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Prolog





Der plötzliche Schrei drang durch den, vom Mondlicht erhellten Saal, hinaus in die Nacht. Schreckte die schillernden Vögel aus ihrem Schlaf. Eine Frau mit sonnenuntergangsfarbenem Haar sank auf die Knie und sah zum Boden. Ihr Gesicht war wutverzerrt und eine einzelne Träne rann ihr Kinn hinunter, vermischte sich mit dem Blut ihrer Wunde. Als sie zum Himmel hinaufsah wurde ihr Gesicht von dem hellen Mond angeschienen und die silber-goldenen Schuppen an ihrer Schläfe begangen zu schimmern. Sie stieß ihren Fluch heraus, der durch einen zweiten Schwertstoß je beendet wurde. Mit einem Lächeln auf den Lippen erlosch das Licht in ihren Augen.


1




Das Glück ist nur ein Traum, und der Schmerz ist
wirklich. (Voltaire ( 1694 - 1778))





Stöhnend versuchte sich Akira von dem Boden aufzurichten. Das Brennen schoss sofort an der Wirbelsäule hinab. Wie viele Peitschenhiebe musste sie heute schon über sich ergehen lassen? Ein halbes Dutzend, mindestens!


"Wenn ihr noch einmal ungefragt euren dreckigen Mund aufmacht, erwartet euch mehr als nur die Peitsche!", brüllte einer der Wachen und stieß sie mit seinem Fuß wieder zu Boden. Ein weiteres Mal zischte die Peitsche auf ihren Rücken hinunter, doch mehr als ein Wimmern kam ihr vor Erschöpfung nicht über die Lippen.
Die Angst vor den Wachen, Kriegern, selbst vor den anderen Sklaven, die wie sie täglich ums Überleben kämpften, war nie verschwunden. Seit neun Sommern ist Akira nun Sklavin im Heerlager der Nigash. Ihren größten Feinden.
Als sie Acht war, wurde ihr Heimatdorf von den Nigash angegriffen. Ihre Eltern wurden getötet und sie wurde als Sklavin ins Feindesland gebracht. Jeden Fluchtversuch den sie gestartet hatte, wurde je mit der Peitsche beendet. Mit den vergangenen Sommern nahm ihr Hass zu. Aber auch die Angst stieg mit jeden vergangenen Tag. Die Angst vorm Verhungern! Wie habe ich hier nur so lange überlebt?

Jeden Tag musste sie mit ansehen, wie Sklaven durch Krankheiten, Müdigkeit oder Hunger starben. Sie musste mit ansehen, wie Kinder, die keine sechs Sommer gesehen haben, von den Wächtern zu Tode geprügelt wurden, weil sie um ein Stück Brot gebettelt haben. Keiner hat ihnen geholfen! Sind stumm weitergegangen und haben ihre Aufgaben gemacht! Die Hilfe unter den Sklaven existiert schon lange nicht mehr! Jeder wollte leben! Jeder! Auch sie! Anfangs hat sie sich vor die Kinder gestellt, wollte ihnen helfen. Doch es ist nur dazu gekommen, dass sie die Schläge verdoppelt haben und Akira selbst unter der Peitsche landete.
Ein weiteres Paar Schuhe erschien vor ihren Augen und Akira kauerte sich noch weiter zusammen. Nein! Nicht noch mehr Schläge! Das halt ich nicht aus!


"Miruh! Ich soll Euch ausrichten, dass ihr sie an den Holzpfahl binden sollt! Bis morgen Mittag! Kein Essen! Kein Trinken! Keine Aufmerksamkeit!", sagte dieser mit emotionsloser Stimme. Nein! Nicht auch noch das! Bei allen guten Geistern, helft mir!

