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Dreamcatcher

 

Prolog

 

 

Bitterkalt. Stockfinster. Dreckig. Der Geruch nach Verwesung und Exkrementen. Und schlechte Luft - Das ist alles, was ich zurzeit wahrnehme.

Flackerndes, kaltes Licht von einer einzigen kahlen Glühbirne, die einsam und trostlos von der Decke baumelt, erhellt nur ab und zu den kahlen Raum für ein paar Sekunden, bevor sie mit einem schneidenden Geräusch wieder erlischt und alles in dunkles Schwarz taucht. Nur schwer erkenne ich die Umrisse einer Tür, ungefähr drei Meter vor mir. Ansonsten ist hier nichts weiter. Ein leerer, dunkler, kalter, stinkender Raum. Was hinter mir ist, kann ich nur erahnen, denn ich kann meinen Kopf nicht drehen. Aber selbst wenn, ich bezweifle, dass ich etwas erkennen könnte.

Ich selber bin mit einem taudicken Strick um beide Handgelenke und Fußgelenke an einem klapprigen alten Holzstuhl gefesselt. Dadurch habe ich eine verkrampfte Haltung und es fühlt sich so an, als wäre meine Schultern ausgekugelt worden. Jede erdenkliche Stelle tut weh. Dazu schneidet sich der Strick auch noch schmerzhaft und unangenehm in meine Haut, als ich meine Handgelenke versuche aus den Strick zu bekommen. Aber erfolglos. Was habe ich auch anderes erwartet? Verzweifelt lasse ich meinen Rücken hart gegen die Stuhllehne krachen. Doch darauf verzieht sich nur schmerzhaft mein Gesicht und ich wünsche, ich hätte es gelassen.

Meine einst so schönen, strahlenden blonden langen Haare kleben mir nun nur noch zottelig und verknotet an meinem Gesicht. Gewohnheitsmäßig will ich sie wegstreichen, doch ich kann meine Hände nicht bewegen.

Meine Kleidung ist auch ziemlich zerrissen. Ich kann nur schemenhafte eine schwarze Jeans, wo am Oberschenkel ein großes Loch prangt - und einen dunkelblauen – oder auch hellblauen – einfarbigen Baumwollpullover ausmachen.

Erst jetzt fühle ich, wie mir etwas langsam über die Stirn über meiner rechten Augenbraue nach unten fließt. Es ist klebrig und dickflüssig und kurz darauf nehme ich auch das schmerzhafte Pochen an meiner rechten Schläfe war. Es war schon die ganze Zeit dort, aber ich bemerke es erst jetzt richtig. Plötzlich macht sich kalte Panik in mir breit.

Blut. Oh mein Gott, ich blute!

Ein kalter Schauer fährt mir über den Rücken, mein Herz pocht noch schneller in meiner Brust, als eh schon ist, es droht fast aus meiner Brust zu springen und ich reiße erschrocken meine Augen auf.

Tief ein - und ausatmen, versuche ich mich selber zu beruhigen und komme meiner Aufforderung auch sogleich nach und schließe langsam meine Augen. Mein Atmen ist jedoch nur stockend, weil es bitterkalt ist, mein Hals kratzt wie Schmirgelpapier und meine Lunge brennt, als wäre dort ein loderndes Feuer entfacht. Auch ist mein Mund trocken wie Wüstensand und ich habe einen fahlen Geschmack im Mund. Dazu kommt noch, dass ich fürchterlich zittere, einerseits vor Kälte, doch auch vor Angst. Mein Körper schüttelt schon fast und meine Hände und Füße reiben dabei immer wieder schmerzhaft an den Stricken. Mein Zähneklappern hört sich an wie ein Mixer, der versucht einen Stein kleinzumixen. Ziemlich schmerzhaft, sowohl für den Stein als auch für den Mixer.

Alles in allem gleiche ich einer Vogelscheuche, die bitterlich friert.

Wo bin ich nur und wie zum Teufel bin ich hierhin gekommen?! Hat vielleicht jemand noch eine offene Rechnung mit mir? Wenn, dann wahrscheinlich, weil wegen mir ihr Plan gescheitert ist,

denke ich grimmig lächelnd. Das nehme ich aber auf mich. Für meine Familie würde ich alles tun.

Wenn ich nur wüsste, wie ich hergekommen bin und wo ich vorher war. Angestrengt denke ich nach und beiße mir dabei ausversehen schmerzhaft auf das Zahnfleisch.

„Aua“ nuschle ich unter Schmerzen.

Also so komme ich auf jeden Fall nicht weiter – Ich kann mich an nichts erinnern. Nur einzelne Gedankenblitze blitzen in meinem Kopf auf. Ein zerknitterter kleiner Zettel, meine Entschlossenheit, dann ein Auto, schwarze Männer…

Doch das bringt mich auch nicht weiter.

Intensiv versuche ich etwas in der Dunkelheit zu erkennen, wenn ich mich schon nicht erinnern kann, kann ich ja wenigstens versuchen, hier herauszukommen.

Vielleicht finde ich ja irgendwas, womit ich meine Stricke durchschneiden kann, und dann könnte ich versuchen zu flüchten.

Da flackert die Glühbirne mit einem hörbaren Geräusch wieder für eine Sekunde auf und ich kann unweit von mir einen Handgroßen, dunklen Gegenstand wahrnehmen.

Das ist die Chance! Jetzt muss ich nur noch irgendwie dahin kommen.

Gerade will ich versuchen, mich mit dem Stuhl vorzurücken, als ich laute, schwere Schritte höre. Sofort erstarre ich zur Eisstatur und hoffe, bete, dass sie nicht zu mir wollen.

Doch, wie schon immer, seit ich in dieser Welt gelandet bin, habe ich nur Pech. Denn die Schritte nähern sich immer weiter meiner Tür.

Die Personen, ich glaube es sind zwei Männer, da Frauen nicht so trampeln, stocken kurz vor der Tür zu dem Raum, in dem ich gefangen bin.

Ich schließe die Augen, ich will nicht wissen, wer oder was mich erwartet.

Ich möchte einfach nur hier weg und nie wieder kommen. Doch zuerst muss ich erst mal hier herauskommen und dann meine Familie retten. Sie brauchen mich. Zu lange müssen sie schon leiden. Ich mache dem hier ein Ende.

Vielleicht kann ich ja versuchen unauffällig mit dem Stuhl nach vorne zu rücken. Wenn ich es ganz langsam mache…

Die Tür öffnet sich knarzend und sehr langsam, ich bin zwar neugierig wer mich erwartet, aber ich werde meine Augen nicht öffnen.

„Na, gefällt es dir hier? Ich habe den Raum extra für dich herrichten lassen, damit du auch den dir gebührenden Empfang bekommst. Wie lange habe ich schon darauf gewartet dich endlich kennenzulernen. Ich bin froh, dass es du es endlich einrichten konntest.“ Erklingt eine kalte, schmierige, boshafte, schadenfrohe Stimme ganz nah vor mir. Ich könnte noch weitere Eigenschaften auflisten, doch ich fürchte, dann würde ich hier noch sitzen bis ich steinalt bin.

Diese Stimme würde ich unter tausenden Erkennen. Er ist es doch, der meine Familie gefangen hält. Und alle terrorisiert. Der denkt, er wäre der Beste. Der Mörder.

In mir breitet sich Hass aus. Hass gegenüber ihm.

Ohne zu überlegen spucke ich ihm ins Gesicht, nachdem ich die Augen geöffnet habe und fange mir gleich darauf eine deftige Schelle ein. Mein Gesicht fliegt von der Kraft des Schlages nach rechts zur Seite und ein paar Tränen bahnen sich aus meinen braun – grünen Augen, doch ich unterdrücke sie und starre ihn nur kalt und hasserfüllt an. Er soll denken, dass ich keine Angst vor ihm habe, obwohl es nicht stimmt. Denn ich habe Angst vor ihm. Doch Angst macht angreifbar, verletzbar.

„Soll ich ihren Mund knebeln, Boss?“, fragt der Mann, der mit eingetreten ist. Er wirkt wie ein Typ aus einer Straßengang. Denn er ist ganz in schwarz gekleidet mit seinem schwarzen Kapuzenpullover, der schwarzen schlichten Jeans und den eintönigen schwarzen Straßenschuhen. Die Kapuze von seinem Pullover hat er aufgesetzt. Sie verbirgt sein ganzes Gesicht, doch die Stimme kommt mir komischerweise bekannt vor.

„Nein, Gyustav, ich denke das wird nicht nötig sein. Sie wird sich jetzt benehmen, nicht wahr?“ Er lächelt mich an, doch in dem Lächeln erkennt man seine Bösartigkeit und in ihnen liegt auch eine Warnung, und zwar die, ihn nicht herauszufordern. Ich lasse mich davon jedoch nicht einschüchtern. Versuche ich zu mindestens. Ich weiß schließlich, wozu er fähig ist und was er schon alles getan hat. Doch ich versuche mich nicht darauf zu konzentrieren, sondern die beiden Männer genau zu beobachten. Ich blicke ihn nur trotzig an, mit der Aussage, dass ich mir von ihm nichts befehlen lasse und strecke den Kopf in die Höhe, um ihm zu zeigen, was ich von ihm denke.

Ich frage mich, wie ich überhaupt in diese Situation gekommen bin. Vor fast einem Monat war ich noch ein ganz stinknormaler Teenager in einer mir bekannten Welt ohne übernatürliche Wesen. Und jetzt? Jetzt stecke ich verdammt tief in der Scheiße.

Es hat alles an einem ganz normalen Schultag angefangen, mit dem Schlüssel. Der Schlüssel. Warum musste ausgerechnet ich ihn finden? Warum bin ausgerechnet ich diese Legende und muss diese Traumfänger besiegen? Vielleicht irren sie sich auch nur, ich bin doch unmöglich etwas Besonderes. Ich bin doch nur Sophie. Die kleine, unscheinbare Sophie. Klar ich habe mir immer gewünscht, dass mein Leben spannender sein soll, aber auf das hier hätte ich getrost verzichten können.

„Na, na, nicht so frech, Wildkatze. Ich will mich doch nur mit dir unterhalten. Das verletzt mich zutiefst, dass du mich so respektlos behandelst, obwohl ich dir gar nichts getan habe, “ meint er heuchlerisch und packt sich gespielt ernst an die Brust.

Na klar, und natürlich hat jemand anders meine Familie entführt und jemand anderes wünscht mir den Tod. Ich könnte kotzen. Das widert mich so an. Er widert mich an.

Na, das kann ja heiter werde. Mal sehen wie das Gespräch noch verläuft. Hoffentlich zu meinen Gunsten.

 

 

 

1. Kapitel 

 

 

Circa 4 Monate zuvor

* * * * * * * * *

Willst du noch den ganzen Tag schmollen, oder kommst du jetzt endlich aus dem Auto und hilfst mit, die Sachen mit reinzutragen?“

Wütend funkelt mich meine Mutter aus ihren bernsteinfarbenen Augen an. Es ist eine klare Aufforderung, auch mal mitzuhelfen. Doch den Gefallen werde ich ihr nicht tun. Als ich ihr nicht antworte, hebt sie verzweifelt ihre Arme und lässt sie schließlich resigniert wieder fallen. Sie weiß, dass sie mit ihren Aufforderungen bei mir nichts bewirken kann.

Ich sitze immer noch stur auf der Rückbank unseres kleinen Fords. Die Tür an meiner Seite ist auf, davor steht meine Mutter. Wir haben vor unserem neuem „Zuhause“ geparkt. Und zwar einem großes Backsteinhaus irgendwo im Nirgendwo, mit einem angrenzenden Wald. Ich bezweifele jedoch, dass es jemals ein Zuhause für mich werden kann - unter den Umständen.

Du kommst jetzt sofort aus dem Auto und hilfst gefälligst mit!“ befiehlt mir nun mein Vater, der gerade aus dem großen Backsteinhaus schreitet. Mein Vater hat kurzes braunes Haar, ein sehr markantes Kinn und, für sein Alter ungewöhnlich, eine sportliche Figur. Viele haben ihn deswegen schon jünger geschätzt. Er hält einen großen Karton im Arm, wo in krakeliger Schrift – die meiner Mutter – „Küche“ draufsteht.

Warum sollte ich?“ meine ich provozierend und verschränke meine Arme vor der Brust, weiß ich doch, wie das meine Eltern aufregt, wenn ich so mit ihnen rede. Stur blicke ich an ihnen vorbei - auf den Wald, der sich rechts neben dem Haus erstreckt.

Ich wäre ja Zuhause geblieben, aber nein, ich musste ja mit. Ich wollte es nicht, ihr habt mich dazu gezwungen, warum sollte ich euch dann auch noch helfen.“, erkläre ich ihnen, nachdem sie mir nicht geantwortet haben.

Hör mal zu Sophie Deram! Wir haben uns das nicht ausgesucht, hier herzuziehen und wir wären auch lieber in Münster geblieben, aber ich wurde versetzt und du weißt, dass wir das Geld brauchen. Also hör auf die beleidigte Leberwurst zu spielen und hilf uns jetzt!“, aufbrausend schaut mich mein Vater an.

Ich denke jedoch nicht mal daran, auf fröhliche Tochter zu tun, sondern steige aus dem Auto. Mit voller Wucht knalle ich die Tür zu, worauf meine Mutter erschrocken zusammenzuckt und gehe, vorbei an meinen Eltern die mich misstrauisch beäugen, die Einfahrt hinauf, aus der wir gerade gekommen sind. Sie führt Richtung Dorf, an welchem wir vorhin vorbeigefahren sind.

Hey! Was denkst du, was du da gerade tust?!“ herrscht mich nun mein Vater an, er hat die Arme verschränkt und die Augenbrauen tief nach unten gezogen. Seine Nasenflügel sind aufgebläht. Jetzt fehlt nur noch, dass Rauch aus seinen Ohren kommt, dann wirkt er wie aus einem Comic entsprungen.

Wonach sieht´s denn aus? Ihr könnt mich alle mal! Glaubt nicht, dass ich hier lange bleibe!“ schreie ich ihnen wütend hinterher.

Du kommst sofort zurück! Sonst kannst du heute Nacht draußen schlafen!“ schreit mein Vater zurück, macht aber zum Glück keine Anstalten mir hinterherzulaufen.

Ich glaube nicht, dass er die Konsequenz wahr macht, weswegen ich, sie ignorierend, meinen Weg fortsetze. Er hat seine Drohungen noch nie wahrgemacht. Einmal meinte er, wenn ich nicht meiner kleinen Schwester bei den Hausaufgaben helfe, zieht er mir mein Handy ab – ich habe meiner Schwester nicht geholfen, da ich keine Zeit hatte, er hat es mir nicht weggenommen. Seitdem nehme ich seine Drohungen nicht mehr ernst.

Mein Vater ist so einer, der sagt, was er alles machen will und wird, aber im Endeffekt passiert nichts. Ganz anders meine Mutter, wenn die mal etwas sagt, dann meint sie es auch so und es sind nicht nur leere Versprechungen.

 

Wütend achte ich gar nicht auf den Weg, setzte nur einen Schritt vor den anderen. Es ist als wäre ich in einer Blase. Ich höre nichts außer meinen Gedanken und nehme auch nichts wahr.

Ich wollte zuhause bleiben, in Münster, ich habe sogar schon einen Plan gehabt, wie ich dort leben kann, ohne meine Eltern, aber sie wollten ihn nicht verstehen!

Ich hätte bei meiner Tante bleiben können, sie hätte es mir sogar erlaubt! Ich habe sogar schon alles herausgefunden, wegen Schule und allem.

Doch sie haben gesagt, es ginge nicht, ich sei noch nicht volljährig und noch nicht reif genug. Aber selbst wenn ich volljährig und reif wäre, hätten sie es mir bestimmt nicht erlaubt. Sie meinten einfach nur: „Nein, du kommst mit. Ende der Diskussion.“

Ich hab noch stundenlang auf sie eingeredet, gebettelt, gefleht… doch sie haben nicht mit sich reden lassen und ich wäre am liebsten die Wände hochgegangen. Stattdessen habe ich mich bei einer Freundin ausgeheult.

Sie munterte mich ein bisschen auf, meinte, dass es schon nicht so schlimm werde, dass sie nicht aus der Welt sei und man sich ja mal treffen könnte – in den Ferien.

Schließlich kam der Tag der Abreise – heute - und mit ihr kam meine Wut und auch Enttäuschung zurück.

Ich werde nicht so kleinbeigeben, darauf können sie sich verlassen!

* * * * * * * * * * * * * * * * * * *

Hey!“, ertönt auf einmal eine helle Stimme, rechts von mir. Eindeutig eine Mädchenstimme.

Ich war so gefangen in meiner Wut, dass ich nichts um mich herum wahrgenommen habe. Noch immer nicht…

Erschrocken reiße ich die Augen auf und zucke merklich zusammen, mein Herz setzt für einen Schlag aus und ich bleibe erst mal stehen, um mich von dem Schock zu erholen. Als ich mich beruhigt habe wende ich mich nach rechts. Ich wusste gar nicht, dass ich nicht alleine bin. Andererseits habe ich auch nicht wirklich darauf geachtet.

Erst jetzt realisiere ich auch, dass ich mittlerweile in dem Dorf, namens Langenfeld, angekommen bin. Nun komme ich auch dazu, mich näher umzusehen und betrachte die Backsteinhäuser. und begutachte ein bisschen das Dorf, das nun zu meinem neuen Zuhause gehören soll.

Ich habe mich vorher schon ein bisschen schlaugemacht. Auch wenn ich mich noch nicht damit abgefunden habe, will ich dennoch wissen, was es hier gibt. Doch die Suche war enttäuschend. Außer einen Supermarkt, ein Gymnasium samt Grundschule und Realschule, eine Drogerie, eine Bäckerei, eine Kirche, ein kleines Schwimmbad und ein Gemeinschaftshaus gibt es hier nicht viel. Ansonsten nur Reihenhäuser. Das nächste Kino ist zwanzig Kilometer entfernt. Und es ist wenig los, was nach einem kleinen verschlafenen Dörfchen klingt – ein weiterer negativer Punkt auf meiner imaginären Liste, warum ich hier nicht wohnen will. Aber ich denke, meine Eltern kann ich damit nicht überzeugen. Die Häuser wirken ein bisschen schäbig, wenn man genauer hinschaut und sie sehen aus, als kämen sie aus dem vorherigen Jahrhundert, also ziemlich alt.

Ähm…hey?“ erwidere ich zögerlich, weil ich nicht weiß, was das Mädchen von mir will, die auf der anderen Straßenseite steht. Sie hat langes schwarzes Haar und ist etwas größer, wie ich das von hier aus beurteilen kann. Außerdem trägt sie eine blaue Röhrenjeans und eine rote Bluse, was ihre schmale Figur umschmeichelt. Ich schätze sie auf 14 Jahre.

Du hast was verloren.“ Mit diesen Worten wechselt sie in einem leichten Schritt auf meine Straßenseite. Ich erwarte, dass sie auf mich zukommt, doch sie läuft von mir weg. Genauer gesagt in die Richtung, aus der ich gerade gekommen bin.

Stirnrunzelnd sehe ihr hinterher. Ich bin durcheinander. Erst sagt sie mir, dass ich was verloren habe und läuft dann, ohne ein Wort, weg.

Schon komisch. Ich zucke mit meiner Schulter und will weiterlaufen, da höre ich wie das Mädchen hektisch ruft: „Warte!“.

Ich drehe mich um und sehe wie sie auf mich zu gerannt kommt. Kurz vor mir bleibt sie stehen, mit schwerem Atem. Ich erkenne, dass sie was in der Hand hält. Sie streckt nun die Hand vielsagend aus. Perplex nehme ich den Gegenstand entgegen.

Das hast du gerade verloren.“

Überrascht blicke ich sie und dann den Schlüssel an.

Das ist echt nett von dir, aber der Schlüssel gehört mir nicht.“, erkläre ich ihr zögernd und streiche eine störende blonde Haarsträhne hinter mein Ohr.

Aber… der ist gerade aus deiner Jackentasche gefallen. Ich hab´ es doch gesehen.“, meint sie verblüfft, mit zusammengezogen Augenbrauen, worauf sich ihre Nase kräuselt und spielt mit ihren Händen, die sie verknotet hat.

Also keine Ahnung, aber der Schlüssel gehört auf jeden Fall nicht mir. Verstehe ich auch nicht. Also nicht dass du denkst, dass ich dir nicht glaube, ich glaub dir schon.“ Gebe ich meine Verwirrung preis.

Unschlüssig tritt das Mädchen von einem Fuß auf den anderen und überlegt angestrengt.

Hmm, das verstehe ich auch nicht. Echt komisch. Aber Halluzinationen hab ich keine. Naja dann lass uns das vergessen. Ich bin Hilary.“, strahlt sie mich zum Ende an. Schulterzuckend stecke ich den Schlüssel in meine Hosentasche, ich kann ja später noch überlegen, was ich mit ihm mache.

Freut mich, ich bin Sophie“, lächle ich sie nun an.

Wohnst du hier? Weil ich hab dich hier noch nie gesehen.“, fragt sie neugierig.

Kannst du auch nicht, denn ich bin erst heute hergezogen, wohne aber außerhalb des Dorfes.“, gebe ich schmunzelnd zu.

Ich habe mich noch eine Weile mit Hanna unterhalten, habe erfahren, dass sie hier auf die Realschule geht, schon 16 ist, zusammen mit ihren Eltern, zwei jüngeren Schwestern und einer gestreiften Katze, die auf dem Namen Mimi hört, lebt und noch vieles mehr.

Nach dem Gespräch bin ich zurück gelaufen, nachdem wir Handynummern ausgetauscht und uns für nächste Woche verabredet haben. Auf dem Rückweg ist mir eingefallen, dass ich ja noch gar nicht weiß, wo ich schlafen soll, schließlich bin ich nicht ausgestiegen und habe somit das Haus noch gar nicht gesehen.

Vielleicht schaffe ich es ja um ein Gespräch herumzukommen.

 

Schmunzelnd erinnere ich mich an den Tag, der nun mittlerweile zwei Monate hinter mir liegt.

An dem Tag wurde Hanna zu einer guten Freundin und ich schaffte es auch ohne einen Streit mein Zimmer zu bekommen und mir das Haus anzusehen, auch wenn meine Eltern eingeschnappt waren. Ich wohne mittlerweile sehr gerne hier und will auch nicht mehr weg.

Am Schreibtisch sitzend, lasse ich meinen Blick aus dem Fenster schweifen. Ein Adler schweift am Himmel. Es ist kühl und ich ziehe meine Strickjacke enger um meine Schulter.

Mein Zimmer ist recht groß für Jugendliche in meinem Alter und ich bin sehr zufrieden damit, denn es liegt an der Westseite, sodass ich von meinem Fenster abends die Sonnenuntergänge beobachten kann. Zudem habe ich von hier aus einen wunderschönen Blick auf den Wald, der sich vor unserem Haus ein paar Kilometer weit erstreckt. Ich habe das beste Zimmer bekommen, meiner Meinung nach. Es ist sehr geräumig, mit orangenen Tapeten und einem Mahagoniholz Bett an der Fensterseite. Das Fenster liegt gegenüber der Tür, und hat gelbe Vorhänge. Eine kleine Leselampe ziert die Kommode, die neben dem Bett steht. Außerdem ist ein großer Schreibtisch um die Ecke, und zwei Kleiderschränke neben der Tür. Es wirkt sehr gemütlich und ich bin sehr gerne hier, denn hier fühle ich mich wohl.

Ich starre mittlerweile gedankenverloren an die weiße Decke und lasse meinen Blick durch mein Zimmer schweifen, nehme es jedoch gar nicht richtig wahr.

Mit einem Mal fällt mir der Schlüssel wieder ein - es ist wie ein Geistesblitz. Den hatte ich ja total vergessen in den zwei Monaten. Hastig stehe ich vom Bett auf und krame eine DIN A4 große Kiste unter meinem Bett hervor. Dort liegt der Schlüssel drin. Er ist klein und glitzert silbern. Zudem hat er der Kopf die Form eines Herzen. Bedächtig nehme ich ihn in die Hand.

Ich kann mir immer noch nicht erklären, wie der Schlüssel aus meiner Tasche fallen konnte, hatte ich doch keinen mit. Vielleicht hat sich Hanna auch nur geirrt und er lag schon vorher dort?

Ein bisschen kurios ist es schon und macht mir auch ein bisschen Angst. Denn wenn er wirklich aus meiner Tasche gefallen ist, dann muss er ja auch irgendwie darein gekommen sein. Und ich bin mir sehr, zu mehr als 100%, sicher, dass der Schlüssel vorher nicht in meiner Jackentasche war. Vor allem ist es auch kein normaler Schlüssel, an solch einen würde ich mich erinnern.

Naja, es nutzt aber auch nichts, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ich werde wahrscheinlich leider nie erfahren, woher der Schlüssel kommt.

Während ich mich nachher Bett fertig mache, denke ich darüber nach, was ich mit dem Schlüssel machen soll.

Doch bevor ich noch lange darüber nachdenken kann, schlafe ich auch schon ein.

 

 

 

2. Kapitel

 

 

 Als ich am nächsten Morgen aufwache - es ist Donnerstag - habe ich ein ungutes Gefühl. Es macht sich durch Bauchschmerzen und Nervosität bemerkbar. Am liebsten würde ich heute zu Hause bleiben, aber das geht ja nicht. Außerdem schreiben wir heute eine Mathearbeit.

Ich versuche das ungute Gefühl auf die Arbeit zu schieben, doch in meinem Unterbewusstsein ahne ich, dass es wegen etwas anderem ist.

Langsam schlurfe ich ins Bad, gehe dann frühstücken, wobei es sehr knapp ausfällt, weil ich wegen meinen Bauchschmerzen keinen Bissen runterbekomme und nachdem ich dann mit allem fertig bin, fahre ich mit dem Rad zur Schule.

Ich gehe auf das Langenfelder Gymnasium, genau wie meine elfjährige Schwester Lucy. (Nach der Schule will ich mein Abi machen und danach Kunst studieren.

Mein größtes Hobby ist nämlich zeichnen. Ich male und zeichne für mein Leben gerne und da wir jetzt auf dem Land wohnen, gibt es vieles was ich zeichnen kann.)

Seitdem ich vor zwei Monaten hergezogen bin, habe ich schon gute Freunde gefunden: Hilary (die ich an meinem ersten Tag kennengerlernt habe), Julia, Marie, Cat und Josie.

Josie schert sich nicht so viel um die Meinung anderer, wie ich schnell bemerkte. Sie hat kastanienbraune Haare, wobei ihre Spitzen blond gefärbt sind und besitzt grün – graue Augen.

Hilary ist in der gleichen Klasse wie ich, was ich gut fand, denn somit kannte ich schon jemanden.

In der Mittagspause stellte sie mich dann ihren Freunden vor, wir verstanden uns sehr gut und seitdem hängen wir immer zusammen ab.

 

Nach der Schule fahre ich mit dem Fahrrad nachhause.

Als ich mit dem Essen fertig bin erkundige ich die Umgebung. Ich weiß, dass es im Wald eine Ruine gibt und will mich dort mal umschauen.

Mit schnellen Schritten laufe ich den Waldweg entlang. Manchmal peitschen mir Waldzweige gegen die Wange, weil er überwuchert ist von Büschen und Pflanzen. Es gibt hier nämlich keinen Forster. Nachdem der letzte bei einem Autounfall gestorben ist, hat sich noch keiner freiwillig gemeldet. Somit wimmelt es hier nur so von Pflanzen und Tieren.

Es geht ein Gerücht um, dass es hier Bären geben soll, deshalb traut sich keiner in den Wald, im Gegensatz zu mir. Denn ich schenke den Gerüchten keinen Glauben.

Ich liebe den Wald, höre gerne das Gezwitscher der Vögel, das Brummen der Bienen, das Rauschen des Flusses - wenn es denn einen gab - und schaue gerne in die Wolken.

Als wir noch in unserer alten Wohnung in einer Vorstadt von Münster lebten, bevor wir hierhin umgezogen sind, fuhr ich oft in den Wald, wenn ich traurig war oder zum Nachdenken. Es gab dort eine Lichtung mit einer kleinen Quelle, die vor sich hin plätscherte. Ich legte mich dann immer unter einer alten Eiche und versuchte Bilder in den Wolken zu erkennen.

Manchmal machte ich auch einfach nur die Augen zu und lauschte den Geräuschen der Natur.

 

Als ich mich 10 Minuten durch die Sträucher gekämpft hatte, die mich zu erwürgen drohten, sehe ich die alte Ruine. Nur noch ein paar Gesteinsbrocken ragen majestätisch in die Höhe, die Früher mal eine Burg gewesen sein muss.

Pflanzen schlängeln sich das Gestein hinauf und Unkraut wuchert um sie herum.

Geschickt klettere ich über einen Stein, um in die Ruine zu gelangen. Ein paar Lichtstrahlen erobern die Wände und kleine Ungeziefer flüchten in den Schatten. Ich erblicke auch ein paar Ratten die aber schnell weghuschen, als sie Gefahr spüren. Spinnen kriechen die Wände hinauf und ihre Spinnennetze schillern glänzend im Sonnenlicht.

Leider finde ich nichts, als ich herumgehe, um die Ruine zu begutachten.

Ich denke an die Actionfilme, die ich manchmal Samstagabends in unserem Plasmafernsehen schaue, wenn mir langweilig ist und nichts anderes läuft. Dort spricht man in alten Zeiten immer von einer Geheimtür oder einem Geheimraum.

Trotzdem verwerfe ich den Gedanken schnell, da ich nichts Vergleichbares finde.

Enttäuscht laufe ich den Weg zurück. Ich hätte wissen müssen, dass es hoffnungslos ist, ein Schlüsselloch für den Schlüssel zu finden.

Ich muss es einfach aufgeben. Am besten ist es, wenn ich den Schlüssel einfach ins Fund Haus bringe, der Besitzer weiß schließlich besser, wo der Schlüssel hineinpasst…

 

 

 

3. Kapitel

 

 

Am Nachmittag fährt mich meine Mutter, wie ich mir vorgenommen habe, zum Rathaus.

Ich erzählte ihr am Morgen, dass ich Geld gefunden hatte - 50 Euro - und ich es dort hinbringen will. Das mit dem Schlüssel würde sie mir niemals glauben. Und wegen so etwas würde sie mich auch nicht zum Fund Haus bringen.

Als wir davor halten und ich aussteigen will, bittet sie mich noch: „ Ich muss nur kurz in den Supermarkt, könntest du hier warten, wenn du fertig bist? Es dauert nur ungefähr 10 Minuten“. „Klar kann ich machen. Bis gleich“, und mit diesen Worten gehe ich auf das große rechteckige Rathaus zu. Ich drücke die Tür auf und gehe auf die Sekretärin zu, die hinter einem Schreibtisch sitzt und gerade aufmerksam etwas durchliest.

Verwundert hebt die Angestellte den Kopf, als sie mich sieht.

Anscheinend hat sie nicht mit einem 15-Jährigen Mädchen oder mit Kundschaft gerechnet, obwohl doch eigentlich rechter Betrieb herrschen müsste. Vielleicht ist sie aber auch einfach nur müde.

„Wie kann ich ihnen behilflich sein?“ fragt sie mich unfreundlich, desinteressiert und mit einer ignoranten und gelangweilten Stimmlage. Sie hat Augenringe und Spliss in ihren Straßenköterblonden Haaren.

„Ich möchte gerne wissen wo der Fund Raum ist.“

„Er befindet sich die Treppe rauf, zweite Tür rechts“ und mit diesen Worten wendet sie sich wieder ihrer nichtvorhandenen Arbeit zu.

Genervt wegen dieser Frau stampfe ich die Treppe hinauf, die zu einem langen Gang mit vielen Türen führt.

Zielstrebig gehe ich zu der Tür, die die Sekretärin mir geschildert hat. Leise klopfe ich an und öffne die Tür, wo mich sogleich Wertgegenstände begrüßen.

„Guten Tag. Ich wollte etwa…“. Ich stocke in meiner Rede, als ich plötzlich etwas sehe. Es sieht wie ein Buch aus, mit der Überschrift:

Your Dream world ~ Dream your dreams … but not to end“

Das Tagebuch glänzt, genau wie der Schlüssel. Es fasziniert mich, und ich habe den Drang es mitzunehmen, obwohl ich es bestimmt nicht lesen kann, denn ein Schloss hängt dort dran. Unweigerlich fließen die Wörter aus meinem Mund, - wie ferngesteuert - ohne das ich vorher darüber nachdenken kann.

„Dieses Tagebuch - ich vermisse es seit über zwei Wochen. Bin ich froh, dass ich es endlich gefunden habe. Ich wollte sie gerade fragen, ob so ein Tagebuch hier abgegeben worden ist. Können sie mir das Tagebuch geben, bitte?“

Ich muss wohl ziemlich überzeugend gewesen sein, - oder es interessiert ihn einfach nicht - denn der junge Mann, der für die Fundsachen verantwortlich ist, gibt es mir, ohne vorher nachzuhaken, ob es wirklich mir gehört.

Lächelnd schwebe ich, ein paar Gramm schwerer - wegen dem Tagebuch - die Treppe hinunter. Auf einmal fühle ich mich so glücklich. Ich weiß auch nicht warum, aber ich fühle mich so frei, als wäre ich so eben leichter geworden. So leicht wie eine Feder.

Das ist echt komisch, wo ich doch eigentlich eher eine ernste Person bin, die immer unzufrieden mit sich selbst ist. Ich bin ziemlich pessimistisch, meine Freunde versuchen mich zwar immer zu überzeugen, das ich Ok bin, aber trotzdem fühle ich mich manchmal wie das fünfte Rad am Wagen, also nicht dazugehörig.

Meine Mutter wartet vor der Tür. Ich kann es nicht verhindern wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen. Sie schaut mich verdutzt an.

Überrascht hakt sie nach: „Was ist denn mit dir los? Warum bist du auf einmal so fröhlich?“ ,,Nichts, darf ich denn ich nicht lächeln?“ meine ich mit gedämpfter Stimme.

„Doch, doch, darfst du, nur es wundert mich etwas“, erwidert sie schnell, um mich nicht zu verstimmen.

Schweigend fahren wir nachhause und ich hänge meinen Gedanken nach.

Später, als es schon Abend ist, gehe ich auf mein Zimmer.

Meiner Mutter erzählte - und werde es auch nicht erzählen - ich nichts von dem Tagebuch, ich will nicht schon wieder lügen und wenn ich die Wahrheit sage, muss ich das Buch, sowie den Schlüssel bestimmt wieder zurück bringen, und das will ich nicht.

Ich schließe vorsichtshalber die Tür ab, damit niemand unbemerkt in mein Zimmer kommt und setze mich mit dem Tagebuch an meinem Schreibtisch.

Es ist Din A5 groß, rot, die Schrift ist verschnörkelt und das Schloss besitzt die Form einer Wolke.

Ich hole auch den Schlüssel raus, dessen Kopf die Form eines Herzen hat.

