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Kapitel 1: Der Umzug


The Opposite
Reise in eine andere Welt


Kapitel 1: Der Umzug

Mühsam trug ich den letzten Umzugskarton in Tante Lydia's neue Wohnung. Gleich nach der Scheidung beschloss sie, wegzuziehen. Weg von ihrem Ex-mann, weg von dem ewigen Druck, weg von seinen Hieben und, weg von mir. Ich konnte es ihr nicht übel nehmen, schliesslich kannte ich Ralf. Er war immer schon egozentrisch und jaehzornig, jedoch wurde es von Jahrzehnt zu Jahrzehnt schrecklicher. Alle waren in seinen Augen entweder ein Nichts und ein Niemand, oder wie Kohlenstoffmonoxid. Giftig und gefaegefaehrlich. Feigling! Ich fand ihn immer schon erbaehrmlich und extrem paranoid.
Seine Paranoia wurden unerträglich fuer alle Beteiligten. Letzten Sommer wollte er dann seine, jetzige, Ex-ehefrau mit einem schaebigen Küchenmesser eiskalt erstechen.
Ein Schauder lief mir über meinen, vom Umzug, erhizten Körper, und beinahe liess ich Lydia's chinesisches Teeservice fallen. Verdammt! Puh, das war knapp! Ich murmelte Tantchen zu, dass alles in Ordnung sei. Sie nickte nur und widtmete sich wieder ihren zwei Kanarienvoegeln zu. Peppo und Fiona waren, mit mir, die Einzigen die fuer Lydia nach dem Umzug da waren. Sie kannte hier in der Oxford Street, in London, noch niemanden. Zwei Strassen weiter wohnten meine Mutter und ich in einer kleinen aber feinen Wohnung. ,, Klein, aber mein!", lautete die Meinung von Joana immer. Dabei stimmte ich ihr zu. Auch sie liess sich von meinem Vater scheiden, weshalb sie die Situation von Lydia gut verstehen könnte. Die Betonung liegt auf könnte, wenn sich die beiden nicht vor zehn Jahren um eben diesen Mann, meinem Vater, stritten. Mein Magen zog sich unangenehm zusammen. Die Anspannung
zwischen den beiden lag jedes mal in der Luft, wenn sie sich begegneten. Sie schenkten sich gegenseitig nur Verachtung. Wenn Blicke töten könnten wären die beiden Frauen schon längst Tod umgefallen. Ich spuehrte förmlich den nächsten Streit zwischen Lydia und Joana.

,, Könnte ich heute bei dir übernachten. Seit zwei Tagen habe ich schon Sommerferien, also ginge das mit der Schule in Ordnung. Ich müsste nur noch Joana anrufen und ihr die Neuigkeit mitteilen.", meinte ich zu Lydia, damit sie nicht so alleine war. Sie kam gerade aus der Küche, ihre hasselnuss braunen Haare hatte sie beim Kochen immer hochgesteckt. Als sie vor mir stand, sah sie mich etwas verwirrt an. ,, Ich dachte Joana kann es nicht ausstehen, wenn du bei mir zu Besuch bist, geschweige den hier schlaefst.", erwiederte sie und ruempfte die Nase, während sie den Namen meiner Mutter aussprach. Mit geschuerzten Lippen und die Hände in den Hosentaschen meiner verwaschenen Jeans antwortete ich :,, Ich bin siebzehn Jahre alt und habe den Führerschein schon längst. Ich bin nicht mehr auf sie angewiesen und in einem Jahr werde ich von zu Hause ausziehen. Notfalls, weil ich mir den Gebrauchtwagen noch nicht leisten konnte und ich kein Geld fuer die U-Bahn ausgeben will,
kann ich ja zu Fuss den Heimweg antreten. Immerhin habe ich es nicht weit, ich brauche vielleicht zwei Minuten, höchstens. Joana kann es mir nicht verbieten, sondern nur du." Lydia runzelte die Stirn und überlegte, öffnete den Mund und sagte :,, Fein, dann bist du heute Nacht mein Gast. Ruf aber Joana bitte gleich an, sonst macht sie wieder ein Theater. Du kannst im Gästezimmer schlafen. Ueberziehst du selber dein Bett?" Nickend und mit einem unauffaelligem Lächeln ging ich in das besagte Zimmer. Lydia bemerkte mein Lächeln und erwiederte dieses.

