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Lange Zeit war keiner mehr hier gewesen.
Lange Zeit schon, lag dieses kleine Stückchen „Erde“ brach.
Lange Zeit wurde dieses Fleckchen Erde verachtet, konnte es doch selber nichts dafür!
Lange Zeit wurde es missbraucht.
Vielleicht gehörte dies bald der Vergangenheit an!

Henry Bancroft fuhr mit einem LKW die Auffahrt zum Raketenstützpunkt „Silo 52“ hinauf. Neben ihm saß Peter Peck. Ein kleiner, wirr dreinschauender Mann, Mitte 30.

‚Ein Wunder, das er mir noch erlaubt, selber zu fahren. Beharrt er doch immer darauf, dass es nicht mehr so sei, wie früher. Er hat doch nun wirklich überhaupt nicht mitbekommen, wie es vor 40 Jahren hier zugegangen war‘, dachte Henry und schaute verstohlen und stirnrunzelnd zu Peter. Naja, er musste zugeben, dass er auch nicht wirklich viel mitbekommen hatte. War er doch damals auch gerade erst 6 Jahre alt, als die Sirenen aufheulten und ihre Klassenlehrerin sie panisch dazu aufgefordert hatte, in die Schutzräume zu gehen.

Nun, fast 42 Jahre später, wünschte er sich, dass die Bomben damals gefallen wären. Aber, welche Bomben hätten fallen sollen? Es waren doch keine da gewesen. Ein Systemfehler…unverzeihlich, selbstverständlich! Und, was hatten sie nun davon?

Ach, es war egal, welche Partei an der Macht war, oder welcher Führer gerade im Weißen Haus saß. Sie alle hatten damals dieses überhebliche Gefühl gehabt, das dieser Nation niemand etwas wollen würde. Sie waren der Meinung, die fortschrittlichste und humanste Gesellschaft auf dem gesamten Planeten und den lunaren Außenposten zu sein.

Waren sie es doch gewesen, die die Besiedelung des Mondes erst Möglich gemacht hatte. Waren sie es doch, die den Ausstieg aus dem Atomprogramm wieder stoppten, um die Freiheit der Nationen sichern zu können. Und dann der Alarm. Welcher Idiot wollte schon die Vereinigten Staaten angreifen. Und doch, anscheinend tat es jemand. Und wie sollte man da angemessen reagieren, wenn einem vermeintlich 2 Dutzend Atomsprengköpfe entgegen rasen!
Richtig, zurückschlagen.

Wenn wir schon untergehen, dann der Rest der Welt mit uns!

Aber, der Rest der Welt hatte die vergangenen Jahre, seit dem Stopp des Atomwaffenausstieges nicht untätig zugeschaut, wie sich der mächtigste Staat mit weiteren Massenvernichtungswaffen und breit angelegter militärischer Stärke vollpumpte.
Sie hatten ein Staatenbündnis gegründet. Hatten Ihre besten Wissenschaftler und Konstrukteure in ein Team geworfen, und hatten still und heimlich, versteckt vor dem großen Bruder USA im Geheimprogramm „Überleben der Menschlichkeit“ an Verteidigungsmaßnahmen gearbeitet.

Wer von der Regierung von vor über 40 Jahren, hätte auch wissen sollen, das der Atomschlag der Vereinigten Staaten gegen den kompletten Rest der Welt so einfach in die Knie zu zwingen war? Mein Gott! Ihr ach so geliebtes Land brannte! Einen kleinen Sieg wollten sie sich trotzdem zugestehen, schließlich hatte der Rest der Welt auch genügend damit zu tun, die Aschewolken aus der Atmosphäre zu pumpen, aber selbst daran hatten die Wissenschaftler im Projekt „Überleben der Menschlichkeit“ gedacht.
Und dann kam die ernüchternde Entdeckung. Es hatte nie einen Erstschlag gegen die Staaten gegeben. Im Computer erzeugte der Fehler eines Übungsprogrammes den Anschein der drohenden Zerstörung und hektische Militärs und größenwahnsinnige Politiker taten den Rest dazu. Sie hatten nicht aus damaligen Fehlern gelernt. Hatte nicht Mitte des 20ten Jahrhunderts bereits genau das gleiche Problem fast für den Untergang der Welt gesorgt? Hatte man damals nicht auch schon binnen 5 Minuten das Ende der Welt beschlossen…?

