben zu machen und um dann so den Grundstein für ein normales Leben zu legen. Ich atmete tief durch und machte mich erneut an die Bewältigung dieser Aufgaben, jedoch daran war nicht zu denken. Meine Gedanken kreisten zu meinem Verdruss um meine Familie, die wahrscheinlich jetzt irgendwo in Paris bei Baguette und einem Kaffee saß oder durch die Modeboutiquen dieser Stadt bummelte. Sie hatten wahrscheinlich nicht einmal einen Funken schlechten Gewissens, auch wenn sie überhaupt mal an meine missliche Lage dachten. Ich konnte nicht mit ihnen gehen, denn mir waren nicht die besonderen Gaben unserer Familie in Bezug auf Bilder zu teil geworden, wie zum Beispiel die, Bilder als magische Portale zu nutzen. Darum verabscheute ich meine Familie, ja beneidete sie auch auf der anderen Seite, denn sie besaß etwas, was eigentlich auch ich hätte besitzen müssen. Denn ich trug diese eine besondere Sache nicht in mir, die unsere Familie seit Generationen ausmachte, und jedes Mal, wenn wir uns in die Augen sahen, konnte ich fast greifbar fühlen, dass sie mich für einen Fehler im System hielten, denn sie auszubessern, aufgegeben hatten.

Stunden später hörte ich Stimmengewirr. Glücklich und ausgelassen sprachen und lachten sie miteinander über einen gemeinsam verbrachten Tag. Mich bezogen sie in diese Gespräche nicht ein, da ich sowieso nicht mitreden könnte und ich mich wohl sowieso fehl am Platz fühlen würde. Anfangs hatte mich dieser Ausschluss tief getroffen, doch bald hatte ich gelernt damit zu leben. In wenigen Minuten schon würde es wieder mucksmäuschenstill sein, denn dann würden sie wieder ihrer Arbeit nachgehen. Sie würden wieder Welten und Städte auf der Leinwand, so detailgetreu und so echt wie möglich, erschaffen, die sie irgendwann einmal besuchen würden. Ohne mich.

Später mitten in der Nacht schreckte ich wegen eines lauten Geräusches hoch. Ich drehte mich aber zur anderen Seite meines Bettes, denn ich ging davon aus, dass eines ihrer kostbaren Gläser mit irgendeiner Farbe heruntergefallen und zerbrochen war, was nicht unbedingt selten geschah. Jedoch diesmal war etwas anders. Unruhe machte sich in mir breit und mir wurde ganz mulmig zumute. Irgendetwas schien hier nicht zu stimmen. Ich warf leise meine Bettdecke zurück und stemmte mich aus dem Bett. Auf leisen Sohlen schlich ich fast lautlos zur Tür, die ich einen Spalt öffnete. Auf einmal ertönte erneut ein lauter Ton, vergleichbar mit dem von eben. Ich sog scharf Luft ein, denn weitere Geräusche folgten und ließen mich zu meinem Bett zurück taumeln. Wer war dort unten zu Gange? Sicherlich nicht meine Familie. Die würden nämlich nie freiwillig ihre geliebten Gläser mit verschiedensten Farben zerstören. Nein, das musste jemand anderes sein. Bloß wer?

Mein Mut, vielleicht doch einen Blick zu riskieren, hatte mich verlassen und so saß ich da und lauschte in die Dunkelheit hinein. Hörte, wie die Galerie unten mit großer Wahrscheinlichkeit bis zur Unkenntlichkeit zu Schutt und Asche wurde. Es klirrte und knallte und diese Misstöne schienen kein Ende zu nehmen. Wie erfroren blieb ich auf meinem Bett sitzen, denn die Angst hatte Fesseln um meine Arme und Beine gelegt. Ich sollte nach unten gehen, um nachzusehen, was dort geschah, aber mein Instinkt riet mir, dies unter allen Umständen zu unterlassen. Plötzlich hörte ich, wie sich Schritte einen Weg hinauf die Treppe zu meinem Zimmer bahnten. Mein Atem stockte, mein Herzschlag galoppierte einem Höhepunkt entgegen und mir war heiß und kalt zu gleich. Mein Hörsinn erfasste den Klang einer tiefen, männlichen Stimme, aber in meinen Ohren rauschte es nur noch, sodass ich seine Worte nicht verstehen konnte. Tausende elektrisierende Schauer fuhren über meinen Rücken und eine gewaltige Welle der Panik überfiel mich. Das Einzige, was ich wahrnahm, waren die Schritte, dumpf und selbstsicher, die immer näher kamen. Türen wurden aufgerissen und wieder zugeschlagen. Wütende Stimmen erklangen. Ich krallte mich an meiner Bettkante fest und meine Fingernägel gruben sich schmerzlich tief in das Holzgestell. Kein klarer Gedanke konnte in meinem Kopf Gestalt annehmen, sodass ich nicht in der Lage gewesen wäre, auf die Idee zu kommen, mich zu verstecken, um Hilfe zu schreien oder mich kampfbereit zu machen. Der Rhythmus der Schritte kam vor meiner Tür zum Erliegen. Mein Herz klopfte schmerzlichst gegen meinen Brustkorb, aber all meine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Lichtstreifen, der durchs Schlüsselloch schien.

Die nächsten entscheidenden Sekunden zogen an mir im Zeitlupentempo vorbei. Die Tür wurde aufgerissen. Licht blendete mich. Eine Stimme mit überraschtem Unterton. Ich gab einen fast unmenschlich verzerrten und angsterfüllten Schrei von mir. Dann überkamen mich Stille und Dunkelheit. Ich spürte mich nicht mehr, denn ich glitt in das Reich der Finsternis. Mein Bewusstsein verließ mich und meine Sicht wurde in tiefe Schwärze getaucht.

Kapitel 2

Ich erwachte in einem dunklen, leeren Raum ohne Fenster. Mein Kopf pochte vor Schmerz. Ich fasste mit einer Hand an den Kopf, aber der Schmerz schien dadurch stärker zu werden. So ließ ich meine Hand sinken und sah mich in dem Raum um. Doch erkennen konnte ich nichts. Unter mir spürte ich einen kalten Boden, der wahrscheinlich aus Beton gegossen worden war. Ich tastete auf allen Vieren weiter und durchquerte den gesamten Raum. Von einer Wand bis zu anderen konnten es nicht mehr als fünf Meter sein und ebenso schien der Raum an allen Seiten die gleiche Länge zu haben. Weiter tastete ich mich vorsichtig an der Wand entlang. Mein Atem ging schneller, als ich eine Tür unter meinen Fingerspitzen fühlte, die aus Stahl zu bestehen schien. Es war hier so kalt, dass mein gesamter Körper mit Gänsehaut überzogen wurde. Ich tastete mich weiter an der Tür nach oben auf der Suche nach einem Türknauf. Ich wollte einen Weg hieraus finden. Langsam erhob ich mich aus meiner hockenden Position und als ich aufrecht stand, fand ich nach mehreren verirrten Versuchen den Türknauf, wobei es sich bei diesem eher um eine Klinke handelte. Bis jetzt hatte ich keine Angst verspürt. Alles, was ich hier gerade getan hatte, war wie ein Traum an mir vorbeigezogen, wie als würde ich mich aus einer passiven Perspektive wahrgenommen haben. Doch nun begriff ich. Ich war bewusstlos geworden, entführt und in diesen Raum gesperrt worden. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Was hatte man mit mir vor? Was war mit meiner Familie geschehen? War es ihnen so wie mir ergangen oder hatten sie fliehen können? Was musste man verbrochen haben, damit man hier landete? Ich würde diesen Menschen keine Antworten auf ihre Fragen geben, ob ich nun wollte oder nicht. Obwohl, was sie wissen mussten, war wohl anscheinend genug, um uns gegenüber aktiv zu werden. Unser Familiengeheimnis aber würde unter allen Umständen ein Geheimnis bleiben, auch wenn ich es nur zu gern verraten hätte. Meine Familie würde ich nicht verraten, um welchen Preis auch immer. Denn irgendwie waren sie doch wichtige Menschen in meinem Leben, die es galt zu beschützen.

Mein ganzer Körper wurde erneut von einem Zittern erfasst, entweder der Angst oder der Kälte wegen. Ich fasste all meinen Mut noch einmal zusammen. Ich musste von hier fliehen, denn diese Menschen, die mich entführt hatten, waren gewiss nicht freundlich, sondern wohl eher böse. Wo meine Familie jetzt wohl war? Daran wollte ich jetzt nicht denken, denn Sorgen ihretwegen plagten mich schon genug und in den letzten zwei Jahren hatten sie sich ja auch nicht groß um mich gekümmert. Dennoch waren wir ja irgendwie miteinander verwandt, ein Familienband, das zwar bestand, aber ziemlich zerrüttet war. Meine Hände wurden feucht und ich konzentrierte mich nun darauf, einen Weg nach draußen zu finden.

Langsam, wirklich sehr langsam für meine Verhältnisse, drückte ich die Klinke herunter und wie durch ein Wunder sprang die Tür geräuschlos auf. In einem Seufzer wurde meine Verblüffung über dieses Glück laut und innerlich fasste ich sogleich neue Hoffnung. Ich würde von hier fliehen können. Ein leiser Schrei der Freude darüber erklang aus meinem Mund und sofort erstickte ich diesen Laut mit einer auf meinen Mund gepressten Hand. Noch war ich nicht draußen. Meine Entführer könnten jeden Augenblick kommen, um sich zu vergewissern, ob ich noch da war. Nebenbei stellte ich fest, dass meine Entführer wohl nicht zu der ganz schlauen Sorte von Mensch zählen, wenn sie ihrer Gefangene, ihre errungene Beute, in einem unverschlossenen Raum sich selbst überließen.

Ich schob die Tür weiter auf und blickte nach rechts und links in den Gang. Er war menschenleer und nur schwach beleuchtet von wenigen Fackeln. Wo war ich nur hingebracht worden? Ich musste über die Naivität meiner Entführer grinsen, denn einfacher hätten sie mir meine Flucht nicht machen können. Ich begab mich in den Gang und ließ leise die Tür ins Schloss fallen. Ein unüberhörbares Klicken bahnte sich darauf einen Weg in meine Ohren und meine Kopfschmerzen pochten erneut schmerzhaft auf. Hatte ich mich vielleicht, als ich in Ohnmacht fiel, irgendwo den Kopf angestoßen? Aber vorhin, als ich die schmerzende Stelle berührt hatte, hatte ich keine Wunde oder Ähnliches spüren können. Nochmals sog ich scharf die Luft ein. Ich hatte vergessen, mich danach umzuschauen, ob jemand das Geräusch von eben bemerkt hatte. Hektisch sah ich mich zu beiden Seiten um, aber da war niemand zu sehen. Ein Glück, dachte ich mir.

Aus einem Bauchgefühl heraus bog ich nach rechts in den Gang ab. Wieso ich dieses hörte, wusste ich nicht. Ich schlich mich den spärlich beleuchteten Gang entlang, der offensichtlich in das Gestein geschlagen worden war. Groß und mit unebenen Wänden baute sich dieser Höhlen ähnliche Gang vor mir auf. Mein Atem ging flach und ruhig, ebenso schlug meine Herz in gewohnten regelmäßigen Abständen. Meine Angst und meine Aufregung waren aus meinen Körper gewichen, denn meine Aufmerksamkeit hatte ich anderen Dingen zu gewandt. Meine Ohren waren gespitzt, bereit, jede noch so kleine Störung der Stille wahrzunehmen, und mich dann in Alarmbereitschaft zu versetzen. Noch war diese ungewöhnliche Situation nicht ausgestanden.

Als ich auf einmal Stimmen hörte, wurde mir bewusst, dass ich fast am Ende dieses Tunnels angelangt sein musste. Zuerst schreckte ich beim Klang dieser zurück, aber dann wurde ich neugierig, denn sie klangen in meinen Ohren ausgelassen und fröhlich, als gäbe es etwas zu feiern. Erneut fragte ich mich, wo ich hier nur gelandet war. Einen Augenblick später war ich der Geräuschkulisse, die mich so in ihren Bann gezogen hatte, nur einen Schritt entfernt. Eine einzige Ecke hatte ich nur noch zu überwinden, die den Blick frei geben würde, auf etwas, was mich sehr neugierig gemacht hatte.

Und ich überwand dieses letzte Hindernis. Was ich aber dann erblickte, traf mich wie ein Schlag. Jetzt hatte ich die Antwort auf eine meiner vielen Fragen bekommen. Wo ich hier gelandet war? In einer einfachen Kneipe. Kaum zu glauben, oder? So unauffällig wie möglich mischte ich mich unters feiernde, trinkende Völkchen, das sich laut und ausschweifend dem Alkohol hingeben hatte. Von der Seite her machten einige Männer Anstalten, sich mir zu nähern, da ich wohl ohne Begleitung hier zu sein schien. Was auch der Wahrheit entsprach, aber trotzdem müssten sie sich doch nicht so unmöglich benehmen. Denn mit ihrem Verhalten zogen sich unfreiwillig die Aufmerksamkeit auf mich. Und was ich wollte, war doch einfach nur ungesehen von der Welt von hier zu fliehen.

Einer der Männer packte mich plötzlich grob an den Arm und kam mir gefährlich nah. Er blies mir seinen übel riechenden, vor Alkohol triefenden Atem entgegen und ich konnte nicht anders, als das Gesicht angewidert zu verziehen. Um seinen vernarbten Mund herum bildete sich wohl so etwas wie ein Grinsen und mit seinen glasigen Augen begutachtete er mich lüstern von oben bis unten.