Mit einem Ruck riss Miruh an ihren Haaren. Ihr Schrei ging unter den üblichen Geräuschen im Heerlager unter.
"Ihr habt es gehört! Mitkommen!", stolpernd zog er sie mit sich. Er achtete nicht darauf, dass das Mädchen, vor Müdigkeit und Hunger, immer wieder auf die Knie fiel. Zog sie weiter an ihren Haaren durch das Heerlager. Schmerzen standen ihr ins Gesicht geschrieben. Doch er zog sie weiter, bis sie ein paar Meter vom Lager entfernt waren und ein Holzpfahl vor ihnen in die Höhe ragte. Bitte nicht!

"Bitte...", ihre leise Stimme versagte. Sie wusste, dass es nichts bringen würde, um Erbarmen zu betteln.
Akira wurden die Hände hoch über ihrem Kopf mit einem scheuernden Strick an dem Pfahl festgebunden. Sie ließ einen leisen Schluchzer hören, als der Wächter den Strick so festzog, dass sie ihre Hände und Arme nicht mehr bewegen konnte. Es war ihr nicht mehr möglich sich hinzuknien oder gar hinzusetzen. Der Strick schnitt schmerzhaft in ihrer Haut und gab ihr langsam das Gefühl der Taubheit. Die Welt verschwand um sie herum, als Wächter Miruh ihr noch einmal in das geschundene Gesicht schlug und ging.

Als der Regen begann, stand der Mond schon hoch am Himmel und leuchtete auf Akiras schlaffen Körper hinab. Ihr Sonnenuntergangsfarbenes Haar hatte sich aus dem Knoten gelöst und klebte an ihrem durchnässten Körper. Die goldenen Spitzen ihres Haars, die sie immer versuchte zu verstecken, leuchteten im Schein des Mondes. Die Kälte nistete sich langsam in ihren Knochen ein! Ließ ihre Glieder steif werden und machten es ihr unmöglich sich zu bewegen. Ich kann nicht mehr! Es ist so kalt! Wieso tun sie das? Wieso können sie mich nicht los binden?


Am Rande ihrer Sinne nahm sie war wie ein Horn in der Ferne erklang. Hektik kam im Lager auf.
Langsam öffnete Akira ihre geschwollenen Augen und sah den Kriegern, Wachen, Frauen und Kindern zu. Die Sklaven beeilten sich die vielen Platten mit Essen wegzubringen. Sie gingen an ihr, mit Kelchen voll Wein und Bier, vorbei. In Krügen brachten sie dampfendes Wasser zum Waschen.
Der Heerführer ist zurück!

Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie wusste nicht ob vor Angst oder Hoffnung.
Was, um den Geistern Willens, will ich mir mit seiner Rückkehr erhoffen? Dass er den Befehl gibt mich loszubinden? Oder das er mich gar selbst losbindet? Ich bin eine Sklavin von vielen! Warum also gerade ich? Erschöpft ließ sie ihren Kopf wieder auf die Brust zurück sinken.
Er ist auch nicht besser als die Anderen! Er ist genauso grausam wie Miruh! Wenn nicht sogar noch grausamer!

~ ~



Der Klang des Horns hallte über dem Lager hinweg. Darus ließ das Horn sinken und nickte dem jungen Heerführer zu. Zwei ganze Mondläufe war ich nicht mehr im Lager! Wie viele Sklaven sind der Zeit wieder gestorben oder getötet worden?

Er setzte sein Kriegsross in einen leichten Trab.
"An was denkt Ihr, Herr?", fragte Fimo und ließ sein schwarzes Ross zurückfallen. Keir schreckte aus seinen Gedanken und blickte seinen ersten Legat böse an.
"Ich denke daran ob Ihr mir solche Fragen stellen dürft oder ob Ihr es darauf ankommen lassen wollt, demnächst bei den Wächtern im Zelt zu schlafen!"
Wie lange Keir Fimo auch kannte und wie oft dieser ihm in schwierigen Situationen schon seine Treue zu seinem Heerführer gezeigt hatte, er wird ihm nie vollends trauen können. Zu sehr verabscheute Fimo die Sklaven und zu oft musste er selber mit ansehen, wie er ihnen die Peitsche lehrten. Der Legat wendete sich lächelnd von seinem Heerführer und Freund ab.