Nein, man hatte nicht gelernt. Amerika war ja auch nicht ganz blind. Sie hatten mitbekommen, dass sich außerhalb ihres Machtgebietes irgendetwas zusammenbraute. Natürlich, suchte man nicht bei sich den Schuldigen, sondern sah ganz klar den alten Kontinent Europa, der doch den Urväter Amerikas eine Heimat war, als Übel an. Als auf Rückfragen keine Antworten gekommen waren, verschloss man sich. Zog sich zurück und schaute erwartungsvoll in alle Himmelsrichtungen.

Man pumpte Unsummen in die Aufbereitung der Atomstützpunkte. Egal, ob die Wirtschaft versagte, man mit Embargos vom Rest der Welt langsam aber sicher abgeschlossen wurde. Die Geschichte der Menschheit zeigt uns doch ganz klar auf, dass dies überall und zu jeder Zeit geschehen kann. Nehmen wir die Deutschen. Folgten sie nicht einem Visionär? Nein? Einem Wahnsinnigen? Wie viele dieser Nation hätten dies damals verneint, geblendet von der Redegewandtheit dieses kleinen Mannes…

Nun ja, es war passiert. „Silo 52“, gekoppelt mit einem Frühwarnsystem, hatte die angreifenden Atomwaffen als Erster auf dem Schirm. Sofort lief die Maschinerie an, Gespräche wurden geführt, Experten befragt und Entscheidungen getroffen. Binnen 6 Minuten waren alle amerikanischen Atomwaffen in der Luft und flogen Ziele in der ganzen Welt an.

Kurze Zeit später reagierte das Abwehrsystem der restlichen Welt, fing die Waffen ab, führte sie in die Kälte des Weltraumes, wo sie ohne Schaden im Vakuum ihrer Aufgabe nachkamen. Einige der älteren Raketen schafften es gar nicht so weit. Sie verfehlten ihr Ziel um viele tausende Kilometer und, anstatt Amerika vor der Welt zu schützen, zerstörten sie Milliarden von Leben auf dem eigenen Kontinent.
Die restliche Welt reagierte prompt. Mit riesigen, vom All aus gesteuerten Schutzschilden, verdonnerten sie den brennenden Kontinent zu Hausarrest. Ausgeschlossen vom restlichen Leben. Weggesperrt, wie einen bissigen Hund, den man seinen Kindern nicht zumuten kann.

Aber, was ist mit denjenigen, die die Entscheidungen nicht getroffen hatten, die Welt zu zerstören?
Genauso wie bei den Deutschen, wo nicht auch jeder gleich ein Nazi war, nur weil er Deutscher Mitbürger war. So jemand war Henry. Ihn hatte keiner gefragt, ob er es für richtig hielt, die Welt zu zerbomben!
Nun, abgeriegelt von jeglichem Einfluss von außen, hatten die Überlebenden versucht, das Beste aus Ihrer Situation zu machen. Schnell wurden die Verantwortlichen „entfernt“ und lange Zeit herrschten Zustände wie zur Steinzeit. Auge um Auge, Zahn um Zahn! Der Schwächere hatte viele Male das Nachsehen.

Mittlerweile gab es wieder eine demokratische Regierung. Schulen wurden wieder aufgebaut, die Infrastruktur versucht wieder zu richten, zumindest so, dass man Strom, fließendes Wasser und Nahrungsmittel bekommen konnte. Seit 6 Jahren lief das nun richtig gut, empfand Henry. Aber seitdem der Schutzwall um Ihr Land aufgebaut wurde, hatte niemand mehr mit Ihnen Kontakt aufgenommen. Keiner aus der alten Welt hatte mal nach dem Rechten geschaut.

