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Karte




Legende



Xevo; Callbe; Nevat & Imbeen

= Dörfer

Eyna & Shei

= Hauptstädte

Die grünen Flecken sollen die drei Wälder "Katherine

", "Quax

" und "Harald

" darstellen, über die ihr später im Buch mehr erfahren werdet....



Prolog




Ich renne. Der Wald vor mir wird nur durch den schwachen Schein des Mondes erhellt. Wenn ich mich umdrehe kann ich bereits die ersten Flammen sehen. Ich achte nicht auf die keuchenden Gestalten neben mir, sondern denke nur an mein eigenes Überleben. Wer fällt, ist verloren.
Wir sind auf der Flucht. Wir haben uns gegen die Feuerwächter aufgelehnt und jetzt müssen wir dafür bezahlen.
Die Feuerwächter haben die Macht, Feuer beliebig heraufzubeschwören und zu formen. Seit ich mich erinnern kann, herrschen sie über uns. Die Alten erzählen manchmal noch von einer Zeit, als wir Heiler, das stolze Volk Cura, noch ungestört waren. Doch dann kamen die Feuerwächter und seitdem sind wir gerade noch gut genug, ihre Krankheiten zu heilen. Nur deshalb sind überhaupt noch welche von uns am Leben.
Das Feuer kommt näher. Meine Füße sind zentnerschwer, doch ich zwinge mich, weiterzurennen. Dann höre ich plötzlich ein aufgeregtes Rufen. Ich kann die Worte nicht verstehen, renne einfach auf die Stimmen zu, denn sie bedeuten Sicherheit. Dazwischen mischt sich ein Rauschen, dass stetig lauter wird.
Als ich um einen Felsen biege, stehe ich vor einem gewaltigen Wasserfall.Der Ort wirkt, als wäre noch nie jemand hier gewesen. Vor lauter Staunen bin ich stehen geblieben. Jemand rennt an mir vorbei und stolpert durch die scheinbar massive Wand aus Wasser. Dann ist er weg.
Die Flammen kommen immer näher, der Wald ist von ihrem rötlichen Schein erleuchtet. Ich weiß nicht, was hinter dem Wasserfall ist, aber hier kann ich nicht bleiben.
Ich renne wieder los. Bald spüre ich den Druck des Wassers auf meinen Schultern. Es dauert nur ein paar Sekunden, die mir wie eine kleine Ewigkeit vorkommen, dann bin ich durch.
Vor mir liegt ein schmaler Gang, der leicht bergauf führt. Ich folge ihm und komme in eine größere Höhle. Die Decke ist niedrig, aber die Wände sind so weit entfernt, dass ich sie in dem Halbdunkel nicht erkennen kann.
Als die ersten Menschen mich entdecken, geht ein erleichtertes Murmeln durch die Menge. "Ein Glück, Jakob hat es doch geschafft. Es wäre schrecklich gewesen, wenn der Sohn von Michael auch noch gestorben wäre..." Ich bin zu müde, um ihnen weiter zuzuhören.
Mehrere Hände nehmen mich in Empfang, ziehen mir die durchnässten Kleider aus und legen mir eine Decke um. Dann werde ich zu einem provisorischen Lager geführt. Ich lasse mich fallen und bin nach wenigen Augenblicken eingeschlafen.