„Na, ist das nicht mal ein hübsches Ding. Was machst du denn so allein hier? Willst du mir nicht vielleicht ein wenig Gesellschaft leisten?“, fragte er belustigt und zog mich enger an sich, als mir lieb war.

Ich wandte all meine Kraft an, die ich aufbringen konnte und versuchte mich aus seinem festen Griff zu befreien, in dem ich mich mit meinen Händen gegen seinen Körper stemmte. Doch dieser Versuch verlief erfolglos.

„Na, na, na, wer will sich denn da schon davonmachen?“

Lauthals lachend verstärkte er spielerisch seinen Griff und ich war erneut gefangen. Doch diesmal nicht in einem dunklen Raum mit offener Tür.

„Lass mich in Ruhe, du Widerling!“, schrie ich in aller Verzweiflung und versuchte erneut vergeblich, mich von ihm loszumachen.

„Jetzt reicht es mir aber mit dir. Keine Zicken verstanden, sonst werd ich gleich ganz anders.“

Die anderen Männer, die inzwischen näher gekommen waren, um sich auch einen Stück von dem Kuchen zu nehmen, grölten vor Lachen und schienen nicht andere Absichten zu haben, als der Widerling, der mich festhielt. Hilfe suchend sah ich mich um und Tränen traten mir in die Augen, denn es gab kein Entkommen mehr. Plötzlich jedoch ließ mich der Mann los und durch meinen Tränenschleier sah ich, wie er vor mir in sich zusammensackte. Einfach so. Ich starrte einen Moment lang den jämmerlichen Haufen von einem muskelbepackten, aber hässlichen Mann an und hob darauf meinen Blick, um meinem Retter in die Augen zu sehen.

Schulterlange, dunkle Haare rahmten sein Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen und dem stolzen Kinn ein. Eine gerade Nase sowie ein schmaler Mund fügten sich perfekt in das Bild dieses muskulösen, jungen Mannes ein, der ganz in schwarz gekleidet war von Kopf bis Fuß. Meine Augen suchten als Letztes die seinen, die schwarz waren wie die Nacht und so tief und unergründlich wie die Unendlichkeit. Einen Augenblick lang glaubte ich, meinen Traummann vor mir stehen zu sehen und dass es die Liebe auf den ersten Blick doch geben musste, aber mit seinen nächsten Worten machte er diese Fantasie zunichte.

„Ach, da bist du ja endlich. Ich hab dich schon überall gesucht.“

Mein Retter, mein Traumprinz, konnte diesen Worten nach kein anderer sein, als einer meiner Entführer.

Kapitel 3

Verdutzt musste ich wohl drein geschaut haben, unendlich verwirrt. Ihn schien das nicht weiter zu stören, denn er fasste mich Handgelenk und ohne eine weitere Aufforderung zog er mich mit sich. Wir verließen das schummrige Lokal, das ganz in Gestein geschlagen worden war, wie der Gang auch, und von Fackeln beleuchtet wurde. An welch merkwürdigen Ort hatte man mich gebracht. In Gedanken versunken ließ ich mich von ihm mitziehen. Bis die Nachtluft wieder meinen Verstand klarte und ich mir bewusst wurde, mit wem ich es eigentlich zu tun hatte.

Ich entriss im draußen vor dem wenig beleuchteten Eingang meine Hand, die er nicht fest umschlossen gehalten hatte und entfernte mich zwei Schritte von ihm. Einen kurzen Blick allerdings warf ich noch zurück in die Kneipe, um nach den Männern, die mir zu nahe für meinen Geschmack gekommen waren, Ausschau zu halten. Sie hatten sich anscheinend wieder anderen Dingen gewidmet, wohl war ihnen eine weitere Auseinandersetzung mit diesem jungen Mann nicht unbedingt klug vorgekommen. Ich atmete erleichtert aus und mit entschlossenem Blick stellte ich mich meinem Entführer und Retter, um ihm zu danken und um mich dann danach zu verabschieden. Mit verschränkten Armen hatte er sich vor mir aufgebaut und sah mich ausdruckslos an. Mir blieb im ersten Moment nichts anderes übrig, als mit ihm ein Blickduell zu veranstalten, denn die Worte, die ich hatte hervorbringen wollen, waren mit bei seinem Auftreten im Halse stecken geblieben. Dafür begann er das Gespräch von Neuem.

„Wie lautet dein Name? Wer bist du? Was hast du hier zu suchen? Wo kommst du her?“

Verblüfft sah ich ihn an. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit Fragen nach meiner Herkunft, meinen Beweggründen und schon gar nicht meinen Namen. Das musste er doch alles wissen. Was für ein hinterhältiges Spiel hatte er vor mit mir zu spielen? Ich zumindest würde mich darauf nicht einlassen.

„Die Frage ist wohl eher: Was willst du von mir?“

Ich erwartete eine wütende oder eine amüsierte Reaktion seinerseits, die das Spiel fortführen würde, was er augenscheinlich begonnen hatte mit mir zu spielen, aber, was dann kam, überraschte selbst mich. Er drehte mit den Rücken zu und ging ohne ein weiteres Wort von sich zu geben davon. Ich starrte ihm hinterher und obwohl mein Instinkt mir sagte, ich solle es lieber lassen, lief ich ihm nach. Mit ihm Schritt zu halten war nicht einfach, denn wenn er einen Schritt tat, entsprach das bei mir genau Zweien. Ich stolperte neben ihm unbeholfen her und als ich schließlich fast auf die Nase fiel, blieb er endlich stehen. Da lag ich am Boden, starrte verwirrt und hilflos zu ihm herauf, doch er unternahm keinen Versuch, mir aufzuhelfen. Entrüstet über diese Unhöflichkeit rappelte ich mich auf und schaute ihn wütend an.

Er jedoch erwiderte darauf nur: „Du nervst.“

Verdattert betrachtete ich ihn und runzelte meine Stirn. Wieso ging mein Entführer ohne Wort zu sagen davon und sagte mir nun, dass ich ihn nervte? Was schien hier nicht zu stimmen?

„Ich warte.“

Das war alles, was er noch zu sagen hatte, doch als ich meinen Mund zu einer Erklärung öffnen wollte, klappte ich ihn wieder zu, denn in diesem Augenblick überkam mich eine grandiose Erkenntnis. Wenn meine Entführer mich anscheinend schon so satt hatten, dann sollte ich ihnen keinen weiteren Grund liefern, genau das zu ändern. Grinsend schaute ich in das schöne Gesicht des jungen Mannes.

„Ach, nichts.“, sagte ich leichthin.

„Du bist schon ein merkwürdiges Wesen, weißt du das? Weißt ja gar nicht, was du willst und was nicht.“

„Doch, doch, schon.“, murmelte ich überglücklich.

Was ich wollte? Hier weg und zwar schnell und ohne weitere Komplikationen natürlich. Gerade wollte ich mich von ihm abwenden, in dieselbe Richtung zurückgehen, aus der ich gekommen war, als meine Pläne von den lauten Rufen einer Schar Männer unterbrochen wurden. Ich erkannte ihre Stimmen sofort. Das waren meine Entführer. Panik schnürte mir die Kehle zu und ich drehte mich um und rannte um meine Freiheit, vielleicht auch um mein Leben. Wer wusste, was die mit mir vorgehabt haben. Keine drei Sekunden später knallte ich mir einer großen Gestalt zusammen, die mich kurz aufschreien ließ, aber es war nur der junge Mann von eben.

„Was in aller Welt ist denn jetzt schon wieder los?“

Sein entnervter Unterton hätte in jeder anderen denkbaren Situation Wut bei mir ausgelöst, doch jetzt war ich einfach froh seine dunkle, warme, raue Stimme zu hören. Ich spürte ein merkwürdiges Wohlbehagen in mir aufsteigen, aber das unterdrückte ich sofort wieder, denn die meine Entführer waren mir dicht auf den Fersen.

Mit vor Furcht erstickter Stimme stammelte ich: „Sie kommen...Sie wollen mich zurückholen...Bitte hilf mir...Bitte!“

Ich krallte mich in aller Verzweiflung an seinem Hemd fest, denn er war mein einziger Strohhalm, an den ich mich jetzt klammern konnte. Keine Sekunde zu spät reagierte er, nahm mich wieder bei der Hand wie vorhin und zog mich mit sich durch die Gassen. In dieser Nacht waren nur wenige Menschen auf den Straßen, die so taten, als würden sie die beiden Verrückten, die wie um ihr Leben rannten, nicht bemerken. Mein Gefühl sagte mir, dass hier etwas nicht zu stimmen schien, doch, was es war konnte es nicht sagen. Vielleicht hatte es etwas mit der Umgebung, der Atmosphäre hier zu tun, aber sicher war ich mir nicht.

Zusammen liefen wir durch die Straßen bis wir völlig außer Atem, er war auf wundersame Weise nicht so völlig außer Atem wie ich, halt machten vor einer kleinen Gaststube, die „Zur Melodie des Herzens“ hieß. Welch ein kitschiger Name, dachte ich mir amüsiert und immer noch fest seine warme Hand umklammert folgte ich ihm in dieses Haus mit diesem geradezu aberwitzigen Namen. Drinnen angekommen und die Tür hinter uns zugezogen ließ mein Lebensretter meine Hand los und setzte sich ruhigen Gewissens ohne auf meinen Verbleib zu achten an die Bar. Er hob die Hand und die Wirtin am anderen Ende der Theke schob ihm ein frisch gezapftes Bier hinüber. Dies trank er in gierigen, großen Schlücken aus und den Schaum, der auf seinem Mund zurückgeblieben war, wischte er sich mit dem Handrücken weg.

Bei dieser Prozedur hatte ich ihn ohne dabei zu blinzeln neugierig beobachtet und bemerkte erst jetzt die verwunderten und belustigten Blicke der wenigen Gäste dieser Gaststube. Ich sah an mir herunter und mir wurde klar, dass ich im Schlafanzug vor ihnen stand, den ich wie immer vor dem Schlafengehen auch an diesem Abend gegen meine Alltagsklamotten getauscht hatte.

Peinlich berührt errötete ich sofort und versuchte mit meinen Händen irgendwie die Aufdrucke zu verdecken, bei denen es sich um niedliche, kleine Kätzchen handelte. Ein Fehler meinerseits, denn nun ging ein Raunen durch die Reihen und darauf folgte das lautstarke Lachen der hier Anwesenden. Am liebsten würde ich genau in diesem Moment im Boden versinken können, aber das war ja leider nicht möglich.

„Nun hört doch mal auf das Mädel auszulachen. Trinkt lieber euer Bier aus und holt euch dann ein Neues. Wenn nicht, dann wehe euch.“

Die ruppigen Worte der Wirtin ließ das Gelächter aller verstummen und als ich zu dem jungen Mann sah, erblickte ich auf seinem Gesicht ein kleines, aber unscheinbares Lächeln. Ohne ersichtlichen Grund stand er auf, kam auf mich zu und warf mich zu meiner Überraschung über seine linke Schulter und steuerte so mit mir die Treppe nach oben an, die rechts vom Eingang war. Als meine Empörung über diese Behandlung einsetzte, wollte ich dieser im Protest ein Ende machen, jedoch er kam mir zuvor.

„Jetzt sei einfach einmal still. Lass es über dich ergehen. Glaub mir, dass ist sicherer so.“ Die Worte wisperte er mir ins Ohr.

Keine Sekunde später drehte er sich mit mir als Last auf den Schultern zu den Zuschauern um, die dieses Spektakel mit keifenden Gesichtern beobachteten.

„Ich hoff´, dass ichs nur einmal sagen muss. Ich wär mit ihr jetzt ganz gern allein, wenn ihr versteht, was ich meine. Also kommt nicht auf die Idee, euch blicken zu lassen. Bettfertig ist sie ja auch schon.“

Wie unverschämt bitte war das denn? Aus dem Augenwinkel konnte ich deutlich erkennen, wie er zur Untermalung seiner eindeutig zweideutigen Worte die Augenbrauen verschwörerisch wackeln ließ und ein schelmisches Lächeln sich in seine Mundwinkel stahl. Ich schnaubte nur und wollte Worte des Ärgers von mir geben, als er unter den Zurufen der anderen im Raum schon einen Fuß auf die erste Treppenstufe gesetzt hatte und mich schnell und geschmeidig nach oben bugsiert hatte. Oben auf dem Treppensatz angekommen machte er nicht Halt, um mich abzusetzen, sondern er ging an drei oder vier Türen vorbei und öffnete daraufhin eine der schweren Holztüren.

Es war ein kleines, dunkles Zimmer, in dem wir uns nun befanden. Um zumindest ein wenig Wohlbehagen angesichts dieser Situation zu erzeugen, entzündete er eine schmale, weiße Kerze. Es gab hier wohl anscheinend kein elektrisches Licht, aber in diesem Moment hatte ich größere Sorgen, als diese eine kleine Merkwürdigkeit. Mit einem „Hmmpf“ ließ ich mich auf das einzige Bett in diesem winzigen Zimmer fallen, auf dem einzig allein eine von Motten zerfressen Decke lag. Diese schob ich angeekelt zu Seite und ich setzte mich auf die freigelegte Strohmatratze und wieder trat kurzzeitig dieses beunruhigende Gefühl in den Vordergrund meines Denkens, das bezeugte oder mir Glauben zu machen versuchte, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Plötzlich räusperte der junge Mann sich, der sich auf das einzig andere Möbelstück in diesem Zimmerchen niedergelassen hatte.