Vor Keirs Augen begann sich sein Heerlager mit jedem weiteren Schritt, welches sein Ross machte, mehr aufzurichten. Er konnte schon von weitem das Stimmengewirr und die Schreie hören. Müde richtete der junge Krieger seinen Blick auf Fimo, der ein paar Fußlängen vor ihm Ritt. Seine Gedanken rasten um den Auftrag von dem sie wiederkamen.
Wieder mussten unnötig Menschen sterben! Was erhofft sich König Ruan nur davon? Völker von Menschen sterben für die Gier eines Königs!
Seit einem Sommer suchte er schon nach dem Gegenstand den König Ruan voller Gier herbeisehnte. Was er genau suchte wusste er nicht. Ihm wurde nur gesagt , dass es sich in einem kleinen Dorf der Maaren befindet. Es soll von unschätzbaren Wert sein und so mächtig das es die ganze Menschheit zerstören könnte. Bislang waren er und seine Männer erfolglos gewesen. Dafür sind sie alle erschöpft, Dörfer wurden ausgelöscht und unendlich viele Menschen getötet. Verbittert schüttelte der junge Mann seinen Kopf und richtete sich erneut auf sein Ross auf.
"Darus, wie viele Dörfer könnten den gewünschten Gegenstand noch in ihrem Besitz haben?"
Der blonde Krieger drehte sich zu seinem Heerführer um und schaute ihm mit müden Blick an.
"Es können noch Hunderte sein, Heer! Die Maaren ziehen es vor in kleinen Dörfer zu leben, um einen Angriff ihrer Feinde so gering wie möglich zu halten!" Es ist dem jungen Mann nicht entgangen, dass Darus die Feinde der Maaren verallgemeinert hat. Wer sieht sich denn schon selbst gern als den größten Feind des Nachbarlandes?

Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. Seit Jahren sind die Nigash und die Maaren verfeindet. Vor mehreren Sommern hatte sich König Ruan dazu überringen können, den Waffenstillstand der beiden Länder mit zu besiegeln. Danach hatten sich die Völker voneinander abgewendet, doch die Schwerter lagen immer griffbereit. Es wurden weiterhin Krieger dazu ausgebildet ganze Dörfer zu zerstören.
Mit dem Beginn des Auftrags des Königs wurde der Waffenstillstand beendet und der König der Maaren wird mit seinen Kriegern zurückschlagen.
Er nickte Darus zu und ritt wieder voraus neben seinem ersten Legat.
"Was denkt ihr, wann wir wieder aufbrechen sollten?"
"Ich denke in sechs Tagen! Bis dahin, sollten wir und die Pferde wieder einigermaßen ausgeruht sein", sein Blick war starr auf die Zelte gerichtet die vor ihnen waren.
"Keir, wir sollten uns beeilen den Gegenstand zu finden, bevor man König Articus berichtet, dass wir seine Dörfer zerstören!"
"Ich weiß!", er stieg von seinem Kriegsross und übergab es einen der Sklaven. Dann verschwand er schweigend in seinem Zelt. Versuchte mit dem Zuklappen des Leders, welches vor dem Eingang hing, die Geräusche und Stimmen auszusperren.