„Hey, träumst du? Wir müssen los!“, ranzte Peter von der Seite und kniff dem älteren in den Arm. Er tippte auf seine Uhr.

„J-ja, ich komm schon!“, ächzte Henry, während er die Tür des rostigen Millers aufschob und sich aus dem Sitz gleiten ließ. Wind blies ihm ins Gesicht und strich ihm sanft über den kahlen Schädel. Mühsam schlurfte er zum Einstieg in das Atomsilo und öffnete zusammen mit Peter die schwere, runde Stahlluke.
In den letzten Monaten war er schon sehr häufig hier gewesen. Erst, hatte er es heimlich getan…zumindest so heimlich wie man es mit einem der wenigen noch fahrtüchtigen Fahrzeugen tun konnte. Immer wieder waren Leute auf die Straßen gerannt und hatten ihm nachgegröhlt.

Henry stieg von der letzten Stufe der Leiter, die hinab in den Kontrollraum des Silos führte. Peter war bereits zum Sicherungskasten gelaufen und hatte den Schalter umgelegt, sodass durch elektrisches Summen und Brummen das Hochfahren der Systeme und Maschinen angemeldet wurde. Henry kauerte sich auf den abgewetzten Drehstuhl vor dem Funkgerät und schaltete es ein.
Rauschen begrüßte ihn aus den Boxen.

„Und was jetzt?“, fragte Peter nervös.

„Jetzt warten wir!“

Henry starrte auf die rote Leuchte, die ihm signalisierte, dass das Funkgerät an war und Peter lief aufgeregt durch den Raum. 10 Minuten hatte Henry sich das angeschaut als er sagte: „Jetzt setz dich hin! Du machst mich ganz bekloppt!“

Kleinlaut kauerte Peter sich neben Henry und starrte ebenfalls auf die rote Kontrolllampe, als es plötzlich aus den Boxen knackte.

„Luna1 ruft Henry, hören sie mich? Over.“

„Ja, ich kann dich deutlich empfangen! Schön Deine Stimme zu hören!“

„Wir haben nicht lange Zeit, meine Eltern kommen in einer halben Stunden zurück.“

„Nicht schlimm. Hast Du mit Deinen Eltern mal über das gesprochen, was ich dir gesagt habe!“

„Ja, aber sie glauben mir nicht! Sie haben mich ausgelacht und mir gesagt, ich solle mir richtige Freunde suchen, nicht so welche, die ich mir ausdenke!“

„Mmh.“

„Das ist alles so schrecklich! Ich würde ihnen gerne helfen, ich weiß aber nicht wie! Die blöden Erwachsenen hören nicht auf so ne kleine 11 Jährige…“

Henry sackte in sich zusammen, atmete tief und schwer ein:
„Naja, macht nix, Engelchen! Ich habe mich gefreut, das wir beiden überhaupt Kontakt hatten.“

„Ja, das war Zufall, dass ich dieses alte Ding hier im Keller gefunden und ausprobiert habe! Mein Papa hat mir erklärt, dass dieses alte Funksystem nicht mehr verwendet wird. Alleine schon, weil das von euch Amerikanern entwickelt wurde.“

„Und Zufall, dass gerade ich, genau zu diesem Zeitpunkt ebenfalls versucht habe, Kontakt mit jemandem außerhalb des Schutzschirmes aufzunehmen, um der Welt draußen mitzuteilen, dass hier drin auch noch Menschen leben…“

Peter war aufgestanden und zur Leiter gegangen.
Er stieg mit schweren Beinen die Sprossen hinauf und wurde oben schon erwartet.

„Und, was hat sie gesagt?“, fragte ein dünner Mann, der aufgeregt das Gewicht vom einen auf das andere Bein verlagerte. Er und 10 andere Regierungsmitglieder der neuen amerikanischen Regierung schauten erwartungsvoll von der Pritsche des LKWs in das Gesicht von Peter Peck, dem Stabschef von Präsidenten Henry Bancroft.

„Fehlanzeige. Ihr Eltern wollen nicht zuhören!“

„Genauso wie der Rest der Welt!“

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Tag der Veröffentlichung: 25.07.2009

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