Leise schloss ich die Tür hinter mir und nahm auf dem mir bereitgestellten Bett Platz. In ein paar Minuten stand mir die groesste Hürde bevor. Nämlich meiner chaotischen Mutter beizubringen, das ich bei ihrer Erzrivalin übernachten werde. Wenn man sie auf Lydia anspricht, ist es ungefähr so, als ob du dich mit einem blutigen Steak ins Meer, zu den gefraessigen Haien stürzt. Ihh! Ich hasse Fleisch! Seit ich denken konnte, ass ich noch nie Fleisch. Nicht einmal die Babynahrung mit Fleisch ass ich. Ich bin stolz darauf, eine Vegetarierin zu sein. Generell ernährte ich mich sehr gesund. Nur einer suessen Versuchung konnte ich nicht wieder stehen: Milchshakes, Frappes und Frozen Yoghurts. Mhhm! Wie lecker! Die könnte ich immer vernaschen!
Ich zog mein Handy aus meiner Jeans und sucht ihren Namen unter meiner Kontaktliste. Joana Shelton. Nervös biss ich auf meiner Unterlippe herum, als ich ihre Nummer wählte. Pip, pipp, pippp. Beim vierten Rufton hob sie ab. Ihre angenehme Chello Stimme gruesste mich. Ich erwiederte ihren Gruss.
,, Was gibt's denn, Ruby-Schatz? Bist du fertig und kommst zurueck?", durchloecherte sie mich mit ihren Fragen. Von ihren Fragen wurde ich nur noch mehr nervös. Ich biss mir abermals in die Lippe und antwortete zaghaft, aber entschlossen. ,, Eigentlich schon, ...", meinte ich, wurde jedoch von ihrer aufgeregten Stimme unterbrochen. ,, Du hast doch soll nicht vor bei ihr zu übernachten, oder etwa doch?", fragte Joana entsetzt, mit einem verachtendem Unterton bei dem Wort ihr. Mein Magen zog sich zusammen, aber ich bemühte mich, das ich nicht darauf achte. Unberührt, oder zumindest hatte es den Anschein, erwiederte ich :,, Mum, ich bin alt genug, um bei jemandem zu übernachten. Bei meinen Freundinnen hast du auch keinerlei Bedenken." Schnaubend antwortete meine, fuer gewöhnlich unbekuemmerte, Mutter :,, Ich möchte nicht, dass du bei diesem Miststueck uebernachtest. Keine Wiederreden. Ich warte auf dich!" Jetzt wurde ich schön langsam aber sicher ziemlich gereizt. ,, Joana, ich möchte nicht, das du meine Tante derart beleidigst! Immerhin ist sie so erwachsen, dass sie dich nicht zu Unrecht beschimpft! Ich habe Ferien, bin eine sehr gute Schülerin, also was spricht bitte noch dagegen? Bevor du wieder irgendetwas beleidigendes sagst, lege ich auf. Tut mir Leid, aber bitte, stell mich nicht vor die Wahl. Ich möchte keinen von euch verlieren, weder dich, noch Lydia. Bitte versteh' es, versteh' mich. Lydia akzeptiert es, akzeptiert mich. Das, Mum, ist der extreme Unterschied zwischen euch. Sie versteht und akzeptiert. Bye Um, ich liebe dich!", sagte ich zu Joana, anfangs erzuernt und zum Schluss reuhmuetig. Am anderen Ende hörte ich ein tiefes Seufzen. ,, Ich dich auch!", lautete ihre Antwort, dann legte sie auf.