2




Im Leben geht es nicht darum zu warten, dass das Unwetter vorbeizieht, sondern zu lernen im Regen zu tanzen. (Autor unbekannt)





Schon lange schaffte Akira es nicht mehr ihre Augen aufzuhalten, zu sehr zerrte die Müdigkeit an ihr. Erschöpft hing sie an den Seilen und versuchte die Schmerzen so gut es ging auszublenden. Ihre Hände spürte sie nicht mehr, doch die Seile schnitten unerbittlich in ihre Handgelenke. Mit einem Ächzen gaben ihre Beine unter Akira nach, ein Ruck zog durch ihre Arme bis zu ihren Handgelenken und ihr entwich ein Schrei, der nichts weiter als ein Krächzen war. Niemand drehte sich nach ihr um! Hilflos versuchte sie sich wieder aufzurappeln, schaffte es jedoch nicht. Ein schwarzer Schleier legte sich über ihre Augen. Die Gespräche gingen an ihr wie in einem Traum vorbei. Keiner der Wachen oder Krieger sprachen mit ihr. Nicht einmal angeschrien wurde sie! Panik breitete sich in Akira aus. Ich will nicht sterben! Nicht so! Ich will nicht an einem Pfahl gebunden sterben! Ich will nicht, dass das letzte was ich sehe, das Heerlager meiner Feinde ist!

Ein weiteres Mal versuchte Akira sich an den Pfahl aufzurichten und sackte wieder in sich zusammen. Ihr Magen zog sich krampfhaft zusammen und sie musste anfangen zu würgen. Es schnürte ihr schmerzhaft die Kehle zu, so dass sie anfing um Luft zu ringen. Danach sank sie angsterfüllt in Ohnmacht. Dunkelheit breitete sich um sie herum aus, bis sie sie schließlich ganz umschloss.

Schreie! Überall konnte man nur Schreie hören. Kinder rannten umher. Suchten verzweifelt ihre Eltern und Geschwister. Wurden weitergedrückt. Wieder Schreie. Sie haben die ersten Häuser in Brand gesetzt. Kamen nun bedrohlich schnell auf die Dorfbewohner zu. Die Kinder fielen hin, wurden in der Panik nicht mehr gesehen und von den anderen überrannt. Ihr Herz setzte aus als weiteres Kreischen erklang und sie mit starren Blick mit ansehen musste, wie sie die ersten erreichten und mit einem Hieb die Köpfe von ihrem Rumpf schlugen. Würgend drehte sie sich weg. Lief weiter. Stolperte. Rappelte sich wieder auf. Mit einen mal ein Schlag auf den Kopf. Sie fiel wieder hin. Wurde auf dem Boden gedrückt. Schwärze umfing sie. Ihr Atem stockte.



Schreiend wachte sie auf und blickte in braun-schwarze Augen die emotionslos auf sie hinabsahen. Wo bin ich?

Sie konnte ihre Hände spüren und das brennende Ziehen an ihren Handgelenken, doch dies kam nicht von den Seilen. Sie lag auf einem Bett das dick mit Fellen ausgelegt war und sie konnte sehen das sie sich in einem Zelt befand. Wie bin ich hierhergekommen?

Der Mann der sich über sie gebeugt hat drückte ihre Hände schmerzhaft auf die Felle. Akira versuchte sich krampfhaft aus dem eisernen Griff zu befreien, doch der Mann hielt sie weiterhin fest.
"Lass mich los du verdammter Bastard!", schrie sie und versuchte weiter sich zu befreien. Die Augen in die sie blickte sprühte förmlich vor Ärger und er zog die Augenbrauen stark zusammen.
"Wenn ihr aufhört wie eine wildgewordene Hexe um euch zuschlagen, vielleicht!", zischte er leise. Akira schaute ihn aus zusammengekniffenen Augen an.
"Was glaubt ihr eigentlich wer ihr seid? Lasst mich endlich los!", brüllte sie weiter. Mit einem Mal ließ er ihre Handgelenke frei und sie schluck ihm mit der geballten Faust ins Gesicht. Erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an. Oh nein! Was habe ich getan, er wird mich umbringen!

Beängstigende Stille breitete sich aus, als jemand das Leder vom Zelteingang zur Seite schlug und hastig herein schritt.
"Ist alles in Ordnung, Herr?" Ein blonder Mann stand im Zelt und überblickte das Szenarium.
Herr? Bei allen guten Geistern, ich habe gerade den Heerführer geschlagen!