Hoffnungsvoll probiere ich aus, ob der Schlüssel in das Schlüsselloch passt…

 

 

 

4. Kapitel

 

 

Ich drehe den Schlüssel um, und… er passt!

Erleichtert und Glücklich atme ich tief aus. Langsam schlage ich es auf. Auf der ersten Seite steht:

 

Dieses Buch widme ich meiner Urenkelin Sophie Deram.

Auf dass du die Welt rettest.

Deine Großmutter Sonia Deram“

 

Erschrocken hebe ich die Hand vor den Mund.

Ich heiße Sophie Deram. Wieso steht dort mein Name? Wie kann das Tagebuch meiner Urgroßmutter gehören? Vor allem, ich habe es doch im Fund Raum gesehen, wieso…? Aber vielleicht ist es nur ein ganz großer Zufall und sie meint eine andere Sophie?

Verwirrt und auf alles gefasst, schlage ich die nächste Seite auf.

Dort ist ein Sprichwort abgebildet:

 

Wenn es am schönsten ist,

soll man aufhören…

Aber wenn es am schrecklichsten ist, muss man einfach weitermachen.“

 

Darüber denke ich eine Weile nach. Das Sprichwort entspricht schon der Wahrheit, aber ich will nichts mehr darüber wissen.

Mit den Nerven am Ende, verstecke ich das Buch unter meinem Bett und lasse mich geschafft auf mein Bett fallen.

Sofort gleite ich in einen Traum über, der mein ganzes Leben verändern sollte…

 

*** *** *** *** *** *** *** *** *** ***

Mädchen, wach auf “, flüstert jemand sanft und rüttelt leicht an meiner Schulter.

Noch im Halbschlaf öffne ich die Augen. Nur langsam registriere ich, dass ich nicht in meinem Haus bin und die Stimme kenne ich auch nicht!

Ruckartig fahre ich auf, was ich aber so gleich bereue, da mir ein paar Sekunden schwarz vor Augen wird.

Angstvoll schaue ich die elfenhafte Gestalt vor mir an. Sie ist zierlich und klein. Gar nicht denkbar, dass sie wahrscheinlich eine Entführerin ist.

Beruhigend spricht sie auf mich ein, als ich versuche vor ihr zu flüchten.

Wer weiß, was die Entführer mit mir machen wollen. Da will ich nicht dabei sein, vor allem will ich gar nicht HIER sein!

Warte, bleib bitte hier. Lauf nicht weg. Ich mache dir einen Vorschlag: Ich erkläre dir wo du bist und wer ich bin, aber du musst mir zuhören und darfst nicht dazwischen reden, weglaufen schon gar nicht. Und am Ende kannst du immer noch entscheiden, ob du lieber hierbleiben möchtest, oder du weg willst, okay?“

Ich denke darüber nach.

Es schadet ja nicht, wenn ich hierbleibe, außer sie stellt mir damit eine Falle… aber das kann ich mir nicht vorstellen.

Okay, aber sei dir mal nicht so sicher, dass ich bleiben werde!“, meine ich im selbstgefälligen Ton, weil sie mich so komisch angrinst.

Also… ich bin Rosalie, und… wie soll ich dir das erklären? Hmm… also sagen wir mal so, du träumst“, verwirrt starre ich sie an. Das ist die Realität, da kann ich nicht träumen! Ich will gerade etwas erwidern, als sie sagt: „ Nicht dazwischen reden! … Das hier, also die ganze Gegend hier ist eine Traumwelt. Das heißt, dass alles nicht existiert… in der Menschenwelt. Hier aber schon, wir sind echt! Wir sind so etwas wie „Aliens“ für die Menschen. Das ist alles sehr kompliziert zu erklären. Also wir sind echt, nur für die Menschen nicht und leben in einer anderen Welt. Diese Welt grenzt an die Erde, ist aber um ein vielfaches kleiner. Fast so groß wie das größte Land eures Planeten. Die Menschen haben uns aber noch nicht entdeckt, weil so was wie eine Schutzschicht über unseren Planeten („Planeta da Luz“, - was auf Deutsch so viel bedeutet, wie) Planet des Lichts - ist, sodass sie unseren Planeten nicht sehen können.“ Zufrieden, dass sie mir das erklären konnte, lächelt sie mich an.

Das heißt also, ich schlafe, bin aber zugleich in einer anderen Welt?!“, frage ich verwirrt.

Genau, aber das geht nur dadurch, dass unsere Planten ästhetisch miteinander verbunden sind. Träumende gelangen jedoch selten in diesen Strudel, und wenn, dann nur, weil der Geist des Träumenden über der Atmosphäre schwebt. Zu deinem Glück habe ich dich rechtzeitig draußen gefunden, denn sonst wärst du Frischfleisch für die Traumfänger geworden. Ach ja ich bin übrigens eine Holunder Elfe, das heißt ich ernähre mich nur von Holunder Beeren und habe andere Fähigkeiten als normale Elfen.“

Jetzt verstehe ich nur noch Bahnhof. Das ist alles echt zu viel an einem Tag, obwohl ich träume ja…ist das zu viel in einer Nacht?

Also erst die Traumwelt, jetzt noch Traumfänger und Elfen. Was ist eigentlich ein Traumfänger? Genau diese Frage stelle ich der jungen Frau.

Traumfänger sind Wesen, die in deine Träume; wie dieser hier zum Beispiel; eindringen und den schönen Traum zu einem Alptraum machen können. Das Problem ist, dass du denkst, dass der Albtraum kein Traum, sondern die Realität ist. Du bist in diesem Albtraum aber auch wenn du nicht schläfst. Und das ist für die Menschen deshalb noch schlimmer als für die Wesen hier.

Außerdem ernähren sie sich von Angst und Panik, Verzweiflung, Enttäuschung - halt von den schlechten Gefühlen. Das saugt dich innerlich so aus, dass du wahrhaftig krepierst und in ein schwarzes Loch fällst, und davon stirbst du. Der einzige Ausweg aus dem Albtraum ist, wenn du versuchst, keine schlechten Gefühle zu empfinden. Wie das geht, weiß ich allerdings auch nicht, am besten schaust du in der Bibliothek nach, die Bücher werden dir bestimmt weiterhelfen.

Man erkennt sie übrigens an ihren schwarzen Augen. Keiner hier hat solch eine Augenfarbe. Man sagt ja immer, die Augen sind der Spiegel deiner Seele. Ihren Augen nach zu urteilen, besitzen sie keine Seele.“

Rosalie sieht, ganz in ihren Gedanken vertieft, in die Ferne.

Ich rate dir, dich von ihnen fernzuhalten und glaube niemals, der oder diejenige sei gut, wenn sie nett zu dir war. Denn dadurch versuchen sie dein Vertrauen zu gewinnen, um so besser in deine Träume einzudringen. Ich habe zwar noch keinen von ihnen gesehen, aber schon von ihnen gehört. Eigentlich gibt es hier keine Traumfänger, denn sie haben sich immer an schattigen und düsteren Orten aufgehalten, doch anscheinend gefällt ihnen dieser Ort und sie wollen die Macht unter ihren Nagel reißen, was uns alle vernichtet, und auch die Menschenwelt!“, meint sie mit wissendem Blick.

Du fragst dich sicherlich was das soll und warum ich es dir erzähle – ich finde du solltest das wissen, denn es wird nicht bei diesem einen Mal bleiben. Glaub mir, früher oder später landest du wieder hier. Derjenige, der hier ankommt, warum auch immer, ist bis jetzt immer wieder gekommen.“

Plötzlich wird mir schummerig vor Augen, und mir fallen immer wieder die Augen zu. Rosalie merkt es und meint, das sei normal, weil ich wieder aufwache, außerdem sagt sie noch:

Ich warte in der Feenstraße auf dich. Dort findest du ein violettes Haus; es ist das einzige Haus in dieser Farbe in unserer Welt, also kannst du dich gar nicht vertun.“

Zum Ende hin wird ihre Stimme immer leiser und alles verschwimmt vor meinen Augen.

*** *** *** *** *** *** *** *** *** ***

 

Mit vor Schreck geweiteten Augen fahre ich aus meinem Schlaf.

War das jetzt echt oder nur ein Traum? Es hat sich alles so echt angefühlt.

„Bist du verrückt! Das war nur ein Traum, nichts weltbewegendes, also vergiss ihn am besten ganz schnell wieder“, schalt ich mich selber.

Ich bin verwirrt. Andererseits war der Traum ziemlich realistisch…aber es gibt keine Traumwelt! Das ist unmöglich…nein, so was gibt es nicht!

Immer noch durcheinander stehe ich auf und wasche mir meine Müdigkeit in der Dusche aus den Augen. Ich suche mir meine Lieblingsjeans, die gebleicht ist und ein rotes Tank top aus, da es heute warm werden soll.

Ich versuche den Traum zu vergessen und mache mich fertig für die Schule.

„Sophie, es gibt Frühstück“.

Schnell renne ich die Treppe herunter und in die Küche, um ein Brot mit Marmelade zu beschmieren. Die Küche ist sehr freundlich und hell eingerichtet. Gegenüber der Theke mit Backofen, Mikrowelle, Herd usw. steht ein großer Eichenholztisch, mit farblich dazu passenden Stühlen. Die Tapete ist grün gestrichen mit Trapezmustern und den Boden ziert ein PVC.

„Und, hast du gut geschlafen mein Schatz?“

Meine Mutter schaut mich fragend aus ihren Rehbraunen Augen an, doch ich schaue ihr nur kurz in die Augen.

„Ja, habe ich“ meine ich nur, da ich nicht vorhabe ihr von meinem Traum zu erzählen, zumal er mich selbst verwirrt.

Schweigend widme ich mich meinem Marmeladenbrot und fahre schließlich mit dem Rad zur Schule.

 

 

 

5. Kapitel

 

 

Meine Freunde erwarteten mich schon am Eingang der Schule.

„Hey Sophie. Weißt du schon das neueste? Wir kriegen drei neue Schüler, ich habe sie vorhin gesehen, als ich beim Lehrerzimmer war und sie sehen total Hammer aus.

Der eine heißt Alan, hat schwarze Raspelkurze Haare und ein Sixpack, er ist um die 1.80 m groß und sieht richtig heiß aus. Dann gibt es noch Zack, er hat blonde lockige Haare, ein markantes Kinn, ist ungefähr genauso groß wie Alan und spricht richtig tief. Aber der heißeste von allen ist Christone, der Chris genannt werden möchte, - kein Wunder, bei dem Namen, wenn ihr mich fragt. - Er ist ein Kopf größer als Zack und hat richtig Muskeln, mit schwarzen kurzen Haaren und tiefbraunen Augen, er sieht mega Hammer aus. Ich muss sie euch in der Pause unbedingt zeigen!“, spricht Josie auch schon gleich begeistert, anschmachtend und ohne Punkt und Komma drauf los.

Josie schert sich nicht so viel um die Meinung anderer, wie ich schnell bemerkte. Sie hat kastanienbraune Haare, wobei ihre Spitzen blond gefärbt sind und besitzt grün – graue Augen.

Ich frage mich, woher sie immer sofort das Neuste wissen kann.

„Sophie… Sophie, hörst du mir überhaupt zu?“ fragt mich Josie verwundert, aber gleichzeitig auch wütend. Sie wird immer sofort sauer, wenn man mal einmal nicht richtig zugehört hat.

„W…was…was ist los? Tut mir leid, ich war gerade in Gedanken“, stottere ich und schaue meine Freunde entschuldigend an.

„Nicht schlimm. Wir haben gerade über die neuen Schüler gesprochen. Was voll gruselig ist, ist, dass sie schwarze Augen haben, tragen bestimmt Kontaktlinsen in Schwarz“, meint Marie, die die Typen eher nicht so toll findet. Sie hat braune, schulterlange Haare mit einem leichten blondstich und smaragdgrüne Augen. Das auffällige an ihr sind ihre großen Füße im Vergleich zu ihrer eher kleinen Körpergröße.

Mit einem Mal erinnere ich mich wieder an den Traum von letzte Nacht. Die Elfe hat mich ja vor den schwarzen Augen gewarnt.

Man erkennt sie übrigens an ihren schwarzen Augen. Keiner hier hat solch eine Augenfarbe. Man sagt ja immer, die Augen sind der Spiegel deiner Seele. Ihren Augen nach zu urteilen, besitzen sie keine Seele […]

Ich rate dir, dich von ihnen fernzuhalten und glaube niemals, der oder diejenige sei gut, wenn sie nett zu dir war. Denn dadurch versuchen sie dein Vertrauen zu gewinnen, um so besser in deine Träume einzudringen.“

Warum aber sollten Traumfänger an meine Schule kommen?

Ach, bestimmt sind es eh keine Traumfänger, immerhin war es nur ein Traum, weiter nichts, weise ich mich zurecht.

Genau, bestimmt sind es nur Kontaktlinsen.

Auf einmal drehe ich mich, wie von der Tarantel gestochen, zum Schulgebäude um, und sofort stechen schwarze Augen in meinem Bewusstsein ein.

Mir wird schwindelig und würde mich Julia nicht festhalten, würde ich höchstwahrscheinlich einknicken, da meine Knie nachgeben.

Sofort sind alle besorgt.

„Was ist los Sophie? Sollen wir dich zum Krankenzimmer bringen?“, fragt Marie besorgt, die bis jetzt noch so gut wie kein Wort herausgebracht hat.

Sie ist die Stillste von uns, so eine Art Kummerkasten für uns, denn sie kann gut zuhören und ist geduldig, nicht so wie die anderen, die eher verrückt und immer zu Spaß aufgelegt sind. Trotzdem gehören Marie und ich, die auch eine Stille ist, dazu, wie der Deckel zum Topf. Ohne den Deckel wäre der Topf nicht vollständig.

„Es ist nichts, alles Ok. Mir war nur kurz schwindelig mehr nicht, lass uns zum Unterricht. Es hat eben geklingelt“, meine ich nur und vermeide es zu den Jungen mit den schwarzen Augen zu sehen, die, wie ich spüre, da noch stehen.

Schweigend, alle in Gedanken versunken, machen wir uns auf den Weg zum Klassenzimmer.

Sie versuchen mich zwar zu überreden, dass es besser wäre, wenn ich mich untersuchen lasse, doch ich blocke jedes Mal ab.

Unser Geschichtslehrer Herr Weigert, den wir in der ersten Stunde haben, erzählt uns von den neuen Schülern, doch ich höre nicht zu; immer noch in Gedanken bei dem Traum von letzter Nacht.

Ich lege meinen Kopf auf meine Tasche, die ich auf meinem Tisch positioniert habe. Herr Weigert stört es nicht, wenn jemand nicht aufpasst, er will nur nicht, dass man ihn in seinem Unterricht stört. Sein Ziel ist es, Geschichte den Schülern beizubringen, die es wollen und beschäftigt sich nur mit denen die es interessiert, den Rest lässt er einfach links liegen. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass fast niemand zuhört – bei seiner monotonen Stimme schon gar nicht – und jeder mit seinem Handy zugange ist. Die Sitzordnung ist genauso. Man darf sich aussuchen, wo und neben wen man sitzen will. Ich finde das sehr gut, denn so kann ich neben Hilary sitzen, mit der ich mich am besten von den Fünfen verstehe. Hilary besitzt kurze, blonde, glatte Haare und funkelnde braune Augen. Sie ist eine sehr aufgeweckte Persönlichkeit und hat mich schon oft mit ihrer eigenartigen Art zum Lachen gebracht.

Es gibt hinter dem Pult, sowie der Tafel, vier Tischreihen mit jeweils vier Doppeltischen. Die unausgesprochene Regelung unserer Klasse besagt, dass in den ersten zwei Reihen die Streber und in den letzten die sitzen, die sich nicht für die Schule interessieren und lieber Randale machen. Unsere Clique sitzt in der dritten Reihe, weil die Mehrheit von uns zu denen gehört, die sich nicht für den Unterricht interessieren. Ich gehöre nicht dazu. Zwar habe ich keinen Bock auf den Unterricht, aber ich will auch keine schlechte Note. Und die bekommt man, wenn man nicht aufpasst. Trotzdem tue ich meine Meinung nicht kund, ich will ja auch nicht alleine sitzen, dann würde ich mich ausgeschlossen fühlen und wahrscheinlich verspottet werden, weil ich ja bei den „Strebern“ sitze.

Marie sitzt links ganz außen neben Cat. Cat, so wie sie von vielen genannt wird, da sie ihren eigentlichen Namen (Katerina) nicht mag, hat rote lange Haare, weswegen sie sehr auffällt und braune, fast goldglänzende Augen. Sie ist eher ruhig, aber dennoch bei jedem Spaß anzutreffen. Bei ihr trifft das Sprichwort: „Stille Wasser sind tief“ genau zu. Danach kommen Hilary und ich, und zum Schluss Josie und Stella. Daneben Julia an einem Einzeltisch. Julia stört es nicht alleine zu sitzen. Sie ist sehr selbstbewusst, was man auch an ihren grünen Strähnen in ihrem blonden, langen, lockigen Haar erkennen kann und an dem Piercing an ihrer Oberlippe. Sie kontert immer mit einem passenden Spruch, wenn man sie blöd anmacht.

Stella ist auch ein sehr aufgewecktes Mädchen und für jeden Spaß zu haben. Sie hat wasserstoffblonde Haare und graue Augen. Zudem besitzt sie sehr viele Piercings und auch Tattoos. Sie schert sich nicht sonderlich um die Schule, weswegen sie schon das ein oder andere Mal nachsitzen musste. Ich mag sie aber im Gegensatz zu Josie nicht so, weil sie sehr oberflächlich ist und andere runtermacht. Dennoch komme ich mit ihr, so gut es geht, klar.

Zwar versuche ich den Traum von letzte Nacht zu vergessen, doch meine Gedanken schweifen immer wieder dahin ab.

In der Mittagspause, - nein, eher den ganzen Tag - immer wenn wir die Gänge entlang laufen, um zum nächsten Raum zu gelangen oder in den Pausen, fühle ich mich stark beobachtet.

Instinktiv weiß ich, dass es die Schüler von heute Morgen sind. Die, die von allen heiß begehrt sind, denn es kommt nicht oft vor, dass wir neue Schüler bekommen, dazu noch so gut aussehende - schließlich sind wir eine kleine Stadt - und alle scharen sich um sie, um einmal mit ihnen sprechen zu können. Sie wirken auf mich sehr selbstbewusst, aber auch arrogant, denn sie ignorieren die nicht Gutaussehen und Unbeliebten. Jedoch merkt das leider niemand außer mir, weil sie alle nur auf das Äußere konzentriert sind.

Ihr Blick bohrt sich geradezu unangenehm in meinen Rücken und das macht mir Angst, sosehr, dass ich mich nach zwei Schulstunden nicht mehr auf den Unterricht konzentrieren kann.

Ich glaube, langsam aber sicher werde ich paranoid.

Immer mal wieder erkundigen sich Schüler, ob es mir gut gehe, da ich so einen glasigen und ängstlichen Blick habe und blass bin, so meinen sie.

Nach der 4. Stunde schickt mich der Lehrer, unser Biologielehrer, den viele nicht mögen, nach Hause.

Er bietet mir noch an mich nach Hause zu bringen, doch darauf kann ich getrost verzichten.

Zuhause fühle ich zum Glück keine bohrenden Blicke mehr in meinem Rücken und Bewusstsein, worauf ich erleichtert, aber dennoch ein bisschen panisch, eingekuschelt in meiner Decke, in einen Traum falle.

 

 

 

6. Kapitel

 

 

*** *** *** *** *** *** *** *** *** ***

Träge öffne ich meine Augen und erblicke eine wunderschöne grüne Wiese. Die Grashalme bewegen sich sanft im Wind und goldgelbes Mondlicht schillert auf die Wiese. Es sieht atemberaubend schön aus.

Ich drehe den Kopf zur Seite und sehe kleine einfache Blockhäuser. Die Dächer sind aus Stroh und Lehm, soweit ich es erkennen kann und das Haus aus Ziegelsteinen. Bäume zieren den Waldweg, den man auch als Straße betrachten kann, weil dort Gestalten entlanglaufen.

Dass dort Gestalten entlanglaufen?!

, unterbreche ich meine Gedanken abrupt. Es fällt mir erst jetzt mit Schrecken auf, worauf ich ängstlich meinen Kopf einziehe.

Ich habe zwar schon eine Elfe gesehen, nämlich Rosalie, aber da dachte ich auch noch, dass es nur ein Traum ist; nicht echt. Zudem war ich ja nur in der Wohnung und noch nicht draußen.

Jetzt so viele Wesen zu sehen, stellt mein gesamtes Weltbild auf dem Kopf. Ich meine, wenn es hier solche Wesen gibt, was für Wesen gibt es dann auf der Erde?! Ein Gänseschauer schleicht sich meinen Rücken hinunter und mich fröstelt es.

Bloß nicht hinschauen, damit sie dich auch ja nicht bemerken!

Trotz meines Gedankens schiele ich unauffällig zu den drei kleinen Elfen, die, genau wie zwei andere Wesen - eine Mutter und ein Kind - den Weg entlanglaufen. Zum Glück sind sie zu beschäftigt mit sich selber, um mich zu sehen.

Man würde, wenn man es nicht wüsste, denken, es wären Menschen. Sie besitzen auch Arme, Kopf, Beine usw. Das einzige was sie von den Menschen unterscheidet, stelle ich fest, sind die Augen, die Ohren und die Flügel bei den Feen.

Das soll es also alles geben…

Hätte mir vor ein paar Tagen noch jemand erzählt, dass ich heute in einer Traumwelt mit Märchenwesen bin, dann hätte ich ihn wahrscheinlich für verrückt gehalten und die Männer mit den weißen Jacken gerufen. So jemand sollte nicht frei rumlaufen!

Wie man sich täuschen kann. Jetzt gehöre ich in die Klapse…

Sogleich erinnere ich mich wo ich bin und was passiert ist, bevor ich einschlief. Das mit der Traumwelt und den Jungen mit den unnatürlich schwarzen Augen. Nur wenn ich an sie denke, wird mir schon schwindelig und schwarz vor Augen.

Was hat die Elfe nochmal gesagt? Ich kann mich nur noch wage daran erinnern.

Ein violettes Haus in der Feenstraße?

Nur, wie soll ich da jetzt hinkommen? Verzweifelt denke ich nach. Ich will auf keinen Fall hier weg! Hier bemerkt mich niemand und hier fühle ich mich einigermaßen sicher.

Aber… Rosalie wartet auf mich…, denke ich schuldbewusst.

Ich kann Leute…oder Elfen… doch nicht einfach versetzen. Nein! Dann würde ich ein mega schlechtes Gewissen kriegen. Tja, ich kann halt niemanden versetzen!

Also muss ich dahin. Aber wie? Weder traue ich mich zu fragen, noch will ich überhaupt mit so einem „Wesen“ sprechen.

Doch da komme ich wohl nicht Drumherum.

Das ist doch nicht so schlimm, in deinem vorherigen Traum hast du doch auch mit Rosalie gesprochen und da ist nichts passiert, rede ich mir Mut zu.

Aber da dachte ich auch noch, dass es nicht real ist und da waren es auch nicht so viele, erwidere ich verbissen meine innere Stimme.

Langsam richte ich mich auf und begutachte meine Umgebung. Erkennen kann ich die Gestalten, die immer noch auf der „Straße“ laufen und ein kleines Dorf – was ich als ein solches ansehe.

Tja, dann muss ich wohl doch die Elfen fragen, denke ich ängstlich. Aber das schaffe ich schon! Ich bin ja kein kleines Kind mehr, sondern ein starkes 15 – Jähriges Mädchen. Genau! Voller Tatendrang stehe ich auf und tapse entschlossen in meiner Kleidung - ich habe mich gestern vor dem Schlafen nicht umgezogen - auf die drei Elfen zu.

Als ich auf der Straße stehe, verlässt mich mein Mut aber so schnell wieder, wie er gekommen ist. Es ist leichter gedacht als getan! Etwas zaghafter laufe ich auf diese - ich stelle fest, dass es Elfen sind, mit ihrer zierlichen kleinen Gestalt und den spitzen Ohren, außerdem besitzen alle Libellenartige Flügel- Elfen zu.

Sie reden gerade, aber hören abrupt auf, als ich mit ängstlichem Gesichtsausdruck auf sie zulaufe.

Kurz vor ihnen bleibe ich stehen. Erst traue ich mich nicht sie anzusprechen. Komme mir dann aber dämlich vor, zudem fordern mich die Blicke von ihnen mich regelrecht auf, mit ihnen zu sprechen. Ich habe auf einmal das Gefühl, dass sie nicht zufällig hier sind und dass ich ihnen vertrauen kann, warum auch immer. Deshalb stottere ich leise: „Hallo… ich bin Sophie und …i-ich wo-wollte fragen, wo die… Feenstraße ist.“

Die kleinste von ihnen antwortet mir. Sie hat glänzend Schulterlange schwarze Haare, ist blass, mit smaragdgrünen Augen und trägt ein türkisenes Sommerkleid. Ich schaue von oben auf sie herab, sicher ist sie gerade mal 1.50 m groß. Ein Zeichen in Form einer Eisblume ziert ihren rechten Arm, es ist ungefähr so groß wie eine Hand.

Hallo. Wir haben schon von dir gehört.“ Sie spricht sanft weiter, ich bemerke, dass sie eine glockenhelle Stimme hat und einen leichten Akzent.

Wir können dich hinführen, wenn du möchtest. Rosalie hat uns schon erzählt, dass du hier bist, wir waren sowieso auf dem Weg zu der Bibliothek. Achso, ich heiße übrigens Avaelle und das sind Lucy und Melinda. “

Mit einer Geste deutet sie auf die Elfen, die neben ihr stehen.

Lucy hat hüftlanges goldenes Haar und ist ungefähr einen Kopf größer als Avaelle. Rehbraune Augen zieren ihr Gesicht und sie besitzt ein kleines Muttermal auf der linken Stirn.

Eine zerrissene Jeans umschmeichelt ihren Körper, genauso wie das dazu passende olivfarbene Shirt und graue Chucks, während Melinda blonde kurze Haare hat und ozeanblaue Augen. Sie trägt ein bodenlanges weißes Kleid, mit einer aufgestickten Rose an der Hüfte, sie hat leicht engstehende Augen, was sie sehr von den anderen unterscheidet.

Sie alle sehen wunderschön aus, wie aus einem Märchen entsprungen, wohingegen ich mit meinen blonden langen Haaren und meinen braun-grünen Augen eher unscheinbar wirke.

Das wäre sehr nett von euch“, bedanke ich mich bei ihnen und frage auch nicht weiter nach.

Schweigend laufen wir den Weg entlang und ich erkenne immer mehr Wesen. Zu meinem Erstaunen gibt es hier sogar Feen. Sie faszinieren mich am meisten, wie sie umher fliegen mit ihren kleinen Körpern und den Insektartigen Flügeln. Staunend, aber auch still, schaue ich mir das Szenario an, bis wir schließlich an einem violetten Blockhaus ankommen.

Ich schaue noch ein letztes Mal auf die Fabelwesen, der immer grünen Wiese, mit den verschiedenartigen Pflanzen, wovon ich viele nicht kenne , zurück und gehe dann durch die kleine braune Tür, die das einzig normale an der Hütte ist, denn das Haus besitzt nicht rechteckige, sondern dreieckige Fenster.

Drinnen ist alles voll Staub. Bücher sind in den langen großen Regalen. Weiter hinten befindet sich ein abgetrennter Raum mit Sitzkissen, Stühlen und Tischen. Das ist anscheinend ein Raum, wo man ungestört in Büchern stöbern; etwas nachforschen oder auch einfach nur Lesen kann. Sprechen ist in diesem Raum strengstens untersagt, wie mir die Elfen erzählten.

Einen Raum weiter ist ein Büro, wo man nachfragen kann, wenn man zum Beispiel ein bestimmtes Buch sucht oder sich etwas ausleihen will.

Es ist eigentlich relativ leer. Avaelle sagte mir, dass sie im Büro sind, da sie manchmal eine Schicht übernehmen und den Kollegen besuchen wollen, aber dass ich ruhig hier warten soll, da Rosalie bald käme.

Ich erfahre, dass in dieser Welt, genau wie in meiner Welt, Mondphasen herrschen. Deshalb sind auch nur so wenig hier. Ich schaue in den Regalen, auf der Suche nach einem Buch über Traumfänger.

Doch ich finde keines. Jemand tippt mir auf die Schulter. Vertieft in meine Suche erschrecke ich mich und springe mit einem Satz zur Seite.

Langsam drehe ich mich um.

Und da steht sie schon: Rosalie.

Hey, tut mir leid, dass ich erst jetzt komme und dich so erschreckt habe, wie ich sehe suchst du schon nach Büchern. Ich habe mich gestern mal umgehört, weißt du, ich war eine Zeit lang in der Menschenwelt, ich musste beruflich dorthin und konnte dir deshalb nur so wenig über Traumfänger schildern, dafür habe ich mich jetzt nützlich gemacht, und siehe da, ich habe ein Buch gefunden, wo alles genauestens erklärt wird.“

Stolz und grinsend übergibt sie mir ein dickes Buch. Dankend nehme ich es an.

Weißt du, das ist deshalb so wichtig für dich, dass du etwas über sie erfährst, weil sie dich in den Tod führen können und es gibt so eine Legende, die sehr auf zutrifft, aber ganz so genau weiß ich es nicht. Außerdem will ich das auch deinetwegen nicht. Wie ich dir schon erzählt habe, können sie dich qualvoll töten, indem sie deine negativen Gefühle einsaugen, und du, da du keine positiven Gefühle mehr verspürst, innerlich krepierst…

Ah, warte da kommt Alex. Er kann dir sicherlich mehr darüber erzählen.“

Ehe ich noch etwas erwidern kann, verschwindet sie auch schon im Büro und an ihrer Stelle kommt Alex zu mir.

Hey, ich bin Alex.“

Grinsend mustert er mich. Ich beäuge ihn mit interessierten Blicken.

Er hat haselnussbraune Haare und besitzt blaue Augen mit einem goldenen Stich. Ein markantes Kinn umrahmt sein ovales Gesicht. Und er trägt schwarze Jeans zu einem weißen T-Shirt. Außerdem ist er mindestens 1,90 m groß, schlank und muskulös.

Ich bin Sophie. Wenn ich fragen darf, was bist du? Weißt du ich bin ein Mensch und deshalb erkenne ich das nicht…“

Fragend aber auch zögerlich schaue ich ihn an.

Ich bin ein weißer Drache“, gibt er schmunzelnd zu. Anscheinend amüsiert ihn meine Frage. Es gibt hier bestimmt nicht alle Tage ein Menschenmädchen, was komische Fragen stellt.

Was gibt es denn hier alles für Wesen?“, frage ich neugierig nach.

Es gibt Kobolde, Feen, Elfen, ganz normale Tiere, Drachen- die weißen und die schwarzen - und noch einige weitere, die aber zu viele sind, um sie aufzuzählen. Und seit neuestem die Traumfänger, “ er verzieht missmutig den Mund.

Echt? Kann ich mir gar nicht vorstellen…“ Alex hört mir aber schon gar nicht mehr richtig zu, sondern hat sich dem gegenüberliegen Bücherregal zugewandt.

Deshalb blättere ich interessiert in dem Buch, mit dem Titel „Planet des Lichts“, was ich von Rosalie bekommen habe und immer noch in der Hand halte, jedoch lese ich mir es nicht durch.

Apropos Rosalie, wo steckt sie eigentlich?

Nachdem ich Alex Bescheid gegeben habe, dass ich im Büro bin, und mich von ihm verabschiedet habe, mache ich mich auf dem Weg dorthin, als ich auf einmal einen stechenden Blick in meinem Rücken spüre und drehe mich abrupt zur Tür hin.

Bevor ich auch nur erkennen kann, was da ist, wird mir schwarz vor Augen. Aber nicht so wie letztes Mal, als ich drohte wiederaufzuwachen, sondern ich werde bewusstlos und falle in ein schwarzes Loch.

Noch einmal versuche ich meine Augen zu öffnen, welche gleich wiederzufallen, aber ich meine den Jungen von heute Morgen mit den schwarzen Augen wiedererkannt zu haben…

 

 

 

7. Kapitel

 

 

Ich schrecke schweißgebadet aus meinem Schlaf. Mein Atem geht schnell und mein Herz pocht, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen.

Was war das?! , frage ich mich verwirrt.

Schweratmend steige ich aus meinem Bett und gehe erst mal in mein - an mein Zimmer angrenzendes - Badezimmer. Langsam tapse ich auf das Waschbecken zu und schaue mich im Spiegel an. Was ich sehe, ist ein übermüdetes Mädchen mit aschfahlen blonden Haaren, Augenringen und blasser Haut. Traurig starre ich mich an.

Was war das nur? , frage ich mich verzweifelt.

Ich wende mich von meinem Spiegelbild ab und gehe duschen, um den Schweiß von meinem Körper zu waschen.

Danach schlendere ich die Treppe hinunter in das Esszimmer. Es ist gerade einmal sieben Uhr, wie ich mit einem Blick auf die Uhr feststelle. Sicher schlafen meine Eltern und Lucy noch. Sie sind fast immer bis zehn Uhr im Bett. Aber ich kann jetzt nicht mehr schlafen. Zu aufwühlend war der Traum, oder die Realität - wie auch immer. Ich bekäme kein Auge mehr zu, eher würde ich wach im Bett liegen und mich die ganze Zeit fragen, was oder wer mich da angestarrt hat.

Ich wusste, dass sich irgendwas geändert hat. Ich fühle mich nicht mehr sicher. Eher fühle ich mich so, als würde irgendwas böses hier lauern. Nur was? Was hat sich hier verändert? Ich kann es mir nicht erklären.

Ich überlege mir, erst mal einen Kaffee zu trinken. Sicher bin ich einfach noch nicht richtig aufgewacht und das Gefühl, dass hier irgendwas im Busch ist, verschwindet dann sicher auch.

Gut, dann mach ich mir einen Kaffee, mit ganz viel Milch und am besten einen richtig schönen starken. Meine Mutter sieht es zwar nicht gern, wenn ich welchen trinke, weil es ja gefährlich für Jugendliche ist, wie sie meint, doch ich brauche ihn jetzt.

Für sie war es ja schon gefährlich, Fahrrad zu fahren. Man kann ja überfahren werden. „Sicher“, hab ich mal erwidert. „Man kann jederzeit sterben. Sogar im Schlaf. Aber wenn jetzt jeder Angst hätte, so wie du, dann wäre die Menschheit schon längst ausgestorben, weil sich dann niemand mehr aus dem Haus trauen würde.“

Nachdem ich das ausgesprochen habe, ist sie einfach nur beleidigt abgehauen und hat das Thema nicht mehr angesprochen.

Mit einem bitteren Lächeln setze ich Kaffee auf und lasse mich in der Zeit, die er braucht, auf einen Stuhl fallen. Plötzlich klingelt es an der Tür. Wer ist das denn? Verwirrt und überrascht ziehe ich die Augenbrauen hoch. Neugierig gehe ich auf die Glastür zu, durch die man nicht durchgucken kann, weil es ein spezielles Glas ist. Ich strecke mich, um durch den Spion gucken zu können. Und was ich sehe ist….