„Wenn ich nun um eine Erklärung bitten dürfte. Um einen kleinen Denkanstoß zu geben: Vorhin erschien es mir so, als würdest du in Gefahr schweben...“

Er ließ diesen Satz über mir in der stickigen und verbrauchten Luft schweben und ich wurde mir bewusst, dass ich ihm in irgendeiner Art und Weise Rede und Antwort schuldig war.

„Ähm, also...Wo soll ich denn beginnen?“, verunsichert suchte ich nach einem Punkt im Raum, der mir mehr Selbstsicherheit und mehr klare Gedanken schenken sollte. Ich blieb an einem schwarzen Fleck an der Wand über seinem Kopf kleben und dachte nach. Was durfte, aber was konnte ich ihm nicht sagen? Konnte ich diesem Mann überhaupt trauen? Zum Teil wahrscheinlich schon, jedoch war er mir immer noch nicht ganz geheuer, denn in seiner Gegenwart spürte ich mich behaglich sowie auch unbehaglich zugleich. Woher diese Empfindungen stammten, konnte ich auch nicht beantworten, sowie auch nicht alle seiner Fragen. Anscheinend schien er wirklich nichts über mich zu wissen. Anscheinend war er mir genauso fremd wie ich ihm.

Ungeduldig unterbrach er meinen Gedankengang: „Ich warte immer noch. Fang am besten ganz von vorne an und erzähl mir, warum diese Männer dich vorhin verfolgt haben, wie es dazu kam und so weiter.“

Ich sah ihm nicht in die Augen und starrte weiter diesen dunklen Fleck an der Wand an. Mich beschäftigten ebenso viele Fragen wie ihn. Wo befand ich mich jetzt? Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich nicht zu Hause in meiner Welt war, sondern vielleicht in einer anderen Welt zu einer anderen Zeit. Da die Menschen sich hier anders kleideten, die Gebäude alt und verfallen waren, auch anders, und es hier vermutlich kein elektrisches Licht gab, musste sich einem einfach die Frage stellen, wo man hier gelandet war. Fremde in einer fremden Welt. Ich wusste nicht, was meine Familie verbrochen haben musste, damit es soweit kommen konnte, aber ich glaubte, nein, ich wusste, dass das alles hier etwas mit ihnen zu tun haben musste. Und auf all diese Fragen würde ich nur eine Antwort erhalten, wenn ich selbst welche beantwortete.

Ich erzählte dem jungen Mann von dem Überfall, meiner Ohnmacht, meiner Entführung, von dem Raum mit der offenen Tür und endete damit „...den Rest kannst du dir ja denken.“

Aufmerksam und ernst lauschte er meinen Worten, wie ich bei einigen kurzen Blicken, die ich auf ihn warf, feststellte und irgendwie erleichterte es mich, mir das alles von der Seele reden zu können. Die Geheimnisse meiner Familie jedoch blieben Geheimnisse. Er fragte zwar nach den Gründen für die Entführung und glaubhaft versuchte ich ihm zu versichern, dass es etwas mit meiner Familie zu tun haben musste, aber ich nicht wüsste, wieso, weshalb, warum. Aber seinem schwer lesbaren Gesichtsausdruck zufolge schien er mir diesen Teil der Geschichte nicht ganz abzunehmen, aber hackte nicht weiter nach, sondern lehnte sich zufriedengestellt fürs Erste entspannt in seinem Stuhl zurück.

„Du glaubst also, dass du dich nun in einer anderen Welt befindest?“

Wollte er mich etwa damit aufziehen?

„Das ist nur so ein Gefühl.“ Leichte Wut schwang in meinen Worten mit.

„So, so, und was, wenn ich dir sagen würde, dass das gut möglich sein könnte?“

Was hatte das denn jetzt zu bedeuten? Ich starrte ihm nun unentwegt in die Augen und verlor mich einen unachtsamen Moment lang in ihnen. Konzentrierte mich dann aber wieder auf unserer Gespräch. Er las deutlich von meinem Gesicht ab, dass ich eine Antwort erwartete, aber er verzog seinen Mund nur zu einem neckischen Grinsen.

„Weißt du was? Ich bin müde. Das war heute ganz schön langer Tag.“ Mit einem Gähnen unterstrich er seine Müdigkeit.

Er ließ sich vom Stuhl sinken, schob diesen beiseite und lehnte sich an die Wand gegenüber von mir. Ich hatte mich kein Stückchen von der Stelle gerührt und würde gleich vor Ungeduld, Neugierde und Wut platzen, wenn er mir nicht jetzt sofort eine Antwort gab. Einen Augenblick lang betrachtete er mich ausdruckslos, schloss dann seine Augen und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf, sich keines schlechten Gewissens bewusst.

„Für heute Nacht dürftest du hier sicher sein. Alle denken nämlich, dass wir eine heiße Nacht miteinander verbringen, und die werden uns sicherlich nicht unter diesen Voraussetzungen heute Nacht überraschen. So haben wir vorerst kein Aufsehen erregt. Nur ein paar erheiterte Gemüter. Sei mir also in dieser Sache dankbar und morgen sehen wir dann weiter, was wir für dich tun können. Gute Nacht.“

Damit war das Gespräch beendet, denn obwohl ich noch ein paar Fragen mit unterdrückter Wut und Enttäuschung in die Dunkelheit stellte, erfolgten keine Antworten darauf. Nach einiger Zeit vernahm ich allerdings sein leises Schnarchen und musste darüber lächeln. Wie ungemein süß das klang. So einem Schnarchen konnte man einfach nicht mehr böse sein.

Kapitel 4

Am nächsten Morgen erwachte ich aus einem Albtraum. Schweißgebadet richtete ich mich auf der harten Strohmatratze auf und mein Herzschlag hämmerte gegen meinen Brustkorb. Die Kopfschmerzen von gestern setzten zum wiederholten Male ein. Da waren ungefähr ein Dutzend Männer im Traum gewesen, ganz in schwarz gekleidet, mit mürrischen und unfreundlichen Gesichtern, die mich verfolgt hatten. Ich war durch einen Wald gerannt. Äste hatten mir die Haut zerkratzt, da sie mir entgegen schlugen. Vor Schmerz hatte ich aufgeschrien. Doch ich war weiter gerannt, immer weiter, bis sich plötzlich eine Schlucht vor mir aufgetan hatte. Am Rande der Schlucht angekommen hatte ich mich daran gehindert, weiter zu rennen, und meine Verfolger waren mit jeder verstrichenen Sekunde, die ich dort verharrte, gefährlich näher gekommen. Ich hatte in diese tiefe schwarze Schlucht hinab geblickt. Geschluckt. Und mein Hals hatte nach Wasser verlangt, denn meine Kehle war plötzlich wie ausgedörrt. Angst hatte mich gepackt. Nun hatten mich meine Verfolger umzingelt, die dem lüsternen und betrunkenen Mann in der Kneipe gestern so erschreckend ähnlich gesehen hatten. Entweder hätte ich jetzt freiwillig mit ihnen gehen, mich gegen sie zur Wehr setzen oder in diese finstere Schlucht als letzten Ausweg aus dieser Misere springen können.

Doch bevor ich überhaupt dazu gezwungen werden konnte, eine Entscheidung zu treffen, war ich aufgewacht. Ich schaute mich in dem kleinen Zimmer um, das nur durch das Tageslicht aus einem kleinen Fenster hoch oben an der gegenüberliegenden Wand von der Tür spärlich erhellt wurde. Ich stutzte. Mein wunderschöner Retter von gestern war verschwunden. Wo war er hingegangen? Hatte er mich etwa allein zurückgelassen? Grimmig starrte ich auf den schwarzen Fleck an der Wand und versuchte meine vor Enttäuschung brennenden Augen in den Griff zu kriegen. Gestern Abend hatte er mir doch noch gesagt, dass er mir helfen würde. Wie sollte ich ohne ihn in dieser fremden Welt zurecht kommen und einen Weg finden, wieder nach Hause zu gelangen?

Verdammter Mistkerl.“, schimpfte ich leise vor mich hin.

Meine Tränendämme brachen vorerst nicht, doch jetzt saß ich auf diesem Bett in diesem kleinen Zimmerchen ohne jeglichen Plan, wie es weitergehen sollte. Wem außer ihm würde ich vertrauen können? Die nähere Zukunft erschien mir nicht mehr so rosig, wie gestern noch. Auf einmal aber klopfte es an der Tür und ich wurde starr vor Angst. Wer mochte das sein? Als ein zweites, schnelleres Klopfen ertönte, bekam ich es mit der Panik zu tun und immer noch regte ich mich nicht. Als dann ein drittes Klopfen durchgeführt mit deutlich gröberer Stärke meine angespannten Nerven zu zerreißen drohte, überwand ich mich dazu, denjenigen vor meiner Tür hereinzubitten.

„Ja?“, krächzte ich.

Die Tür wurde zur Seite geschlagen. Der Schock und die Freude über den Eindringling standen mir deutlich ins Gesicht geschrieben. Es war mein junger, gut aussehender Retter von gestern. Er hatte mich also doch nicht im Stich gelassen. Jedoch die Beschreibung eines Racheengels aus der Hölle wäre die passendere gewesen. Furchteinflößend stand er vor mir mit verschränkten Armen und einem gereizten, erbosten Blick, sowie wie einem Mund zu einer schmalen Linie verzogen. Aber das hielt mich nicht davon ab, ihn aus einem Impuls heraus zu umarmen und unbeabsichtigterweise doch noch ein paar Tränen der Freude zu vergießen.

„Was stimmt nur nicht mit der?“, fragte er sich an sich gerichtet und blieb gerade wie ein Pflock stehen, um die stürmische Umarmung meinerseits über sich ergehen zu lassen.

Schnell ließ ich wieder von ihm ab und errötete aus Scham wegen meines unangekündigten und peinlichen Verhaltens. Er musste mich doch jetzt erst recht für ein Kleinkind halten, das bei jedem noch so kleinen Anzeichen für Gefahr in die Arme seines großen Bruders springen würde.

„Es tut mir leid.“, war meine einzige Entschuldigung, die ich nach außen hin schüchtern hervorbrachte, jedoch innerlich machte ich vor Freude über seine Rückkehr Luftsprünge.

Er brummte nur als Antwort und trat noch zwei Schritte zurück zu Tür, um ein Bündel aufzuheben. Anscheinend hatte er es im Eifer seines Klopfens fallen lassen. Er warf es mir zu und zog die Tür anschließend hinter sich zu.

„Da sind ein paar Kleider drin, die dir passen müssten. Hab ich von der Wirtin bekommen. Denn in dem Aufzug...“, mit seinem Blick beäugte er meinen Schlafanzug äußerst kritisch, „...werde ich nicht mit dir vor die Tür gehen, weil du würdest so, wie du jetzt angezogen bist, nur mehr ungewollte Aufmerksamkeit auf uns ziehen.“

Insgeheim war ich sogar froh in andere Kleider schlüpfen zu können und öffnete das Bündel vorsichtig mit meinen Händen und ließ dessen Inhalt auf das Bett fallen. Aber da waren ja keine Hose und kein Hemd zu finden, nur Kleider. Ich räusperte mich und schaute ihn verwirrt an.

„Das sind ja alles nur Kleider. Wo sind die Hosen und Hemden?“

„Hosen und Hemden sagst du? Du bist doch weiblich, oder etwa nicht? Mädchen und Frauen tragen hier keine Hosen und Hemden.“ Verschmitzt grinste er mich an.

Ich zügelte meine aufkommende, schlechte Laune und begnügte mich mit dem, was da war, denn wahrscheinlich würde ich auf noch mehr Dinge in dieser Welt verzichten müssen, die es in meiner Welt in Hülle und Fülle gab. Wie zum Beispiel Elektrizität und Hosen und Hemden für Frauen. Ich zog mir irgendeines der Kleider aus dem Stapel hervor, bemerkte mit einem gewissen Grad von Ekel, dass dieses nicht gewaschen und schon einmal gebraucht worden war, und durchsuchte den Stapel so nach etwas Anderem. Am Ende hielt ich ein rotes Kleid aus grobem Leinen in den Händen und als Unterrock ein ebenso langes weißes. Mein Retter sah mir interessiert zu. Mit einem eindringlichen Blick betrachtete ich ihn nun, der ihm sagen sollte, dass ich mich nun ohne seine Anwesenheit umziehen wollte. Zu meiner Erleichterung nickte er und drehte mir den Rücken zu.

Während ich mich aus meinem Schlafanzug schälte, ich in den Unterrock stieg und mir das rote Kleid überwarf, begutachtete ich seinen kräftigen Rücken, der von Muskeln durchzogen war. Er wirkte nicht so, als wäre er ein grober Klotz aus Muskeln, sondern sie schmeichelten ihm auf elegante und anmutende Weise. Dann wandte ich den Blick von ihm ab, um mit den Bändern am Rücken des Kleides zu kämpfen und sie festzuziehen. Ich gab einen verzweifelten Laut von mir und sofort drehte er sich zu mir um. Ich schrie auf vor Entsetzten und drehte ich wie aus einem Reflex heraus weg von ihm.

