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Hiob oder die Vermenschlichung Gottes

Das Buch Hiob – ein bedeutendes Werk der Weltliteratur, über die Jahrhunderte zerfetzt, zerfleddert, auseinander genommen, wieder zusammengesetzt, übersetzt, es hat entsetzt, musste sich der genausten und kleinlichsten Übersetzung beugen um immer neu verstanden werden zu können. Wie kein anderes Buch diente es der Eitelkeit und dem berauschten Intellekt kluger Männer. Tatsächlich, die Schrift scheint wie keine andere in der literarischen Landschaft inspiriert, einen Gott massakriert und den Gedanken an die Möglichkeit des Übermenschen integriert zu haben. Ob die grundlegende Frage des Buches nach einem gerechten Gott allerdings nicht die grundlegende Frage nach dem elementaren Wesen des Menschen ist bleibt meist unbesehen.

Sehen wir uns doch das Werk und einige der Betrachtungen, wie sie so über die Jahrzehnte aus eifrigen Federn flossen, einmal an. Da gibt es zunächst den literaturhistorischen Aspekt. Der Text wird hier brav kategorisiert, in die in der Bibel vorhandenen literarischen Gattungen: Lyrik soll es sein, die die Reflexion der Beziehung von Weisheit und Gehorsam gegenüber Gott bezeichnet. Also muss das Buch, handelt es sich um eine Reflexion, mehr erdacht als einer historischen Wahrheit verwandt sein. Spinoza äußert sich dazu in einem Zitat und stellt die Vermutung an, dass „... dessen (des Gespräches zwischen Hiob und seinen Partnern, M.G.) Inhalt und Stil ... nicht der eines unter Asche trauernden Kranken (ist) , sondern eines in der Bibliothek in Muße Nachdenkenden.“ Spinoza: Theologisch – politische Abhandlung./ Philosophische Bibliothek, Bd. 35, S.159.
Dieses Nachdenken und die Tatsache, dass die Dichtung als wortgewaltig und episch beschrieben wird, sprechen doch sehr dafür dass mit dem Buch ein Gleichnis gemacht werden sollte, oder eben ein Exempel statuiert, worauf ich in späteren Ausführungen zurückkommen werde.
An dieser Stelle soll der Vollständigkeit halber die Struktur und Entstehung der Schrift aufgeführt werden:
Sie besteht aus einer Rahmenerzählung, deren Grundstock eine Volkserzählung ist und beschreibend die Ausgangsposition Hiobs, seinen bestehenden Reichtum und seine Gottesfürchtigkeit darstellt. Der zweite Teil, die Kerndichtung, hat die Klage Hiobs und den Redewechsel mit den drei Freunden und mit Gott zum Inhalt. Prägnant an dem Wortwechsel mit den Freunden ist, dass diese, gemäß der Jüdischen Vorstellung, Hiob Sündhaftigkeit vorwerfen, welche von Gott gestraft wird. Hiob allerdings bestreitet gesündigt zu haben und bleibt auch dabei, als er weiterhin verurteilt und mit einer Seuche geschlagen wird. Ein drittes Srukturmerkmal sind das Lied über die Weisheit und der Redewechsel Hiobs mit Elihu, dem vierten Freund. Dieser Teil des Buches ist eine spätere Einfügung.
Der Verfasser seinerseits wird allentalben als unbekannt benannt, für jüdische Verständnis war es Moses, der das Werk dichtete, obwohl die zu Grunde liegende Volkserzählung in das alte Mesopotamien rückführbar ist.
Das entstehen des Textes wird in das 3. oder 4. vorchristliche Jahrhundert angesiedelt: Die Zeit des hellenischen Geistes und der jüdischen Aufklärung. Hier bietet es sich an, besieht man die frühen Deutungsweisen des Textes, sich mit der Philosophie Epikurs zu beschäftigen. Dieser hatte sich eifrig mit den Übeln der Welt auseinandergesetzt und sie den Göttern zum Vorwurf gemacht. Er stellte folgerichtig fest, dass sowohl der Gerechte als auch der Ungerechte von den Übeln erfasst und dahingerafft werden kann. Da er hierin keinen Sinn oder System erkennen konnte untersuchte er die Möglichkeiten, die Gott in Hinsicht auf die
Übel der Menschheit rechtfertigen könnten:

Wenn Gott die Übel beseitigen will, aber es nicht kann, dann ist er schwach, dann ist er nicht allmächtig, und eben darum kein Gott.