Nichts.

Nichts?! Verwirrt schaue ich nochmal nach, doch ich kann niemanden erkennen. Aber wer hat dann geklingelt? Wenn das jetzt ein Klingelstreich war, dann können die Kinder aber was erleben! Ich ziehe schnell die Tür auf und sehe mich hektisch um. Doch da ist nichts.

Enttäuscht will ich mich gerade wieder umdrehen, da fällt mein Blick auf den Boden. Dort liegt ein Paket mit meinem Namen.

Gespannt hebe ich es auf. Was da wohl drin ist? Und von wem ist es? Ich kenne die Handschrift gar nicht. Leise lasse ich die Tür ins Schloss fallen und hole mir eine Tasse Kaffee. Den habe ich voll vergessen, zum Glück ist er noch heiß.

Schnell stürme ich die Treppe hinauf und husche in mein Zimmer.

Leise schließe ich meine Zimmertür. Noch immer mit dem Paket in der Hand setze ich mich auf mein Bett. Die Tasse Kaffee stelle auf mein Nachschränkchen. Dann greife ich mir eine Schere und beseitige das belästigende Klebeband. Das geht sehr schnell, weil ich sehr aufgeregt bin. Ich will endlich wissen, was da drin ist.

Ich mache es auf und darin liegt ein Buch. Etwas enttäuscht, ich hatte mit etwas spannenderem gerechnet, ziehe ich es raus und begutachte es.

>>Aber, das ist doch…?!<<

Überrascht öffnet sich mein Mund.

Es ist tatsächlich der dicke Schmöker, den ich in meinem Traum bekommen habe. >>Doch<<, frage ich mich, >>wie kann er hier sein? Der war doch in der Traumwelt, oder nicht?!<<

Ich gucke noch mal in das Paket. Vielleicht finde ich ja noch was, irgendeinen Hinweis oder so. Und tatsächlich. Ich entdecke einen Brief. Einen ganz normalen, auf dessen Rücken in leserlicher Schrift Sophie steht. Gespannt öffne ich ihn.

Ich hole eine normale Postkarte heraus. Dort steht:

 

Ich dachte, du könntest das Buch gebrauchen ;)

Alles Liebe, Alex

P.s.: Pass auf die Traumfänger auf. Es geht schneller, als du denkst!

 

Schmunzelnd lege ich die Postkarte weg. Wie er das wohl hinbekommen hat? Und vor allem woher hat er es? Hatte ich es nicht in der Hand, bevor ich… aufgewacht bin? Aber ich wurde bewusstlos und ich glaube kaum, dass es sich mit teleportieren oder materialisieren kann. Ich verstaue das Buch unter dem Bett zu dem Tagebuch. Denn ich bin mir sicher, dass ich es irgendwann nochmal brauchen werde.

Unten höre ich Gerappel. Na endlich, wurde aber auch mal Zeit, dass sie aufstehen.

Mit einem Lächeln beschließe ich, der Person - oder den Personen, - die aufgestanden ist, Gesellschaft zu leisten.

Was ich nicht ahne, ist, dass hier der Albtraum anfängt…

 

 

 

 

 

 

 8. Kapitel

 

 

Mit schnellen Schritten laufe ich immer noch schmunzelnd die Treppe hinunter. Doch als ich kurz vor der Tür stehen bleibe, verflüchtigt sich mein Grinsen, denn ein dunkles Gefühl überlagert meine Freude.

>>Irgendwas stimmt hier nicht. Die Stimmung ist so… falsch. <<, stelle ich mit einer zunehmenden Angst fest.

Ich weiß auch nicht, was los ist. Aber hier ist irgendwas faul. Wenn ich nur wüsste, was.

In die Küche traue ich mich schon gar nicht mehr. Ich habe zu viel Angst davor, was mich erwarten wird. Mit einer Vorahnung stoße ich die Tür sanft auf, die mit einem Knarren voran schwingt, bewege mich jedoch nicht von der Stelle. Von meiner Position kann ich nicht in den Raum sehen, denn ich stehe seitlich vor der Tür.

Kein Geräusch dringt an meine Ohren.

Kein Luftzug.

Kein Atmen.

Keine Bewegung.

>>Aber…müsste hier nicht jemand sein? <<, frage ich mich misstrauisch.

War das Geräusch nur Einbildung? Nein, oder? Ich bekomme doch keine Halluzinationen! Oder bin ich doch schon zu überfordert von den Ereignissen der letzten beiden Tage?

Angst kriecht meinen Rücken hinauf und Panik setzt sich in meine mittlerweile steifgewordenen Poren.

Rumm“

Ertönt es auf einmal laut aus dem Raum, den ich so sehr fürchte.

Es hat sich so angehört, als hätte jemand eine Schublade mit sehr viel Schwung zugeknallt, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Ich lausche angestrengt. Das dunkle Gefühl will einfach nicht verschwinden. Eigentlich bin ich nicht so ein Angsthase, doch das hier ist definitiv eine Situation, in der bestimmt jede noch so starke Person Angst bekommen hätte.

Mittlerweile pocht mein Herz so, als wolle es rausspringen oder einen Wettbewerb in „Wer ist der schnellste“ gewinnen wollen. Eins muss ich ihm lassen – er würde den Wettbewerb auf jeden Fall gewinnen!

>>Wer oder was ist da drin? <<, frage ich mich panisch.

Meine Hände fangen an zu zittern und meine Beine drohen dem Gefühl, einzusacken, nachzugeben. Sie fühlen sich an wie Wackelpudding, so sehr schlottern sie.

>>Was geht hier vor sich? <<

Ich weiß mit Sicherheit, dass niemand aus meiner Familie in der Küche ist.

Im Kopf gehe ich die Möglichkeiten durch, wer in dem Raum sein kann.

Entweder ich habe wirklich Halluzinationen; - dann würde ich es bevorzugen schnellst möglichst einen Therapeuten aufzusuchen - einer aus meiner Familie ist wirklich da drin; - dann wäre mein Bauchgefühl aber so was von kaputt - wir hatten Besuch, von dem ich nichts wusste; ein Einbrecher bediente sich unserer Vorrate oder es ist…. Ein Geist.

Ein Schauer läuft mir beim letzten Gedanken, den ich für am unwahrscheinlichsten halte, den Rücken hinunter.

Meine Muskeln spannen sich an.

>>Ich werde es nie herausfinden, wenn ich nicht endlich den Raum betrete! <<,

unterbreche ich meine Gedanken verbissen.

Also… auf in die Höhle des Löwen, denke ich sarkastisch, bevor ich mit zugekniffenen Augen einen Schritt in die Küche setze.

Ganz langsam, damit mir auch ja nichts entgeht, öffne ich Stück für Stück meine Augen. Mache mich innerlich auf alles gefasst. Doch was ich jetzt zu sehen bekomme… Halluzinationen wären mir lieber. Beim Anblick zieht sich mein Herz zusammen.

Ich sehe keine Person…. Nein das wäre auch zu schön gewesen!

Ich sehe das reinste Chaos!

Wild zerstreut liegen überall Gabeln, Messer und Löffel verteilt auf dem Boden. Teils verbogen und zerbrochen, teils noch ganz. Die Stühle liegen umgekippt, mit den Beinen rausgerissen, bei dem Besteck. Die Schrankinhalte haben auch den Weg zu dem Besteck gefunden. Zudem liegen Teller – Mamas schönsten Porzellanteller – kaputt und in alle erdenklichen Stücke zersplittert auf dem Boden und leisten den anderen kaputten Dingen Gesellschaft. Der Kühlschrank liegt umgekippt, neben dem Tisch und versperrt den Weg zur Anrichte. Sein Inhalt ist über den ganzen Boden zerstreut. Ein Schweinestall kommt der Küche sehr nah.

Ich hebe meine Hand vor dem Mund.

Ich erkenne auch, dass alle Schubladen rausgerissen wurden, einige hängen noch halb am Schrank, drohen aber bald auch Bekanntschaft mit dem Boden zu machen. Man erkennt eine gewalttätige Ader an dem Geschehen. Es muss in purer Wut entstanden sein. Anders geht es gar nicht. Wer bitte, sollte so etwas zustande bringen?

Kopfschüttelnd und mit den Nerven am Ende, stütze ich mich an der Wand neben mir ab, die auch nicht spurenlos davongekommen ist. Nein, die Tapete ist abgerissen und ich kann… - Ist das etwa Blut?! – Blut…erkennen.

Ein schreckenerregendes Szenario.

Meine Glieder werden schwer.

Gerade noch war die Küche blitzeblank und jetzt… Jetzt kommt sie einem Schlachtfeld nahe.

Wie konnte so etwas nur in so kurzer Zeit passieren? Es müssen keine zehn Minuten vergangen sein, als ich das letzte Mal hier war.

Aber die allesentscheidende Frage ist doch: Wer war das?

Wer sollte so etwas tun? Ich bin mir ziemlich sicher, dass es NICHT meine Eltern waren, schon gar nicht meine Schwester! Außerdem schlafen sie noch.

Aber… wer dann?

Ich schaue mich verzweifelt um. Das Fenster ist unbeschadet geblieben. In das Haus konnte keiner gekommen sein, stelle ich mit prüfendem Blick auf die Haustür fest.

Auf einmal nehme ich einen Schatten wahr, draußen, direkt neben dem Fenster zur Küche.

Neugierig schleiche ich mich zum Fenster und schiele hinaus. Die Person muss mich, trotz dass ich leise war, bemerkt haben, denn sie flüchtet blitzschnell in den Wald. Das einzige was ich noch wahrnehme, sind schwarze, lange Haare. Damit steht für mich fest: Es waren Einbrecher.

Nur was sie damit bezwecken wollten, denn gestohlen haben sie nichts, kann ich mir nicht erklären.

>>Traumfänger<<, schießt es mir durch den Kopf.

Jedoch verwerfe ich diesen Gedanken gleich wieder, denn warum sollten sie so was tun? Rosalie hat doch gesagt, sie wären nett, um Vertrauen zu gewinnen.

Oder hat sie gelogen?

Nein, wieso sollte sie bitteschön lügen?

Missmutig verziehe ich meine Lippen. Fragen, die ich mir sowieso nicht beantworten kann, helfen mir jetzt auch nicht weiter.

Am besten, ich lege mich nochmal in mein Bett und versuche zu schlafen.

Müde, von den bisherigen Ereignissen, gestehe ich mir ein, dass das zu viel für einen Menschen in so kurzer Zeit; in so wenigen Tagen ist. Zu viel für mich. Viel zu viel.

Geschafft schleppe ich mich die Treppe hinauf. Wie schnell sich die Stimmung ändern kann. Gerade noch schmunzle ich über die Postkarte von Alex und freue mich, dass er an mich denkt, da passiert so was. Und jetzt. Jetzt bin ich kaputt!

Ich brauche Ferien, wenn das so weiter geht. Nicht mal zwei Monate hier, schon werde ich in einen Strudel aus Übernatürlichen gezogen – plötzlich gibt es Feen, Elfen… - dazu noch die neuen Schüler mit den schwarzen Augen, die mich in den Wahnsinn zu treiben drohen, dann das Sturmklingeln und jetzt noch das Fiasko in der Küche.

Wenn ich das jemanden erzählen würde – ich würde von den Männern mit den Hab –mich – lieb Jacken abgeholt werden. Verzweifelt lasse ich mich auf dem Rücken, auf meinem Bett fallen, lege meine Hände vor meinem Gesicht und schließe ausgelaugt meine Augen.

Schlafen, schleicht sich der Gedanke in meinem Kopf.

>>Nein! Nicht schlafen! Bloß nicht!<<

Wie von der Tarantel gestochen, reiße ich meine Augen sperrangelweit auf und sitze plötzlich kerzengerade auf meinem Bett.

>>Das wollen sie doch! Dass ich schlafe! Damit ich wieder in ein scheinbar schwarzes Loch falle. <<

Wütend balle ich meine Hand zu einer Faust. Mein Gesicht führt scheinbar ein Eigenleben, denn meine Mundwinkel finden ihren Weg nach unten, genau wie meine Augenbrauen, eine Falte bildet sich auf meiner Stirn und mir wird bewusst, dass ich nicht schlafen darf. Nicht jetzt. Nicht heute. Vielleicht nie wieder.

>>Womit fing dieser Scheiß eigentlich an?!<<

Meine Trauer hat sich soeben in Wut verwandelt.

Ach ja, der Schlüssel! Hätte ich ihn gleich weggeschmissen, dann wäre ich nie in diesem Schlamassel geraten. Dann würde mein Weltbild nicht den Bach runtergehen und ich könnte normal weiterleben.

Normal.

Ohne Sorgen, gleich in einen Albtraum zu geraten!

Doch… jetzt ist es zu spät. Zu spät, um aus diesem Schlamassel wieder herauszukommen. Viel zu spät. Ich hätte mindestens nach dem ersten Traum - ach, der Realität oder auf diesem Scheiß Planeten- misstrauisch werden müssen.

Aber nein! Nein, ich denke, es wäre nur ein normaler Traum.

Ich weiß insgeheim: die Traumfänger haben mich schon gerochen. Und mit einem Mal kommt es mir nicht mehr ganz abwegig vor, dass es die Traumfänger waren die die Küche verwüstet haben.

Oder doch.

Das einzige was ich noch mit Sicherheit weiß, ist, dass ich NICHT einschlafen darf!

 

 

 

9. Kapitel

 

 

Wenn das so weiter geht, liege ich irgendwann noch tot in einer dunklen Gasse. Jawohl!

Seit einer geschlagenen Stunde vegetiere ich schon vor mich hin – versuchend nicht zu denken.

Ohne Erfolg.

Wie kann man auch aufhören zu denken? Das kann keiner. Nicht mal der schlauste Mensch. Ach was, niemand kann das oder hat es jemals geschafft, weil es schier unmöglich ist!

So langsam verfalle ich im Wahnsinn.

Nein. Das wollen sie auch!

Ich muss glücklich sein oder mindestens einen schönen Gedanken haben.

Es hat schon angefangen.

So bin ich doch nicht! Klar, ich bin meistens ernst, aber so war ich noch nie.

>>Werde wieder locker, Sophie. Höre Musik oder lese ein Buch. Irgendwas was dir Spaß macht. <<

Zeichnen, schießt es mir durch den Kopf. Ja genau, zeichnen!

Gedacht, getan.

Ich schnappe mir meine Zeichenutensilien und einen Zeichenblock und setze mich an meinem Schreibtisch

>>Mmh… was kann ich zeichnen? <<

Doch bevor ich weiter nachdenken kann, bewegt sich meine Hand wie von selbst. Der Bleistift, den ich in der Hand halte, findet seinen Weg auf das Blatt und zieht Linien, als hätte er das schon immer gemacht.

Ich brauche gar nicht nachzudenken, es ist als führe der Bleistift ein Eigenleben. Es bin nicht ich, der den Bleistift führt, sondern der Bleistift führt MICH!

Mit einem Grauen überfällt mich die Angst.

>>Ist denn hier nichts mehr normal? <<, denke ich traurig.

Mittlerweile hat der Tag die neunte Stunde erreicht. Zwei Stunden. Soviel Zeit ist vergangen, seit ich aufgestanden bin.

Mittlerweile kann ich schon Schemen auf dem Blatt Papier erkennen. So gut war ich noch nie. Man hat das Gefühl, die Zeichnung ist echt, realistisch. Als wäre sie aus einem Traum entsprungen.

Ich halte die Luft an, denn was oder wen ich da erkenne, sind keine anderen, als die drei Jungen mit den schwarzen Augen: Alan, Zack und Christone.

Schockiert betrachte ich das Bild. Wie konnte ich wissen, wie sie aussehen? Ich hab sie doch nur kurz betrachtet, weil ich mich sofort wieder von ihnen abgewendet habe. Das andere weiß ich nur von den Beschreibungen von Josie.

>>Aber wie…? <<

Kann ich denn nicht endlich mal aufhören, ständig nur an sie zu denken? Ist es denn zu viel verlangt?!

Jetzt habe ich sie auch noch auf einem Blatt Papier verewigt. Ich mag sie gar nicht mal anschauen, ich habe das Gefühl ihre Blicke stechen sich in mein Gehirn, dabei habe ich sie nur GEZEICHNET!

>>Ach Mist! Ich glaube, ich sollte mal nach draußen – frische Luft schnappen. Vielleicht werden dann auch meine Gedanken klarer. <<

Sofort schnappe ich mir meine Jacke und Schuhe und flüchte nach draußen in den Wald.

An einer schönen Stelle lasse ich mich auf die Knie fallen und frage mich, was das Leben mir eigentlich noch bietet.

Bevor ich aber noch weiter über mein Leben philosophieren kann, werde ich bewusstlos.

 

*** *** *** *** *** *** *** *** *** ***

Sophie“, sanft spricht jemand meinen Namen aus. Ein paar Minuten und Seufzer später:

Sophie… Schnell. Du musst aufwachen. Bevor sie uns noch entdecken!“

Sophie. Komm schon, wach auf.“ ertönt es auf einmal hektisch an meinem Ohr.

Träge öffne ich meine Augen und erkenne… ist das etwas Alan? Verwirrt blinzle ich und schaue in angsterregende schwarze, leere Augen. Jeglicher Glanz ist erloschen.

Du hast nicht mehr viel Zeit bevor sie dich entdecken. Ich rate dir, schnell zu verschwinden. Du kannst von Glück reden, dass ich dich gefunden habe und nicht Chris oder Zack.“ Mit einer eindeutigen Geste befiehlt er mir zu verschwinden.

>>Warum hilft er mir? Müsste er nicht eigentlich seine Freunde rufen oder mich töten oder… ja was eigentlich? <<

Verwirrt rapple ich mich auf. Neugierig betrachte ich meine Umgebung. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich in einer dunklen Gasse weile. Die schon ihre besten Tage hinter sich hat. Angewidert halte ich mir meine Nase zu. Unweit von mir entfernt stehen Müllcontainer, von denen aber viele umgeworfen wurden und der Inhalt breitet sich nun ekelerregend auf dem Weg aus.

Was ist jetzt? Worauf wartest du noch?! Verschwinde endlich! Oder legst du es etwa darauf an zu sterben?!“ Wütend funkelt Alan mich an. Erschrocken flüchte ich aus der Gasse und stehe sogleich auf einer Straße.

Wo soll ich denn hin? Und wo bin ich überhaupt? Ach, was soll´s. Hauptsache weg! Ängstlich und hilflos laufe ich die Straße entlang und biege kurz darauf in eine Seitenstraße ein.

Viele Wesen, an denen ich vorbeirenne, sehen mich komisch und missbilligend an. Kein Wunder. Ich habe auch noch meine Schlafsachen an und sehe aus wie ein Zombie, so oft, wie ich mir schon meine Haare zerrauft habe.

Ich erkenne gerade noch, wie etwas meine Seite streift, worauf sich mein rechter Arm blutrot färbt. Abrupt bleibe ich stehen, da kommt ein Auto? auf mich zugerast. Es erinnert mich jedenfalls an ein Auto.

Sofort falle ich wieder in eine Schwärze. Mein Körper klappt in sich zusammen und materialisiert sich, bevor mich das Auto - oder was auch immer das ist - umfahren kann.

*** *** *** **** *** *** *** *** *** ***

 

Hektisch schnappe ich nach Luft.

>>Was war das? <<

Ach, das ist jetzt eh egal.

Verwirrt schaue ich mich um. Ich befinde mich noch immer im Wald. Neben mir kann ich schemenhaft Fichten und Buchen erahnen. Der Wind rauscht hastig um meine Haare, als wolle er daran ziehen.

Ächzend stehe ich auf vom Boden auf, wobei ich mich mit einer Hand am Baumstamm neben mir abstütze.

Irgendwas schmerzt.

Irritiert schaue ich auf meinem Arm. Der in Blutroten Saft gehüllt ist - zu mindestens sieht es so aus - bei dieser Dunkelheit kann man ja nichts erkennen.

>>Das kenne ich doch schon, oder? <<

Scharf nachdenkend reibe ich flink meine Hände, die mittlerweile schon schockgefrostet sein müssen. Vielleicht schaffe ich es ja noch sie wiederzubeleben.

>>Wieso komme ich auch gerade heute, mitten im November, dem Bedürfnis nach, im Wald zu schlafen?! <<, frage ich mich missmutig.

Vor allem: Wie lange habe ich eigentlich geschlafen, ich bin doch erst um halb zehn in den Wald gelaufen, oder war es schon später? Dann muss ich ja neun Stunden geschlafen haben.

Ich liege zusammengerollt neben einer großen, ausladenden Weide in eiserner Finsternis, denn die Sonne hat sich für heute schon verabschiedet und beehrt uns erst Morgen wieder mit ihren warmen, lebenspendenden Strahlen.

Ach ja, wurde ich nicht in der Traumwelt angerempelt, worauf mein Arm anfing zu bluten?

Wieso konnte er immer noch bluten, ich befinde mich doch wieder auf dem Planeten Erde?

Aber inzwischen halte ich nichts mehr unmöglich.

Suchend schaue ich mich um. Ich sollte mich lieber darüber kümmern, wie ich nachhause komme, anstatt mir Fragen zu stellen.

Ich hab ja schon zum Ausdruck gebracht, dass ich keine mehr stellen soll. Das bringt mich jetzt, in meiner misslichen Lage, auch nicht viel weiter.

Eher hemmen sie mich.

Aufmerksam suche ich nach einem Zeichen oder etwas was ich kenne, doch das ist sowieso aussichtslos, es ist schon zu dunkel, um noch etwas zu erkennen. Ich erahne nur noch schemenhaft Bäume oder anderes Gestrüpp und in der Nacht sieht sowieso alles gleich aus.

>>Und wie komme ich wieder zurück? <<

Da halte ich mich lieber an den Spruch: Augen zu und durch.

Passt ja zum Wald, stelle ich trocken fest.

Ich nehme meine Beine in die Hand und versuche die nächtlichen Geräusche zu ignorieren, die in meinem Ohr wiederhallen.

Ich will endlich in mein warmes, kuschliges Bett, mit den Seiden Bezügen.

Ich bin richtig verbissen geworden, was ist nur los mit mir? Sonst bin ich doch auch nicht so kalt! Ich merke schon, irgendwas stimmt nicht. Und ich werde noch herausfinden, was nicht stimmt, darauf könnt ihr euch verlassen.

>>Aber das kann ich nicht, wenn ich nicht endlich nachhause finde! <<

Seufzend setzte ich einen Fuß vor den anderen. Bedacht, nicht über irgendwas zu stolpern. Äste streifen meine Wange und lassen dort blutige Spuren zurück, genau wie an meinen Armen. Mehr als einmal strauchle ich über Baumwurzeln oder anderes und mache öfter als mir lieb ist Bekanntschaft mit dem Erdboden. Doch das ist mir in dem Moment egal.

Ich habe nur noch einen Gedanken im Kopf; nur noch zwei Wörter lenken meine Gedanken - der sich schon verankert hat – und zwar: Nach und Hause!

 

 

 

 

 

 

 

10. Kapitel

 

 

Nach einer halben Stunde des Suchens habe ich endlich unser Haus erblickt.

>> Na endlich! Ich dachte schon, ich komme nie an. <<

Erleichtert, aber auch genervt, stapfe ich darauf zu. Da ich schon mehrere Male gestolpert und mit Dreck übersäht bin, kann ich jetzt eine Dusche gut vertragen. Ich will gerade die Haustür aufdrücken, als auf einmal Stimmen im Haus ertönen.

„Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?“ fragt eine glockenhelle Stimme.

„Weiß nicht… Heute Morgen? Warum fragst du?“ erwidert jemand brummend. Eindeutig eine Männerstimme.

Ich erkenne die erste. Sie gehört meiner Mutter. Aber sie hat sich nicht gerade besorgt angehört. Eher verbissen. So kenne ich meine Mutter gar nicht. Müsste sie nicht mittlerweile krank vor Sorge sein, so wie sie sich immer benahm? Ob das nicht eine andere Person ist? Und wer ist der andere?

War es die Person von heute Morgen? Die sich am Fenster langgeschlichen hat?

Sie haben keine guten Absichten, beschleicht mich ein düsterer Gedanke.

>> Bloß weg hier! Wer weiß, was sie vorhaben. <<

Aber… das ist deine Mutter… was sollte sie denn vorhaben?

Egal. Irgendwas stimmt hier nicht.

„Da ist jemand!“ schreit auf einmal eine Stimme. Sie ist gefährlich nah an der Tür. Ich stehe immer noch wie versteinert davor, die Hand nach der Klinke ausgestreckt. Schritte kommen auf mich zu. Die Tür wird plötzlich abrupt aufgezogen, doch bevor mich jemand entdecken kann, renne ich schon um mein Leben. Meine Füße treffen auf gepflasterte Steine, berühren aber nach 100 Metern den Waldboden.

Ein Glück, dass wir einen Wald neben unserem Haus haben!

Ich renne so schnell, wie ich noch nie in meinem kurzen Leben gerannt bin. Dabei streifen mich immer wieder Gestrüpp und hervorstehende Äste. Jemand verfolgt mich, er ist schon sehr nah. Hinter mir ertönen Rufe, wütende Schreie und Drohungen, doch die nehme ich gar nicht wahr – zu fixiert bin ich darauf meinem Verfolger zu entkommen.

Einmal sehe ich zurück und erkenne wieder die schwarzen Haare, sie scheinen einer Frau zu gehören, aber nicht meiner Mutter, denn die besitzt blondes Haar.

Ich durchquere den Wald, es ist stockfinster, ich kann nicht mal mehr meine eigene Hand vor den Augen erkennen.

Mein Verfolger hat schon längst aufgegeben, doch ich renne weiter. Immer weiter. Als wenn es keinen Morgen mehr gibt.

Meine Lungen drohen zu zerplatzen und mein Herz pocht, als wenn es rausspringen will. Ich kann nicht mehr klar denken. Ich habe keinen einzigen Gedanken im Kopf.

Ich laufe an Fichten vorbei, an Eichhörnchen, die darauf schreckhaft das Weite suchen. Ich sehe Motten herumschwirren und noch andere Insekten. Ich höre Eulen rufen und das Geraschel von Tieren – vielleicht Mäuse. Ich nehme das Rauschen eines Baches wahr.

Im Normalfall hätte ich Angst, ich mag Dunkelheit nicht, ich hätte Angst vor den Tieren, vor Verbrecher. Doch – jetzt habe ich keine Angst, ich bin geschockt, verwirrt und nehme das alles gar nicht richtig wahr. Ich will nur weg. Ganz weit weg.

Nach einer halben Stunde lasse ich mich an Ort und Stelle, ausgepowert auf den Boden fallen. Mein Atem geht hektisch und meine Füße schmerzen vom Laufen. Ich habe Seitenstiche und fühle mich ausgetrocknet. Ich hab keinen Schimmer wo ich bin, aber will es auch gar nicht wissen.

„Was waren das für Leute?“ flüstere ich angsterfüllt.

Ich konnte einen kurzen Blick auf sie erhaschen und die Leute, die ich erkannt habe, habe ich noch nie gesehen.

Verzweifelt lache ich auf.

Meine Haare gleichen einer Vogelscheuche - als ich durchfahre, fühle ich nur Knoten.

Ich schaue an mir herab und stelle fest, dass meine Kleidung, vom ständigen Stolpern und auch schon von vorher, vollkommen verdreckt ist. Die am Morgen noch so helle Röhrenjeans ist jetzt nur noch ein dunkler Fleck und das Grüne Shirt weist mehr als nur einen Flecken auf. Und das ist mein Lieblingsshirt, mit den schwarzen Schmetterlingen auf der linken Seite in Hüfthöhe. Meine Sneakers – die kann man gar nicht mehr erkennen, voller Matsch sind sie jetzt nur noch für den Müll gut.

Hab ich mich etwa im Haus geirrt und bin bei Irren gelandet, anstatt bei meiner Familie? Es kann ja gut möglich sein, schließlich war und ist es stockdunkel, frage ich mich, in Gedanken bei den Leuten.

Nein, das ist mein Haus. Das Rote, mit dem Pool im Garten. Ich erkannte Mamas blaue Liege im Garten, mit dem Blümchenmuster und sah meinen grauen Pulli auf den Tisch liegen, den ich dort gestern draußen vergessen habe.

Das ist unser Haus!

Wurden wir etwa ausgeraubt, und die Diebe machten es sich jetzt in unserem Haus gemütlich?

Oder waren das Entführer?

>> Haben sie meine Eltern und Lucy mitgenommen? <<, denke ich panisch.

>> Aber heute Morgen…<<, >>…Hast du sie nicht gesehen! <<, führt meine innere Stimme meinen Gedanken fort.

>> War es die Person von heute Morgen? <<

Ja klar, es deutet alles darauf hin, dass es Einbrecher sind. Erst haben sie geklingelt, damit ich aus der Küche verschwinde, dann die Küche verwüstet. Dann sind sie wieder raus und haben wahrscheinlich beobachtet, wie ich die Küche betrete. Nur sie musste abhauen, als ich sie gesehen habe. Deshalb konnten sie mich nicht mehr kriegen oder weil der Typ noch nicht da war und sie mich alleine nicht gefangen nehmen konnte. Wahrscheinlich sind deshalb meine Eltern und meine Schwester nicht von dem Klingeln aufgewacht, weil sie entweder in die Fänge der Verbrecher geraten sind oder gar nicht da waren. Und als ich dann zum Haus gegangen bin, haben sie mich verfolgt, weil sie mich noch nicht bekommen haben.

Das ergab auf einmal alles einen Sinn. So muss es gewesen sein.

Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wo meine Familie ist.

Ich muss zurück!

>>Bist du bescheuert?! Damit sie dich auch kriegen? Dann kannst du aber schnell vergessen, deine Familie wiederzufinden. <<, herrscht mich mein Gewissen an.

Doch ich höre nicht auf sie. Gleich morgen, nehme ich mir vor, würde ich aufbrechen.

 

Als ich am nächsten Morgen aufwache, friere ich. So sehr, dass ich schon zittere. Mit klappernden Zähnen reibe ich mir mit den Händen über meine Arme und verschränke schließlich die Arme vor der Brust. Ich hab die ganze Nacht auf dem kalten Waldboden gelegen, was mir mein Rücken jetzt mit einem fiesen Muskelkater dankt. Neugierig schaue ich mich um. Ich liege auf einer kleinen Lichtung mit vielen Blumen. Ein Bach strudelt ein paar Meter entfernt und Lichtstrahlen blenden mich. Es muss bestimmt schon zwölf Uhr sein. Ich strecke mich erst mal ausgiebig, als ich aufstehe und verziehe gleich darauf schmerzvoll mein Gesicht. Scheiß Muskelkater!

Ich gehe auf den Bach zu und schöpfe mit meinen Händen Wasser daraus, um es zu trinken. Egal wie eklig es schmeckt, ich habe Durst und da ist es mir egal, was alles in dem Wasser sein könnte. Danach wasche ich mir das Gesicht, und versuche ein bisschen Dreck aus meiner Kleidung zu bekommen, ohne Erfolg. Es verschlimmert sich dadurch eher, weil der Dreck jetzt matschig auf meinem Shirt wird.

Zu meinem Glück hatte ich dieses Mal einen traumlosen Schlaf. Dem Gott sei gedankt.

Ich kümmere mich gar nicht erst um die Frage: „Warum?“, sondern mache mich sofort auf den Weg in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Stellt sich nur noch die Frage, woher ich gekommen bin.

Schulterzuckend laufe ich einfach frei Schnauze und begutachte die Umgebung. Plötzlich macht sich laut mein Magen bemerkbar. Da bin ich gar nicht überrascht, immerhin habe ich seit gestern Morgen nichts mehr gegessen, oder war es vorgestern? Es ist ein Wunder, dass er noch nicht geknurrt hat. Bestimmt hat er Angst, weil Gestern alles so stressig war. Da hätte ich auch nichts mehr reinbekommen. Resigniert setze ich meinen Weg fort.

Nach einer Stunde des Laufens, mittlerweile bin ich schon mehrfach gestolpert, frage ich mich, wie lange ich noch Laufen muss. Ich bin ziemlich kraftlos und stolpere eher den ganzen Weg, als dass ich laufe. Skeptisch stelle ich mir die Frage, ob ich vielleicht in die falsche Richtung gelaufen bin. Ich bin bis jetzt noch keiner Menschenseele begegnet, was mich stutzig werden lässt.

Argwöhnisch schaue ich mich um. Wahrscheinlich - es kann ja sein - bin ich ja im Kreis gelaufen? Es sieht hier alles so gleich aus.

Doch dann, endlich, sehe ich es. Ich luge hinter einem Busch hervor, wo man mein Haus klar erkennen kann. Juhu! Ich habe es gefunden. Erleichtert bildet sich leicht ein Lächeln auf meinem Gesicht. Was bin ich froh!

Aber… sind die Einbrecher immer noch hier?

Angespannt lausche ich und schleiche mich, immer achtsam, zum Haus. Ich kann nichts hören und sehen. Wer weiß, vielleicht sind sie auch schon über alle Berge.

Ein paar Minuten stehe ich einfach nur da, hinter einem Busch genau vor meinem Anwesen und überlege, ob ich es wagen soll, in das Haus zu gehen.

„Hey“, ertönt auf einmal ein sanfte Stimme hinter mir. Erschrocken bekomme ich fast einen Herzstillstand und gleiche einer Statue. Meine Augen weiten sich. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, drehe ich mich um, bereit zum Angriff oder zur Gegenwehr.

Doch als ich mich umdrehe steht nicht der vermeintliche Einbrecher vor mir, sondern…

„Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich hab auf dich gewartet, doch du warst weg. Dabei war ich mir ganz sicher, dass du hier wohnst.“

Entschuldigend lächelt mich Alex, kein Plan, wo der auf einmal herkommt, an.

„Einbrecher…oder, zwei Personen waren hier und haben meine Familie mitgenommen! Sie haben mich verfolgt und da… da bin ich weggelaufen.“ Stottere ich leicht verstört. Endlich jemand, der normal ist und mit dem ich reden kann; dem ich vertrauen kann. Auch wenn ich ihn nicht kenne, beschleicht mich ein sicheres Gefühl und… Geborgenheit bei ihm.

„Ja, das habe ich mitbekommen. Ich hab sie gesehen, wie sie… Das tut mir ehrlich leid. Aber wir werden sie schon finden! - Hast du eigentlich das Buch bekommen? Ich habe es dir zugeschickt.“

Bedrückt und mitgenommen schaut er mich an und nach einigem Zögern nimmt er mich schließlich in dem Arm. Plötzlich bricht der Damm in mir und die ganzen aufgestauten Tränen finden ihren Weg nach draußen. Mein Schluchzen erfüllt die Gegend und ich lasse mich an Alex’ Brust sinken. Tröstend schlingt er die Arme nun vollständig um mich und streicht mir beruhigend über den Rücken. Leise flüstert er liebevoll: „Pschsch… Ich bin ja jetzt da. Du bist nicht mehr alleine.“

Nachdem wir eine gefühlte Ewigkeit nur so dagestanden haben und meine Tränen erloschen sind, gehen wir ins Haus ins Wohnzimmer. Er erklärt mir, dass er schon alles abgesucht hat und was sich zugetragen hat und ich erzähle ihm, dass ich das Päckchen gefunden habe und was sich gestern sonst noch so alles geschehen ist. Er hört mir aufmerksam zu und versteht mich.

