Schweigend saßen sie da und aßen. Nur das Klirren von Geschirr und Besteck war zu hören und auch das Schmatzen bei jedem Happen, den man zu sich nahm. Ich aber starrte nur auf meinen Teller. Unberührt dampfte eine heiße Speise vor mir und ihr Duft verriet mir, dass sie schmecken würde. Aber das alles hier war nicht echt. Das war das Problem. Ich konnte es nicht erklären, doch mein Gefühl sagte mir, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Nun blickte ich auf. Ich blickte auf mein Gegenüber, meine Schwester, die ihr Essen mit einer unglaublichen Schnelligkeit verschlang. Ihr Nebenmann, mein Bruder, tat es ihr gleich. Genauso wie meine Mutter und mein Vater. Alle schienen in ihr Essen so versunken zu sein, da sie es nicht einmal bemerkten, als ich mich von meinem Stuhl erhob. Keiner sah auf. Sie verschlangen weiter ihr Essen mit einer unglaublichen Geschwindigkeit. Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Was wenn... Nein, das konnte nicht sein... Ruckartig schnellte mein Kopf nach hinten und meine Augen erfassten die Zimmeruhr. Ein Schock durchfuhr mich. Die Zeiger der Uhr waren stehen geblieben. Sie waren in ihrem gemächlichem Ticken erstarrt. Und doch schien die Zeit um mich herum schneller zu vergehen. Wie konnte das sein? Meine Familie schnell essend und die Uhr nicht tickend. Mein Magen krampfte zusammen. Hier konnte etwas nicht stimmen. Ich machte den Mund auf, wollte meiner Familie meine Beobachtung mitteilen, doch, was war das, kein Laut erklang aus meinem Mund. Ich versuchte es erneut und noch einmal lauter. Aber nur mein Mund bewegte sich. Die Worte waren, bevor sie überhaupt über meine Lippen gelangen konnten, in ihrem Laut erstickt worden. Es war nach wie vor nur das Klappern mit dem Besteck und dem Geschirr zu hören sowie das Schmatzen während des Essens. Angst und Hilflosigkeit stiegen in mir auf. Ich sah meine Familie an. Jeden von ihnen einzeln. Alle hatten in ihren Bewegungen an Schnelligkeit hinzu gewonnen. Und das Bild, welches sich mir nun bot, ließ mich zurück schrecken. Es war abnormal, ja gar zu abscheulich anzusehen, wie Menschen in einer Höchstgeschwindigkeit Essen zu sich nehmen konnten, aber gleichzeitig dabei so ruhig und gefasst wirkten. Mein Teller stand weiterhin unberührt da. Der Geruch des Essen ließ mir immer noch das Wasser im Mund zusammenlaufen, doch mein Verstand oder meine Vernunft weigerten sich, dem Verlangen nachzugeben und etwas von diesem lecker riechenden Essen zu sich zu nehmen. Also blieb mir das Essen versagt. Mein Blick huschte wieder von Person zu Person und wieder zurück zu Uhr. Was stimmte hier nicht? Plötzlich machten meine Gefühle der grenzenlosen Verwirrung, die sich zuvor im Hintergrund gehalten hatte, Platz. Was war Schlimmes geschehen, dass ich nun hier dieses verstörende Bild auf mich wirken lassen musste? Warum schien die Zeit stehen geblieben zu sein, aber gleichzeitig schien sie schneller als zuvor voranzuschreiten? Was ging hier vor sich? Wo war ich hier überhaupt? Auf einmal überkam mich das Verlangen, laut schreien zu wollen. Ich wollte laut schreien, damit ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen konnte. Aber als es ich versuchte, entsprang mir kein Laut. Die Verzweiflung darüber wollte mir zusätzlich auch noch die Tränen in die Augen treiben, doch auch das geschah nicht. Die Panik übermannte mich nun von der einen auf die andere Sekunde und sie erfasste mich mit so einer Wucht, dass sich mein Körper zusammen krümmte. Ich wollte schreien, doch das ging nicht. Genauso verhielt es sich mit dem Weinen. Diese Abartigkeiten drohten mich zu zerreißen. Was ich brauchte, war Hilfe. Hilfe von außen. Von meiner Familie, die da draußen saß und aß. Ich raffte mich auf, erschlug die Panik in meinem Inneren und machte der Hoffnung Platz, damit sie mir helfen würde. Doch, was als Nächstes geschah, ließ mich weder schreien noch weinen. Es ließ mich verstummen. Mit der Hand hatte ich meine Schwester berühren wollen, doch ich hatte durch sie hindurch gegriffen. Sie war an diesem Ort hier anscheinend so etwas wie ein Geist und genau dasselbe galt auch für die anderen Personen am Tisch. Nun starrte ich fassungslos auf meine Hände und wusste mir nicht mehr zu helfen. Nichts würde nützen. Rein gar nichts. Gefangen war ich hier, wo alles so merkwürdig anders war.
Und mit dieser Erkenntnis schlug ich meine Augen auf und schon im nächsten Moment wurde mir bewusst, dass dies nur ein schrecklicher Albtraum gewesen sein konnte.
Texte: Alle Rechte, was den Text anbelangt, liegen bei mir.
Bildmaterialien: Alle Rechte, was das Bild anbelangt, liegen bei meiner Schwester.
Tag der Veröffentlichung: 23.12.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch meiner Schwester, die dieses tolle Cover für diese Geschichte malte.