„Dreh dich sofort wieder weg!“

„Ist ja schon gut.“, sagte er mit ruhiger Stimme beschwichtigend und folgte trotz dieser Worte meiner Aufforderung nicht. „Ich will dir nur damit helfen.“

Ich wich weitere drei Schritte von ihm zurück. Er machte einen großen und einen halben und stand plötzlich vor mir.

„Nein, ich brauche deine Hilfe hierbei nicht.“

„Mhm, so ist das also. Auf der einen Seite willst du meine Hilfe, aber auf der anderen willst du sie hierbei zum Beispiel nicht. Also ich gebe dir eine Möglichkeit, dich endgültig zu entscheiden. Willst du meine Hilfe oder willst du sie nicht? Entweder ganz oder gar nicht.“

„Das ist gemein.“ Ich blickte ihm fest und unnachgiebig in die Augen und suchte einen Schimmer von Unsicherheit in ihnen. Fand jedoch keinen.

„Nun dreh dich schon um. Ich werde dir nicht wehtun, glaub mir.“

Wie von Zauberhand drehte ich ihm langsam den Rücken zu ganz seinen Worten folgend. Irgendeine Person schien Besitz von mir ergriffen zu haben. Sie ließ mich träumerisch, ja fast taub werden und durch sie gab ich mich ihm hin. Seine Hände zogen nicht zu fest an den Bändern, berührten meinen Rücken kaum, und ließen viel zu schnell für meinen Geschmack wieder von mir ab. Wovor hatte ich eigentlich solche Angst gehabt?

„Darf ich bitte deinen Schlafanzug an mich nehmen?“

Ich war immer noch nicht ganz wieder Herrin über mich selbst, sodass ich seine Worte nur aus weiter Ferne wahrzunehmen schien. Worum bat er mich? Wieso fühlte ich mich so sonderbar, so anders? Doch immer weiter drang die Bedeutung seiner Worte zu mir hindurch und ich erwachte aus einer Art von Trance.

„Du willst was?“, fragte ich unfreundlicher, als ich es eigentlich gewollt hatte.

Noch war ich nicht wieder ganz bei mir. Was war eben mit mir geschehen?

„Deinen Schlafanzug.“

Wieso klang sein Unterton unfreundlicher als meiner?

„Aber wieso?“

„Ich will den Schlafanzug einem meiner guten Freunde zeigen. Er kann uns vielleicht weiterhelfen.“

„Wie sollte ein, nein, mein Schlafanzug uns weiterhelfen können?“, fragte ich ihn angestachelt von seiner merkwürdigen Begründung.

„Wieso muss man dir eigentlich alles doppelt und dreifach erklären? Ich will deinen Schlafanzug doch nur einem Freund von mir geben, der dann seine Geschichte, also deine, von ihm abliest. Er ist Chronist. Ist sich das denn so schwer zu denken?“ Nun verlor er wohl endgültig den Geduldsfaden mit mir.

Was war denn ein Chronist und hatte er gerade gesagt, dieser würde eine Geschichte von meinem Schlafanzug ablesen können? Ich hatte soeben etwas über diese Welt erfahren. Etwas ganz Entscheidens. Hier existierten offensichtlich Menschen mit magischen Fähigkeiten, ähnlich denen meiner Familie. Über diese Welt hatte ich schon einmal etwas gehört, nicht sehr viel, aber genug, um Gewissheit zu haben. Ich konnte mir damit zwar nicht meine Frage beantworten, aber möglicherweise einige andere. Ich war nicht in irgendeiner Welt gelandet, sondern unglücklicherweise in der Welt, aus der meine Familie stammte, aus der Welt, die sie vor Hunderten von Jahren ohne einen bestimmten Grund hinter sich gelassen hatte, um in meiner Welt, ein neues Leben anzufangen. Doch das alles konnte ich ihm nicht sagen. Nein, das konnte ich nicht. Er würde es ohne diese Informationen schaffen müssen, dass ich wieder einen Weg nach Hause fand. Denn mit diesen Informationen würde er sicherlich herausfinden, wer genau ich war und was meine Familie und ich für Menschen waren. Ich war mir deshalb so sicher in diesem Punkt, weil alle Alarmsignale in meinem Inneren Gefahr schrien, wenn ich daran dachte, ihm all das zu sagen.

So behielt ich meine Erkenntnisse für mich.

„Klar, das hätte ich mir doch denken können.“ Verlegen fasste ich mir mit der rechten Hand an den Hinterkopf.

„Dann ist ja gut.“

Wohl schien er nichts über das Wissen und die Norm in meiner Welt zu ahnen, was übernatürliche und magische Dinge anging, denn die beliefen sich auf ein Fünkchen von Nichts. Meine Familie hatte immer gewusst, wie sie sich in meiner Welt hatte zu bewegen müssen, damit man nicht auffiel. Im Laufe der Jahren hatten wir uns angepasst und kein normaler Mensch hatte je von unseren Geheimnissen erfahren. Aber wie würde sich das hier verhalten? Würde ich mich soweit anpassen können, dass ich hier niemandem auffiel? Denn ich wusste nicht mehr über diese Welt hier, als er über meine zu wissen schien. Vielleicht sollte ich doch ein wenig um die Ecke denken und ein paar Geheimnisse dieser Welt aus ihm herauskitzeln. Nur für alle Fälle und aus reiner Neugier.

„Also ehrlich gesagt, habe ich keinen blassen Schimmer von dem, was du gerade gesagt hast. Was genau ist ein Chronist? In meiner Welt gibt es solche Dinge nicht.“ Eine Aussage, die zum Teil von einer Lüge gedeckt wurde. Aber was tat man nicht alles, um seine Neugierde zu befriedigen.

Er sah mich ein wenig überrascht an und zog nur eine seiner Augenbrauen hoch. Gedankenversunken blickte er durch das kleine Fenster über mir.

„Das lässt sich wohl am einfachsten anhand eines Beispiels erklären. Nehmen wir mal an, du gibst einem Chronisten einen Stein. Du sagst ihm, dass dieser Stein von dem Ort stammt, an dem du eine bestimmte Sache zum allerletzten Mal gesehen hast. Und genau diese Sache hast du nun verloren. Der Chronist wird dir jetzt dabei helfen, den weiteren Werdegang der Sache zu bestimmen, aber das funktioniert nur, wenn die Geschichte des Steins auch wirklich mit der der Sache in irgendeiner Art und Weise verwoben ist. Diese Verbindung kann der Chronist erkennen, wenn sie denn besteht, und sie dazu nutzen, die Sache wieder zu finden. Allerdings weicht diese Erklärung von Fall zu Fall ein wenig ab. Da gibt es immer noch die eine oder die andere Beeinträchtigung, mit der sich ein Chronist herumschlagen muss.“

Ich blickte meinen Retter, der mich um einen Kopf überragte, mit großen Augen an und war verblüfft darüber, das ich nun sicher sein konnte, dass hier Menschen mit Gaben, ähnlich, wie denen meiner Familie, lebten. Zuvor war ich mir zwar sicher darüber gewesen, aber noch nicht so sicher, wie jetzt. Was mich hier wohl noch alles erwarten würde? Meine Neugier überwand meine Vorsicht.

„Und was hast du für eine Gabe?“ Die Frage kam mir einfach so ohne Vorwarnung über die Lippen.

Die Denkfalte zwischen seinen Augenbrauen verdichtete sich zu einem Tal und er betrachtete mich mit seltsamem Blick. War ich zu vorschnell gewesen? Ahnte er etwas? Meine Frage konnte ich jedoch nicht wieder zurück nehmen. Vor Nervosität begann ich auf meiner unteren Lippe herumzukauen und wartete seine weitere Reaktion ab. Er lachte.

„Ich und eine Gabe?“

„Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich habe mir nur gedacht...“

Was eigentlich hatte ich denn verbrochen? Ich hatte doch nur meinem inneren, sehr menschlichen Bedürfnis der Neugierde gefolgt und eine einfache Frage gestellt. Wieso sollte ich mich für dieses Vergehen rechtfertigen?

„Nun schau mich doch gleich nicht so böse an. Klar, dass sich dir so eine Frage stellt. Um es in kurze Worte zu fassen: Hier in der Welt leben nur sehr wenige Menschen mit besonderen Fähigkeiten, die einen stärker oder schwächer als die anderen. Die meisten Menschen, so wie ich, besitzen gar keine Fähigkeiten und wollen es auch nicht.“

„Sie wollen keine besitzen?“

Er antwortete nicht, sondern sah nur mit verhärteter Miene aus dem Fenster. Ich bohrte nicht weiter nach, sondern ließ es dabei bleiben. Ich wusste genug für diesen Moment. Anscheinend hatte meine Familie vor ein paar hundert Jahren hier auch zu diesen wenigen Menschen gezählt, die magische Fähigkeiten besaßen. In dieser Welt und meiner ebenso waren sie etwas Besonderes gewesen und dieser Gedanke versetzte mir einen Stich. Absurderweise stellte sich mir die Frage: Waren sie in eine andere Welt gezogen, um dort noch besonderer und einzigartiger zu sein, als wie sie es hier sowieso schon waren?

Ich wollte nicht, dass seine Augen noch schwärzer und unendlicher wurden, als wie sie es schon jetzt waren. So holte ich ihn mit einem einzigen Wort aus dieser gedankenverlorenen Leere: „Danke.“

„Mhm?“

„Danke, habe ich gesagt. Danke für alles, was du bis jetzt für mich getan hast. Das hätte ich glatt vergessen.“ Ich lächelte ihn an und hoffte, dass er verstand, was ich meinte.

Unergründliche, bodenlos tiefe Augen blickten mich einen Moment an und dann murmelte er: „Dir fallen auch wirklich die komischsten Dinge in den unpassendsten Augenblicken ein.“

Ich war kein Stück verärgert über diese Aussage, denn langsam tauchte er wieder aus seiner Leere auf, die ich ihm mit meiner letzten Frage eingebrockt hatte. Nun lächelte auch er.

„Übrigens mein Name ist Khatia. Das hätten wir auch fast vergessen, uns gegenseitig mit Namen vorzustellen.“ Sein Lächeln wurde breiter und erfüllte mich mit Freude.

„Philian, mein Name ist Philian. Es freut mich, dich kennenzulernen, Khatia.“

Er nahm meine rechte Hand in die seine und mein Gesicht wurde ganz heiß. Die Hand führte er zu seinem Mund und drückte mir einen kleinen Kuss darauf. Ich dachte doch tatsächlich einen winzigen Moment darüber nach, mir nie wieder diese Hand zu waschen, aber sofort verwarf ich diesen Gedanken wieder.

Dann führte er mich aus dem Zimmer. Im Flur angelangt wurde ich mir bewusst, dass wir uns nun auf den Weg machen würden, mich wieder nach Hause zu bringen, allerdings müssten wir erst einmal herausfinden, wie ich überhaupt hierher gelangt war. Dabei hoffte ein kleiner Teil von mir, dass das eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen würde.

Kapitel 5

Die Wirtin spendierte uns beiden hungrigen Mäulern ein Frühstück, das aus einem großen Stück Brot, einem Stück Wurst und Käse und einem Krug mit Wasser bestand. Obwohl sie es uns unentgeltlich servierte, warf Philian ihr ein paar Kupfermünzen hin und nickte ihr gutmütig zu. Später verriet er mir, dass ihre finanzielle Lage zur Zeit nicht sonderlich gut aussah. Ich nickte wissen und verstand die Lage. Ich sah zu der robusten, starken Frau hinüber, die ohne Kind und ohne Mann ein Wirtshaus betrieb, und Mitleid stieg in mir auf. Mein Blick traf in diesem Moment den ihren und sie lächelte mich freundlich an. Ich erwiderte ihr Lächeln und daraufhin blickte ich wieder zu Philian.

„Du weißt so gut Bescheid über die Wirtin. Woher kennt ihr euch?“

„Das ist eine einfach zu beantwortende Frage. Eines Abends stand ich hier durstig in der Tür und bestellte ein Bier. Es schmeckte wirklich gut und am nächsten Abend kam ich wieder. Seitdem komme ich fast jeden Abend hierher und mit der Zeit sind wir Freunde geworden. Wenns bei ihr oder bei mir mal brennt, hilft der eine dem anderen.“

„Verstehe...Also seid ihr so eine Art von Zwecksfreundschaft miteinander eingegangen?“ Dieser Gedanke kam einfach so aus mir herausgesprudelt und schon im nächsten Moment wünschte ich mir, dass ich ihn nicht ausgesprochen hätte.

Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich und er sah mich direkt und eindringlich an.

„Solche Freundschaften befürworte ich nicht und würde ich niemals eingehen.“

Damit war die gute Laune von vorhin dahin. Er erhob sich von seinem Hocker und ging zu Tür.

„Bist du nicht auch fertig mit dem Frühstücken? Ich denke, wir sollten jetzt gehen.“

Ich erhob mich ebenfalls von meinem Hocker und warf der Wirtin einen schuldbewussten Blick zu. Diese jedoch nickte nur freundlich. Dennoch ging ich zuerst zum Tresen, hinter dem sie stand und Gläser polierte, anstatt zum wartenden Philian, der im Türrahmen zum Aufbruch bereit stand und mich ungeduldig mit Blicken durchbohrte.

„Ich wollte mich noch bedanken. Für alles, was du für uns getan hast. Ich hoffe, dass ich mich irgendwann einmal dafür revanchieren kann.“

„Kleines, du solltest jetzt wirklich mal deine kurzen Beine in die Hand nehmen und von hier verschwinden.“, war alles, was diese nette Frau darauf erwiderte. Ob sie mir nun verzeihen würde oder nicht, konnte ich nicht sagen, aber ich wusste, dass sie es gut mit mir meinte.