1. Kapitel




"Amelie, steh auf!"
Unwillig zog ich mir die Decke über den Kopf und versuchte, wieder ein zu schlafen.
"Los, komm schon, du musst doch deine Geschenke auspacken!" Mit einem lauten Knall ging die Tür auf und meine kleine Schwester Rebecca kam ins Zimmer gehüpft. Vorsichtig lugte ich unter meiner Decke hervor.
"Amelie, aufstehen!" Hinter ihr kam meine Mutter herein. "Alles Gute zum Geburtstag, mein Schatz!", trällerte sie, zog die Bettdecke ein Stück herunter und gab mir einen leichten Kuss auf die Stirn.
"Hey, da ist ja unser Geburtstagskind!" Mein Vater spazierte gut gelaunt und mit ausgebreiteten Armen durch die Tür. Jetzt waren sie alle an meinem Bett versammelt. Ich fühlte mich wie im Krankenhaus. Durfte man denn nicht mal an seinem siebzehnten Geburtstag ausschlafen?
Langsam stieg ich aus dem Bett und wäre am liebsten sofort wieder zurückgekrochen. Im Zimmer waren es gefühlte minus zwanzig Grad. Ich schlüpfte in meinen Bademantel und tappte in den Flur. Meine Familie lief hinter mir her. Sie wirkten aufgeregter als ich.
Im Wohnzimmer stapelten sich, wie jedes Jahr, meine Geschenke auf einem bunt geschmückten Tischchen. Obwohl ich müde war, musste ich nun doch lächeln. Manchmal behandelten mich meine Eltern immer noch wie ein kleines Mädchen, aber auf eine süße Art. Drei Geschenke lagen neben mir auf dem Boden; ein Großes und zwei Kleine.
"Welches soll ich zuerst öffnen?", fragte ich meine kleine Schwester Rebecca.
"Das Große!", antwortete sie zappelig. Sie reichte es mir und schaute mich gespannt an. Ich nahm das Geschenk und öffnete es: Es waren die ersten zwei Bücher der "Tribute von Panem".
"Uhhhhhh...!", kreischte ich vor Aufregung, "Danke, danke, danke! Die wollte ich schon immer haben!"
"Schnell, mach noch die Anderen auf. Die Schule beginnt bald", drängelte mich meine Mutter.
Jetzt kam Rebecca mit einem Brief zu mir gelaufen und setzte sich auf die Sofakante.
Dann sagte sie: "Das habe ich für dich gemacht." Ich öffnete den Brief und fand darin einen Zettel,auf dem eine Zeichnung war; Meine Schwester und ich saßen vor einem See und ich legte meinen Arm um sie.
"Danke, Rebecca", sagte ich glücklich, "das ist das tollste Geschenk von allen."
"Wir gehen dann schon mal noch unten und machen den Kuchen fertig. Die letzten beiden Geschenke packst du dann heute Mittag aus", meinte meine Mutter.
Jetzt kam auch mein Vater zu Wort: "Sonst wird nämlich der Kuchen kalt." Er hatte uns sozusagen aufgefordert, mit nach unten zu gehen. Das ließen Rebecca und ich uns nicht zweimal sagen; wir stürmten nach unten und setzten uns an den schon gedeckten Tisch. Mama und Papa kamen gemütlich nach. "Wer möchte Kuchen von euch Mäuschen?", fragte Mama uns, als sie das Kuchenmesser in die Hand nahm. "Ich!", riefen meine Schwester und ich wie aus der Pistole geschossen. "Als erstes das Geburtstagskind", beschloss meine Mutter schließlich und im selben Augenblick gab sie mir das Stück Kuchen. Ich wollte aber nicht ungerecht gegenüber meiner Schwester sein und reichte ihr meinen Teller rüber. Als Dank bekam ich ein kleines Küsschen auf die Wange. Eigentlich mochte ich sie nicht immer, aber in diesem Moment wünschte ich, sie wäre immer so lieb zu mir. Als wir fertig waren mit essen, huschte ich ins Bad, um mich für die Schule fertig zu machen. Ich wollte nur mal kurz über meine Zähne schrubben, aber es kam mir dann doch wieder wie zehn Minuten vor. Ich spülte nach dem Zähne putzen meinen Mund aus, eilte kurz nach oben, um mich anzuziehen und meine Tasche zu holen und lief wieder runter.
"Ciao, Mama, Papa und Rebecca. Ich habe heute nur vier Stunden Schule, will aber noch in den Wald gehen", verabschiedete ich mich, bevor ich aus dem Haus ging.
Danach simste ich meiner besten Freundin Julia: "Hi, Julia. Wir haben heute nur vier Stunden. Willst du nach der Schule mit mir in den Wald kommen? Ich will dir etwas zeigen."
"Hoffentlich antwortet sie mir, bevor es zum erste Mal gongt", hoffte ich, schaltete mein Handy auf lautlos und steckte es zurück in meine Hosentasche. Zehn Minuten später war ich in der Schule angekommen. Plötzlich vibrierte mein Handy; es war eine SMS von Julia. Sie schrieb: "Nein, sorry, kann heute nicht mit dir in den Wald kommen-bin krank! GLG Julia. P.S.: HAPPY BIRTHDAY AMELIE! Dein Geschenk bekommst du, wenn ich wieder gesund bin." Dazu hatte sie noch einen traurigen Smiley geschickt. Und ich hatte mich schon so auf den Wald gefreut.