Mittlerweile war nach unserem Gespraech eine Stunde vergangen. Während ich mit meinem MP3-Player meiner Lieblingsband ,,One Republic" lauschte, dachte ich noch an den letzten Satz von Joana nach. Ihre Stimme klang nicht nur gekränkt sonder irgendwie anders. Irgendwie, so fremd. ,, Möglich wäre es schon, das meine Mutter und ich uns auseinander leben. Immerhin war ich schon sehr früh selbstständig, daher kümmerte sie sich wenig. Wenn aber Lydia bei uns war, dann spürte ich, dass ich tatsächlich geliebt wurde. So ist es, bis heute geblieben ...", so kreisten meine Gedanken.
Ich vernahm ein Klopfen an der Tür. Ruckartig richtete ich mich von meinem Bett auf und rief in Richtung Türe, dass der Eintritt erwünscht ist. Wie nicht anders zu erwarten, verbarg sich hinter der Tür meine herzallerliebstes Tantchen, selbstverstaendlich mit zwei Tassen Tee in den Haenden.
,, Komme ich gerade ungelegen, oder möchtest du mit mir in der Küche Tee trinken, wie damals, als du noch klein warst?" Liebevoll lächelte ich Lydia an und erwiederte :,, Definitiv letzteres. Immerhin ist gleich Tea-Time. Warte, ich gehe dir zur Hand."
Wenige Sekunden später waren wir in der Küche und tranken unseren Tee, wie immer pünktlich um fünf Uhr nachmittags. Schluerfend leerte ich meine Teetasse. Lydia hob dabei eine von ihren elegant geschwungenen Augenbrauen und musterte mich. Verlegen blickte ich zurueck. Sie öffnete ihren Mund und zitierte sich selbst :,, Eine Dame schluerft nie und schon gar nicht beim Tee trinken. Hat dir Joana denn keine vernünftigen Manieren beigebracht?"
Ich konnte dieses mal nicht lachen, denn sie fing gerade an, über Um zu schimpfen. ,, Lydia, ich finde, wir sollten nicht über sie reden, ansonsten sehe ich vor meinem geistigen Auge schon wieder einen Familienstreit a'la Shelton's. Weil du aber das Thema angeschnitten hast, wollte ich dir nur mitteilen, dass ich es ihr gesagt habe.", erwiederte ich mit einem ernsten Unterton. Sie sah mich mit weit aufgerissenen Augen an und fragte mich neugierig :,, Und, wie hat sie reagiert? Ich hoffe sehr, dass sie sich grün und blau geaergert hat!" Ich sah Lydia vorwurfsvoll an. Die Neugierde wechselte zu Scham und sie sah mich mit traurigen Augen an. Mit einem klaeglichen Seufzer fing sie an sich zu entschuldigen. Ich winkte ab und wir wechselten das Thema.
,, Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber so ein junges und hübsches Mädchen muss doch einen Partner an ihrer Seite haben.", sagte Lydia mit einem grinsen in ihrem Gesicht zu mir. Ich seufzte, verdrehte die Augen sah sie an und musste lachen. Besser gesagt, wir beide lachgen uns halbtod. Endlich hatten wir uns wwieder halbwegs beruhigt. Ich antwortete mit einem klarren nein und spuelte San unser benutztes Geschirr ab. Danach gesellte ich mich zu Lydia auf das Sofa. Während diese ihre Lieblingsserie anschaut, blickte ich mich in der Wohnung um. Sie war noch ziemlich kag, aber wenigstens nicht so erdrueckend voll.
Der Wohnblock wurde 1967 errichtet und erzählte schon Geschichte. ,, Was hier wohl schon alles geschehen ist? Paearchen, die Streit hatten, Kinder, die hier zur Welt kamen, Leute, die ein und auszogen, Menschen, die ermordet wurden ...", dachte ich. Mich erschauderte, bei dem letzten Gedanken. Lydia, waere