„Dann ist es ja jetzt sicher.“, murmelt er hoffnungslos und ich erkenne einen niedergeschlagenen Ausdruck in seinen Augen.

„Was ist sicher?“, frage ich verwundert und nichtsahnend nach. Dabei ziehe ich eine Augenbraue hoch.

„Du…“

„Ja…“, hake ich nach, nun neugierig.

Verunsichert und abweichend huschen seine Augen wild umher und er kratzt sich im Nacken.

„Okay, ich muss es ihr so oder so sagen…“ spricht eher zu sich selber, als zu mir. „Du… du bist…“ Tief atmet er durch und weicht meinem auffordernden Blick aus. Seufzend spricht er weiter. „ …in einem Albtraum geraten.“

Endlich schaut er mich an. Doch ich kann das Gefühl in ihnen nicht deuten. Zu verschleiert ist sein Blick.

Erst verstehe ich nicht, was er damit sagen will, doch dann macht es „Klick“ und ich verstehe. Und wie ich verstehe.

Mein Gesicht nimmt eine ungesunde Farbe an und ich stehe wieder den Tränen nahe.

„Also… war’s das jetzt… sterbe ich?“ Traurig senke ich den Kopf. Der Glanz in meinen sonst so farbenfrohen Augen ist nun endgültig erloschen.

Das soll es also gewesen sein? So sollte ich sterben?

Ich muss doch noch meine Familie retten, denke ich verzweifelt. Und den Entführern die Hölle heiß machen.

Alex setzt zu einer Antwort an. Ich schaue ihm in die Augen, doch ich kann keine Gefühlsregung erkennen. Ich will die Antwort unbedingt wissen, aber dann wiederrum auch nicht. Einerseits, weil noch Hoffnung besteht. Doch er könnte sie einfach wie eine Luftblase zerplatzen lassen, deshalb wollte ich sie nicht wissen.

Gespannt machte ich mich auf die Aussage bereit, wissend, dass es über mein ganzes Leben entscheiden wird.

Tod oder Leben.

Leben oder Tod.

 

 

 

 

11. Kapitel

 

 

Alex schaut mich auf einmal fest entschlossen an und nimmt meine Hand. „Wo ist das Buch, dass ich dir gegeben habe?“, ernst sieht er mir in die Augen.

„Auf… auf meinem Zimmer, aber warum…?“

Will er jetzt wirklich einer Antwort ausweichen?!

„Erkläre ich dir später…Hol es bitte.“

„Okay…“

Mit diesem Wort renne ich die Treppe hinauf, während er in das Wohnzimmer geht – die Küche ist ja verwüstet - und sich dort auf das große Sofa setzt.

Ich husche schnell in mein Zimmer und sehe mich hektisch um.

Wo habe ich es hingetan?

Ich durchsuche alle meine Schubladen, worauf sich ein Teil von ihnen achtlos auf meinem Boden ausbreitet, doch keine Spur vom Buch.

Scharf denke ich nach. Wo könnte ich es hingetan haben? In meinen Schubladen ist es nicht, das steht schon mal fest. Denn die habe ich schon tausendmal durchwühlt. Auf meinem Schreibtisch auch nicht und nicht bei meinen Klamotten. Dann bleibt nur noch ein Ort übrig: Das Bett.

Ja genau! Schnell fege ich das Kissen und die Bettwäsche in Blau auf meinem Boden. Doch dort ist auch nichts. Dann unter der Matratze – Fehlanzeige. Enttäuscht will ich schon nach unten gehen, da fällt es mir siedend heiß ein.

Ach, bin ich dämlich. Mit der Hand schlage ich mir vor meine Stirn und verdrehe die Augen. Ich habe überall geguckt, nur nicht da, wo es ist, dabei liegt es doch klar auf der Hand: Ich habe es unter mein Bett gelegt. Seit wann bin ich eigentlich so vergesslich?

Sofort krieche ich unter mein Bett und hole erst das Buch, was Alex braucht, und dann das Tagebuch hervor. Sicher ist es hilfreich, wenn ich es ihm zeige.

Glücklich renne ich die Treppe hinunter und stürme auf Alex zu.

Als Alex das Tagebuch sieht verzieht er irritiert die Augenbrauen. Bevor er fragen kann, erhebe ich schon das Wort:

„Das ist das Traumtagebuch, durch das ich in eure Welt gelangt bin.“

Ich stehe nah vor ihm und lege jetzt die Bücher vor ihm auf den kleinen Glastisch.

Interessiert betrachtet er das Tagebuch und blättert darin. Als er es hochhebt, fliegt auf einmal Zettel, der in dem Buch war, auf den Laminatboden.

„Was ist das denn?“ fragt Alex verwundert. Überrascht bücke ich mich und hebe den Zettel, der in etwa so groß wie ein Din A5 Blatt ist, auf.

„Keine Ahnung.“ Erwidere ich verspätet, kann aber nur noch auf den Brief achten. Langsam falte ich ihn auf – er ist einmal in der Mitte geknickt worden – dabei fällt mir auf, dass der Brief schon sehr alt ist, er fällt schon fast auseinander.

Der Brief ist in einer Sprache verfasst worden, stelle ich betrübt fest.

„Er ist in einer anderen Sprache.“ murmle ich niedergeschlagen.

Alex nimmt mir jedoch den Brief aus der Hand und überfliegt ihn.

„Er ist an dich gerichtet. Ich kann zwar nur schwer hier Elbäisch – die Sprache in der Traumwelt – doch ein bisschen verstehe ich. Wir müssen dorthin, dann kann ich ihn lesen.

„Warum?“ frage ich verständnislos und begreife nicht, was das soll. Was soll sich daran auch ändern? Und wie kann er an mich gerichtet sein? Ich habe das Buch doch gefunden.

„Okay, eigentlich darf ich es dir nicht sagen, aber das hier ist eine Notsituation, ich denke, da darf ich ein Auge zudrücken. Wenn man in der Traumwelt ist, aber auch nur da, spricht man unbewusst diese Sprache. Man schreibt, liest und spricht dort in Elbäisch, doch ein Mensch weiß davon nichts, er denkt, dort sprechen alle seine Sprache.

In deinem letzten Traum haben wir uns auch in dieser Sprache unterhalten. Und die vermeintliche Straße heißt nicht Feenstraße – das wäre ja Deutsch – sondern Fadas Estrada. Das einzig schlechte ist aber, dass man auf der Erde nichts davon entziffern kann. Obwohl andererseits ist es auch wieder gut.

Mit den Wesen ist es genauso, wenn sie auf die Erde kommen, sprechen sie auch die Sprache des jeweiligen Landes. Das ist genauso wie mit mir. Das heißt, in meiner Welt sprichst du meine Sprache und in deiner Welt spreche ich deine Sprache.

Überhaupt ist es ungewöhnlich hier einen solchen Brief zu finden. Das ist deshalb so, weil ein Zauber auf der Sprache liegt. Alle Menschen die dort hinkommen könnten ja Spione sein und erzählen wollen, dass es diese Welt gibt oder es beweisen wollen, und damit sie davon und von dieser Sprache nichts erzählen können, ist sie hier nicht verständlich, und genauso ist es andersrum.“

Geschafft lasse ich mich neben Alex auf das Sofa fallen. Ich habe es nur so halb verstanden. Ich verdränge die Information und konzentriere mich auf das Wesentliche.

„Okay und wie sollen wir jetzt in diese Welt kommen? Wie du weißt, geht es bei mir nur wenn ich schlafe und gestern zum Beispiel, bin ich dort nicht hingekommen.“ Frage ich ihn trocken.

„Das ist aber komisch. Eigentlich geht das gar nicht. Hmm… Also du kannst dich und auch mich… teleportieren. Das ist sicherer, weil wenn du schläfst, dann bist du nur mit dem Geist dort, während dein Körper hierbleibt. Deshalb könnten die Entführer, wenn sie wiederkommen sollten, einfach deinen Körper mitnehmen und du würdest bei ihnen wieder aufwachen. Das würde uns nicht im Geringsten weiterhelfen.“ Verunsichert aber auch entschlossen starrt er auf einem Punkt hinter mir und streicht über meine Hand. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass er sie genommen hat.

Ungläubig starre ich an.

„Ehrlich? Ja, das wäre schrecklich. Aber ich kann mich doch gar nicht teleportieren, ich bin doch nur ein gewöhnlicher Mensch. Hmm, warum wolltest du jetzt eigentlich, dass ich dir das Buch hole?“ frage ich ihn misstrauisch. Niemals kaufe ich ihm das ab. Als wenn das ginge.

„Doch, das ist einer der Sachen, die man als Legende kann. Weil ich wissen wollte, wie du in die Traumwelt gelangen kannst – jedoch ist es mir jetzt wieder eingefallen.“ Diesmal schaut er mich direkt an.

„Le…le… Legende?!“, erwidere ich stockend und nicht auf den letzten Satz eingehend. Wieder bin ich zu einem hilflosen Mädchen geworden, schwach und beeinflussbar.

„Ja, Legende. Du bist das Mädchen, das uns alle retten wird, die die Traumfänger aufhält, es sei denn, du überstehst diesen Albtraum.“

Wie konnte ich das vergessen? Ich war zu sehr auf das Buch, auf Alex fixiert, um überhaupt zu bemerken, dass er mir noch keine Antwort auf meine Frage gegeben hat.

Unbewusst hat er mir sie aber doch gegeben: Nein, ich werde nicht sicher sterben, ich habe noch eine Chance!

Neuen Mutes blicke ich ihn an, erwidere seinen Blick und ignoriere die Aussage, eine Legende zu sein, darum kümmere ich mich später.

„Wie kann ich uns teleportieren?“ frage ich geradeheraus, blicke ihn fest entschlossen an und erwidere den Händedruck.

 

Es ist mittlerweile schon Mittag und Alex und ich sitzen in meinem großen Garten in der Mitte auf dem Rasen. Ich habe es mir im Schneidersitz so gemütlich gemacht wie es nur geht, genau wie er und lausche motivationslos seinen Erklärungen, weil wir noch kein Stück weiter sind. Denn mittlerweile habe ich die Hoffnung schon aufgegeben. So wie er es mir erklärt, hört es sich auch leichter an, als es ist! Wie soll man auch bitteschön an nur einem Tag lernen sich zu teleportieren?! Den Mut, den ich heute Morgen noch hatte, ist jetzt schon wieder verschwunden. Das würde ich doch niemals schaffen!

Als erstes haben wir eine Konzentrationsübung gemacht. Dort musste ich die Augen schließen und durfte an nichts denken. Das Thema hatten wir ja schon mal. Ich habe schon schmerzlich festgestellt, dass es nicht klappt. Das wollte ich Alex auch weismachen, doch er unterbrach mich nur genervt. Schließlich tat ich doch, was er mir aufgetragen hat, doch ich schaffte es nicht. Danach zeigte er mir, wie er sich teleportieren kann. Als ich es sah war ich richtig erschrocken. Es war doch etwas anderes es zu sehen, als darüber zu sprechen. Und jetzt erklärte er mir, wie so was abläuft.

„Du musst deine Augen schließen und dir den Ort vorstellen, zu dem du willst. Doch du musst den Raum ganz genau, mit jeder kleinen Kleinigkeit, darstellen und du darfst an nichts anderes denken! Denn wenn du an etwas anderes denkst, sei es an deine Familie oder an die Welt, dann kann es nur schief gehen!“, erklärt er mir, als würde er es jeden Tag machen.

„Kannst DU dich nicht einfach teleportieren? Dann haben wir denn Stress auch nicht und können direkt dorthin“, frage ich ihn lustlos, mit einer hochgezogenen Augenbraue. Ich meine, wenn er es nicht kann, dann könnte er es mir auch nicht erklären, oder?

„Schon, aber ich kann nur mich teleportieren. Und nicht UNS. Deshalb musst du dich selber teleportieren können. Weißt du, du bist etwas Besonderes, weil du auch andere teleportieren kannst.“

„Und woher weißt du überhaupt, dass ich mich teleportieren kann? Steht es mir auf der Stirn geschrieben oder wie? Vor allem, woher willst du wissen, dass ich diese bescheuerte Legende bin? So wie ich gehört habe, gibt es für sie kein Verfallsdatum und was wäre, wenn in zwanzig Jahren oder Hundert – wer weiß – ein Mädchen kommen würde, wo die Legende GENAU zutrifft? Ich meine, kann man es denn überhaupt beweisen, dass ich es bin? Obwohl, ich kenne diese Legende gar nicht, kann ich sie nicht mal sehen?“, meine ich nun verständnislos und genervt, dabei verschränke ich meine Arme vor der Brust und lächle ihn spöttisch an.

„Ich bin mir ganz sicher! Wir sollten uns aber jetzt um das wichtigste kümmern – nämlich dich zu teleportieren! Und wenn ich dir jetzt die Legende zeigen würde, dann könntest du dich gar nicht mehr konzentrieren. Du kannst es ja jetzt noch nicht mal. Also lass uns weitermachen. Ich hab auch noch besseres zu tun!“

Wütend kneift er die Augen zusammen. Bei seinem Tonfall und seiner Lautstärke zucke ich zusammen. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er mich SO anschnauzt.

„Sorry…“ nuschle ich eingeschüchtert.

Etwas besänftigter entschuldigt er sich:

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht so anschreien, aber ich hab bald keine Nerven mehr. Wir sitzen hier schon drei Stunden und sind immer noch am Anfang. Also nimm es dir nicht so zu Herzen, okay?“

Fragend und entschuldigend schaute er in meine grünen Augen. „Ja, ist okay. Dann lass uns weitermachen. Ich konzentriere mich auch jetzt, versprochen.“ Ich lächle ihn an.

 

 

 

12. Kapitel

 

 

„Na gut. Also das wichtigste hab ich dir ja schon erklärt. Augen schließen, an den Ort denken usw. Also wir haben das Theoretische, jetzt müssen wir es nur noch in die Realität umsetzen. Am besten gehen wir ins Haus, suchen uns einen Ort aus, beispielweise das Wohnzimmer und dann prägst du ihn dir ein. Danach kommen wir wieder hierhin und dann versuchst du dich ins Wohnzimmer oder den Raum, den du dir ausgesucht hast, zu teleportieren.“

Elegant steht er auf und hält mir eine Hand hin, um mich hochzuziehen.

„Ich finde das Wohnzimmer ist ein guter Platz“, antworte ich auf seinen fragenden Blick hin, während wir im Hauseingang stehen.

Er zieht mich mit ins Wohnzimmer und ich lehne mich an die Wand, weil man von dort den besten Blick hat. Alex steht am Türrahmen gelehnt und beobachtet mich aufmerksam.

„Du weißt, was du zu tun hast?“, auf seine Nachfrage hin, antworte ich mit einem kurzen Nicken.

Dann versuche ich, was er mir Aufgetragen hat: Den Raum einzuprägen.

Mein Blick gleitet als erstes zu den Fenstern, die fast die ganze Wand einnehmen und mit einfarbigen gelben Gardinen behangen sind. Sie sind gegenüber der Tür angebracht und sehr riesig. Zudem sind sie in Quadrate unterteilt. Man hat von dort einen guten Blick auf den freundlichen Wald und erhascht auch einen Aussicht auf Eichhörnchen und Adler. Auf den Fensterbänken stehen große Kübel mit rosa Orchideen. Meine Lieblingsblumen. Es sind genau drei.

Dann schweifen meine Augen rechts weiter zu den Möbeln, die in Weiß gehalten sind. Der erste Schrank ist ein riesengroßer Glasschrank, der schon fast bis zur Decke reicht, dahinter erkennt man Porzellangeschirr und Weingläser. Darunter sind vier waagerechte Schublade im gleichen Stil angebracht. Neben dem Schrank sind noch zwei weitere, jedoch nur halb so groß. Darauf thronen Familienbilder und einzelne Bilder von uns.

Wir alle im Urlaub auf Kroatien.

Meine Einschulung.

Lucy und ich als Babys.

Die beachte ich aber gar nicht groß, sondern betrachte jetzt den großen Plasmafernsehen, der seitlich zu den Fenstern steht, und mit den Rücken zu den Schränken. Er steht auf einem kleinen Tisch. Gegenüber sind in Hufeisenform Sofas gestellt worden - sie stehen direkt nebeneinander, weshalb es gar nicht auffällt, dass es drei Sofas sind, und nicht nur eins. Die Sofas sind mit weißem Stoff überzogen, weswegen sie optisch gut zum Wohnzimmer passen und lassen den Raum gemütlich wirken. Man sinkt dort hinein, sodass man denkt, man sei im Paradies. Dort ziehen meine Eltern sich nach einem langen Arbeitstag zurück. Mein Vater, um Fußball zu gucken und meine Mutter, um dort in ihren Fachzeitschriften zu blättern.

Schmerzvoll schleicht sich der Gedanke in meinem Kopf, dass es ihnen jetzt nicht gut geht…

Aber daran darf ich jetzt nicht denken, also weiter: Vor den Sofas ist ein kleiner rechteckiger Glastisch gestellt worden, wo jetzt eine Schüssel mit farbigen Kieselsteinen seinen Platz hat. Laminatboden in einem hellen Braunton wurde hier angelegt und ein Teppich der die Sofas umgibt, liegt, mit Streifen, die in unterschiedlichen Tönen strahlen, - das wären alle erdenklichen Rottöne - auf den Boden.

Die Tapeten sind auch, in gestreifter Form, in Weinrot gehalten. An der Wand gegenüber den Fenstern befinden sich lange weitstreckende Regale. In einem Regal stehen nur Bücher - historische Romane, Krimis und sehr viele Bücher rund um Medizin. Mein Vater hat diese Bücher alle erworben, doch er hat wenig Zeit, um sie zu lesen. Es sind auch extra für mich Fantasy Bücher und Thriller hineingestellt worden, weil ich diese Genres gerne lese. Das Regal daneben beinhaltet nur DVDs und Videos. Es ist genauso wie das Bücherregal angeordnet worden.

Alles in allem ist das Zimmer und deren Inhalt ziemlich modern. Das Haus war sehr neu, als wir es gekauft haben.

Auch wenn wir noch nicht lange hier wohnen, fühle ich mich hier schon richtig zuhause. Traurig werfe ich noch einen letzten Blick auf das Wohnzimmer, bevor ich Alex zu verstehen gebe, dass ich fertig bin. Gemeinsam gehen wir wieder auf die Wiese. Dadurch, dass ich an meine Familie dachte, wurde ich richtig niedergeschlagen.

Wenn ich daran denke, was ich hier schon alles erlebt habe…

Meine Eltern und meine kleine Schwester sind weg und ich weiß nicht mal, ob ich sie je wiedersehen werde…

Ich bereue es, mich zu wenig mit ihnen beschäftigt zu haben.

Auch wenn Lucy und ich uns nicht immer gut verstanden und wir uns häufiger stritten, so liebe ich sie doch und vermisse sie jetzt. Auch meine Eltern, die fast immer arbeiten waren, aber wenn sie mal hier waren sich fast immer mit uns beschäftigten, liebe ich sehr.

Wenn ich sie nie wieder sehen könnte… dann… ich wüsste nicht was ich tun würde, aber ich würde daran zerbrechen, ganz sicher.

Missmutig senke ich den Kopf und setze mich wieder in Schneidersitz. Alex schaut mich fragend an, doch ich winke nur ab.

„Also…was muss ich jetzt tun?“, hake ich mit einem aufgesetzten Lächeln nach.

Er schaut mich noch einmal misstrauisch an, so ganz kauft er mir nicht ab, dass alles in Ordnung ist, und erklärt schließlich:

„Okay, da du dir ja jetzt den Raum eingeprägt hast, musst dir den Raum ganz genau vorstellen, mit dir darin. Zum Beispiel, wenn du auf dem Sofa sein willst, wenn du dich teleportierst, dann musst du dich auf dem Sofa vorstellen. Hört sich vielleicht einfach an, ist aber ein bisschen schwieriger. Du musst nämlich daran glauben, dass es geschieht. Wenn du nicht glaubst, dass es funktioniert, dann funktioniert es auch nicht. Außerdem darfst du an nichts anderes denken, du musst sehr konzentriert dafür sein. Aber das habe ich dir ja vorhin schon erklärt. Dann versuch es am besten mal. Und gebe nicht gleich auf, wenn du es nicht schaffst. Es ist schließlich noch kein Meister vom Himmel gefallen.“ Beim letzten Satz grinst er mich aufmunternd an.

Also gut, denke ich etwas fröhlicher. Dann darf ich jetzt nicht mehr daran denken…

Ich schließe meine Augen und verinnerliche das Wohnzimmer, wie ich auf dem Sofa sitze.

 

Nach etlichen Versuchen habe ich es immer noch nicht geschafft, dabei dachte ich, dass ich alles richtig mache. Ich bin richtig mutlos geworden und wollte erst aufhören, doch Alex hinderte mich sauer daran. Er meinte, dass ich es schließlich schaffen musste. Sonst würde ich nie wissen, was in dem Brief stand und weder wo meine Familie war, noch wer sie entführt hatte.

Meine Augen sind geschlossen, ich bin entspannt und ich stelle mir, wie so oft in den letzten Minuten, vor, im Wohnzimmer auf dem Sofa zu sitzen.

Ich glaube daran.

Einige Minuten sitze ich so.

Doch es klappt nicht. Frustriert schaue ich zu Alex. „Dann sollten wir es lieber morgen nochmal versuchen. Es war falsch, zu glauben, dass du es heute schaffen kannst.“, meint er ein bisschen enttäuscht, worauf ich grimmig die Miene verziehe.

„Ach, hast du es dir etwa so einfach vorgestellt und hältst mich jetzt für einen Nichtskönner?! Ich habe mir das auch nicht ausgesucht und weiß überhaupt erst seit letzter Woche, dass es so was wie dich und auch die Traumwelt überhaupt gibt. Jetzt ist auch noch meine Familie entführt worden und ich habe erfahren, dass sie oder zu mindestens meine Großmutter ein Geheimnis vor mir haben. Glaubst du, es ist leicht, sich dabei zu konzentrieren?“ Wütend funkle ich ihn an und verschränke die Arme vor der Brust. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre er jetzt wahrscheinlich schon tot.

„Hey, beruhige dich. Ich meinte doch gar nicht, dass ich dich für einen Nichtskönner halte. Und mir ist durchaus bewusst, dass du es nicht leicht hast. Ich habe nur gehofft, dass du es heute schaffst, dabei war mir von Anfang klar, dass wir es niemals an einem Tag schaffen. Selbst ich habe ich es erst nach Wochen geschafft, nur ich dachte, wenn du denkst, dass ich glaube, dass du es schaffst, dann denkst du das auch. Ich halte dich sogar für sehr gut. Du bist etwas Besonderes.“ Die letzten zwei Sätze nuschelte er so leise, dass ich es fast nicht verstand. Meine aufbrausende Haltung löste sich sofort auf. Entschuldigend sah ich ihn an.

„Tut mir leid. Es ist einfach zu viel für mich. Alle sind plötzlich gegen mich, da habe ich schlussfolgert, dass du es auch bist. Zudem bin ich ja jetzt in dem Albtraum und werde vielleicht sterben. Es war dumm von mir, dich so anzufahren. Verzeih mir.“ Unsicher schaue ich auf meine Hände, die ich auf meine Beine gelegt habe. Wieso bin ich so ausgeflippt? Er hat mit keinem Wort erwähnt, dass er mich schlecht findet. Und auch keine Andeutungen gemacht. Im Gegenteil. Wie komme ich dann nur darauf?

Naja, es ist doch ein Albtraum oder nicht? Müsste ich demzufolge nicht auch nur schlechtes erleben? Aber Alex verhielt sich total nett und er versuchte mir zu helfen und ich; was machte ich, ich schnauzte ihn nur an!

„Es tut mir leid. Gehst du jetzt etwa?“, murmle ich und habe Angst vor der Antwort. Würde er jetzt gehen und mich hier zurücklassen, ganz alleine? Müsste ich dann selber meine Familie finden und hier zurechtkommen, in einem Albtraum, wo sich bestimmt jeder gegen mich wendet?

Alex kommt auf mich zu gerobbt und umarmt mich ganz fest. Wieder rollen unzählige Tränen über meine Wange. Warum muss ich auch immer weinen, er hält mich mittlerweile bestimmt für eine Heulsuse. Beruhigend fährt er mit seinen Händen meine Arme rauf und runter. Und ich vergrabe mein Gesicht an seiner Halsbeuge und lasse meinen Tränen freien Lauf.

„Hey, alles ist gut. Ich bin dir nicht böse. Natürlich werde ich nicht gehen! Schon gar nicht jetzt. Da kannst du lange drauf warten. Erst finden wir deine Familie und befreien dich aus deinem Albtraum, dann sehen wir weiter. Wenn du mich dann immer noch loswerden willst, dann gehe ich auch freiwillig.“ Schmunzelt er, während er immer noch meine Arme streichelt.

„Das will ich gar nicht.“, näsle ich verschnupft. Darauf lacht er nur leise.

Nach einiger Zeit lasse ich von ihm ab und reibe meine Augen. „Drinnen ist bestimmt ein Taschentusch. Ich gehe mal eins holen.“ Ihm zulächelnd, falls man es als ein Lächeln bezeichnen kann, denn wirkt unglaubwürdig, gehe ich mit langsamen Schritten auf das Haus zu, während Alex noch immer auf der Wiese sitzt und mich auf meinem Blick hin aufmunternd anlächelt.

Bin ich froh, dass er hier ist. Was würde ich nur machen, wäre er nicht hierhergekommen?

Ich mochte ihn schon sehr, auch wenn ich ihn erst einmal im Traum getroffen hatte. Doch er wirkte so vertrauenswürdig, ich hatte das Gefühl, ich würde ihn schon immer kennen und ich schätze an ihm, dass er so lange mit mir auskommt, mir helfen will und mich versteht.

„Aber ob wir schon Freunde sind?“, frage ich mich zweifelnd. Inzwischen stehe ich im Bad und mustere mich.

Meine von Tränen verquollenen braun – grünen Augen sind fast glanzlos, Rot und man erkennt den Schmerz darin. Man weiß, dass etwas passiert sein muss. Ich sehe aus, als ob ich eine Leiche wäre oder ich Tagelang nicht geschlafen habe.

Ich habe tiefe Augenringe, die fast schon lila schimmern und bin so blass, wie ein Vampir. Meine Lippen sind schon sehr kaputt, was davon kommt, dass ich immer drauf gebissen habe. Dazu kommen noch die Schrammen, die ich mir zugezogen habe, als ich blindlings in den Wald gelaufen bin.

Meine blonden Haare, die mir etwas über die Schulter reichen, sind verknotet und strohig. Ich sehe aus wie eine Vogelscheuche!

Ich sollte duschen gehen, nahm ich mir vor. Wie kann es sein, dass ich immer noch in meinen matschigen Klamotten stecke?!

Naja, es gab schließlich wichtigeres…

Ich leide in letzter Zeit echt an Stimmungsschwankungen. Das sollte ich mal in Griff bekommen. Im einem Moment noch glücklich und dann, von einer auf die andere Minute, wütend.

Nachdem ich mir das Gesicht gewaschen habe und man mir fast nicht mehr ansah, dass ich geheult habe, gehe ich wieder zu Alex. Doch ich brauche gar nicht weit gehen, denn er ruft mich vom Wohnzimmer aus.

Ich haste die Treppe hinunter, stehe im Türrahmen und beobachte, wie er sich auf das Sofa gepflanzt hat.

Abwartend schaue ich ihn an. Denn ich sehe, dass er mir irgendwas zu sagen hat.

 

 

 

13. Kapitel

 

 

„Ich denke, es hat keinen Sinn mehr, uns weiter mit dem teleportieren zu beschäftigen, so wie es aussieht, kann es noch einige Wochen dauern, bis du es beherrschen kannst. Deshalb müssen wir auf eine andere Variante zurückgreifen, wenn auch eine unsichere. Aber es geht zu mindestens schneller.“ Meint er ein bisschen enttäuscht und fügt eine bedächtige Pause zu.

„Ja und welche?“

„Das du einfach einschläfst, dann gelangst du ganz automatisch zu der Traumwelt. Du schläfst, und wenn du dann eingeschlafen bist, teleportiere ich mich dahin. Wir hätten es schon sofort machen können, doch wie ich schon gesagt habe, besteht die Chance, dass du entführt wirst.“

„Ja, das klingt logisch. Dafür nehme ich aber das Risiko auf mich. Doch wenn es diesmal nicht klappt? Letztes Mal hat es ja auch nicht funktioniert und wenn es klappen sollte, weißt du ja gar nicht wo ich lande. Wenn ich wieder bei… Oh.“ Unwillkürlich schaue ich ihn ertappt an.

Ich unterbreche mich selber, weil ich diese Information ja gar nicht preisgeben darf. Es ist besser, wenn er nichts davon erfährt, dass ich den Traumfängern gerade noch entkommen konnte und mir… - wie hieß er nochmal? Ach ja - Alan, geholfen hat.

„Wenn du wieder bei was?“ hakt er etwas verwirrt, mit einer hochgezogenen Augenbraue, nach.

„Nichts, nichts“ sage ich nur und versuche ein Pokerface aufzusetzen und es möglichst unwichtig erscheinen zu lassen.

„Na gut, wenn du es mir nicht sagen willst, dann ist es deine Sache, aber du weißt, dass du mit über alles sprechen kannst… Okay, also das mit den Traum müsste klappen, denn dann war das eine Mal eine Ausnahme und du kannst bestimmen, wo du landen willst.“ Er schaut mich an. „Und wie?“ hake ich nach.

„Du musst nur, bevor du schläfst, den Spruch: „Azkar lortu dut – dann den Ort, zu dem du willst und dann - eta ez beste inon“ fünf Mal aufsagen und das war’s schon.“

„Und wie soll ich mir den merken?“

„Ich kann ihn dir vorsagen.“

„Na gut, dann los, je eher, desto besser.“ Neuen Mutes springe ich die Treppe hinauf und in mein Zimmer. Dann lasse ich mich auf mein Bett fallen.

Kurz darauf betritt auch Alex das Zimmer und bleibt im Türrahmen stehen, nicht wissend, was er machen soll. Auf einmal wirkt er wie ein kleiner hilfloser Junge. Interessiert betrachtet er mein Zimmer.

Einladend klopfe ich auf mein Bett, ich habe es mir schon gemütlich gemacht, doch nun rücke ich ein Stückchen nach rechts, damit er auch Platz hat.

Mit langsamen Schritten kommt er auf mein Bett zu und setzt sich dann auf die Bettkante. „Ich schlafe ja nicht, dann kann ich mich ja hierhin setzen…“

„... oder dich zu mir legen, dann ist es für dich bequemer.“

„Du lässt ja eh keine Ruhe, oder?“ fragt er mich, die Mundwinkel hochgezogen.

„Das hast du richtig erkannt. Also… leg dich hin.“ Grinsend schaue ich ihm in seine saphirblauen Augen, die glänzen.

Schließlich kommt er murrend meiner Aufforderung nach und legt sich neben mich, jedoch halb sitzend und lehnt sich mit dem Rücken gegen die Wand, am Kopfende.

„Okay, spreche mir jetzt nach….“

Er wiederholt den Spruch fünfmal, bevor er mir zulächelte und ich die Augen schließe. Ich soll zum Ort „Udaletxea“ (auf Deutsch: Rathaus) kommen.

Ich lausche dem Atmen von Alex, bevor ich zufrieden einschlummere.

 

*** *** *** *** *** *** *** *** *** ***

Als ich aufwache stelle ich fest, dass ich auf etwas hartem liege. Wahrscheinlich eine Straße oder Erde. Langsam setze ich mich und reibe mir müde die Augen, um wieder klar sehen zu können. Danach sehe ich mich interessiert um und frage mich, wo ich bin.

Ich liege auf einer Bank, ohne Lehne - die anders als in meiner Welt aus Stein ist, was auch erklärt, warum sie so hart ist. Langsam setze ich mich auf, habe die Beine jedoch immer noch auf der Bank liegen. In Blickrichtung steht ein großes Haus, dessen Dach einige Rundungen aufweist und aus Backsteinen besteht. Es sieht richtig imposant aus. Daneben stehen Holzhüttchen, die doppelt so klein sind wie das große Haus, und in der Mitte ist ein Springbrunnen. Um den Springbrunnen sind Bänke aufgestellt worden; auf einer davon liege ich. Der ganze Platz, eingeschlossen den Holzhüttchen, bildet einen Kreis. Es wirkt, also ob es der Mittelplatz der Stadt ist. Also müsste das Haus dann das Rathaus sein? Hat Alex das nicht auch gesagt?

Die Betrachtung dauert ungefähr zwei Minuten und nach diesen zwei Minuten erspähe ich auf einmal Alex, der von links angelaufen kommt. Überrascht stehe ich auf und mustere ihn verwirrt. Wo kommt der denn auf einmal her?

Hallo. Gut dass du da bist, dann können wir ja jetzt los.“ Mit einer stummen Aufforderung in seinen Augen, stehe ich auf und gehe auf Alex zu, wieso ist der denn auf einmal so genervt? „Hi. Ja können wir.“ Murmle ich leise zur Begrüßung, bevor er auch schon zielstrebig auf das Rathaus zuläuft. Dabei müssen wir an dem Brunnen und den Bänken vorbei. Ich habe Mühe mit Alex Schritt zu halten und renne eher, als dass ich laufe. Meine Schuhe hallen laut auf dem Steinboden wieder und ich halte den Kopf schweigend gesenkt.

Wir passieren die Eingangshalle vom Rathaus.

Es sieht alles sehr imposant aus: weitläufige, breite Fluren und edel gekleidete Leute, die mich mit – wie ich meine - einem herablassenden Blick anstarren, sodass ich mich recht minderwertig fühle. Es kann aber auch sein, dass ich mir das nur einbilde. Ich versuche meine Haltung zu bewahren und die Blicke, die sich alle auf mich zu richten scheinen, zu ignorieren. Wir durchschreiten den Raum oder eher die Halle, ohne auch nur ein Wort an die vielen Leute, die in den Räumen herumwuseln, zu verschwenden. Beeindruckt bleibe ich manchmal stehen, um Skulpturen oder Gemälde zu bestaunen, doch laufe schnell weiter, wenn ich Alex aus den Augen verloren habe. Die Decke reicht bis drei Meter hoch und die Gänge sind doppelt so breit wie mein Zimmer, und das ist schon recht groß. Mamorboden ist hier angelegt worden und Stuckverzierungen zieren die Wände. Es ist alles so ansehnlich, dass ich sehr eingeschüchtert bin.