"Ding....Dang....Dong", klingelte es zum ersten Mal. Jetzt hatten wir Mathe mit diesen dummen Protenzen, die ich einfach nicht verstand. Trotzdem war die Stunde erstaunlicherweise mal okay, aber ohne Julia war die Pause der reinste Horror. Ich stand, wie immer wenn Julia nicht da war, alleine rum und fühlte mich richtig einsam.
In der dritten und vierten Stunde hatten wir Deutsch. Wer will denn bitte Deutsch lernen, wenn man es schon kann? Jedenfalls war es auch langweilig. Schule war generell langweilig. Und hätte mich mein Deutschlehrer nicht aufgeweckt, hätte ich wahrscheinlich die restliche Stunde lang weitergeschlafen. Zum Glück musste ich heute keine Strafarbeit machen oder zwei Seiten aus dem Deutschbuch abschreiben.
Als es endlich gongte, kreischte ich innerlich, denn ich hatte heute keine Hausaufgaben auf, weil ich Geburtstag hatte; Die anderen aus meiner Klasse hatten haufenweise Hausaufgaben bekommen.
Ich schnappte mir meinen Ranzen und verließ das Schulgelände. Ich wollte so schnell wie meine Beine laufen konnten in den Wald kommen. Ich hatte im Wald nämlich vor einer Woche ein kleines Reh gefunden, dem ich den Namen Lena gegeben hatte; Sein Bein war schlimm verstaucht.
Als ich um eine Ecke bog, konnte ich den Wald schon sehen. Lena kam, als sie mich von Weitem sehen konnte, angehumpelt. "Na, meine Kleine! Wie geht's dir?", begrüßte ich sie. Klar war es unnormal, mit einem Reh zu sprechen, aber immer, wenn ich bei ihr war und mit ihr redete, dachte ich, sie würde mich verstehen. Kurz darauf hopste sie davon. "Du willst Verstecken spielen?", rief ich ihr zu. Sofort drehte sie sich zu mir um und stampfte mit ihrem Huf auf. "Das heißt wohl ja", beschloss ich. Ich stellte meinen Ranzen ab und rannte ihr nach. Natürlich hatte Lena Vorteile, aber irgendwann musste sie ja erschöpft werden. Plötzlich rannte Lena mitten in ein Gestrüpp rein. Ich wollte sie nicht gewinnen lassen, deshalb lief ich ihr natürlich hinterher. Das Gestrüpp war jetzt schon ziemlich dicht geworden und Äste schlugen mir direkt in mein Gesicht. Wieder und wieder und wieder. Langsam tat mir mein Gesicht wirklich weh und ich hatte mehrere große Kratzer; einen davon direkt unter meinem Auge. Irgendwie musste ich meine Wunden sauber machen, aber wie? Ich überlegte, doch mir fiel nichts ein. Meinen Schulranzen hatte ich am Waldrand stehen gelassen und... Doch dann hatte ich eine blendende Idee: Hier im Wald gab es einen kleinen See! Dort würde ich mich waschen können. Wie konnte ich das bloß vergessen? So schnell wie der Blitz rannte ich zu dem kleinen See. Als ich dann endlich da war, füllte ich meine Hände mit Wasser und klatschte mir das kühlende Wasser in mein Gesicht. Meine Hände ließ ich auf meinem Gesicht, da es ziemlich angenehm war. Doch gleichzeitig brannte es auch höllisch! Ich dachte nur daran, dass es aufhören sollte, zu brennen. Wie durch ein Wunder verschwanden auf einmal meine Wunden und es hörte auf zu brennen. Ich erschrak und wich nach hinten aus. In der Zeit hatte mich Lena gefunden und kam auf mich zu. Sie schaute mindestens so verdattert wie ich; diesen Moment musste ich erst einmal verkraften! Ich schaute auf meine Armbanduhr: 18:56 Uhr. Schon so spät? Schnell lief ich den ganzen Weg zu meinem Ranzen zurück, aber dieses Mal nicht durch das Gestrüpp, sondern einen anderen Waldweg, den ich kannte. Wieder am Waldrand angekommen warf ich mir meinen Ranzen über die Schulter und drehte mich noch einmal um. Lena war mir gefolgt und schaute mich ziemlich verwundert an. "Ich komme bald wieder. Sehr bald", versicherte ich ihr und machte mich auf den Weg nach Hause. Es dauerte nicht sehr lange bis nach Hause; geschätzte sieben Minuten. Nach ungefähr drei Minuten, fing es an, wie aus Eimern zu schütten. Als ich zu Hause ankam, war ich bis auf die Knochen durchnässt und völlig erschöpft. Eilig schloss ich die Haustür auf und stürmte hinein. Kurz darauf kam mir meine Mutter entgegen. "Wo warst du denn so lange? Hast du Hunger? Oder vielleicht Durst?", fragte sie mich besorgt. "Nein, Mum! Das Einzige, was ich jetzt will, ist alleine gelassen zu werden", giftete ich sie wütend an und stolperte die Treppen zu meinem Zimmer hoch. "Gute Nacht!", rief meine Mutter mir hinterher. Ich aber hatte keine Lust, ihr zu antworten. Ich ging in mein Zimmer und knallte die Tür mit voller Wucht zu. Ich lies mich auf mein Bett plumpsen und verkroch mich unter meiner Bettdecke. Eigentlich wollte ich mir noch die Zähne putzen und den Schlafanzug anziehen, aber als ich da so gemütlich in meinem Bett lag, merkte ich, wie müde ich war. Plötzlich klappten meine Augen zu und ich schlief ein.