Akira schlug sich die Hand vor dem Mund und sah dem Mann wieder in die Augen.
"Es ist alles in bester Ordnung, Darus! Ihr könnt wieder gehen.", zischte dieser ohne seinen Blick von der jungen Frau abzuwenden.
"Aber schickt doch bitte jemanden mit Essen vorbei!", sagte er und blickte zu Darus.
"Wird gemacht, Keir.", nickend verschwand der Krieger aus dem Zelt. Akira kauerte sich, so weit wie möglich von dem Heerführer entfernt, in die hinterste Ecke des Zeltes. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Nie hatte sie den Heerführer Keir gesehen. Wenn er mal im Lager war hat sie immer andere Aufgaben zu erledigen gehabt; weit entfernt von seinem Zelt. Sie wollte ihn nie sehen, jetzt bereute sie es zutiefst. Tränen der Angst stiegen in ihr auf und liefen ihr heiß über die Wangen. Er saß immer noch auf dem Bett mit dem Rücken zu ihr und starrte auf den verschlossenen Eingang. Seine angespannten Muskeln zeichneten sich unter das enganliegende Hemd ab. Was hast du nur getan, Akira! Dein Leben ist hier sowieso schon schwer genug, wieso musst du es dir noch schwerer machen?

Mit zitternder Hand versuchte sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streifen. Wieso sagt er denn nichts?


"Es ... es tut mir leid! Ich ... wollte das nicht!", sie sprach so leise, dass sie glaubte er hätte es nicht gehört. Das Leder wurde wieder zur Seite geschlagen und es huschten zwei Sklaven mit gesenktem Kopf herein. Die Eine trug eine große Holzschale mit Suppe, während der Andere mit einem Korb Brot hereinkam. Leise stellten sie die Sachen ab und knieten sich vor dem Heerführer nieder.
"Ihr könnt gehen!"
So schnell sie in dem Zelt waren, waren sie auch wieder draußen.
"Esst und zieht euch dann die Kleider an, die auf dem Hocker liegen!", sagte Keir und verließ das Zelt ebenfalls. Was soll das? Wieso bestraft er mich nicht?

Nach einigen Minuten richtete sie sich langsam auf und ging zu dem großen Tisch, der in der Mitte des Zeltes stand. Zweifelnd schaute sie auf die dampfende Schale Suppe. Das ist doch eine Falle! Warum sollte er mir etwas zu Essen geben?

Doch ihr Hunger besiegte den Zweifel und sie begann gierig die Suppe zu essen. Die letzte warme Mahlzeit hatte sie vor neun Sommern gehabt. In ihrer Heimat Áchantas! Der Löffel rutschte langsam aus Akiras Hand und fiel mit einem leisen Patschen in die Suppe. Ihre Augen starr geradeaus gerichtet, verschleiert von den schmerzhaften, schönen Erinnerungen ihrer Heimat.
Sie sah das kleine Dorf indem sie mit ihren Eltern lebte, dass daran grenzende Meer. Sie roch die Freiheit des Meeres, spürte wie die Sonne das Salz auf ihrer Haut trocknete. Hörte das Lachen ihrer Freunde . . .
und dann spürte sie nur noch den Verlust!
Mit einem lautem Schluchzer entriss sich Akira dieser Erinnerung. Sie leben nicht mehr! Keiner von ihnen lebt mehr! Sie haben sie alle getötet und das Dorf niedergebrannt!

Weinend zog sie ihre Beine an den Körper. Wieso haben sie mich am Leben gelassen? Warum haben sie mich nicht auch getötet? Warum nur?

Sie konnte nicht aufhören zu weinen, immer wieder erschütterte ihr Körper unter den Schluchzern. Warum nur?