Gott könnte das Übel beseitigen, aber er will es nicht. Er wäre somit ein missgünstiger Gott und damit selbst ein Übel. Ein unmenschliches Wesen also, aber kein Gott.

Wenn Gott die Übel weder beseitigen will noch sie beseitigen kann, dann wäre er sowohl missgünstig als auch schwach. Er wäre Nichts.

Gott kann die Übel aus der Welt nehmen, und kann dies auch – entspricht nicht der Wirklichkeit.

Dieses niederschmetternde Bild Epikurs, der Demokrits Naturphilosophie verschrieben war, bestimmt also die Entstehungszeit von Hiobs Geschichte. Demokrit betrachtet die Welt als eine von Notwendigkeit, nicht von Sinn bestimmte. Wenn eine Welt ohne Sinn vorhanden ist, kann kein Gott diese gestalten, kann keine Gerechtigkeit durch einen Gott geschehen und der Mensch bestimmt Recht und Unrecht auf seine Weise.
Dieser Hintergrund weist bereits auf eine Botschaft des Buches Hiob hin, die nicht allein auf eine Rechtfertigung eines gerechten Gottes hinweist und deren Scheitern hinweist.
Hieraus ergibt sich ein Zwiespalt, der Hiob schwer zusetzt, allerdings auch von seiner heidnischen Existenz zu einer Glaubensexistenz im jüdischen Sinne führt. Die Rede zwischen Gott und Hiob, in welcher er seinen Gott, von dem er annimmt, dass er ausschließlich gerecht und gut sei, um Rechtfertigung für seine Qualen bittet. Gott aber erscheint Hiob und spricht zu ihm aus dem Sturm: Erzürnt und ausgesprochen ungerecht. Das Einzige was dieser Gott noch zu können scheint ist eine klare Demonstration seiner Macht, indem er sich damit brüstet die Schöpfung auf seine Rechnung setzten zu können, was sonst selbstverständlich niemand kann. Hiob bekommt eine detaillierte Aufzählung naturwissenschaftlicher Phänomene, was wiederum auf die Entstehungszeit des Buches hinweist und den Autor fast als „gottähnlich“ erscheinen lässt, da er ja im Stande ist diese Aufzählungen in seinem Text zu tätigen. Der er-
Scheinende Gott in deiner Ansprache kann also nur durch die Worte der Menschen erstehen, durch ihr Verstehen und das benennen ihrer ureigenen Wahrnehmung. Im direkten Kontext aber, ohne dass man den Autor oder die Autoren mit einbezieht, geschieht hier eine Machtdemonstration die Etwas Verbergen soll: Gott hat eine Wette mit dem Teufel abgeschlossen.
Der Teufel oder Satan, welcher ein gefallener Engel ist und ebenso wie diese weiterhin auf der Erde wandelt, steht in direktem Kontakt mit Gott und ist noch immer „Teil“ seiner himmlischen Heerscharen. Dieser Umstand nun wiederum gibt erneut Anlass zu berechtigtem Zweifel an Gott: Er wird verführbar und lässt sich, wenn auch auf väterliche Art und Weise, denn die Wetteinsätze sind ungleich, auf Satan ein. Was ist das für ein naives Exemplar von einem Gott? Wieder findet man eine Interpretationsmöglichkeit in den jüdischen Begriffsdefinitionen:
`elohim bezeichnet einerseits den israelitischen Gott, andererseits ist er aber auch für andere Gottheiten verwendbar. Er ist aber auch der Gott des ersten Schöpfungsbereichtes einer ausschließlich positiven Welt. Das ist auch der Gott, dem Hiob nahe stehen zu scheint und dem er seine leidenschaftliche fromme Unterwerfung schenkt.
Jahweh, der „Herr“, wiederum bezeichnet ausschließlich den israelitischen Gott; er ist der Gott des zweiten Schöpfungsberichtes in dem die Welt mit Verboten und folgenden Strafen belegt ist.
Diese definitionsgemäße Ambivalenz im Gebaren Gottes zeigt, dass Gott nicht nur Schöpfer sondern auch Zerstörer ist. Hiob hat seine Lektion über das Wesen Gottes gelernt, was er allerdings nur konnte weil er ein tadelloser Mensch war: Frei von Sünde. Im Gegensatz zu Gott, dem seine im jüdischen Glauben verankerte, nebenbei gesagt auch unerklärliche Willkür personifiziert zur Seite gestellt wird. Wenn man diesem Gedankengang folgt und den Satan als Neigung Gottes betrachtet erhalten wir das erneut das Bild eines sehr menschlichen Gottes. Auch Goethe weist im „Prolog im Himmel“ ein wenig schalkhaft durch die Stimme Gottes auf die „Seelenverwandtschaft“ mit dem Teufel hin:

„...Du darfst auch da nur frei erscheinen;
Ich habe deinesgleichen nie gehasst.
Von allen Geistern die verneinen,
Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.“

Die Verwandtschaft des Faust mit dem Buch Hiob ist vom Dichter unbestritten, vor allem der Prolog im Himmel. In diesem Sinne unterstreicht Goethe die dipolare Existenz Gottes weiterhin mit der Gestalt des Doktor Faustus. Während Hiob fromm und rein vor dem Angesicht des Herren erscheint scheint Gott für den Faust eine nicht benannte Eigenschaft als förderlich zu befinden. Vielleicht seinen Forscherdrang und die Liebe zur Wissenschaft, sprich: den eigenen Willen, welcher schon Luzifer zu Fall brachte? Die Prüfung des Doktor Faustus, die den lustvollen Wandel auf Erden betrifft, steht im krassen Gegensatz zu der Prüfung Hiobs, die das Leid betrifft und steht erneut für die Zweiseitigkeit des menschlichen Wesens.
Selbst die Übersetzung des Wortes „saddai“, das mit Allmächtiger übersetzt wird weckt an der Bibelstelle „ Mit dem Allmächtigen will der Tadler rechten? Der da Gott zurechtweist, er antworte darauf!“ (Hiob 40,2) einige Verdächtigungen. Sind Gott und Teufel ein Wesen?
Um diese Eventualität auszuräumen versucht der eifrige Hiobdeuter den aus dem Sturm zu Hiob sprechenden seiner Identität als Gott zu entbinden und vermutet, dass er womöglich ein Naturdämon – und somit die letzte Prüfung Hiobs durch den Teufel - sei. So stellt ihn auch, reichlich überspitzt, die Prosa Leszek Kolakowskis dar:
„...Sie standen einander gegenüber- Jehova, riesengroß, breitschultrig, mit mächtigem Schopf, bäuerlich einfach gekleidet, und der Teufel niedrig, elegant, mit schmalem, intellektuellen Gesicht und einem glänzendem Brillianten am Finger...“ (Leszek Kolakowski: Der Himmelsschlüssel, oder erbauliche Geschichten nach der heiligen Schrift zur Belehrung und Warnung. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1968) Gott ist seiner Identität – wofür er durch seine Gebaren Hiobs gegenüber selbst verantwortlich ist – beraubt.