„Auf Wiedersehen und mir tut es wirklich leid, was ich über deine und Philians Freundschaft gesagt habe.“

Dann packte mich plötzlich wer am Arm und zog mich aus dem Wirtshaus, dass zwar von außen heruntergekommen aussah, aber innen drin einladend und freundlich auf seine Besucher wirkte und ich wusste, dass das nur an seiner liebenswürdigen Besitzerin liegen konnte. Und mein schlechtes Gewissen pulsierte so in einem kleinen Teil meines Kopfes vor sich hin und suchte einen Weg, die Worte von vorhin wieder ungeschehen zu machen, denn sie hatten die Wirtin und Philian gleichermaßen beleidigt.

Ich wollte der Wirtin ein letztes Mal noch einen entschuldigenden Blick zu werfen, aber die große, in schwarz gekleidete Gestalt Philians versperrte mir die Sicht. Ich wollte ihm böse Worte wegen seines ruppigen Umgangs mit mir entgegen werfen, aber daraus wurde nichts, denn er kam mir zuvor.

„Ich hab doch gesagt, dass wir jetzt gehen. Was an diesen Worten ist so falsch zu verstehen?“

Er wartete meinen Prostest nicht ab und zog mich mit sich. Es war schwer mit ihm Schritt zu halten, sodass ich mich irgendwann von ihm losriss und ihn wütend zur Rede stellte.

„Was soll das? Wieso denkst du, dass du mit einer Person umspringen kannst, wie es dir beliebt? Mich stört es ungemein, wie du dich einfach so über mich hinweg setzt, ohne mich auch nur einmal angehört zu haben. Vielleicht war ich ja noch gar nicht mit dem Frühstück fertig. Hast du überhaupt auch nur einen Moment daran gedacht?“ Fast schrie ich diese Worte aus mir heraus. Ich wollte endlich, dass er mir einmal richtig zuhörte.

Wenn ich zornig war, sowie jetzt, dann vernebelte der Zorn meine Sinne und alles, was ich sagte, verletzte zumeist die anderen. Später würde ich noch bereuen, was ich jetzt von mir gegeben hatte. All dies wusste ich. Trotzdem hielt mich meine Wut im festen Klammergriff.

Scharf sog er Luft durch seine Nase ein und lehnte sich ohne ein Wiederwort an eine Wand, die zu einem der vielen, kaputten, brüchigen und heruntergekommenen Lehmhütten mit viel zu kleinen Fenstern und flachen Dächern aus Holzbalken gehörte. Diese Gegend triefte nur so vor Armut. Jetzt bei Tageslicht nahm ich in voller Gänze wahr, dass die vorbeikommenden Menschen ein lebendiges Ebenbild zu ihren Häusern darstellten. Mit dreckigen Fetzen aus Stoff am Leib huschten sie, wie kleine Mäuse auf der Flucht, unauffällig durch die Straßen in der Absicht, bloß niemandem aufzufallen. Aber ich bemerkte sie und meine Stimmung erreichte einen weiteren Tiefpunkt, denn diese verarmten und verwahrlosten Menschen taten mir unendlich leid. Wie es bloß dazu kommen konnte? Was hatte man ihnen angetan? Meine Wut über mein Gegenüber verflog allmählich und machte einer tiefen Trauer Platz, die den Menschen hier galt, aber ihnen nicht weiterhelfen würde.

„Hast du dich nun endlich beruhigt?“, fragte er mich mit ausdrucksloser Miene und ließ seinen Blick über die vorziehenden Menschen schweifen.

„Was hat man ihnen angetan?“, flüsterte ich mir Tränen erstickter Stimme.

„Lass uns bitte weitergehen, wenn es dir denn recht ist.“

Er wich meiner Frage aus und ich verstand, warum. Er wollte mich nur beschützen. Beschützen vor einer schrecklichen Wahrheit, die selbst er wohl nur schwer ertragen konnte. Allerdings meine vorletzten Worte schien er verstanden zu haben, denn er hatte mich gefragt, ob es mir recht sei, weiterzugehen. Ich nickte nur. Zu mehr war ich im Augenblick nicht in der Lage.

Wir gingen ohne ein weiteres Wort weiter. Diesmal langsamer, meinem Schritttempo angepasst. Ich achtete nicht darauf durch welche engen Gassen und Wege wir gingen. Ich spürte nur Philians warme, kräftige Hand in meiner, die mir Trost spendete. Ab und zu blickte ich aus den Augenwinkeln zu ihm auf, aber in seinem Gesicht zeigte sich keine Regung. Ich konnte nicht einmal erahnen, was in meinem Kopf vor sich ging. War er sauer auf mich wegen meines Wutausbruchs vorhin? Sicherlich hatte ich damit seinen Stolz verletzt, denn er im Grunde wollte er mir doch nur aus meiner verzwickten Lage helfen. Und das auf freiwilliger Basis. Wieso eigentlich half er mir? Ich schaute erneut aus den Augenwinkeln zu ihm hoch, aber meine Frage konnte ich mir trotzdem nicht beantworten. Irgendwann würde ich ihn danach fragen.

Wir hielten vor einer dieser Lehmhütten. Die Eingangtür bestand nur aus einem Stück Stoff, der das Innere notdürftig verborgen hielt.

„Wohnt hier der Chronist, der uns helfen soll?“, fragte ich unsicher.

Er nickte. Und wieder einmal fragte ich mich, was in diesem Moment in seinem Kopf vor sich herging, denn seine Miene blieb nach wie vor ausdruckslos. Philian drückte meine Hand fest, als würde er mir Mut zu sprechen wollen, und dann schob er den Vorhang zur Seite und gab somit den Blick auf das Innere frei.

Das Innere bestand aus nicht mehr als einem kleinen, einzelnen Raum, der funktional und einfach gestaltet war. Zu meiner Rechten befand sich eine kleine Kochstelle und eine Arbeitsplatte. In der Mitte lag ein großes Stück Stoff, das wohl als Schlaf- und Esszimmer diente, und zu meiner Linken befanden sich ein einzelner Tisch und ein Stuhl, auf dem die verschiedensten Dinge lagen. Hinter diesem Tisch auf dem Stuhl saß ein Mann mittleren Alters und schütterem Haare, der einen großen Stein in seinen Händen drehte und dabei interessiert betrachtete. Sein Blick wirkte verloren, denn die graue Farbe seiner Augen glich der eines bewölkten Himmels, der sich bis ins Irgendwo in die Ferne erstreckte. Als Philian sich räusperte, erschrak der kleine, knochige Mann, aber sofort blitzte in seinen Augen Freude auf. Offensichtlich war der Mann unterernährt und wieder einmal fragte ich mich, wie das sein konnte, denn ein Chronist, wie er es war, musste doch gut von seinem Handwerk leben können. Stirnrunzelnd betrachtete ich den kleinen Mann und die Fragen, die sich mit seinem Erscheinen in mir aufwarfen, brachten mich ins Grübeln. Ich musste unbedingt erfahren, was um alles in der Welt hier nicht stimmen konnte.

„Ah, da sehen wir ihn auch einmal wieder.“, krächzte der kleine Mann, „Was für ein hübsches Mädchen hast du mir denn da mitgebracht?“

„Das ist Khatia, Dastan. Wir sind hergekommen, um einen Teil ihrer Geschichte zu erfahren. Ich habe dafür etwas mitgebracht.“

Er fischte aus einem Beutel, den er sich locker um die Hüfte geschlungen hatte, meinen Schlafanzug mit dem Kätzchen-Muster heraus und reichte ihn Dastan. Wann hatte den denn eingepackt?, fragte ich mich beiläufig und beobachtete neugierig den schon in sich versunkenen Dastan. Dieser hielt das Oberteil meines Schlafanzuges fest umklammert in seinen Händen und auf seinem Gesicht spiegelten sich unterschiedlichste Emotionen ab. Es kam einem fast so vor, als würde er noch einmal dasselbe durchleben wie ich. Die Panik, die Angst und die darauffolgende Dunkelheit und Stille.

Ich zitterte am ganzen Leib und umfasste mit krampfenden Händen das Hemd meines Nebenmannes. Dieser blickte besorgt auf mich herunter und dann wieder auf Dastan, der langsam wieder zu sich kam. Ruckartig gab er Philian mein Oberteil zurück und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er keuchte vor Anstrengung. Wie stark hatte er meine Geschichte durchleben müssen? Was hatte er alles über mich erfahren? Konnten irgendwie die Geheimnisse meiner Familie zu ihm durchgesickert sein? Ich bekam es mit der Angst zu tun. Tausend Fragen brannten mir auf der Zunge, aber ich konnte sie ihm nicht stellen aus Angst vor den Antworten.

Der erschöpfte Dastan zog nun ein Tuch aus seiner Hosentasche hervor und wischte sich damit die mit Schweiß bedeckte Stirn ab. Plötzlich sah er soviel älter aus. Seine Wangen wirkten noch eingefallener als zuvor und die Ringe unter seinen Augen traten hervor. Die Augen selbst erschienen mir glasig im diffusen Licht, das das mickrige Fenster über ihm hergab.

Philian hatte irgendwoher einen Becher Wasser aufgetrieben und reichte ihn Dastan. Dieser trank daraus in kleinen Schlücken und langsam kehrte seine normale Gesichtsfarbe zurück. Er erhob sich auf zitternden Beinen von seinem Stuhl und kam auf mich zu. Meine Hand umklammernd sah er mich mit wissenden Augen an. Mit Augen, die schon viel größeres Leid als meines gesehen haben mussten.

„Meine arme, große, kleine Khatia, dir ist etwas sehr Schlimmes widerfahren. Ich weiß, was du miterleben musstest. Ich fühle mit dir. Mehr als du denkst. Du hast viele Fragen und Antworten kann dir nur die Vergangenheit geben. Doch so sehr dich das auch alles verwirrt, du bleibst trotzdem stark. Ich kann dir nicht sagen, wie du hierher gelangt bist. Das tut mir leid. Ab dem Zeitpunkt, wo du in tiefe Dunkelheit verfallen bist, ist deine Geschichte nur in Bruchstücken vorhanden. Ich sehe Gesichter von Männern, die sich streiten, laut herum brüllen, und die dich fort tragen, aber ich weiß nicht wohin. Du bist in einer der Schanken hier aufgewacht. „In der Höhle des Löwen“ um genau zu sein. Du bist von dort geflohen mit der Hilfe dieses jungen Mannes hier. Sie waren hinter dir her. Böse Menschen sind das. Sehr böse. Widerwärtig...“

Seine nächsten Worte setzten sich nur aus Schimpfwörtern zusammen. Hilflos blickte ich den verwirrten, kränklichen Mann an und empfand Reue und Mitleid. Hätte ich ihn doch nur nicht in meiner Geschichte lesen lassen.

„Dastan, beruhige dich. Erzähl mir, wer waren diese Männer? Wie sahen sie aus? Dastan, beruhige dich. Es ist alles gut.“

Philian war ganz Herr dieser Situation und fast schon klangen seine Worte ungeduldig, ja förmlich drängten sie den armen Dastan dazu, Antworten preiszugeben. Ich sah ihn wütend an, doch er ignorierte mich. Er führte Dastan zu seinem Stuhl zurück und half ihm dabei, sich wieder hinzusetzen. Dann tätschelte er ihm die Schulter und ging in die Hocke, um mit Dastan auf Augenhöhe zu sein. Seine Worte wiederholte er. Diesmal jedoch ruhiger, bestimmter. Dastan gab nur wirres Zeug von sich und sein Blick glänzte fiebrig. Ich machte gerade Anstalten, auf die beiden zu zu gehen und Philian davon abzuhalten, weiter auf den verwirrten Dastan einzureden, als Dastan plötzlich eine stocksteife Position auf seinem Stuhl einnahm und sich sein Blick klärte.

„Mal wieder...ein wenig abgeschweift?“, gab er noch ein wenig benommen von sich.

Philian gesellte sich wieder zu mir. Er lächelte. Zufrieden mit sich. Ich wusste nicht, ob ich das gut finden sollte oder nicht. Philian zumindest wiederholte seine Fragen.

„Ah, diese Männer meinst du. Ja, ja, ich hab sie irgendwo schon einmal gesehen. Eindeutig Kopfgeldjäger. Keine besonders guten, wenn ich das mal so anmerken darf. In letzter Zeit aber ist hier jeder unter die Kopfgeldjäger gegangen, so erscheint es mir. Alles Amateure. Die, die dich verfolgt haben, Khatia, sind es nicht weiter wert genannt zu werden. Ihre Namen, wer oder was sie sind, sind bedeutungslos. Ihr müsst den Drahtzieher finden, der hinter allem steckt. Irgendetwas ganz Großes ist hier zur Zeit am Laufen. Gebt gut acht auf euch.“

Mit diesem Worten schloss er die Analyse meiner Geschichte und nahm erneut den Stein in die Hand, den er bei unserem Eintreten schon so interessiert betrachtet hatte.

„Komm, Khatia. Hier gibt’s nichts mehr Interessantes zu hören.“

Ich wollte gerade mit einem „Aber...“ etwas dagegen einwenden, doch mein Gefühl sagte mir, dass ich lieber nichts mehr sagen sollte, denn anscheinend war alles gesagt worden, was zu sagen, es gegeben hatte. Wir kehrten Dastan gerade den Rücken zu, als dieser noch einmal meinen Namen rief.