3




Frei sein heißt, wählen können,
wessen Sklave man sein will. (Jeanne Moreau)





Die Sonne hatte ihren Platz schon längst mit dem Mond getauscht, als die letzte Träne von Akira auf den Boden fiel. Wie benebelt sah sie auf und schaute zu dem Hocker, auf dem die Kleidung lag, die sie anziehen sollte. Mühselig stand sie auf und musste sich an dem Tisch festhalten um nicht unter ihren Beinen zusammenzubrechen. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen und sie wusste nicht mehr wo oben und unten ist. Was ist nur los mit mir?

Als sich der Schwindel langsam wieder legte, ging sie auf den Hocker zu und betrachtete die Kleidung. Es handelte sich um ein dunkelgrünes Leinenkleid. Der Ausschnitt war mit einem aufwändigen Blumenmuster bestickt, was sich am Ende der Ärmel und dem Saum wiederspiegelte. An den Ärmeln und dem Rücken waren Schnüre befestigt, wodurch das Kleid an diesen Stellen eng am Körper anlagen. Akira hielt sich das Kleid vor und betrachtete dann ihre Kleidung. Wenn man das überhaupt Kleidung nennen kann! Das sind nichts weiter als ein paar Stofffetzen!

Verächtlich schaute sie ein weiteres Mal an sich hinab, zog dann schnell die alte Sklavenkleidung aus und tauschte sie gegen das Kleid. Der grüne Leinenstoff fiel locker über ihre Beine und Akira zog die Schnüren fest. Es passt perfekt!

Mit zitternden Händen fuhr sie über den Stoff. Ich hatte noch nie so ein schönes Kleid an. Wieso gibt er einer Sklavin ein solch schönes Kleid?

Immer mehr Fragen erschienen in Akiras Gedanken, als sie durch ein Räuspern aufschreckte.
"Seid Ihr fertig?", fragte eine dunkle Stimme, die Akira als die des Heerführers erkannte. Er stand vor dem Zelteingang und wartete darauf das die junge Frau etwas erwiderte, doch ihr fehlte mit einem Mal die Stimme. Was soll ich denn nur machen?

Sie knetete ihre Hände, während sie mit weichen Beinen auf die Lederklappe zuging. Vorsichtig zog sie das Leder beiseite und rannte gleich in den Heerführer hinein. Akira stolperte rückwärts und wäre auf den Boden gefallen, hätte der Heerführer sie nicht im letzten Moment an den Schultern gepackt. Zu nah!,

hallte es mit einem Mal in Akiras Kopf und sie wich ein paar Schritte von ihm.
"Habt Ihr etwa eure Stimme verloren? Mir wurde nämlich berichtet, dass Ihr sehr oft redet und das auch noch ungefragt!"
Wut keimte in Akira auf und ehe sie ihr neuerlangter Mut verließ ging sie auf den Mann zu und bohrte ihm ihren Zeigefinger in die Brust.
"Ich habe meine Stimme ganz und gar nicht verloren, doch bevor ich mit Euch freiwillig rede sagt ihr mir erst mal was Ihr von mir wollt!", zischte sie. Die Wut brodelte weiter, als er sie mit ausdruckslosen Augen anstarrte und kein Ton von sich gab.
"Ich rede wann ich will und es ist mir egal, wenn ich dafür Schläge bekomme oder sie mich an einen Pfahl hängen!", schrie Akira den Heerführer weiter an. Was rede ich denn da? Der hängt mich doch gleich wieder an den Pfahl!

Doch sie konnte sich einfach nicht beruhigen. Irgendwas an seiner Art machte sie einfach wütend.
Nach einer halben Ewigkeit, in der sie ihn immer noch wutentbrannt anstarrte und ihr Finger schon ganz taub war, fing der junge Mann schelmisch an zu grinsen.
"Schön das ihr eure Stimme doch nicht verloren habt!"
Akira blieb, vor Erstaunen oder vor Wut, der Mund offen stehen. Was denkt der sich eigentlich?


"Dann können wir ja jetzt endlich weiterreiten.", sagte er mit dunkler Stimme. Weiterreiten? Wovon redet der überhaupt?