hier, neben mir, vielleicht gar nicht mehr gesessen... Zum dritten mal an diesem Tag zog sich mein Magen unaufhsltsam zusammen. Ein Leben ohne Lydia? Das wäre fuer mich undekbar gewesen! Ich konnte froh sein, dass sie noch wohl auf war. Von den Gedankenwurde mir so übel, dass ich versuchte, mich aufetwas anderes zu konzentrieren. ,, Um was geht es bei dieser Soap?", fragte ich mich leise selbst. Tantchen hörte mich nicht, so gut fluesterte ich.
Ich konzentrierte mich auf die Serie und letztendlich erreichte ich ein entspanntes Gefühl.
Als die Soap zu Ende war, sah ich Lydia's enttäuschten Gesichtausdruck. Ich musste mich beherrschen, jedoch entkam mir ein Schmunzeln. ,, Perfekt! Also wirklich, gerade wenn Gina und Maurice sich zum allerersten Mal küssen hören sie auf, und verschieben den Rest bis zum Mittwoch, das sind noch drei Tage ohne ,,London in love". Wenn ich nicht so süchtig nach mehr Channing Tatum als ,,Maurice" wäre würde ich nicht alle drei Tage den ganzen Vormittag vor dem Flimmerkasten sitzen.", fluchte Lydia und schenkte ihrem ,,Maurice" noch ein Kuesschen, als dieser im Nachspann zu sehen war.
Trotz meiner emensen Selbstbeherrschung, prustete ich los und meinte :,, Tantchen, ich wusste wirklich nicht, dass du auf Channing Tatum stehst. Da bleibt man mal fuer eine Nacht bei seiner Tante und schon erfährt man die verruecktesten Dinge!" Entgeistert und mit offenem Mund staarte sie mich an, weshalb ich etwas verlegen wurde. Ich dachte schon, ich hätte etwas falsches gesagt, jedoch quaselte sie gleich darauf los. ,, Ruby, bitte, warum findest du ihn nicht attraktiv? Ich erwarte eine ernste Antwort. Ich persönlich wäre Wachs in seinen Händen.", bei dem letzten Satz fügte sie ein sehnsuechtliches Seufzen aus. Was finden nur alle an diesem Schnoesel so toll? ,, Meine Stellungnahme ist die, dass Channing Tatum ein reicher Snob ist. Ausserdem muss es zwischen Mann und Frau so richtig funken. Dazu muss man ihn persönlich kennen. In der Serie mag Dr vielleicht sensibel und einsam sein, aber privat könnte er ein reiher Kotzbrocken und Womannizzer sein. Verstehst du, was ich damit meine?", erwiederte ich ihr ernst. Immerhin wollte sie meine Meinung hören. Charakterlich war ich sehr ehrlich, weshalb ich nicht lüge mir dafür aber auch kein Blatt vor dem Mund nehme. Ersteres war praktisch, zweiteres hätte sehr schlecht enden können, wenn ich die falschen Leute getroffen hätte. ,, Ich dachte ja nur, dass ich dich auf den Geschmack bringen könnte, dass dir auch einmal Männer gefallen könnten.", sagte sie zu mir, mit einem traurigen Lächeln auf ihren rosigen Lippen. Ich lächelte sie aufmunternd an. Immerhin wollte ich ihre Gefühle nicht verletzen. Ich wusste, dass sie sich bemühte, damit ich kein falsches Weltbild vom anderen Geschlecht habe, nachdem ich zwei Scheidungen miterlebt hatte. ,, Tantchen, ich schätze deine Bemühungen, damit ich Männer leiden kann, funktionieren leider bei mir nicht. Das bedeutet aber nicht, dass ich keine als Freunde habe. Na gut, nur einen, aber der ist ganz nett. Trevor lautet sein Name. He, wer braucht schon Männer?", hörte mich Tantchen amüsiert reden. Sie lächelte und meinte, dass sie das Gemüse noch fertig kochen muss. Als ich ihr meine Hilfe anbot, winkte sie ab und erwiederte, dass sie alleine zurecht kommt.