„Khatia, eins solltest du noch erfahren. Deiner Familie geht es gut.“

Ich verharrte in meiner Bewegung. Der Schock ließ meine Glieder zu Eis gefrieren. Woher konnte er wissen, dass es meiner Familie gut ging? Wenn er das wusste, was wusste er dann noch? Langsam drehte ich meinen Kopf zu ihm um und versuchte ihn mit Blicken zu durchbohren, nein herauszufinden, was er noch wusste, aber eigentlich nicht wissen sollte. Wusste er vielleicht, was mit meiner Familie geschehen war? Oder wo sie sich jetzt befand? All diese Fragen waren drängend, doch sie würden mich verraten. Denn wenn ich sie erst einmal gestellt hätte, würde ich auch ihre Fragen beantworten müssen. Und das Geheimnis meiner Familie musste ein Geheimnis bleiben. So blieb mir nichts anderes übrig, als den Mund zu halten und Dastan mit verzweifelten Blicken anzustarren. Dieser hob kurz seinen Kopf, lächelte geheimnisvoll und zwinkerte mir zu. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und dadurch fühlte ich mich noch unwohler in meiner Haut als zuvor. Dastan hatte sicherlich gute Gründe so zu leben, wie er jetzt lebte. Ob Philian wohl über das wahre Ausmaß der Fähigkeiten dieses unheimlichen Mannes Bescheid wusste? Ich taute auf und nickte Dastan zu. Dieser jedoch hatte sich wieder summend seinem Stein gewidmet und betrachtete ihn gedankenverloren.

„Ähm, wir können jetzt gehen.“, sagte ich vielleicht etwas zu schrill und zu aufgeregt und schaute Philian direkt ins schöne Gesicht, was mir ein Gefühl des Glücks einbrachte.

Dieser sah ein wenig irritiert auf mich herab, doch als ich ihn froh angrinste, verlor auch er seine Befangenheit gegenüber dieser merkwürdigen Situation und grinste mich schief an. Alles, was in diesem Augenblick zählte, waren er und ich.

„Du bist wirklich nicht von dieser Welt.“, murmelte er vor sich hin und zog mich hinaus aus diesem engen Raum ins grelle Licht des Tages.

Kapitel 6

Warme Sommerluft schlug mir draußen vor der heruntergekommenen Lehmhütte entgegen und ich füllte mit ihr meine Lungen. Die stickige, verbrauchte Luft in Dastans Haus war unerträglich gewesen im Gegensatz zu dieser Luft hier. Philian allerdings schien diesem Unterschied jedoch keine Beachtung zu schenken und bahnte sich weiter mit mir einen Weg durch die Gassen. Inzwischen bewegten sich mehr Menschen auf den Straßen und da die Sonne gerade ihren Zenit erreicht hatte, schloss ich daraus, dass nun Mittagszeit war. Wohin wollte Philian nun gehen? Die wenigen Informationen über meine Entführer waren nur dürftig gewesen. Kopfgeldjäger. Keine besonders guten noch dazu. Deren Namen hatte Dastan uns auch nicht genannt. Mein Gefühl sagte mir aber, dass diese Informationen Philian genügten. Wohl lag es wieder daran, dass ich in dieser Welt hier nicht zu Hause war und nicht über so viele Dinge Bescheid wusste, wie Philian. Mich ärgerte es, dass mich niemand richtig aufklärte. Ich hätte an Philians Stelle nicht gewusst, welcher nächste Schritt jetzt zu tun wäre. Ich seufzte. Philian wusste aber anscheinend, was nun zu tun war, und allein das zählte.

Das Treiben der Menschen auf den Straßen zog mich in seinen Bann. Wieder kamen mir fast die Tränen bei all dem Leid, das augenscheinlich auf ihren Schultern lastete. Doch etwas für sie tun, konnte ich nicht. Ersteinmal hatte ich meine eigenen Probleme zu lösen. Ich musste herausfinden, wie ich wieder nach Hause kam. Dann musste ich noch das Gefühlschaos in meinem Inneren zur Ruhe bringen, denn sobald ich Philian auch nur aus dem Augenwinkel betrachtete, zersprang mein Herz fast vor Entzücken über seinen Anblick. Und nicht nur äußerlich gefiel er mir. Auch sein Lächeln, das so echt und mir so unwirklich erschien, zauberte mir jedes Mal eines ins Gesicht. Ich war einfach glücklich in seiner Nähe, obwohl manche Züge an seinem Charakter nicht sehr ansprechend waren, wie zum Beispiel seine Bestimmtheit mir gegenüber.

Was mich aber am aller meisten beschäftigte, war meine Familie. Ich machte mir Sorgen um sie. Ich fragte mich, was wohl mit ihr geschehen war. Ihnen ging es gut, laut Dastan, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass da noch mehr in Luft lag. Dass dort größere Dinge vor sich her gingen, größer, als ich es mir je vorstellen konnte. Was hatte meine Familie verbrochen, damit sie von Kopfgeldjägern gejagt wurde? Ich wusste, dass Dastan vielleicht mehr wusste, als er zugab, aber sein Wissen bereitete mir Angst. Die Angst, die man empfand, wenn seine sicher geglaubten Geheimnisse vielleicht keine mehr waren. Nein, Dastan würde ich sicherlich nicht aufsuchen, um mir diese Frage zu beantworten. Ich würde schon einen Weg finden, an dessen Ende die Antwort auf mich warten würde.

„Wie lange müssen wir denn noch so durch die Gassen rennen? Mir tun schon die Füße weh vom vielen Laufen. Außerdem bleibe ich mit jedem Schritt an diesem unpraktischen Kleid hängen. Es ist mir im Weg. Wann sind wir endlich da?“

Normalerweise war ich nicht der Mensch, der schnell den Geduldsfaden verlor oder sich wegen solcher Unannehmlichkeiten beschwerte. Doch nun unter dieser heißen Mittagssonne, die auf einen erbarmungslos herab schien, fühlte ich mich müde und durstig. Ich schlurfte nur noch träge vor mich dahin und in Philians Gesicht war deutliche Unzufriedenheit über das unsrige Schritttempo abzulesen.

„Khatia, zum wievielten Mal soll ich dir nun diese Frage beantworten? Zum hundertsten vielleicht?“, fragte er mit einem Hauch Sarkasmus in der Stimme.

„Dein Ton gefällt mir gar nicht.“, erwiderte ich nur.

„Wir sind gleich da.“

„Das hast du vor ein paar Stunden auch schon gesagt. Haben wir uns vielleicht verlaufen?“

Diese Diskussion führte er nicht mit mir. Denn Philian und ich wussten, dass wir uns auf dem richtigen Weg befanden. Doch ich war einfach nur in schlechter Stimmung wegen dieser Hitze, dem Schweiß, der mir aus allen Poren rann, und diesem Kleid, das viel zu lang war und mich dadurch beim Laufen störte.

Wir hatten das Armenviertel längst hinter uns gelassen und waren in eine Gegend gelangt, der es deutlich besser zu gehen schien. Hier standen die Häuser, ebenfalls aus Lehm, aber weiß getüncht, in größeren Abständen zueinander und hatten auch größere Fenster. Einige Fenster waren sogar aus Glas, was mich sehr verwunderte, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Die Türen waren in den unterschiedlichsten Farben angemalt, wie rot, grün oder blau, und bestanden aus Holz. Die Menschen hier liefen mit aufrechtem Gang und neugierigen Blicken an uns vorbei und bildeten den genauen Gegensatz zu den Menschen aus dem Armenviertel. Ihre Kleidung war sauber und nicht nur ein hässlicher Fetzen Stoff. Manche Menschen trugen sogar aufwendige Stickereien und Muster sowie Schmuck aus Gold oder Silber mit Edelsteinen verziert. Ihren Reichtum stellten hier alle zu Schau und einige setzten sich mehr oder weniger in Szene, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. So ganz frei nach dem Spruch: „Seht mal her: Ich bin reich!“

Ich lächelte über diesen Gedanken, denn die Dekadenz dieser Menschen war einfach unübertrefflich. Philian schaute in diesem Moment zu mir herunter und lächelte ebenfalls. Diesmal ließ sein Lächeln sogar noch seine Augen erstrahlen. Anscheinend dachten wir in diesem Augenblick dasselbe.

„So da sind wir.“

Er ließ meine Hand los und einen Moment überließ er mir zum Staunen, denn was sich mir nun darbot, war atemberaubend, einfach unfassbar. Im Grunde war es nur ein einzige, riesige, runde, Fläche, auf dem Menschen an Ständen dicht an dicht ihre Waren anboten, jedoch die Gestaltung des Platzes war ausschlaggebend für meine weit aufgerissenen Augen und meinen weit geöffneten Mund. Riesige Säulen, zwölf an der Zahl, erhoben sich aus der Erde und nahmen den Platz für sich ein. Alle aus weißem Marmor und durch ihre Größe flößten sie mir Ehrfurcht ein. Aber allein das war es nicht, was diesen Platz so besonders machte. Die Säulen waren nicht einfach nur Säulen, nein, es waren formvollendete Statuen geformt von den meisterlichen Händen eines Bildhauers. Die Statue zu meiner rechten Seite blendete mich, denn wenn ich sie mit meinen Augen erfassen wollte, stach mir die Sonne in die Augen. Ungefähr zwanzig Meter erstreckte sie sich vom Boden bis in die Höhe, aber der Bildhauer hatte sie geschickt größer erscheinen lassen. An ihr wanden sich Menschen hinauf, die alle versuchten den höchsten Punkt zu erklimmen, auf dem beschienen vom Sonnenlicht eine in Gold getauchte Krone prangte. Ihre Verzweiflung, ihr Mut, einfach all ihre Emotionen, die sie während ihres Tuns verspürten, spiegelten sich wieder in ihren Gesichtern. Und sie wirkten dabei so echt, so wirklich...

Ich zuckte zusammen. Der Künstler hatte mit erschreckender Genauigkeit die Wirklichkeit in eine Säule aus Marmor geschlagen. Und nicht nur diese Säule war so gestaltet. Nein, alle waren so. Auf allen wurden Menschen in Lebensgröße dargestellt, die vergebens den höchsten Punkt zu erreichen versuchten, auf dem Etwas auf sie wartete. Auf der vierten Säule zu meiner Rechten war es zum Beispiel ein Baby, in Leinen gewickelt, welches schrie. Fast schon kam es mir so vor, dass ich es schreien hören konnte. Sein Schrei drang schmerzhaft in meine Ohren. Verzweifelt schrie es nach mir. Ich wollte mich plötzlich aufmachen, diese Säule zu erklimmen, um das Baby dann in meine Arme zu schließen. Damit es endlich Ruhe geben würde. Ich lief zwei Schritte, aber da hielt mich jemand am Arm fest und zog mich an sich.

Eine Stimme flüsterte: „Ist ja gut.“

Eine Hand berührte mein Haar und ein Schluchzer erklang. Jemand weinte. Ich war diejenige, die Tränen vergoss. Ich weinte in die starke Schulter hinein und durchnässte das Hemd eines anderen. Eine Stimme wisperte mir beruhigende Worte ins Ohr. Es war Philian. Ich löste mich gerade soweit von ihm, dass ich ihm in die Augen schauen konnte. Durch einen Tränenschleier sah ich die unergründlichen Tiefen seiner Augen und wollte mich nur zu gern in ihnen verlieren. Aber seine Stimme hielt mich davon ab.

„Erschreckend echt, nicht wahr?“

Ich löste mich ganz aus seiner Umarmung und blickte in jedes der Gesichter, die auf den zwölf Säulen abgebildet waren. Dann erkannte ich die schreckliche Wahrheit dahinter. Auf eine unbeschreibliche Art und Weise erinnerten sie mich stark an die gemalten Bilder meiner Familie. Genau dieselbe Anziehungskraft hatten auch diese Säulen auf mich. Und wenn ich auch nur einen Blick zu lange auf einer von ihnen verweilte, dann verschlang sie mich und warf mich in die tiefsten Abgründe meiner Seele, wo Angst und Verzweiflung triumphierten. Ich entschied für mich, dass ich meinen Blick, jetzt wo wir hier waren, auf den Boden gerichtet lassen würde. Nur zu meiner Sicherheit.

Eine weitere Wahrheit und Fragen warfen sich in mir auf. Die Fragen stellten sich mir ganz natürlicherweise. Welcher Zusammenhang bestand zwischen diesem Kunstwerk und den Kunstwerken meiner Familie? Stammten sie vielleicht sogar von einer Person aus meinem Familienkreis? Möglich war vieles, aber was davon wahr war, wusste ich wieder einmal nicht. Wollte ich das überhaupt wissen?