"Was interessiert es mich, wann Ihr weiterreitet! Ihr könntet von mir aus schon über dem Kylkaljar - Gebirge sein!" Bei allen guten Geistern! Reiß dich zusammen Akira! So redet man eindeutig nicht mit einem Heerführer der dich zu Tode foltern lassen könnte!

Schnell biss sich Akira auf die Unterlippen, damit ihr nicht noch ein ungewollter Satz rausrutschte.
"Nun ... soweit ich weiß ist es bis zum Kylkaljar - Gebirge ein vierzehntage Ritt und ich bin mir nicht sicher ob ihr es schafft vierzehntage durchzureiten! Wenn ihr überhaupt reiten könnt?", sagte er, während er sich zum Eingang drehte und das Leder, mit der einen Hand, hoch hob und ihr, mit der anderen, zu verstehen gab aus dem Zelt zu gehen. Zögernd befolgte sie seiner Anweisung.
Vor dem Zelt herrschte das reinste Durcheinander. Pferde wurden getränkt und gesattelt; die Schmiede schärften die Klingen der Schwerter und begutachteten ein letztes Mal die Rüstungen der Krieger und die Sklaven füllten Wasser in Trinkbeutel um und verstauten Brot und trockenes Fleisch in das Gepäck.
Keir führte sie zu den Pferden und blieb vor einem Fuchs mit schwarzen Fesseln stehen. Ehrfürchtig betrachtete Akira das Pferd, es kam ihr größer vor, als die Pferde die sie damals in Ontum besaßen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass alle Pferde diese beachtliche Größe hatten.
"Könnt Ihr nun reiten?", seine Stimme war direkt hinter ihr, weshalb sich Akira erschrocken umdrehte. Keir sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an und fing an sie zu mustern. Eine Gänsehaut breitete sich auf dem ganzen Körper der jungen Frau aus.
"Ich bin früher oft mit unseren Pferden geritten.", ihre Stimme war kaum unter den Geräuschen zu hören, doch er verstand sie trotzdem.
"Seit wann seid Ihr hier?" Wieso interessiert ihn das?

"Man hat mich vor neun Sommern hierher gebracht." Scheppernd kamen einige Krieger hinter den Zelten hervor und Akira versuchte sich so klein wie möglich zu machen und senkte ihren Kopf.
"Ihr werdet erst einmal bei Darus mitreiten." Der Heerführer deutete mit einem Nicken auf den Mann der vorher schon einmal in dem Zelt erschienen war.
"Warum soll ich mitreiten?"
"Ihr werdet uns von nun an begleiten, als meine persönliche Dienerin.", dass waren seine letzten Worte, bevor er zu den Soldaten ging.
Akira hob vorsichtig ihren Kopf und blickte ihm verstohlen hinterher. Wieso tut er das für mich?


Sklaven die einem Krieger oder Legaten zugeteilt wurden, steigen in der Gesellschaft einen Rang höher und werden von dem Tage an Diener genannt. Die Diener bekommen geregelte Mahlzeiten, die, trotz des höheren Ranges, weiterhin aus Brot und Wasser bestehen, jedoch wird man als Diener, bei einem Fehler, mit Folter und dem Tode bestraft.
Noch nie hatte die junge Frau von einem Diener gehört der dem Heerführer zugeteilt wurde.

4




Stark sein bedeutet nicht nie zu fallen, stark sein bedeutet immer wieder auf zu stehen. (Autor unbekannt)




Vier Tage sind vergangen, seit Akira mit den Kriegern das Heerlager verlassen hatte. Es wurden immer nur kurze Pausen zum Essen eingelegt, geschlafen wurde nie! Warum müssen sie nicht schlafen! Sie sind doch auch nur Menschen!