Vergangenheit




Als ich wieder aufwache, kann ich zuerst nichts erkennen. Nur langsam gewöhnen sich meine Augen an das Dämmerlicht. Dann fällt mir auch wieder ein, wo ich bin. Die Feuerwächter haben uns gejagt und wir mussten uns in dieser versteckten Höhle Zuflucht suchen. Ich richte mich langsam auf und nehme meine Umgebung in Augenschein. Als ich den Kopf zur Seite drehe, sehe ich eine alte Frau neben mir sitzen.
„Hast du Durst?“, fragt sie mich. Ich nicke. Meine Kehle fühlt sich an wie ausgedörrt. Sie reicht mir eine flache Schale mit Wasser. Ich hebe sie an die Lippen und trinke vorsichtig.
Als die Schale geleert ist, gebe ich sie der alten Frau zurück und wische mir mit dem Ärmel über den Mund.
Ich frage nach etwas zu essen und bekomme ein Stück trockenes Brot. „Mehr haben wir leider nicht“, meint die alte Frau entschuldigend.
Während ich langsam kaue, beobachte ich das Treiben um mich herum. Schreiende Kinder. Kinder, die spielen. Mütter, die versuchen, etwas zu essen aufzutreiben. Männer, die in einer Ecke sitzen und leise miteinander reden. Ich frage mich, wie es jetzt mit uns weitergehen soll.