Die weitere Wahrheit war einfach nur eine Interpretation dieses gewaltigen Kunstwerkes. Die Menschen versuchten vergebens, das zu erreichen, was oben auf den Säulen prangte. Ob es der Wunsch nach einem Baby, nach Freiheit oder Macht war. Der Bildhauer hatte verschiedene Symbole für die natürlichen Begierden eines Menschen entworfen und hatte Menschen in unterschiedlichsten Gefühlsebenen aufgezeigt. Mut, Angst, Verzweiflung, Enttäuschung waren da nur Beispiele. Was aber eben auffällig war, war das jene Menschen den höchsten Punkt der Säule nicht erreichten. Und wenn sich einmal den Standort und die Menschen darauf genauer ansah, fiel einem auf, dass das so gewollt war. Die abgebildeten Menschen auf den Säulen stammten aus ärmlichsten Verhältnissen und der Standort dieses riesigen Kunstwerks war in einem Viertel voller wohlhabender Menschen. Die Zielgruppe war also die obere Gesellschaftsschicht. Sie sollte sich besser fühlen, wenn sie dieses Kunstwerk sah. Denn wenn einem wohlhabendem Menschen eine Begierde verwehrt blieb, so blieb erst recht der unteren Klasse, den armen Menschen, dieses verwehrt.

Alles in allem bezeugte dieses grausame Meisterwerk nur den unüberwindbaren Unterschied zwischen Arm und Reich. Und diese Gedanke bereitete mir Übelkeit. Welches Prinzip herrschte hier vor? Was musste das hier für eine engstirnige Weltanschauung sein? Ich blickte nicht vom Boden auf und das Stimmengewirr der miteinander feilschenden Menschen sowie die Gerüche von Gewürzen, Backwaren, Tieren sowie dem Schweiß der vielen Menschen ließen meine Sinne stumpf werden. Mir wurde ganz schwindelig davon. Plötzlich taumelte ich einige Schritte nach vorn, bekam nicht mehr mit, wie ich auf dem Boden auftraf, und mich verabschiedete vorerst mein Bewusstsein zum zweiten Mal in Folge.

Kapitel 7

Als ich erwachte, setzte ich mich sogleich aufrecht hin, jedoch pochten gegen meine Schädeldecke arge Kopfschmerzen, die mich verschwommen sehen ließen, und sofort sank ich in die weichen Kissen zurück. Ich stöhne auf, fasste mir an die Stirn und spürte dort den Grund für meine Kopfschmerzen. Sobald ich die pulsierende Stelle berührte, setzten mir die Kopfschmerzen stärker zu und ich fragte mich, was wohl geschehen sein mochte. Langsam klärte sich mein Blick und ich drehte meinen Kopf zur linken Seite. Zu mehr war ich im Moment nicht fähig. Die Beule an meinem Kopf ließ durch ihre betäubenden Schmerzen keine größere Bewegungsfreiheit zu.

Ich befand mich in einem kleinen Raum, der erhellt wurde von zwei Glasfenstern, die auf der gegenüberliegenden Seite meines Bettes angebracht worden waren. Die Wände waren in einem sauberen und unschuldigen Weiß gestrichen worden und in der schräg gegenüberliegenden Ecke stand ein Tisch mit ein paar gemütlich aussehenden Stühlen drumherum, auf denen aufwendig bestickte Kissen lagen. Ansonsten war hier nur das Bett, das viel zu groß war für meinen Geschmack, mit einem kleinen Nachtisch aus dunklem Holz daneben vorhanden.

Mein Kopf rückte sich wieder in die Ausgangsposition zurück und nun starrte ich die weiße Decke über mir an. Makellos und weiß blinzelte sie auf mich herab, verhöhnte mich, so kam es mir zumindest vor. Meine Gedankenwelt fand ich in einem einzigen Durcheinander vor und seufzend konzentrierte ich mich darauf, die Erinnerungen vor meiner plötzlichen Ohnmacht herauszufiltern. Dieses Unterfangen bereitete mir noch größere Kopfschmerzen und so ließ ich es bleiben. Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit eben der Gegenwart zu. Ich schloss meine Augen und ließ meine Sinne in alle Richtungen ausschweifen bis mir ein sehr bekannter Geruch in die Nase stieg.

Am liebsten hätte ich vor Entsetzen geschrien, aber da ich nicht wusste, wo ich gerade aufgewacht war, ließ ich das lieber bleiben. Der Geruch von Farbe hing in der Luft. Diesen unangenehmen und penetranten Duft hätte ich an jedem Ort, egal in welcher Welt, sofort wiedererkannt, denn seine markanten Merkmale hatten sich tief in meine Wahrnehmung eingebrannt. Stechend. Beißend. Schwindelerregend. So beschrieb ich ihn mir selbst. Meine Mutter würde sagen: „Lieblich.“ Mein Vater: „Wunderbar.“ Meine Schwester: „Verheißungsvoll.“ Und mein Bruder: „Einzigartig“ Ihre Meinung würde ich nie teilen können. Ich rümpfte noch einmal geräuschvoll meine Nase und wandte mich daraufhin wieder anderen Dingen zu.

Es stellte sich mir Frage, wo ich mich hier eigentlich befand, denn zu Hause konnte ich nicht sein. Denn dann wären meine bisher erlebten Abenteuer ja nur reine Fiktion, was nicht möglich sein konnte. Schon allein der Tatsache wegen, dass ich mich in einem so einfachen, wie schmuckreichen Zimmer befand, das dazu noch ganz in Weiß gehalten war. Weiß, die Farbe, die sicherlich nie bei der Gestaltung unserer Zimmer zu Hause in Frage gekommen wäre. Sie wäre zu langweilig gewesen für meine Familie, die lieber Aufregendes und Außergewöhnliches bevorzugte.

Auf einmal vernahm ich Schritte. Schnell schloss ich meine Augen, denn den Hereinkommenden wollte ich das Bild eines schlafenden Gastes vermitteln. Die Schritte verstummten vor der hölzernen Tür, aber wie ein unsichtbares Echo dröhnten sie weiter in meinen Ohren. War ich verrückt geworden oder war die Aufregung in meinem Inneren daran Schuld? Ich versuchte meinen Atem unter meine Kontrolle zu bringen. Was ich erreichte, war ein flaches und schnelles Schnaufen. Viel zu schnell sog ich für einen schlafenden Menschen die Luft meiner Umgebung ein. Bestimmt würde ich meine wartenden Besucher nicht täuschen können.

Die Tür sprang auf und unter einem ohrenbetäubenden Lärm knallte sie gegen die weiße Wand. Eine dunkle und tiefe Stimme füllte die darauffolgende Stille mit Worten, die die Luft hätten zerschneiden können.

„Sofort aufstehen! Mach, dass du aus dem Bett kommst! Wird´s bald!“

Ich kniff ängstlich meine Lider zusammen und zog mir die Bettdecke über den Kopf. Meine Tarnung zumindest hatte ich nicht lange aufrecht erhalten können. Stampfend und schwer atmend vor Wut kam der Störenfried auf mich zu und zerrte erbarmungslos an meiner Bettdecke. Ich klammerte mich fest an sie, so als wäre sie mein Schutzschild, das mich vor allem Bösen bewahren konnte. Aber mein Gegner war stark, stärker als ich, und so verlor ich diese Schlacht.

Ich traf hart auf dem Boden auf und schrie vor Schmerzen, denn diese flammten bei dieser groben Behandlung mit mir erneut auf. Ich keuchte und fasste mir stöhnend an die Stelle am Kopf, wo mir die Beule heiß und unnachgiebig mit jedem Pochen wieder und wieder Schmerzen bereitete. Zornig und unter starken Kopfschmerzen suchte ich nun mit schleierhaftem Blick nach diesen ungestümen Eindringling. Eine bewegliche Gestalt erschien schwarz und ohne Konturen vor mir und beugte sich zu mir herunter. Als meine Augen aber in die des Wesens schauten, öffneten meine Lippen sich leicht vor Überraschung. Philian.

Wieso um alles in der Welt war es Philian, der mich soeben so ungestüm aus dem Bett geholt hatte? Ein kleiner Teil in mir brach fassungslos in sich zusammen. Wieso er? Wieso? Nun verschwamm zu all meinem Übel noch diese schwarze Gestalt Philians vor meinen Augen, denn Tränen bahnten sich einen Weg nach draußen. Ich konnte es nicht fassen, dass es Philian war, der mich so behandelt hatte. Hatte er denn kein Erbarmen mit mir? Hatte er denn nicht die Beule an meinem Kopf gesehen, die mir Schmerzen bereitete? Was hatte ihn dazu verleitet, sich so gegenüber mir zu verhalten? Nie, wirklich nie, hätte ich ihm so etwas Derartiges zugetraut. Was war mit dem Philian geschehen, den ich kennengelernt hatte? Wahrscheinlich hatte ich mich in ihm getäuscht. Ich hatte geglaubt, dass er ein guter und hilfsbereiter Mensch mit kleinen, aber feinen Macken war.

Eine bittere Erkenntnis breitete sich wie Galle in meinem Mund aus. Ich hatte gedacht, dass ich diesen Menschen durchschaut hätte in dieser kurzen Zeit, die wir uns kannten, aber ich hatte mich getäuscht. Philian war nicht der Philian, für den ich ihn gehalten hatte, für den ich begonnen hatte, etwas zu empfinden.

Tränen liefen mir über Wangen. Wie ich hatte mich nur so täuschen lassen können? Mein wunderschöner Retter hatte seine Maske abgeworfen und erschienen war ein hasserfüllter, gnadenloser Mann, der es nicht verdiente von mir gemocht zu werden.

„Warum? Wieso jetzt erst?“, flüsterte ich mit Tränen erstickter Stimme in diese bedrückende Stille hinein.

Seine Stimme erhob sich, kalt und hart, aus den Schatten seiner wahren Persönlichkeit und raunte mir zu: „Was redest du da wieder? Was meinst du mit „Wieso jetzt erst“? Ach, weißt du, dein Gesülze kann mit gestohlen bleiben, du falsche Schlange.“

Falsche Schlange? Dieser Ausdruck traf mich wie ein Schlag. Mein Atem stockte und meine Kopfschmerzen setzten vor Verständnislosigkeit aus. Als nächste Reaktion darauf folgte grenzenlose Wut. Wieso betitelte mich dieses falsche Etwas als falsche Schlange? War es nicht er, der eine zweite, durchaus aggressivere Persönlichkeit entwickelt hatte? Mein Kopf und mein Blick wurden durch den aufsteigenden Zorn wieder klar und ich erhielt genügend Kraft, um diesem Fiesling gegenüber zu treten, damit ich dieses Duell mit ihm ausfechten konnte. Eine derartige Beleidigung würde ich mir von so jemandem nicht gefallen lassen.

„Ich eine falsche Schlange? Wie...Wie kannst du es wagen? Wer treibt denn hier sein falsches Spiel mit mir? Den einen Tag bist du freundlich zu mir, um mich geradezu besorgt und heute bist du ein kaltherziges Etwas, das sich einen Dreck darum schert, in welchem Zustand ich mich befinde. Ich habe höllische Kopfschmerzen und muss mich nicht so von dir behandeln lassen. Was hast du dir dabei gedacht? Sag es mir! So was hätte ich selbst nicht dir zugetraut.“ Die Enttäuschung schwang deutlich in meinen Worten mit, aber das war mir gleichgültig. Alles, was ich verlangte, war eine Erklärung für sein Verhalten.

Ein tiefer Atemzug seinerseits erfolgte und verschwunden war der finstere Ausdruck eines kaltblütigen Mannes in seinem Gesicht. Der alte Philian blickte mir nun durchdringend in die Augen, als versuche er dort, eine Antwort auf eigene Fragen zu finden.

„Es tut mir leid.“, war seine halbherzige Erklärung für alles. Doch das genügte mir nicht. Ich wollte, dass er mir seine Beweggründe nannte, die ihn in solch eine Rage versetzt hatten.

Ich tat also, was getan werden musste, damit ein Mann wie er wieder zu Vernunft kam. Ich holte mit der Hand aus und verpasste ihm eine ordentliche Backpfeife. Wortlos ließ er das über sich ergehen. Keine Reaktion darauf erfolgte. Meine Augen blickten nun tränennass in die seinen, die nachdenklich irgendeinen Punkt an der gegenüberliegenden Wand fixierten. Ich spiegelte mich nicht in ihnen wieder.

„Bitte sag mir,...warum...Ich will doch nur...Du wolltest das ganz bestimmt nicht tun,...nicht wahr?... So...so...ist es doch?“ Verzweifelt brachte meine Stimme diese Worte nur stammelnd hervor, denn ein kleiner Teil in mir begann aufgrund seiner stummen Reaktion zu hoffen, dass meine Gefühle für ihn doch nicht nur töricht gewesen waren.

Eine Weile herrschte Stille um uns herum. Meine Wut flaute ab und machte einer riesigen Portion Enttäuschung Platz. Ein Gefühl der Reue machte sich ebenso in mir breit. Wieso hatte ich ihm auch nur eine Backpfeife erteilen müssen? Ich kannte die Antwort auf die Frage. Ich hatte nicht gewollt, dass er wieder schwieg. Warum sagte er denn auch nichts? Wieso sah er denn nicht ein, dass ich eine Erklärung für sein Verhalten benötigte?

Mir war trotz allem klar, dass wir beide gedankenlos gehandelt hatten. Er war wütend in mein Zimmer gestürmt, hatte mich einfach aus dem Bett geworfen und hatte mir dadurch Schmerzen zugefügt. Und ich hatte natürlich nicht besser reagieren können, indem ich mich meinen getäuschten Gefühlen hingegeben hatte und Erklärungen für mein geplagtes Gewissen gefordert hatte. Und das mit allen Mitteln, die mir in diesem Moment der Verzweiflung zur Verfügung gestanden hatten.

„Es tut mir leid.“, sagten wir beide gleichzeitig zueinander, so als hätten wir uns abgesprochen.