Akira setzte sich auf und schaute in die Ferne, auf der Suche nach einem Dorf oder einem einfachen Haus, aber egal wo sie hinschaute, sie sah nichts als Einöde mit ein paar vereinzelten Bäumen. Ihr Blick blieb an der Sonne hängen, die gerade hinter einem Hügel verschwand und die Truppe ein weiteres Mal in völliger Dunkelheit zurücklies. Seufzend richtete Akira ihren Blick wieder auf die Krieger vor ihnen und betrachtete dabei den Rücken von Keir der sich leise mit dem ersten Legaten unterhielt. Sie wusste nicht warum, aber sie verspürte immer wieder den Drang dazu, ihn zu mustern. Ihr wurde ein weiteres Mal bewusst, wie gut er aussah. Während sie ihn so im Dunkeln musterte, viel ihr Blick auf eine Narbe, die sich von seinem Haaransatz, schräg über seinen Nacken verlief und unter seiner Kleidung verschwand. Akira bekam bei diesem Anblick eine Gänsehaut auf ihren Armen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie schmerzhaft diese Wunde gewesen sein musste

. Sie war so in ihren Gedanken vertieft, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, dass sich Keir zu ihr umgedreht hatte und sie nun fragend ansah. Wärme schoss in ihre Wangen und sie war zum ersten Mal darüber froh das es dunkel war.
"Entschuldigt, was habt Ihr gesagt?", ihre Stimme hörte sich vom wenigem Sprechen kratzig an.
"Hör gefälligst zu, wenn der Heerführer mit euch redet!" Akira zuckte bei der Stimme des ersten Legaten zusammen und versuchte sich möglichst klein zu machen.
"Fimo, es reicht!", drohend hallte Keirs Stimme zu ihr herüber und die junge Frau schreckte ein weiteres Mal zusammen. Darus legte seine Hand auf Akiras Schulter, damit sie nicht vor Schreck vom Pferd fiel.
"Ich habe Euch gefragt ob wir eine Pause machen soll? Wir sind gut voran gekommen und können uns eine Pause für diese Nacht leisten.", fragend schaute er ihr in die Augen, stieg von seinem Pferd ab und kam auf sie zu. Akira brachte nur ein verängstigtes "Bitte." heraus, doch das reichte dem Heerführer. Er befahl den Kriegern, das Lager neben einer vereinzelten Gruppe vertrockneter Bäume aufzubauen.
Keir schaute sie noch einmal an und drehte sich dann um, um sein Pferd abzusatteln und zu tränken.
"Kommst du alleine runter oder soll ich dir helfen?", fragte Darus der ebenfalls von dem Kriegsross gestiegen ist.
"Ich weiß nicht.", stammelte Akira, die die Freundlichkeit in der Stimme des jungen Kriegers verwirrte. Langsam rutschte sie von dem Rücken des großen Tieres herunter und landete mit wackeligen Beinen auf den Boden. Hätte Darus sie nicht gleich an den Arm festgehalten, hätten ihre Beine wahrscheinlich unter dem Gewicht der jungen Frau nachgegeben. Sie klammerte sich an seinem Arm.
"Alles in Ordnung?", Darus hielt sie weiter fest.
"Ja, geht schon wieder. Danke.", sagte Akira und lies seinen Arm los, nachdem sie wieder ihre Beine spüren konnte.
Unsicher blieb sie dort stehen. Und was soll ich jetzt hier machen? Ich kann ihnen nichts zu essen zubereiten und heißes Wasser kann ich ihnen auch nicht bringen.

Die Krieger hatten bereits alle ihre Pferde abgesattelt und machten sich nun daran aus Fällen provisorische Betten herzustellen.
"Mach dich gefälligst nützlich und geh Holz suchen!", Fimo stand plötzlich vor ihr und knurrte Akira mit blitzenden Augen böse an.


Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei dem Autor
Lektorat: Imke S.
Tag der Veröffentlichung: 25.10.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Familie, Imke, Svea und Vanessa Freundschaft solltest du nicht einfach nur hinnehmen, Du solltest sie ehren, Denn Freunde sind das Fundament deines Lebens.

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