Abermals hoerte ich MP3-Musik, jedoch lauschte ich jetzt der ,,Morgenstimmung" aus der ,,Peer Gynt Suit" von Edvard Hagerup Grieg. Er ist einer, meiner Idole, denn wer konnte mit Musik, ohne Text, Orte, Stimmungen und Geschehnisse so Intensiv beschreiben. Meiner Meinung nach, war er ein Meister etwas mit Musik zu beschreiben und jedes mal wieder spürte ich dieses kribblige Gefuehl, wenn sich die Gaensehaut einen Weg zu meinen Armen suchte. Meine Haearchen stellten sich ganz langsam auf. Das konnte man jederzeit bei mir beobachten, wenn ich klassische Musik hörte. Auch, wenn ich zur Ballettstunde gehe und wir beim Tanzen, wie immer, klassische Musik einlegten, bekam ich diese Gaensehaut. Mein Körper spsnnte sich oerfekt an und das Tanzen wurde ein Kinderspiel. Ich dachte daran, wie ich die Piouretten drehte, Spagate machte und auf den Zehenspitzen grazioes herumtaenzelte. Immerhin taenzelte ich so gut herum das ich beim ,,Schwannensee" ein Schwan sein durfte. Eine grosse Ehre, die ich dankend an nahm. Ballett tanzte ich schon, als ich noch drei Jahre alt war. Jedes mal war es das gleiche unglaubliche Gefühl, gemeinsam, mit den anderen Mädels zu tanzen. Es war magisch und einfach nur unbeschreiblich schön. Auch die Schule liess ich nicht außer Acht. In meiner Klasse bin ich die beste Schülerin und ich habe gute Auussichten, einmal ein Studium als Archeologin zu schaffen. Das ist mein Traumberuf. Immerhin muss man sich sehr gut in Geschichte auskennen und das viele Reisen darf einem nicht zu anstrengend werden.
,, Ruby, das Abendessen ist fertig!", rief meine Tante mir nach. Ich schreckte auf, weil ich gerade aus meinen Gedanken gerissen wurde. ,, Ich komme gleich!", rief ich zurück. Ich tratt hinaus, ging in die Küche, um Lydia zu helfen, doch ich fand sie nicht. War das ein Spielchen? ,, Lydia! Lydia, wo bist du? Lydia", rief ich etwas veraengstigt. Okay, ich war ein ziemlicher Angsthase. Keine Antwort. Nur die erdrueckende Stille und mein Atem waren zu hören. Mist! ,, Lydia, das ist ganz und gar nicht witzig. Das ist... oh, was ist denn das? Das ist ihr Perlenarmband.", fluesterte ich. Jetzt hatte ich panick. Um eine Antwort zu erhalten, ging ich der Spur aus Perlen hinterher. Bei der Wohnungstuere endete die Spur. ,, Was wenn, ...", dachte ich, als ich die Haustüre aufmachte.
Tatsächlich! Die Spur hörte gar nicht auf. Ich ging weiter und bemerkte, dass diese zum Keller des Wohnblocks führte. Die Luft blieb mir aus. Oder hatte ich wegen der nackten Panick vergessen zu Atmen. Knarr! Die Haupttuere wurde von einem Mann, ganz in schwarz gekleidet, geöffnet.
Ich wollte rennen aber meine Beine versagten! Ich wollte Schrein, aber ich bekam keine Luft! ,,Wer sind sie, was wollen sie?", wisperte ich leise. Ich war den Tränen nahe, als der Mann näher kam und näher. Schritt fuer Schritt. Hätte ich meine Arme ausgestreckte, hätte ich diesen Mysteriösen beruehrt! Seine Dumpfen schritte, hallten in dem Empfangsraum nach. Ich lickte auf und sah denn Mann, der vor mir stand. ,, Miss, brauchen sie Hilfe?", fragte mich der alte Mister Ackenthorpe fuersorglich. Ich beruhigte mich und winkte ab. Wie blöd war ich bitte, dass ich Mister Ackenthorpe fuer einen Mörder hielt? Der hätte nicht einmal einer Fliege etwas zu Leid getan. ,, Seien sie vorsichtig, junge Miss Shelton. London ist längst nicht so ungefährlich, wie alle Leute meinen.", meinte er und ging in seine Wohnung. Sofort verfolgte ich die Spur, der Perlen, weiter und gelangte zur großen Tür, die direkt zum Keller führte. ,,Unbefugten betreten verboten", stand in vergilbter roter Schrift auf der rostigen Eisentuer. Mutig schritt ich voran und stiess die Türe mit meiner ganzen Kraft auf. Wie nicht anders zu erwarten, führte mich die Spur weiter. Meine Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Merkwuerdigerweise gab es keine Fenster, nicht einmal am Tag konnte das Licht sich einen Weg in den Keller bahnen.
Schon als kleines Kind war mir in Kellern immer mulmig zumute, aber heute bedrueckte nicht etwas. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Wahrscheinlich regte ich mich zu unrecht auf. Die Betonung liegte auf wahrscheinlich.
Immer tiefer gelang ich hinein, bis ich keine Perlen mehr sah. Die Spur aus der Halskette von Lydia endete bei einem Keller. Ich versuchte, den Namen auf dem Eisenschloss entziffern zu können, dieses war auf der Türe des Abstellraumes eines Mieters angebraucht. ,,Nr.16/Ha...t..", war das einzige, was ich mit viel Mühe lesen konnte. ,,Lydia wohnt jetzt in der Wohnung Nummer 16. Das war der oder die Vormieter bzw. Vormieterin von ihrer Wohnung.", lautete mein Gedankenblitz. Ebenfalls merkwürdig war, dass die Türe offen war. Vorsichtig betrat ich den Abstellraum und sah mich unwillkürlich um. Nichts. Nur ich und die Dunkelheit, die meinen Körper umhuellte. Langsam schaute ich mich um, aber ich entdeckte nichts und niemanden. Lydia war verschwunden.
Quick! Ruckartig drehte ich mich um und blickte in die Augen einer fetten Ratte, die mich mit Argwohn musterte. Gequält stiess ich einen einzigen Satz heraus :,, Oh mein Gott, ich hasse Ratten!" Dann lief ich schnurstracks in eine Ecke. Als ich mich vor Ekel umdrehte, blickte ich in einen alten barrockschen Spiegel. Mein angstverzerrtes Gesicht sah eine weile in den Spiegel. Auf einmal fiel mir auf, dass unter dem Spiegel ein aufgeschlagenes Buch lag.
Das Buch war in Leder gebunden und ziemlich schwer. Als ich es aufhob und den Staub herunterwischte, wirbelte ich die feinen Koernchen auf und musste niesen.
,, Was ist das fuer ein Buch?", fragte ich mich fluesternd selbst. Mir fiel die Zeile, die auf der aufgeschlagenen Seite stand sofort auf :,,Ego ante portas!"