2. Kapitel




Als der Wecker an diesem Morgen klingelte, hätte ich ihn am liebsten aus dem Fenster geworfen. Ich hatte überhaupt keine Lust aufzustehen. In der Schule standen heute zwei Arbeiten an und noch dazu war meine beste Freundin krank. Ich musste also diesen blöden Tag ganz alleine durchstehen.
Mühsam quälte ich mich aus dem Bett, denn Jammern half ja doch nichts. Meine Mutter wartete schon mit dem Frühstück auf mich. Gut gelaunt saß meine kleine Schwester Rebecca neben ihr und spielte mit einer ihrer Puppen. „Sieh mal, Amelie, Cinderella kann schon alleine essen!“ Ich sah sie kurz an, nickte und starrte dann wieder auf meinen Teller. Missmutig aß ich ein halbes Brötchen und ging dann ins Bad.
Als ich mich von meiner Mutter verabschiedete, sagte sie fürsorglich: „Nimm lieber einen Schirm mit, es könnte heute regnen.“ Da ich mich nicht mit ihr streiten wollte, nahm ich einen Schirm vom Haken und verließ dann das Haus. Genau in dem Moment, in dem ich die Haustür hinter mir schloss, fing es an, wie aus Eimern zu schütten. Schnell spannte ich den Schirm auf und machte mich auf den Weg in die Schule.
Dort angekommen machte ich mich sofort auf den Weg in den Raum, in dem wir Französisch hatten, um vor der Arbeit noch ein bisschen Zeit zum Lernen zu haben. Nach der Stunde beschlich mich allerdings das Gefühl, dass all meine Mühen umsonst gewesen waren. Wenn kein Wunder geschah, dann hatte ich die Arbeit gründlich in den Sand gesetzt.
In den anderen Fächern lief es nicht besser, in Mathe wäre ich sogar fast eingeschlafen, weil ich von Potenzen eh nichts verstand.
Erschöpft und hungrig machte ich mich nach einem langen Schultag auf den Heimweg. „Wenigstens hat es aufgehört zu regnen“, dachte ich, als ich an der Bushaltestelle wartete.
Es war bereits halb fünf und ich war total kaputt von den ganzen Protenzen in Mathe, der Chemiearbeit und der Französischarbeit. Ich kapierte im Moment gar nichts was mit der Schule zu tun hatte. Mein Bus kam erst in fünf Minuten. Als man ihn dann endlich von Weitem sehen konnte, entdeckte ich eine sehr seltsame Frau auf der anderen Seite der Straße. Sie war angezogen, als würde sie auf einen Karnevall gehen; sie trug ein langes Kleid, das fast bis auf den Boden reichte und hatte weiße, gelockte Haare. Wie man sehen konnte, war sie sehr schlank, aber nicht besonders groß. Der Bus hielt direkt vor meiner Nase. Ich wollte nicht mehr an die Frau denken, aber je mehr ich versuchte, sie aus meinen Gedanken zu verdrängen, desto mehr merkte ich, dass ich mich irgendwie magisch von ihr angezogen fühlte und nichts dagegen machen konnte. Sobald der Bus weggefahren war, rannte ich auf die andere Straßenseite. Aber bevor ich mich richtig nach ihr umsehen konnte, wurde mir bewusst, dass die alte Frau verschwunden war. Wo war sie so plötzlich hin? Glücklicherweise sah ich gerade noch ein Stück ihres Kleides um eine Ecke verschwinden. Schnell folgte ich ihr. Sie hatte wohl mitbekommen, dass ich ihr nachlief, denn sie drehte sich kurz zu mir um und rannte dann weiter in Richtung Wald. Nach einer Weile blieb sie endlich vor einem kleinen Haus stehen. Es war kein Haus im klassischen Sinne, sondern eher eine morsche, alte Hütte. Sie war wie der Wald angestrichen und man konnte nicht richtig erkennen, wo das Haus aufhörte und der Wald anfing. Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich gar nicht gemerkt hatte, dass die Frau mich die ganze Zeit über angestarrt hatte. "Ich bin Rovelianda - Die Älteste", stellte sie sich vor. Dann führte sie mich in ihr Haus.
Die Tür war wahrscheinlich lange nicht mehr geölt worden, denn sie knarrte, als Rovelianda sie öffnete.
"Willst du einen Tee trinken?", fragte sie mich freundlich.
"Nein, danke", antwortete ich. "Ich muss dann auch bald wieder gehen."
"Bitte bleib noch ein bisschen. Ich habe sonst nie Gäste!" Erst wunderte ich mich darüber, aber als wir in ihr "Wohnzimmer" kamen, erklärte sich ihre Aussage. In dem Zimmer waren alle möglichen Pflanzen gesammelt und ordentlich aufeinander gestapelt worden. Dazwischen waren nur noch einige Zentimeter Platz. Kein Wunder, dass hier nicht oft Leute herkamen. An einer Wand hing eine merkwürdige Uhr; die Zeit, die sie anzeigte, stimmte nicht. Um die Uhr herum waren verschiedene Kräuter aufgehängt.
Rovelianda musste bemerkt haben, dass ich mich für die Uhr interessierte, denn sie kam schnurstracks auf mich zu. Da fiel mir ein, dass ich mich noch gar nicht vorgestellt hatte.
"Oh....Ähm", fing ich an, doch Rovelianda unterbrach mich. "Ist nicht schlimm."
"Wirklich? Also...ich bin Amelie", fing ich von neuen an. (Ich war mir nicht sicher, ob sie verstanden hatte, was ich von ihr wollte.)
"Ich habe bemerkt, dass du sich für diese Uhr interessierst!", stellte sie fest.
"Ja, genau, aber die Uhrzeit stimmt nicht. Jetzt ist es...", sagte ich, während ich auf meine Armbanduhr sah, "17:01 Uhr. Und diese Uhr zeigt fünf Minuten vor zwölf."
"Oh, dann muss ich mich beeilen", erwiderte sie.
"Womit beeilen?", fragte ich, denn jetzt verstand ich nur noch Bahnhof.