Wir laufen eine gefühlte Stunde, durch so viele Gänge, dass ich mich bestimmt verlaufen hätte, hätte ich mich hier eigenständig zurechtfinden sollen. Nach 10 Fluren habe ich aufgehört zu zählen.

Ich bemerke gar nicht, dass Alex stehengeblieben ist und wäre beinahe in ihn reingerannt, hätte ich mich nicht in der letzten Sekunde bremsen können. Überrascht schaue ich auf. Ich habe mich schon seit zwanzig Minuten nur schweigend darauf konzentriert mit Alex Schritt zu halten, sodass ich zu sehr vertieft war, um zu bemerken, dass wir mittlerweile von den Gängen abgekommen sind. Jetzt stehen wir vor einer drei Meter hohen, breiten Tür aus sehr edlem Holz. Vor der Tür positionieren sich zwei Männer, wahrscheinlich so was wie Türsteher, die mit ihren finsteren Mienen und den Speeren einen sehr furchteinflößenden Eindruck auf mich machen. Ängstlich mache ich mich hinter Alex klein.

Wir müssen zum Rat“, spricht Alex mit ernster Stimme und zusammengezogenen Augen zu den Wächtern.

Ohne ein Wort zu erwidern, was ich doch schon sehr unhöflich finde, öffnen sie die Tür, die mehr einem Tor gleicht, mit einem lauten knarren und treten schließlich beiseite.

Langsam schreiten wir durch die Tür.

Ah, hallo Alex. Wie schön, dass du uns mal wieder besuchen kommst. Wen hast du denn da schönes mitgebracht?“ Freudig springt eine junge Frau, mit einem sehr breiten Lächeln von ihrem Stuhl auf und läuft, oder schwebt eher, auf uns zu. Denn so wie sie läuft, sieht es so elegant aus, als wäre sie eine Elfe. Anscheinend war sie gerade damit beschäftigt ihren Arbeitsplatz, der aus einem riesigen Tisch und vielen Unterlagen besteht, aufzuräumen. Sie trägt einen bunten Flatterrock mit einer weißen, mit Blümchen aufgestickten, Bluse die sie in den Rock gesteckt hat, dass es aussieht wie ein Kleid, und hohen roten Schuhen, die auf dem Mamorboden klackern. Ihr Gesicht strahlt, als sei gerade die Sonne aufgegangen. Als sie bei uns ankommt, fällt sie Alex um den Hals, wobei ich einen kleinen Stich Eifersucht verspüre. Nun lächelt Alex auch.

Ich finde es auch schön dich wiederzusehen. Das da ist Sophie, der von der ich dir letztens erzählt habe. Wir sind hier, weil wir eine große Bitte an den Rat haben.“

Mit einem Nicken deutet er auf mich und ich fühle mich auf einmal sehr fehl am Platz. Wieder frage ich mich, warum er mir überhaupt hilft. Aus Mitleid? Und wieso lächelt er sie an und mich nicht?

Ich wende mich der Frau mit den goldgelockten Haaren zu, die sie sorgsam geflechtet hat. Mit ihren strahlenden, saphirblauen Augen und ihrer großen, schlanken Gestalt sieht sie wunderschön aus. Ich will ihr die Hand hinstrecken, doch bevor ich sie ganz oben habe werde ich auch schon unter einer Umarmung begraben. Ich rieche einen Blumigen Duft. Vielleicht Rosen?

Wie schön dich endlich mal kennenzulernen. Ich hab ja schon so viel von dir gehört. Aber du bist noch schöner und netter, als Alex es mir beschrieben hat. Ach je, ich hab mich ja noch gar nicht vorgestellt, wie unhöflich von mir, entschuldige. Ich bin Seraphina, aber du kannst mich ruhig Phine nennen. Wir werden bestimmt sehr gute Freunde werden.“

Mit einem Strahlen, das anscheinend in ihrem Gesicht festgewachsen ist, schaut sie mich – nachdem sie von mir abgelassen hat - fragend an. „Ja… Ja ich finde es auch schön dich kennenzulernen… Phine… und ich denke auch… dass wir gute… Freunde werden…“ Gebe ich, überrumpelt von ihrer Aktion und ihren Worten, mit gesenktem Kopf, leise zu und lächle zaghaft.

Ist sie nicht süß.“ Wendet sie sich nun an Alex. Dabei klingt es nicht wie eine Frage, sondern eher wie eine Feststellung. Alex zieht daraufhin lediglich eine Augenbraue hoch.

Nach diesen Worten werde ich rot und würde am liebsten im Erdboden versinken. Eigentlich habe ich versucht sie zu hassen, weil sie anscheinend an Alex interessiert ist, aber wie kann man so einen Sonnenschein nicht mögen?!

Oh je, hab ich euch etwa aufgehalten? Das wollte ich nicht, ich bringe euch sofort zum Rat.“ Etwas schuldbewusst schaut sie uns aus ihren saphirblauen Augen, die zu ihrem Namen passen, an, dabei scharrt sie mit den Füßen, schaut auf dem Boden und wirkt auf einmal sehr verlegen. Bevor wir jedoch was erwidern können, läuft sie schon los und nach ein paar Minuten der Verwirrtheit folgen Alex und ich ihr. Dabei müssen wir uns beeilen, weil sie schon fast die Mitte des Raums erreicht hat. Phine führt uns durch den großen Raum, der genauso groß wie die Eingangshalle ist. Dass hier genauso vielen Wesen, die uns aus ihren neugierigen Augen anstarren, wie in der Halle sind, nehme ich erst jetzt richtig wahr, sodass ich nun noch röter werde.

Schweigend, wobei nur Alex und ich schweigen, während Seraphina immer wieder Wesen grüßt, die an uns vorbeikommen, oder welche, die an Tischen sitzen und Papierkram erledigen, durchqueren wir den Raum.

Sie scheint sehr beliebt zu sein, aber das ist auch kein Wunder bei so einer Person, die nur Gute Laune verstrahlt und den ganzen Tag lächelt. Sie wirkt damit auf mich wie ein kleines Mädchen, dass noch zu klein ist, um Sorgen und Probleme zu haben.

Wir gehen wieder durch unzählige Gänge.

Endlich, es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, kommen wir an einer kleinen, unscheinbaren Tür an. Wenn es keine Klinke gäbe, hätte ich sie gar nicht bemerkt, denn sie sieht genauso aus wie die Wand. Neben der Tür, aber auch im ganzen Gang hängen verteilt Fackeln, weil es hier sehr dunkel ist. Denn vorhin haben wir einige Treppen in den Untergrund passiert. Hier unten sieht es gar nicht mehr so edel aus, wie oben, sondern es wirkt irgendwie unheimlich. Das erinnert mich an die Filme, wo welche Schätze finden wollen und in so einem Gang ums Leben kommen. Augenblicklich fährt mir ein kalter Schauer über dem Rücken.

Seraphina öffnet die Tür und schlüpft in den Raum, während Alex davor stehen bleibt und ich mich unsicher frage, was ich machen soll. Zum ersten Mal, seit wir das Gebäude betreten haben, spricht er zu mir und leider auch nur um zu erklären, warum wir hier stehen bleiben müssen: „Phine meldet uns bei dem Rat an, solange müssen wir hier warten. Es kann auch sein, dass sie uns jetzt nicht reinlassen, dann müssten wir später wiederkommen. Wenn sie uns hereinlassen, denke bitte an eines: Spreche nur dann, wenn du angesprochen wirst. Ansonsten lass mich einfach reden, okay?“ Stumm nicke ich. Die ganze Zeit, während er gesprochen hat, blickte er mich kein einziges Mal an. Das verletzt mich. Zuhause war er so lieb zu mir und hier beachtet er mich nicht mal. Ich sage ja, er hat das nur aus Mitleid getan, stelle ich traurig und enttäuscht fest. Ich fühle mich richtig nutzlos, wie eine Last.

Phine kommt lächelnd wieder raus. Kann die auch mal NICHT Lächeln? Ist es wirklich festgewachsen oder nur eine Krankheit, dass sie hier die ganze Zeit wie die Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“ herumläuft?! Das geht mir langsam auf die Nerven, vor allem wie die Alex schon wieder so anlächelt. Ich kriege noch die Krätze.

Mit einer Umarmung – mal wieder – verabschiedet sie sich von Alex, da sie wieder arbeiten muss. Dabei flüstert sie ihm etwas ins Ohr. Bevor ich Alex hinterherlaufen kann, der gerade die Tür passiert, drückt Phine mich auch noch mal ganz fest und flüstert: „Viel Glück. Wir werden uns hoffentlich noch öfter sehen.“ Und bevor ich noch was erwidern kann, hüpft sie schon wieder durch den Gang zurück. Ich sehe ihr nur verwirrt hinterher. Jetzt fehlt nur noch, dass sie pfeift, denke ich ironisch, bevor ich mich beeile Alex einzuholen. Der Raum den ich betrete, ist eigentlich sehr leer, außer den vielen Gemälden die an der Wand hängen, von berühmten Personen vermute ich mal, und einem sehr großem und langen runden, sogar sehr hohen Tisch, wo rundherum Stühle stehen. An einer langen Seite stehen aber edlere Stühle als auf der anderen Seite. Er thront auf einer Erhebung, sodass ich meinen Kopf heben muss, um zu dem Tisch gucken zu können. Der Tisch besteht aus einem edlen Holz und wurde mit einer roten Satindecke überzogen. Der Boden ist wie in der Eingangshalle aus teurem Mamor - anders als in den Gängen, die aus Steinboden sind - und die Decken sind mit hellen und sehr großen Fliesen bedeckt. Mich wundert es, dass der Raum gar nicht so groß ist. Höchstens sieben Meter lang.

Erst jetzt fallen mir die Leute oder Wesen auf, die aus einer Holztür kommen, die hinter dem Tisch ist und genau wie die Tür, durch die wir gegangen sind, fast unsichtbar aussieht.

Es sind insgesamt fünf Personen, drei Männer und zwei Frauen, sie alle sehen sehr reich und majestätisch aus. Alle haben sie lange Gewänder an – in unterschiedlichen Farben, die Frauen tragen rote, die Männer blaue Gewänder – und die Stühle vor dem Tisch, an denen sie jetzt Platz nehmen, muten an wie Königsthrone, groß und genauso geformt. Der Rücken ist rot und mit Satin überzogen, aber die Ränder formen sich wie eine Krone und strahlen goldgelb.

Zudem haben sie alle den gleichen Ausdruck im Gesicht: Sie alle gucken ernst und gefasst drein, fast bitter.

Automatisch mache ich mich etwas kleiner und bekomme Angst.

Angst vor dem Rat, weil sie so finster schauen.

Angst, dass sie mich verurteilen, ja sogar bestrafen.

Angst, dass sie mir nicht helfen (können) und ich am Ende doch sterbe.

Aber am meisten habe ich Angst, dass meiner Familie etwas passiert. Oder schon passiert ist.

Nun, Alex, Sophie. Setzt euch.“ Mit einer Handbewegung deutet ein älterer Mann auf die Stühle vor uns und nickt uns zu. Er besitzt schulterlange graue Haare. Wir setzen uns, dabei frage ich mich aber, woher er meinen Namen weiß.

Ich bin Hares, die zu meiner rechten Seite sind Alasaah und Lucia und zu meiner linken Meikes und Julién. Dann erzählt mal, was ist euer Anliegen? Was können wir für euch tun?“

Leise murmelt er noch hinterher: „Bringen wir es hinter uns.“ Seine Falten lassen darauf schließen, dass er nicht oft gelacht hat, zu mindestens sieht es für mich so aus. Er hat seine großen Pranken gefaltet auf den Tisch gelegt und blickt uns aus seinen grauen, weisen Augen mit einem hellblauen Stich, fragend an.

Vor einigen Tagen gelangte Sophie in diese Welt. Wie wir erfahren haben, passt die Legende mit dem Mädchen, das Dimitri besiegt, genau auf sie zu. Doch sie ist in einen Albtraum geraten und man hat ihre Eltern und ihre Schwester entführt, alles deutet auf die Traumfänger. Außerdem hat sie ein Traumtagebuch und wir haben einen sehr alten Zettel gefunden, der in einer anderen Sprache, aber an Sophie gerichtet ist. Wir bitten darum, ihr zu helfen und ihre Familie zu befreien. Wir wissen nun auch, wer ihre Großmutter ist.“ Alex macht eine bedeutende Pause.

Wer ist deine Großmutter?“ meldet sich nun eine junge Frau, mit hexenroten Haaren, zu Wort. Dabei blickt sie mich auffordernd an. Sie besitzt ein blaues Schmetterlings Tattoo auf der linken Hälfte ihres Gesichtes. Es zieht sich vom Haaransatz bis zu ihrer linken Augenbraue.

Sonia Deram.“ Gebe ich leise zu, wobei ich meinen Kopf gesenkt halte. Unter dem Tisch knete ich nervös meine Hände. Sofort sind alle Blicke auf mich gerichtet. Langsam hebe ich den Kopf und bemerke, dass alle erschüttert aussehen.

Stimmt das, Alex?“ fragt die Frau zweifelnd. Als wenn ich lügen würde, denke ich sauer.

Ja, Meisterin Alasaah. Sie spricht die Wahrheit.“ Erwidert Alex ernst.

Das ändert die Sache aber um einiges.“ Meint nun ein junger Mann, mit schwarzen, kurzgeschorenen Haaren und einem Kapuzenumhang. Seine Miene ist verbittert verzogen.

Nein, schließlich kann niemand beweisen, dass sie es wirklich ist. Und selbst wenn, dann heißt es nicht, dass sie besonders ist, gar die Legende. Wahrscheinlich ist sie nur ein ganz gewöhnliches Menschenmädchen, das sich die Frechheit erlaubt, hier Privilegien zu ergaunern, nur weil sie die vermeintliche Enkelin von Sonia ist. Sonia hatte keine Kinder. Das weiß jeder. Und ich sehr genau, schließlich waren wir Freundinnen. Und wenn sie keine Kinder hatte, dann kann sie auch keine Enkelin haben.“

Eine ältere Dame mit kurzem grauem, voluminösem Haar, starrt mich eindringend an, wobei ich merklich zusammenzucke. Mit ihrer Brille, den heruntergezogenen Mundwinkeln und den tiefen Furchen in ihrer Stirn sieht sie sehr streng aus.

Wer sagt denn, dass sie es nicht beweisen kann? Sophie, hast du Beweise?“ meldet sich wieder der mit den schwarzen Haaren, wahrscheinlich Meikes, zu Wort.

Ähm… j..ja. Ich hab einen Zettel und… und ein Buch.“ Hektisch und unsicher blicke ich mich um und schaue schließlich fragend zu Alex. „Die Bücher sind im Moment bei ihr zu Hause.“, gesteht Alex.

Das ist natürlich sehr schlau.“ Meint die alte Frau nun sarkastisch.

Und was machen wir jetzt? Wir können schließlich nicht mit Sicherheit sagen, ob sie die Enkelin von Sonia ist. Aber wenn sie es wirklich ist und auch die Legende, dann dürfen wir sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Wir haben die Aufgabe unser Dorf zu unterstützen und wenn Dimitri so weiter macht, haben wir ehrlich gesagt versagt. Ich bin dafür, dass wir sie jetzt nachhause schicken mit dem „hauts lotan“ und sie morgen abholen und sie uns dann beweisen lassen, dass sie es wirklich ist.“ Mischt sich nun ein junger Mann, der gerade mal wie 15 Jahre aussieht und sich bis jetzt noch nicht zu Wort gemeldet hat, ein.

Alle blicken ihn überrascht an. Wahrscheinlich haben sie gar nicht bemerkt, dass er auch noch anwesend war.

Was hast du das denn zu bestimmen? Bilde dir nichts drauf ein, dass du hier sitzt. Wenn ich das entscheiden müsste, würdest du noch nicht mal auch nur in die Nähe hiervon kommen! Ich würde sie einfach wieder nach Hause schicken und sich selbst überlassen. Alle Menschen sind doch Lügner und immer nur auf Macht aus, sie bestimmt genauso! Der einzige Mensch, der wirklich nett war, war Sonia, aber alle anderen danach haben nur gelogen. Wer sagt, dass sie nicht lügt?“ herrscht nun die ältere Frau. Damit macht sie sich aber auch keine Freunde, denke ich bitter.

Ich sitze aber hier im Rat und demzufolge habe ich auch eine Stimme und ich denke…“

Er wirft den anderen einen bedeutenden Seitenblick zu.

„… dass die anderen hier auch meiner Meinung sind.“ Er schenkt der Frau einen arroganten Blick.

Da muss ich ihm allerdings Recht geben, Lucia, er ist genauso ein Teil des Rates wie du und hat demzufolge auch das gleiche Recht. Du hast kein Befugnis, so mit ihm zu sprechen.“ Ernst blickt der ältere Mann Lucia an. Doch sie schaut nur verbissen und wütend weg, anstatt zu protestieren.

So wie er mit den anderen spricht und entscheidet, sieht es so aus, als sei Hares der Anführer oder das Oberhaupt des Rates.

Okay, ich denke, wir haben uns jetzt geeinigt. Sophie, du und Alex geht jetzt wieder in die Menschenwelt und packt eure Sachen. Morgen um Punkt vierzehn Uhr erscheine ich am alten Brunnen, Alex weiß wo das ist, und erwarte euch genauso pünktlich! Du nimmst die Beweise mit und alles was du brauchst. Hier ist das Pulver, davon kriegst du einen traumlosen Schlaf und die Traumfänger können dir nichts tun. Ist das klar oder hast du noch Fragen?“ beendet schließlich der alte Mann mit den langen grauen Haaren, der sich auch als erstes zu Wort gemeldet hat, die Diskussion und schaut mich nun entschlossen an. „Ne… Nein, ich hab alles verstanden.“ Sage ich schüchtern und nehme das blaue kleine Tütchen, das er mir reicht.

Also gut. Dann sehen wir uns morgen. Macht’s gut. Alex, Sophie.“ Nickt er uns zum Schluss zu und dann macht er sich wieder mit den anderen auf dem Weg und verschwindet durch die Tür. Tief atme ich aus. Puuh, das ist ja nochmal gutgegangen, denke ich erleichtert. „Das ist ja besser gelaufen, als ich gedacht habe.“ Grinst Alex mich nun an. Ich ziehe irritiert die Augenbraue hoch. „Besser? Für mich war das die Hölle. Vor allem diese Lucia.“

Glaub mir, wenn du öfter bei so einer Verhandlung dabei bist, ist es am Ende nur noch lustig, wie sie sich gegenseitig necken.“

Für mich sah das eher nach beleidigen, niedermachen, fertigmachen, aber niemals nach necken aus! Vor allem, wie sie über mich gesprochen hat!“

Ach was, das ist doch nur Spaß, das machen die den ganzen Tag, ich hab schon schlimmeres erlebt, aber jeder weiß, dass Julién im Grunde wie ein Sohn für Celia ist. Und sie ist allen Menschen gegenüber abgeneigt, weil es ihr schwer zu schaffen gemacht hat, als Sonia plötzlich verschwand. Sonia war die beste Freundin von ihr, und sie leidet unter den Ungewissen, ob Sonia noch lebt oder nicht.“

Wenn du meinst… das wusste ich nicht… mal ein anderes Thema: Wie wache ich jetzt wieder auf?“ Das ist im Moment mein größtes Problem. „Du musst den Spruch von gestern wieder fünfmal sagen, doch anstatt des Rathauses musst… ach vergiss es. Sprich mir einfach nach.“

Das mache ich auch und schneller, als ich das Wort „Zuhause“ aussprechen kann, bin ich auch schon in meinem Bett.

*** *** *** *** *** *** *** *** *** ***

 

 

 

14. Kapitel

 

 

Ich wache am Morgen um ungefähr sieben Uhr auf. Noch im Halbschlaf tapse ich mit kurzen Schritten erst die Treppe hinunter und laufe in die Küche, um mir einen starken Kaffee zuzubereiten. In der Zeit, wo er kocht, renne ich die Treppen hinauf und entspanne mich unter einer heißen Dusche. Als ich, mit einem Handtuch um den Körper gebunden, herauskomme, ganz vertieft in meine Gedanken, bemerke ich Alex, der in meinem Zimmer verschwindet. Verwirrt laufe ich ihm nach und sehe ihn in meinen Schränken herumwühlen. „Was genau machst du da?“ frage ich sauer und tippe im Takt mit meiner Fußspitze auf den Boden, eine Hand in die Hüften gestemmt, die andere muss das Handtuch oben halten. Ertappt und unsicher dreht er sich zu mir um. Wild wandern seine Augen hin und her. „Also… Ich… Ich habe das… Buch gesucht…“ Unsicher kratzt er sich an seinem Kopf, wobei ihm eine widerspenstige schwarze Haarsträhne ins Gesicht fällt. „Und warum hast du mich nicht gefragt, anstatt einfach in meinen Sachen herumzuwühlen? Naja, ist ja jetzt egal. Das Buch, oder eher gesagt die Bücher, sind unter meinem Bett.“ Er macht schon Anstalten, sich dort hinzubewegen, doch ich stoppe ihn mit einer Handbewegung. „Ich mach es schon selbst!“ Auf meine Ansage hin knie ich mich vor meinem Bett und greife darunter. Meine Hände fassen sie und ich hole sie hervor. Sie sind schon wieder ganz verstaubt. Kräftig puste ich über die Einbände und lächele dann zufrieden. „Siehst du. So einfach geht das. Das Suchen hättest du dir auch erspart, wenn du mich gefragt hättest. Wo warst du eigentlich?“

„Ähm… also ich will ja nicht unhöflich sein, aber du solltest dir lieber erst mal was anziehen.“

Mit roten Wangen wird mir bewusst, dass ich bis jetzt nur ein knappes Handtuch umhabe. Um die peinliche Stille zu durchbrechen, murmle ich: „Dann gehst du am besten jetzt raus, damit ich mich anziehen kann.“

Er braucht erst ein paar Minuten, bevor er sich auf dem Weg zur Tür macht. Dort bleibt er aber nochmal stehen. „Wir müssen um vierzehn Uhr unten sein. Du solltest dir schon mal Gedanken machen, was du alles mitnehmen willst. Ich weiß nicht, wie lange wir da bleiben, das können nur ein paar Tage sein, aber auch Monate, im schlimmsten Fall Jahre, deshalb rate ich dir, alles einzupacken, was du nicht hierlassen willst, was für dich wichtig ist. Nur pack nicht zu viel sein, das Gewicht belastet dich nur unnötig und Klamotten gibt es da genug.“

Dann tritt er hinaus und schließt die Tür hinter sich.

Nachdenklich krame ich in meinem Schrank. Ich greife eine dunkle Bluejeans und ein braunes T- Shirt mit V- Ausschnitt heraus. Dazu noch eine graue, dünne Strickjacke und eine Kette mit einem Silbernen Herz Anhänger.

Fertig angezogen und mit den Sachen, die ich einen großen Rucksack gepackt habe, gehe ich ins Wohnzimmer. Die Sonne scheint hell in den Raum, welcher sogleich freundlicher wirkt.

Ich lasse mich mit einem fröhlichen „Na, was schaust du denn?“ neben Alex auf dem Sofa fallen, der gerade eine Tierdokumentation anschaut - etwas über die Reise der Pinguine. Er beachtet mich jedoch gar nicht.

Schmollend ignoriere ich ihn ebenfalls. Nach einer Stunde seufzt er schließlich leise. So vertieft in die Doku erschrecke ich mich und falle fast vom Sofa, weil ich so zusammengezuckt bin. Daraufhin guckt er mich erst überrascht an, aber als der Damm gebrochen ist, fällt er in ein schallendes Gelächter, er muss sich schon den Bauch halten, weil er so sehr lacht. Ich boxe ihm in die Seite und versuche ihn grimmig und beleidigt anzuschauen, doch so ganz gelingt es mir nicht das Grinsen, was sich auf mein Gesicht gebahnt hat, zu unterdrücken.

Jedoch hört er irgendwann wieder auf. „Ich denke, wir sollten uns so langsam auf dem Weg machen. Denn der Fußmarsch wird so um die vier Stunden dauern. Deswegen sollten wir lieber jetzt losgehen, falls es unterwegs noch einen Zwischenfall geben sollte“, meint er jetzt ernst, es ist ihm nun gar nicht mehr anzusehen, dass er vorhin noch so gelacht hat.

„Vier Stunden?! Bist du des Wahnsinns? Ich hatte zwar nach langer Zeit wieder einen erholsamen Schlaf, doch wo du es jetzt sagst, krieg ich allein beim Gedanken, Fuß – und Rückenschmerzen. Nicht zu vergessen Verspannungen.“

„Jetzt übertreib mal nicht! Das ist doch kein Weltuntergang! Du kriegst auch immer sofort fast alles in den falschen Hals. Sei froh, dass es nur vier Stunden sind. Ich musste einmal einen halben Tag da hinlaufen – und ich hab mich nicht beschwert.“

„Warum müssen wir denn solange laufen? Kann er sich nicht einfach hierhin teleportieren?“, frage ich leiser, etwas schuldbewusst.

„Er kann hier nicht hinkommen – obwohl hinkommen schon, aber er könnte uns dann nicht teleportieren, sondern nur sich. Um mehrere zu teleportieren braucht man viel Energie und diese zieht man sich aus Natur. Manche nutzen die Wasser -, andere die Feuer – und wiederrum andere die Luftenergie. Hares kann sich am besten bei Wasserenergie teleportieren, deshalb gehen wir zu dem alten Brunnen.“

„Achso“ murmele ich etwas geknickt und schlurfe mehr zur Haustür, als das ich laufe. Dort ziehe ich mir extra dicke Stiefel und eine dicke Jacke an und schlinge mir meinen beigen Schal um den Hals. Schließlich herrschen draußen Minusgrade. Alex hat sich in der Zeit auch schon fertig gemacht und wartet nun auf mich.

Ich wende mich gerade zu Alex um, meinen riesigen Rucksack (es wurde doch mehr als erwartet) in der Hand, als er schmunzelnd meint: „Du hast noch was vergessen.“ Scharf denke ich nach, etwa eine Mütze? Da fällt es mir siedend heiß ein. Bevor Alex noch was sagen kann, spurte ich schon die Treppe hoch, schnappe mir die Bücher, die ich auf dem Bett deponiert habe, damit ich sie nicht vergesse und greife noch nach meiner Kette, die ich von meiner Mutter zum siebten Geburtstag bekommen habe und jetzt als Glücksanhänger dient, ehe ich die Treppe hinunter haste.

„Hab sie.“ Freudig wedele ich ihm, mit den Büchern in der Hand, zu, ehe ich mich zu ihm geselle.

Schweigend machen wir uns auf den Weg, nachdem ich dem Haus noch einen letzten sehnsuchtsvollen Blick geschenkt habe. Wir passieren einen kleinen Waldweg, in dem Wald, wo auch die Ruine ist. Ich laufe ihm einfach hinterher und denke darüber nach, was mich wohl in der Welt so alles erwarten wird. Dass es da sehr viele Wesen und eine wunderschöne Natur gibt, das weiß ich ja schon. Aber mich interessiert ihre Kultur und auch Politik. Gibt es dort eine Demokratie oder ist es doch eine Diktatur? Leben sie wie hier und existieren dort auch Geschäfte und Geld? Gibt es dort auch richtige Familien?

So in Gedanken versunken wäre ich fast gegen einen Ast gelaufen, der schräg über den Waldweg gewachsen ist. Er gehört zu einer riesigen Fichte, die bestimmt schon uralt ist. Abgenagte Baumrinde und Pilze lassen das erkennen. Erschrocken springe ich zurück, schon fast in Panik. Hätte ich es nicht bemerkt, ich wäre glatt davor gelaufen und das würde, bei dem Tempo welches ich drauf hatte, bestimmt eine dicke Beule geben. Ich musste ja irgendwie Alex folgen können, der mit seinen riesigen Schritten schon fast rannte.

Alex mustert mich besorgt und fragt ob alles okay sei. „Klar, alles bestens. Vielen Dank übrigens, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast, “ bemerke ich sarkastisch. Ich versuche mich zu beruhigen und atme tief ein und aus.

„Wusste ich doch nicht, dass du so blind bist. Selber schuld. Ich wollte nur nett sein.“ Verärgert geht er stur weiter und lässt mich irritiert zurück.

„Hey, jetzt warte doch. Es tut mir leid, ich wollte dich nicht so anschnauzen.“ Anstatt mir zuzuhören, läuft er einfach, sogar noch schneller als vorher, weiter. Ich renne ihm hinterher.

„Alex. Bitte geh langsamer. Sei nicht sauer… Es tut mir ehrlich leid, es ist mir einfach rausgerutscht. Ich war einfach nur so geschockt… und… naja. Es tut mir leid. Entschuldigung.“

Er guckt mich zwar immer noch nicht an, aber zu mindestens hat er sein Tempo gedrosselt.

Wir setzen unseren Weg schweigend fort, aber diesmal ist diese Stille unangenehm. In letzter Zeit bin ich echt fies. So bin ich doch nie! Wieso gerade jetzt?

Laut seufze ich auf und fahre mir verzweifelt durch meine Haare, dabei ignoriere ich jetzt Alex, der mich verwirrt anschaut.

Irgendwann kommen wir an einen Bach an, der leise vor sich hin plätschert. Mir bleibt der Mund offen stehen und ich setze meine Tasche ab, da sie mittlerweile bei mir Rückenschmerzen verursacht. Hätte ich nur auf Alex gehört und weniger eingepackt.

Erst jetzt fällt mir diese wunderschöne Natur auf. Wir stehen auf einer Lichtung - die Wiese glitzert im Sonnenschein noch vom morgigen Tau und Blumen in allen Regenbogenfarben verströmen einen herrlich süßen Duft. Ich bin mittlerweile, genau wie Alex, stehen geblieben, um diese prächtige Umgebung zu bewundern. Entspannt lausche ich den Geräuschen der Natur, da sind die Vögel, die munter zwitschern, das Brummen der Bienen vom Bienenstock auf den Baum, der eine ellenlänge von uns entfernt steht, ich höre das Gescharre und das Rascheln im Unterholz, das flüstern der Bäume - die Blätter segeln rauschend, sowie tanzend auf den Boden.

Ohne darüber nachzudenken schmeiße ich mich lachend auf einen Berg von Blättern. Alex sieht mir verstört zu, bevor er anfängt zu schmunzeln, er schließlich anfängt zu lachen und sich neben mich fallen lässt. Wir achten gar nicht auf die Zeit, das ist uns in dem Moment egal. Der Streit von vorhin ist längst vergessen und wir albern ausgelassen wie kleine Kinder herum. Das tut mir, nachdem was mir bisher geschehen ist, aber richtig gut. In dem Augenblick vergesse ich alle meine Probleme und Sorgen und lebe einfach nur im Hier und Jetzt.

Alex schmeißt mich feixend mit Blättern ab. Ich stehe sofort auf und flüchte vor ihm, verstecke mich hinter einem Gebüsch, doch da ich immer noch einen Lachkrampf habe, den ich nicht unterdrücken kann, bemerkt er mich natürlich. Ich zucke erschrocken, aber weniger überrascht zusammen, als er mich von hinten am Arm packt, damit ich nicht flüchten kann und mich mit den taunassen Blättern einreibt. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu lachen, doch ich will auch gar nicht aufhören, weil es einfach befreiend ist. Wie lange ist es her, dass ich so ausgelassen gelacht habe? Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Schließlich schaffe ich es doch mich zu befreien und packe einfach alles, was mir in die Finger gerät, drehe mich blitzschnell, bevor er begreifen kann, was ich vorhabe, um und seife ihn gleichermaßen ein wie er es gerade mit mir gemacht hat.

Nach einer Schlacht, in der wir beide versuchten, den anderen einzuseifen, ohne selbst was abzubekommen, lassen wir uns auf die Wiese fallen und sehen einfach nur in den Himmel. Eine angenehme Stille breitet sich aus und jeder hängt seinen Gedanken nach. Nach, wie es schien, einer Ewigkeit räuspert sich Alex jedoch.

„So gerne ich auch noch hierbleiben möchte, wir müssen los. Es ist noch eine weite Strecke und wir haben noch nicht mal die Hälfte geschafft. Ich würde vorschlagen, dass wir jetzt erst noch was Essen und uns dann auf den Weg machen.“

„Oh, wie Schade, es ist gerade so schön hier. Aber du hast Recht. Wenn es am schönsten ist, soll man ja bekanntlich aufhören.“

Traurig starre ich auf den Boden.

„Hey, nicht traurig sein, in meiner Welt gibt es noch viel schönere Orte als hier. Ich kann dir ja mal meine Lieblingslichtung zeigen, wenn du möchtest.“

„Ja, das wäre schön. Danke für das Angebot, “ strahlend blicke ich in an und er erwidert meinen Blick gleichermaßen.

 

Zusammen essen wir etwas von den Früchten, die unweit von uns an einen Baum hängen. Ich weiß gar nicht wie sie heißen, denn solche Früchte habe ich noch nie in meinem ganzen Leben gesehen. Alex hat mir auf meinen verwunderten Blick hin erklärt, dass sie aus seiner Welt kommen. Jemand muss, als er sich vom Brunnen aus her teleportiert hat, diesen Samen gepflanzt haben.

Die Frucht hat die Form einer Birne, eine samtweiche, pfirsichrote Haut wie Pfirsiche und schmeckt sehr saftig und süß wie eine Pflaume.

Erst wollte ich sie nicht essen, da sie mir komisch vorkam. Wer weiß, ob sie vergiftet ist. Normalerweise rühre ich sowieso nichts Neues an. Nicht, bevor ich weiß, ob es gefahrlos ist.

Doch als Alex sie aß und er nach weiteren Minuten nicht tot umfiel und mir beim Anblick das Wasser im Mund zusammenlief und mein Bauch auffordernd knurrte, komme ich meinem Verlangen nach und esse die Frucht. Und es ist ein Traum. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so etwas Leckeres gegessen habe. Alex ermahnt mich, dass ich nicht so viele essen soll, da sie sehr satt machen. Doch, da ich denke, dass es nicht so schlimm wird, höre ich nicht auf ihn.

Nach sieben oder acht Papyras, der Name dieser Frucht, so genau habe ich nicht mitgezählt, lasse ich mich voll und mit Bauchschmerzen an einem Baum nieder.

„Bist du etwa schon satt?“, fragt mich Alex schelmisch, da er genau weiß, wie voll ich bin.

Ich antworte nicht, sondern starre ihn nur mit meinem Todesblick an.

Lachend lässt er sich neben mir nieder.

Nach fünf Minuten erhebt er sich, klopft sich den imaginären Staub von den Hosenbeinen und sagt in einem auffordernden Ton:

„Na los, auf, auf, wir haben noch einen langen Weg vor uns. Nicht trödeln!“

„Dein Ernst? Ich hab aber solche Bauchschmerzen, du kannst doch schon mal vorgehen, ich komme bestimmt nach, “ log ich ihm vor. Denn so wie es mir im Moment ging, würde ich nicht mehr laufen – in den nächsten Tagen.