Kapitel 2: Portal in die Anderswelt


Kapitel 2: Portal in die Anderswelt

,,Ego ante portas!", las ich leise vor. Plötzlich schien ein Lichtstrahl aus dem Spiegel. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich zuerst den Spiegel und dann mich an. Von oben bis unten leuchtete mein Körper! ,, Was...?", mehr konnte ich nicht mehr sagen, den ich wurde von dem Lichtstrahl regelrecht hineingezogen und verschluckt. Mein Körper kribbelte und war gluehendheiss. Ich dachte schon, ich brannte. Wie im Weltall begann ich zu schweben. Ich war in einem Tunnel und schwebte immer tiefer hinein. Je tiefer es wurde, desto dunkler wurde es um mich und mein Unbehagen stieg. War ich verrückt geworden? In diesem Tunnel flogen auf einmal viele verschiedene Uhren herum. Ich las zum Beispiel die jetzige Uhrzeit von Hongkong, Paris, Madrid, New York und vielen weiteren Städten. Eine Uhrzeit stach mir sofort ins Auge : ,,London 20:45"! Dann ging alles ganz schnell. Die schwarzen Nebelschwaden erfassten mich und ich wurde zu einem riesengrossen Spiegel gezogen. Er hatte Ähnlichkeiten mit dem Spiegel im Keller von Tante Lydia. Trotzdem war er anders, nämlich groesser, kostbarer und auf eine seltsame weise mächtig. Er strahlte eine gewisse, undefinierbare Macht aus... Während ich vor mich hinraetselte, wurde ich von diesem Spiegel erfasst und abermals hineinverfrachtet. Dann wurde ich bewusstlos und liess mich in den unbekannten, moeglicherweise gefährlichen, Wogen der Finsternis gleiten.