"Ich wollte dir die Geschichte des Volkes Cura erzählen", erklärte sie mir und fing an zu berichten: "Vor vielen Jahren lebte einmal das Volk Cura. Es waren erst nur Wenige, doch dann wollten immer mehr Leute an der Liebe, Fürsorglichkeit und den besonderen Heilkräften dieses Volkes teilhaben. Das Volk war beliebt bei allen Menschen, aber dem König waren sie ein Dorn im Auge, da er befürchtete, sie könnten sich gegen ihn erheben. So befahl er, alle Angehörigen der Cura zu vernichten. Auch andere Könige schlossen ihm sich an und so wurden alle Heiler, welche nun hier her gekommen waren, getötet oder gefangen genommen. Doch ungefähr zwanzig von ihnen schafften es, der Wut des Königs zu entkommen, und flohen in die Welt hinaus, um den anderen Menschen von ihren Wundern zu erzählen."
Ihr Kopf kam meinem immer näher. Auf einmal fiel sie um und war bewusstlos.
"Rovelianda! Rovelianda! " Ich hatte überlegt, sie zu ohrfeigen; Das machte mein Vater immer, wenn ich ohnmächtig wurde, aber da ich sie kaum kannte, traute ich mich nicht.
"Periculum populo Cura est. Terzio signa!", fing sie an zu brabbeln. Ihre Augen wurden hellblau und weiteten sich. Plötzlich nahm sie meine Hand und drückte sie. Dabei hörte ich ein leises Zischen.
"Au, Rovelianda! Was machen sie da?" Als ich auf meine Hand schaute, sah ich ein Herz. In dem Herz war ein Quadrat und in dem Quadrat ein Kreis. Ich ballte meine Hand zu einer Faust, um den Schmerz zu unterdrücken.
"Hier, nimm die Karte", sagte die seltsame alte Frau, während sie mir ein Stück Papier in die Hand drückte. Ich nahm es entgegen und steckte es in die Hosentasche, konnte aber immer noch nicht glauben, was sie sagte.
"Du bist doch total irre.", sagte ich und verspürte nur noch einen Wunsch, von hier wegzukommen.
Schnell rannte ich zur Tür und öffnete sie. Dann knallte ich sie so fest hinter mir zu, dass ein Fenster aus seinem Rahmen fiel und zersplitterte.
"Du bist doch total irre!" Ohne mich noch einmal umzudrehen rannte ich den Weg zurück, den ich gekommen war.
Ich wurde erst langsamer, als ich wieder in belebtere Gebiete kam. Ich schwang mich auf eine niedrige Steinmauer am Rande eines vornehmen Grundstücks und versuchte, wieder zur Ruhe zu kommen. Ich wurde einfach nicht schlau aus dem, was Rovelianda mir erzählt hatte. Immer wieder gingen mir ihre Worte durch den Kopf: "Periculum populo Cura est. Terzio signa!" Ich hatte das Gefühl, diese fremde Sprache zu verstehen, aber das, was ich übersetzte, klang auch nicht logischer: "Das Volk Cura ist in Gefahr. Drei Zeichen!" Was hatte es mit diesem seltsamen Volk auf sich? Cura. Schon der Name klang geheimnisvoll und irgendwie unwirklich. Wie viel von dem, was Rovelianda gesagt hatte, konnte ich glauben? Wenn sie Recht hatte, dann musste ich zurück, denn die Geschichte warf tausend Fragen auf.
Doch der Weg wurde mir erspart. Während ich so nachdachte, kam Rovelianda um die Ecke.
"Amelie, Liebes, da bist du ja!"
Ich fand ihre Bemerkung zwar etwas seltsam, wenn man bedachte, wie wir auseinander gegangen waren, aber ich hielt mich zurück und fragte stattdessen: „Rovelianda, gibt es das Volk Cura wirklich?“
„Aber natürlich, Schätzchen. Denkst du wirklich, ich würde dich bei etwas so Wichtigem anlügen? Sie sind deine Vergangenheit und du bist ihre Zukunft - die einzige, die sie im Moment haben.“
Ich musste eine Weile über ihre Worte nachdenken. Dann fiel mir etwas ein, was ich sie unbedingt fragen musste: „Was hatte das mit der Uhr vorhin zu bedeuten? Warum geht sie falsch?“
Jetzt lachte Rovelianda. „Oh, ich bezweifle, dass sie falsch geht. Sie zeigt nur eine andere Zeit an.“
„Eine andere Zeit?", hackte ich nach.
„Ja; Jahrelang stand sie still, aber als du das erste Mal deine Heilkräfte eingesetzt hast, fing die Uhr an zu laufen. Hast du den kleinen Zeiger gesehen, der sich scheinbar nicht bewegt hat? Er zeigt die Tage an. Du hast nur zwölf Tage Zeit, danach kannst du das Tor nie wieder öffnen.“
Jetzt hatte sie mich völlig verwirrt. „Welches Tor?“, fragte ich. Ihre Worte wollten in meinen Ohren einfach keinen Sinn ergeben.
„Das Tor nach Wellolin, dem Land des Volkes Cura.“
Als ich sie nach diesem Tor fragte erzählte sie mir, ich müsse die drei Zeichen finden, die auf der Karte abgebildet waren, die sie mir gegeben hatte. Dann sollte ich die Karte über diese Zeichen halten. Was dann geschehen würde, konnte sie mir allerdings nicht sagen. Sie selbst war noch nie in Wellolin gewesen.
„Weißt du, Kind, ich gehöre nicht zu den Cura.“
„Nicht?“ Nach allem was sie mir erzählt hatte, erstaunte mich diese Aussage am meisten. „Wie kannst du dann so viel wissen?“
„Das ist eine andere Geschichte, die im Moment keine Rolle spielt. Ich werde sie dir ein anderes Mal erzählen.“
Eine Frage hatte ich noch: „Wie soll ich diese Zeichen finden?“