Träge schaue ich ihn flehend an. Wie immer, wenn man sich so richtig vollstopft hat, ist man richtig motivationslos und hat keine Kraft so einen langen Weg zu überwinden.

„Du weißt genauso gut wie ich, dass du hier einschlafen wirst und ich dich dann nachher hier abholen darf. Also mach es uns nicht noch schwerer, als es eh schon ist. Du weißt, ich habe dich gewarnt. Wer nicht hören will, muss fühlen.“

Das letzte sagt er mit einem kleinen Grinsen.

Er zieht mich an meinen Händen hoch und macht sich auf den Weg, dabei achtet er genau darauf, dass ich nicht so weit hinter ihm bin. Trotz meiner Bauchschmerzen und Trägheit schaffe ich es mit ihm mitzuhalten, was mich erstaunt.

 

 

 

15. Kapitel

 

 

„Wo ist denn der Brunnen? Etwa das da?“

Skeptisch blicke ich den Brunnen, oder das, was von ihm übrig geblieben ist, an. Mittlerweile sind wir stehen geblieben, mit der Begründung, wir seien da. Alex nickt nur zur Antwort. Anscheinend ist er die Diskussionen leid. Kann ich aber auch verstehen.

Der Brunnen sieht aus wie eine kleine Ruine. Die Steine sind morsch und Moos und Unkraut sprießt aus jeder kleinen Lücke.

„Wann, hat der Typ gesagt, treffen wir uns nochmal? Wie viel Uhr ist es überhaupt?

Frage ich neugierig nach, ich hab mich auf den Rand des Brunnens gesetzt, während Alex einfach da stehen bleibt, wo er stehengeblieben ist.

„Der Typ hat gesagt: um Punkt vierzehn Uhr – also genau jetzt.“

Ertönt auf einmal eine dunkle, alte Stimme hinter mir. Fast wäre ich in den Brunnen gefallen, oder in dem was davon übrig geblieben ist, so geschockt bin ich. Mein Herz rast richtig und ich setze schon meinen allesvernichtenden Todesblick auf, da erkenne ich, wer unweit hinter mir steht. Aber wie heißt der nochmal, mir fällt der Name nicht mehr ein.

„Guten Tag, Hares. Schön dich zu sehen.“ Damit erübrigt sich die Frage nach dem Namen. Kurz verbeugt Alex sich und ich weiß nicht, ob ich das auch machen soll. Andächtig versuche ich elegant von der Kante zu rutschen – was mir nicht gelingt, also das elegant sein, nicht das herunterrutschen - und begebe mich zu Alex und Hares, die nicht unweit entfernt an einem Baum stehen.

„Die Freude ist ganz meinerseits. Ich entschuldige mich dich so verschreckt zu haben, das ist nicht meine Art, “ richtet er seinen zweiten Satz an mich.

Mir ist es immer noch peinlich und so druckse ich nur etwas herum, während ich mit meinen Fingern spiele, da ich nervös bin.

Schließlich schicke ich mich doch an, etwas zu sagen.

„Ist nicht schlimm. Wollen wir es dann hinter uns bringen…?“ In der Erwartung gleich teleportiert zu werden, schließe ich meine Augen.

„Junges Fräulein, so einfach ist es aber nicht, “ lacht auf einmal Hares los. Auch Alex fällt in sein Lachen mit ein. Meine Wangen gleichen mittlerweile überreifen Tomaten und ich würde am liebsten im Erdboden versinken. Verlegen schaue ich auf den Boden und spiele mit meinen Haaren.

„Ach das macht doch nichts. Es ist eine herrliche Erfrischung mal wieder mit Menschen Kontakt zu haben. Ich kann mich noch an eine erinnern – deine Großmutter, wenn du nicht lügst. Sie war immer so voller Lebensfreude, das kannst du dir nicht vorstellen. Und sie hat nicht immer nur davon gesprochen - wie viele - die Welt zu verändern, sie hat es auch getan. Dafür bewundere ich sie sehr. Aber ob sie jetzt noch lebt, ich kann es dir nicht sagen. Irgendwann war sie einfach weg, ohne einen Brief oder irgendein Wort zu irgendjemanden, wie ein Geist, einfach futsch.“

Er scheint abgedriftet zu sein, sein Blick liegt in der Ferne und er spricht eher zu sich selber, als zu uns.

„Okay, genug davon. Wollen wir mal anfangen.“

Hares holt ein beigefarbenes, faustgroßes Säckchen aus einer Tasche seines langen, bis zu den Knien reichenden, braunen Mantels. Er öffnet es an einer breiten Schnur und schüttet etwas davon, es sieht aus wie ein Pulver, auf seine Hand.

Dann streut er damit einen Kreis um uns, mit der Ermahnung, nicht aus diesen herauszutreten. Ich bin verwirrt und folge gespannt dem Schauspiel.

Das Pulver, oder was auch immer es ist, ist rot. Richtig feuerrot. Dazu ist es sehr fein, wie gesiebtes Mehl.

Während er das Pulver streut, spricht er irgendetwas auf einer anderen Sprache und hat dabei seine Augen geschlossen.

Vorher, bevor er das Pulver hervorgeholt hat, meinte, oder eher befahl, er, dass ich kein Mucks von mir geben darf, weil sonst alles umsonst ist.

Plötzlich fängt das Pulver Feuer. Mein Herz rast richtig und meine Knie schlottern schon wie Wackelpudding. Hätte mich Alex nicht festgehalten, ich wäre höchstwahrscheinlich in das Feuer gefallen.

Es ist eine richtige Feuerwand entstanden, oder eher Feuerkreis. Staunend sehe ich es mir an. Komisch ist, dass das Feuer nicht orangerot ist, nein es ist blau – violett.

„W - Warum ist das Feuer blau?“ flüstere ich Alex und nicht Hares verwirrt zu, denn Hares ist irgendwie in eine Art Trance gefallen.

„Das Feuer ist voll mit Sauerstoff, den braucht Hares. Wenn weniger Sauerstoff in der Flamme ist, dann wäre es orangerot. Außerdem hat er vom Brunnen Wasser abgezapft, wenn du genau hinsiehst, erkennst du die Tropfen“ Antwortet mir Alex, ebenso flüsternd.

Und tatsächlich, feine Schlieren, die aus Wasser geformt sind, ziehen sich durch die Feuerwand. Einzelne Tropfen fließen nach unten, was mich stutzig werden lässt. Müsste das Wasser nicht verdampfen, von der Hitze? Genau die Frage stelle ich auch Alex. Dieser lächelt nur und macht Anstalten mit den Händen das Feuer zu berühren. Erschrocken will ich versuchen ihn davon abzuhalten und will nach seiner Hand greifen, da ich Angst um ihn habe. Als er das merkt zieht er seine Hand wieder zurück.

„Das Feuer ist kalt. Nicht heiß, wie normal. Das kommt auch vom Wasser, aber eigentlich von dem Zauberspruch, den Hares gesprochen hat. Probiere es mal. Es ist wirklich nicht heiß.“

Schließlich strecke ich zögerlich die Hand aus und kneife meine Augen zusammen, da ich entgegen der Aussage von Alex noch Angst habe.

Als meine Hand das Feuer, wenn man es noch so nennen kann, berührt, zucke ich zusammen. Es ist richtig kalt, eiskalt. Und ich fühle auch die Flüssigkeit, die aber nicht richtig flüssig ist, sondern nur Tröpfchenweise besteht. Schnell, als hätte ich mich verbrannt, ziehe ich meine Hand wieder zurück und beobachte wieder Hares, der geistig nicht mehr in unserer Welt ist. Der Wind hat aufgehört zu wehen und es ist plötzlich mucksmäuschenstill.

Nach weiteren Minuten verfärbt sich das Feuer schlagartig rot. Aber nicht langsam, sondern von jetzt auf gleich. In der anderen Sekunde noch blau, in der nächsten rot.

Das ist mir doch alles zu kurios.

Ich starre einige Minuten vor mich hin, bevor Hares schließlich anfängt etwas auf einer Sprache zu schreien. Schreien deshalb, weil ich glaube, gleich würde mein Trommelfeld platzen.

Ich zucke richtig zusammen – wie schon so oft an diesem Tag – als Hares plötzlich meine und Alex Hand packt und ich in der nächsten Sekunde auf einer Wiese stehe – in einer anderen Welt. Ich dachte, ich würde irgendeinen Strudel sehen oder so. Aber es kam Schlag auf Schlag, so, wie sich das Feuer plötzlich rot gefärbt hat.

Ich ersticke fast und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. Hätte mich denn niemand vorwarnen können?! Das hätte mir zu mindestens diesem Herzkollaps erspart.

Ich lasse mich auf die Erde fallen und schicke ein Dankgebet an Gott, dass ich das überstanden habe.

„Alles in Ordnung?“, fragt Alex besorgt und lässt sich neben mich fallen. Hares scheint aus seiner Traumwelt erwacht zu sein, denn er reibt sich nun die Stirn und macht ein verkniffenes Gesicht, als hätte er Kopfschmerzen.

„Ja, klar. Mir geht’s bestens. Ich würde mir eher Sorgen um Hares machen.“

Dieser guckt mich nun an, als komme ich von einem anderen Planet – was ja auch so ist - und lacht einige Sekunden später los, als wüsste er nun, was ich meine.

„Ach, das ist nicht der Rede wert“, er macht eine wegwerfende Handbewegung, „ich habe immer Kopfschmerzen, nachdem ich jemanden teleportiert habe, je mehr Personen, desto stärker. Ist aber ganz normal.“

Ich nicke nur verstehend. Er kommt mir irgendwie vor wie ein Verrückter. Das spreche ich aber lieber nicht aus, wer weiß, ob er mich dann wieder hochkant nach Hause teleportiert.

„Okay, ich würde sagen, wir machen uns mal auf den Weg. Auf geht’s.“ meinte Hares enthusiastisch und machte sich sogleich pfeifend auf dem Weg zu… ja zu was eigentlich?

Schulterzuckend richte ich mich auf und versuche Hares zu folgen, der gar nicht darauf achtet, ob wir nun hinterher kommen, oder nicht. Alex gesellt sich auch zu uns und gemeinsam setzen wir unseren Weg ins nirgendwo schweigend fort, wobei Hares fortwährend pfeift.

Nach einer halben Stunde sind wir dann endlich da. Ich wusste zwar nicht, was das Ziel ist, doch ich erkenne es daran, dass Hares unweigerlich stehen geblieben ist und sich abrupt umdrehte. Wir stehen vor dem Rathaus.

„So, meine lieben Kinder. Diesen folgenden Weg müsst ihr nun alleine bestreiten. Hier werden sich unsere Wege trennen. Ab sofort bin ich wieder Hares, Clanoberhaupt von Planuta de Luz. Habt ihr zum Schluss vielleicht noch letzte Fragen? Dann stellt sie bitte jetzt, wer weiß, wann wir uns mal wieder ernsthaft und ungestört unterhalten können.“, verabschiedet er uns richtig theatralisch. Also wirklich, langsam glaube ich echt, er sei verrückt geworden. Als wenn er jetzt eine andere Person wäre, als vorher. Ich lache innerlich in mich hinein. Äußerlich bin ich jedoch neutral und verziehe keine Miene.

„Jetzt wo du uns darauf ansprichst, einige Fragen hätte ich schon noch: Was müssen wir jetzt machen und wo werden wir hingebracht?“

Ernst sieht Hares Alex an, bevor er die Frage realisiert.

„Oh. Gut dass du es erwähnt hast. Ich hätte es doch glatt vergessen. Hach, mit dem Alter wird man immer vergesslicher.“

Verzweifelnd den Kopf schüttelnd fährt er fort: „Okay, also ihr müsst jetzt zum Rat. Weiteres darf ich leider, auch wenn ich es wüsste, nicht mitteilen. Ich habe dafür einen Eid abgelegen müssen.“

„Okay, trotzdem danke. Bis bald.“ Lächelnd dreht sich Alex um und geht Richtung Rathaus. Als er fast den Eingang erreicht hat dreht er sich verwirrt um.

„Sophie, wo bleibst du denn?“ Erschrocken laufe ich zu ihm. Hares hat alles nur stumm lächelnd verfolgt.

Zügigen Schrittes eilen wir durch den Gang. Aber auch wenn es der gleiche Weg wie letztes Mal ist, so finde ich mich hier nicht zurecht und würde mich glatt verlaufen, wäre ich alleine. Deswegen halte ich mich dicht an Alex und wie gestern kommen wir zu dem Mädchen, ich glaube sie heißt Phine. Heute sind nicht so viele beschäftigt, zu mindestens glaube ich das, denn es hält sich ungefähr die Hälfte weniger hier auf als gestern.

„Oh, wie schön euch wiederzusehen!“ strahlend kommt Phine auf uns zu und zieht erst Alex in eine feste Umarmung, dann mich.

Überrascht lasse ich es über mich ergehen und schaue sie nur verblüfft an, als sie wieder von uns abgelassen hat.

Sie trägt heute ein strahlend frühlingshaftes Kleid, mit lauter Schmetterlingen. Wie passend, denke ich. Wie gestern, strahlt sie bis über beide Ohren.

„Und was macht ihr jetzt hier? Darf sie bleiben? Wie lange wird sie bleiben? Komm sag schon, ich möchte es unbedingt wissen, “ bombardiert sie ihn mit Fragen wie ein kleines Kind, dabei ignoriert sie mich jedoch.

„Jetzt mal langsam. Also wir wissen noch nichts genaues, nur dass wir zum Rat müssen und der wird dann darüber entscheiden, ob sie letztendlich bleiben darf oder nicht.“

Geknickt schaut Phine auf den Boden, dann richtet sie das Wort an mich.

„Weißt du, ich muss zugeben, als ich von dir gehört habe, da konnte ich dich nicht leiden. Um ehrlich zu sein, weil ich ein bisschen eifersüchtig war, da mein Bruder dir so viel Aufmerksamkeit schenkt, aber ich habe dich in den letzten Stunden so liebgewonnen...“

Als ich das Wort Bruder höre, ist es so als ob ein Stein von meinem Herzen fallen würde. Jedoch bemerkt Phine meinen Blick und interpretiert ihn falsch.

„ …Das musst du mir glauben. Ehrlich ich mag dich sogar sehr gerne, seitdem ich dich kennengelernt habe. Und ich muss auch sagen…“

Verlegen spielt sie mit einer Haarsträhne.

„ … dass ich dir gestern extra nicht gesagt habe, dass ich Alex’ Schwester bin und hab ihn deswegen auch umarmt, damit du denkst, ich wäre seine Freundin, dabei hätte mir auffallen müssen, dass ihr… zusammenseid oder zu mindestens mehr als Freunde. Oder liege ich da falsch?“

Errötend will ich widersprechen, doch Alex kommt mir zuvor.

„Ja, da liegst du falsch! Wie kommst du denn darauf, dass wir zusammen sein könnten?! “ meint er etwas zu hart und schnell.

Geknickt und auch enttäuscht schaue ich auf dem Boden. Was habe ich auch erwartet? Dass er freudestrahlend lügt, dass wir zusammensind? Sicherlich nicht! Aber warum bin ich deswegen so traurig? Ich meine, ich liebe ihn doch gar nicht. Er ist nur ein guter Freund! Deswegen habe ich gar keinen Grund und auch kein Recht, wegen dieser Aussage niedergeschlagen zu sein.

„Ich… Ich dachte… und es sah so eindeutig aus… Ihr habt euch so verliebt angeschaut und dazu noch sehr oft. Ich meine, so was merkt man doch…“

Sie starrt uns erschütternd und irritiert an. Kann wohl nicht recht glauben, dass sie mit ihrer Vermutung falsch liegt.

„Okay, tut mir Leid, Schwesterherz, aber wir müssen jetzt zum Rat. Also, man sieht sich.“ Mit diesen Worten packt er gewaltsam mein Handgelenk und zieht mich schnell hinter sich her, schenkt Phine jedoch keinen weiteren Blick mehr. Ich schaffe es gerade noch, Phine ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen, da sie mir Leid tut, da biegen wir schon um die Ecke und ich kann sie nicht mehr erkennen.

Als wir vor der Tür zum Rat stehen, funkle ich Alex verärgert an und stelle mich nah vor ihm, um bedrohlich zu wirken – was ich bestimmt nicht schaffe, da Alex mich um gut zwei Köpfe überragt.

„War das wirklich nötig? Ihr so vor dem Kopf zu stoßen? Du hast kein Recht auf sie sauer zu sein, nein, das hast du nicht, es war schließlich nur eine einfache Aussage, außerdem…“

Weiter komme ich nicht, denn Hares steht in der Tür. Ich hätte ihm noch liebend gern die Meinung gegeigt, doch selbst wenn, es scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren, denn er verzieht keine Miene.

Anscheinend hat Hares mein Gefecht mitbekommen, der er guckt mich schelmisch grinsend an.

Nach ein paar Minuten des Schweigens räuspert sich Hares schließlich, dadurch unterbricht er mein Blickduell mit Alex.

„Ähm, also ihr könnt jetzt eintreten. Wir erwarteten euch schon.“ Mit diesen ernsten Worten geht er in den Raum und blickt uns vorher noch auffordernd an.

 

 

 

16. Kapitel

 

 

„Wie schön euch wieder zu sehen“, begrüßt uns Lucia, wobei ihre Stimme nur so vor Spott trieft, als wir dem Rat wieder gegenüber sitzen.

„Sei nicht so gehässig. Jedes Ratsmitglied hat die Pflicht, Hilfesuchenden objektiv gegenüberzutreten und sie auch so zu behandeln, und das weißt du. Erinnerst du dich, dass du diejenige warst, die sich für diese Pflicht erst eingesetzt hast?“ herrscht Hares sie an. Lucia straft ihn jedoch mit Ignoranz und verdreht genervt die Augen.

„Also gut. Fangen wir an. Hast du den Zettel und das Buch?“

Ich nicke und krame hastig und ein bisschen verzweifelt nach den Sachen. Doch die Tasche ist groß und es braucht ein paar Minuten und ein genervtes Räuspern von Lucia, bis ich die Sachen vor mir auf den Tisch lege. Es ist mir unangenehm so beobachtet zu werden und ich werde wieder vor Verlegenheit rot.

Hares nimmt den vergilbten Zettel in die Hand und faltet ihn auseinander. Alle schauen neugierig darauf.

Als er ihn schließlich aufgefaltet hat, liest er ihn ernst durch. Ich starre ihn gebannt an, kann jedoch nicht aus seiner Miene lesen, was er gerade fühlt.

„Kön- Könnten Sie ihn mir vielleicht mal geben?“ stottere ich leise. Ich habe den Brief, oder was auch immer das ist, total vergessen bei der ganzen Aufregung.

Mit einem Nicken reicht er mir wortlos den Zettel. Dieses Mal ist er deutlich lesbar, es ist die deutsche Sprache, dann muss Alex Erklärung dass ich hier Elbäisch spreche wohl stimmen. Was dann aber Texte auf sich haben, weiß ich nicht genau, vielleicht sind sie ja in Elbäisch geschrieben, aber er sieht für mich so aus als wäre er in Deutsch geschrieben? Ist zu mindestens logisch.

Liebe Enkelin,

Ich weiß, dass du mich nie kennengelernt hast und auch nie kennenlernen wirst. Doch verstehe, dass ich das nicht konnte bzw. kann, nicht weil ich dich nicht sehen wollte. Ich wollte dich immer gern kennenlernen, doch wenn ich dich besucht hätte, dann hätte man dich gefunden und dann wären wir alle verloren. Ich habe nicht mehr lange zu leben, deshalb schreibe ich dir diesen Brief, weil du noch vieles wissen musst. Ich schreibe extra undeutlich und nicht deinen Namen, weil die Gefahr besteht, dass die Traumfänger ihn finden, aber ich bin mir sicher, du weißt dass ich dich meine und was ich meine.

Als erstes will ich dir sagen, dass du eine Legende bist, diejenige, die alle retten wird. Du wirst großes Vollbringen, wie ich einstmals und du beherrscht ein Element. Leider kann ich dir nicht sagen welches, weil du es selbst herausfinden musst.

Außerdem wirst du die große, einmalige Liebe finden. Achte auf die Zeichen, dann wirst du sie erkennen. Er wird dir helfen, in der Schlacht zu gewinnen.

Aber pass auf, dass du nicht dem falschem Vertraust! Es gibt immer Maulwürfe, also pass auf was du sagst und wem du es sagst.

Falls du mein Tagebuch gefunden hast, lese es erst, wenn du ES gefunden hast, damit meine ich aber nicht den Schlüssel. Vorher darfst du es auf keinen Fall lesen! Hörst du! Erst wenn du ES gefunden hast!

Grüße deine Mutter von mir und sage ihr, dass ich sie immer geliebt habe, auch wenn es nicht immer ganz deutlich war.

Falls du in die Traumwelt gelangst, wovon ich ausgehe, sage Lucia, dass ich nicht beabsichtigt verschwunden bin. Denn ich konnte ihr nicht sagen, dass ich weggehe, dass hätte zu große Aufmerksamkeit auf mich gelenkt.

Ich weiß, dass du die Welt retten wirst. Das habe ich gesehen. Doch achte auf meine Ratschläge, sie werden dir helfen. Denn die Zukunft ist nie sicher. Eine Kleinigkeit, EINE falsche Entscheidung kann die ganze Zukunft verändern, also tu das, was ich gesagt habe, dann wird alles gut.

Mach dir keine Sorgen um mich. Lebe wohl.

In Liebe,

Sonia Deram

Sprachlos und mit geweiteten Augen lasse ich meine Hände sinken. Ich habe wohl von meiner Großmutter gewusst, aber ich habe nicht gewusst, dass sie von MIR weiß. Doch vielleicht meint sie gar nicht mich, sondern jemanden anderen aus meiner Familie? Vielleicht meine Schwester Lucy? Oder Chantes und Sarah, meine Cousinen? Obwohl, sie haben nicht das Traumtagebuch – das habe ich.

„Lass mal sehen“ befehlt nun Lucia und die anderen sehen auffordernd zu mir. Stumm lege ich den Brief vor mir auf dem Tisch.

Lucia greift ihn sofort ruppig und überfliegt ihn schnell. Bei einer Stelle wird sie ganz blass.

Die anderen werden nun auch neugierig. Alasaah beugt sich zu ihr und versucht einen Blick auf den Brief zu werfen, doch Lucia dreht sich in dem Moment abrupt zur anderen Seite.

Als Lucia schließlich zu Ende gelesen hat, erkenne ich Zorn in ihren Augen. Sie funkelt mich wütend an.

„Das war doch bestimmt sie! Sie will uns alle belügen, um hier bleiben zu können. Aber da hast du dich geschnitten, Mensch. Soweit lasse ich es nicht kommen, dass du uns alle manipulierst… du- du Betrügerin!“ Mit wilden Gesten steht sie auf und will mir an den Kragen. Ich lehne mich weit zurück und starre sie nur erschüttert an, wie kann sie nur glauben, ich hätte diesen Brief geschrieben?! Lucia sieht mit ihrer roten Gesichtsfarbe nicht mehr gesund aus und man könnte meinen, es käme Rauch aus ihren Ohren. Sie schmeißt mit Schimpförtern um sich, doch ich bleibe still.

„ES REICHT“ schreit Hares schweratmend und haut mit der flachen Hand hart auf den Tisch. Mit einem Mal ist es mucksmäuschenstill.

„Schön, dass ihr euch nun alle beruhigt habt. Lucia, du bist ab jetzt still, verstanden?! Ihr anderen, ihr könnt den Brief durchlesen, ich erwarte aber keine Antwort dazu. Wenn ihr alle fertig mit dem Brief seid, dann können wir darüber abstimmen für wen der Brief glaubwürdig ist, verstanden!“, meint Hares nun leiser aber bestimmt und blickt die anderen an.

Als alle den Brief gelesen haben, schweigen sie nur. Lucia blickt während der ganzen Zeit demonstrativ zur anderen Seite und sieht mich zwischendurch mit kaltem Blick an. Wenn Blicke töten könnten – ich wäre schon mindestens fünfmal gestorben.

„Okay. Wer denkt, dass der Brief wirklich von Sonia und für Sophie ist? Dann hebt die Hand.“, fordert der alte Mann. Für mich sagt er noch: „Sophie, nur damit du dich nicht wunderst, ich enthalte mich, denn ich bin hier eine neutrale Person“.

Wäre es nicht logischer, wenn er mit abstimmen würde? Dann gäbe es nämlich keine Gleichheit.

Alle schauen sich unschlüssig an. Julién und Alasaah heben schließlich zögerlich die Hand.

Ich schaue Alasaah überrascht an, denn ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie für mich ist, da sie mich die ganze so hinterlistig angefunkelt hat. Aber ich freue mich, dass sie nicht auf Lucias Seite steht.

„Hmm… Damit steht es zwei zu zwei. Okay, dann wohl eher die Frage, wer findet es gerechtfertigt Sophie zu helfen?“

Nun heben Julién und Meikes die Hand, worauf Lucia sie beleidigt anfunkelt.

„Wieder unentschieden, das macht die Sache nicht ganz leicht. Alasaah, du glaubst das der Brief echt ist und an Sophie gerichtet, aber warum willst du ihr dann nicht helfen. Wie du weißt braucht man schlagfertige Argumente, wenn du keine hast, dann werte ich deine Aussage nicht.“

Das interessiert mich auch, was Alasaah zu sagen hat.

Sie räuspert sich bevor sie anfängt: „Nun, zwar gehe ich davon aus dass der Brief echt ist, aber da steht nichts davon, dass sie Hilfe braucht. Falls sie tatsächlich – und das bezweifle ich – ein Element beherrscht, muss sie sich selber helfen und wie eines unserer Gesetzt lautet: „Versuche erst dir selbst zu helfen, bevor du Hilfe einforderst“, sollte sie erst versuchen, sich selber zu helfen, bevor wir ihr helfen.“, meint sie, überzeugt und arrogant. Wahrscheinlich will sie damit Alex imponieren, so wie sie ihn die ganze Zeit schöne Augen macht.

„Aber wie soll sie sich selbst helfen, wenn sie in einem Albtraum ist? Ich fände es ungerecht sie sich selbst zu überlassen, es ist dann nur eine Frage der Zeit bis sie stirbt und wenn sie wirklich unsere Retterin ist, haben wir die Pflicht ihr zur Seite zu stehen!“, widerspricht Julién ihr. Ich werfe Julién einen dankbaren Blick zu, worauf er mir mit einem Augenzwinkern antwortet. Darauf werde ich – mal wieder – rot.

„Ich denke, es wäre am besten, wenn wir herausfinden, ob sie irgendeine Fähigkeit besitzt, womit wir ausschließen können, ob sie ein normaler Mensch ist. Wenn sie keine Fähigkeiten besitzt können wir ja dann unsere Hilfe verweigern.“ Meldet sich Meikes zu Wort, wie immer neutral und beherrscht ohne Emotionen.

„Das ist ein sehr guter Vorschlag. Bleibt nur noch die Frage, womit wir es herausfinden können.“, grübelt Hares.

„Ich hätte da eine Idee. Wir haben doch den Prototyp X1500 im Labor. Der wäre doch perfekt dafür geeignet.“ Grinst Alasaah, doch ich erkenne ein heimtückisches Funkeln in ihren Augen, welches mir gar nicht gefällt. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass sie es nicht gut mit mir meint.

„Gibt es denn nichts anderes? Ich möchte kein Versuchskaninchen für eine Maschine sein, die noch nicht getestet wurde.“ Gebe ich verunsichert zu.

„Tut mir leid, aber es gibt leider keine andere Möglichkeit. Doch du musst selbst entscheiden ob du die Gefahr auf dich nehmen willst. Nur eines sei Gesagt, wenn du diese Antwort ablehnst, bist du in dieser Welt nicht mehr erwünscht.“

Blass versuchte ich mich zu fassen. Das ist doch Erpressung! Da würde ich ja so oder so sterben… Denn ich bezweifelte, dass der Prototyp sicher war, weshalb heißt er dann sonst Prototyp.

„Was genau ist das denn für ein Prototyp?“

„Diese Maschine, sie sieht aus wie eine Röhre, wird für die Bewohner erstellt, die nicht wissen, was sie für Fähigkeiten haben. Denn nur wenige hier finden heraus, was für Fähigkeiten sie haben und deshalb sind viele unglücklich. Nun ja, man ihn schon gebaut, doch er wurde noch nie von einer Person ausprobiert denn bis jetzt wollte sich keiner dafür opfern, deshalb kann ich dir nicht sagen, ob er lebensgefährlich ist. Aber man muss davon ausgehen.

Du hast bis Morgen um zwei Uhr Zeit dich zu entscheiden, ob du dieses Risiko eingehst oder nicht, komm dann bitte hier hin. Wenn du ein Element besitzt, wie es im Brief stand, dann helfen wir dir.

Für diese Nacht stellen wir dir selbstverständlich einen Wohnplatz und Verpflegung zur Verfügung.

Ich lasse Tamek rufen, er wird dir zeigen, wo du wohnen wirst.

Geh jetzt bitte vor die Tür, ich muss noch etwas mit Alex besprechen.“

Nach dieser Rede weiß ich nicht mehr was ich denken sollte. Sterben! Er hat gesagt ich könnte sterben! Warum sollte ich diese Gefahr auf mich nehmen, wenn ich dabei sterben kann und wenn ich nicht sterben würde, vielleicht trotzdem nach Hause muss? Mir wird bei dem Gedanken daran zugleich Heiß und Kalt.

„Sophie, bitte verlasse den Raum!“, befehlt Hares und mustert mich streng, nachdem ich einige Minuten nur wie erstarrt auf meinem Stuhl sitze und mich nicht bewege.

Ich gehe raus und lasse mich langsam an der Wand heruntergleiten. Ich denke nichts. Überhaupt nichts. Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, als ich schließlich Schritte höre.

„Hey, du bist bestimmt Sophie, oder nicht? Ich bin Tamek, ich sollte dich abholen. Tut mir leid, dass du so lange warten musstest, ich wurde aufgehalten, “ grinst Tamek mich an.

 

 

 

17. Kapitel

 

 

Bedrückt sehe ich zu ihm auf und bringe nur ein Nicken zustande.

„Kannst du auch sprechen?“ fragt er heiter nach und funkelt mich aus seinen moschusgrünen Augen an.

„Ja, natürlich“, gebe ich leise und trotzig zu.

„Dann ist ja gut. Na gut, dann werde ich dir nun dein schönes Heim zeigen, nur das Beste vom Besten. Wenn Sie mir dann bitte folgen würden.“ Er spricht, als wolle er mir ein Haus verkaufen und macht dazu eine einladende Handbewegung nach links.

Träge stehe ich auf. Auch wenn es mir gerade nicht gut geht, er hat echt das Talent Leute zum Lachen zu bringen. Ich lächele ihn leicht an.

„Na geht doch. Ich dachte schon du hättest die ganze Zeit dieses Sieben Tage Regenwetter Gesicht, “ grinst er mich an. Ich grinse zurück und folge ihm.

 

Wir laufen gar nicht lange und ich muss zu meinem Bedauern feststellen, dass ich kein Haus, sondern lediglich ein Zimmer im Rathaus bekomme. Wie Tamek mir erklärt hat, wäre das Rathaus alles in einem. Denn man arbeitet hier, der Rat ist hier (auch das Zentrum der Stadt), man kann sich hier in der Freizeit die Zeit vertreiben, in dem Gesellschaftsraum - „ein guter Platz um den Streit zwischen Julién und Lucia zu beobachten. Es ist besonders lustig, weil es meistens nur nichtige Sachen sind. Ich kann dich ja mal mitnehmen, wenn du willst, “ meinte er noch dazu – und zugleich ist es ein Wohnheim für Waisen oder welche die kein eigenes Heim haben, sozusagen ist das Rathaus das Zentrum der Stadt wo die ganze Stadt sich zusammenfindet.

Das Gebäude erscheint mir nicht ganz so groß und ich frage wie die das alles hier unterbringen wollen.

Wir sind gefühlte zehn Minuten gelaufen - durch Gänge und Wendeltreppen hoch -so genau weiß ich das nicht, denn meine Armbanduhr funktioniert hier nicht. Wahrscheinlich ist dir Batterie leer. Schließlich sind wir in einem Gang mit hellblauen Wänden und einer hohen Decke, wo ungefähr jede vier Meter eine Tür auf der linken und rechten Seite ist. Es gibt ungefähr zwanzig, also ist der Gang ziemlich lang. Er hält bei der 13ten auf der linken Seite.

„So, dein Zimmer, das steht dir bis Morgen zur Verfügung und falls du diesen „Versuch“ überstehst und der positiv ist, dann wird das auf Dauer dein Zimmer sein. Falls du noch irgendwelche Fragen hast, ich bin in dem Zimmer direkt gegenüber.“ Er zwinkert mir noch zu.

Ich mustere die Tür, sie sie ist einfach. Aus Holz und hat auch nur einen Knauf. Doch irgendwas fehlt. Ich komme nur nicht drauf. Ich denke scharf nach und dann fällt es mir ein. Tamek ist schon an seiner Tür, doch ich räuspere mich und er dreht sich nochmal zu mir um. Schließlich frage ich: „Gibt es keinen Schlüssel?“ Er schaut mich eine Minute nachdenklich an, als hätte er nicht verstanden was ich gesagt habe.

„Was ist das denn?“ Er verzieht verwirrt die Augenbrauen.

„Na, wo du die Tür mit abschließen kannst, so wie das hier.“ Damit hielt ihm den Schlüssel für das Traumtagebuch hin. Neugierig nimmt er es mir aus der Hand und dreht ihn verblüfft. „Das ist ja komisch. Nein, so etwas habe ich noch nie gesehen, was bringt das denn, wenn man dieses Teil hat?“ Neugierig schaut er mich an. „Naja, ein normaler Schlüssel wechselt auch nicht seine Farbe…Also du musst das in die Tür stecken, in ein Loch was zu dem Schlüssel passt und dann kann niemand mehr die Tür aufmachen.“

„Warum sollte man so etwas tun? Vertraust du uns etwa nicht? Es hat bis jetzt auch gut ohne diese „Schlüssel“ geklappt.“

Bei diesem Gedanken, das Zimmer nicht abschließen zu können wird mir unwohl. Was ist, wenn jemand da rein geht und einfach in meinen Sachen herumwühlt, so wie Lucy es immer tut. Es immer tat, verbessere ich mich traurig, schließlich ist sie ja jetzt entführt. Oh Mann, in der ganzen Zeit in der ich jetzt hier war, habe ich nicht mal einen Gedanken daran verschwendet wie ich meine Familie retten kann. Schulbewusst fragte ich mich, ob es ihnen gerade gut geht. Wenn ihr mir vorstelle, dass sie… nein besser nicht daran denken. Ich muss meine Familie retten. Das bin ich schuldig auch wenn ich mich dadurch in Lebensgefahr verbringe, aber dann könnte man wenigstens sagen, dass ich es versucht habe. Aber bringt es ihnen was, wenn ich bei diesem Experiment sterbe? Dann kann ich sie erst recht nicht mehr retten. Aber wenn ich nach Hause muss, dann auch… Ach das ist alles so kompliziert. Ich wünschte Hilary wäre jetzt hier, sie hat mir immer bei meinen Problemen geholfen, wenn jemand mich dumm angemacht und wenn es nur ein tröstender Spruch war, sie wusste wie sie mich aufheitern konnte. Wieso kann nicht alles wieder so sein wie vorher?