Um diesem leicht abfälligen Bild Gottes aus dem Weg gehen zu können wurde allerlei Ding erfunden; denn – zum Leidwesen eines jeden Philosophen und Menschen – scheinen immer noch Dinge auf der Welt existieren die nach wie vor nicht erklärbar sind. Die Qual des Unerklärbaren aber gepaart mit der Verantwortungsfaulheit des Menschen trieb – ausgelöst durch einen von Epikur erfüllten Autor der vorchristlichen Wirklichkeit – gestandene Persönlichkeiten dazu das verruchte Buch Hiob endlich in ein für den beunruhigten Bürger ordentliches Licht zu rücken.
Die Niederschrift der Geschichte Hiobs war gleichzeitig die Geburt des Theodizeegedankens, welche die Rechtfertigung Gottes gegen die Anklage, dass eram Übel und er Sünde in der Welt schuld sei. Er sollte alle Zweifel an der Nichtexistenz, der Ungerechtigkeit und Grausamkeit Gottes ausräumen.
Kleantes nimmt z.B. die bösen Taten aus und weist sie der Unvernunft der Schlechten zu. Diese wiederum sollen durch Gott zum Guten gelenkt werden – was er wahrscheinlich manches Mal nicht schafft und somit als schlechter Gott aus dem Schneider ist. Bei Hiob allerdings ist der Plan aufgegangen; Gott lenkt die böse Verführung seiner Selbst zum Guten indem er ersetzt, was er vorher nahm. Chrysipos betrachtete den Wirkungsmechanismus von Haupt – und Nebenursachen und behauptet, der Logik der Vorhersehung könne man sich ruhigen Gewissens anvertrauen und das Übel müsse zur Mannigfaltigkeit und folglich zur Vollkommenheit des Ganzen beitragen.
Der bekannteste Vertreter der Theodizee ist aber Leipniz der versuchte die Weltregierung Gottes wider alles Übel zu beweisen. Für ich ihn existierten drei Arten des Übels: Das metaphysische Übel welches in der Endlichkeit der Schöpfung begründet ist, das moralische Übel, welches Gott nicht will, was aber trotzdem vorhanden ist und ohne das dass Gute nicht erreichbar wäre sowie das physische Übel, welches zur Besserung oder Vervollkommnung des Menschen dienen soll. Das letztere Übel dient als Strafe, als Mittel zum Zweck.
Diese Rechtfertigungen entsprechen dem Guten, dass unausweichlich und weit weg von unserem Einfluß waltet oder nicht waltet. Gott jedenfalls trifft keine Schuld – was ihm eine Seite verleiht, die man ihm nicht ganz abkauft wenn man den Verlauf der Bibel betrachtet. Betrachten wir einmal die Geschichten; in denen Gott nicht gerade seine gute Seite zeigt:
Der Sündenfall enthüllt das Böse in der Entfremdung von Gott, der sich beleidigt abwendet und erzürnt nach dem Übertreten eines Verbotes abwendet, das den Menschen Erkenntnis und Willen verliehen hat. Hat er den menschlichen Frevel, welcher zur Vertreibung aus dem Paradies führte nicht erwartet oder zugelassen? Kain und Abel, die neiderfüllten Brüder, werden von Gott ungerecht behandelt indem er das Opfer Abels annimmt, das Kains aber nicht. Damit demonstriert er das Böse durch die Verfeindung der Menschen. Weiter überlebt Noah die von Gott aus Zorn veranstaltete Sinnflut gegen die boshafte Menschheit nur, weil er sich doch noch einmal wendet. Obwohl Gott bereits vor Hiob grausam gegen die Menschen war erhielt seine Machtdemonstration gegenüber Hiob eine andere Qualität. Gott hatte sich falsch verhalten und wollte seinen Fehler nicht eingestehen.
Ist hier nicht die Entstehung des Menschen wie sie in Mose 1,26 „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie“ lesbar ist, plausibel? Auch der Mensch neigt zum Missbrauch seiner Macht die er durch die Aufforderung erhielt auf Erden herrschen zum sollen, erhielt. Auch der Mensch hat unausweichlich das Gute und das Böse in sich, ist willkürlich und nicht bereit Fehler zu berichtigen. Den durch Ernst Bloch hergestellten Übermenschen Hiob, den die Makellosigkeit schmückt und der Gott überflügeln kann, gibt es nicht. Alle Rechtfertigungen eines perfekten Gottes werden unnötig, wenn wir das, was uns durch die Schöpfungsgeschichte erzählt wurde mit ein wenig ernst betrachten. Wir können nicht besser als Gott sein, aber er ist auch nicht besser als wir. Verantwortlichkeit und die Vermenschlichung Gottes ist die Botschaft des Buches Hiob, bei aller Wandelbarkeit und den Blickwinkeln, die durch die historischen Gegebenheiten der Menschen entstanden.


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Tag der Veröffentlichung: 18.12.2008

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