„Sie sind in den Wäldern der Sieger Harald, Quax und Katherine verborgen.“ Sie musste mein fragendes Gesicht gesehen haben, denn sie fuhr fort, zu erklären: „Harald, Quax und Katherine waren die Anführer in den drei Aufständen gegen die Feuerwächter und ihren finsteren König, dessen Name niemand auszusprechen wagt. Die Feuerwächter waren ein Volk voller Grausamkeit. Woher sie kamen, wusste niemand, aber als sie in Wellolin eingefallen waren, unterdrückten sie das Volk der Cura und machten sie zu ihren Sklaven. Erst ließen sie demütig ihr Schicksal über sich ergehen, aber dann kamen die Sieger. Jeder von ihnen schaffte es, sein Volk unter sich zu einen und in die Schlacht gegen den finsteren König zu führen. Es waren aussichtslose Unterfangen. Nichtsdestotrotz konnten sie kleine Siege erringen. Doch am Ende wurde jeder Aufstand brutal niedergeschlagen. Weil die Sieger ihrem Volk Hoffnung gegeben hatten, erschufen die Magier des Volkes Cura ein Tor in eine andere Welt. Sie verbargen in drei Wäldern, die sie nach den Siegern benannten, drei Zeichen, Herz, Quadrat und Kreis, und sie schufen auch eine magische Karte, mit deren Hilfe ein Auserwählter das Tor öffnen und das Volk Cura in die Freiheit führen konnte.“
„Und dieser Auserwählte bin ich“, murmelte ich leise vor mich hin. Obwohl die ganze Geschichte so langsam anfing, einen Sinn zu ergeben, zweifelte ich immer noch an Roveliandas Worten. Nur meine seltsamen neuen Fähigkeiten brachten mich dazu, ihr weiter zuzuhören.
Rovelianda hatte aufgehört, zu reden, und kramte stattdessen in den Taschen ihres weiten Kleides herum. Schließlich zog sie eine Armbanduhr heraus und gab sie mir.
„Hier, mein Kind. Diese Uhr zeigt genau wie die in meinem Haus deine Zeit an. Außerdem kannst du auf dem Ziffernblatt ein Bild von mir heraufbeschwören, falls du mich noch etwas fragen willst. Das solltest du allerdings nur im äußersten Notfall tun, denn es erfordert eine Menge Energie. Und jetzt geh, es ist schon spät geworden.“
„Warte, Rovelianda.“ Wie ein kleines Mädchen klammerte ich mich an ihren Rockzipfel, um sie aufzuhalten. „Wie soll ich die Wälder und die Zeichen finden?“
Sie zog eine abgenutzte Landkarte aus einer ihrer Taschen und zeichnete darauf die drei Wälder ein. Dann gab sie sie mir, drehte sich wortlos um und ging davon. Ich blieb allein und verwirrt auf der Straße zurück.
Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich mich dazu durchringen konnte, nach Hause zu gehen. Mittlerweile hatte die Dämmerung eingesetzt und ich würde bestimmt wahnsinnigen Ärger bekommen.
Und genauso kam es auch; Als ich zu Hause ankam und versuchte, mich unbemerkt durch die Haustür und dann in mein Zimmer zu schleichen, begegnete ich auf dem Flur meiner kleinen Schwester.
„Rebecca, bitte sag jetzt nichts“, versuchte ich noch, das Unglück abzuwenden, aber es war bereits zu spät.
„Mama, Papa, Amelie ist wieder da!“, rief sie und prompt kamen meine Eltern angestürzt. „Wo warst du denn so lange?“, fragte meine Mutter vorwurfsvoll.
Sofort mischte sich mein Vater ein: „Seit Tagen hältst du dich nicht mehr an die Abmachungen. Was hat dich so verändert, dass...“ Er steigerte sich in immer schrecklichere Beschimpfungen hinein, aber ich hörte ihm nicht weiter zu.
Ich horchte erst wieder auf, als er fast schon schreiend sagte: „Ich weiß gar nicht, warum wir uns so eine Mühe mit dir geben. Wir hätten dich lieber im Waisenhaus lassen sollen!“ Dann holte er aus und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Im Spiegel neben mir konnte ich den knallroten Abdruck erkennen.
Mir stockte der Atem und mein Herz schien für einen Moment auszusetzen. Der Schlag kümmerte mich nicht besonders, auch wenn meine Wange höllisch brannte. Meinem Vater war schon öfter die Hand ausgerutscht. Geistesabwesend legte ich eine Hand auf die Stelle. Meine Gedanken kreisten um das, was er davor gesagt hatte. Ich war adoptiert? Das konnte doch nicht wahr sein, oder?
Jetzt mischte sich meine Mutter wieder ein: „Schätzchen, dein Vater hat es nicht so gemeint.“
„Und ob ich es so gemeint habe! Genau so!“, wetterte mein Vater weiter. Da meine Wange nicht mehr weh tat, nahm ich vorsichtig meine Hand wieder herunter.
Mein Vater stockte mitten im Satz und auch meiner Mutter blieb vor Schreck der Mund offen stehen.
„Das gibt´s doch nicht“, stotterte sie. Ich blickte in den Spiegel und sah, dass mein Gesicht genauso dreckig, aber makellos wie vorher war. Da erinnerte ich mich wieder an das, was im Wald passiert war.
Ich drehte mich um, stürmte in mein Zimmer, schloss die Tür hinter mir und lehnte mich von innen dagegen. Wie hatte ich nur so blöd sein können? Aber jetzt war es zu spät, um zu jammern. Meine Eltern hatten offensichtlich genug von mir, also konnte ich genauso gut weggehen. Vorher war ich unschlüssig gewesen, ob ich den Auftrag von Rovelianda annehmen sollte, aber jetzt hielt mich nichts mehr in dieser Welt.
Ich stand auf, packte einige Sachen zusammen, steckte die Karte in meinen Rucksack und öffnete vorsichtig die Tür. Ich musste es aus der Wohnung schaffen, ohne mich erwischen zu lassen, sonst fiel meinen Eltern womöglich noch ein, mich wieder in das Heim zu stecken, aus dem sie mich angeblich geholt hatten.
Ich schlich den Flur hinab, zog mir lautlos meine Schuhe an und schlüpfte dann aus dem Haus. Ich rannte die Straße hinunter. Erst als ich um mehrere Ecken gebogen war, blieb ich stehen und atmete tief durch. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Jetzt musste ich nur noch die Zeichen finden, um in die andere Welt zu gelangen und mein Volk zu befreien. Hörte sich eigentlich ganz einfach an, oder?