15 Minuten danach:

Langsam hob ich meinen Kopf. Er fühlte sich so schwer an, als könnte mein Hals und Rumpf ihn nicht länger tragen. Meinen mittlerweile wachsamen Blick liess ich in der mir unbekannten Gegend herumschweifen. Nein. Ich hatte diesen Ort noch nie zuvor gesehen, aber de noch spürte ich ein gewisses Unbehagen in mir aufsteigen. Als ich mich gänzlich erhob fragte ich mich leise :,, Wo bin ich hier bloss gelandet?" Weiterhin blickte ich um mich, konnte jedoch niemanden ausfindig machen. ,, Du bist alleine. Ganz alleine. Hier bist nur du. Du bist alleine, alleine, alleine...!", diese Stimmen in meinem Kopf hörte ich das allererstemal. Immer, wenn das Wort alleine fiel, wurde das Gewirr aus Stimmen lauter und bedrohlicher.
Es war, als ob mich jemand in die Enge trieb. Oder als ob man rennt, aber sich keinen Milimeter weiterbewegen kann. Sie verfolgten mich, hetzten mich. Tatsächlich fing ich an, zu laufen, aber ich entkam ihnen nicht. Während ich um mein Leben und um meinen Verstand lief, bemerkte ich, dass diese Welt schwarz und grau war. Es gab keinen einzigen Farbklecks, sondern nur verschiedene Grautoene und Schwarz. Sonst nichts. Wenn ich diese Welt mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich sagen, dass sie triestlos ist.
Alles sah gleich aus, ob es Bäume oder Häuser waren. Aber vielleicht kam es mir nur durch die immer zu gleichen Farben so vor, als ob jedes ,,Ei" dem anderen zum verwechseln ähnlich sah. Nach 30 Minuten Selbsterhaltungstrieb, ging mir die Puste aus. Ich wusste, ab diesem Zeitpunkt, dass ich verloren war. Nicht nur ich, auch meine Tante, falls diese nicht schon längst Tod ist und in irgendeinem fahlen Graben liegt und von Raben angepickt wird. Um mich nicht zu übergeben, musste ich schlucken, damit ich den graesslichen Nachgeschmack von diesem Gedanken irgendwie weg bekam. Jedoch war dies genauso vergeblich, wie der Versuch, mich von den Stimmen los zu reissen.
Als ich nicht mehr konnte und in einem düsteren Wald angelangt war, fiel ich über eine mächtige Wurzel. ,, Gleich ist es vorbei...!", riefen die Stimmen im Takt. Nein, ich wollte nicht, dass es vorbei ist. Zuerst wollte ich wissen ob es Lydia gut geht. ,, Das ist alles nur ein Traum, nur ein Traum. Ein schrecklicner Alptraum. Gleich wache ich schweissgebadet in Lydia's Gästezimmer auf und alles ist in Ordnung.", dachte ich. Die Stimmen umzingelten mich und drückten auf meine Brust. Das Atmen war dadurch zur Qual geworden. Sie kamen näher und näher, bis sie auf meiner Haut klebten.
Ploetzlich bemerkte ich noch, wie sich mir langsam schwarze Gestalten näherten. Von Kopf bis Fuss waren sie rabenschwarz, wie mein taillienlanges Haar. Man konnte nichts erkennen, außer den Kopf, den Hals und die Arme, der Rest war unerkennlich. Erst, als ich ihre Maeuler sperrangelweit offen sah, wusste ich, dass ich komplett verloren war. Ich ruselte auf dem feuchten Waldboden herum, weil mein rechtes Bein übel verletzt war. Mein Atem ging Stossweise, als ich die Zähne, der furchteinfloessenden Gestalten genauer musterte. Dolchlang und haifischscharf war eine jaemmerliche Untertreibung. Ausserdem hatten sie im ganzen Schlund, den man erfuerchtig bestaunen konnte, Hauer. Diese Reihten sich weit nach hinten.
Obwohl es mir nichts half, schrie ich aus Leibeskraeften, jedoch war mir bewusst, dass mich niemand hören würde, weil ich mutterseelenalleine war. Wegen dieser Einsicht dann mir eine Traene über die Wange hinunter. Diese bahne sich einen weiteren Weg zu einem Brennesselblatt, wo sie schliesslich halt machte. ,, Ihre Reise ist beendet, genauso wie mein Leben.", waren meine bitteren Gedanken. Die Monster kamen näher und die Stimmen droehnten in meinem Kopf. ,, Nein! Hört auf! Hört auf! Aufhören...!", rief ich, dann brach ich erneut in Tränen aus. Als ein schwarzes Monster mit seinem Tentakeln nach mir greifen wollte und ich die Arme schützend vor meinem Kopf nahm, verharrte es wie durch ein Wunder in seiner Bewegung. Erstaunt liess ich meine Arme sinken und erst da erblickte ich eine huebsche Frau und ihren Partner. Sie hatte eine enge und dunkle Jeans, ein graues T-shirt und eine Lederjacke darüber an. Die Jeans steckten in schwarzen Stiefeln mit hohen Absätzen. Ihre kurvenreiche Figur hatte etwas gefährliches und verfuhrerisches an sich. Jeder Mann wäre Wachs in ihren Händen. Als mein Blick zu ihm Gesicht wandert, erstarrte ich. Die großen blauen Augen, die eleganten Brauen, die perfekt proportionierte Nase, der volle und sinnliche Mund. Die haselnussraunen, leicht gewellten Haare, die sie locker über ihren Rücken fallen liess. Es war Tante Lydia, mit einem mir unbekannten Mann! Beide hatten riesige Schusswaffen in ihren Händen und sie sahen mich nicht gerade freundlich an. Im Gegenteil, ergrimmt starrten sie mich synchron an, die Waffen schussbereit gezueckt!

Impressum

Texte: Sarah Stadler
Bildmaterialien: Sarah Stadler
Tag der Veröffentlichung: 09.01.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Fuer meine hinreissende Mutter Andrea, ohne der ich die nötige Fantasie gar nicht hätte. Und natürlich ein grosses Dankeschön an alle meine Leser!

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