„Hey, geht es dir gut? Du bist so blass“ holte Tamek mich besorgt aus meinen Gedanken. Ich lächele ihn leicht an und erwidere „Ja klar, alles bestens, “ doch das Lächeln erreicht nicht meine Augen. „Hast du noch weitere Fragen? Sonst gehe ich jetzt wieder auf mein Zimmer.“ Er schaut mich abwartend an und ich überlege, was ich noch wissen will. Das ist schließlich die Chance, mehr zu erfahren.

„Ähm ja, ein oder zwei hätte ich schon… Also dürfen die Leute, so wie ich hier eigentlich umsonst wohnen und müssen sie dafür was tun, also Geld bezahlen?“ gehe ich auf sein Angebot ein.

„Na klar, was sollen sie denn dafür tun? Und was ist Geld?“ fragte er mich irritiert und ein bisschen verwirrt.

Kannten die denn hier kein Geld? Womit bezahlten die denn dann? War etwa alles umsonst oder tauschten sie Sachen? Aber wie konnten sie sonst arbeiten, ohne etwas dafür zu bekommen? Ich kann mir das gar nicht vorstellen, in meiner Welt ist schließlich nichts kostenlos, selbst den Tod muss man mit dem Leben bezahlen und wer kein Geld hat… der kommt nicht weit. In anderen Ländern müsste man dann auf der Straße leben und wäre sehr wahrscheinlich kurz vorm Verhungern.

„Na zum Beispiel wenn du etwas kaufen willst, Obst oder so… dann musst du die doch mit etwas bezahlen, ich meine ihr könnt doch nicht einfach in ein Laden gehen, euch was nehmen und dann wieder gehen?!“

„Also… bei uns ist das so… jeder der arbeitet bekommt dafür alle Sachen die er braucht, also natürlich nicht alles was man sich wünscht, sondern nur das was er zum Leben benötigt und ähm ja wir können dann „einfach in den Laden gehen und uns etwas nehmen“. Das ist so etwas wie ein Handel, wir arbeiten und bekommen dafür alle lebensnotwendigen Sachen und wir geben anderen was sie brauchen. Jeder bekommt das gleiche, keiner wird bevorzugt, alle leben gleich. Wenn man etwas möchte, was man nicht braucht, muss man aber erst zum Rat und der entscheidet ob man es haben darf oder nicht, zum Beispiel ein Fahrmobilé oder irgendwelche Eintritte.“

„Und das klappt? Und seid ihr zufrieden damit?“ frage ich zweifelnd.

„Na klar, warum sollte es das nicht?“ es klingt eher wie eine Feststellung als wie eine Frage, denn er sagt es sehr überzeugt und leicht eingeschnappt, weshalb ich nicht weiter darauf eingehe.

Der Rat ist so etwas wie der Herrscher der Stadt, kommt es mir vor. Sie regeln alles, stellen Gesetze auf und man muss sie um Erlaubnis fragen bevor man etwas tut. Das klingt so sehr nach Überwachung, als möchten sie alles über jeden erfahren, das hat für mich einen leicht bitteren Nachgeschmack. Naja, aber wenn sich das Volk nicht beschwert, muss das doch gut klappen, oder nicht?

„Wer kommt und darf eigentlich in den Rat und hast du nicht gesagt, dass keiner bevorzugt wird? Die Leute im Rat werden aber bevorzugt.“ Meinte ich nachdenklich und zweifelnd.

„Der Rat wird alle fünf Jahre ausgesucht, in jeder Stadt werden Vorschläge gemacht, die werden beim Rat gesammelt, dann bekommt jede Stadt eine Liste, mit den Personen vorgeschlagen wurden und es wird in jeder Stadt gefragt, wer für wen ist, also jede Stadt hat fünf Stimmen, insgesamt gibt es 35 Städte und die Stadt gibt dann fünf Personen an, für den am meisten aufgezeigt wurde. Am Ende wertet man das aus und die fünf Personen die von den meisten Städten gewählt wurden, kommen in den Rat. Eigentlich darf jeder in den Rat, schließlich ist jeder gleich. Gewählt werden meistens die, die mehr tun als sie müssen und vieles machen um die Welt zu verschönern. Damit werden sie zwar auch „bevorzugt“ aber es nicht schlecht, denn jeder ist dafür, dass er in den Rat kommt, “ erklärt Tamek ernst.

„Okay, das wären dann alle Fragen. Vielen Dank.“ „Kein Problem, und wie gesagt solltest du Fragen haben, kannst du immer zu mir kommen. Jetzt solltest du dich aber erst einmal ausruhen“ Er warf mir noch ein Lächeln zu, bevor er in seinem Zimmer verschwand.

Erwartungsvoll öffne ich nun meine Tür und es überrascht mich, was ich dahinter entdecke. Ich habe mit einem kleinen Raum gerechnet, schließlich ist die das Gebäude nicht so groß, doch was ich sehe überrascht mich merklich. Ich erblicke einen weitläufigen Raum, mit einem Himmelbett an der rechten Wand, das Kopfende ist an der Wand, einem großen Holzschrank nebst Schreibtisch und einen bequemen, gepolsterten Stuhl an der linken Wand und mir gegenüber ein großes Fenster. Ich schreite bedächtig zu dem großen Fenster, der fast die gesamte Wand einnimmt und mir einen weitläufigen Blick über die große Stadt bietet.

Unzählige Holzhütten sind in einem kaum merklichen Muster gebaut worden. Doch ich erkenne es. Sie bilden einen Kreis um das Rathaus, und ich stelle von hier aus fest, dass der Eingang in die entgegengesetzte Richtung zum Rathaus liegt, bei allen Hütten. Ich erkenne auch einen Fluss, der wie eine Grenze um die Stadt fließt. Dass erinnert mich an die Burgen aus Römerzeit, da war auch immer ein Fluss drum, damit niemand einfach so ihre Burg stürmen konnte.

Geschafft trete ich schließlich von dem Fenster weg und lasse mich auf dem Rücken auf das große Himmelbett fallen, wo ich meine Arme zu beiden Seiten ausbreite und schließlich die Augen schließe. Wenn nicht so viele Gedanken durch meinen Kopf wirbeln würden - ich wäre sofort eingeschlafen. Doch ich kann das alles nicht verdrängen, so viel ist passiert, wovon ich nie wusste; woran ich nie geglaubt habe. Ja ich gebe zu, ich habe mir immer gewünscht, dass es die Wesen aus den Fantasybüchern gibt und ich habe mir immer gedacht, dass es bestimmt noch andere Planeten gibt auf denen es Leben gibt – es ist doch egoistisch zu denken, dass es nur Menschen gibt – aber jetzt damit konfrontiert zu sein, das kann ich nicht ganz verarbeiten. Zu schnell ging alles. Und vielleicht werde ich jetzt auch sterben.

Ich habe mir auch gewünscht, dass mal etwas aufregendes passiert – ich wünschte, ich hätte niemals auch daran gedacht, ich kann auch gut ohne all diesen mystischen Kram leben.

Ein leises Klopfen holte mich aus meinen Gedanken.

„Herein?“ frage ich überrascht.

Langsam öffnet sich die Tür und… Phine kommt zum Vorschein.

„Hallo. Störe ich?“ fragt Phine zaghaft und etwas unsicher und bleibt zwischen Tür und Angel stehen.

„Nein, ich habe eh nichts zu tun und ich weiß auch gar nicht was ich machen soll.“, lächele ich.

„Okay, sag mal was hat der Rat eigentlich gesagt und wie gefällt dir dein Zimmer? Ich hab mich extra dafür eingesetzt, dass du dieses Zimmer bekommst und nicht die Abstellkammer.“ Bei diesem Gedanken, verzieht sie vor Ekel den Mund. Sie macht die Tür zu und setzt sich zu mir auf das Bett. Ich habe mich mittlerweile aufgerichtet.

„Er hat mir bis morgen Bedenkzeit gegeben ob ich diesen „Prototypen“ teste oder nicht. Und wenn ich nein sage, werde ich wieder zurückgeschickt. Ich dachte, alle Zimmer sind gleich? Und warum sollte ich in die Abstellkammer kommen?“ Ich seufze genervt.

„Du meinst aber nicht den Prototypen X1500, oder?!“ geschockt hebt sie die Hand vor ihrem Mund und schaut mich fragend an.

Das macht mir jetzt aber Angst. Was ist denn so schlimm an dem?

„Ähm… doch, ich glaube schon.“ Erwidere ich unsicher.

„Oh nein, du weißt aber schon, dass da schon welche bei gestorben sind, oder? Das hat dir der Rat doch nicht verheimlicht, oder?!“

Erstarrt schaute ich sie an.

„Ich dachte, er wäre noch gar nicht getestet worden?“ Sie haben mir doch gesagt, sie haben noch niemanden gefunden, der das testen würde. Sie haben mich doch nicht angelogen, oder? Der Rat darf doch gar nicht lügen, dann muss aber Phine lügen. Will sie etwa, dass ich verschwinde?

„Du musst unbedingt ablehnen, hörst du! Das dir der Rat das verheimlicht hat, ist echt nicht zu fassen. Wer bitte schön hat das denn vorgeschlagen? Das ist doch nur sicher, dass derjenige deinen Tod will.“

Aufgebracht fuchtelt sie wild mit den Händen und starrt richtig hasserfüllt in die Ferne. Ich hätte nicht von ihr erwartet, dass sie so sauer werden kann.

„Ähm, Alasaah…“ murmele ich nur und betrachte bedrückt meine Hände, die sich neben meinen Beinen verkrampft in die Bettdecke krallen.

Wem soll ich denn jetzt bitteschön vertrauen? Hmm, wenn man bedenkt, dass Phine mich schon am Anfang belogen hat, warum sollte sie es dann nicht jetzt wieder tun? Vielleicht spielt sie ja alles nur? Erschüttert versuche ich mich von diesem Gedanken abzulenken. Irgendwem muss ich hier doch vertrauen können!

„Ich wusste es doch, dieses Miststück! Bitte verspreche mir, dass du ablehnst. Es ist doch nur klar, dass auch du dabei stirbst.“ Bittend, ja fast flehend schaut sie mir in die Augen.

 

 

 

18. Kapitel

 

 

Aber ich kann nicht es nicht versprechen. Wenn ich ablehne, dann muss ich nachhause, kann meine Familie nicht retten und sterbe vielleicht selber.

„Tut mir leid, aber das kann ich dir nicht versprechen, dafür steht zu viel auf dem Spiel. Ich weiß zwar noch nicht wie ich mich entscheiden werde, denn ich bin mir noch nicht ganz sicher, doch Versprechungen mache ich keine.

Ich kann ihr nicht in die Augen schauen, ich möchte ihren Ausdruck nicht sehen. Vielleicht hasst sie mich ja jetzt.

„Mmh, ich kann das zwar nicht verstehen, aber ich kann dich auch nicht zwingen. Aber pass auf und wenn es irgendeine andere Möglichkeit gibt, dann nutze sie, okay?“, in ihrer Stimme höre ich etwas trauriges raus.

„Na klar, natürlich“, beteuere ich.

„Hast du heute noch was vor?“ Von jetzt auf gleich, ist Phine wieder zum Energie Bündel geworden. Ich könnte das nicht – von jetzt auf gleich meine Stimmung ändern.

„Nein.“, antworte ich etwas emotionslos und auch etwas sauer, weil sie einfach so tut, als sei nichts gewesen.

„Ich kann dir doch die Stadt zeigen“, schlägt Phine euphorisch vor. Jetzt erkennt man gar nichts mehr von ihrer bedrückten Stimmung.

„Ja, das wäre toll.“ Stimme ich ihr zu und stehe auf. Es wäre jetzt eine gute Ablenkung.

„Super.“ Fröhlich klatscht sie in die Hände und strahlt wie die Sonne. Dann macht sie sich auch auf dem Weg zur Tür.

Ich überlege ob ich mir was überziehen soll oder ob es warm ist und komme dabei auf die Frage, wie die Temperatur in dieser Welt so durchschnittlich ist.

„Sag mal gibt es hier eigentlich Jahreszeiten? Und ist es hier für euch kalt oder warm?“ Neugierig schaue ich sie an.

„Nein. Es ist immer nachts kalt von -20 bis 10 Grad und tagsüber warm von 10 – 30 Grad Celsius. Es gibt hier, wenn man es physikalisch betrachtet, für uns keine zu kalten oder zu hohen Temperaturen geben, denn jedes Wesen hat eine andere Wahrnehmung. Wenn zum Beispiel draußen zwanzig Grad herrscht und du eine Eiselfe fragst ob es warm oder kalt ist, wird sie dir höchstwahrscheinlich sagen, dass es sehr heiß ist, aber fragst du einen Drachen, beispielweise Alex, wird er dir sagen, dass es sehr kalt ist. Denn eine Eiselfe hat eine Körpertemperatur von, sagen wir mal, fünf Grad und Alex eine von über 40.

Die andere Sache ist, dass - weil es nachts kalt ist und Tagsüber warm - diejenigen mit einer hohen Körpertemperatur tagsüber und welche mit einer niedrigen Körpertemperatur in der Nacht auf sind. Das heißt, dass es für uns fast nie zu kalt oder warm ist, weil wir nur dann auf sind, wenn es für uns angenehm ist. “, erklärt sie recht sachlich. Es kommen immer mehr Charaktereigenschaften zu Tage. Vielleicht ist sie ja ganz anders, als ich denke?

„Oh, okay und was ist, wenn es auch tagsüber mal kalt und nicht warm oder die Nacht warm und nicht kalt ist? Und wie soll das gehe, dass es solch große Temperaturunterschiede geben kann?“, verwirrt verziehe ich die Augenbraue und geselle mich zu Phine, die es sich am Anfang ihrer Erklärung wieder auf meinem Bett gemütlich gemacht hat.

„Mmh, das ist schwer zu erklären. Hmm, Es gibt einen Zauberspruch – den können alle benutzen – in dem sie ihre Körpertemperatur ändern können. Das darf man aber nur, wenn die Folgen gesundheitsschädlich sind. Aber es hat noch nie eine Ausnahme gegeben, dass es nachts plötzlich warm und tagsüber kalt war. Dennoch können Elfen auch Tagsüber aus ihrem Schlaf gerissen werden, deshalb brauchen sie ihn, weil sonst wären schon viele gestorben.

Sind zum Beispiel hier 30 Grad, würde die Eiselfe nicht überleben können, da es zu heiß ist. Also sagt sie ihren Zauberspruch und nimmt dann die Welt kälter wahr. Naja, eigentlich musst du es selber sehen, um es zu verstehen.

Also das mit dem Klima, es gibt hier keine Wolken, weil es hier keine oder halt nur einen großen Fluss gibt der dann für alle Bewohner, den haben wir aber so verändert, dass kein Wasser mehr „weg kann“, heißt aber auch es kommt nichts mehr hinzu. Naja, also demzufolge kann es keine Wolken, kein Regen, kein Hagel, kein Schnee geben, die Wärme und Kälte kommt einzig allein von der Luft.“

Überrascht will ihr erst Mal keinen Glauben schenken. Doch eigentlich müsste es stimmen. Es war doch so, dass ich Rosalie als erstes getroffen habe, das war in der Nacht und auch die anderen Elfen begnetete ich in der Nacht. Stirnrunzelnd frage ich mich, wie es dann sein kann, dass ich Alex getroffen habe.

„Aber, warum war Alex dann in der Bibliothek? Es war ja noch in der Nacht, oder nicht?

„Hmm, das kann ich dir auch nicht sagen, tut mir leid. Wann genau hast du ihn denn getroffen?“

„Das weiß ich gar nicht, es müsste es aber so um sechs Uhr gewesen sein.“

„Du musst wissen, wir richten unseren Tag nicht nach Uhrzeiten, nur bei dir haben wir es gesagt, damit haben wir uns aber auf die Uhrzeiten in deiner Welt bezogen. Hier richten wir uns nach dem Sonnenstand. Also, ab Sonnenaufgang werden die tagaktiven wach und bei Sonnenuntergang diejenigen, die nachtaktiv sind. Wenn also „um sechs Uhr“ schon die Sonne aufgegangen ist, dann war es nicht komisch, dass Alex da war.“

Aber die Elfen waren doch auch noch da? Oder waren das etwa keine Elfen? Und was ist der Unterschied zwischen normalen Elfen und Eiselfen? Dann konnte es tatsächlich schon Sonnenaufgang gewesen sein, weil Rosalie ja auch auf einmal weg war.

Aber was hatte dann eine Eisblume als Tattoo zu bedeuten? Am besten ich frage Rosalie. Sie wird ja wissen, ob die drei Elfen sind und was der Unterschied zwischen Elfen und Eiselfen ist.

Aber wenn sie Elfen sind, wie ich vermute, was hatte Alex dann in der Bibliothek zu suchen?

„Können wir dann gehen?“ Erschrocken über die Plötzliche Frage zucke ich zusammen.

„Ähm, also, würde es dir was ausmachen, wenn wir nicht mehr in die Stadt gehen? Ich habe heute so viel Neues erfahren und muss das erst einmal alles verarbeiten. Zudem bin ich echt platt…“

Schuldbewusst schaue ich auf den Boden und spiele mit meinen Haaren.

„Nein, das ist okay. Tut mir leid, ich habe voll vergessen, dass du ja von dem allem hier nichts wusstest. Soll ich dann gehen? Ich kann dir noch was zu trinken und essen holen wenn du möchtest.“

„Ja… wenn es okay ist, ich würde jetzt gerne schlafen. Ja das wäre nett.“, meine ich schuldbewusst aber gleichzeitig auch dankbar.

„Okay, ich hole dann mal was. Bis gleich.“ Sie schenkt mir noch ein aufmunterndes Lächeln, bevor sie fast geräuschlos aufsteht und rausgeht.

Ich atme erst mal tief durch und versuche meine Gedanken zu ordnen.

Morgen muss ich mich entschieden haben… aber das habe ich auch schon, zwar unbewusst, aber meine Meinung hat jetzt einen festen Boden.

Wie das morgen wohl ausgehen mag? Es könnte so oder so schlimm enden…

 

 

19. Kapitel

 

 

Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn ich als ich aufwache ist es stockfinster. Noch müde reibe ich mir meine Augen. Es muss mitten in der Nacht sein.

Ich kann nicht mal meine eigene Hand vor Augen erkennen. Doch dann sehe ich ein Licht, es muss vom Fenster kommen.

Vorsichtig krabbele ich aus meinem Bett, dabei stelle ich fest, dass ich immer noch meine, nun zerknitterten, Klamotten anhabe.

Langsam setze ich meine blanken Füße auf dem Boden ab und tapse, mich am Bett festhaltend, damit ich mich nirgends stoße, zum Fenster. Dort erstrahlen am Firmament unzählige Sterne.

Es sieht aus wie ein Meer aus unzähligen kleinen Lichtpunkten. Einfach wunderschön. Wie gebannt schaue ich zum Himmel. Alle Müdigkeit ist aus mir gewichen. Ich bin hellwach. Das Besondere ist, dass die „Lichtpunkte“ nicht alle gleich groß sind, sie alle erstrahlen in allen erdenklichen Größen.

Es besteht ein großer Kontrast zu dem so schwarzen Himmel. Als wenn auch im Dunkeln ein Licht existiert. Die Bösen auch ein Fünkchen gut sind.

Im Dorf erstrahlen auch noch ein paar Lichter. Auf dem Waldweg, dort wo ich die Elfen bei meinem zweiten Traum angesprochen habe, sehe ich ein Licht, das in der Luft schwebt. Nun schaue ich genauer hin. Wie ist das möglich? Es scheint aber nicht nur eine Lichtquelle, sondern viele kleine Lichtquellen zusammen zu sein. Die Lichter erstrahlen so hell, dass man beinahe den ganzen Weg von nur dieser Lichtquelle erkennen kann.

Sie ist aber nicht die einzige. Es gibt insgesamt fünf von diesen. Es ist wie die fünf bei einem Würfel. Ein Licht in jeder „Ecke“ des Dorfes und einer in der Mitte. So wird das ganze Dorf erhellt.

Nach einigen Minuten, es kommt mir vor wie unzählige Jahre, erwache ich aus meiner Erstarrung. Und mit ihr kommt die Müdigkeit wieder.

Seufzend schleiche ich wieder auf mein Bett zu und lass mich drauf fallen. Ein bisschen Schlaf werde ich bestimmt noch gebrauchen. Besonders für Morgen. Morgen wird ein anstrengender Tag. Und wohl nicht nur für mich.

*** *** *** *** *** *** *** *** *** ***

„Sophie… Sophie, komm schon, wach auf.“ Weckt mich eine helle, fröhliche Stimme.

Leise murrend drehe ich mich, noch im Halbschlaf, auf die andere Seite und versuche weiter zu schlafen. Jedoch wird mir mit einem Ruck meine Bettdecke von der Seite weggezogen und da ich mich daran festgeklammert habe, lande ich nun fast mit auf dem Boden. Jetzt liege ich auf der rechten Seite auf dem Rücken und es fehlt nur noch ein kleiner Schubs und ich würde Bekanntschaft mit dem kalten, steinharten Boden machen.

Durch diese Aktion bin ich hellwach. Mein Herz pocht immer noch schnell.

Sauer und noch ein bisschen geschockt suche ich mit den Augen nach dem Übeltäter. Er steht genau vor mir, ganz am Rand und schaut auf mich herab.

Es ist Phine.

Sie steht mit einem breiten Grinsen, das fast wie in Stein gemeißelt ist, vor meinem Bett und hält triumphierend einen Lappen in der Hand. Ich bin mir sicher, dass er eiskalt und nass ist.

Leider bestätigt sich mein Verdacht, denn bevor ich protestieren kann landet er schon mit einem lauten „Platsch“ mitten in meinem Gesicht.

Prustend nehme ich den Lappen ab und werfe Phine damit ab. Versuche ich zu mindestens, denn sie ist leider schneller als ich und kann sich noch ducken, weshalb er mit voller Wucht gegen die Wand prallt und mit einem lauten Geräusch dem Boden Gesellschaft leistet.

Entrüstet springe ich aus dem Bett und funkle Phine wütend an. Deren Grinsen ist lediglich noch breiter und sie kann gerade noch ein Lachen unterdrücken.

„Guten Morgen, Freundin der Sonne.“

Mit einem großen Sprung landet sie in meinen Armen und drückt mich fest.

Überrumpelt muss ich erst mal nach Worten suchen.

„Guten Morgen. Nur zur Info, ich war schon hellwach nach der Aktion mit der Decke, der Lappen musste echt nicht sein!“ erwidere ich nicht so wütend, wie ich eigentlich wollte.

Ich versuche sie finster anzustarren, doch das klappt leider nicht so ganz, weil sie mich einfach zum Lachen bringt.

„Ich weiß“, erwidert sie schelmisch grinsend.

„Was?! Und warum hast du das dann gemacht?“, empört stemme ich meine Arme in meine Hüften.

„Weil es einfach zu lustig ist. Und ich wusste ja auch nicht, dass du wach wirst, wenn ich die Decke wegziehe, dann hätte ich ihn dir schon sofort ins Gesicht geklatscht. Und es wäre ja schade um den schönen Lappen. Er ist extra für solche Aktionen.“ Nun kann sie ihr Lachen nicht mehr unterdrücken und lacht aus voller Kehle.

Ich muss nun auch mitlachen.

Doch augenblicklich wird sie ernst. Sie hat echt extreme Stimmungsschwankungen.

„Du musst zum Rat. In einer Stunde.“ Seufzend fährt sie sich mit ihrer Hand durch ihre engelsgelockten Haare.

„Was? Es ist schon ein Uhr?“ erschüttert schaue ich sie an. Ich stehe nie, und damit meine ich nie, um ein Uhr auf! Oder eher, ich bin noch nie um ein Uhr aufgestanden, sondern immer eher, natürlich.

„Ja, ist es. Ich habe gestern für dich essen gemacht, aber als ich es dir geben wollte, habe ich gemerkt, dass du schon eingeschlafen bist. Und ich habe mir so viel Mühe gegeben und extra mehr gemacht, weil ich ja nicht wusste was du alles so magst“, schmollte sie und verzog dabei den Mund.

„Oh, das tut mir leid. Ich war einfach so müde, ich habe das gar nicht mitbekommen. Nur schade um das Essen. Hast du es vielleicht noch aufbewahrt? Man kann es sicher noch essen“, entschuldige ich mich.

„Ach das macht doch nichts“, sie macht eine wegwerfende Handbewegung, „und um das Essen brauchst du dir keine Sorgen machen. Du glaubst gar nicht wie viel Jungs verdrücken können. Als Tamek mitbekommen hat, dass du mein Essen nicht brauchst, weil du ja schon am Schlafen warst, hat er sich wie ein Tier auf das Essen gestürzt. Ehrlich, du hättest ihn sehen müssen. Es sah so lustig aus. Wie ein Tier, das seine Beute betrachtet. Haha. Zum Totlachen.“ Phine hielt sich schon den Bauch vor Lachen und ich musste grinsen, weil ihr Lachen mich einfach ansteckte.

„Also, was sollen wir jetzt in den“, sie schaute auf ihre imaginäre Uhr - naja jedenfalls auf etwas, dass an ihrem linken Handgelenk war „noch verbleibenden 50 Minuten anstellen?“ grinsend positionierte sie sich vor mich.

„Wie wäre es mit Essen? Und danach Klamotten für mich finden. Hiermit kann ich mich echt nicht mehr blicken lassen, “ schlage ich vor und zeige demonstrierend auf meine verknitterten Klamotten. „Oder nein, erst Klamotten suchen und dann Essen“ verbessere ich mich.

„Okay, Chef. Zu Befehl!“, salutiert sie scherzhaft, mit der flachen an ihrer Stirn wie ein Soldat, dabei grinst sie bis über beide Ohren.

Ich grinse nur.

Zusammen machen wir uns auf dem Weg zu, wie sie meinte, „ihrem Paradies“.

Während ich mich nur erstaunt in ihrem Zimmer umsehe, während ich es mir auf ihrem Himmelbett bequem mache, schmeißt sie wahllos Kleidung auf dem Bett, manchmal auch auf mich. Sie verzieht kritisch ihre Stirn, sowie ihre Nase, was echt lustig aussieht, bevor sie die Kleidung wegwirft. Nachdem der Berg Klamotten schon fast bis an die Decke reicht und ich auch schon fast nicht mehr erkennbar bin, bei der vielen Kleidung, bereite ich dem nun ein Ende.

„Hör mal. Ich möchte mir selber was aussuchen. Außerdem stehe ich ja nicht dem König höchstpersönlich gegenüber, um so einen Stress zu machen. Lass mich das mal machen“, fordere ich.

Stirnrunzelnd schaut sie mich erst einen Moment an, bevor sie ernüchtert zu Boden sinkt und sich eine Strähne aus dem Gesicht pustet, die in ihrem Gesicht hängt.

„Okay, tut mir leid. Dann such dir was aus“, bietet sie mir an.

„Danke.“

Nach fünf Minuten bin ich dann fündig geworden, wofür Phine mehr als zwanzig Minuten gebraucht hat. Da sie hier keine Hosen zu haben scheinen, muss ich mich wohl oder übel in einen Rock zwängen. Er ist beige mit Rüschen und wirft Falten. Dazu reicht er mir bis zu den Knien. Passend zu dem Rock habe ich ein weinrotes Oberteil an. Es ist ärmellos, schulterfrei und der untere Teil verläuft faltig. Auch sind Ornamente in der Mitte.

Rote Hausschuhe und eine beige Kette mit einem Herzanhänger aus Silber runden das Ergebnis ab.

Zufrieden schlendere ich mit Phine, die mir für mein Outfit zahlreiche Komplimente gemacht hat, das ich schon verlegen war, in die Küche.

Hastig schlinge ich mein Müsli mit mir unbekannten Früchten - aber unglaublich leckeren - in mich ´rein. Durch die Kleidersuche haben wir nämlich unnötige Zeit verplempert. Ich versuche das mulmige Gefühl in meinem Bauch zu unterdrücken, dass sich immer mehr verstärkt, je mehr die Minuten voranschreiten.

Mittlerweile kann ich nicht mehr still sitzen. Es ist als hätte ich Hummeln im Hintern.

„Sag mal musst du auf Toilette oder was ist los mit dir?“ scherzhaft boxt mir Phine gegen die Schulter und grinst mich an.

Kein Wunder, dass sie fragt, ich hampele so rum, dass die Hälfte meines Frühstücks auf dem Tisch landet.

„Nein, ich bin nur nervös… du weißt schon - gleich ist die große Entscheidung.“ Bedrückt schaue ich auf dem Tisch.

„Ach ja, das hätte ich fast vergessen. Wir müssen dann auch jetzt los… Keine Sorge, alles wird gut.“

Mitfühlend legt sie ihre Hand auf meine Schulter, nachdem sie aufgestanden ist.

„Mmh… Okay. Augen zu und durch.“ Ich atme noch einmal tief durch und schließe innenhaltend meine Augen, dann stehe ich mit einem Ruck auf und bedeute Phine vorzugehen.

 

Schweigend stehen wir vor dem Raum des Rats.

Sie schaut mich noch einmal bedauernd an und drückt mich fest, mit den Worten: „Das schaffst du schon!“, dann schreitet sie hohen Hauptes den Gang entlang. Ich schaue ihr so lange hinterher, bis ich sie nicht mehr sehen kann.

Meine Hände zittern. Ich habe Bauchkrämpfe, wie immer, wenn ich nervös bin. Dazu bin ich richtig unruhig, eigentlich gar nicht meine Art. Es ist nicht nur eine körperliche Unruhe, es ist eine innere, die mich nicht mehr klar denken lässt.

Tief einatmend versuche ich mich zu fassen und schließe meine Augen, dann nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und klopfe erst unsicher und leise, dann aber lauter und sicherer an die Tür.

Es dauert nicht lange, und die Tür wird geöffnet. Diesmal muss ich mich der Situation alleine stellen. Alex ist nicht da.

Was für ein feiger Arsch!

, denke ich. Nach unserem Streit, Wortgefecht, Monolog, oder was auch immer, hab ich ihn nicht mehr gesehen. Und jetzt kommt er nicht mal um mich zu unterstützen!

Hares sieht mich auffordernd an und bittet mich hinein. Innerlich sammele ich mich und setzte mich dann alleine dem Rat gegenüber.

Unsicher blicke ich von einem zum anderen. Lucia scheint diesmal nicht ganz so feindselig… eher erwartungsvoll.

Hares hat sich nun auch hingesetzt und faltet seine Hände auf dem Tisch.

„Hallo Sophie. Hat dir dein Zimmer gefallen?“

Ich muss schlucken und räuspere mich, bevor ich antworte: „Ja, es war oder eher ist sehr schön. Danke.“

„Das freut uns. Phine hat sich so dafür eingesetzt, dass du dieses Zimmer bekommst, da wollten wir ihr diesen Gefallen tun.“ Während er das sagt schaut er mich nicht an, sondern blickt fragend zur Tür.

Ich folge seinem Blick und frage mich ob noch jemand kommt.

Dann, nach unendlichen Sekunden, öffnet sich plötzlich die Tür und ein schweratmender Alex kommt hereingestürmt.

Ganz aus der Puste lässt er sich auf den Stuhl links neben mir fallen und lächelt mir aufmunternd zu.

Also habe ich mich getäuscht, Alex ist doch noch gekommen. Unwillkürlich muss ich lächeln. Er hat mich doch nicht im Stich gelassen. Da fühle ich mich gleich besser.

 

 

 

20. Kapitel

 

 

„Gut, da wir nun alle beisammen sind, können wir ja jetzt beginnen… Sophie. Wie hast du dich entschieden? Bevor du etwas sagst, muss ich dich noch darauf hinweisen, dass, wenn du ablehnst, du nie wieder diese Welt betreten darfst – egal was ist. Du hast Eintrittsverbot, welches nie aufgehoben werden kann, weil ein einfacher Mensch darf eigentlich gar nicht diese Welt betreten, zumindest nicht für so eine lange Zeit...“

Ernst schaut er mich an, damit erinnert er mich ein bisschen an meinen Vater, wenn er mit mir sprach, nachdem ich irgendwas angestellt habe. Er ist nie wütend geworden, immer ist er ruhig geblieben. Äußerlich. Innerlich war er bestimmt in Aufruhe, dass erkannte ich an seinen Händen, die dabei immer zitterte und die er zu Fäusten geballt hat.

Ach Dad, wärst du nur hier, dann könntest du mir sagen, dass alles gut wird, auch wenn es nicht stimmt. Denn es wird nicht alles gut, aber es tut gut seine Stimme zu hören. Was man nicht alles vermisst, wenn es nicht mehr da ist…

Nun werde ich mir aber Hares Worte bewusst. Warum darf ich die Welt nie wieder betreten, wenn ich mich dagegen entscheide? Meine Großmutter durfte doch auch immer hier sein, musste sie etwa auch einen Test machen, war sie vielleicht sogar übernatürlich? Mich schauert es bei diesem Gedanken. Plötzlich schüttelt es mich, einfach so, mein ganzer Körper wird von einer Gänsehaut überzogen, doch es verschwindet so schnell wieder, wie es gekommen ist.

Unter dem Tisch nimmt Alex meine Hand in seine und drückt sie aufmunternd, als will er damit sagen, dass er, egal wie ich mich entscheide, mir beisteht.

Ich schaue ihm dankbar in die Augen. Dabei werde ich auf die neugierigen Blicke aufmerksam. Alle starren mich an.

Rot anlaufend, betrachte ich meine rechte Hand, die ich zu einer Faust geballt habe, um das Zittern zu unterdrücken. Ich habe ja noch gar nicht geantwortet.

„Also…“, fange ich leise und unsicher an, aber stoppe dann.

Ich traue mich irgendwie nicht. Wenn ich es jetzt ausspreche, dann wäre es so greifbar. Wie ein Fakt, den man nicht mehr ändern kann, oder ein Fehler. Es wäre so… endgültig.

Was, wenn mein Entschluss doch falsch ist, und ich es nicht mehr ändern kann, wenn ich es ausgesprochen habe? Aber sagen muss ich es. Und wenn nicht jetzt, wann dann?

Alex drückt kurz meine Hand und verschränkt unsere Hände miteinander, wahrscheinlich um mir Mut zu geben. Ich bin gerührt von seiner Geste und fühle mich schon etwas besser. Nicht mehr so alleine gelassen. Zudem gibt er mir auch den nötigen Mut, um das folgende auszusprechen.

„Ich mache den Test!“, meine ich aus heiterem Himmel entschlossen und selbstsicher. Lucia zuckt zusammen, weil es so plötzlich kommt.

„Bist du dir sicher? Du kannst immer noch ablehnen“, fragt Alex nun bedrückt und schaut mich traurig an. Er schaut mich fast schon flehend an.