Vergangenheit




Vorsichtig schleichen wir durch den Wald. Ich bin Teil einer sorgfältig ausgewählten Spähtruppe, die nachsehen soll, ob wir noch verfolgt werden. Eigentlich sollte ich gar nicht mitkommen, weil ich angeblich noch zu jung bin. Aber ich habe mich auf meine außergewöhnlichen Fähigkeiten und meinen Vater berufen, der uns geeint und zehn Jahre lang geführt hat. Da mussten sie mich mitnehmen.
Jemand tritt auf einen morschen Ast. Ein anderer flucht leise. Obwohl mein Vater eine so bedeutende Persönlichkeit unter den Heilern war, kenne ich doch die meisten von ihnen nicht. Ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen und habe meinen Vater vor einem Jahr zum ersten Mal gesehen. Sie sagen, das war zu meinem Schutz, aber das kann ich nicht glauben. Denn jetzt ist mein Vater tot, ermordet von den Feuerwächtern, und ich habe ihn nicht mal richtig kennen gelernt.
Wieder knacken Äste unter unseren Füßen. Wir bleiben stehen und lauschen. Hoffentlich hat uns niemand bemerkt, denn das könnte unseren Tod und den aller Überlebenden unseres Volkes bedeuten. Die Meisten sind ohnehin schon auf der Flucht von den Feuerwächtern getötet worden. Umso mehr müssen wir Acht geben, damit unser Volk nicht ausstirbt.
Während die anderen sich nach möglichen Verfolgern umsehen, wandert mein Blick zum Himmel. Die Wolken reißen an einer Stelle auf und scheinen ein Herz zu bilden. Ich ziehe die vergilbte Karte aus meiner Innentasche. Sie ist das Einzige, was mir von meinem Vater geblieben ist. Auf der Karte ist ebenfalls ein Herz zu sehen, dass ein Quadrat einschließt, in dem sich ein Kreis befindet. Im Wald ist es zu dunkel, um die an den Rand gekritzelten Hinweise zu lesen, deshalb halte ich die Karte gegen die Sonne, die durch das Loch in der Wolkendecke scheint. Da geschieht etwas Seltsames. Die Sonne scheint sich regelrecht durch die Karte zu brennen, genau auf der Linie, die das Herz bildet. Dann schließen sich die Wolken wieder und zurück bleibt nur die feine verbrannte Linie auf meiner Karte.
Die anderen sind mit ihren Beobachtungen fertig und wollen wieder zurück zur Höhle. Schnell stecke ich die Karte wieder in meine Tasche, bevor sie jemand sehen kann.
Verwirrt trotte ich durch den Wald. Ich überlege, wen ich zu dem merkwürdigen Ereignis fragen kann, aber mir fällt niemand ein.


Impressum

Texte: Texte sind von uns drei
Bildmaterialien: teetrinkerin und schmetterling.
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Das voll gelungene cover ist von unserer tollen coverdesignerin Teetrinkerin <3 Die tolle Karte hat schmetterling. für uns gemacht und sie sieht auch so toll aus :D Danke an euch beide noch mal von uns drei

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