Schüchtern blickten wir in das Gesicht des anderen und lächelten vorsichtig. Dann lachten wir miteinander. Laut und herzlich. Beide über denselben Witz. Dieser Augenblick war der Moment unserer Versöhnung und tief in meinem Herzen wusste ich, dass es sich richtig anfühlte, ihm zu verzeihen. Für einen kurzen Moment schwelgten wir beide in dem Glück einer vollkommenen und heilen Welt und jeder von uns konnte dieses Glück in den Augen des anderen klar erkennen.

Philian und ich wussten allerdings auch genau in diesem Moment, dass der schwerste Teil dieser Versöhnung noch vor uns lag.

Nämlich die Wahrheit.

Kapitel 8

„Möchtest du vielleicht beginnen oder soll ich anfangen?“, fragte Philian wie ein unschuldiges Lamm mit ernstem Unterton in der Stimme.

Vorbei war es mit dem kurzen Moment des Glücks, der einen für einen Moment in der Schwerelosigkeit verweilen ließ und einem tiefe Zufriedenheit bescherte. Jetzt war die Zeit für die Wahrheit gekommen und ich sah in Philians Augen, dass es für mich kein Entkommen gab. Seine Augen teilten mir mit, dass er Bescheid wusste. Bescheid wusste über das, was ich ihm verschwiegen hatte. Ich glaubte, dass es das Beste sei, wenn er begann zu erzählen und zu erklären, denn meine Wahrheit würde seine in ihren Lücken ergänzen. Und genau das teilte ich ihm mit.

„Also gut...“, begann er leicht gereizt, „...ich werde nicht lange brauchen, um mich zu erklären. Was du dazu zu sagen hast, wird mich wohl am meisten interessieren.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete er mich auf eine kühle und unnahbare Weise, aber ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich würde ihn nicht belügen, gleichgültig, wie sein Urteil über mich ausfallen würde.

„Khatia,...“ Diesen Namen zog er voll und ganz in die Länge und ließ ihn sich anscheinend auf der Zunge zergehen.

„Khatia, sagtest du zu mir, als wir uns beide gegenseitig beim Namen nannten. Du erzähltest mir deine Geschichte, zumindest einen Teil davon, und erzähltest mir, dass du aus einer anderen Welt entführt worden wärst. Soweit, so gut.“ Er legte eine kurze Pause ein, um Luft zu holen. „Du aber hast bei all dem den wichtigsten und bedeutendsten Teil außer Acht gelassen. Den Teil, den ich nur zu hören gebraucht hätte, damit ich gewusst hätte, dass du mir die Mühe nicht wert wärst. Den Teil, in dem du mir gesagt hättest, wer deine Familie ist und wer du wirklich bist. Ich hätte es ahnen müssen, allein wegen den letzten Worten Dastans. Er wusste und weiß Bescheid über dich und trotzdem hat er es mir nicht gesagt. Aber so ist dieser kleine Wicht eben.“

Er machte ein weitere Pause, um noch einmal tief einzuatmen.

„Khatia, du hast mich enttäuscht. Nicht, weil du mir wichtige Tatsachen verheimlicht hast, sondern weil du mir so wenig Vertrauen entgegen gebracht hast. Wann hattest du vor mir zu sagen, was deine Familie für Menschen sind? Wann wolltest du mir sagen, dass sie gesuchte Verbrecher sind? Wann wolltest du mir sagen, dass ihr damals aus dieser Welt hier geflohen seid?“

Bei diesen Worten und bei seinem intensiven Blick, der nach Antworten verlangte, wurde mir ganz schlecht. Meine Familie und das Wort Verbrecher in einem Zusammenhang zu hören, darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Ich hatte mich auf alles gefasst gemacht, aber nicht auf so etwas. Meine Welt stand Kopf und alles, woran ich bis jetzt geglaubt hatte, stand im Zweifel. Hatten meine Familie und ich uns wirklich so sehr voneinander entfernt? Hatte ich diese Menschen wirklich jemals so gut gekannt, wie ich geglaubt hatte? Traute ich es ihnen zu, dass sie Verbrechen begangen? Ja, flüsterte ein Teil in mir. Im Grunde hatte ich es immer geahnt, denn ihre Reisen hatten noch nie ein gutes Gefühl in mir hervorgerufen und die Gespräche, die sie nach diesen, so unter sich und flüsternd, geführt hatten, waren mir schon immer merkwürdig vorgekommen. Ich hatte diese Ahnungen gehabt. Mir aber immer eingeredet, dass es nicht verdächtig sei, und mir Ausreden für ihr Verhalten zurecht gelegt.

Ausreden, wie zum Beispiel die, dass ihr Verhalten nur auf mich merkwürdig wirkte und dass sie mich nicht an ihren Gesprächen und Ähnlichem dran teilhaben lassen, weil ich nicht dazu gehörte. Wie konnten meine Eltern es verantworten, dass sie meine Geschwister da mit hineingezogen hatten? Waren sie wirklich so skrupellos, wie ich schon immer befürchtet hatte? Was wäre mit mir geschehen, hätte ich über dieselben Fähigkeiten verfügt wie sie? Ich schluckte. Daran wollte ich lieber nicht denken. Eine drängendere Frage tat sich in mir auf. Wie eigentlich war Philian an diese Informationen gelangt? Mit einem Kloß im Hals schaute ich in diese dunklen, unergründlichen Augen, um nur für einen Moment die Fragen und aufsteigende Verzweiflung in meinem Inneren vergessen zu können. Aber Philian ließ das nicht zu.

„Ich warte, Khatia.“, sagte er mit einem Anflug von Abscheu, was mir einen weiteren Stich versetzte. Als wäre das alles nicht schon schlimm genug.

Ich räusperte mich und begann meinen Teil der Wahrheit hinzuzufügen.

„Philian...Wo soll ich nur beginnen?“ Dabei blickte ich in seine Augen. In ihnen stand ein Hauch von Verachtung und Ungeduld geschrieben.

„Also gut.“ Ich räusperte mich erneut, um den Kloß in meinem Hals zu vertreiben. „Eine Sache muss ich vorher aber noch klarstellen, dass meine Familie Verbrechen begangen haben soll, ist selbst mir neu.“

Vernichtend betrachtete er mich. Er wollte noch eine andere Wahrheit aus meinem Mund hören. Nämlich die Wahrheit, die ich eigentlich die ganze Zeit über hatte geheim halten wollen. Die Wahrheit, die unaussprechlich war. Die Wahrheit, die ich eigentlich selbst nicht kennen wollte. Die Wahrheit, die die Frage beantwortete, was meine Familie in Wirklichkeit war. Sie waren nämlich nicht nur Verbrecher, wie ich soeben erfahren hatte, sondern auch Künstler der besonderen Art.

Einmal atmete ich noch tief durch und dann öffnete sich wie von selbst mein Mund für die Wahrheit.

„Meine Familie ist eine Familie von Künstlern. In keinster Weise normal. Sondern solche mit ganz besonderen Fähigkeiten. Sie malen Bilder, die unglaublich echt und anziehend wirken. Umso echter, umso besser, meinen sie zu mir. Sie reisen durch diese Bilder. Nach Paris, London oder mit besonderer Vorliebe in andere Welten, von ihnen selbst erschaffen auf einer schlichten, weißen Leinwand. Was sie dort genau tun, weiß ich ehrlich gesagt nicht, aber ich vermute mal deinen Informationen nach tun sie dort nichts Gutes.“ Er sah mir in die Augen und nickte. Er glaubte mir also.

Ich fuhr mit der Wahrheit fort. Es tat ungemein gut, sich das alles mal von der Seele reden zu können.

„Ich und sie stammen aus dieser Welt. Man erzählte mir über unsere Familiengeschichte nicht sehr viel. Nur so viel. Wir sollen aus dieser Welt vor vielen Generationen ausgewandert sein, aber den genauen Grund dafür nannte man mir nicht. Dazu muss ich sagen, dass ich erst wenig später begriff, dass wir aus dieser Welt hier stammen. Hier leben Menschen mit ebenso besonderen Fähigkeiten, wie zum Beispiel die Chronisten. Meine Familie schätzt ihre Gaben sehr. Sie werden als Künstler geboren und sterben auch als solche. Ich bin die Einzige in unserer Familie, die nicht dazu gehört. Ich bin keine Künstlerin und werde es auch nie sein. Meine Familie und ich haben aus diesem Grund kein gutes Verhältnis zueinander, deshalb weiß ich auch nicht über ihre Machenschaften Bescheid.“

Den letzten beiden Sätze betonte ich sehr, denn ich wollte ihm vermitteln, in was für einer verstrickten Situation ich mich befand. Philian jedoch nickte nur, anscheinend verständnisvoll. Sein Blick war bohrend, aber in ihm war keinerlei Abscheu mehr auszumachen.

„Das wars.“, flüsterte ich leise und blickte beschämt zu Boden. Er erwiderte nichts und es herrschte eine seltsame Stille zwischen uns.

„Verstehe. So ist das also. Mhm, ich entschuldige mich erneut für mein Verhalten von vorhin. Ich habe das alles gerade erst von Nawaf erfahren und es hat mich in diesem Moment einfach überrumpelt. Ich wollte...ich wollte die Wahrheit aus deinem Mund hören. Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich ein Zimmer mit einer Verbrecherin geteilt hatte.“ Er lächelte spitzbübisch auf mich herab und ich war heilfroh über seine Reaktion.

„Aber jetzt noch einmal zum Thema zurück. Ich glaube dir wirklich, dass du nicht Bescheid wusstest, was deine Familie so treibt. Das sagt mir zumindest mein Gefühl. Doch ich muss noch etwas hinzufügen. Deine Familie behauptet zwar dir gegenüber, dass sie vor Generationen von hier aus in eine andere Welt gezogen ist, aber das kann gar nicht sein, denn vor ungefähr zwanzig Jahren sind deine Eltern aus dieser Welt hier spurlos verschwunden....“

„Vor zwanzig Jahren schon? Aber wie kann das sein?“ Völlig perplex und aufgebracht starrte ich Philian an. Hatte mich meine Familie etwa all die Jahre belogen, beziehungsweise, hatten meine Eltern mich die ganze Zeit über belogen? Wussten meine Geschwister Bescheid? Ich hatte keine Ahnung. Meine Familie blieb mir ein Rätsel. Ich wusste nicht, was ich noch glauben konnte und was nicht. Die Wahrheit, auf die ich vertraut hatte, war nun durch eine Lüge ersetzt worden.

„Khatia, beruhige dich.“ Er blickte mich eindringlich und besorgt an. „Ich kann dir deine Fragen beantworten. Hör mir bitte zu. Deine Familie, wohl eher deine Eltern, haben vor ungefähr zwanzig Jahren ein Verbrechen begangen, dass sie zu den meistgesuchten Verbrechern unserer Geschichte machte. Wohl aus diesem Grund haben sie alle Beweise und Hinweise vernichtet und sind geflohen ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen. Dann vor einigen Wochen tauchten plötzlich überall Fahndungsplakate mit einer hohen Lösegeldsumme darauf auf und viele Kopfgeldjäger machten sich auf die Suche nach deiner Familie. Warum das gerade jetzt passiert, kann ich dir auch noch nicht sagen. Die Geschichte endet damit, dass du entführt worden bist. Irgendjemand muss heraus gefunden haben, wo ihr euch versteckt gehalten habt.“ Philian gab mir eine kurze Verschnaufpause, damit ich all diese schrecklichen Neuigkeiten verarbeiten konnte. Doch ich stand einfach nur fassungslos da. Unfähig auch nur etwas von dem zu begreifen, was er mir da gerade mitzuteilen versuchte.

Unbeirrt dieser Tatsache setzte er nach: „Auch kursieren derzeit die Gerüchte, dass deine Familie nicht nur dieses eine Verbrechen begangen haben soll, sondern gleich mehrere in den letzten beiden Jahren. Kein Wunder, dass nach ihnen gesucht wird. Nach wie vor sind sie aber verschwunden. Sie müssen geahnt haben, dass man nach ihnen sucht, und sind rechtzeitig geflohen.“

Und haben mich zurückgelassen, ergänzte ich in Gedanken. Ich konnte nicht anders, als sie in diesem Augenblick einfach nur zu hassen. Sie waren daran Schuld, dass ich jetzt hier in dieser Welt gefangen war. Ohne die Aussicht in nächster Zeit in meine Welt zurückkehren zu können. Sie trugen die Schuld daran, dass ich entführt worden war. Und zu allem Übel ging es ihnen sogar noch gut, wenn ich Dastans letzten Worten Glauben schenkte. Was hatten sie sich dabei gedacht, als sie mich ohne jegliche Vorwarnung einfach so zurückließen? Wahrscheinlich gar nichts. Sie hatten dabei wohl kein schlechtes Gewissen gehabt oder sich gar Sorgen um mich gemacht. Warum musste ich mich dann noch weiter um sie sorgen? Sollten sie doch bleiben, wo sie jetzt waren. Das wäre für alle Beteiligten das Beste. Mit diesen Lügnern und Verbrechern wollte ich nichts mehr zu tun haben.

„Nie wieder...“, wisperte ich hasserfüllt in die Stille hinein und lehnte mich mit meinem Kopf haltsuchend an die starke Schulter Philians. Dieser schloss mich wortlos in seine Arme und gab mir so zu verstehen, dass er mit mir fühlte. Ich war ihm in diesem Augenblick dafür unendlich dankbar.

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Tag der Veröffentlichung: 07.07.2013

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