„Willst du mich etwa loswerden?“, hake ich enttäuscht nach und löse meine Hand aus seiner. Verletzt blinzle ich ihn an und versuche, die nun aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.

Seufzend schließt er für ein paar Sekunden die Augen, bevor er mich wieder, nun ernster, ansieht: „Eher das Gegenteil… Ich… möchte nicht… dass du stirbst.“

„Wenn ich gehe, dann sterbe ich erst recht. Da wäre es hundertprozentig sicher. Hier habe ich wenigstens eine Chance. Traust du mir etwa nicht zu, den „Test“ zu überleben?“ meine ich sicher - und auch ein bisschen wütend, dass er mir so wenig traut - um ihn zu zeigen, dass ich hinter meiner Entscheidung stehe. Und dass es daran auch nichts mehr zu wackeln gibt. Denke ich jedenfalls…

Er erwidert nichts, schaut nur schuldbewusst zur Seite, aber das ist schon Antwort genug.

Lucia räuspert sich, was meine Aufmerksamkeit auf sie zieht, habe ich doch gar nicht registriert, dass alle das Gefecht zwischen mir und Alex mitbekommen haben. Ich frage mich, was Lucia jetzt schon wieder zu meckern hat.

„Okay… möchtest du… also möchtest du den Test jetzt machen… oder möchtest du nochmal eine Nacht darüber schlafen?“ fragt Lucia unsicher. Überrascht schaue ich sie an. Müsste sie nicht eigentlich glücklich sein, dass ich mich dafür entscheide? Immerhin ist sie doch so dagegen mir zu helfen und ich könnte immerhin sterben. Ich frage mich warum sie mir das überhaupt vorgeschlagen haben, wenn sie letztendlich doch nicht wollen, dass ich diesen Test mache. Vielleicht haben sie gedacht, ich gehe freiwillig wieder und haben die Konsequenzen, dass wenn ich nicht gehe, nicht bedacht?

„Jetzt!“ meine ich mit verschränkten Armen und klarer Stimme. Ich wundere mich über mich selber, dass ich so selbstbewusst bin, denn sonst bin ich ja eigentlich nicht so direkt.

„Nun gut, dann gehen wir am besten jetzt“, meint Hares nun mit einem deutungslosen Ausdruck in seinen Augen.

„Ich komme mit! Das kann ich mir doch nicht entgehen lassen“, meint Alasaah freudig und mit einem schadenfrohen Funkeln in ihren smaragdgrünen Augen. Zumindest interpretiere ich das so, ich kann mich aber auch getäuscht haben. Ich bin mir sicher, sie wartet nur auf den richtigen Moment, um mich fertig zu machen und freut sich bestimmt klammheimlich, wenn ich sterbe.

„Ist es okay, wenn nur einer mitkommt und zwar Julién, ich kann mich nicht konzentrieren, wenn ich beobachtet werde…“, frage ich ruhig, meine Wut ist mittlerweile abgeflaut.

„Ja, das ist Okay. Alasaah, tut mir leid, aber du kannst nicht mitkommen.“ Wütend funkelt Alasaah mich nun an, was ich gleichermaßen erwidere.

Julién sieht mich nur amüsiert an und steht nun auf.

Alex schaut verwirrt zwischen mir und Julién hin und her und schaut mich anschließend fragend an.

„Alex, kommst du auch mit?“, bittend sehe ich ihn an, worauf er mir mit einem Lächeln zunickt, das lächeln erreicht jedoch nicht seine Augen.

„Okay, dann kommen ich, Julién und Alex mit. Und Meikes, Lucia und Alasaah bleiben hier, “ fasst Hares zusammen.

„Ja, genau“, stimme ich zu und bewege mich schon mal zur Tür.

 

 

 

21. Kapitel

 

 

„Sag mal, wieso wolltest du eigentlich, dass ich mitkomme? Also nur so aus Neugierde“ fragt Julién mich interessiert auf dem Weg in den Keller. Er läuft rechts neben mir, während Alex und Hares drei Meter weiter vorne darüber diskutieren, welchen Weg sie nun nehmen sollen, wobei Hares hektisch immer wieder nach rechts zeigt.

„Wenn ich ehrlich bin, dann bist du der einzige, dem ich aus dem Rat vertraue. Anscheinend wollen Lucia und Alasaah meinen Tod und Meikes… der ist irgendwie komisch…“, erkläre ich ihm vertrauensvoll meine Gedanken gegenüber dem Rat.

„Das nehme ich jetzt mal als Kompliment. Denn ich habe schließlich nichts gemacht, womit ich dein Vertrauen verdienen könnte.“ Lächelnd sieht er mich an, dabei erkenne ich ein kurzes Aufblitzen in seinen ozeanblauen Augen. Schelmisch streicht er sich eine widerspenstige braune Locke aus dem Gesicht.

„Doch, das hast du. Du hast mich immerhin verteidigt und willst mir helfen. Übrigens Danke, auch wenn es etwas verspätet kommt!“ meine ich sehr ernst und starre auf meine Füße.

„Ach das, das war doch nichts, dafür brauchst du dich nicht zu bedanken. Ist doch klar, dass ich dich verteidige, vor allem weil sie unrealistische und unglaubwürdige Argumente gebracht haben. Das konnte man sich ja nicht mehr länger mit ansehen. Und einer muss dich ja schließlich verteidigen, findest du nicht?“ Das letzte ist eher eine rhetorische Frage, doch sie berührt mich auch. Stimmt, hätte er mich nicht verteidigt, dann wäre ich sicher aufgeschmissen – denn ich hätte mich nicht verteidigen können. Aber hätte Alex mich verteidigt? Ich werfe einen bedrückten Blick zu Alex, der sich nun mit Hares unterhält. Nein, sicher nicht, stelle ich ernüchternd fest. Ich glaube, ich bin ihm noch nicht mal wichtig, nachdem er so aufbrausend auf die Worte von Phine reagiert hat. Traurig und auch enttäuscht, vergrabe ich meine Hände in meinen Hosentaschen und begutachte den Flur, durch den wir gerade laufen. Wie auch die vorherigen Gänge hat dieser eine hohe Decke. Die Wände ziert ein tristes Weiß, was mich ein bisschen an einen Krankenhaus erinnert und der Boden ist schwarz – weiß kariert, sodass es wirkt, als läuft man auf einem Schachbrett.

„Hey ist alles in Ordnung? Du bist so blass um die Nase“, fragt Julién mich auf einmal. Er verzieht besorgt die Augenbraue. Ich schaue ihn überrascht an. Mir geht es doch eigentlich ganz… akzeptabel, wenn man davon absieht, dass meine Familie entführt wurde, ich mit übernatürlichem Konfrontiert werde, anscheinend eine Legende bin, in einem Albtraum gefangen bin und nun vielleicht sterbe…

„Ja klar. Es ist nur… also… ich habe Angst vor… gleich“, lüge ich zögernd, obwohl es eigentlich stimmt, denn die Angst schlummerte in meinem Unterbewusstsein, doch nun ist sie erwacht. Da sogleich die ganzen Gefühle hochkommen, die ich eigentlich versucht habe zu verdrängen.

Es breitet sich wieder ein flaues Gefühl in meinem Magen aus, wie vorhin, als ich zum Rat musste und mein Herz pocht ein kleines bisschen schneller.

Ich hasse das. Immer wenn ich Panik kriege, kriege ich Magenkrämpfe, mein ganzer Körper zittert und ich kann nur flach atmen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es soweit ist.

„Das kann ich verstehen, aber glaub mir, du wirst nicht sterben!“ macht er deutlich.

„Woher willst du das wissen? Wie ich gehört habe, sind schon mehrere dabei gestorben, warum also sollte ich die erste sein, die das überlebt?“, meine ich hoffnungslos und mache damit meinem Unbehagen Platz.

„Weil du nicht die anderen bist! Du bist anders und in dir steckt viel mehr, als du glaubst. Zweifel nicht immer an dir selber, okay? Du bist okay so wie du bist, und du hast auch Stärken.“, teilt er mir aufmunternd, aber auch ehrlich mit und es ist als würden brodelnde Wellen in seinen Augen ein Schiff versenken, dabei lächelt er mich an.

Erstaunt sehe ich ihn an, es ist, als könnte er in mir wie aus einem Buch lesen. Dass er mich so gut kennt, hätte ich nicht gedacht und dass er ernsthaft daran interessiert ist, mir zu helfen.

„Ich muss noch was mit Hares besprechen… Ist das okay für dich?“ entschuldigend und forschend blickt er mich an, doch ich nicke nur lächelnd. „Ja klar. Ich komme schon alleine klar.“

Er sieht mich erst kurz zweifelnd an, aber macht sich dann auf den Weg zu Hares und ich laufe den anderen in einigen Abstand alleine hinterher. Alleine.

Sofort drängen sich wieder meine Ängste in den Vordergrund. Mit Julién zu reden, war echt eine gute Ablenkung und hat verhindert, dass ich nicht an gleich dachte, doch jetzt wo er weg ist…

Ich seufze schwer.

„Hey“, ertönt es nach ungefähr fünf Minuten neben mir. Ich war zu sehr in Gedanken versunken um zu bemerken, dass Alex mittlerweile neben mir herläuft.

„Hallo“, gebe ich gedankenverloren zurück.

„Ich wollte mich entschuldigen.“ Meint er nach einigen Sekunden, in denen er mit sich selbst rang, und schaut dabei auf dem Boden. Die Hände hat er, wie ich, in seinen Hosentaschen vergraben.

„Wofür?“ frage ich etwas emotionslos und ziehe eine Augenbraue hoch, weiß jedoch schon die Antwort.

„Dass ich so mies zu meiner Schwester war… und auch zu dir…“, bedrückt fährt er sich durch seine pechschwarzen Haare.

„Ist schon okay“, erwidere ich darauf und lächle ihn scheu an. Ich bin nicht mehr sauer, ich freue mich sogar, dass er den Mut gefunden hat, sich bei mir zu entschuldigen und dass er für mich da war und ist. Erleichtert schaut er mich an und sieht sehr glücklich aus, dass ich ihm verziehen habe, denn er lächelt mich strahlend als Antwort an.

Den Rest des Weges schweigen wir. Meine Freude, dass Alex sich bei mir entschuldigt hat ist nun längst verschwunden. Jeden weiteren Schritt, den ich in Richtung Keller mache, setzt sich wie ein Stein in meinem Körper ab und es fällt mir schwer, weiter zu gehen. Alles in mir sträubt sich dagegen, doch ich muss.

Mein Magen macht mittlerweile Purzelbäume und gluckert nur so vor sich hin, dazu geht meine Atmung immer flacher. Nervös kralle ich meine Fingernägel in meine andere Hand, dabei nehme ich die Schmerzen gar nicht wahr.

 

 

 

22. Kapitel

 

 

„So… das ist sie!“, ernst kratzt sich Hares an seinem Bart, bevor er sich zu mir umdreht und mir in die Augen schaut.

Ich stehe vor einem kleinen „Raum“ in einem Zimmer. Es ist eher ein Glaskäfig, denn man kann um ihn herumgehen und hineinschauen, da die Wände des Raumes aus Glas sind. Titanglas, wie mir Hares erklärte. Und darin steht eine Maschine. Jedoch ist sie überraschend klein, gerade mal so groß wie meine Hand, und erinnert mich irgendwie an ein altes Handy. Erst habe ich nicht geglaubt, dass das der Prototyp ist. Doch als ich nichts anderes in dem Käfig gesehen habe, was auch nur im Entferntesten an eine Maschine erinnerte, habe ich ihm halbwegs geglaubt. Immerhin sind im den Käfig nur die Maschine, die in der Ecke auf dem Boden liegt und eine Liege an der gegenüberliegenden Wand, die ich erst jetzt richtig wahrnehme.

Überrascht schaue ich das Teil an und murmle erstaunt, misstrauisch und auch eher zu mir selber: „Und das soll schon so viele Leben ausgelöscht haben?!“

„Wie kommst du denn darauf, dass bei dem Versuch schon Leute ums Leben gekommen sind? Sie wurde doch noch gar nicht getestet“, fragt Hares verwirrt und hebt eine Augenbraue.

Aber… Ach ja, das hat mir Phine erzählt und nicht der Rat. Dann muss aber einer gelogen haben, stelle ich grimmig fest.

„Ach… oh, dann habe ich da wohl was falsch verstanden, “ versuche ich es beiläufig klingen zu lassen. Hares sieht mich erst misstrauisch an und setzt schon zu einer Antwort an, jedoch macht er dann nur eine wegwerfende Handbewegung und hakt dann nicht weiter nach.

„Mal ‘ne andere Frage: Warum steht da eigentlich eine Liege drin?“

Ich kann mir einfach nicht erklären, was da drin zu suchen hat. Ich meine ein Stuhl wäre doch angebrachter, damit man nicht die ganze Zeit stehen muss, aber ein Liege?! Soll man etwa schlafen, oder wird etwa mit Einem Versuche durchgeführt? Wirkt jedenfalls so, mit den vier Schnallen an den Seiten.

„Ähm… also…“, stottert Hares und schaut sich hektisch um, während er sich ratlos am Kopf kratzt. „Also…?“, hake ich wartend aber auch ein bisschen ängstlich nach. Was macht der denn auch so ein Geheimnis draus? Wollen die etwa wirklich mit mir kranke Versuche durchführen?!

„Wir müssen dich daran fesseln, damit du dich nicht wehren kannst“, erklärt mir Julién nun emotionslos.

Geschockt sehe ich ihn an, dabei klappt mir sprichwörtlich die Kinnlade herunter.

„Warum das denn? Und wer sagt, dass ich mich wehre? Ich habe das Angebot doch angenommen und WILL es sogar, deshalb werde ich mich auch nicht wehren. Ihr müsst mich also nicht fesseln! Oder gibt es etwa einen Grund, warum ich mich wehren sollte?“ mache ich deutlich klar und zeige ihm damit mein Misstrauen der ganzen Sache über.

Schweigen.

Man hört nur das bedächtige Ticken der silbernen quadratischen Uhr im „Glaskäfig“, wie ich es getauft habe.

Tick…Tack…Tick…Tack…Tick…Tack

Das Geräusch hört sich in der Stille für mich wie ein Presslufthammer an. Einfach unerträglich.

Dazu kommt noch, dass alle schuldbewusst zu Boden blicken und nicht mal Julién schaut mir in die Augen, was mir schon Panik macht.

Nach ein paar Minuten, die sich für mich endlose Stunden angefühlt haben, dreht sich Hares, der sich zwischenzeitlich dem Glaskäfig zugewandt hat, nun zu mir.

„Das ist die letzte Gelegenheit abzubrechen, wenn du erst mal… drin bist, gibt es kein Zurück mehr! Also überlege es dir noch mal gut… bevor es zu spät ist, “ verdeutlicht er mir mit tiefer Stimme und guckt dabei so ernst, dass mir ganz kalt wird, es fühlte sich an wie tausend Nadelstiche.

Meine Frage übergeht er damit einfach und es scheint auch nicht, als ob die noch einer beantworten würde. Daraufhin wird mir mulmig zumute. Es wird doch schlimmer, als ich geglaubt habe, wenn sie mir noch nicht mal DAS beantworten können. Ich fühle mich ein bisschen verraten. Aber was bin ich auch schon, außer ein Eindringling. Die sind doch froh wenn ich weg bin und die wollten schließlich auch, dass ich den Versuch mache.

Will ich das denn wirklich durchziehen? Bisher war mir noch nicht ganz klar, was es für Konsequenzen hat. Ich habe es sehr gut verdrängt… doch jetzt kommen langsam Zweifel in mir auf. Ist es wirklich richtig? Wenn ich sterbe – und die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch – wem habe ich dann geholfen? Will ich überhaupt sterben? „Nein!“, gebe ich mir sofort die Antwort darauf. Aber meine Familie… Deiner Familie nützt du tot nichts! Erwidert meine innere Stimme erbost.

Aber es wäre doch feige, das Angebot abzulehnen und zurückzukehren. Dann ist meine Familie endgültig verloren… und ich auch. Dann will ich gar nicht mehr leben, weil ich immer daran denken muss, meiner Familie nicht geholfen und diesen Mördern überlassen zu haben. Das könnte ich mir nie verzeihen!

„Ich bin mir sicher“, gebe ich nicht so stark und sicher wie gewollt von mir, was die anderen auch bemerken und mit einem mitleidigen Blick kommentieren.

Innerlich führe ich einen Kampf mit mir selber. Ich muss es tun… auch wenn ich sterbe. Ich muss es einfach. Für meine Familie. Für mich. Damit ich nicht irgendwann an meinen Schuldgefühlen ersticken werde.

 

 

 

23. Kapitel

 

 

„Okay. Also wir schnallen dich jetzt an der Liege fest und ich gebe dir dann eine Spritze für die Schmerzen, die kommen werden. Aber das tut gar nicht weh.“

„Was tut nicht weh? Die Spritze oder das was danach kommt?“, murmle ich sarkastisch mit zusammengebissenen Zähnen. Ich liege nun auf der eiskalten schwarz gepolsterten Liege und Hares, Julién und Alex stehen um mich herum. Es wirkt so, als wollen sie das gar nicht machen… dabei WOLLTEN sie doch, dass ich den Versuch mache - zumindest Hares.

Ich verstehe es einfach nicht. Haben sie einfach nur Stimmungsschwankungen oder gibt es hier so was wie eine Hierarchie, wo Alasaah ganz oben steht und entscheiden darf was gemacht wird?

Hares legt mir vorsichtig die metallenen Schnallen um, die eiskalt sind, um schnallt meine Handgelenke, sowie meine Fußgelenke fest, die am Rand der Liege liegen.

Ich muss sagen, es sieht nicht nur wie in einem Krankenhaus aus – es riecht auch so. Ziemlich nach Desinfektionsmitteln.

Die triste Beleuchtung macht es auch nicht gerade besser und ich komme mir vor wie ein Versuchskaninchen in einem Labor eines verrückten Wissenschaftlers. Nur dass das hier die Realität ist und kein Film. Und dass man nicht darüber lachen kann.

Vorher musste ich meine Schuhe, meine Tasche und meine Jacke draußen stehen lassen. Ich habe gefragt, warum ich das machen muss, habe aber, wie zuvor, auch hierauf keine Antwort bekommen, was mich enttäuscht hat und immer noch tut.

Das Gerät oder die Maschine wurde mit meinem Kopf verbunden, hört sich schmerzhaft an, aber ich spüre nichts. Ich fühle nur etwas kaltes, fast schon nasses an meinem Kopf, dass mein Kopf taub werden ließ. Ich will auch ehrlich gesagt gar nicht wissen, WIE sie es gemacht haben und habe das Thema totgeschwiegen als Hares mir stolz die Maschine präsentieren wollte. Die anderen haben ihm aber schon zu verstehen geben, dass das taktisch nicht sehr klug von ihm war und er hat es daraufhin schuldbewusst gelassen.

„Konzentriere dich am besten auf einem Punkt in diesem Raum, dann spürst du den Schmerz gar nicht… oder zumindest nicht so stark, “ rät Hares mir und ignoriert meine Aussage. Ich befolge stumm seine Anweisung. Mein Punkt ist… oder eher sind Alex Augen. Er unterbricht den Blickkontakt nicht. Seine Augen nehmen mich in diesem Moment gefangen, ziehen mich einen Strudel aus Grün und Braunen Punkten. Dann sehe ich etwas glitzern und erkenne den schmerzvollen Ausdruck. Ich versuche mit meinem Blick zu sagen, dass alles gut wird. Jedoch bezweifle ich meine Aussage, denn es wird nicht alles gut. Das sagt man vielleicht, wenn ein Kind sich das Knie aufgeschlagen hat. Aber ich bin kein Kind mehr und das Problem ist weit größer als eine körperliche Wunde.

„So siehst du, war doch gar nicht so schlimm.“ Meint Hares in die Stille hinein und ich komme mit einem Ruck wieder in der Realität an. Ich habe weder mitbekommen, wie die Spritze aussah, noch wo er sie mir hineingestochen hat und ich habe auch keinen Schmerz gespürt.

Ein paar Sekunden später, als ich wieder klar bin, machen sich die anderen auf dem Weg zur Tür.

„Hey, wo wollt ihr hin? Warum bleibt ihr nicht hier?“ Als die anderen aber unbeachtet meiner Worten ihren Weg fortsetzen werde ich panisch.

„Antwortet mir doch! Bleibt bitte hier. Bitte, ich schaff es nicht alleine“ Verzweifelt und flehend schreie ich sie an. Ich will und kann das nicht alleine durchstehen, warum sonst würde ich wollen, dass jemand mitkommt?! Ich zittere, mein ganzer Körper vibriert, wegen der Panik. Niemals Allein. Ich bekomme Platzangst, in so einem kleinen Raum, wenn nicht jemand da ist, der zu mir beiseite steht.

Hares dreht sich noch mal kurz an der Tür zu mir um, mit einem schmerzvollen Blick und flüstert leise und bedauernd: „Tut mir leid, aber ab hier können wir dir nicht mehr helfen. Das wäre zu gefährlich. Das hier musst du alleine durchstehen.“

Mit diesen Worten riegelt er die Tür, das einzige was nicht aus Glas, sondern aus Metall besteht, ab. Die Tür ist sehr dick und lässt sich bestimmt auch nicht so leicht aufbrechen. Hilfesuchend versuche ich noch die anderen mit Blicken zu überreden hierzubleiben, aber ich kann meinen Kopf nicht so weit anheben. Resigniert lasse ich meinen Kopf auf die harte Liege fallen und schließe verbittert und mit Tränen meine Augen.

Leb‘ wohl! Mama, Papa, Lucy, ich liebe euch!

Mit diesem Gedanke begannen für mich die qualvollsten Stunden meines erst kurzen Lebens.

 

24. Kapitel

 

Einige Minuten liege ich nur so da und es passiert nichts. Ich starre an die Decke, durch die Glasdecke hindurch, die ein verwaschenes Grau trägt. Sie war wohl einmal weiß, ist aber durch die Zeit immer weiter zerfallen und das weiß verblasst. Ich vegetiere bestimmt mehrere Minuten vor mich hin, die mir jedoch wie Stunden vorkommen.

Pziiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiing

Mein Kopf hebt sich ruckartig von dem Stromschlag, er wird regelrecht nach oben geschleudert und kracht dann mit einem lauten Knall wieder zurück auf die Liege, was einen lang ziehenden und hämmernden Schmerz mit sich bringt. Er verschwindet so schnell wieder, wie er gekommen ist.

Geschockt versuche ich um Fassung zu ringen, so plötzlich kam es. Und es tut weh, ich habe stechende Kopfschmerzen, die sich immer weiter nach unten ziehen. Zu meiner Stirn, hinunter zu meiner Brust, zu meinen Armen und runter zu meinen Beinen und letzten Endes schüttelt sich alles von den weiteren abrupten Stromschlägen. Ein Stechen, als würde man von abertausenden Stecknadeln gleichzeitig gestochen werden.

Mein Herz pumpt so schnell, es fühlt sich an, als wolle es meinen Brustkorb sprengen.

Ich weiß gar nicht wie viele Stromschläge ich abbekomme und immer wenn ich denke: jetzt ist es vorbei oder schlimmer kann es eh nicht mehr werden, übertrumpft ein weiterer die von mir gesetzte Grenze.

Doch irgendwann, ich habe schon mindestens 20 Stromschläge über mich ergehen lassen müssen, die mich heftig durchschüttelten und mich immer noch nicht ins Jenseits beförderten, da ist plötzlich Stille. Man hört nichts mehr außer meinem hektischen Atmen und das Ticken der Uhr. Ich starre benommen und nicht mehr ganz anwesend durch die Wand hindurch. Dann schließe ich langsam meine Augen, sie brennen schon, weil ich sie die ganze Zeit mit aller Kraft offen hielt, deshalb ist es schon wie eine Erlösung für mich. Ich seufze tief. Was haben die Stromschläge zu bedeuten und warum bin ich noch nicht tot, so wie ich davon durchgekocht wurde?

Oder vielleicht ist es noch gar nicht vorbei und ich bin schon tot, um das zu bemerken?

Mit einem Mal fühle ich mich so leicht, als würde ich schweben. Ich spüre keinen Untergrund mehr, meine Hände können nichts fassen. Hilflos taste ich um mich. Ich öffne meine Augen und muss feststellen, dass ich nicht mehr auf der Liege bin. Verwirrt stelle ich fest, dass ich ein paar Zentimeter in Liegeposition über dem Boden neben der Liege schwebe. Doch die Liege ist nicht leer. Nein, auf der Liege ist jemand. Ich schwebe näher heran. Erkenne, dass das Ich bin, oder eher mein Körper. Geschockt halte ich die Hand vor dem Mund, doch ich nehme meine Hand nicht auf meinem Mund war, es ist, als würde ich ins Nichts fassen, in Leere. Aber da muss doch mein Gesicht sein! Ich schaue auf die gegenüberliegende Glaswand, die mir als Spiegel dient. Ich sehe die Liege, mit meinem Körper darauf. Doch daneben, da ist nichts. Da wo ich mich hätte erkennen, sehen müssen, ist nichts.

„Hey, Sophie. Beruhige dich. Das ist ganz normal, “ spricht auf einmal eine sanfte Frauenstimme. Verwirrt schaue ich mich um, um zu sehen, wem diese Stimme gehört.

„Du kannst mich nicht sehen. Du bist nicht tot, stehst nur zwischen Tod und Leben. Und nur Tote können mich sehen. Also sei beruhigt.“

Panisch schaue ich mich um. Wer sagt mir denn, dass ich nicht tot bin? Ist das nur ein böser Traum?!

„W-wer sind sie?“ schreie ich panisch, ängstlich und auch verwirrt, doch ich höre meine Stimme nur sehr schwach.

„Ich bin deine Großmutter liebes, Sonia. Nur ich habe nicht viel Zeit dir alles zu erklären. Es sei nur gesagt: Achte darauf, WEM du deine Fähigkeiten zeigst und vertraue auch nicht dem Rat, auch wenn er dir jetzt hilft. Du wirst in naher Zukunft Hilfe erwarten, aber begib dich nicht alleine in Gefahr. Hörst du? Die Traumfänger warten nur auf dem Moment, wo sie dich alleine antreffen können.“

Ich habe Mühe dem Gesagten zu folgen. Sie spricht für mich in Rätseln. Wenn das wirklich ein Traum ist, würde ich gleich aufwachen und meine angebliche Großmutter hat nie zu mir gesprochen.

„Das ist kein Traum, hörst du! Das ist die Wirklichkeit. Bitte glaube mir, ich will dir nur helfen. Vertraue auf deine Fähigkeiten, verlasse dich aber nicht auf sie. Sie spiegeln nur das wieder, was du bereit bist zu tun. Ich muss dich jetzt wieder verlassen. Lebe wohl, ich wünsche dir ein schönes und vor allem langes und erfülltes Leben, “ zum Ende hin wird sie immer leiser, als würde sie sich immer weiter entfernen.

„Warte!“ ich werde panisch. Vorhin dachte ich, es wäre ein Traum, da war es nicht so wichtig mit ihr zu sprechen, weil es ja eh nicht die Realität ist, aber jetzt wird mir die Ernsthaftigkeit der Lage bewusst.

„Lebe wohl. Ich liebe dich“, höre ich noch, bevor die Stimme verstummt.

Ich weine, doch ich spüre keine Tränen.

Dumme Sophie! Das hast du jetzt davon. Chance vertan. Wie immer habe ich alles falsch gemacht. Hätte ich es doch von Anfang an ernst genommen!

Verzweifelt versuche ich auf die Liege vor mir zu schlagen, doch ich schlage ins Nichts. Schon wieder. Plötzlich flimmert es vor meinen Augen, alles summt, meine Hände vibrieren, alles vibriert und am Ende falle ich in die Bewusstlosigkeit.

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25. Kapitel

 

 

„…ophie. Sophie, komm schon wach auf“, ertönt Alex´ dunkle Stimme unweit neben mir.

Hmm“, erwidere ich brummend, noch im Halbschlaf und vergrabe mich noch tiefer unter der weichen Decke. Ich will noch nicht aufstehen. Dafür ist der Schlaf zu verlockend und ich noch zu müde.

Immerhin ist sie wach, das ist ein schon einmal ein gutes Zeichen. Überhaupt ist es ein Wunder das sie das überlebt hat und noch nicht mal schwerwiegende Verletzungen erlitten hat“, sagt eine Männerstimme. Die Person muss schon seine besten Jahre erreicht haben, wie ich anhand der rauen Stimme schlussfolgere. Und Raucher.

Können sie mich nicht einfach schlafen lassen?!

Sophie, so Leid es mir auch tut, aber ich muss Dir noch einige Fragen zu deinem Befinden stellen, damit ich sehen kann, was Dir fehlt.“

Mir fehlt nichts, mir geht’s super“, nuschele ich gereizt.

So sieht es aber nicht aus, wenn du dich jetzt also bitte aufrichten könntest…!“ kommt es jetzt ein bisschen nachdrücklicher.

Murrend schlage ich die Augen auf, nachdem sie sich an die Helligkeit gewöhnt haben. Dann richte mich ein wenig auf, dass ich mit dem Rücken an der Wand lehne und schaue in ein genervtes und in ein amüsiertes Gesicht.

Ich bin noch zu verschlafen, um mir die Frage zu stellen, warum jemand mich untersuchen will und Alex so besorgt ist.

Soweit ich es erkennen kann, liege ich in einem kleinen unbewohnten Zimmer im Haus des Rates. Es befinden sich lediglich das Bett, in dem ich liege, und ein Kleiderschrank in diesem Raum. Die Wände sind in einem sanften Beige Ton gestrichen und den Boden ziert ein hellbraunes Parkett.

Alex kniet am Kopfende neben dem Bett und hat seine Hände auf dem Bett verschränkt. Der Arzt, wie ich vermute, sitzt auf einem Stuhl, der auch noch Platz in diesem kleinem Raum gefunden hat, mir zugerichtet neben der Tür. Als er nun meine Aufmerksamkeit hat, steht er auf und reicht mir seine große, raue Hand, die ich zögerlich annehme. Ich merke, dass er einen seinen sehr festen Händedruck hat und ziehe meine Hand schnell wieder weg, bevor sie droht zerquetscht zu werden.

Freut mich, dass ich nun deine Aufmerksamkeit habe, mein Name ist Dr. von Hydental.“, stellt er sich vor, bevor er sich wieder zum Stuhl begibt.

Er sieht sehr verwittert aus, mit den verstrubbelten kurzen grauen Haaren, die nur notdürftig den Kopf bedecken und seiner Kleidung, die aus einem einfarbigen, blauem Hemd und einer verwaschenen Jeans besteht. Aber auch sehr ernst, seinen dunklen Augen nach zu urteilen. Wie ein Mann, der schon viel erlebt hat.

Okay, ich werde dir jetzt einige Fragen stellen. Versuch sie bitte so gut es geht zu beantworten“, erklärt er sachlich.

Mit einem Nicken gebe ich ihm zu verstehen, dass ich damit einverstanden bin, brauche aber erst einmal einen Moment um klar im Kopf zu werden.

Von Hydental zieht den Stuhl neben meinem Bett und sitzt damit gegenüber von Alex.

Was ist das letzte, woran du dich erinnern kannst?“

Gute Frage, jetzt wo ich darüber nachdenke weiß ich gar nichts mehr. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich dabei war, etwas sehr dummes zu tun.

Also daran, dass ich auf dieser Liege festgeschnallt war, dann diese unerträglichen Schmerzen und…“, dass ich meine Großmutter, oder zumindest ihren Geist, getroffen habe, aber das konnte ich ihnen ja schlecht sagen. „Sonst nichts.“, beende ich meinen Satz und gucke darauf in Alex erschrockenes Gesicht. Da weiß ich, dass noch mehr passiert ist, als das, an was ich mich erinnere. Es ist wie im Nebel, ich versuche, den Nebel zu lichten, doch er bleibt standhaft. Nach ein paar Sekunden gebe ich auf, weil es mir stechende Kopfschmerzen verursacht.

Das habe ich mir fast schon gedacht.“, murmelt der Arzt nun bedauernd und eher zu sich selber.

Versuche dich bitte an irgendwas danach zu erinnern. Ich weiß, dass es sehr schwierig ist, nachdem was vorgefallen ist, da möchte man sich auch nicht daran erinnern, aber es kann nicht alles verloren gegangen sein. Es besteht noch eine Chance, dass noch ein Stückchen Erinnerung vorhanden ist.“

Ich schließe meine Augen und versuche irgendwas hervorzugraben, will mich aber nur ungern an Schmerzen erinnern. In meinem Kopf herrscht totale Leere, es ist kein Chaos, das wäre ja noch okay, nein es ist absolut nichts. In meinem Kopf ist komplette Leere. Wie das schwarze Loch, das jede Erinnerung einsaugt. Oder wie ein Buch mit leeren Seiten.

Tut mir Leid, aber in meinem Kopf herrscht gerade absolute Leere. Ich… es ist nur so… ich kann gerade keinen klaren Gedanken fassen… wie eine weiße Wand.“ Murmele ich vor mich hin.

Was ist denn passiert? Etwas sehr schlimmes? Bitte sagen sie es mir, ich muss es wissen.“, fahre ich fort und ich schaue flehend sowohl den Arzt als auch Alex an.

Doch ich sehe in ihren Augen, dass sie mir nichts sagen werden.

Meine Augen senken sich, ich kann erahnen, dass es etwas sehr schlimmes sein muss. Andernfalls würden sie es mir sagen.

Mitfühlend legt sich eine Hand auf meine Schulter. Ich schaue auf und blicke direkt in Alex schuldbewusste blaue Augen.

Mit einem Nicken gebe ich ihm zu verstehen, dass ich akzeptiere, dass sie nichts sagen. Zumindest für diesen Moment.

Vielleicht ist es sogar besser, dass ich nicht alles weiß, was passiert ist.

In diesem Augenblick schießt ein Gedanke in meinem Kopf, den ich bis jetzt ausgeblendet habe, obwohl es eigentlich die wichtigste Frage ist. Der Grund, warum ich jetzt hier liege.

Ich traue mich nur nicht zu fragen, weil ich Angst vor der Antwort habe. Sie entscheidet schließlich über mein Leben. Ich meine, wenn die Antwort negativ ausfällt, und damit muss ich rechnen, dann steht mein Schicksal sehr schlecht.

Es wäre im Grunde genommen mein Todesurteil.

Und das möchte ich nun wirklich nicht hören.

Die Frage ist: Kann ich hierbleiben und bekomme Schutz vom Rat oder muss ich nachhause, wo ich den Traumfängern schutzlos ausgeliefert bin? Dann wäre ich sozusagen Vogelfrei.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Text sowie wie die Charaktere sind frei erfunden. Alle Rechte vorbehalten.
Bildmaterialien: Das Cover gehört Stefanie Markstoller - Vielen Dank :)
Lektorat: Das hat R.A übernommen. Nochmal vielen Dank! :D
Tag der Veröffentlichung: 26.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich meinen Lesern :)

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